Die Magier von Stonehenge Teil II.

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2. Kapitel
Die Suche

Mit einem Satz schwang sich Matthew auf Sunday und ritt los. Er trieb das Pferd an und jagte es durch die Wälder, bis sie beide ganz verschwitzt an Myrddins Versteck ankamen. „Ich weiß, aber ich hatte es eilig“, sagte er leise zu seinem Pferd, das völlig außer Atem war. „Ruh dich aus, ich werde eine Weile brauchen.“

Er band es an einem Ast fest und machte sich auf den Weg zu der versteckten Öffnung im Felsen. Matthew hatte schlecht geschlafen letzte Nacht und unentwegt über seinen Traum nachgedacht. Wenn es wahr wäre, dann musste er ja einfach nur nach dem Buch suchen, von dem Myrddin gesprochen hatte.

Matthew trat vor den Felsen hin, erhob seine Arme konzentriert und sprach: „Merlinus ostende mihi secretum! Notam fac mihi viam, et aperuerit mihi aditus! Aperi mihi, quid in occulto! Solve velum!“

Der Felsen gab ihm daraufhin sofort den Weg zur Treppe frei, die nach unten führte in Merlins Refugium. Matthew hob seine Rechte und sprach: „Lux!“ Ein heller Lichtstrahl quoll aus seiner Hand und leuchtete ihm den Weg. Nachdem er ganz unten die letzte Treppenstufe erreicht hatte, entzündeten sich die Fackeln in der Halle an den Wänden von selbst, sodass er sein eigenes magisches Licht nicht mehr benötigte. Am hinteren Ende der Halle angekommen, hob er seine Arme und rief: „Occulta te ostium apertum in me! Ostende mihi, secretum!“

Die durch einen starken Zauber verborgene Tür, öffnete sich mit ächzendem Laut und gab ihm den Weg zu Myrddins Allerheiligstem frei. Voller Hoffnung, machte er sich sogleich auf die Suche nach dem verborgenen Buch.

Matthew probierte verschiedene Zaubersprüche, die ihm passend erschienen, an unterschiedlichen Stellen in der Kammer und auch in der Halle aus. Doch nichts rührte sich. Langsam begann er zu bezweifeln, dass der Traum tatsächlich eine Botschaft gewesen war. Seine Sorgen mussten ihm wohl doch einen Streich gespielt haben. Resigniert setzte er sich auf den alten Stuhl Myrddins und grübelte. Wenn es dieses schwarze Buch gab, wo konnte es dann sein? Es gab inzwischen keine Stelle mehr, wo er noch nicht danach gesucht hatte. In Matthew keimte der Gedanke, dass er irgendetwas falsch machte. Aber was? Sein Blick schweifte nachdenklich über die Bücher und Gegenstände, die im Raum waren. „Wo bist du nur?“, fragte er laut. Da fiel ihm plötzlich wieder ein Detail ein, was Myrddin im Traum erwähnt hatte. Der Ring und der Mantel…

Er schnellte aus dem Stuhl hoch und ging auf die alte Truhe zu, die in der Ecke stand. Matthew legte seine Hand darauf und sprach: „Aperire abscondita det mihi ad te! Ostende mihi, quid es protegens.“ Kaum ausgesprochen, schoben sich die Eisenriegel wie von Geisterhand zurück und gaben ihm den Inhalt der Truhe frei. Stück für Stück nahm er heraus und legte alles vor sich auf den Boden. Als er den ganzen Inhalt ausgebreitet hatte, betrachtete er die Sachen und überlegte fieberhaft, was ihm davon weiterhelfen konnte. Myrddin hatte Ring und Mantel erwähnt, aber wie genau er sie benutzen konnte, hatte er ihm nicht verraten. Nachdenklich schweifte sein Blick über den Inhalt der Truhe. Da lagen Myrddins magischer Zauberstab, die silberne Schatulle, die den Ring in sich barg, der Mantel und zwei alte Karten. Er hob die Karten auf und betrachtete sie eingehend. Die Landschaft, die darauf eingezeichnet war, kannte er nicht. Und die wenigen Worte, die er auf ihnen finden konnte, waren in Cymraeg/ alt walisisch geschrieben. Der Sinn dahinter blieb ihm noch gänzlich verborgen und so legte er sie wieder beiseite. Stattdessen nahm er den schweren blauen Mantel und legte ihn sich um seine Schultern. Im gleichen Moment fühlte er eine unbändige Kraft in sich aufsteigen. Alte, ihm sehr bekannte Gefühle von unbezwingbarer Macht stiegen in ihm hoch. Verwirrt schüttelte er den Kopf. Hatte der Mantel etwa ähnliche Kräfte wie das Amulett? Matthew war ganz fixiert darauf, dass, wenn er das Buch fand, er alle Informationen bekam, die er brauchte. Er musste es einfach nur finden. Vielleicht waren der Ring und der Mantel der Schlüssel dazu.

Vorsichtig hängte er den Mantel über den alten Stuhl und öffnete die Schatulle mit dem Ring. Damals, als er die Truhe das erste Mal geöffnet hatte, hatte er weder den Ring noch den Mantel ausprobiert. Aber ein unbestimmtes Gefühl trieb ihn dazu, es jetzt zu versuchen. Also nahm er ihn aus der Schatulle, wickelte das Leinentuch, in das er gehüllt war auf, und steckte ihn sich an die rechte Hand. Plötzlich begannen sich seine Augen zu verändern und seine Sicht verschob sich völlig. Es war, als ob sich ein unsichtbarer Schleier über seine Augen legte, der alles seltsam verzerrte. Alles um ihn herum wirkte plötzlich so unwirklich und wie in Trance. Überrascht und ein wenig schwindlig nahm er ihn ab und setzte sich auf den Stuhl. Was war das? Er verstand die Magie nicht, die dem Ring innewohnte. Wozu sollte das gut sein? Eine solche Magie war ihm bisher unbekannt. Doch ihm war klar, dass er nicht aufgeben konnte, da Myrddin ja gesagt hatte, dass der Ring ebenso wie der Mantel, ihm bei der Suche helfen würden. Zumindest hatte er das so verstanden. Also versuchte er es noch einmal und steckte ihn an seinen Finger. Matthew versuchte, sich ganz auf seine Kraft zu konzentrieren und zu erspüren, wozu der Ring fähig war. Alles vor ihm verschwamm zusehends, doch er wollte diesmal nicht aufgeben und wartete ab, was geschehen würde. Es dauerte eine Weile, bis sich seine Sicht plötzlich veränderte. Schlagartig sah er ganz plötzlich Myrddin vor sich, wie er auf seinem Stuhl am Schreibtisch saß und in ein Buch schrieb. Alles wirkte wie vor sehr langer Zeit, und das Mobiliar im Raum schien noch ganz neu und kaum benutzt zu sein. Auch Myrddin sah um vieles jünger aus als in seinem Traum. Da dämmerte es ihm langsam, wozu der Ring gemacht worden war. Ja, es konnte nicht anders sein! Um seinen Verdacht zu bestätigen, nahm er ihn abermals ab. Dann konzentrierte er sich auf das Buch, steckte ihn wieder an und wartete ab. Es dauerte wieder eine Weile, dann gab er ihm den Blick frei auf das, worauf er so gehofft hatte. Er beobachtete Myrddin, wie er einen Schutzzauber über ein schwarz gebundenes Buch legte, das daraufhin vor seinen Augen augenblicklich verschwand. Matthew merkte sich den Spruch und wartete weiter ab. Da nahm Myrddin den Mantel aus der Truhe, schwang ihn über seine Schultern und war urplötzlich gleichsam verschwunden. Er rieb sich die Augen, weil er dachte, er hätte etwas übersehen, doch alles blieb, wie es war. Matthew wurde bewusst, dass der Ring ihm nicht nur die Vergangenheit allgemein, sondern ihm stets das zeigte, woran er gerade dachte. Und wenn dem wirklich so war, dann konnte er vielleicht auch das Versteck der Schwarzmagier in Pembroke mit seiner Hilfe finden. Er besann sich ganz auf das Zeichen, das er in Pembroke damals gesehen hatte. Dann steckte er den Ring wieder an und wartete. Nach einer Weile klärte sich seine Sicht und er sah, wie drei Männer in lange weiße Mäntel gehüllt auf ihn zukamen. Sie murmelten einen Zauberspruch, worauf sich ein unsichtbares Tor öffnete, das sie mit sich fortriss. Sie blieben danach verschwunden und so nahm Matthew den Ring wieder ab. Seine Vermutung hatte sich bestätigt. Der Ring konnte ihm genau die Ereignisse aus der Vergangenheit zeigen, die er wollte. Matthew war ganz aufgeregt und zuversichtlicher als zuvor, einen Weg zu finden, wie er Paymon bekämpfen konnte. Er wusste natürlich, dass dies eine ganze Zeit dauern würde, sich all das Wissen anzueignen, aber dazu war er bereit. Denn letztendlich hing ihr Leben davon ab.

Nachdem er alles wieder weggeräumt und wieder mit einem Schutzzauber belegt hatte, verließ er das Versteck Myrddins und machte sich auf den Heimweg.

Daheim angekommen, empfing ihn schon Elisabeth mit sorgenvollem Blick. „Wo warst du denn so lange Matt?“ Ihr Unterton war nicht zu überhören. „Ich habe mir schon Sorgen gemacht!“ „Tut mir leid, Elisabeth, aber ich musste unbedingt herausfinden, ob etwas an dem Traum wahr ist“, entgegnete ihr Matthew ein wenig schuldbewusst, weil er sie so lange allein gelassen hatte. „Aber“, fügte er gleich hinzu, „ich denke, ich habe einen guten Weg gefunden.“ Er sah sie mit verheißungsvollem Blick an und lächelte ihr zu. Elisabeth sah ihn überrascht an. „Wirklich?“ „Ja, ich bin ganz zuversichtlich“, sagte Matthew bestimmt und umfasste ihre Taille, um sie mit sich fortzuziehen. „Lass nur, das Pferd kann Jonathan in den Stall bringen. Komm mit, ich muss dir alles erzählen.“ Elisabeth ließ die Zügel los und folgte ihrem Mann ins Haus.

Nachdem sie sich sorgsam vergewissert hatten, ob sie niemand beobachtete, verschwanden sie im Schlafzimmer und versperrten die Tür. „Jetzt komm schon, erzähl“, sagte Elisabeth aufgeregt. Matthew grinste über das ganze Gesicht und sagte leise: „Du wirst es mir nicht glauben, was ich vorhin erlebt habe. Bestimmt erinnerst du dich an die Truhe in Myrddins Versteck oder?“ Elisabeth nickte. „Klar kenne ich die. Aber die Sachen hast du doch bis jetzt noch nie benutzt oder?“ „Ja, bis heute“, sagte Matthew bedeutungsvoll. „Na komm schon, spann mich nicht auf die Folter, Matt, erzähle!“, sagte Elisabeth sichtlich gereizt. Sie hoffte so sehr, dass Matt einen Weg gefunden hatte, sie vor Paymon zu schützen. Andernfalls hatten sie sehr bald schon das nächste Problem. Aber sie wusste noch nicht, wie sie es Matthew am schonendsten beibringen konnte. Sie wusste sehr genau, dass es momentan nicht sinnvoll war, ihn abzulenken. Deshalb hatte sie beschlossen, es ihm noch nicht zu sagen und auf einen günstigeren Zeitpunkt zu warten. Sie schwieg gespannt, als Matthew zu erzählen begann. „Also hör zu“, begann er, „ich habe dir doch erzählt, dass ich von Myrddin geträumt habe. Er hatte einige Dinge darin erwähnt, die ich heute versucht habe herauszufinden. Anfangs war es ein wenig seltsam, aber ich habe nach mehrmaligen Versuchen mit seinem Ring herausgefunden, dass er mir bestimmte Ereignisse aus der Vergangenheit zeigen kann.“ Elisabeth starrte ihn ungläubig mit großen Augen an. „Wirklich?“ „Oh ja. Ich war selbst sehr überrascht, weil ich mit so was nie gerechnet hätte, aber es lässt sich nicht anders erklären, was ich gesehen habe, als ich ihn trug.“ Er erklärte ihr ganz genau bis ins Detail, was sich zugetragen hatte. Elisabeth bemerkte, dass er seit langer Zeit wieder voller Hoffnung war. Das gab auch ihr neuen Mut und Hoffnung, dass doch noch alles gut werden würde. Sie war sehr froh über diese Neuigkeiten. „Ich bin zuversichtlich, dass ich jetzt einen Weg finden werde, uns aus dieser grässlichen Misere zu befreien, Schatz“, beendete Matthew seinen Bericht. „Das hoffe ich sehr Matt. Aber komm jetzt, du musst etwas essen, du Zauberlehrling“, meinte sie scherzhaft und zwinkerte ihm belustigt zu. „Pah, von wegen Zauberlehrling“, antwortete Matthew und spielte mit unterdrücktem Lächeln den Beleidigten „ich werde dir schon noch beweisen, dass ich viel mehr kann als du denkst.“ „Aber das weiß ich doch Schatz, ich wollte dich doch nur aufziehen damit“, lachte sie. Sie zog ihn mit sich in die Küche und richtete ihm sein Abendbrot. Es war schon spät geworden und Matthew hatte vor lauter Wissbegierde nicht einmal bemerkt, wie sehr sein Magen nach Nahrung verlangte. An diesem Abend schliefen sie eng umschlungen ein und Matthew fand seine verdiente Ruhe.

 

Das laute Geschrei einer Krähe riss ihn früh morgens aus dem Schlaf. Er rieb sich müde die Augen und bemerkte, dass Elisabeth noch schlief. Ganz leise, um sie nicht aufzuwecken, zog er sich eilig an und schloss hinter sich die Tür. Er schrieb ein paar Zeilen auf ein Blatt Papier, damit sie sich keine Sorgen zu machen brauchte, wenn sie erwachte. Im ganzen Haus war es noch still und so huschte er leise in die Küche, aß eine Kleinigkeit und machte sich auf den Weg zum Stall. Sunday begrüßte ihn leise schnaubend und rieb ihre Nüstern an seinem Hals. „Na, meine Gute, hast du dich gut ausgeruht?“ Er tätschelte ihren schlanken Hals, sattelte sie und führte sie aus dem Stall. Gekonnt schwang er sich auf ihren Rücken und trieb sie an. Sunday glitt auf leisen Hufen dahin, sodass niemand mitbekam, dass er Mangeniohood verließ. Bestimmt war Elisabeth nicht erfreut, dass er schon wieder weg war, aber sie wusste ja auch warum. Sunday galoppierte in hohem Tempo durch die Wälder. Kein Mensch war um diese Zeit unterwegs und so erreichten sie ungesehen den Felsen.

„Merlinus ostende mihi secretum! Notam fac mihi viam, et aperuerit mihi aditus! Aperi mihi, quid in occulto! Solve velum!“ Matthew hob die Arme und der Felsen gab ihm abermals den Weg frei. „Lux!“ Begleitet von dem magischen Licht aus seiner Hand, stieg er die Treppe hinunter. Die Fackeln entzündeten sich und spendeten ihm Licht, als er in der Halle ankam. Schnurstracks ging er auf Myrddins Raum zu, hob seine Hand und rief: „Occulta te ostium apertum in me! Ostende mihi, secretum!“ Die Tür öffnete sich ächzend und gab ihm den Weg frei. Matthew öffnete mit dem Zauberspruch wie gehabt die Truhe, und nahm den Ring und den Mantel an sich. Er warf den Mantel über seine Schultern und schloss die goldene Spange, die am Kragen angebracht war. Dann wartete er gespannt ab. Aber nichts geschah, außer dass er diese unbändige Kraft wieder verspürte, die der Mantel barg. Er versuchte es mit einem Zauberspruch. „Dona mihi praesidium! Dona mihi magicae potentiae tuae!“ Matthew sah sich um und konnte keine Veränderung erkennen. „Seltsam“, dachte er. Etwas irritiert steckte er den Ring auf seinen rechten Ringfinger. Plötzlich riss ihn etwas fort und er fand sich unmittelbar in Pembroke vor den Steinen hockend wieder. „Was in aller Welt“,…er konnte nicht erkennen, was genau passiert war, da er die mächtige Magie des Mantels noch nicht wirklich begriff. Bis jetzt hatte er ja nur in der Vision von Myrddin gesehen, dass dieser damit plötzlich verschwunden war, ohne auch nur ein Wort auszusprechen. Er besah die Steine, die reihum vor ihm lagen, und grübelte. Der Ring hatte ihm die Vergangenheit gezeigt, aber mit dem Mantel konnte er offenbar selbst dorthin reisen. Schnell wurde ihm klar, dass der Mantel in Verbindung mit dem Ring, ihm Möglichkeiten eröffnen würde, an die er nicht einmal im Traum gewagt hatte zu denken.

Theoretisch konnte er nun an jedem erdenklichen Ereignis im Lauf der Geschichte teilnehmen. Matthew dachte da vor allem an seine eigene Familiengeschichte. Auf diese Weise konnte er sicherlich bei Weitem mehr herausfinden, als er je gehofft hatte.

Er versuchte nun, das zweite Tor zu erreichen, in dem er die drei Männer verschwinden hatte sehen. Er sprach den Zauberspruch nach, den auch sie benutzt hatten. „Et incipit occultatum viam tuam. Tres enim sunt duo duo unum sint, sicut!“ Kaum ausgesprochen, riss ihn abermals etwas fort und zog ihn mit heftiger Kraft in eine dunkle Kammer aus Stein, die weit unter der Erde zu liegen schien. Er sah absolut nichts, in dieser abgrundtiefen Dunkelheit, sodass er sein magisches Licht benötigte, um etwas erkennen zu können. „Lux!“ Der Lichtkegel, der seiner Hand entsprang, beleuchtete hell die Kammer, und sein Blick fiel sofort auf ein Zeichen, das ihm wohlbekannt war. Es war dasselbe, welches er oben bei den Steinen gesehen hatte. Dieses merkwürdige X mit einem kleinen Haken an der rechten Seite. Was es bedeutete, wusste er jedoch nicht zu sagen. Es prangte in roter Farbe an der Wand gleich am Eingang, wenn man den Raum betrat. Sein Blick schweifte durch den kleinen Raum, der sehr grob behauen war. Langsam schritt er durch den Bogengang, der weiter nach hinten führte. Er mündete in einem weiteren, etwas größeren Raum, in dem nichts zu sehen war, als die kahlen Steinmauern. Verwundert sah Matthew sich um und stand vor der Wand am Ende des Raumes. Was nun? Nirgends waren Anhaltspunkte zu entdecken, dass es hier noch eine weitere Tür oder andere Räume gab. Er drehte sich zur Wand und legte instinktiv seine Hand darauf.

Plötzlich schob sich vor ihm die steinerne Wand zur Seite und eröffnete ihm den Weg in eine große Kammer. Matthew trat hindurch und sah überrascht, dass hier verteilt auf vielen Holzregalen, die unterschiedlichsten Gewänder aus verschiedenen Epochen, fein säuberlich geordnet lagen. Man hatte fast den Eindruck, als wäre man in die Requisitenkammer eines Theaters gelangt. Aber wozu hatte man diese Sachen hier gesammelt? Waren es nur Überbleibsel aus den verschiedenen Zeitaltern? Oder hatte es damit eine ganz besondere Bewandtnis?

Matthew trat an eines der Regale näher heran und musterte eingehend, die glänzend silberne Rüstung, die hier lag. Auf dem Brustpanzer war noch ein roter Löwe zu erkennen, der schon ein wenig verblasst war. Daneben lagen alte, schwere, eiserne Waffen, die auch schon bessere Tage gesehen hatten. Als er nach einem langen Schwert mit einer seltsamen Inschrift greifen wollte, hörte er plötzlich Stimmen. Matthew erschrak fast zu Tode. Er versteckte sich blitzschnell hinter einem der Regale, das bis obenhin voll mit Gewändern bepackt war. Sein Herz klopfte ihm bis zum Hals und sein Blut pochte wild in seinen Adern. Er wusste, dass er keine Möglichkeit hatte, hier ungesehen zu entkommen.

„Hole uns die Kleidung der Templer, Namtar! Und beeile dich! Wir müssen sofort wieder zurückkehren! Das muss um jeden Preis verhindert werden!“

„Ja sofort, Herr.“

Matthew zuckte erschrocken zusammen, als er Paymons Stimme vernahm, die durch den Gang hallte wie ein Donnergrollen. Namtar? Sein Großvater war also bei Paymon und noch am Leben? Niemand hatte mehr etwas von ihm gehört oder gesehen, seit der Sonnenwende in Stonehenge. Manch einer vermutete, dass er nicht mehr unter den Lebenden weilte. Obwohl Matthew das immer bezweifelt hatte. Und jetzt verbrachte er, wohl offensichtlich sein Leben, als unterwürfiger Speichellecker von Paymon, den er einst hatte stürzen wollen, mit seiner Hilfe. Doch die weitaus größere Frage, die ihn nun beschäftigte, war, wann waren Paymon und Namtar hier? In welcher Zeit war er überhaupt hier gelandet? Oder lag das, was er hier sah, etwa schon viel länger zurück? Er wusste es nicht zu sagen. Das Ganze war noch sehr irritierend für ihn, doch er hatte jetzt keine Sekunde Zeit, um eingehender darüber nachzudenken. Die Gefahr, die hinter dem Gang auf ihn lauerte, war zu groß. Matthew lauschte angespannt den Schritten, die auf ihn zukamen. Was, wenn er ihn entdecken würde? Er wusste ganz genau, dass er im Moment noch nicht soweit war, Paymon zu bekämpfen. Dafür brauchte es noch viel mehr, als er bis jetzt konnte. Er würde mit großer Wahrscheinlichkeit gnadenlos unterliegen und vernichtet werden. Das Klappern der Schuhe, die auf ihn zukamen, wurde immer lauter. Matthew hielt den Atem an, als er hörte, wie sich die Wand öffnete. Namtar durfte ihn auf keinen Fall hier entdecken, sonst wäre alles mit einem Schlag vorbei, und er konnte Elisabeth nicht mehr schützen. Er erstarrte in hockender Stellung hinter dem Regal und wartete. Namtar kam auf ihn zu und schob ein Regal zur Seite, um an das Hintere zu gelangen. Er wühlte in den Sachen, die darauf lagen, und griff sich zwei Kettenhemden samt weißem Überwurf, die mit einem roten Kreuz auf der Brust versehen waren. Dazu noch zwei lange Schwerter mit goldenem Griff.

Als er sich schon auf den Rückweg machen wollte, hielt er plötzlich inne. Namtar spürte förmlich, dass etwas nicht in Ordnung war. Er hatte das eindringliche Gefühl, dass er beobachtet wurde. Aber er konnte niemanden sehen. Seine schmalen hinterlistigen Augen wanderten durch das Halbdunkel. Um seinen Verdacht, dass sich hier jemand unerlaubt aufhielt, zu überprüfen, wandte er den Zauberspruch an, der den vermuteten Eindringling enttarnen sollte. „Arată-te! Velum dissolve!“ Aber nichts rührte sich. Abwartend und hoch angespannt stand er da, mit den Sachen in seinen Händen. Sie konnten sich unerwartete Zwischenfälle nicht leisten. Die Zeit drängte.

Matthews Herz war fast stehen geblieben, als sein Großvater das Regal zur Seite geschoben hatte. Er stand nun genau einen knappen halben Meter vor ihm. Wenn er sich nur einige Zentimeter vorwärtsbewegte, würde er ihn unweigerlich berühren. Aber warum konnte er ihn nicht sehen? Und warum hatte Namtars Zauberspruch ihn nicht enttarnt? Es schien, als hätte der Mantel wesentlich stärkere Zauberkräfte, die solche Sprüche wirkungslos machten. Wie erstarrt hockte er da und wartete.

Namtar warf noch einmal einen scharfen Blick ringsum, dann wandte er sich der Tür zu und verließ die Kammer. Er hatte sich wohl geirrt und sein Verstand spielte ihm Streiche. „Wo bleibst du, Namtar?!“ Die herrische Stimme seines Meisters, schallte ungeduldig durch den Gang. „Ich komme schon, Herr“, gab er untertänig zurück und beeilte sich, ihm die Sachen zu bringen. „Du Narr! Was lässt du mich so lange warten?! Nimm die Sachen und komm!“ „Ja Herr, aber…“ Namtar unterbrach sich, dann schluckte er seine Worte im letzten Moment doch lieber hinunter, als sich vor Paymon lächerlich zu machen, und folgte ihm hinaus. Es war eigentlich unmöglich, dass sich jemand hier aufhielt außer ihnen beiden. Was hatte er sich nur gedacht!

Matthew wartete, bis er keinen Laut mehr vernahm, dann erhob er sich leise und sah zu der Tür. Sie war wieder verschlossen und es schien, als wäre er wieder allein. Er atmete tief durch und entspannte sich langsam. Er hatte noch einmal Glück gehabt! Er horchte noch einmal, dann trat er durch die Tür in den Gang hinaus. Niemand war mehr zu hören. Erleichtert konzentrierte er sich auf Myrddins Versteck in der Gegenwart, schloss die Spange am Mantel, drehte mit seiner Linken den Ring, und verschwand umgehend. Nichts blieb zurück, was davon kündete, dass er je hier gewesen war.

Dort angekommen, ließ er sich erschöpft von der Anspannung auf dem Stuhl nieder und überlegte. Warum hatte ihn Namtar nicht sehen können? Er streifte Ring und Mantel ab und legte sie zurück in die Truhe. Für heute hatte er genug an Aufregungen. Um Haaresbreite war er einer Katastrophe entronnen. Zuviel war heute schon vorgefallen. Ermattet ritt er auf Sunday nach Mangeniohood zurück.

Elisabeth wartete schon seit Stunden auf Matthew und stand am Fenster, als sie die herangaloppierenden Hufe Sundays hörte. Erleichtert lief sie ihm entgegen. „Da bist du ja endlich!“ „Ja sorry Schatz, aber ich hatte ein paar Probleme“, gab Matthew müde zurück, stieg vom Pferd und umarmte sie. Sein ernster Blick gefiel ihr nicht. „Was ist geschehen, Matt?“ „Nicht hier“, antwortete Matthew und zog sie mit sich ins Haus.

Nachdem er ihr alles erzählt hatte, sagte Elisabeth nachdenklich: „Ich will gar nicht daran denken, was geschehen wäre, wenn sie dich erwischt hätten. Mir gefällt das Alles nicht. Kannst du ihnen nicht so lange aus dem Weg gehen, bis du eine Möglichkeit gefunden hast, ihn zu bekämpfen?“ Matthew sah sie nachdenklich an. Die Angst um ihn stand ihr ins Gesicht geschrieben. „Aber ich konnte doch nicht ahnen, dass sie dort sein würden. Das war doch keine Absicht.“ Sie nahm seine Hand in die ihre und sagte leise: „Matt, ich mache mir wirklich große Sorgen. Ich könnte es nicht ertragen, wenn dir etwas geschieht. Bitte sei in Zukunft vorsichtiger.“ Daraufhin nahm er sie liebevoll in seine Arme und sagte: „Mach dir keine Sorgen, es wird schon nichts passieren.“ Elisabeth schluckte schwer. Sie musste es ihm jetzt einfach sagen, damit er besser auf sich Acht gab. Es machte keinen Sinn, es noch länger hinauszuzögern. „Ich muss dir etwas erzählen Matt.“ Er sah sie stirnrunzelnd an und antwortete: „Was ist los?“ Sie räusperte sich, sah ihm tief in die Augen und sagte: „Wir bekommen ein Kind. Und wenn alles gut geht, kommt das Kind im Winter auf die Welt.“

 

„Du bist schwanger?“ Matthew war wirklich sehr überrascht und erfreut zugleich. Elisabeth nickte stumm. „Aber das ist ja großartig!“ „Na ja, schon…aber in Anbetracht der Umstände…“ gab sie zu bedenken. „Ach was, du wirst sehen, wir schaffen das“, sagte er und drückte sie so fest, dass es ihr schon fast wehtat. „Matt, nicht so fest!“ „Sorry Schatz, aber ich freue mich riesig! Ich werde Vater!“ Sein Gesicht strahlte geradezu. Das hatte er nicht so schnell erwartet. Er hob Elisabeth in die Luft und wirbelte sie herum vor Freude. „Nicht so wild Matt!“, rief sie. „Lass mich wieder runter, sonst wird mir noch übel.“ „Oh sorry, Schatz, das wollte ich nicht, aber ich freue mich so!“ Er stellte sie vorsichtig auf dem Boden ab und umarmte sie noch einmal voller Liebe.

Elisabeth war froh, dass er sich so darüber freute, aber dennoch machte sie sich Sorgen. „Bitte sei in Zukunft vorsichtiger. Du musst jetzt auch an das Kind denken“, sagte sie eindringlich, und legte die Betonung auf den letzten Satz. „Versprochen Schatz, das werde ich. Ich werde mich jetzt mehr auf das Buch konzentrieren, dann komme ich hoffentlich schneller voran.“ Ganz beseelt, lag er an diesem Abend neben Elisabeth und malte sich schon aus, wie es sein würde, Vater zu sein. Ein neuer Lebensabschnitt hatte begonnen, der alles verändern sollte.

Am nächsten Morgen erwachte er gut ausgeschlafen und voller Hoffnung. Die ersten Sonnenstrahlen lagen über dem Rosengarten, als er sich draußen mit einer Tasse Kaffee in der Hand, auf einem der Stühle niederließ. Der jähe Schrei eines Adlers, der hoch über ihm zu kreisen schien, riss ihn aus seiner morgendlichen Gemütlichkeit. Matthew hatte das unbestimmte Gefühl, als würde er von dem Vogel beobachtet. Doch gleichgültig, wer ihn geschickt hatte, niemand von ihnen konnte Mangeniohood betreten und ihnen schaden. Dafür hatte Myrddin gesorgt. Mangeniohood war geschütztes Land. Und es reichte bis in die tiefen Wälder, weit hinter dem Felsen. Matthew dachte über den gestrigen Tag nach. Warum hatte er Paymon und Namtar dort angetroffen? War er tatsächlich in der Vergangenheit gelandet oder war es doch die Gegenwart gewesen? Wenn er davon ausging, dass er sich zuvor lediglich auf die Zeichen konzentriert hatte, war beides möglich. So konnte er nicht genau sagen, ob Namtar tatsächlich noch lebte. Es bestand in Anbetracht der Ereignisse in Stonehenge, ebenso die Möglichkeit, dass Paymon ihn inzwischen vernichtet hatte. Bisher hatte ihn niemand mehr gesehen, sodass man eher davon ausgehen konnte. Matthew überlegte lange, dann beschloss er, nach Cardiff Castle zu fahren. Auch wenn es riskant für ihn war. Vielleicht fand er dort Antworten, die ihm weiterhelfen konnten. Er stieg in seinen alten Wagen und machte sich auf den Weg. Nach fast einer Stunde Fahrt, wegen des Frühverkehrs, kam er am Haupttor an.

Henry erschien umgehend an der Haustüre und empfing ihn überschwänglich herzlich. „Master Matthew! Welche Freude sie zu sehen!“ Seinem betagten Gesicht war anzumerken, dass er sich über seinen Besuch wirklich freute. „Hallo Henry! Wie geht es ihnen?“, gab Matthew freundlich zurück. „Oh, danke der Nachfrage, Master Matthew, Sir, es geht mir gut, nur mein Rücken macht mir langsam wirklich zu schaffen.“ Matthew legte seine Hand auf dessen Schulter und sagte: „Dann sollten sie sich vielleicht besser langsam in den Ruhestand begeben, Henry.“ Henry schüttelte den Kopf und antwortet ihm: „Oh nein, Sir, Cardiff Castle ist inzwischen wie mein zu Zuhause, es fällt mir schwer, mich davon zu trennen nach so langer Zeit. Außerdem muss ich doch hier nach dem Rechten sehen, sonst geht alles drunter und drüber, wenn niemand da ist, der die Aufsicht hat. Seit der gnädige Herr verschwunden ist, habe ich das alleinige Kommando übernommen, damit alles seinen gewohnten Gang weitergeht, bis er zurückkommt, oder man weiß, was mit ihm ist. Wenn ich das nicht gemacht hätte, … nicht auszudenken.“ Er machte mit seiner Hand eine Andeutung, die Matthew verdeutlichte, dass er die Dienerschaft meinte. „Ok, dann ist es ja gut, dass sie noch da sind, Henry. Ich danke ihnen für ihr Bemühen.“ „Aber gerne Sir, es ist doch meine Aufgabe, dafür zu sorgen, dass alles geregelt bleibt.“ Matthew nickte zustimmend und folgte ihm ins Haus. „Haben sie denn alle ihre Löhne bekommen, Henry? Wer macht das jetzt, wenn mein Großvater abwesend ist?“ Henry antwortete: „Ja Sir, Dr. Kinley, der Rechtsanwalt hat das jetzt alles übernommen. Alles läuft wie zuvor weiter.“ „Gut, gut, dann bin ich ja beruhigt.“ „Ja, nur ist es hier sehr einsam geworden. Außer den Bediensteten kommt nur mehr sehr selten jemand vorbei.“ Matthew wandte sich zu ihm um und sagte: „Tut mir leid Henry, aber ich hatte leider auch keine Zeit. Die Umstände machten meine Anwesenheit auf Mangeniohood erforderlich. Wie sie ja wissen, hat mir mein Großvater das Gut übertragen, und diese Aufgabe nehme ich sehr ernst.“ Henry nickte, aber man sah ihm an, dass er ihn gerne öfter hier gesehen hätte. Allein schon wegen des Geredes, das hier seit dem Verschwinden von Sir Raven vorherrschte. Henry entzündete ein Feuer im Kamin, nachdem er hinter ihm die Bibliothek betreten hatte. Sir Matthew de Clare konnte sich hier völlig frei bewegen und tun und lassen, was er wollte. Das hatte ihm Sir Raven vor Monaten noch eingeschärft und daran hielt er sich bis heute. Er würde ihm jeden Wunsch erfüllen, sofern er dies vermochte. Seit sein Herr verschwunden war, war es sehr still um Cardiff Castle geworden, und er hatte alle Mühe, die Diener unter Kontrolle zu halten. Fast jeder dachte, er könnte nun tun, was er wollte, weil kein Herr mehr im Hause war. Nur Belinda die Köchin stand ihm stets zur Seite, sie unterstütze ihn, wo sie konnte.

Nachdem Henry ihn allein in der Bibliothek zurückgelassen hatte, versperrte Matthew die Tür und öffnete die Geheimtür zum Versteck, hinter der Bibliothek. Er wollte dort nach Hinweisen suchen. Er sah sich lange um, dann fand er seine Aufzeichnungen in einem Buch, das am Regal stand. Er las, bis er überrascht auf einen Absatz stieß, der ihn hellhörig werden ließ. Es ging dabei augenscheinlich um seine Mutter Mary und ihren Geliebten. „Von nun an wird er sie nie mehr belästigen. Die Gefahr wurde beseitigt und er ruht nun auf ewig in unheiliger Erde. Sein Geist wird keine Ruhe finden, solange ich es nicht gestatte.“