Buch lesen: «Love is not a Choice»

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Delia Muñoz

Love is not a Choice

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Inhaltsverzeichnis

Titel

I

TW

Prolog – Outing

Kapitel 1 – Babysitting

Kapitel 2 – Filmabend

Kapitel 3 – Expartner

Kapitel 4 – Date Nacht

Kapitel 5 – Romanzen

Kapitel 6 – Home Party

Kapitel 7 – Mate-Eis

Kapitel 8 – Im Park

Kapitel 9 – Kinokasse

Kapitel 10 – Ball

Kapitel 11 – Dramatische Enden

Kapitel 12 – Beziehungen

Kapitel 13 – Die Wahrheit

Weiterführende Informationen

Danksagung

Impressum neobooks

I

Love is Love


TW

Triggerwarnung: Die zweite Hälfte des 11. Kapitels enthält Homophobie. Gegebenenfalls kann man den Teil überspringen.

Prolog – Outing

»Ich möchte mein Leben nicht versteckt verbringen!«

Aber ich kann das nicht. Ich bin noch nicht bereit dazu.

Meine Gedanken spielten verrückt. Einerseits war da Angelinas Stimme in meinem Kopf, die immer wieder denselben Satz sagte. Und dann waren da meine Bedenken, die ihr widersprachen.

Ich saß verzweifelt auf einer Bank an der Straße, den Kopf in den Händen vergraben, nicht wissend, ob ich den nächsten Schritt gehen sollte. Angelina war schon seit fast einem Jahr meine feste Freundin. Ich hatte mich in sie verliebt, wirklich. Ich hatte durch sie gemerkt, dass Liebe ganz anders sein konnte und hatte bestätigen können, dass ich mich nicht zu Männern hingezogen fühlte, sondern zu Frauen. Zu einem blonden Mädchen mit Kurzhaarschnitt. Aber sie machte es mir schwer. Ich konnte ihren Forderungen nicht entsprechen, ich konnte ihr nicht die Beziehung geben, die sie gerne hätte. Der dauernde Streit darüber, Streit über uns, aber auch über andere Dinge, machte mich fertig. Es zerriss mich innerlich, ständig von ihr daran erinnert zu werden, was ich nicht tun konnte und was mir immer im Weg stehen würde.

Ich schaute auf mein Handy, das zu vibrieren begann.

Angelina.

Na klar. Irgendwie zog sich bei dem Anblick mein Herz schmerzhaft zusammen, statt freudig zu hüpfen. Falls sie anrief, um mich zu fragen, wie es mit meinen Eltern verlaufen war, hatte ich keine guten Neuigkeiten. Durch Angelina ermuntert – oder eher gedrängt – hatte ich mir gestern vorgenommen, mit meinen Eltern zu reden. Ich hatte mich bei ihnen outen wollen, ihnen sagen, dass ich eine Frau liebte. Doch ich hatte es nicht getan, denn ich wusste, dass sie mich abstoßen würden. Es tat schon genügend weh, Angie vor ihnen geheim zu halten – doch noch weniger könnte ich es ertragen, wegen meiner Gefühle für eine Frau von meinen Eltern verabscheut zu werden. Die sowieso schon kühle Beziehung mit ihnen würde sich in eine Beziehung voller Hass und Schmerz wandeln.

Ich atmete tief ein. Wie ging es jetzt weiter?

Ich hatte mich bei meinen Eltern nicht outen können. Nicht, weil ich Angie nicht liebte, sondern weil ich nicht dafür bestraft werden wollte, dass ich sie liebte. Es war ja nicht so, dass ich meine Beziehung geheim hielt. Ich hatte vor meinen Freunden nie verschwiegen, dass ich mich in Angie verliebt hatte. Zu Treffen hatte ich sie stets mitgenommen und ging offen mit meiner Sexualität um. Der einzige Ort, an dem ich nicht ich selbst sein konnte, war bei meinen Eltern. Denn diese vertraten nicht bloß die »übliche« konservative Haltung von Eltern um die fünfzig. Sie hatten eine tiefe Abneigung allem gegenüber, was nicht exakt ihrer Norm entsprach – und eine unangenehme Art, einen das unmissverständlich spüren zu lassen.

Ich sollte studieren, Geld verdienen, einen Mann finden, der meiner Kultur entsprach, und ich musste Kinder bekommen. Hobbys waren allesamt unnötig, außer, man konnte damit reich werden. Und während es schon schwer genug war, meinen Freizeitaktivitäten nachzugehen, wusste ich, dass ich als lesbische Frau niemals akzeptiert werden würde. Aber Angelina … schien dies einfach nicht einzusehen.

Zehn Minuten später schrieb ich Angelina eine SMS. Ihren Anruf hatte ich ignoriert.

»Bin vor deinem Haus, kannst du rauskommen?«

Ich hatte mich etwas zusammengerissen und meine verstrubbelten Haare wieder in Ordnung gebracht. Doch Angie würde mir ansehen, dass es mir nicht gutging. Zwar brachte sie eher wenig Verständnis für die Situation mit meinen Eltern auf, aber sie hatte eine gute Menschenkenntnis.

In der Tat zog Angie die Augenbrauen zusammen, als sie mich sah. Nicht nur schien sie zu merken, dass ich deprimiert war, sondern auch, dass etwas anderes nicht stimmte.

»Hey, Babe«, grüßte sie, als sie auf mich zukam. Ihre blonden Haare hatte sie wie immer mit Gel gestylt und sie trug ein schwarz-weißes Hemd.

Ich überhörte ihren fragenden Unterton und grüßte zurück. Als sie vor mir stand, nahm ich sie stumm in den Arm. Sie küsste mich auf die Wange, dann kurz auf den Mund. »Alles gut?«, fragte ich, während wir uns setzten. Ich versuchte, mir meine Nervosität nicht anmerken zu lassen.

Sie nickte und legte einen Arm um mich. »Ja, mir geht’s gut. Und dir?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Es geht«, meinte ich zögerlich. Beim Gedanken an die bevorstehende Konversation zog sich mein Magen zusammen.

Angie schaute mich fragend an, in ihrem Blick lag Besorgnis. »Was ist, Schatz?«

Ich warf ihr einen Blick zu. Das konnte sie sich ja wohl denken, oder nicht? Schließlich war es ihr Vorschlag gewesen, dass ich mich gestern hätte outen sollen.

»Schau Angie, ich krieg es nicht hin, mich bei meinen Eltern zu outen«, fiel ich mit der Tür ins Haus und schluckte den Kloß im Hals herunter. Ich traute mich nicht, ihr in die Augen zu schauen, wollte nicht wissen, ob sie bestürzt, traurig oder gar wütend war. »Ich habe es versucht, ich würde es ja tun, aber … du kennst meine Eltern nicht. Sie würden mich verabscheuen, verstehst du?«

Angie zog mich etwas näher. »Aber schau, Babe … meine Eltern waren auch nicht von Anfang an erfreut. Doch sie haben sich daran gewöhnt, und jetzt unterstützen sie mich.«

Ich gab mir Mühe, nicht wütend zu werden. »Das ist nicht dasselbe. Deine Eltern sind ein anderes Level von kein Verständnis, Schatz.«

»Bist du dir da sicher?« Sie schien die Frage ernst zu meinen.

»Ja, ich bin mir zu hundert Prozent sicher!« Meine Stimme begann zu zittern. Das hatte ich nicht erwartet. Ich hatte gehofft, dass sie mich wenigstens ein bisschen trösten würde, und nicht meine Erklärung hinterfragte. Traute sie mir denn nicht? Traute sie mir nicht zu, dass ich meine Eltern kannte und ihr die Wahrheit über sie sagte? Dachte sie, ich fände es toll, eine Beziehung im Versteck zu führen? Es war bloß so, dass mir keine andere Wahl blieb! Vielleicht war ich wieder einmal zu emotional, aber ich konnte es nicht verhindern.

»Ich würde es ja wirklich tun, glaub mir, bitte …« Ich brach ab, schluckte erneut Tränen hinunter. Zwar hatte Angie immer noch den Arm um mich gelegt, doch ich spürte ihre Berührung kaum, so sehr fraß mich der Schmerz von innen auf und verdrängte jedes andere Gefühl.

Angie seufzte nun, beugte sich vor und fuhr sich mit einer Hand übers Gesicht. »Hm, Babe …«, murmelte sie.

Ich schaute sie von der Seite her an. Konnte sie mir nicht sagen, dass alles irgendwie gut werden würde? Dass sie mich auch liebte, wenn sie meine Eltern nie kennenlernen würde? Dass das alles keine Rolle spielte? Obwohl ich eine andere Reaktion von ihr erhofft hatte, hatte ich gewusst, dass es ungefähr so kommen würde. Es war nicht das erste Mal, dass wir über das Thema sprachen – und Angie änderte selten ihre Meinung. Aber dennoch verletzte mich ihr Verhalten.

»Schau Angie, ich kann dir nicht versprechen, dass ich mich in absehbarer Zeit outen kann«, sagte ich ihr, nun war meine Stimme fester. Ich hatte zuvor beschlossen, dass ich es ihr geradeheraus sagen würde. Ich konnte nicht stets behaupten, dass ich es »bald« tun würde. Ich konnte weder ihr noch mir vormachen, dass es möglich sein würde, mich in nächster Zeit bei meinen Eltern zu outen. Denn das wäre einfach gelogen. Und wenn ihr das nicht genug war … dann wusste ich auch nicht weiter. »Ich weiß, dass du nicht gerne versteckt lebst, dass du gerne auch zu mir nach Hause kommen würdest. Okay, ich verstehe das, du bist schon out und alles. Aber ich kann dir das so nicht geben. Und entweder verstehst du das … oder …« Meine Stimme versagte. Ich zitterte mittlerweile am ganzen Körper, bald würde ich nicht mehr verhindern können zu weinen.

Angie zog mich wieder etwas an sich und fuhr sich einige Male mit der Hand übers Gesicht. Der Blick, den sie mir zuwarf, wirkte gequält. »Babe, ich weiß wirklich nicht, ob ich das kann … Ich fühle mich eingeengt dadurch, als wäre ich selbst wieder im closet

Ich biss mir auf die Lippen und mir entfuhr ein Schluchzer. Im Gegensatz zu ihr wusste ich aber, dass ich das nicht konnte. Ich würde ihren Anforderungen nie entsprechen können. Tränen liefen mir wie Sturzbäche über die Wangen und meine nächsten Worte wurden beinahe von meinen Schluchzern erstickt.

Kapitel 1 – Babysitting

Ein Kind ließ einem wirklich keine Privatsphäre.

Ich war gerade mal zwei Minuten lang mit meinem Freund am Telefon gewesen, als mir meine kleine Schwester wieder am Arm zerrte. Ich unterbrach meinen Satz und schaute zu Mia hinunter. Sie stand wartend vor mir, ihre Augen voller Elan. Echt bewundernswert, welche Energie vierjährige Kinder aufbrachten. Ich fühlte mich mit meinen achtzehn Jahren schon alt neben ihr.

»Moment, Schatz«, sagte ich und meinte damit sowohl meinen Freund als auch meine Schwester. Ich legte einen Arm um Mia und sagte rasch in mein Handy: »Okay, Nate, tut mir leid, ich muss auflegen. Mia ruft. Meldest du dich heute Abend nochmals?«

»Okay, ich ruf dich später wieder an«, versprach Nate verständnisvoll. »Ich liebe dich. Bis dann.«

»Ich liebe dich auch«, erwiderte ich noch, dann legte ich auf und verstaute das Handy in der Hosentasche. »Okay Mia, was ist denn?« Nun widmete ich mich wieder voll und ganz meiner Schwester. Es war ja nicht so, dass ich sie vernachlässigte oder eine dieser Schwestern war, die ständig mit dem iPhone neben dem gelangweilten Kind herumlief. Aber Nate war soeben in die Ferien gereist und hatte mir mitteilen wollen, dass er gut angekommen war. Dennoch, Mia benötigte wieder meine vollständige Aufmerksamkeit.

Wir waren an einem Spielplatz im örtlichen Park angelangt, wo ich mit ihr den Nachmittag verbringen wollte. Wie jeden Montag um zwei Uhr nachmittags hatte ich Mia vom Tagesheim abgeholt. Doch im Unterschied zu gewöhnlichen Montagen hatte ich diese Woche die volle Verantwortung für meine kleine Halbschwester, da meine Eltern – beziehungsweise meine Mutter und ihr Mann – in den Flitterwochen waren. Also hatte ich mich bereit erklärt, auf meine Schwester aufzupassen. Doch ich liebte Mia über alles, solange sie nicht erwartete, dass ich dieselbe unerschöpfliche Energie besaß wie sie. Daher hatte ich meiner Mutter gerne angeboten, auf die Kleine aufzupassen. Ich fand, Flitterwochen gehörten zu jeder Hochzeit und die beiden sollten sich mal eine Auszeit gönnen. Diese Woche hatte ich Glück, da zurzeit Sommerferien waren. Einerseits hatte ich selbst genug Zeit und andererseits war der Spielplatz nicht so hoffnungslos überfüllt wie an anderen Tagen – viele Kinder waren wohl in den Urlaub gefahren.

»Möchtest du auf die Rutsche?«, fragte ich die Kleine. Noch hatte ich Energie, es war erst Mittag.

Mia nickte mit wild hüpfenden Haaren. Sie hatte blonde Löckchen, die wahrscheinlich in den nächsten Jahren glatter werden würden. Auch ich hatte als Kind Locken gehabt – jetzt waren meine Haare eher glatt, zu meinem Stolz aber immer noch natürlich blond. »Jaaa, du musst mich aber auffangen!«, verlangte sie.

Ich willigte ein und wir rannten zu der Rutschbahn. Der Spielplatz war weitläufig und hatte alle möglichen Arten von Spieleinrichtungen, von den Klassikern wie Rutschbahn und Schaukel bis hin zu speziellen Klettervorrichtungen, deren Namen ich nicht kannte. Nun half ich meiner Schwester auf die Rutschbahn und wartete unten, bis sie ankam und sich in meine Arme warf. »Huch«, machte ich spaßeshalber. »Hast aber Glück, dass ich hier stehe, hm?«

Mia giggelte nur. Sie wusste genau, dass es kein Glück war. Wir wiederholten das Ganze mindestens zehn Mal, ohne dass es Mia langweilig wurde. Und ich hatte meinerseits Freude an ihrer Freude. Die Sonne schien angenehm warm, ein perfekter Tag, um draußen zu sein, fand ich. Ich liebte es, bei schönem Wetter in der Natur zu sein, selbst wenn es nur ein Park war. Neben uns war eine Großfamilie und weiter hinten sah ich eine modisch gekleidete Jugendliche mit einem kleinen Kind. Es war eher ungewöhnlich, hier junge Leute zu treffen, und mein Blick schweifte erneut zu der Frau. Ich fragte mich regelmäßig, wo all die Babysitter und Jugendmütter hingingen - bei dem Spielplatz hier hielten sie sich jedenfalls kaum auf. Außer ebendiese junge Frau weiter hinten.

Mia wollte im Nachhinein auf die Schaukel und wir wechselten dorthin. Doch auf halbem Weg blieb sie stehen und deutete mit dem Finger vor sich. »Oh, schau mal, ein Ball!«

Ich runzelte die Stirn und folgte ihrem Finger. Da war die modische Frau mit einem brünetten Kind etwa in Mias Alter, mit einem aufgeblasenen Ball spielend. »Ja, sie spielen Ball.«

»Kann ich auch?«, fragte Mia und schaute mich mit großen Augen an.

Ich lächelte. »Mia, der Ball gehört dem anderen Mädchen. Wir können ihn nicht einfach nehmen.«

Mia zog eine Schnute. »Wieso können wir nicht mitspielen?«

Ich schaute zu den beiden hinüber, sie sahen eigentlich ganz freundlich aus. »Möchtest du das Mädchen fragen gehen?«, fragte ich Mia in der Hoffnung, dass sie mir die Sache abnahm. Kinder hatten da weniger Hemmungen.

Mia hüpfte glücklich. »Jaa!«

Sie lief schon auf das kleine Mädchen zu und ich schaute ihr schulterzuckend hinterher, ebenfalls in die Richtung schlendernd. Wenn sie fragen wollte, war ja wohl nichts Falsches daran. Mia wurde langsamer, nun doch etwas unsicher, je näher sie bei dem Kind war. Sie schaute kurz zu mir und ich lächelte sie aufmunternd an. Die junge Frau, etwa in meinem Alter, warf ihrem Mädchen gerade den Ball zu. Die Kleine fing ihn nicht, sondern er rollte an ihren Füssen vorbei … genau auf Mia zu. Diese hob nun den Ball auf und brachte ihn in kleinen Schritten zu dem anderen Mädchen zurück. »Kann ich auch mitspielen?«, fragte sie dabei schüchtern.

Ich lächelte gerührt in mich hinein. Meine Mia.

Das kleine Mädchen schaute Mia erst ausdruckslos an, dann tauschte sie einen Blick mit ihrer Begleitung. Die junge Frau nickte ihr zu, um ihr mitzuteilen, dass sie Ja sagen sollte. Schließlich stimmte das Mädchen zu und machte einen ungeschickten Versuch, Mia den Ball zuzuwerfen. Die beiden Kinder begannen augenblicklich zu spielen.

»Ist das deine?«, fragte die junge Frau und lächelte mich an. »Sie ist ja süß.«

Ich schaute sie an. Ihre Stimme war tiefer, als ich es erwartet hatte, doch irgendwie gefiel es mir. »Sie ist meine Schwester, ja«, bestätigte ich, nicht sicher, ob sie mich für eine Teenagermutter gehalten hatte. »Bei dir?« Die junge Frau hatte feine, asiatische Gesichtszüge, während die Kleine eher europäisch wirkte. Daher tippte ich nicht auf Schwester – höchstens Halbschwester.

»Ich passe nur auf Jenny auf, sie wohnt hier in der Nähe«, erwiderte die Jugendliche lächelnd. Sie streckte mir die Hand hin, am Zeigefinger trug sie einen dünnen Ring. »Ich heiße Louisa. Und du?«

Ich nahm überrascht ihre Hand. Sie war angenehm warm. »Freut mich, ich bin Jessica.« Kurz schaute ich zu Mia und Jenny, doch die beiden spielten vergnügt mit dem Ball und schienen uns nicht weiter zu benötigen. »Ich passe ebenfalls auf Mia auf«, fügte ich lachend hinzu. Für einen Moment wusste ich nicht, was ich sagen sollte.

»Kann anstrengend sein, hm?«, meinte Louisa dann mit dem Blick auf die spielenden Kinder. Es schien, als ob sie Erfahrung damit hatte. Sowieso schien sie sich völlig wohl zu fühlen in der Konversation, als spräche sie jeden Tag mit Fremden auf dem Spielplatz. Es war ja nicht so, dass ich das nicht konnte, aber dennoch war ich immer etwas ungeschickt bei neuen Bekanntschaften.

Ich nickte. »Du sagst es«, meinte ich seufzend. Kurz dachte ich an Nate. Es war schwer, mit ihm zu telefonieren, währenddem die Kleine nebenan war ... Und das würde sich im Verlauf der Woche kaum ändern. »Ich hatte gerade mal zwei Minuten am Telefon heute.«

Louisa warf mir einen Blick zu. »Ein wichtiger Anruf?«

Ich zuckte mit den Schultern. »Wie man’s nimmt. Mein Freund hat aus dem Urlaub angerufen.«

Etwas in ihren Augen regte sich. »Ach so, verstehe«, meinte sie. »Wenn du möchtest, kannst du ihn schnell anrufen? Ich behalte die beiden im Auge.«

Ich schaute das Mädchen verblüfft an. »Wirklich?«, fragte ich blöderweise nach.

Louisa lächelte. »Ja, klar.«

Ich lächelte, plötzlich ungemein erleichtert. Hastig warf ich Mia einen Blick zu, aber sie war voll und ganz auf das Ballspiel konzentriert. »Vielen Dank. Ich benötige auch nicht lange«, versicherte ich Louisa und entfernte mich ein paar Schritte. Währenddessen holte ich mein Handy hervor und wählte Nates Kontakt. Er war entsprechend überrascht, dass ich anrief, freute sich jedoch darüber. Wir unterhielten uns nochmals etwas ausführlicher über seine Reise und dann kurz über meinen Tag. Immer wieder warf ich Louisa und den beiden Kleinen einen Blick zu, doch sie schienen mich nicht zu brauchen. Ich bemerkte, dass Louisa mich ab und an anschaute. Nach etwa fünf Minuten verabschiedete ich mich wieder von Nate und wir versprachen einander, dass wir schreiben würden. Dann legte ich zufrieden auf. Es war nicht so, dass diese fünf Minuten die Welt ausmachten, aber dennoch war es ein anderes Gefühl, ein vollständiges Gespräch führen zu können und nicht mitten im Satz abbrechen zu müssen. Auf diese Weise hatten wir beide loswerden können, was uns wichtig war. Zufrieden ging ich zurück zu Louisa. »Da bin ich wieder.«

Louisa warf mir ein Lächeln zu. Sie wirkte wie jemand, der viel lächelte. Überhaupt wirkte sie wie eine offene Person und ich fühlte mich augenblicklich wohl in ihrer Anwesenheit. »Wie heißt er denn?«, wollte sie nun wissen.

»Nate«, erwiderte ich und fügte nach einer Pause ungefragt hinzu: »Ich kenne ihn sozusagen vom Kino.«

Louisa runzelte amüsiert die Stirn. »Blind Date, meinst du?«

»Nein, ich arbeite an der Kinokasse.« Ich lachte. »Daher war unser erstes Date schon vorprogrammiert.« Ich erinnerte mich noch gut daran, auch wenn es schon eine Weile her war.

Jetzt lachte Louisa auch. »Das ist ja praktisch. Seid ihr schon la-« Sie unterbrach ihren Satz, als ein Ball auf sie zuflog. Reflexartig packte sie das Wurfgeschoss, bevor es in ihrem Gesicht landen konnte. »Jenny!«, rief sie tadelnd. Das kleine Mädchen kam auf sie zu gerannt und als sie sah, was passiert war, brach sie in Gekicher aus. Ich verkniff mir das Lachen angesichts der Reaktion von Jenny. Louisa versuchte, ernst zu bleiben, aber ich konnte an den Grübchen sehen, dass sie ebenfalls lachte. Sie beugte sich zu dem Mädchen hinunter. »Ja ja, mach dich nur lustig über mich. Hier hast du den Ball wieder.«

Jenny nahm ihn giggelnd entgegen. »Danke Lou.« Dann warf sie ihn wieder in Mias Richtung, welche den Ball nicht fing und ihm stattdessen hinterhereilte.

Ich kicherte. »Sie scheint lustig zu sein.«

»Ja, das ist sie wirklich.« Louisa schmunzelte. »Ein wenig aufgedreht ebenfalls.«

»Na, dann passt sie ja perfekt zu Mia.«

Louisa warf mir einen amüsierten Blick zu, brauchte jedoch ein paar Sekunden, um zu antworten. »Wie würdest du Mia denn beschreiben?«, wollte sie wissen.

Mein Blick glitt wieder zu meiner kleinen Schwester. Allein wenn ich sie ansah, spürte ich, wie sehr ich sie liebte. »Sie ist sehr lieb«, beteuerte ich und lächelte. »Sie ist meistens großzügig, aber manchmal auch frech, wenn sie ganz dringend etwas braucht. Schokolade zum Beispiel.«

»Das gehört dazu.« Louisa musterte mich. Ich trug eine graue Bluse, die ich in einen schwarzen Jeansrock gesteckt hatte. Ich trug selten Farben. »Du hast doch sicher auch freche Seiten?«

Ich warf ihr ein Lächeln zu. »Ist es nicht schon unglaublich anmaßend, dass ich dir einfach Mia aufdränge?«

»Doch, eigentlich gehört sich das absolut gar nicht, Jessica«, erwiderte Louisa kopfschüttelnd. »Ich erwarte mindestens einen Kinoeintritt von dir.«

Ich lachte herzlich. »Ich geb´ dir Bescheid«, versicherte ich ihr zwinkernd und ich meinte es sogar ernst. Wenn wieder ein guter Romantikfilm lief, könnte ich tatsächlich mal einen Mädchenabend planen … Und Louisa wirkte wie eine tolle Frau. Sie schien die Art von Person zu sein, die jedem das Gefühl geben konnte, man selbst sein zu können. Kurz schaute ich sie genauer an und auf einmal spürte ich Nervosität in mir aufkommen. Sollte ich sie um ihre Nummer fragen? Als ich aufschaute, merkte ich, dass sie mich ebenfalls betrachtet hatte. Louisa selbst trug eine zerrissene Jeans, die jedoch stylisch aussah und bestimmt von guter Qualität war. Oben hatte sie ein gestreiftes Frauenhemd an, das ihr gut stand und gerade so weit offen war, dass man nicht zu viel und nicht zu wenig Dekolleté sah. Doch bevor der Moment seltsam werden konnte, unterbrachen wir den Blickkontakt und schauten wieder unseren »Kindern« zu.

»Mist«, sagte Louisa plötzlich. Ich schaute zu ihr. »Es ist schon nach vier Uhr. Jenny müsste längst bei ihrer Mutter sein.«

Ich hob die Augenbrauen. »Oh! Kriegst du Ärger?«

»Ich denke nicht, aber ich muss jetzt gehen.« Louisa warf mir einen gehetzten Blick zu. »Tut mir leid.«

»Musst dich nicht entschuldigen«, erwiderte ich schnell. Ich folgte ihr zu Jenny und Mia, um ihr zu helfen, die beiden zu trennen. Ich erklärte Mia, dass Jenny gehen musste und wir noch ein bisschen bleiben würden. Die beiden Mädchen schienen sich echt zu mögen und es war entsprechend schwer, ihnen die Situation klar zu machen.

»Mia, wir werden uns ja wieder treffen«, versicherte ich meiner enttäuschten Schwester. Auch ich selbst würde gerne weiter mit Louisa reden und freute mich daher auf ein Wiedersehen. »Aber jetzt muss Jenny wieder zu ihrer Mama nach Hause, weißt du? Sonst macht sich die Mama Sorgen.«

Mia schaute mich aus großen Augen an und stimmte endlich zu. Sie umarmte Jenny umständlich und meinte zu ihr, dass sie zu ihrer Mutter müsse, da sich diese sonst sorgte. Louisa lächelte gerührt. »Sie ist so süß«, meinte sie leise zu mir und nahm Jenny in den Arm. Dann verabschiedeten wir uns und ich schaute Louisa noch nach, wie sie mit Jenny den Spielplatz verließ. Und erst, als sie außer Sichtweite waren, fiel mir auf, dass ich ihre Nummer nicht hatte. So ein Mist.

Es war beinahe Schicksal, dass wir uns am nächsten Tag wieder trafen.

Ich traute meinen Augen kaum, als ich mit Mia durch den Park lief und plötzlich eine junge, hübsche Asiatin mit einem kleinen, brünetten Kind sah. Ich konnte meine Aufregung nur schlecht verbergen. »Hey, Louisa!«, rief ich, als wir in Hörweite waren.

Louisa wandte augenblicklich den Kopf und als sie mich sah, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. Etwa zur selben Zeit entdeckten sich Jenny und Mia. Automatisch bewegten wir uns aufeinander zu. Mia begann, aufgeregt in Richtung Jenny zu hüpfen und ich beschleunigte entsprechend meinen Schritt, um mit meiner Schwester mithalten zu können.

»Jenny, Jenny!«, rief sie in regelmäßiger Wiederholung.

Louisa umarmte mich zur Begrüßung wie eine alte Freundin. Ohne große Besprechung stand fest, dass wir den Nachmittag zusammen verbringen würden.

Zwei Stunden später befanden wir uns auf einer abenteuerlichen Wanderung am schmalen Ufer eines Flusses entlang. Der Fluss war eigentlich eher ein breites Rinnsal mitten im Kinderpark und das Ufer ein Trampelweg, aber es war dennoch Wasser und daher hochinteressant für die beiden Kleinen. Wir schlenderten also dem Bächlein entlang und passten auf, dass keines der Mädchen ins Wasser fiel. Louisa und ich waren in eine Unterhaltung vertieft, die nur gelegentlich unterbrochen wurde, wenn unsere Kleinen stehen blieben. Jenny und Mia gingen ein paar Schritte vor uns und hielten alle paar Minuten an, um etwas vom Boden hochzuheben oder einem Fisch im Wasser hinterherzusehen.

Abrupt machte Louisa einen Sprung auf Jenny zu, die aus irgendeinem unerklärlichen Grund entschieden hatte, dass sie sich in den Bach setzen müsste, und zog das Mädchen wieder hoch. Dabei trat sie selbst aus Versehen ins Wasser und wurde durch das sich bewegende Mädchen aus dem Gleichgewicht gebracht. Ehe sie es sich versah, rutschte sie aus und landete im Rinnsal. Ich versuchte bestürzt, sie aufzufangen, doch es war zu spät. Sie saß mitten im Nass, das zu allem Übel auch noch voller Erde und sonstigem Dreck war.

»Oh Mist, Louisa!«, entfuhr es mir. »Alles okay?«

Ich beugte mich zu ihr herunter und fasste sie am Arm.

Louisa lachte halb, halb fluchte sie. »Mir geht’s gut, danke. Iiih, meine Hose. So ein Mist!« Sie ließ sich von mir aufhelfen und schaute dann angeekelt ihre Jeans an, sich immer noch an mir festhaltend. Die Hose war einst von einem hellen Blau gewesen, doch jetzt war sie von Schlamm überzogen und das linke Bein war komplett nass. Mit einer Hand versuchte sie, die Jeans zu säubern, bewirkte aber eher das gegenteilige Ergebnis; der Schlamm verbreitete sich noch mehr auf dem Hosenbein. Mia hatte zum Glück den Anstand, nicht zu lachen.

Ich kam nicht umhin zu bemerken, dass sie schöne lange Beine hatte. »Hast du irgendwas zum Wechseln dabei? Und bist du dir sicher, dass du dir nicht wehgetan hast?«

»Ja, ich bin wirklich unverletzt, danke Jessica«, beteuerte Louisa und warf mir ein fast schon gerührtes Lächeln zu. Dann schüttelte sie jedoch bekümmert den Kopf. »Aber ich hab´ nichts zum Wechseln da und muss nachher direkt in eine Vorlesung zur Uni …« Sie zog die Augenbrauen zusammen, in Gedanken nach einer Lösung suchend. »So ein Mist, ich kann unmöglich dazwischen nach Hause! Da brauche ich eine Stunde hin und zurück.« Jenny stand betreten neben Louisa und schien zwischen Schuldgefühlen und Belustigung zu schwanken.

»Hey, alles gut, wir finden eine Lösung«, sagte ich sofort beschwichtigend. Ihr verzweifelter Anblick löste einen Beschützerinstinkt in mir aus. Ich bemerkte, dass wir immer noch unsere Arme hielten, und ließ sie vorsichtig los. »Ich wohne nicht so weit weg von hier. Du kannst eine Hose von mir haben.« Ich betrachtete sie nochmals etwas genauer, um zu sehen, ob wir dieselbe Größe trugen. Wir waren beide schlank, aber Louisa hatte längere Beine als ich. Andererseits war ich etwas größer als sie, daher könnte sich das wieder ausgleichen.

Louisa schaute mich aus großen Augen an. »Oh, wirklich? Könntest du mir eine ausleihen?«, fragte sie hoffnungsvoll und auf einmal ein wenig scheu.

»Natürlich«, versicherte ich ihr. Das war wirklich kein Problem, und dabei könnte ich sie vielleicht nach ihrer Nummer fragen, um das nächste Treffen besser vereinbaren zu können … und mit ihr ins Kino zu gehen.

Also machten wir uns auf den Weg zu mir nach Hause, damit Louisa die schmutzige Hose loswerden konnte. Vor meinem Kleiderschrank merkte ich, dass wir einen einigermaßen ähnlichen Style hatten. Zwar trug Louisa mehr Farben und kombinierte die Dinge anders, aber wir trugen beide Jeans, Blusen und Hemden. Nur mochte Louisa im Gegensatz zu mir keine Röcke, wie ich bemerkte, als ich ihr einen anbieten wollte.

Vehement wehrte sie ab, als hätte ich ihr ein Dirndl und orange gepunktete Strümpfe hingehalten.

»Okay, dann finden wir eine Jeans«, meinte ich amüsiert und schaute meine Jeansauswahl an. Diejenige von Louisa war eine verwaschene Bluejeans gewesen und ich suchte eine heraus, die ebenfalls verwaschen war. Zwar war meine dunkler, aber es ging ja jetzt nicht um Umstyling, sondern um eine Ersatzhose.

»Vielen Dank, die ist perfekt«, bedankte sich Louisa, als ich ihr die Jeans hinhielt.

»Was anderes darfst du über meine Jeans auch nicht sagen«, erwiderte ich zwinkernd und schloss den Schrank wieder.

Louisa schaute mich kurz zögernd an, dann drehte sie mir den Rücken zu und zog ohne Scham ihre Hose aus. Wir waren in meinem Zimmer und die beiden Kleinen hatten wir ins Wohnzimmer zu Mias Spielsachen gesteckt, damit wir für ein paar Minuten unsere Ruhe hatten. Ich bemerkte, dass Louisa wohl Sport machte, da sie sowohl definierte Bein- als auch Armmuskeln hatte. Ihr Hautteint war milchschokoladenfarben, der sich mit dem hellen Hemd, das sie trug, schön hervorhob. Sie schlüpfte in meine Hose und drehte sich um, noch während sie den letzten Knopf zumachte. Ich betrachtete sie von oben bis unten. »Steht dir gut«, sagte ich und meinte es auch so. Wir hatten tatsächlich eine ähnliche Kleidergröße und die Jeans betonte ihre schlanke Figur.

»Danke.« Louisa schmunzelte und klang beinahe überrascht über mein Kompliment.

Eine Sekunde lang schauten wir uns stumm an. Dann hörte ich hüpfende Schritte vom Gang her und es war klar, dass der Moment vorüber war.

»Jessiiiee, wo bist du?«

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