Buch lesen: «Slaughter's Hound»
Declan Burke, geboren 1969 in Sligo, lebt bei Dublin. Er ist Autor sowie Buch- und Filmkritiker für u. a. die Irish Times und betreibt die Website »Crime Always Pays«. Er hat zahlreiche Krimis veröffentlicht; auf Deutsch erschienen bisher Absolute Zero Cool, The Big O und Eight Ball Boogie.
DECLAN BURKE
SLAUGHTER'S HOUND
KRIMINAL ROMAN
AUS DEM ENGLISCHEN ÜBERSETZT VON ROBERT BRACK
Die Originalausgabe
des vorliegenden Buches
erschien unter dem Titel
Slaughter’s Hound bei Liberties Press, Dublin 2012
Die Veröffentlichung
dieses Buches erfolgt
mit Unterstützung von
Literature Ireland
Edition Nautilus GmbH
Schützenstraße 49 a
D-22761 Hamburg
Alle Rechte vorbehalten
© Edition Nautilus 2019
Deutsche Erstausgabe:
September 2019
Umschlaggestaltung:
Maja Bechert, Hamburg
ePub ISBN 978-3-96054-205-6
Für Vincent Banville
Inhalt
DONNERSTAG
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
FREITAG
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
SAMSTAG
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Danksagungen
»Verbrechen ist nur die linkshändige Form menschlichen Strebens.«
W. R. Burnett, »Asphalt-Dschungel«
Vorbemerkung des Autors:
Der Irische Wolfshund (Cú Faoil) wurde ursprünglich gezüchtet, um Wölfe zu bekämpfen und seine Besitzer aufs Schlachtfeld zu begleiten, und ist eine so alte Rasse, dass sie bereits in die irische Mythologie eingegangen ist, wobei »Cú« mit »Hund«, »Kriegshund« oder »Irischer Hund« übersetzt wurde. Der Legende nach wurde der junge Krieger Sétana zu Cú Chulainn, indem er den Hund von Culann tötete und ihm anbot, dessen Platz einzunehmen. Cú Chulainn, auch der Hund von Ulster genannt, besaß eine ganze Reihe von Árchú, Kriegshunden, die wegen ihres Blutdurstes gefürchtet waren.
DONNERSTAG
1
Es war einer dieser seltenen schönen Abende, an denen sich ein Spaziergang am Hafen lohnt, der Mond so fett und weich wie ein frisches Kissen in einem altmodischen Hotel und eine brausende Brandung mit Wellen, die silbrig-grün schäumen, und ein Vogel, von dem du noch nie gehört hast, zwitschert das traurige Lied von einem Ort, den du mal gekannt haben könntest, nun aber sehr wahrscheinlich nie mehr besuchen wirst, Mitte Juni, schon fast Mitternacht und ein laues Lüftchen weht, so ein Abend also, der wie gemacht ist für einen langen Spaziergang mit einer Frau, die gern lange Spaziergänge unternimmt und dabei nur wenig redet und dieses Wenige so leise murmelt, dass du Mühe hast, sie zu verstehen, ihr Lachen tief und kehlig, mit einem trockenen Humor und einem Hang zu Anzüglichkeiten, Augen wie der verschleierte Spiegel des nächtlichen Himmels, mit einem Blinken, das von den reflektierenden Sternen kommen oder der erste Funke einer sich regenden Absicht sein könnte, die du vorsichtig mit sanften Worten und einer zarten Berührung am rechten Ort anfachen solltest, oder du wirst den Rest deines Lebens und vielleicht die ganze Ewigkeit damit verbringen, dich zu fragen, was hätte sein können, nur wegen des Fehlens eines sanftes Wortes und einer redlichen und zärtlichen Berührung.
Es war genau so ein Abend, schon kapiert. Genau so ein Ort.
Wenn du jemals dort sein solltest, dann sag etwas Sanftes, sei redlich und zärtlich.
Ich hingegen beugte mich über den verkohlten Zwerg, der einmal Finn Hamilton gewesen war, seine Gliedmaßen noch zischend in einer Marinade aus öligem Fleisch und schmelzendem Teer, überall der Geruch nach versengten Haaren, verpufftem Benzin und verbranntem Schweinefleisch.
Es war Mitternacht und ein laues Lüftchen wehte.
Ich hatte gesehen, wie er sprang. War im Hof vor dem Gebäude auf und ab gegangen mit dem Telefon am Ohr. »Hör zu, Ben, sie hat Probleme auf der Arbeit, okay? Du musst das … Was? Ja, ich weiß. Aber weißt du, manchmal sagt deine Mutter Dinge, die sie …«
Zuerst hörte ich ihn nur. Leise, aber deutlich, oben im neunten Stock.
»Bell jars away …«
Unwillkürlich schaute ich hoch, in Erwartung des weiteren Textes, let’s be fearless with our promises, aber da sprang er, ein dunkler Fleck, der mit angelegten Flügeln steil herabstürzt wie ein gieriger Habicht aus der grellen Mittagssonne, ein gefallener Engel.
Ich vermute, er brach mit solcher Wucht durch das Taxidach, dass das Metall im Tank Funken schlug. Es war nur ein einziger Funke nötig.
Bumm …
Die Explosion warf mich drei Meter rückwärts auf einen Haufen Altmetall, wo ich taub und halbblind und mit Gliedern wie Gummi herumkroch und mir die Hände am rostigen Metall aufriss. Betäubt und orientierungslos, nachdem dieses Beben mein Innerstes nach außen gekehrt hatte
auf den Boden, liegen bleiben
meine Lungen hämmertenHerrgott, atme, atme und ein Dröhnen in den Ohren, der Aufschrei des gepeinigten Bluts
»Dad?«
blechern und in weiter Ferne
»Dad? Bist du da?«
das Telefon lag einen halben Meter und eine Million Kilometer entfernt, Staub klebte mir zwischen den Zähnen
»Ich glaub, es ist vorbei, Dad …«
der Gestank von verbranntem Fleisch und Metall klebt auf meiner Zunge.
Eine heiße Klinge bohrte sich durch meine Rippen, als ich nach dem Telefon griff.
»Ben?« Barsch und heiser. »Ich ruf dich zurück, Ben.«
Ich richtete mich schwankend auf, mit zittrigen Knien, und stolperte über den Hof auf das Feuer zu. Die Luft flimmerte, seine Füße sahen aus wie schaurige, unter Wasser herumwabernde Tentakeln. Einer seiner Mokassins fiel ab, als ich ihn herauszog, und im ersten Moment glaubte ich, ich hätte ihn entzweigerissen. Dann dachte ich, er hätte einen Zwerg auf das Taxi geworfen. Man denkt an seltsame Dinge, wenn man versucht, überhaupt nicht zu denken und einen Mann aus einem brennenden Wrack zu ziehen, dessen Fleisch auf dem schmelzenden Asphalt brutzelt.
Als ich den Kopf drehte und mein Magen ohnehin schon rebellierte, erkannte ich, warum er so klein wirkte.
Er war pfeilgerade nach unten gestürzt und hatte am Schluss die Arme angelegt, sodass der Aufprall seinen Kopf und seine Schultern in den Rumpf getrieben hatte. Es war noch ein bisschen von dem übrig, was einmal sein Hals gewesen war, aber der Kopf war zu Brei zerschmettert worden wie eine reife Melone.
Ich kotzte, bis ich nichts mehr im Magen hatte, und wählte den Notruf. Graue, fettige Klumpen zischten auf dem skelettierten Stahlrahmen des Taxis.
2
Alles begann an einem lauen Abend um zwanzig nach zehn, als die ID-Kennung des Anrufers im Display aufleuchtete: Finn-Finn-Finn. Ich legte das Buch beiseite und schaltete das Radio ein, um seine Stimmung zu testen. Tindersticks, »Tiny Tears«, kleine Tränen, die einen ganzen Ozean auffüllen.
Nicht sehr vielversprechend.
Dennoch, Geschäft ist Geschäft. Ich nahm ab.
»Wie geht’s denn so?«
»Gut, danke. Bist du beschäftigt?«
»Im Moment nicht.«
»Wie ist das Wetter?«
»Lau. Bist du im Urlaub?«
»Hoffentlich bald.«
»Wie lange?«
»Drei Wochen, wenn alles klappt.«
»Du hast es verdient, Kumpel. Bis später dann.«
»Alles klar.«
Ich schaltete das Taxi-Schild aus, parkte aus und fuhr nach Westen über die Wine Street, über die Umgehungsstraße und weiter auf die Strandhill Road. Ich machte das Radio aus. Finn spielte gute Musik, aber man musste in der Stimmung dafür sein. An manchen Abenden, wenn er betrunken war, drehte er durch und erzählte was vom Weihnachtsmann mit aufgeklapptem Rasiermesser im Fäustling, schwarzen Hunden, die den Mond vom Himmel bellen. Wenn man lange genug Taxi fährt und Finn zuhört, kann’s passieren, dass man mit einem Irokesenschnitt herumfährt und nach minderjährigen Nutten Ausschau hält und sich einen Politiker aussucht, der es wert wäre, ihm eine Kugel in den Wanst zu jagen.
Fünf Minuten später fuhr ich die Larkhill Road hoch, bog in Herbs Auffahrt ein und öffnete das Tor mit der Fernbedienung. Es war ein stattliches Mehrfamilienhaus mit zwei Erkerfenstern nach vorn, fünf Zimmern im oberen Stock und einem Keller, der auf keinem Plan verzeichnet war. Seitlich eine Garage mit zwei Stellplätzen. Herb hatte den größten Teil des Vorgartens asphaltieren lassen, damit die Taxis leichter rein- und rausfahren konnten. Üppige Ahornbäume und Kastanien säumten die hohen Backsteinmauern, die das Grundstück umgaben.
Ich fuhr hinters Haus, öffnete das Garagentor, parkte neben einem Golf, den ich nicht kannte, ein drei Jahre altes Modell, was darauf hinwies, dass Herb Gesellschaft hatte. Ich tippte den vierstelligen Code in das Display neben der Tür ein, die von der Garage direkt ins Haus führte, wartete auf den hohen Piepton und ging durch bis zur Küche. Schmiss den Wasserkocher an.
»Herb?«, rief ich. »Ich mach uns einen Kaffee. Welche Sorte möchtest du?«
»Hierher, Harry.«
So, wie er das sagte, war Ärger zu erwarten, und so oder so – Ross McConnell in Person bedeutete wirklich schlechte Nachrichten. Ich ging durch den Korridor ins Zimmer, und schon stand er auf und tat höflich, als wartete er darauf, vorgestellt zu werden, bemüht, es ganz harmlos erscheinen zu lassen, dass er mir jetzt auf Augenhöhe gegenüberstand.
Herb hatte einen roten Haarschopf, wie man ihn außerhalb von Stephen-King-Romanen über Killer-Clowns eher selten antrifft. Er saß vor dem Couchtisch und baute einen Joint, der Plasmabildschirm leuchtete, der Ton war abgeschaltet, es lief eine körnige Schwarz-Weiß-Doku über irgendein Ereignis damals an der Ostfront.
»Ross«, sagte er, »das ist Harry. Ich glaube, ihr kennt euch noch nicht.«
»Scheint mir auch so«, sagte Ross leicht näselnd. Er ließ sich Zeit damit, die Hand auszustrecken, musterte meine schwarzen Halbschuhe, meine schwarze Hose, das weiße Hemd und den locker geknoteten schwarzen Schlips. Ein respektables Äußeres, jedenfalls aus einiger Entfernung. Aus dem Zucken seiner Unterlippe schloss ich, dass er eher meine Ambitionen und weniger mein tatsächliches Styling wertschätzte. »Ross McConnell«, sagte er. Wir gaben uns die Hand. Kühl, fester Griff. Weder schlaff noch zupackend, nichts, woran man sich später erinnern würde, außer dass er dir die Hand geschüttelt und dir dabei in die Augen geschaut hatte.
Ross McConnell war nichts Besonderes. Ein bisschen größer als der Durchschnitt, trug beige Chinos, braune Segelschuhe und ein blitzsauberes blaues Hemd über einem weißen T-Shirt mit V-Ausschnitt. Einen Goldring am Ringfinger, aber sonst keinen Schmuck oder sonstige Kinkerlitzchen. Ross McConnell alias Toto, ein Spitzname, der ihm scherzhaft verliehen worden war, als er noch klein war und sich trotz seiner schmächtigen Gestalt eine Zukunft als Torschütze mit dem stechenden Blick eines Toto Schillaci ausmalte, auch bekannt als der Sizilianische Killer, der Irlands Hoffnungen auf einen Sieg bei der Fußball-WM 1990 zerschossen hatte, als Ross sechzehn oder siebzehn Jahre alt war. Nur dass Ross alias Toto nichts Besonderes war. Er ging jetzt auf die Vierzig zu und war nicht mehr schmächtig, aber auch nicht dick, stemmte offensichtlich keine Gewichte im Fitnessstudio, ließ sich aber auch nicht gehen. Sein braunes Haar war auf Stoppellänge getrimmt und es war noch so viel davon vorhanden wie nötig, nicht mehr, nicht weniger. Nichts Besonderes. Sein Blick wirkte nicht stechender als der eines Bankmanagers an einem Montagmorgen und auch nicht kälter als die letzten Meter, die man kriechend zum Nordpol zurücklegt. Aber nichts Besonderes, nein.
Allerdings war er der jüngere Bruder von Ted McConnell und praktisch seinConsigliere. Aber nicht so bemerkenswert, dass ein Augenzeuge einer Schießerei ihn in kürzester Entfernung in einer Reihe von Verdächtigen identifizieren würde, selbst wenn der zum dritten oder vierten Mal die Reihe abschritt und die verzweifelten Bullen ihm nur Zwerge und einbeinige Jongleure zur Seite gestellt hatten.
Nein, er war nichts Besonderes, dieser Ross McConnell. Das sind solche Typen nie.
»Harry …?«, fragte er zögernd. Er wusste es natürlich längst. Ich war überprüft worden, lange bevor ich mich hinters Steuer eines McConnell-Taxis setzen durfte. Wenn man ein ehemaliger INLA-Heuchler ist, der versucht, in die Legalität zu wechseln, zum Beispiel so einer wie Ted McConnell, dann muss man ein kleines bisschen sauberer sein als die Konkurrenz.
»Rigby«, sagte ich.
»Harry Rigby«, sagte er. »Rigby, Rigby, Rigby …« Er schaute runter auf Herb, der jetzt das Mundstück auf den Joint steckte, und dann wieder zu mir. »Du bist doch nicht etwa der Rigby, der seinen Bruder umgebracht hat?«, fragte er. Ich nickte. »Gonzo«, sagte er. »Hab ich recht?«
»Das stimmt.«
»Ich hab ihn gekannt. Ist Jahre her. Ein irres Arschloch.«
Es war keine Frage, also ließ ich es so stehen. Aus der Küche war ein dünnes Pfeifen zu hören. »Das Wasser kocht«, sagte ich. »Will sonst noch jemand einen Kaffee?«
»Ross wollte gerade gehen«, sagte Herb.
»Ich nehme einen kleinen Espresso«, sagte Ross. »Wenn’s keine Umstände macht.«
»Kein Problem.«
Als ich zurückkam, stand er immer noch da, den Kopf leicht geneigt, und las die Titel in Herbs Bücherwand, das meiste davon gebundene Ausgaben, größtenteils Sachbücher zum Thema Reisen und Abenteuer, Krieg oder populärwissenschaftliche Abhandlungen. Er hatte sich eine Biografie von Patrick Leigh Fermor unter den Arm geklemmt und prostete mir mit dem Espresso zu. Nahm einen Schluck und verzog das Gesicht, weil er so bitter war.
»Und wie läuft’s so da draußen?«, fragte er. »Geschäftsmäßig?«
»Im Moment ziemlich ruhig«, sagte ich. »Später ist dann mehr los.«
»Gut, gut.«
Wir standen da und tranken Kaffee, während Herb im Sessel an seinem Joint zog und eine Viertelmillion Deutsche vor Stalingrad festgefroren waren und immer noch hofften, Friedrich Paulus würde Hitler klarmachen, dass er sich sein »Sieg Heil« in den österreichischen Arsch schieben könnte. Das Schweigen wurde spröde, Toto schaute wieder zum Bücherregal. Ich drehte mir eine Fluppe und trat vor die gegenüberliegende Wand, Herbs Galerie mit gerahmten Fotos aus seiner Zeit als Paparazzi, manche waren Einzelbilder oder Porträts, manche Zeitschriftencover. Am besten gefiel mir das Titelblatt des Sligo Champion anlässlich einer Wahlkampftour von Bertie Ahern, auf dem er schockiert auf die Reste eines zerplatzten Eis starrt, die an seiner Krawatte kleben, darüber die Headline: »Berties Eiertanz um die Macht«.
Herb beugte sich vor, um abzuaschen, und entlockte dem gläsernen Aschenbecher ein Klimpern, das laut genug war, um Totos und meine Aufmerksamkeit zu erregen. Herb räusperte sich und fragte: »Na, gibt’s was Neues?«
Die Frage ging an mich. Ich schaute Toto an. Der hob demonstrativ die Hände zur Entschuldigung. »Ich bin gar nicht da«, sagte er. »Wenn ihr Geschäftliches zu erledigen habt, lasst euch von mir nicht stören.«
Herb nickte mir zu. »Finn hat angerufen«, sagte ich. »Er will drei Beutel.«
»Ach wirklich?«
»Jetzt gleich.«
»Er hat doch erst letzten Monat drei bekommen.«
»Das stimmt.«
»Ganz schön viel für den persönlichen Gebrauch.«
Herb verkaufte keine halben Portionen. Nur Beutel mit 150 Gramm Primo Bud. Süß wie Bambi im Abgang und ein Kick wie Klopfers Trommelwirbel. Er könnte es mit Oregano verschneiden, kleine Zweige mit in die Tüten tun, so wie das Totos Dealer machten, aber bei Herb war der Kunde König und er blieb immer korrekt.
»Nächste Woche kommen die Surfer nach Enniscrone«, sagte ich. »Die Wildwasserfrauen oder sowas.«
»Was macht er also damit, dealt er?«
»Glaub ich nicht. Wahrscheinlich versorgt er bestimmte Leute damit.«
Toto hielt jetzt ein anderes Buch in der Hand, Schrödingers Kätzchen von John Gribbin. Offenbar interessierte er sich für Quantenmechanik.
»Aber er versorgt sie gegen Geld«, hakte Herb nach.
»Ich will damit sagen, dass Finn es nicht nötig hat zu dealen.«
»Er wird es ja wohl kaum umsonst verteilen, oder?«
»Soll ich deswegen mit ihm reden?«
»Ja, fühl ihm mal auf den Zahn. Sieh mal nach, um was es geht. Ein Amateur, der uns dazwischenfunkt, wäre wirklich das Letzte, was wir gebrauchen können. In Bundoran rennen jetzt schon Bullen mit Boogie Boards durch die Gegend.«
»Mach ich.«
Toto stellte die Espressotasse auf den Tisch zurück und hielt das Buch von Gribbin hoch. »Herbie, würd’s dir was ausmachen …«
»Kein Thema, Mann, nimm’s mit.«
Das Gribbin-Buch wanderte unter seinen Arm, zusammen mit der Leigh-Fermor-Biografie. »Ich bring sie dir beim nächsten Mal zurück«, sagte er. »Ach, Harry?« Er machte eine Kopfbewegung Richtung Hausflur. »Hast du kurz mal Zeit?«
Aus irgendeinem Grund nahm ich meinen Kaffee mit, als ich ihm folgte. Er schlenderte durch die Küche und trat in die Garage. Dort drückte er auf den Knopf für das Tor. »Wie läuft’s so mit deiner Bewährung?«
»Ach, ganz gut. Hab noch ungefähr fünf Monate.«
Schiefes Grinsen. »Ungefähr?«
»Fünf Monate und vier Tage.«
»Und du bist clean, ja?«
Er meinte nicht bloß Heroin oder Koks. Er meinte alles, was ihm Probleme bereiten könnte, wenn ich von der Polizei angehalten wurde in einem Taxi, an dessen Fracht er vierzig Prozent Anteile hatte. Eine dämliche Frage. Ich würde es wohl kaum zugeben, wenn ich nebenher noch Kinderpornos aus dem Kofferraum verhökerte. Aber eigentlich war es gar keine Frage. Vor allem, weil Toto McConnells Definition von clean nicht die Beutel mit Gras umfasste, die ich für Herb in der Stadt verteilte.
Er öffnete die Tür seines drei Jahre alten stinknormalen marineblauen Golfs, stieg ein und legte die Bücher auf den Beifahrersitz. »Dieser Finn«, sagte er, »will drei Beutel. Stehst du für ihn ein?«
»Er hat mich nie hängenlassen. Zahlt immer im Voraus.«
»Und du kennst ihn, oder?«
Ich nickte. »Es ist Finn Hamilton.«
Er legte den Kopf schief. »Die Immobilien-Hamiltons?«
»Das ist seine Familie, ja. Aber er ist Kunsthändler.«
»Der Sohn von Bob Hamilton.« Er nickte vor sich hin und speicherte das ab. Könnte ja mal nützlich sein, es zu wissen. »Hat eine Galerie unten am Hafen«, sagte er, »in dem alten Verwaltungsgebäude. Oder verwechsle ich ihn mit jemandem?«
»Nein, das ist er.«
»Netter Job, wenn man ihn kriegen kann«, grinste er. »Hab ich recht?«
»Wenn man Kunst mag.«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich mag Kunst. Warum denn nicht?« Er drehte den Schlüssel um und ließ den Motor des Golfs aufheulen, der anschließend leise vor sich hin schnurrte. Er schloss die Tür und ließ dann das Fenster herunter. »Ich wollte dich eigentlich fragen, ob du Malky Gorevan kennst.«
Womit er mich wissen ließ, dass er wusste, dass ich meine Haftzeit, beziehungsweise nicht wenig davon, in Dundrum abgesessen hatte. Und wohl noch mehr durchblicken ließ, nämlich dass ich alles in allem doch verdammt früh rausgekommen war angesichts der Tatsache, dass ich wegen Mordes an meinem eigenen Bruder verurteilt worden war, ein mit sechs Jahren sehr mildes Urteil, wo die Tat eigentlich ausreichen sollte, mich lebenslang zu den anderen geisteskranken Kriminellen zu sperren. Gab mir zu verstehen, dass manche Leute sich darüber wundern könnten, dass ich so schnell wieder rausgekommen war, und sich fragten, ob ich vielleicht einen Deal gemacht hatte, könnte ja sein, dass Harry Rigby seine Schuld zurückzahlen wollte, indem er ab und zu jemandem aus Dankbarkeit den Hinweis steckte, wo’s einen dicken Fisch zu fangen gab.
»Ja, ich kannte Malky«, sagte ich. »Ein irres Arschloch.«
»Deshalb ist er ja in Dundrum gelandet«, sagte Toto.
»Wohl wahr. Wie geht’s ihm denn?«
Malky Gorevan gehörte zu den ganz wenigen ehemaligen Paramilitärs, die durch das Karfreitagsabkommen nicht wieder auf freien Fuß gekommen waren. Zum einen, weil niemand sich einen Scheiß dafür interessierte, ob die INLA wieder zu den Waffen griff, aber vor allem deshalb, weil Malky, der aufgrund diverser Vergehen verurteilt worden war, als Irlands erster Serienkiller in die Geschichte eingegangen wäre, wenn er sich nicht die Fahne des Freiheitskampfs umgehängt hätte. Falls Malky jemals wieder aus Dundrum rauskam, dann um eine ganz kurze Reise Richtung Norden anzutreten, wo ihn ein ganzer Stapel Haftbefehle erwarten würde, nicht zuletzt, weil er die Feinheiten der Einrichtung einer Autobombe mit Quecksilber-Neigungsschalter beherrschte, was ihm in manchen Kreisen einen Heldenstatus verschafft hatte.
»Malky, Malky.« Toto zuckte mit den Schultern. »Als ich zuletzt von ihm gehört habe, ging’s darum, ob er sich irgendwie rauskaufen kann, weil er einiges gegen Adams und McGuinness in der Hand hat.« Er zuckte wieder mit den Schultern. Malky war Schnee von gestern. »Hör mal«, sagte er, »Herbie hätte da was für dich, einen Job, falls du verfügbar bist. Wenn nicht, auch kein Problem.«
»Um was geht’s denn?«
»Herbie erklärt’s dir.« Er streckte die Hand aus und ich gab ihm meine. »Nett, dich kennengelernt zu haben, Harry.« Seine gar nicht besonderen Augen waren so grau und kalt wie Splitter einer Grabsteinplatte. »Wir sehen uns.«
Er fuhr rückwärts raus, wendete und verschwand. Ich wartete, bis das Eingangstor sich geschlossen hatte, wischte meine Hand an der Rückseite meiner Hose ab und kippte den restlichen kalten Kaffee in den Kübel einer Topfpflanze, die dringend gegossen werden musste. Es hatte seit sechs Tagen nicht mehr geregnet.