Buch lesen: «Seewölfe - Piraten der Weltmeere 325»

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Impressum

© 1976/2017 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-722-8

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Davis J. Harbord

Dem Norden entgegen

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

1.

Das dänische Wachboot, das am Morgen des 2. April 1593 querab von Hornbaek oben an der Nordostecke von Seeland auf Patrouillenfahrt war, um den Sund zu bewachen und die Zollgebühren von den einlaufenden Schiffen zu erheben, hatte gegen neun Uhr eine merkwürdige Begegnung.

Die kleine Schaluppe, die von Norden aus dem Kattegat heransegelte und sich anschickte, in den Öre-Sund einzulaufen, wirkte keineswegs ungewöhnlich, es sei denn, man empfand die Salzschicht, mit der sie total überkrustet war, als etwas Besonderes. Auch die Segel aus gelohtem Tuch waren grauweiß, aber mehr grau als weiß.

Segler, die auf Langfahrt gewesen waren, sahen so aus, aber das waren Schiffe, keine Schiffchen wie dieses. Jedenfalls war das die Ansicht von Sverre Olsen, dem Leutnant und Kapitän des dänischen Wachboots.

Sein Bootsmann fand das auch.

„Sieht aus, als sei der einige Wochen zu lange auf See gewesen“, sagte er kopfschüttelnd.

Und dann beäugten sie gemeinsam, jeder durch einen Kieker, die beiden Kerle, die offenbar als einzige dieses Schiffchen bevölkerten. Der eine saß achtern an der Pinne, der andere schien für Großschot und Fockschot zuständig zu sein oder für sonstwas. Vielleicht wechselten sie, wenn’s dem einen an der Pinne und dem anderen an den Schoten zu langweilig wurde. Das Schiffchen hatten sie jedenfalls gut im Griff, so was sah man, wenn man einen Blick dafür hatte, und den hatten beide, Bootsmann und Leutnant.

Aber die beiden Kerle fielen auf – etwa wie zwei Disteln in einem Beet voller schöner Rosen.

Der an der Pinne trug ein rotes Kopftuch und am linken Ohr einen großen goldenen Ring. Sein Gesicht mochte einmal sonnenverbrannt gewesen sein. Jetzt wirkte es eher grau mit bräunlicher Untertönung.

„Ts, ts!“ äußerte sich Sverre Olsen, der Leutnant. „Der sieht scharf aus, wie?“

„Mächtig scharf“, bestätigte der Bootsmann und fügte hinzu: „Der andere aber auch!“

Ja, das stimmte. Der andere war ein blondhaariger Klotz von Mann, nur trug er keine gewöhnliche Seemannskleidung, sondern Felle und Riemensandalen, die um die Waden geschnürt waren. Sein Gesicht war kantig und hart und bärtig wie das des Kerls an der Pinne.

„Du meine Güte“, murmelte Sverre Olsen irritiert, „so sind doch früher die Wikinger herumgelaufen.“

„Vielleicht ist das einer“, sagte der Bootsmann dumpf.

Sverre Olsen setzte den Kieker ab und fixierte seinen Bootsmann.

„Quatsch“, sagte er kurz und bündig und rief dem Rudergänger zu, Kurs auf die Schaluppe zu nehmen.

Der bestätigte den Befehl, legte Ruder und luvte an. Die Segel wurden dichter geholt. Mit halbem Wind über Steuerbordbug schäumte das Wachboot auf die Schaluppe zu, kreuzte aber nicht deren Kurs, sondern fiel dwars von ihr wieder ab, halste und ging auf Parallelkurs.

Die beiden Kerle auf der Schaluppe blickten unwillig zu dem Wachboot, das jetzt in Luv von ihnen lag und ihnen den Wind wegnahm.

„Stoppen Sie!“ rief Sverre Olsen zu ihnen hinüber. „Sundkontrolle!“

Der Ohrring-Mann an der Pinne spuckte nach Lee über Bord, und der Fell-Mann drehte sich um und zeigte dem Wachboot den Hintern, indem er sich etwas beugte und den beachtlichen Achtersteven hochreckte.

In der internationalen Sprache bedeutete das: Ihr könnt uns mal im Mondschein begegnen oder kreuzweise den Buckel runterrutschen – von anderen Aufforderungen ganz abgesehen.

Sverre Olsen kriegte rote Ohren vor Zorn.

Der Bootsmann sagte vorsichtig: „Wenn das noch ein Wikinger aus der alten Zeit ist, dann kann er nicht wissen, daß wir jetzt den Sund kontrollieren.“

„Quatsch!“ schnaubte der Leutnant zum zweiten Male. „Aus der alten Zeit! So ein Quatsch! Da wäre er längst vermodert.“

„Kann ja ’n Urenkel oder so was sein“, sagte der Bootsmann.

Sverre Olsen hätte gern gestöhnt ob der Einfalt seines Bootsmanns, aber er mußte sich um die Schaluppe kümmern, denn die fiel jetzt ab, um der lästigen Windabdeckung zu entgehen.

„Hau ihm einen Schuß vor den Bug!“ sagte er daher zu dem Kanonier an der Backbord-Drehbasse.

Der zeigte klar, visierte kurz und feuerte.

Rumms!

Vier Yards vor der Schaluppe stieg eine Wassersäule hoch und fiel wieder in sich zusammen.

Der Ohrring-Mann und der Fell-Mann freuten sich über die schöne Wassersäule – und segelten weiter. Bei dem Schuß waren sie nicht mal zusammengezuckt.

„Die sind abgebrüht“, sagte der Bootsmann bedächtig und fügte hinzu: „Das waren die Wikinger auch.“

„Zu der Zeit wurde noch nicht mit Kanonen geschossen!“ fauchte Sverre Olsen.

„Das nicht, aber mit Pfeilen und Speeren“, sagte der Bootsmann.

Sverre Olsen hätte ihn erwürgen können, befahl aber statt dessen dem Kanonier, noch einen Warnschuß abzufeuern, dieses Mal noch dichter vor den Bug.

Rumms!

Die Schaluppe segelte direkt in die zusammenfallende Wassersäule, und die beiden Kerle wurden überduscht.

„Ohh!“ riefen sie, und der Fell-Mann drohte schelmisch mit dem Finger.

„Sofort stoppen!“ brüllte Sverre Olsen mit überschnappender Stimme. „Wohl verrückt geworden, was?“

Die beiden Kerle segelten weiter. Entweder waren sie schwerhörig oder stur oder beides. Und frech waren sie außerdem, weil es sich nicht gehört, einem dänischen Offizier den Hintern zu zeigen.

„Klar zum Entern!“ rief Sverre Olsen seinen Männern zu und knirschte mit den Zähnen.

Aber das klappte nicht.

Als das Wachboot an die Schaluppe heranstaffelte, luvte diese unvermutet an und ging blitzschnell auf den anderen Bug. Das Wachboot schoß an ihr vorbei. Als es ebenfalls wendete, lief die Schaluppe schon wieder Südkurs und in den Sund.

Der Ohrring-Mann und der Fell-Mann grinsten breit und schienen viel Spaß zu haben.

Jetzt ackerte das Wachboot hinter ihnen her und mußte erst einmal die verlorene Distanz wieder aufholen. Sverre Olsen hätte gezielt schießen lassen können, aber er war ein durch und durch anständiger Kerl, der stets das Maß zu wahren wußte. Diese beiden Verrückten waren ja nicht aggressiv geworden. Nur frech waren sie. Was die sich wohl dachten!

Na ja, weit würden sie nicht gelangen. Von Helsingör her segelten bereits zwei weitere Wachboote ihnen entgegen, alarmiert von den beiden Drehbassenschüssen. Jetzt tauchte aus dem Hafen noch ein drittes Wachboot auf.

Auch weiter unten bei der Sundinsel Ven war man aufmerksam geworden, und zwei Wachboote lösten sich aus dem kleinen Hafen von Kyrbacken.

Insgesamt also sechs Wachboote gegen eine kleine Schaluppe, die mit zwei Kerlen – allerdings merkwürdigen Kerlen – besetzt war, da hatte die Sprechweisheit von den vielen Hunden, die des Hasen Tod sind, durchaus seine Richtigkeit, auch wenn der Hase flink war und über eine Menge Tricks verfügte.

Tatsächlich hielten die beiden Kerle die Wachboote ganz schön zum Narren. Offenbar empfanden sie die Jagd nach ihnen als eine Art Wettstreit, ignorierten die diversen Aufforderungen, die Segel zu streichen, entschlüpften nach Luv oder Lee, halsten oder wendeten, steuerten halsbrecherische Kollisionskurse, die darin gipfelten, daß sich zwei Wachboote fast selbst gerammt hätten, und schafften es dabei, immer weiter Raum nach Süden zu gewinnen.

Das ging so lange gut, bis einem Wachbootkommandanten der Kragen platzte. Mit einer Kettenkugel wurde die Schaluppe entmastet. Offenbar empfanden das die beiden Kerle als Spielverderb, denn als jetzt die ersten beiden Wachboote bei ihnen längsseits gingen, legten sie erst richtig los und entfesselten einen Zirkus, der es in sich hatte. Wie die Teufel kämpften sie.

Der Klotz von Fell-Mann langte mit den Fäusten zu und röhrte dabei wie ein wilder Stier, während der Ohrring-Mann die Pinne vom Ruderkopf abgenommen hatte und sie als Holzprügel benutzte. Auch er brüllte ordentlich, aber in einer Sprache, die den dänischen Mannen unverständlich war. Die beiden fremden Kerle räumten ab, daß es nur so seine Art hatte.

Dem einen Wachbootkommandanten schlug der Fell-Mann beide Klüsen dicht, so daß der Ärmste innerhalb von Minuten nichts mehr sah. Und dem anderen Wachbootkommandanten, der auch auf die Schaluppe übergeentert war, säbelte der Ohrring-Mann mit der Pinne die Beine weg, so daß er außenbords kippte und ein kaltes Bad nehmen mußte.

Ein paar anderen erging’s genauso. Sie versammelten sich im Wasser und brüllten ihrerseits um die Wette. Es war wirklich der reinste Zirkus.

Schließlich stiegen der Ohrring-Mann und der Fell-Mann auf das Wachboot an Backbord über und begannen dort mit ihren Aufräumungsarbeiten. Wie Berserker wüteten sie. Der Fell-Mann hatte einen Schlag drauf, der ausreichte, um Ochsen zu fällen. Er verschob Nasen und setzte Köpfe schief. Einem Dänen verpaßte er ein Hämmerchen, das den Mann regelrecht um den Mast wickelte, an dem er sich im letzten Moment noch hatte festhalten können.

Das war vielleicht eine Wuhling!

Zwei weitere Wachboote krachten längsseits des Pulks, dessen Mitte die Schaluppe bildete, an deren Seiten sowieso schon je ein Wachboot hing. Holz splitterte, Segel schlugen quer, zwei Großbäume verhakten sich ineinander – mit dem Erfolg, daß der eine splitternd in die Binsen ging. Dabei zerriß natürlich das Segel.

Die beiden Kerle turnten von einem Wachboot zum anderen, und niemand wagte zu schießen, aus Angst, in dem Durcheinander einen eigenen Mann zu treffen. Und wo sie hinlangten, fiel ein Gegner aus oder trat die Reise außenbords an. Diese beiden Wüteriche entpuppten sich als erstklassige Kämpfer.

Inzwischen wimmelte es um den Pulk von Wachbooten, die neu hinzugestoßen waren, aber auf Befehl Sverre Olsens nicht mehr eingriffen, sondern einen Ring um den Pulk bildeten.

So ergab sich die groteske Situation, daß die beiden Kerle zwar in hervorragender Weise die vier längsseits gegangenen Wachboote entvölkert hatten, jetzt aber ohne greifbaren Gegner dastanden. Dafür befanden sie sich im Mittelpunkt oder Zentrum eines Kreises, der mit Musketen gespickt war, deren Läufe von den anderen Wachbooten ringsum auf sie gerichtet waren.

Die Jagd war vorbei, der Kampf war aus, da biß keine Maus den Faden ab.

Die beiden Kerle, zur Zeit auf dem äußersten Wachboot an Steuerbord ihrer entmasteten Schaluppe, schauten sich um und wischten sich den Schweiß von der Stirn.

Der Fell-Mann, der bisher in der norwegischen Sprache geflucht und gebrüllt hatte, sagte jetzt in einer fremden Sprache – es war die französische – laut und deutlich: „Merde!“

Sverre Olsen, der einmal Ärger mit einem französischen Handelsfahrer gehabt hatte – natürlich wegen des Sundzolls –, kannte dieses Wörtchen und wunderte sich einmal mehr über diese beiden Kerle, die in kein Schema paßten.

„Was hat er gesagt?“ fragte sein Bootsmann.

„Scheiße hat er gesagt, und zwar auf französisch“, entgegnete Sverre Olsen.

Der Bootsmann starrte ihn entgeistert an. „’n französischer Wikinger?“

Sverre Olsen zog nur die Augenbrauen hoch und verzichtete auf eine Antwort.

Zu den beiden Kerlen brüllte er hinüber: „Jeder weitere Widerstand ist zwecklos. Ich fordere Sie auf, sich zu ergeben. Falls Sie sich widersetzen, müßte ich auf Sie feuern lassen. Haben Sie das verstanden?“

„Bin ja nicht taub!“ brüllte der Fell-Mann zurück. „Sagen Sie, was Sie von uns wollen, und dann hauen wir ab!“

Der hatte vielleicht Nerven. Abhauen! Mit zerschossenem Mast!

„Das hier ist dänisches Gewässer!“ rief Sverre Olsen. „Jeder, der den Sund passieren will, hat laut Order des dänischen Königs dafür eine Gebühr zu entrichten. Dieser Sundzoll ist von allen Staaten, die die Ostsee befahren, anerkannt worden. Zu welchem Land gehören Sie?“

Der klotzige, blonde Kerl lachte dröhnend. „Zu welchem Land? Zu keinem, verdammt noch mal! Wir sind freie Männer, und euer Sundzoll kratzt uns einen Scheiß!“

Der Kerl war verrückt, total verrückt.

„Woher kommen Sie?“ brüllte Sverre Olsen.

„Das geht euch einen Dreck an!“ brüllte der Fell-Mann zurück.

Sverre Olsen biß sich auf die Lippen. So gelangte er nicht weiter.

„Tut mir leid!“ rief er. „Aber ich muß Sie festnehmen lassen! Der Hafenkapitän wird entscheiden, was mit Ihnen zu geschehen hat. Ihre Schaluppe ist beschlagnahmt!“

Die beiden Kerle fluchten, schienen aber angesichts der auf sie gerichteten Musketen auf weiteren Widerstand zu verzichten. Nur als ein Wachboot längsseits gegangen war und sie gefesselt werden sollten, ging der Krawall wieder los. Aber zwei dänische Seesoldaten, die hinter sie geglitten waren, klopften ihnen die Pistolenläufe auf die Köpfe, und Sverre Olsen atmete auf. Endlich waren die Kerle gebändigt.

Er übernahm sie zu sich an Bord und segelte mit der entmasteten Schaluppe im Schlepp in den Hafen von Helsingör.

Ein paar Seesoldaten schleppten den Ohrring-Mann und den Fell-Mann ins Kittchen des Hafenkapitäns, der im Hafengebiet auch eine Art Polizeifunktion innehatte. Meist beherbergten die beiden Zellen in der Hafenkommandantur bezechte Seeleute, die dort ihren Rausch ausschliefen. Auch Randalierer wurden dort eingesperrt, die bei Wasser und Brot sehr schnell fromm wurden.

Inzwischen untersuchte Sverre Olsen die Schaluppe. Was er da zutage förderte, war mehr als erstaunlich und trug dazu bei, ihn noch mehr zu verwirren.

Erstens einmal waren diese beiden Kerle bestens bewaffnet gewesen. In einer länglichen Backskiste lagerten Hieb- und Stichwaffen nebst Musketen, Pistolen und Tromblons. Munition dafür war zur Genüge vorhanden, außerdem sechs Pulverfässer. Das reinste Waffenarsenal war das, noch dazu hervorragend gepflegt.

Was diese beiden Kerle mit dem ganzen Schieß- und Blankwaffenzeug wollten, war ein Rätsel. Entweder sammelten sie Waffen – oder besser, hamsterten sie wie Eichhörnchen, die Bucheckern, Eicheln und Nüsse horten, oder sie handelten mit dem Kram. Eine dritte Möglichkeit war, daß sie die Absicht hatten, eine Räuberbande zu gründen.

Als nächstes stellte Sverre Olsen fest, daß die Kerle keineswegs am Hungertuch genagt hatten – im Gegenteil. Der Vorrat reichte aus, um ein paar Wochen Fettlebe zu veranstalten und sich einen Bauch anzufressen. Zwei Weinfässer waren auch dabei – und noch ein Faß. Was war da denn drin?

Sverre Olsen kostete. He-he! Das war doch Rum! O Mann! Einmal in seinem Leben hatte Sverre Olsen Rum getrunken. Der Kapitän eines holländischen Handelsfahrers hatte ihm eine Flasche geschenkt. Vor zwei Jahren war das gewesen. Als die Flasche leer gewesen war, hatte Sverre Olsen überkreuz gepeilt und die Kimm doppelt gesehen. Hastig verspundete er das Faß, aus dem es so verlockend duftete. Es ging ja nicht an, daß er sich hier einen andudelte, noch dazu mit Rum, der ihm nicht gehörte.

Die dritte Entdeckung Sverre Olsens war dazu angetan, ihn vollends ins Bockshorn zu jagen.

Die beiden Kerle waren stinkreich, jawohl! Die waren so reich, daß sie sich statt dieser armseligen Schaluppe eine ganze Galeone hätten kaufen können – und dann wären sie immer noch reich gewesen.

Waren das Schatzräuber?

Die Truhe, die Sverre Olsen aufgeklappt hatte, enthielt mehrere Lederbeutel voller erlesener Perlen, eine Kassette mit Goldmünzen, eine mit Silbermünzen, eine mit funkelndem Schmuck und weitere Lederbeutel mit Edelsteinen.

Es war nicht zu fassen.

Sverre Olsen hätte sich an diesen Schätzen bereichern können, aber er tat es nicht. Er war ein ehrlicher Mensch. Nein, daran dachte er nicht. Seine Gedanken wirbelten in andere Richtungen und beschäftigten sich mit der Frage, woher, um alles in der Welt, diese Schätze wohl stammen mochten und wie sie in den Besitz der beiden Kerle gelangt waren. Hatten sie sich deshalb so erbittert gewehrt, die Schaluppe kontrollieren zu lassen?

Da war ein Verhör mit den Kerlen fällig.

Sverre Olsen versiegelte die Truhe, ließ einen Posten vor der Schaluppe aufziehen, dem er die strikte Order gab, niemanden an Bord zu lassen, und eilte zur Kommandantur, um dem Hafenkapitän Bericht zu erstatten.

Eric Hornborg, der Hafenkapitän, war ein dicklicher Mensch, pausbackig wie ein Engelchen, nur pflegen Engelchen keine Knollennase und listige Äuglein zu haben. Aber sonst stimmte der Vergleich, denn Engelchen sind auch keine Draufgänger, sondern friedliche Wesen mit sanftem Gemüt. Also, ein Draufgänger war Eric Hornborg nicht, und die durchaus manchmal auch gefährlichen Klippen seiner Tätigkeit als Hafenkapitän pflegte er mit List und Tücke zu umschiffen. Außerdem hatte er ja tüchtige Leute wie den Leutnant Sverre Olsen und die anderen Kapitäne der Wachboote samt deren Besatzungen.

Na ja, vor zwei Monaten hatte er wegen des verdammten Sund-Piraten Aage Svensson arg in der Klemme gesteckt, aber mit ein bißchen Geschick und gutem Zureden war es ihm gelungen, diese englischen Teufelskerle unter ihrem Kapitän Killigrew gegen die Piraten zu mobilisieren. Sie hatten Svensson und seine Bande zur Strecke gebracht, und im Sund war wieder Ruhe eingekehrt – bis auf die Sache heute mit den beiden Kerlen.

Jetzt lauschte er dem weiteren Bericht Sverre Olsens und staunte nicht schlecht, was der Leutnant alles in der Schaluppe entdeckt hatte. Da waren ihnen ja zwei seltsame Vögel ins Netz gegangen.

„Hm-hm“, sagte er, als Sverre Olsen geendet hatte. Und noch einmal: „Hm-hm.“ Dann faltete er die Patschhändchen und drehte die Würstchendaumen umeinander, was er immer tat, wenn er nachdachte. Sverre Olsen kannte das schon und schaute geduldig zu. Am liebsten hätte er auch Däumchen gedreht. Es war so beruhigend. Aber es stand ihm nicht zu, den Hafenkapitän zu kopieren.

Jetzt stützte der Hafenkapitän die beiden Würstchendaumen gegeneinander, so saß sie ein Dach bildeten, und sagte vorsichtig: „Was meinen Sie, Olsen, ob das Piraten sind?“ Das Wort „Piraten“ sprach er aus, als handele es sich um Mehlwürmer oder sonst was Grausliches.

„Auszuschließen ist das nicht“, sagte Sverre Olsen etwas unschlüssig, weil er die beiden Kerle nach wie vor nicht einordnen konnte. Einerseits hatten sie sich als harte und gewitzte Kämpfer entpuppt, andererseits hatten sie niemanden totgeschlagen. „Wenn man“, fuhr er fort, „ganz üble Schnapphähne – wie etwa Aage Svensson – als Piraten bezeichnet, dann trifft das eigentlich für diese beiden Kerle nicht zu. Es sind wilde und rauhe Burschen, aber keine Schlagetots. Ihre Schaluppe haben sie meisterhaft beherrscht, genauso meisterhaft haben sie gekämpft, der eine mit den Fäusten, der andere mit der Pinne als Holzprügel. Ich hatte den Eindruck“, Sverre Olsen räusperte sich, „also ich hatte den Eindruck, als bereitete es ihnen einen Heidenspaß, sich mit unseren Seesoldaten herumzuprügeln.“

„Ich bitte Sie!“ Der dicke Hafenkapitän runzelte die Stirn. „Wie kann man an so etwas Spaß haben? Das ist doch barbarisch – und dann noch mit den Fäusten oder einem Holzprügel. Warum haben sie nicht mit dem Degen oder Säbel gefochten?“

„Das weiß ich nicht. Vielleicht wollten sie niemanden ernsthaft verletzen.“

„Wir werden sie uns mal vorknöpfen“, sagte der Hafenkapitän und erhob sich ächzend hinter seinem Schreibtisch.

Zusammen mit Sverre Olsen suchte er den Zellentrakt auf.

Der Ohrring-Mann und der Fell-Mann waren wieder bei Bewußtsein. Man hatte ihnen die Fesseln abgenommen, da sie hinter den Gittern auf Nummer Sicher saßen. Die andere Zelle war leer.

Der Fell-Mann hatte mächtig aufgebraßt. Er rüttelte an dem Gitter und feuerte volle Breitseiten von Schimpfnamen auf Sverre Olsen ab.

Der kriegte wieder seine roten Ohren, als ihn der Fell-Mann einen dänischen Lümmel, einen abgewrackten Hurensohn und eine schiefgetakelte Vogelscheuche nannte. Na, das war noch harmlos gegen die Tiere, mit denen er verglichen wurde. Eine schwangere Kakerlake war auch dabei.

Schließlich verlangte der Fell-Mann, mit seinem Kumpan sofort freigelassen zu werden.

„Wenn Sie hier weiter herumrandalieren“, sagte der Hafenkapitän, „werden Sie ein paar Wochen einsitzen – jedenfalls so lange, bis man sich vernünftig mit Ihnen unterhalten kann.“

„Hast du hier auch was zu sagen?“ fuhr ihn der Fell-Mann an.

„Ich bin der Hafenkapitän“, sagte der Dicke mit Würde. „Als solcher bin ich befugt und habe das Recht, Fragen zu stellen. Sie hatten die Absicht, sich der Sundkontrolle zu entziehen, und haben das auch mit roher Gewalt zu verhindern gesucht. Das reicht, um sie hier ein paar Wochen schmoren zu lassen. Woher kommen Sie, wohin wollten Sie?“

„Wir segeln so spazieren“, erklärte der Fell-Mann pampig.

„Das ist keine Antwort.“

„Na schön, dann ist das eben keine Antwort“, knurrte der Fell-Mann. „Und jetzt will ich dir mal was sagen, du Dickmops! Wir haben es nicht nötig, uns von dänischen Lümmeln kontrollieren zu lassen. Die See ist frei und gehört niemandem. Wir haben das Recht, hinzusegeln, wohin es uns paßt. Niemandem sind wir darüber Rechenschaft schuldig. Soweit kommt’s noch, daß an jeder Pißecke einer steht, kontrolliert und Zollgebühren erhebt. Eine Sauerei ist das, jawohl! Und jetzt laß uns raus aus diesem Bums, sonst passiert was!“

„Sie scheinen nicht zu begreifen, daß Sie sich ins Unrecht gesetzt haben“, sagte der Hafenkapitän verärgert. „Der Sund ist eben keine freie See, wie Sie das bezeichnen. Wer ihn passieren will, muß dafür bezahlen …“

„Aasgeier!“ schnaubte der Fell-Mann.

„Ihre Beleidigungen ändern daran nichts“, erklärte der Hafenkapitän. „Im übrigen waren Sie dabei, eine erhebliche Menge an Waffen und ein beträchtliches Vermögen in Form von Perlen, Edelsteinen, Schmuck sowie Gold- und Silbertalern in die Ostsee einzuführen. Was bezweckten Sie damit?“

„Mit den Waffen“, brüllte der blonde Klotz, „wollten wir euch verdammten Schnüfflern Feuer unter dem Arsch machen, und die Klunker sind dazu da, die Puppen tanzen zu lassen!“

„Wenn das so ist“, sagte der Dicke und grinste freundlich, „dann haben wir ja noch einen Grund, Sie hier für längere Zeit zu beherbergen. Na, wir werden sehen, wer den längeren Atem hat.“

Und damit verließen der Hafenkapitän und Sverre Olsen den Zellentrakt. Die wilden Flüche überhörten sie.

Der kostenlose Auszug ist beendet.

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Altersbeschränkung:
0+
Umfang:
110 S. 1 Illustration
ISBN:
9783954397228
Verleger:
Rechteinhaber:
Bookwire
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