WIE MAN RIESEN BEKÄMPFT

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Inhalt

Wie man Riesen bekämpft – und auch besiegt!

David Kadel, Initiator des Mutmach-Buchs

Inhalt

„Aufgeben is nich!“

Britta Hofmann

Human being

Samuel Koch

#weilduwaswertbist

Déborah Rosenkranz

Tankstelle der Liebe

Michael Stahl

Kämpfen kann man lernen

Heiko Herrlich

Vom Schulabbrecher zum Chef

Jonas Keller

Die faszinierende Beth Hamilton

Stefanie Maria Rottler

Der Song Deines Lebens

Matthias Schweikert

„Nie alleine!“

Rachel van Gurp

Kämpfen wie David

Andreas Adenauer

Lass dich nicht unterkriegen!

Peter Neuer

Sei mutig und stark

Anne Zedler

Linie 51

Thomas Thelen

Kämpfer sind Vorbilder

Thilo Kehrer

Wenn die Angst weicht!

Nikolas Fischer

Wunderbare Maronensuppe

Michael Herberger

Aufregend – außergewöhnlich – besonders

Mirjam Hermsdorf

Einen Engel getroffen

Daniel Harter

Opas Wette und Harry Wilson

Denis Werth

Wie Anne Frank mir Mut machte

Andrea Brandis

GIB ALLES, NUR NICHT AUF!

Andi Weiss

Das Unvorstellbare denken

Matthias Ginter

Kämpfen, wie eine Löwenmutter

Anja Krohn

Das Unmögliche möglich machen

Nikolas Fischer

Stairway to heaven

Barbara Reimer

Schwieriger Start … und dann?

Rainer Zilly

Mit einem Bein über die Alpen

Charlott Hörenz über die moderne Heldin Jacqueline Fritz

Jonas und der Traum

Markus Kosian

Wie ich der Angst davon lief

Yasmin Kwadwo

Meine Geschichte mit dem Tod

Winnie

Du musst kämpfen Johnny!

Martin Heimes

Der beste Unfall meines Lebens

Simeon Spahr

Was macht dich stark?

Giovanna Hoffmann

Eine Begegnung der außergewöhnlichen Art

 

Judith Bauer

Die kleine Sonne

Ulrike Kühnel

Wo sind die Ermu-Tiger?!

Epilog von David Kadel

-LICHEN DANK AN …

„Aufgeben is nich!“

Britta Hofmann


Illustration: Friederike Lohrer

Mit dem Fahrrad den Berg runtersausen – das Gefühl kennt ihr doch bestimmt. Wenn der Wind ums Gesicht pfeift und man immer schneller und schneller wird, ohne selbst in die Pedale zu treten.

Es gibt Menschen, die lieben dieses Gefühl. Klar, ich fahre natürlich auch lieber den Berg runter als hoch. Während meines Sportstudiums musste ich mich allerdings auch mal so richtig auf dem Rad anstrengen. Mehrere Wochen habe ich meine Erfahrungen mit dem Radsport gemacht. Nicht nur Rennrad und Mountainbike, nein auch Bahnradfahren stand auf dem Programm. Da fährt man extrem schnell in einem speziellen Stadion die Wände hoch, aber das Fahrrad hat keine Bremsen! Ihr könnt euch vorstellen, wie mein Herz geklopft hat, als ich das zum ersten Mal ausprobieren durfte. Es war einfach nur faszinierend.

So muss auch Kristina Vogel empfunden haben, als sie mit diesem Sport anfing. Mit gerade einmal zehn Jahren fuhr sie ihr erstes Rennen. Sie hat sich quasi in das Bahnradfahren verliebt und es schließlich zu ihrem Beruf und Leben gemacht. Mit ihrer Leidenschaft, ihrem Ehrgeiz und ihrer Disziplin fuhr sie von Erfolg zu Erfolg: Sie gewann 23 deutsche Meistertitel und unfassbare 11 Weltmeistertitel!! Auch Olympiasiegerin darf sie sich nennen, sogar gleich zwei Mal. In London und Rio machte sie sich als Sportlerin mit Gold bei Olympia unsterblich. Der Kick, schneller zu sein, als alle anderen, muss sie angetrieben haben, denn sie stellte mehrere Weltrekorde auf. Man hatte den Eindruck, eine Grenze gibt es für sie nicht. Kristina, die Bahnrad-Königin, hat ihren Sport einfach nur geliebt.

Am 26. Juni 2018 sollte sich leider alles ändern. Kristina saß mal wieder im Fahrradsattel und trainierte. Unzählige Runden, unzählige Kilometer. Eigentlich so, wie immer. So, wie all die Jahre. Aber an diesem Tag kam es zu einem Unfall mit einem anderen Radfahrer. Sie stürzte schwer und verletzte sich noch schwerer. Sie spürte ihre Beine nicht mehr, musste mehrmals operiert werden und lag sogar im Koma. Die Diagnose: Querschnittslähmung! Ihr Rückenmark ist am siebten Brustwirbel durchtrennt. Sie wird nie wieder laufen, nie wieder Radfahren können! Aber die 27jährige lebt, und sie kämpft mit einer unglaublichen Leidenschaft, die mich total fasziniert.

In der Reha trainierte sie, genau wie in ihrem vorherigen Leben, täglich. Doch jetzt ging es nicht mehr um Titel oder Medaillen, es ging um ihr neues Leben. Es sollte so selbstständig wie möglich werden. Kristina musste dafür nicht motiviert werden, sie hat sich selbst motiviert. Sie akzeptierte ihre neue Situation und haderte nicht, sondern sagte sich nach der Diagnose voller Entschlossenheit: „Jetzt erst recht“! Kristina sieht heute nicht auf das, was jetzt nicht mehr geht, sondern auf ihre Chancen als neue Herausforderungen. Ihre unbändige Lebensfreude ist für viele ansteckend und ergreifend zugleich.

Nach 18 Jahren Leistungssport begann ein neues Lebenskapitel mit Rollstuhl, das Kristina mit einer Liste startete, die sie abarbeiten wollte. Dinge, die sie noch nie gemacht hatte, wollte sie sich nun erfüllen. Zum Beispiel ging sie zum ersten Mal auf ein Konzert von Clueso. Sein Song „Gewinner“ half ihr seit Jahren, in schwierigen Phasen an sich zu glauben. Es war ein besonderer Moment, als er das Lied an diesem Abend sang.

Der Alltag fordert Kristina immer wieder aufs Neue, denn nicht nur das Fahren mit dem Rollstuhl musste geübt werden. Sie benötigte auch für das extra angefertigte Auto mit einer Handsteuerung intensive Fahrstunden. All das kostete Kraft, aber sie genießt bis heute die Freiheit und Selbstständigkeit, die sie dadurch erlangt hat. Die Wochen und Monate zuvor hatte sie viel Hilfe in Anspruch nehmen müssen, deswegen sehnte sie sich nach Unabhängigkeit.

Nach und nach versucht sie weitere Punkte von ihrer Bucket-List umzusetzen. So konnte sie unter anderem einen Haken hinter einen Tandem-Fallschirmsprung aus 4000 Metern Höhe setzen. Nicht ganz so spektakulär, aber trotzdem aufregend, war eine Reise mit dem Zug nach Oldenburg. Dort wohnt ihre jüngere Schwester. Irgendwie hatte es sich während ihrer Karriere nicht ergeben, sie zu besuchen. Jetzt aber war es an der Zeit, dass sich Kristina mal auf den Weg machte.

Der Unfall hat die Schwestern, insgesamt aber auch die Familie, noch näher zusammengebracht. Auch ihr Freund Michael gibt ihr viel Kraft, Sicherheit und vor allem Liebe. Sie alle sind für Kristina da.

Ein Jahr nach dem Unfall war ihr Terminkalender fast so voll, wie als Profisportlerin: Reha, Sponsorentermine und Fernsehauftritte. Sie suchte und fand neue Aufgaben. Auch die Politik interessiert sie. Als parteilose Kandidatin wurde sie in den Erfurter Stadtrat gewählt. Ihr Motto: „Einfach mal gucken, wie mir so ein Ehrenamt in der Kommunalpolitik gefällt, und was ich bewegen kann.“ Sie will sich keine Grenzen setzen und hat noch so viele Ideen.

„Machen ist wie wollen, nur krasser.“

So lautet ihr Motto – auch schon vor dem Unfall, aber jetzt bekommt es eine neue Bedeutung. Kristina macht, sie versteckt sich nicht. Sie möchte ihre Geschichte erzählen, um Menschen damit zu motivieren. Vielleicht gehört ihr ja auch dazu…?

Eure Britta Hoffmann


Britta Hofmann

Moderatorin des „Super Samstag“ bei SKY Fußball

Ihre große Liebe Fußball hat sie schon früh zu ihrer Berufung geführt. Sie wollte schon mit 12 Sportjournalistin werden, hat sich dafür durch den Eignungstest an der Sporthochschule gequält und viele Praktika absolviert. Studium und Volontariat sollten die Basis bilden, um dann viele eigene Erfahrungen zu sammeln. Seit 2005 steht Britta vor der Kamera, mittlerweile fängt sie für sky Emotionen vom Spielfeldrand ein oder analysiert mit Experten im Studio.

Human being

Samuel Koch


Illustration: Friederike Lohrer

Ich habe durch meinen schweren Unfall im Dezember 2010 bei „Wetten, dass …?!“ an „Ansehen“ verloren. Zumindest sehe ich mich selbst nicht mehr gern an.

Aber im Ernst: Die Art von Aufmerksamkeit, die ich durch meinen öffentlichen Unfall und durch den Rollstuhl auf mich ziehe, ist nicht die, die ich anstrebe. In dieser Hinsicht wäre ich froh, weniger Aufsehen zu erregen. Wenn ich irgendwo im Ausland durch eine Fußgängerzone fahre und niemand mich erkennt oder anspricht, genieße ich das sehr.

Trotzdem will ich natürlich wahrgenommen werden. Aber eben nicht um jeden Preis, sondern im besten Fall durch gute Leistungen – das ist ein Grund, warum ich mich sozusagen aktiv auf der Theater-Bühne „zur Schau stelle“.

All das bildet allerdings nicht die Basis meiner Persönlichkeit. Wenn ich morgen meinen Beruf des Schauspielers – aus welchen Gründen auch immer – nicht mehr ausüben könnte, wäre das zwar schade, ich würde aber nicht daran verzweifeln oder mich wertlos fühlen. Weil ich zum Glück schon in meiner Kindheit vermittelt bekam, dass mein Wert nicht von meiner Nützlichkeit, meiner „VerWERTbarkeit“ oder Leistung abhängt.

Dafür sorgte vor allem mein Vater, dem es sehr wichtig war, dass meine Geschwister und ich ein gesundes, gutes Selbstwertgefühl und Selbstbewusstsein entwickeln. Immer wieder sagte er uns, auch einfach so aus dem Nichts heraus: „Eins plus!“ Selbst mitten in Streitgesprächen. Als ich einmal vollkommen geschockt, da nur Einsen und Zweien gewohnt, mit meiner ersten schlechten Note nach Hause kam – ich glaube, einer Fünf in Englisch –, schenkte er mir eins der teuersten und modernsten Jo-Jos, die gerade auf dem Markt waren. Damit unterstrich er wieder mal, dass ich für ihn „Eins plus“ bin, und zwar als sein Sohn Samuel. Unabhängig von meinen Leistungen in der Englischarbeit.

Mein Vater ist natürlich trotzdem menschlich und hat auch irgendwo Fehler. Aber dieser Zug an ihm, dass er immer bemüht war, mich als sein Kind wirklich bedingungslos zu lieben, der ist im Grunde „übermenschlich“, also göttlich. Und so stelle ich mir auch Gott vor: Er liebt mich, weil ich bin – mehr muss ich dazu nicht leisten oder tun.

Die allermeisten Leute scheinen nach dem Prinzip zu leben:

Tun – Haben – Sein.

Das heißt, sie tun etwas: Zur Schule gehen, studieren, arbeiten, aufräumen, posten.

Daraufhin haben sie etwas: Geld, einen Abschluss, Freunde, Follower, teure Klamotten, Style und so weiter.

Dann erst sind sie etwas: Sie sind wer, weil sie etwas getan und erreicht haben. An ihren Errungenschaften messen sie ihren Wert. Ein Prinzip, mit dem man gut und gerne 102 Jahre lang leben und auch glücklich werden kann.

Was aber, wenn die Freundschaft zerbricht, ein anderer den Job bekommt oder die Pubertät ihr Unwesen im Gesicht treibt?

Ich habe die Erfahrung gemacht, dass ich glücklicher bin, wenn ich die gängige Reihenfolge umdrehe:

Sein – Haben – Tun.

Wir sind schon wertvoll, einfach weil es uns gibt. Weil wir von Gott geliebt sind. Dadurch haben wir etwas (einen herausragenden Wert) und aus dem heraus können wir etwas Wundervolles tun. Wenn das Tun aber wegfällt, sind wir am Schluss immer noch jemand Wertvolles. Wir „sind“ einfach. Das reicht, um liebenswert zu sein. Vielleicht heißt es deshalb im Englischen auch „human being“ und nicht „human doing“?!

Dein Samuel Koch


Samuel Koch,

750 Jahre jünger als Berlin, Schauspieler, STEHAUFMENSCH! und Autor unter anderem des gleichnamigen Buches unterstützt mit seinem Verein Samuel Koch und Freunde e.V. seit 2019. Menschen, die andere Menschen in Notlagen zur Seite stehen und wünscht, dass diese Menschen wieder neuen Mut, Kraft und Hoffnung schöpfen können.

#weilduwaswertbist

Déborah Rosenkranz


Illustration: Sarah Busam

„Déborah, ich kann es kaum erwarten, bis ihr endlich an den Bodensee zieht. Ich denke, ich habe mich in dich verliebt!“

Marc, der extra die zwei Stunden Fahrt auf sich genommen hat, um mir an meinem aktuellen Wohnort beim Packen zu helfen, strahlt mich an. „Hä, was hat der für ein Problem? Sieht der mich nicht? Ich bin fett, ich bin hässlich. Ich bin krank! Kann der sich nicht in eines der schönen Mädchen ohne Probleme verlieben?“ Alles in mir wollte schreien. Sich verstecken. Um sich schlagen. Und dann folgen Worte, die sich in mein Herz eingebrannt haben: „Ich will dich! Weil du was wert bist!“

Willst du meine Geschichte hören? Sie ist eine, die mich fast das Leben gekostet hätte. Ja, ich war mit 13 etwas dicker als andere. Doch es war kein Drama für mich, denn ich hatte immer schon eine große Klappe, war eine gute Schülerin und auch sehr sportlich. Damit kompensierte ich die Aufmerksamkeit, die ich für mein Aussehen eben nicht bekam. Doch genau beim Sport sollte es passieren. Der Moment, der mein Leben für immer veränderte und mich schlussendlich fast umbrachte. Es war nur ein Satz, doch leider der Satz meines großen Schwarms, der uns im Training zusah. „Déborah, du spielst so gut Handball, doch frage ich mich, wie man mit so viel Fett überhaupt rennen kann?!“ Als hätte er ausgeholt und mir eine schallende Ohrfeige verpasst. In diesem Moment wurde mir klar, was alle wohl schon lange vor mir erkannt hatten: „Déborah ist einfach nur ein fetter Klops, der ein bisschen Handball spielen kann.“ Wie konnte ich all die Jahre glauben, dass ich es wert bin, überhaupt am Leben zu sein? Ich bin ein Fehler! Die Welt braucht mich nicht. Dieser Lüge gab ich von diesem Moment an die Macht über mein Leben. Von diesem Tag an begann ich zu hungern. Denn ich wollte weniger werden, bis nichts mehr von mir übrig war. Weniger werden, bis ich ganz verschwinde…

 

Ein Jahr später hatte ich fast 30 Kilo verloren und mit ihnen auch meine Lebensfreude, meine gute Laune, meinen Sport und fast alle Freunde. Denn alles, was mit Essen zu tun hatte, vermied ich. Ich war besessen von dem Gedanken: „Du kannst nur geliebt werden, wenn du schlank, also normal, bist.“ Ich hasste das Essen. Und so schloss ich mich in meinem Zimmer ein, wurde depressiv und versuchte, abends so früh wie möglich einzuschlafen, um das Hungergefühl nicht mitzubekommen. Jedes Gespräch mit meinen Eltern endete im Streit: „Ich hasse euch“, war das einzige, was ich noch zu ihnen sagte. Mittlerweile verlor ich meine Haare büschelweise und auch meine Tage hatte ich nicht mehr, was für mich persönlich das Schlimmste war, da ich mir doch immer Kinder gewünscht hatte. Die Worte meines Arztes hallten in mir nach: „Du wirst nie Kinder bekommen können.“ Ich wollte weinen, doch mein Stolz ließ es nicht zu. Stattdessen antwortete ich: „Hauptsache, ich hab mich im Griff und bin nicht so fett wie Sie!“ Ich war fast täglich bei Ärzten und wickelte sie alle um den Finger. Als einer fragte, ob ich denn etwas an meiner Ernährung verändert hätte, lachte ich laut los. Denn mittlerweile lebte ich von maximal einem halben Apfel am Tag. Doch was mich beunruhigte, das war mein Bein. Denn ich konnte es von einem Tag auf den anderen nicht mehr bewegen. Kein Gefühl. Tot. Wieder beim Arzt, bat mich dieser, draußen zu warten. Er wollte nur mit meiner Mutter sprechen, was mich sauer machte. So schlich ich mich vor die Tür und hörte ihn in diesem Moment sagen: „Frau Rosenkranz, wir haben alles versucht. Doch an dieser Stelle geben wir ihre Tochter auf. Sie hat nur noch 3 bis 4 Wochen zu leben.“

Schockstarre. Angst. Panik. Er hatte die Worte ausgesprochen, die ich befürchtet hatte. Denn wenn ich ehrlich bin, hatte ich es körperlich kommen sehen.

Jetzt war eh alles zu spät. Verbotenerweise ging ich ein paar Tage später abends auf ein Konzert. Und es war der Horror. Nicht das Konzert, aber das Gefühl, mehr tot, als lebendig zu sein. Alle tanzten, nur ich, ich war so schwach geworden, dass ich kaum noch stehen konnte. Ich war so dünn geworden, dass ich meine Hände in die Hüftknochen legen konnte. Am Ende des Konzerts war ich sehr froh, als meine Freunde endlich heim wollten, doch natürlich wurde noch bei McDonald’s angehalten. Mein absoluter Albtraum. Ich glaubte ja tatsächlich, dass ich vom Einatmen der fettigen Luft dort zunehmen würde. So wartete ich draußen vor dem Eingang und der Hunger zerriss mich förmlich. Hunger nach Leben.

Gegen ein Uhr morgens schlich ich mich endlich am Schlafzimmer meiner Eltern vorbei, um sie ja nicht zu wecken. Doch da hörte ich sie weinen. Laut. Bitterlich. Und ich hörte meine eigene Mutter sagen: „Wir können ja schon den Sarg für Déborah bestellen. Sie wird eh sterben.“ In dem Moment brach ich vor ihrer Schlafzimmertüre zusammen und weinte. Ich hatte keine Kraft mehr und wollte nicht mehr kämpfen. Es war so anstrengend. Zu anstrengend. Doch in diesem Moment antwortete mein Vater mit einer festen Stimme: „Nein, wir werden weiter für unsere Tochter beten! Unsere Tochter wird leben!“ Und dann fingen sie an, in einfachen Worten für mich zu beten! Für mich, die so zickig, aggressiv und böse zu ihnen gewesen war. Und in diesem Moment spürte ich das erste Mal nach all den Jahren, dass ich etwas wert sein musste. Ganz egal, wie ich aussehe. Egal, wie meine Diagnose lautet. Ob ich noch 5 Tage oder 50 Jahre zu leben habe. Ich bin wertvoll, so wie ich bin.

Meine Geschichte hat eine Stimme bekommen, um anderen Mädchen Mut zu machen. Auch Deine Geschichte hat eine Stimme; was wird sie uns erzählen? Und ich kann dir sagen, dass meine Geschichte in Büchern, Vorträgen und Liedern in der Zwischenzeit so viele Leben gerettet und mir damit so viele Momente der Freude bereitet hat. Ich durfte über die Jahre gesund werden, was kein leichter Prozess war – ganz im Gegenteil. Die Ärzte meinten damals auch, ich würde nie ganz gesund werden. Doch ich durfte es ganz anders erleben und komplett heil werden. Doch unabhängig davon, wie es ausgeht, habe ich heute erkannt, dass ein Wunder in jeder Wunde steckt. Und die Frage vielmehr lautet: „Weißt du eigentlich, dass dein Leben kein Fehler ist?!“ Wieso? #weilduwaswertbist


Déborah Rosenkranz,

37, Sängerin und Buchautorin, tourt seit Jahren durch verschiedenste Länder der Welt. Sie hat eine Einrichtung für Mädchen mit Essstörungen mit initiiert und gewann hierfür 2016 den Emotion Award für „Soziale Werte“. Ihre Plattform der Musik nutzt sie, um Menschen zu ermutigen und Hoffnung weiterzugeben.

Höre den Song zu Déborahs Geschichte auf ihrem YouTube Kanal: „Ein Gebet“.

www.deborah-rosenkranz.com

Tankstelle der Liebe

Michael Stahl


Foto: Anne Rottler

„Was für eine Herausforderung!“, dachte ich mir, als mein Freund David Kadel mich darum bat, ein Kapitel zu diesem wunderbaren Buch beizusteuern, das zur Ermutigung für Jugendliche dienen soll. Ich dachte an viele wunderbare Kids, die ich in meinem Dienst als Trainer für Selbstbehauptung und als Vortragsredner in vielen Projekten kennenlernen durfte, und ich fühlte mich dieser Aufgabe kaum bis gar nicht gewachsen. Im Gegenteil, ich sagte David, diese Kids sollten für uns ein Buch schreiben, aus dem wir lernen können. Na ja, nun sitze ich hier am PC und ringe mit meinen Gedanken und meinem Herzen.

Ein Maler wurde mal gefragt, wie er es schafft, Licht in einem Bild zu erzeugen. Seine Antwort darauf war: „Indem ich viele Schatten male!“ Ja, so werde ich Dir nun von ein paar Schatten meines Lebens berichten, in der Hoffnung, dass das Licht dadurch bei Dir mehr und mehr zum Leuchten kommt und damit Hoffnung, Trost und Kraft verbreitet.

Ich bin Jahrgang 1970, also schon ein ziemlich alter Knochen. Ich wuchs in sehr ärmlichen Verhältnissen auf. Ein eigenes Zimmer hatte ich nicht; stattdessen musste ich als kleiner Knirps mit meinem Papa auf Betteltouren gehen, um irgendwie zu überleben. In der Schule hatte ich oft auch nichts zu lachen. Da waren ein paar Jungs, die es auf mich abgesehen hatten, und das über Jahre hinweg. Heute, viele Jahre danach, kenne ich ein Stück der Geschichte von denen, die mir damals wehgetan haben. Ich stellte fest, dass es ihnen selbst nicht gut ging. All die Verletzungen, die Gemeinheiten und die Lieblosigkeiten, die sie mir entgegenbrachten, haben sie selbst davor von anderen Menschen abbekommen. Heute verstehe ich sie sogar, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass es gemein und verletzend war.

Oh Mann, was hatte ich für eine Kindheit! Der Papa ging jeden Tag in die Kneipe, in der Schule wurde ich nicht selten gejagt und lächerlich gemacht. Doch in all dem gab es einen Ort, an dem ich mich sicher und geborgen fühlte. Es war und ist die kleine Kirche in unserem Dorf. Schon als kleiner Junge erzählte mir meine Oma von Jesus, diesem wunderbaren Mann, welcher der Grund für Weihnachten und Ostern ist. Jesus, der alle Menschen liebt, der für die Armen, Schwachen und Ausgestoßenen da war. Ja, all das passte auch zu mir. Wenn also Menschen mir mal wieder was Schlimmes antaten, dann rannte ich in diese kleine Kirche und erzählte ihm, der da am Kreuz hing, meine Sorgen und mein ganzes Leid.

Wenn man mich geschlagen hat, sprach ich es vor ihm aus: „Jesus, heute haben sie mich geschlagen!“, und mir war, als würde er sagen: „Ich weiß, wie sich das anfühlt, auch mich haben sie geschlagen.“ Wenn ich mich als Jugendlicher von allen verlassen und gedemütigt fühlte, sprach ich das auch aus, und wieder war mir, als würde er mir antworten: „Auch das kenne ich, Michael!“

Ich fühlte mich dadurch oft verstanden und nicht mehr ganz so allein. Damals lernte ich bereits, dass es für vieles oft keine schnelle Antwort gibt, aber wie wertvoll es ist, wenn einer einfach da ist, zuhört und versteht. Daher berührt es mich verstehen zu dürfen, dass der Name Gottes „Jahwe“ wörtlich übersetzt „Ich bin für Dich da“ bedeutet. Genau dies erlebte ich als junger Kerl und darf es auch heute als Erwachsener immer wieder neu erfahren.

Diese kleine Kirche wurde zu einer Art „Tankstelle“ meines Lebens. Genau genommen nicht die Kirche, sondern der, mit dem ich mich dort traf, nämlich dieser Jesus.

In den Jahren danach lernte ich, dass er überall ist, dass er mit mir sogar in die Schule ging. Oh, wie oft hatte ich Angst, dieses große graue Gebäude zu betreten. Heute bin ich seit fast 27 Jahren mit Mut machenden Projekten an unzähligen Schulen gewesen. Jesus war bei mir, als ich mit 18 Jahren obdachlos war – heute darf ich mit Obdachlosen arbeiten. Ich betrieb intensiv Kampfsport, weil mein Leben wohl oft ein Kampf war und ich einen Ort brauchte, bei dem ich all meiner Wut und meinen Schmerzen freien Lauf lassen konnte. Ich ging in den Sicherheitsdienst, wohl nur aus dem Grund, weil ich so große Sehnsucht nach „Sicherheit“ hatte. In meiner Wut und all dem Schmerz verletzte ich viele Menschen, was mir heute unbeschreiblich leid tut. Doch irgendwann durfte ich nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen verstehen, dass Jesus mit seinem Leben für all das bezahlt hat, was Menschen mir angetan haben und auch für das, was ich anderen an Kummer und Schmerz bereitet habe. Mit dieser Erkenntnis fühlte ich mich Stück für Stück freier und konnte viele Menschen auch um Verzeihung bitten und ihnen gegenüber Liebe aussprechen.

Jesus wurde zum größten Geschenk meines Lebens. Dieses Geschenk brachte mir Hoffnung und Freiheit. Ich weiß: Was immer auch kommt, ich bin nie allein, weil „Ich bin für Dich da“ immer für mich da ist.

Am 23.10.2010 hatten meine Frau und meine Tochter einen schrecklichen Autounfall. Ich kann meine Gefühle, die ich damals hatte, kaum beschreiben, aber „Ich bin für Dich da“ war da. Am 21.2.2018 erlitt ich einen Herzinfarkt. Während ich nackt in der Notaufnahme lag und die Ärzte um mein Leben kämpften, spürte ich auch hier: „Ich bin für Dich da“ war und ist immer da. Auf viele Fragen habe ich gar keine Antworten. In meinem Beruf begegnen mir so viel Leid, soviel Wut, soviel Hass, ja auch so viel Böses. Aber einst hörte ich, dass Kälte nur die Abwesenheit von Wärme ist, dass Dunkelheit nur die Abwesenheit von Licht ist und dass das Böse nur die Abwesenheit von Liebe ist.

Es geht also um Liebe. Gott ist die Liebe. Letztendlich ist „Liebe“ unser aller Sehnsucht. Deshalb rannte ich Tag für Tag in die kleine Kirche. Deshalb hatte ich Wut und betrieb intensiv Kampfsport, weil ich nach dieser Liebe jagte, und deshalb ging ich in den Sicherheitsdienst, um tief im Inneren nach dieser Liebe und somit nach Sicherheit zu suchen.

Die Tankstelle der Liebe trage ich nun in meinem Herzen, ja, Jesus selbst. Im Sicherheitsdienst bin ich nicht mehr. Kampfsport betreibe ich nur noch, weil es mir Spaß macht, mich auszutoben. Den Beruf des Personenschützers übe ich nicht mehr aus, aber genau genommen bin ich es immer noch und werde es immer bleiben, weil wir alle Personenschützer sind – für uns und unsere Mitmenschen. Weil es so kostbar und wunderbar ist, wenn wir aufeinander aufpassen. Manchmal werden wir selbst somit sogar zur „Tankstelle der Liebe“.

Kurz bevor ich diese Zeilen schrieb, kniete ich am Bett eines fünfjährigen Jungen, der an Krebs erkrankt ist. Sein Name ist David. Er sagte mir, dass Jesus die Liebe seines Lebens ist. Auch er trägt diese „Liebes-Tankstelle“ in seinem Herzen.

Heute, mit 49 Jahren, bin ich immer noch auf dem Weg, vieles zu lernen und werde es wohl bis zur letzten Sekunde meines Lebens sein. Heute verstehe ich die Armen, weil ich selbst arm war. Heute verstehe ich die Gemobbten, weil ich selbst gemobbt wurde, heute verstehe ich die Obdachlosen, weil ich selbst obdachlos war, heute verstehe ich jene, die Katastrophen erleben, weil ich selbst Katastrophen erlebte, und verstehe jene, die um ihr Leben bangen, weil ich auch um mein Leben bangen musste. Vielleicht musste ich all dies erleben, um heute das zu tun, wonach mein Herz sich sehnt. Ich weiß es nicht genau, aber ich lebe meine Berufung.

Ich wünsche Dir, diese Tankstelle der Liebe persönlich kennenzulernen und zu lieben und sie fest im Herzen zu verankern. Möge sie Dir Hoffnung, Kraft und Trost spenden und die Gewissheit, wo immer Du auch bist und was auch immer passiert: „Ich bin für Dich da“ ist immer da!

HERZlichst

Dein Michael Stahl


Michael Stahl,

6.9.1970 aus Bopfingen – verheiratet 2 Kinder – Buchautor & Trainer für Selbstbehauptung – mein großes Hobby ist alles rund um Fußball und Bücher schreiben.

www.security-stahl.de

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