Osteopathie und Swedenborg

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Osteopathie und Swedenborg
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Osteopathie und Swedenborg

Der Einfluss Emanuel Swedenborgs auf das Entstehen und die Entwicklung der Osteopathie – insbesondere auf Andrew Taylor Still und W. G. Sutherland

David B. Fuller, DO, FAAO


ÜBER DEN AUTOR

David B. Fuller, DO, FAAO ist praktizierender osteopathischer Mediziner mit einem langjährigen Interesse an jener Philosophie, der der osteopathischen Medizin und Gesundheitsfürsorge zugrunde liegt. Er hat sich im Bereich neuromuskulärer Techniken, integrativer (holistischer) Medizin und Allgemeinmedizin spezialisiert. Fuller ist Mitglied der American Academy of Osteopathy, eine Organsitation, deren Mitglieder sich der Umsetzung jener holistischen Philosophie verschrieben haben, die der klassischen Osteopathie zugrunde liegt.

Osteopathie und Swedenborg

© 2012 Swedenborg Scientific Association

ISBN 978-3-936679-34-2

Swedenborg Scientific Association

P.O.Box 757, Bryn Athyn, Pennsylvania 19009, USA

www.swedenborg-philosophy.org

Osteopathy and Swedenborg

von David Fuller, DO, FAAO

© 2013, JOLANDOS

Am Gasteig 6 – 82396 Pähl

978 - 3-936679 - 34-2 (Buch)

978 - 3-941523 - 17-3 (mobi)

978 - 3-941523 - 39-5 (epub)

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ÜBERSETZUNG

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Christian Hartmann

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Jede Verwertung von Auszügen dieser deutschen Ausgabe ist ohne Zustimmung von JOLANDOS unzulässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Mikroverfilmungen und Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Medien.

INHALTSVERZEICHNIS

COVER

TITEL

ÜBER DEN AUTOR

IMPRESSUM

ABKÜRZUNGEN UND LEGENDE

VORWORTE UND DANKSAGUNG

1. EINFÜHRUNG UND ÜBERBLICK

2. DIE BIOGRAFIE SWEDENBORGS

3. DARLEGUNG VON SWEDENBORGS SCHLÜSSELANSCHAUUNGEN

4. DIE FRÜHE VERBREITUNG VON SWEDENBORGS IDEEN

5. EMERSON, DIE TRANSZENDENTALISTEN UND SWEDENBORG

6. PHRENOLOGIE

7. MESMERISMUS UND MAGNETISCHES HEILEN IN NORDAMERIKA

8. SWEDENBORGIANISCHE IMPULSE IN DEN 1840ER UND 1850ERN

9. DIE BEWEGUNG DER NEUEN ÄRA

10. DER MESMERISMUS, DIE NEUE KIRCHE, GEORGE BUSH UND DER JUNGE ANDREW JACKSON DAVIS

11. DIE PHILOSOPHIE DER HARMONIE UND DER FRÜHE SPIRITISMUS

12. DER AMERIKANISCHE SPIRITISMUS

13. ALFRED RUSSEL WALLACE: EVOLUTION, SPIRITISMUS UND SWEDENBORG

14. DIE NEW ENGLAND EMIGRANT AID SOCIETY

15. METAPHYSISCHE BEWEGUNGEN AM ENDE DES 19. JAHRHUNDERTS – NEUGEIST

16. THEOSOPHIE UND BIOGEN

17. DIE BIOGRAFIE ANDREW TAYLOR STILLS

18. VERGLEICH DER PARADIGMEN STILLS UND SWEDENBORGS

19. J. M. LITTLEJOHN, DO

20. DIE BIOGRAFIE SUTHERLANDS

21. ÜBERBLICK ÜBER SWEDENBORGS PARADIGMA DES GEHIRNS

22. SWEDENBORG UND SUTHERLAND – VERGLEICH UND GEGENÜBERSTELLUNG IHRER PARADIGMEN

23. HISTORISCHE VERBINDUNGEN ZWISCHEN SUTHERLAND UND SWEDENBORG

24. ZUSAMMENFASSUNG VON SWEDENBORG UND SUTHERLAND

25. ROBERT C. FULFORD, DO

26. OSTEOPATHIE UND DIE NEUE KIRCHE

27. SWEDENBORG UND DIE OSTEOPATHIE – VERGANGENHEIT, GEGENWART UND ZUKUNFT

ANHANG A: ZEITTAFEL

ANHANG B: VERGLEICH DER PARADIGMEN VON STILL UND SWEDENBORG

ANHANG C: VON A. T. STILL VERWENDETE BEZEICHNUNGEN GOTTES

LITERATURVERZEICHNIS

ENDNOTEN

INDEX

FUSSNOTEN

ABKÜRZUNGEN

AAO = American Academy of Osteopathy

AAAO = American Association for the Advancement of Osteopathy

AOA = American Osteopathic Association

ASO = American School of Osteopathy

FAAO = Fellow der American Academy of Osteopathy

FCA = Fellow der Cranial Academy

SSA = Swedenborg Scientific Association

LEGENDE

[ ] = Ergänzungen vom Autor, Übersetzer oder Herausgeber

Fußnoten = Hinweise des Herausgebers

Endnoten = Hinweise des Autors

VORWORT DES HERAUSGEBERS

Swedenborg-Anhänger mögen es mir verzeihen, dass Osteopathie in meinem Vorwort einen so großen Raum einnehmen wird. Da der JOLANDOS-Verlag auf die Veröffentlichung deutschsprachiger Literatur im Bereich Geschichte und Philosophie der (klassischen) Osteopathie spezialisiert ist, liegt dies aber in der Natur der Sache. Zudem besitze ich aufgrund eingeschränkter Kenntnisse von Swedenborgs immens umfangreichen Schriftwerks nicht die Qualifikation eine entsprechend fundierte Analyse zu Swedenborg einfließen zu lassen. Dies überlasse ich dem ausgewiesenen Swedenborg-Experten David Fuller in seiner Einführung.

WARUM DIESES BUCH SO WICHTIG FÜR DIE OSTEOPATHIE IST

Fragt man Osteopathen, was Osteopathie ist, erhält man eine Vielzahl von Antworten: Medizinphilosophie, Sonderform der Chiropraktik, medizinisches Verfahren zur Behandlung des muskuloskelettalen Systems, Erweiterung des physiotherapeutischen Systems, energetisches Heilverfahren, Handauflegen, bis hin zu Aussagen wie etwa „Osteopathie ist das, was man daraus macht.“ – alles ist geboten. Diese offenkundige Identitätskrise der zeitgenössischen Osteopathie erscheint umso erstaunlicher, als die gerade einmal ein gutes Jahrhundert alte klassische Osteopathie der Gründerväter A. T. Still, J. M. Littlejohn und W. G. Sutherland ein in sich geschlossenes, vollkommen von der Systematik der regulären Medizin und den auf ihnen aufbauenden Verfahren/​Methoden (z. B. Manualmedizin = Chirotherapie) oder Begleitberufen (z. B. Physiotherapie) unabhängigen Medizinsystem beschreibt. Die Abgrenzung der klassischen Osteopathie gegenüber der regulären Medizin jener Zeit ist in der Literatur der Gründerväter bereits deutlich nachzuvollziehen: Während die reguläre Medizin (bis heute) überwiegend nach Pathologien sucht und diese zu bekämpfen versucht, vertraut die klassische Osteopathie den inherenten Selbstorganisationsmechanismen des Organismus als Ausdruck vollkommen harmonisch agierender Naturgesetze. Still bringt dies auf den Punkt, wenn er schreibt:

 

„Gesundheit zu finden sollte die Aufgabe des Arztes sein.

Jeder kann Krankheit finden.“ 1*

Es gilt also nicht mehr ‚böse Wesen‘ in Form von Krankheiten bzw. ‚Pathologien‘ zu suchen, zu klassifizieren und durch ‚heroische‘ Eingriffe zu bekämpfen; vielmehr lag der therapeutische Fokus der klassischen osteopathischen Medizin ausschließlich auf jenen Mechanismen, die Zeit unseres Lebens Gesundheit generieren und allein das Recht besitzen, sich ‚Drachentöter‘ zu nennen – und denen folglich auch der alleinige Preis des Siegers gebührt. Hier sei aber explizit erwähnt, dass Still sich bei seinen Ausführungen stets auf allgemeinmedizinische Beschwerdebilder im hausärztlichen Kontext bezieht.

Stills streng salutogenetische2* Behandlungsansatz der klassischen Osteopathie stand also von Beginn an im Gegensatz zur pathogenetisch orientierten Basisphilosophie weiter Teile der regulären Medizin und ihren Ablegern, wie etwa der Physiotherapie. Sie widerspricht aber auch vielen Strömungen innerhalb der Alternativ- oder Komplementärmedizin, bei denen zwar von Selbstheilungskräften gesprochen wird, diese Begriffe bei genauerem Nachfragen aber häufig dann doch wieder als Abwesenheit von Pathologien verstanden werden und zu deren Überwindung wieder ein ‚heldenhafter Behandler‘ auf seinem weißen Schimmel angeritten kommen muss. Nebenbei sei erwähnt, dass die klassische Osteopathie auch im Gegensatz zu unserem heutigen Kassensystem steht, da dieses fast ausschließlich auf pathologiebezogener Diagnostik vergütet. Um die für das Therapeuten-Ego so bedrohliche und in das Kassensystem nicht so recht passende klassische Osteopathie gefügig zu machen, wird daher immer wieder versucht, diese passend zu machen, was zur vieldeutigen Verzerrung und damit zwingend zur bereits erwähnten Identitätskrise führen muss. Ein Blick in den aktuellen Wikipedia-Eintrag beweist dies eindrücklich. Dort finden wir:

„Die Begriffe Osteopathie […], osteopathische Medizin und osteopathische Behandlung beschreiben im Bereich der Alternativmedizin verschiedene Krankheits- und Behandlungskonzepte.

In Europa werden darunter unterschiedliche befunderhebende und therapeutische Verfahren verstanden, die manuell, also mit den bloßen Händen des Behandlers ausgeführt werden.“ [Unterstreichungen nachträglich eingefügt]

Seien Sie also kritisch, wenn Sie Definitionen zur Osteopathie lesen, da diese zumeist ohne ausreichende Kenntnis der klassischen Osteopathie erstellt und von starken Interessensgruppen überwacht werden. Besonders deutlich wird dies, wenn immer wieder von Stills angeblichen ‚Prinzipien der Osteopathie‘ gesprochen wird. Diese wurden von der American Osteopathic Association in den 1950ern festgelegt und spiegeln nur bedingt die Philosophie der klassischen Osteopathie wider.

Will die Osteopathie eine echte Zukunft haben, wird sie wohl kaum umhin kommen sich wieder auf die Philosophie der klassischen Osteopathie zu besinnen. Dort – und nur dort – wird sie jene Identität und Kohärenz finden, die fundamental für eine homogene und kraftvolle Weiterentwicklung und damit für das authentische Überleben sein wird. Schon bei Sutherland können wir ganz richtig nachlesen:

„Wir müssen zur Wissenschaft der Osteopathie zurückkehren. Wir können nirgendwo anders hingehen.“ 3*

Und um gleich Missverständnissen in diesem Zusammenhang vorzubeugen: Es geht bei diesem Zurückkehren nicht um die Idealisierung bzw. Dogmatisierung der klassischen Osteopathie und Ihrer Gründerväter – Still selbst hat die Verehrung seiner Person stets vehement kritisiert –, sondern um eine (selbst-)kritische, sachliche und umfassende Rückbesinnung auf das ehemals einheitliche Fundament der Osteopathie. Und diese Rückbesinnung auf die klassische Osteopathie ist naturgemäß nur durch vertieftes Studium der Gründerliteratur und jener dazugehörigen Brückenliteratur möglich, die uns ihr Entstehen, ihre Sprache und ihre Deutung erschließen. Aus den bisher zwei im deutschsprachigen Raum erhältlichen Titeln besagter Brückenliteratur4* erfahren wir dabei skizzenhaft, dass Stills Philosophie der Osteopathie maßgeblich von vier Geistesströmungen geprägt wurde: Dem Methodismus, der schamanistisch geprägten Weltsicht der Shawnee-Indianer, der Evolutionstheorie und vom Amerikanische Transzendentalismus, mit seinem wohl stärksten Seitenast, dem Spiritismus und dessen besonderen Heilsystem. Gerade dieser Spiritismus aber, welcher die Menschen in den noch jungen Vereinigten Staaten von Amerika im Zuge der großen Erweckungsbewegung im 19. Jahrhundert maßgeblich prägte, geht in weiten Teilen auf den schwedischen Naturwissenschaftler, Philosophen und Mystiker Emanuel Swedenborg (1688 – 1772) zurück.

Osteopathie und Swedenborg setzt sich somit als erstes Werk überhaupt mit einer der für die Entstehung der klassischen Osteopathie wichtigsten Geistesströmungen auseinander und ermöglicht dem interessierten Leser damit einen besseren Zugang zu Stills Philosophie der Osteopathie. Allein deshalb ist Fullers Werk schon jetzt ein bedeutender Eckstein in jenem Gebäude, das aus medizinhistorischer Sicht alleinig dazu legitimiert ist, sich als ‚Osteopathie’ oder ‚Osteopathische Medizin’ zu betiteln.

ZUR ÜBERSETZUNG

Bei allen Übersetzungen amerikanischer Werke zur klassischen Osteopathie begegnet man Schwierigkeiten in punkto Ausdeutung bestimmter Begrifflichkeiten. Dies trifft umso mehr auf Fullers Buch zu, da hier sehr häufig metaphysisch relevante Begriffe in unterschiedlichster Bedeutung verwendet werden. Um hier eine einigermaßen klare Struktur in Rücksicht auf Swedenborgs und Stills Weltbild einzuhalten, wurden im Rahmen der Übersetzung einige Konventionen festgelegt:

Spirit5* → Seele

… falls damit der rein himmlische bzw. unsterbliche Anteil einer Person beschrieben wird.

spirit → Geist

… im Sinne von ‚geistig‘, als Ausdruck der göttlichen Wirkungskraft. Man könnte dies grob mit ‚heiliger Geist‘ gleichsetzen.

Mind (mit großem ‚M’ im Originaltext) → Göttliche Intelligenz

… beschreibt jene höhere ‚Intelligenz’, die durch den irdisch-metaphysischen Anteil des Menschen (sein Mentales) über anatomisch-physiologische Medien, wie etwa das Gehirn, Körperflüssigkeiten, Faszien etc. in den Körper vermittelt wird (z. B. das Wirken der Selbstheilungskräfte => Nur der ‚Mind’ kann heilen => Osteopathen sind keine Heiler.

spirit/​mind → Mentales

… falls die irdisch-metaphysischen Aspekte des Menschen, wie Intelligenz und Verstand, aber auch Intuition und Wahrnehmung bzw. Empfindung in Ihrer Gesamtheit gemeint sind.

mind → Geist

… wenn der Begriff im vorigen Kontext gemeint ist, aber versehentlich klein geschrieben wurde.

mind → Verstand bzw. Intelligenz

… falls die rein irdischen Aspekte des Mentalen gemeint sind.

Diese oft in komplexen Zusammenhängen verwendeten Begriffe folgen – in Rücksichtnahme auf Swedenborgs und Stills Weltbild – folgender Hierarchie, die auf der Interpretation des Autors beruht:

Liebe und Weisheit

(die beiden alles durchdringende Aspekte Gottes)

Geist/​Seele

(unsterblicher Anteil innerhalb des irdisch Mentalen)

Mentales

(himmlisch-irdische Vermittlerinstanz innerhalb des Menschen)

Verstand/​Intelligenz

(irdische Bestandteile des Mentalen)

Anatomie und Physiologie

(irdische Vermittlerinstanz des Himmlischen)

Bewegung

(Irdischer Ausdruck des Lebens)

Weitere Konventionen bei der Übersetzung:

 Der englische Begriff animate kann mit beleben, aber auch mit beseelen übersetzt werden und wurde je nach kontextueller Bedeutung gewählt.

 Der Begriff triune muss im Zusammenhang mit Stills Philosophie der Osteopathie stets als dreifach differenzierte Einheit übersetzt werden, um eine Verwechslung mit dem religiös geprägten Begriff Dreieinigkeit oder Dreiheit tunlichst zu vermeiden.

 Der Begriff form wurde als Form übersetzt, insofern rein irdische Sachverhalte beschrieben werden. Im metaphysischen Kontext wurde Gestalt verwendet.

 In den USA sind Osteopathen vollapprobierte Ärzte (DOs), deshalb werden sie im Amerikanischen wie die klassische Mediziner (MDs) als physicians bezeichnet. In der deutschen Übersetzung wurde Osteopath oder osteopathischer Arzt für DOs und allopathischer Arzt oder regulärer Mediziner für MDs verwendet.

 Der Begriff ghosts wurde mit Geisterwesen übersetzt und ist mehr oder weniger gleichbedeutend mit dem, was wir unter Seele verstehen. Eine exakte Differenzierung ist aber an einigen Textstellen nicht eindeutig möglich.

 Gerade bei Begrifflichkeiten im Rahmen der kraniosakralen Osteopathie von Sutherland wurde die bereits im deutschsprachigen Sutherland-Kompendium von der Sutherland Cranial Teaching Foundation authorisierte Terminologie verwendet.

 Die Begriffe Spiritualism und spiritism beschreiben zwei grundverschiedene Sachverhalte und wurden entsprechend stringent mit Spiritualität und Spiritismus übersetzt.

 Begriffe, die auf einen göttlichen Ursprung hinweisen (im amerikanischen Originaltext stets groß geschrieben), wurden im deutschen Text in Kapitälchen gesetzt, also z. B. Intelligenz für Intelligence.

 Bei der Übersetzung galt ‚Authentizität vor Schönheit’, was sich an manchen Stellen naturgemäß auf die sprachliche Ästhetik auswirkt.

 Eine besondere Herausforderung bei der Übersetzung, stellte Fullers häufige Verwendung des bei uns umgangssprachlich kaum mehr verwendeten Konditionals dar. Dieses wurde ebenfalls aufgrund der schriftsprachlichen Authentizität beibehalten.

KRITIK

Bei aller Euphorie für Fullers grandioses Werk, muss korrekterweise auch auf einige kritische Punkte hingewiesen werden:

Fuller ist kein großer Rhetoriker und neigt wie viele amerikanische Autoren zu umfassenden Wiederholungen. Dies mag bestimmte Textpassagen langatmig erscheinen lassen, lohnt aber dennoch die Lektüre, da in den Details doch immer wieder neue und interessante Aspekte auftauchen.

Zudem ist Fullers Verehrung von Swedenborg offensichtlich und verleitet ihn gelegentlich zur spekulativen Indiziendeutung. Der aufmerksame und kritische Leser wird dies aber an den entsprechenden Textstellen schnell erkennen und die Aussagen leicht und klar relativieren können. Inhaltlich geht es dabei besonders um zwei höchstwahrscheinlich falsche Ausdeutungen Fullers:

- Fuller unterstellt, dass Still das ‚spirituelle Wesen‘ des Menschen hierarchisch über sein ‚mentales Wesen‘ stellt. Still hingegen betont eindeutig, dass für ihn das ‚mentale Wesen‘ des Menschen über allem und nur das Nutzen des Mentalen allein den Menschen zur seiner spirituellen Weiterentwicklung befähigt. Einfach ausgedrückt: Nicht die spirituelle Ebene ist für die Weiterentwicklung des Menschen verantwortlich, sondern allein die mentale Ebene.

- Fuller behauptet, dass bei allen Krankheitsbildern letztlich spirituelle Ursachen zugrunde liegen. Auch dies ist nicht korrekt, denn Still bleibt bei seiner Kasuistik stets im anatomisch-physiologischen Kontext, ohne auf mögliche spirituelle Einflussfaktoren einzugehen.

So gewinnt man bei der Lektüre von Osteopathie und Swedenborg zuweilen den Eindruck, als sei Stills Philosophie der Osteopathie eine nahezu unveränderte Umsetzung von Swedenborgs Paradigmen im klinischen Kontext. Still wäre aber nicht Still, hätte er Swedenborgs Weltbild einfach 1 : 1 übernommen. Als originärer und unabhängiger Denker ging er damit ebenso kritisch-wohlwollend um, wie mit allen anderen Weltsichten, die ihm begegneten und integrierte in modulierter Form lediglich das, was er auch tatsächlich als nützlich erachtete.

 

Letztlich schmälert diese einseitige Interpretation von Swedenborgs Einfluss auf Still aber in keinster Weise die große Bedeutung von Fullers Ausführungen für das bessere Verständnis der klassischen Osteopathie und damit schlussendlich auch für die Zukunft der modernen Osteopathie.

ZUM SCHLUSS

Abschließend sei noch darauf hingewiesen, dass der amerikanische Index 1 : 1 dem Original entspricht und lediglich bzgl. der Seiten angepasst wurde.

Die zahlreichen Quellennachweise wurden als Block in Form von Endnoten ans Ende des Buches gestellt, um ein möglichst ‚barrierefreies’ Lesen zu ermöglichen.

Im Literaturverzeichnis finden Sie schließlich Hinweise darauf, ob und wo bestimmte Zitate von Still und Sutherland in den aktuellen deutschen Ausgaben zu finden sind.

DO bedeutete für die Gründerväter A. T. Still, J. M. Littlejohn und W. G. Sutherland weder ‚Doktor der Osteopathie‘, noch ‚Diplom Osteopath‘, sondern stand schlicht für ‚Dig On!’ (‚Grabe weiter!’). Der damit gemeinte Wissensdurst, die begeisterungsfähige und vorurteilsfreie Neugier auf sämtliche Aspekten des Daseins, bezeichneten nach Ansicht der Gründerväter jenes Herzstück, ohne das ein vertieftes Verständnis und auch richtiges, d. h. kunsthandwerkliches Praktizieren der osteopathischen Philosophie und Wissenschaft unmöglich ist. Ihre Neugier auf Osteopathie und Swedenborg ist damit im Blick der Gründerväter ein zutiefst osteopathischer Charakterzug, zu dem man Ihnen nur gratulieren kann.

Nehmen Sie sich Zeit, genießen Sie das Lesen, lassen Sie sich entführen auf eine Reise zu einer der vier Urquellen der Osteopathie und ergründen Sie Einsichten, die bisher nur wenigen Osteopathen bekannt sind.

Ich wünsche Ihnen wie immer viel Freude bei der Lektüre!

Christian Hartmann

Pähl, August 2013