Der Aufstieg von Atlantis

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Jep.“ Ranora nickte und ein Grinsen breitete sich auf ihrem Gesicht aus.

„Geht das nicht etwas schnell?“, fragte Craibian skeptisch. „Ich meine, so lange kennst du ihn doch noch gar nicht.“

„Finde ich nicht“, widersprach Ranora. „Außerdem macht das die ganze Sache auch etwas aufregend.“

Craibian schüttelte nur den Kopf und musste nun auch lächeln. „Du scheinst ja richtig verliebt zu sein.“ Ranora lächelte nur und erwiderte gar nichts darauf. „Wie geht’s mit deiner Arbeit voran?“, fragte Craibian sie nach einer Weile.

„Ganz gut“, meinte Ranora, „jetzt, da die meisten Häuser stehen, kann ich mich wieder auf andere Sachen als Architektur konzentrieren. Ich hab schon über hundert verschiedene Arten gefunden und musste dafür noch nicht einmal die Stadt verlassen.“

„Klingt gut.“

„Hm“, murmelte Ranora. „Wie lief eigentlich dein Date mit Arieana?“

Craibian lief fast sofort rot an. „Es war kein Date, wir wollten uns nur treffen“, versuchte er klarzumachen und es stimmte ja auch. Er hatte nie explizit nach einem Date gefragt. Craibian wusste aber, dass er seiner besten Freundin nichts vormachen konnte.

„Sicher“, gab Ranora zurück und rollte mit den Augen. „Also, wie lief dein Treffen?“

„Hat nicht stattgefunden.“

„Schon wieder?“, stellte Ranora mit hochgezogenen Augenbrauen fest. „So viel kann doch keiner arbeiten.“

„Sie hat wirklich viel zu tun“, verteidigte Craibian sofort Arieana, auch wenn er selbst nicht sicher war, ob das gerechtfertigt war.

„Na ja. Willst du ein weiteres Treffen arrangieren?“, fragte Ranora ihn, ohne weiter darauf einzugehen.

„Weiß nicht“, wich Craibian der Frage aus. Natürlich wollte er weiter versuchen, sich mit Arieana zu treffen, aber vielleicht war es klüger darauf zu warten, dass sie einmal ein solches Treffen vorschlug. Geduld war zwar nicht gerade seine Stärke, aber die Sache war für ihn wichtig genug, dass er auch längeres Warten ertragen würde.

Ranora schien zu spüren, dass ihm das ganze Thema sichtlich unangenehm war und tat ihm den Gefallen, das Thema zu wechseln. „Ich weiß übrigens, welche Atlantin demnächst Mutter wird und ich kenne auch den Vater.“

Craibian sah interessiert auf. „Echt?“ Arieana war vor ihrer aller Ankunft auf Atlantis herausgerutscht, dass sie eine Patientin gehabt hatte, die plötzlich keine Magie mehr hatte wirken können und bei der sie dann bei ihren Untersuchungen eine Schwangerschaft festgestellt hatte.

„Ja, und es war doch ziemlich offensichtlich“, stellte Ranora fest.

„Und wer ist es?“

„Filki und Aiden.“

„Und sie hat mir noch nichts gesagt“, stellte Craibian gespielt gekränkt fest. Filki war ihre Quartiermeisterin auf der alten Basis, auf der Erde und später auf dem Mars gewesen und Aiden gehörte zu Talons Technikercrew. Craibian kannte beide relativ gut, hatte aber Filki seit zwei Monaten nicht mehr gesehen. „Wann ist es so weit?“, fragte er Ranora neugierig.

„Soweit ich weiß, in drei Monaten. Also Erdenmonaten“, stellte sie schnell klar.

„Das wären dann ...“, begann Craibian zu rechnen, „ in ungefähr hundertfünfzig Tagen, also fast einem Jahr.“

„Das ist so verwirrend mit den neuen Zeiten“, stellte Ranora kopfschüttelnd fest.

„Das stimmt“, seufzte Craibian, „aber es wäre noch verwirrender, wenn wir das alte Zeitsystem behalten würden, das ja auf die Erde ausgelegt ist.“

„Vielleicht gewöhnen wir uns ja irgendwann noch an das neue Zeitsystem“, meinte Ranora, klang dabei aber nicht sonderlich überzeugt. „Ich hab aber vorgestern erst zu Evan gesagt, er solle um fünfzehn Uhr zu mir kommen, als mir aufgefallen ist, dass das hier genauso sinnig ist wie 25 Uhr auf der Erde.“

Craibian musste lachen. Einige umstehende Atlantae schauten interessiert zu ihnen herüber. „Woher weißt du eigentlich, dass Filki diejenige ist, die Mutter wird?“, fragte er Ranora, nachdem er sich wieder beruhigt hatte.

Ranora sah ihn leicht verständnislos an. „Man, äh, man sieht es.“

„Ach so“, erwiderte Craibian und kam sich jetzt etwas dumm vor. Natürlich sieht man es,schalt er sich selbst. Ich Idiot. Ein Donnergrollen verhinderte, dass Ranora ihn aufgrund seiner dummen Frage aufziehen konnte und kündigt den täglichen Wolkenbruch an, der nach der Mittagszeit auf den ganzen Planeten herabfiel. Einzelne Tropfen begannen auf die Umstehenden zu fallen und schnell machten sich die meisten auf den Weg zu den Baumhäusern, um Schutz vor dem Unwetter zu suchen. Craibian erzeugte einfach eine magische Blase um sich und Ranora, von der der Regen einfach wie an Glas abperlte. „Wir sollten lieber auch gehen“, stellte Craibian trotzdem fest.

„Jep, ich hab sowieso noch eine Menge zu tun“, stimmte Ranora zu. „Und du kannst uns zwar vom Regen abschirmen, aber ich möchte hier nicht auf nassem Grund stehen, wenn ein Blitz in der Nähe einschlägt.“ Das stimmte. Dank der Kohlenstoffröhrchen, die durch ihre Nanotechnologie nun durch die Bäume verliefen, hatte jeder Baum quasi einen eigenen Blitzableiter, aber wenn der Strom durch die Röhrchen in dem Boden lief, konnte es für sie unangenehm werden. Da sie selbst einen Graphenpanzer unter ihrer Haut hatten, der den Strom ableiten konnte, waren Blitze für sie nicht lebensgefährlich, aber ein Stromschlag tat trotzdem höllisch weh. Einige von Talons Technikern hatten diese Erfahrung schon ein paarmal machen können. Der Himmel verdunkelte sich immer mehr und der zuvor noch leichte Regen schwoll rasant an.

„Man könnte fast meinen, die Welt geht unter“, stellte Craibian fasziniert fest.

Valentina genoss den warmen Regen, der durch das Blätterdach auf sie herabfiel. Sie war schon völlig durchnässt, aber das war ihr egal. Sie befand sich weit außerhalb der Stadt zusammen mit dem Pionierteam Alpha. Ihre Bewerbung war angenommen worden und nun erkundete sie zusammen mit fünf anderen Atlantae die Flora und Fauna ihres neuen Planeten. Valentina hatte sich so gefreut, als sie erfahren hatte, dass sie dabei war. Das Einzige, was sie an ihrem neuen Job nervte, war, dass ihr Bruder Hector ihre Teamkameraden angehalten hatte, auf sie aufzupassen. Hector wäre vermutlich selbst mitgekommen und ihr auf Schritt und Tritt gefolgt, wenn er nicht Käpten der Lazarus wäre und durch das Trainingsprogramm seines Generals andere Dinge zu tun hätte. Seitdem sie stark genug gewesen war, um das erste Mal nach ihrer Transformation ihr Bett verlassen zu können, war Hector ihr quasi auf Schritt und Tritt gefolgt. Er hatte sogar bewirken wollen, dass sie in der letzten Schlacht auf der Erde im Bunker bleiben konnte, obwohl ihr Volk damals jeden Kämpfer gebraucht hatte. Zu Valentinas Erleichterung war sein Vorgesetzter nicht darauf eingegangen und stattdessen war Hector ihr in der Schlacht keine Sekunde von der Seite gewichen, obwohl sie sehr gut auf sich selbst aufpassen konnte. Für ihn war sie anscheinend immer noch das hilflose Mädchen, das alleine nicht überleben konnte. Zum Glück ließ ihre Arbeit nicht zu, dass ständig eines der anderen Teammitglieder sie begleitete, aber sie fragten sie immer wieder über Kom wo sie war und wie es ihr ging. Valentina hoffte, dass das irgendwann einfach aufhören würde. Ich glaube, ich bin selbstständig genug, um keinen Babysitter zu brauchen,dachte sie, als wieder ein Kom-Ruf zu ihr geschickt wurde. Diesmal mit der Bitte, sich irgendwo unterzustellen, bis der Regen vorbei war. Ich bin ja nicht aus Zucker. Sie bückte sich und untersuchte ein Pflanze, die sie zuvor noch nie gesehen hatte. Eine prächtige violette Blume spross aus ihr hervor. Sie machte ein holografisches Bild von ihr und zupfte zwei Blätter von ihr ab, eines für die Untersuchungen und die Gendatenbank und eines für sie selbst. Sie sollten immerhin alles Neue hier erforschen und Valentina erforschte die Dinge nicht nur mit ihrem Scanner oder mit ihren Augen. Mit etwas Übung scannte sie das Blatt und als die Anzeige keine Giftstoffe anzeigte, kaute sie ein wenig darauf herum. Sofort spuckte sie die bitteren Blätter wieder aus.

Ich wünschte, du würdest das lassen,stellte Galizia seufzend fest. Das ist vielleicht einer der Gründe, warum dein Bruder weiterhin denkt, dass du auf Hilfe angewiesen bist.

Warum?,fragte Valentina im Unschuldston. Ich hab doch vorher überprüft, ob sie giftig ist.

Ja, aber niemand nimmt einfach irgendwelche Dinge in den Mund,versuchte die alte Atlantin ihr wieder einmal klarzumachen.

Aber wie soll man denn dann wissen, wie etwas schmeckt?,fragte Valentina stur. Es ist doch auch nicht falsch, etwas Neues anzusehen oder daran zu riechen.

Nein, aber, also ... Galizias Frustration war für Valentina deutlich zu spüren. Man macht es einfach nicht,wiederholte sie nur erneut, was sie ihr schon oft bei einigen Dingen gesagt hatte. Valentina hatte zwar in Rekordzeit Galizias Wissen über Biologie, Geologie, Physik und Astronomie erlernt, aber was gesellschaftliche Regeln anging, erwies sie sich als erstaunlich lernresistent. Ihr fehlte es oft an Empathie, Einfühlungsvermögen oder Respekt, doch bisher hatte sich noch niemand darüber beschwert. Auch wenn dieser Techniker Aiden sie etwas komisch angesehen hatte, als sie einfach in seine Wohnung gekommen war und ihn aufgefordert hatte, ihren Replikator zu reparieren, der bei einem ihrer Experimente wohl etwas überfordert gewesen war. Wenn sie mit anderen Atlantae zusammenarbeiten musste, kam es dadurch hier und da mal zu kleineren Problemen, doch bei ihrem neuen Job war sie die meiste Zeit allein und sie war gut in dem was sie tat. Niemand aus dem ganzen Pionierteam hatte in so kurzer Zeit so viele neue Tier- und Pflanzenarten entdeckt wie Valentina. Sie nahm alles Neue in ihrer Umgebung überdeutlich wahr und erkannte sogar kleinste Unterschiede von sehr nah verwandten Arten. So unterschieden sich fünf der Käfer, die sie heute eingefangen hatte, nur durch die Anzahl der Streifen auf ihrem Panzer. Außerdem war sie mit einem Elan bei der Arbeit, mit der sich wohl niemand messen konnte.

 

„Was haben wir denn da?“, murmelte Valentina und schritt schnell und leichtfüßig durch das nasse Moos zu der Stelle, wo sie etwas hatte glitzern sehen. Eine Art übergroßer Tausendfüßer schlängelte sich durch die Farne und sein durch das Wasser glänzender Panzer hatte ihn nun verraten. Er war in etwa so groß wie Valentinas Unterarm.

Der ist wohl etwas zu groß, um ihn im Ganzen mitzunehmen,stellte Galizia fest.

„Sorry, Kleiner“, flüsterte Valentina und tötete ihn mit einem schwachen Schuss aus ihrer kleinen Laserpistole. Sie nahm eine Probe und verstaute diese in einer kleinen Tüte, die sie mit AV 937 beschriftete. Team Alpha Valentina Probe Nr. 937. Danach besah sie sich den restlichen Tausendfüßer.

Nein, untersteh dich,warnte Galizia sie, doch Valentina ließ sich nicht von ihrem Vorhaben abbringen. Ein Stock, ein paar große Blätter als Regenschutz, ein kleiner Zauber und der Tausendfüßer brutzelte über einem magischen Feuer vor sich hin. Galizia war zwar eine Abenteurerin gewesen, aber was kulinarische Genüsse anging, war sie ganz und gar nicht entdeckerisch gestimmt. Als Valentina das erste Stück ihrer heutigen Mahlzeit probierte, weiteten sich sofort ihre Augen und sie rief laut in den Regen: „Wow, ist das gut!“ Ich muss mir davon unbedingt etwas für meinen Replikator zum einscannen mitnehmen,fuhr sie in Gedanken fort. So saftig und knusprig und ...

Ja gut, das ist wirklich lecker, zumindest wenn man nicht weiß, was es ist,musste auch Galizia zugeben.

Siehst du, und wenn ich es nicht probiert hätte, wüssten wir nie, was wir verpasst hätten,stichelte Valentina und schob sich ein weiteres Stück in den Mund und es knackte lautstark, als sie zubiss. Aber vielleicht sollte ich ihn schälen,dachte sie sich und musterte ihre Mahlzeit mit neugierigen Blicken.

Wie eine gigantische Krake zog das Metallkonstrukt seine Bahnen durch den Orbit um Atlantis. Die neue Werft war gerade fertiggestellt worden und würde in Kürze mit dem Bau des ersten Schiffs beginnen. Der ursprüngliche Entwurf der Hephaistos-Werft, aus der alle jetzigen Schiffe der atlantischen Flotte entsprangen, war von Talon und Aiden noch mal überarbeitet worden. Die neue Version war etwas größer und besaß, zusätzlich zu den acht großen Fertigungsarmen, kleine Hangars, in denen Drohnen, Shuttles und sogar Raumschiffe der Hermes-Klasse gefertigt werden konnten. Die Fertigungsarme wurden nur noch für Schiffe der Korvettenklasse oder noch größere Klassen benötigt. Gleichzeitig waren die Arme nun von außen mit Solarpaneelen verkleidet und der Reaktor im Inneren damit eingespart worden. Für die ersten Aufträge bezog die Werft ihre Rohstoffe noch von Versorgungsshuttles, die ihre Fracht aus den Minen auf Atlantis bezogen. Doch sobald ihre Erkundungstrupps geeignete Asteroiden im äußeren Gürtel gefunden hatten, würden die Ressourcen von dort kommen. Passende Minenschiffe von der Größe einer Fregatte waren bereits in Planung, ebenso wie Frachtschiffe, die mit jedem Flug Hunderttausende Tonnen an Rohstoffen transportieren konnten. Talon stand auf dem Beobachtungsdeck der Phönix und sah auf die Werft herab. Er hatte große Pläne und wenn Craibian ihm die Erlaubnis zu deren Durchführung gab, würde er diese gewaltigen Mengen an Ressourcen auch brauchen. Allerdings ging er fest davon aus, dass sowohl die geförderten Rohstoffe als auch die Kapazität der Werft von Nigel mit beansprucht werden würden. Wenn er ein Mensch gewesen wäre, hätte er vermutlich gesagt, sein Vorhaben wäre eine Lebensaufgabe. Als Atlantae hatte er aber alle Zeit der Welt, also wozu die Eile?

Erst die Werft, dann der Raumhafen, dann der Rest,dachte er sich. Vielleicht konnte er Nigel mit in sein Team holen, wenn der von ihm geplante Planetenring auch einen militärischen Zweck verfolgen würde. Vielleicht kann ich einige Verteidigungswaffen in meine Pläne mit aufnehmen,überlegte er vor sich hin. Mit einem Knopfdruck aktivierte sich das Hologramm in der Mitte des Beobachtungsdecks und rief seinen Plan des Planetenrings auf. Der Ring bestand aus 50.000 einzelnen Segmenten mit einer Länge von etwas unter einem Kilometer und sollte sich in über dreihundert Kilometern Höhe einmal um den Äquator von Atlantis ziehen. Die Segmente unterschieden sich einzig in Dicke und Funktion. Bisher hatte Talon Segmente in Handelshafen, Werft, Forschungsstation und Orbitalstadtsegment unterteilt, doch aufgrund der geringen Anzahl der Atlantae konnte er von Letzterem wohl einige Module ersetzen.

Nigel würde vermutlich wollen, dass die Verteidigungssegmente in regelmäßigen Abständen kommen, damit der Planet von allen Seiten aus verteidigt werden kann,überlegte Talon. Dann ist der Planet zwar nur um den Äquator herum geschützt, aber immerhin etwas.

Ich hätte da noch eine Idee, aber das wird nicht einfach,meldete sich Leif zu Wort, der seit fast vier Jahren in Talons Kopf wohnte. Wenn wir es schaffen, die Reichweite des Energieschilds weiter zu verbessern und einige Tests durchführen, könnten wir den Planetenring mit einem Planetenschild ausstatten. Wir könnten den ganzen Planeten vor Asteroiden, Beschuss, Strahlung und Sonnenwinden abschirmen.

Wenn ich das Craibian vorschlage und ihm die notwendigen Mittel dafür nenne, wird er mich lynchen,stellte Talon trocken fest.

Nicht wenn Nigel dir Rückendeckung gibt,widersprach ihm Lief. Er steht zwar mehr auf Raumschiffe, aber ein Planetenschild würde uns im Verteidigungsfall so viele Vorteile verschaffen, dass er es unmöglich einfach abschlagen kann.

Dann müssen wir aber Berechnungen dazu anstellen und Versuche durchführen, bevor wir zu einem der beiden damit gehen,meinte Talon nachdenklich. Sonst schlagen die es trotzdem ab.

Ich bin sicher, wir schaffen das, bevor die Bauarbeiten an diesem Punkt angekommen sind, aber wir sollten vielleicht einige Sektionen für Schildgeneratoren und Energiespeicher einplanen,erwiderte Leif, und wenn wir den Planetenring mit Solarfolien autark bekommen, steigert das bestimmt die Chance, dass Craibian das ganze Projekt genehmigt.

Das erhöht zwar den Materialbedarf, senkt aber die Unterhaltskosten,überlegte Talon. Seitdem Craibian Geld und Bezahlung für die Atlantae eingeführt hatte, musste Talon sich auch mit solchen Fragen beschäftigen. Zuvor waren seine Projekte nur von den vorhandenen Ressourcen und der verfügbaren Arbeitskraft eingegrenzt worden, aber jetzt hatte er einen monatlichen Betrag, den er ausgeben durfte und musste irgendwie damit haushalten. Er konnte nicht einmal sicher sein, dass sein Etat in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten gleich bleiben würde. Zum Glück waren die Minenschiffe, die sie gebaut hatten, staatlich und die damit geförderten Rohstoffe dadurch für ihn quasi kostenlos. Er musste nur seine Technikercrew bezahlen und eventuelle Hilfskräfte, die vielleicht anfallen würden. Wie er gehört hatte, hatten auch Ranora und Arieana Probleme mit dieser Umstellung gehabt. Besonders Arieana, die im Moment Grundlagenforschung in der Magie und Magietechnologie betrieb, hatte manchmal nicht genug Mittel, um alles so zu machen, wie sie sich es vorgestellt hatte. Nur Cyran, der einer der wenigen Atlantae war, die wirklich gute Arbeit in der KI-Programmierung und Droidenkonstruktion leistete, hatte diesbezüglich keine Probleme. Jeder Atlantae brauchte ihn, egal ob es um Droiden oder Intelligente Systeme ging und er verdiente sein Geld damit. Am Ende hat der Kerl noch mehr Geld als der ganze Staat,dachte sich Talon und musste einräumen, dass er doch etwas neidisch auf seinen Freund war. Vielleicht können wir irgendwann auch private Raumschiffe verkaufen und uns damit finanzieren,überlegte Talon weiter.

Oder wir fragen Cyran, ob er uns Geld leihen will,scherzte Leif.

Vielleicht gar keine so üble Idee, ihn ins Boot zu holen,meinte Talon. Wir sollten das im Hinterkopf behalten. Er wandte sich noch mal zum großen Aussichtsfenster des Schiffes und sah zur Werft. Diesmal ging sein Blick jedoch daran vorbei und er betrachtete stattdessen Atlantis. Das neue Atlantis. Ich bin mal gespannt, wie Craibians Pläne zu dem Ganzen hier aufgehen werden,dachte er sich. Und wieweit ich mit meinem Teil dazu beitragen kann. Er richtete sich an Leif. Glaubst du, wir schaffen es wirklich, hier eine neue Zivilisation zu erschaffen?

Das hängt wohl in erster Linie davon ab, wie schnell unser Volk wachsen kann. An Wohnraum, Schiffen und Ressourcen wird es auf jeden Fall bald nicht mehr mangeln.

Aiden war etwas nervös. Heute war der große Tag. Er hatte die letzten Wochen kaum geschlafen, doch das lag an etwas ganz anderem. Vor fünf Wochen war seine Tochter zur Welt gekommen und sie hielt ihn und Filki seitdem auf Trab. Er hatte sich schon mehr als einmal gefragt, wie seine Eltern das damals mit ihm ausgehalten hatten. Immerhin hatten die als Menschen mehr als zwei Stunden Schlaf am Tag benötigt, während er für atlantische Verhältnisse quasi ausschlafen konnte. Die kleine Amelya war für ihn und seine Freundin ein echtes Wunder, doch sie waren nicht die Einzigen, die so dachten. Amelya war das erste geborene Kind der neuen Atlantae und als solches wirklich etwas Besonderes. Die Besucher, die alle nach der Geburt hatten vorbeisehen wollen, waren fast anstrengender gewesen als Amelya selbst. Bisher hatte Aiden die meisten einfach abgewimmelt, bis auf die engsten Freunde und einigen wenigen, bei denen er sich nicht getraut hatte, sie einfach wieder wegzuschicken. Er war schon etwas überrascht gewesen, als Craibian und Talon vor seiner Haustür gestanden hatten und gefragt hatten, ob sie reinkommen dürften. Wenigstens hatten alle ihnen nach der Geburt zumindest ein paar Tage Ruhe gelassen. Doch heute konnte er sich nicht verstecken. Heute war Amelyas Aufnahme in die atlantische Gesellschaft. Fast so wie damals Aidens Taufe, aber ohne viele Worte oder irgendwelche Rituale. Eigentlich war es nur eine kleine Feier, um einen neuen Atlantae auf der Welt zu begrüßen. Nur war es die erste Feier dieser Art; also machte sich Aiden keine Illusionen, dass es ganz und gar nicht klein werden würde. Wenigstens brauchte er sich um nichts zu kümmern.

„Bist du so weit?“, fragte eine sanfte Stimme hinter ihm. Er drehte sich um und sah seine Filki in einem prächtigen dunkelgrünen Kleid. In ihren Armen schlief die kleine Amelya, die von ihrer Mutter ebenfalls etwas herausgeputzt worden war. Lächelnd ging er auf die beiden wichtigsten Frauen in seinem Leben zu, küsste Filki kurz und strich dann seiner Tochter sanft über den mit Flaum bewachsenen Kopf.

„Ich glaube schon“, beantwortete er Filkis Frage.

Sie sah ihn kritisch an. „Halt mal kurz“, meinte sie und drückte ihm seine Tochter in die Arme. Vorsichtig nahm er das so zerbrechlich wirkende Baby in seine Arme. Filki unterdessen zupfte sein Hemd zurecht, richtete den Kragen und strich ein paar Falten glatt. „So, jetzt können wir gehen“, stellte sie irgendwann zufrieden fest. Sie nahm Amelya wieder und Aiden folgte ihr zum Tempel.

Eine halbe Stunde später standen alle drei vor fast fünfhundert Atlantae und Leila, die neben den dreien auf ihrem Podium stand, sprach ähnliche Worte wie vor einigen Monaten bei der Aufnahme der Menschenkinder.

„Martel hat uns dieses Geschenk hinterlassen und lebt nun auch in ihm, in Amelya“, rief die Priesterin laut, damit alle sie hören konnten. „Wir werden alle durch die Gnade von Martel geboren, doch wenn wir älter werden, erteilen uns auch die anderen Elemente ihren Segen, auch wenn nicht jeder von uns ihre Macht nutzen kann. Wir allein entscheiden, wie wir die uns gegebenen Gaben anwenden. Wir entscheiden, ob wir damit erschaffen oder zerstören. Wir ringen mit den Gegensätzen von Infreet und Undine, von Sylph und Gaia und von Aska und Luna. Doch Martel hat keinen Gegensatz. Leben gibt es immer, vor allem in der Magie, denn ohne Leben gibt es keine Magie.“ Nun begab sich Leila von ihrem Podium und ging zu Aiden, Filki und Amelya hinunter. „Möge euer Kind den Segen der Elemente in sich tragen und ihr Geschenk weise einsetzen“, sprach sie in normaler Lautstärke zu ihnen. Aiden nickte ihr dankend zu und Filki drückte einfach nur lächelnd ihre kleine Tochter an sich. „Und nun zu dem, weshalb die meisten wohl heute hier sind“, rief Leila wieder in die Menge. „Es ist neues Leben unter uns, also feiern wir das angemessen!“

Die darauffolgende Feier endete erst nach über sechsundzwanzig Stunden und dauerte damit fast zwei Tage. Aiden und Filki gingen bereits drei Stunden nach der Zeremonie zurück in ihr Quartier. Sie waren völlig fertig und auch für Amelya war die Feier wahrscheinlich sehr anstrengend. Die übrigen Atlantae redeten, tranken, sangen und tanzten jedoch noch lange ohne den eigentlichen Grund weiter. Einige Atlantae gingen, aber noch mehr kamen erst während den Feierlichkeiten dazu. Luftmagier und auch einige richtige Musiker mit Instrumenten gaben ihr Können zum Besten, und einige Feuermagier beschlossen gegen Mitternacht, ein ausführliches Feuerwerk in den Himmel zu zaubern. Zum Glück waren die Plattformen und Brücken der oberen Ebenen mit Energieschilden geschützt, die eigentlich nur wegen der Unwetter da waren. Doch auch fehlgeleitete Zauber prallten wirksam daran ab. Erst in der zweiten Nacht kehrte Ruhe ein und am nächsten Morgen ging wieder alles seinen gewohnten Gang.

 

Kapitel 2

Aufbruch

„Der Drang etwas Neues zu entdecken, etwas Neues zu lernen und etwas Neues zu erschaffen steckt in jedem von uns. Es ist dieser Drang, der uns vorantreibt, der uns zurückhält und der uns inspiriert. Wir entdecken diese Welt, wir lernen von ihr und wir gestalten sie nach unserem Willen um.“

Talos von Atlantis, Philosoph

Valentina war ziemlich nervös. Sie saß in einem kleinen Wartezimmer des Gebäudes, in dem der Rat seine Besprechungen abhielt. Sie hatte heute morgen eine Nachricht auf ihrem Kom empfangen, in der sie gebeten wurde, um sechs Uhr mittags hier zu erscheinen. Sie hatte keine Ahnung, um was es ging oder wer sie sehen wollte, doch die Nachricht war so offiziell, dass es sich nur um jemanden aus der Führungsriege handeln konnte. Aber wer konnte Interesse an einem Treffen mit ihr haben? Hatte ihr Bruder Hector etwas damit zu tun? Er kannte Nigel, aber um was konnte es dann gehen? Oder hatte sie Fehler bei ihrer Arbeit gemacht und wollte deswegen jetzt Ranora persönlich ihr die Leviten lesen? Hatte sich ihr kulinarisches Hobby vielleicht bis zu ihr herumgesprochen? Fand Ranora das vielleicht unprofessionell und würde sie deshalb jetzt aus dem Pioniertrupp werfen?

Mach dich nicht verrückt,versuchte Galizia sie zu beruhigen, wenn es um so etwas ginge, hättest du einfach eine Nachricht bekommen und soweit ich Ranoras Atlantin Surya von früher kenne, wird sie dich wohl kaum deshalb rausschmeißen.

Aber was wollen die dann von mir?,fragte Valentina die Atlantin in ihrem Kopf.

Das wirst du schon noch herausfinden,meinte Galizia und versuchte dabei Ruhe auszustrahlen. Valentina bemerkte jedoch sehr deutlich, dass sie ebenso gespannt war wie sie selbst. Ihre unfassbare Neugier und ihr Entdeckergeist waren wohl die Eigenschaften, bei denen die beiden sich kaum unterschieden. Galizia war zu Lebzeiten schon eine Entdeckerin gewesen. Sie war damals vor über zehntausend Jahren ganz allein mit einem kleinen Schiff einmal um die Welt gesegelt, hatte Tauchgänge in die gewaltigen Tiefen des Ozeans unternommen und war mit dem ersten Segelflieger der Atlantae geflogen. Nur ins All war sie nie gekommen. Der Atlantae Leif, der nun mit Talon verbunden war und das damalige Raumfahrtprogramm geleitet hatte, hatte nur Ingenieure und Techniker gebrauchen können und Galizia war keines von beidem gewesen. Zudem hatte sich zu diesem Zeitpunkt der Krieg gegen die Menschen immer weiter zugespitzt und Galizia hatte sich allzu bald an der Verteidigungsfront der Heimat wiedergefunden, wo sie zusammen mit den meisten anderen Atlantae die Sicherheit der Insel und ihrer Bewohner sicherstellen hatte müssen.

Als Galizia zehntausend Jahre nach dem Tod ihres Körpers in Valentina wieder aufgewacht war, war sie zuerst wenig erfreut über ihr Schicksal gewesen. Sie war eine Entdeckerin gewesen, jemand der das Abenteuer suchte und leben wollte, und dann erwachte sie ohne Kontrolle im Körper eines gelähmten Mädchens, das nicht mal ihr Zimmer verlassen konnte. Zum Glück hatte sich aber schnell gezeigt, dass dies nicht so bleiben würde und mittlerweile lebte Galizia durch Valentina. Sie sah, roch, fühlte und, manchmal zu ihrem Leidwesen, schmeckte, was Valentina sah, roch, fühlte und schmeckte. Sie war zwar nur noch eine Zuschauerin, aber damit hatte sie sich mittlerweile abgefunden. Jetzt war Valentina die Entdeckerin.

Plötzlich ertönte eine weibliche Computerstimme: „Würdest du dich bitte in den Besprechungsraum begeben, Valentina.“

Sofort sprang sie auf. „Bin unterwegs“, antwortete sie der KI, die das Gebäude steuerte und dem Rat bei seiner Arbeit half. Sie verließ das Wartezimmer und öffnete die Tür zum Sitzungsraum des Rates.

Der Raum war groß und fast alles hier war aus Holz. Die grünen Triebe, die immer wieder aus Boden und Wänden sprossen und für eine natürliche Atmosphäre sorgten, zeigten, dass fast alles hier mithilfe von Magie gewachsen und nicht gebaut worden war.

Fast wie der Herrscherturm zu meinen Lebzeiten,bemerkte Galizia und klang dabei ein wenig beeindruckt. Valentina hingegen war völlig überwältigt, obwohl sie eigentlich wusste, zu welchen Werken Lebensmagier fähig waren. Ihre eigene Wohnung sah nicht so eindrucksvoll aus, obwohl sie ebenfalls teilweise gewachsen war. In der Mitte des Raumes stand ein gewaltiger runder Tisch, an dem sonst wahrscheinlich der Rat tagte und am Ende des Raums vor einer großen Glasfront war ... Craibian. Er saß hinter einem massiven Holzschreibtisch und wartete dort auf sie. Vor dem Tisch stand ein einfacher Stuhl, der wohl für sie reserviert war.

„Schön, dass du kommen konntest“, grüßte Craibian sie und bestätigte ihre Ahnung, indem er auf den Stuhl vor sich deutete. Scheu ging Valentina langsam auf ihn zu. Sie wusste nicht so recht, wie sie sich verhalten sollte. Sie schaffte es immer wieder mit Bravour Leute vor den Kopf zu stoßen oder sich selbst lächerlich zu machen, und obwohl sie jetzt zumindest wusste, wer sie sehen wollte, wusste sie immer noch nicht warum. Als sie vor dem Schreibtisch angekommen war, setzte sie sich schnell.

„Hallo“, sagte sie, weil ihr nichts Besseres einfiel, was sie sonst hätte sagen können. Einen Moment saßen die beiden sich so gegenüber und schwiegen sich an. Die Situation war Valentina mehr als unangenehm.

Schließlich durchbrach Craibian die Stille: „Du fragst dich bestimmt, warum du hier bist, oder?“ Valentina nickte nur und dann brach es aus ihr heraus: „Ist es, weil ich meinen Replikator schon zweimal geschrottet hab oder weil ich dieses eine Nagetier gebraten habe? Mein Expeditionsleiter hat mich schon informiert, dass ich bei halbwegs intelligenten Tieren Regeln einhalten muss. Ich werd’s nicht wieder machen, ich versprech’s! Oder ist es, weil ich auf den oberen Ebenen zwischen den Windrädern herumgeklettert bin, oder weil ich in Aidens Haus eingebrochen bin? Ich weiß jetzt, dass ich vorher klopfen muss. Oder geht es um meine Ausflüge in die Wildnis? Ist das auch verboten?“

Craibian hob eine Hand, um ihren Redefluss zu unterbrechen. „Nichts davon, auch wenn ich jetzt etwas neugierig bin“, erwiderte er und schien ein Grinsen zu unterdrücken. „Ich habe mir die Forschungsergebnisse von Ranora angesehen“, fuhr er fort und tippte auf einer in seinem Schreibtisch eingelassenen Konsole herum. „Dabei ist mir aufgefallen, dass bei der Hälfte aller Einträge über neue Arten dein Name unter ‚Entdecker‘ steht.“ Er sah wieder von seinem Bildschirm auf und musterte Valentina. „Ich bin beeindruckt, aber wenn du so weitermachst, gibt es hier bald nichts mehr zu entdecken.“