Buch lesen: «Paulus und die Anfänge der Kirche»
Studiengang Theologie
Herausgegeben von theologiekurse.ch
Redaktion:
Sabine Bieberstein, Dr. theol.,
Professorin für Exegese des Neuen Testaments und biblische Didaktik an der Fakultät für Religionspädagogik und Kirchliche Bildungsarbeit der Katholischen Universität Eichstätt-Ingolstadt
Stephan Leimgruber, Dr. theol.,
Professor für Religionspädagogik und Didaktik des Religionsunterrichts an der Kath.-Theol. Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München und Rektor bei theologiekurse.ch
Felix Senn, Dr. theol.,
Studienleiter bei theologiekurse.ch in Zürich
theologiekurse.ch vermittelt als katholische Bildungsinstitution seit über einem halben Jahrhundert in ökumenischer Offenheit theologische Grundkenntnisse an interessierte Frauen und Männer in der deutschsprachigen Schweiz. Ihre Lehrgänge eröffnen den Zugang zu verschiedenen kirchlichen Funktionen und Berufen. Die kontinuierlich erneuerten Lehrunterlagen des vierjährigen berufsbegleitenden Studiengangs Theologie STh bilden die Grundlagen dieser Reihe.
Sabine Bieberstein, Daniel Kosch
Paulus und die Anfänge der Kirche
Band II,2
Neues Testament, Teil 2
Theologischer Verlag Zürich
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über www.d-nb.de abrufbar.
Umschlaggestaltung: Simone Ackermann, Zürich
ISBN: 978-3-290-20081-7 (Buch)
ISBN 978-3-290-20092-3 (E-Book)
|XX| Seitenzahlen des E-Books verweisen auf die gedruckte Ausgabe.
© 2012 Theologischer Verlag Zürich
Alle Rechte vorbehalten
|5| Geleitwort zur Reihe
Mit dieser Hinführung zum zweiten Teil des Neuen Testaments liegen nun sieben Bände der Reihe Studiengang Theologie vor. Damit gewinnt bereits das ganze Spektrum theologischen Fragens, das von den biblischen Grundlagen über die systematische Vergewisserung christlichen Glaubens und die Reflexion christlich-kirchlicher Praxis bis hin zur gelebten Spiritualität reicht, klarere Konturen. Entlang der wichtigsten Fächer des Theologiestudiums will die Reihe einführen in den aktuellen Stand theologischen Nachdenkens und dieses fruchtbar machen für suchende Menschen von heute. Herausgeber und Redaktionsteam freuen sich, dass die bisherigen Bände in der Öffentlichkeit ein gutes Echo gefunden haben.
Hervorgegangen ist die Reihe aus dem vierjährigen berufsbegleitenden Studiengang Theologie STh, den die katholische Bildungsinstitution theologiekurse.ch seit über fünf Jahrzehnten für theologisch interessierte Frauen und Männer in der deutschsprachigen Schweiz anbietet. Die kontinuierlich erneuerten Lehrunterlagen bilden die Grundlage dieser Veröffentlichung. Gründlich überarbeitet sollen sie hiermit allen Interessierten im deutschen Sprachraum zugänglich gemacht werden.
Obwohl in den letzten Jahren der Stellenwert der christlichen Kirchen im öffentlichen Bewusstsein abnimmt, ist das Interesse an elementarer Glaubensinformation und Theologie nach wie vor gross. Doch lassen sich heute manche interessierte Frauen und Männer besser über theologisch aktuelle und gehaltvolle Bücher erreichen als über zeitintensive Studienangebote. Voraussetzung ist freilich, dass der theologische Stoff interessant und gut lesbar vermittelt wird und in ökumenischer Offenheit einen verlässlichen Einblick in die Fragen, Problemstellungen und Antwortrichtungen heutiger Theologie gibt.
Theologisch interessierte Laien, Theologiestudierende an Hochschulen und Fakultäten sowie Lehramtsstudierende sollen sich nicht im Labyrinth der wissenschaftlichen Detaildiskussionen |6| verirren, sondern zunächst mit den grossen Linien, den elementaren Methoden, den biblischen, systematischen und praktischen Grundfragen und den existenziellen Herausforderungen theologischen Fragens vertraut werden. Kurz: Es geht um einen fundierten und zugleich gut verständlichen Einblick in den aktuellen Stand der Theologie in ihren einzelnen Fachdisziplinen.
Diesem Ziel ist die vorliegende Reihe verpflichtet. Sie erleichtert das Selbststudium wie die Vorbereitung auf Prüfungen im theologischen Grundstudium; sie richtet sich darüber hinaus an ausgebildete Theologinnen und Theologen, Lehrerinnen und Lehrer, die sich nach Jahren in der Praxis ein fachliches Update wünschen. Mit zwei Bänden jährlich bietet sie so im Laufe der nächsten Jahre gleichsam einen Studiengang Theologie zwischen Buchdeckeln.
Wir danken der Edition NZN beim Theologischen Verlag Zürich (TVZ) für den Mut zu diesem Projekt und für die angenehme Zusammenarbeit und der Römisch-Katholischen Zentralkonferenz der Schweiz (RKZ) sowie der Katholischen Kirche im Kanton Zürich für die grosszügigen Zuschüsse an die Publikationskosten dieser Buchreihe.
Wir hoffen, dass der vorliegende Band und die Buchreihe insgesamt – die auch zu attraktiven Subskriptionskonditionen abonniert werden kann – vielen theologisch Interessierten einen Dienst erweisen und zu einem verantwortlichen Leben und Glauben in der heutigen pluralen Gesellschaft beitragen.
Zürich, Pfingsten 2012
Vorstand und Geschäftsstelle theologiekurse.ch
Redaktionsteam der Reihe Studiengang Theologie
|7| Inhaltsübersicht
Titelei
Geleitwort zur Reihe
Inhaltsübersicht
Vorwort
1 Von Jerusalem nach Antiochia – Die Zeit des Anfangs (SB)
1.1 Die Katastrophe des Karfreitags
1.2 Erfahrungen, die alles verändern
1.3 Die Verkündigung des von Gott rehabilitierten Gekreuzigten
1.4 Frühe Jesusboten in Galiläa
1.5 Anfänge in Jerusalem
1.6 Samaria, Antiochia, Damaskus – Der Schritt zu «den Völkern»
2 Paulus und die paulinischen Gemeinden – Die Botschaft vom Messias Jesus gewinnt an Kontur (SB)
2.1 Die Quellen
2.2 Paulus, sein Leben und seine Arbeit – Spuren und Konturen
2.3 Paulus im Beziehungsgefüge der Gemeinden
3 Der Brief des Paulus an die Gemeinden in Rom – Theologie im Dienst der Dynamik des Evangeliums (DK)
3.1 Den Römerbrief lesen – mit welcher(n) Brille(n)?
3.2 Hinweise zur Lektüre des Briefes
3.3 Segen und Ohnmacht des Gesetzes
3.4 Bejahung des Lebens aller
3.5 Gott hat sein Volk nicht verstossen (11,2)
3.6 Unkonventionell und besonnen, eigenständig und einmütig
3.7 Rückblick: Die Dynamik des Evangeliums und der Ernst des Glaubens
4 Die Briefe an die Gemeinde von Korinth: Theologie, Lebensfragen und Gemeindeleben im Kontext einer antiken Grossstadt (SB)
4.1 Ein Blick in die quirlige Hafenstadt Korinth
4.2 Paulus und die Anfänge der Gemeinde von Korinth
4.3 Einblicke in die korinthische Gemeinde
4.4 Die paulinische Korrespondenz mit der Gemeinde von Korinth
4.5 Streitfragen in Korinth – Verkündigung im Kontext einer antiken Grossstadt
5 Die weiteren Briefe des Paulus – Dialoge zwischen Zorn und Enttäuschung, Freude und Hoffnung, Ermutigung und Trost (SB)
5.1 Der Brief des Paulus an die Gemeinden in Galatien – Das Evangelium steht auf dem Spiel
5.2 Der Brief des Paulus an die Gemeinde in Philippi: Freude, Zuversicht – und Irritationen
5.3 Der Brief des Paulus an die Gemeinde in Thessaloniki (1 Thess) – Stärkung und Trost in schwierigen Zeiten
5.4 Der Brief des Paulus an Philemon und die Gemeinde in seinem Haus – Testfall für eine befreiende Praxis
6 Gemeinden in der Tradition des Paulus – Die pseudepigrafischen Paulusbriefe (SB)
6.1 Der Brief nach Kolossä – Der kosmische Christus als Herr über Mächte und Gewalten
6.2 Der Brief nach Ephesus – Die Einheit von Israel und «den Völkern» in der Kirche
6.3 Der zweite Brief nach Thessaloniki: Diskussionen um die Parusie Jesu Christi – und die Folgen für die Lebensführung
6.4 Die Pastoralbriefe – Die rechte Verwaltung des «Hauswesens Gottes»
7 Der Hebräerbrief und die katholischen Briefe: Andere Kontexte – andere Traditionen (SB)
7.1 Der Hebräerbrief – Eine «Wolke von Zeugen» für den Glauben an den Messias Jesus
7.2 Der Jakobusbrief – Glauben und Handeln gehören zusammen
7.3 Der erste Petrusbrief – Stärkung für bedrängte Gemeinden
7.4 Der zweite Petrusbrief – Letzte Anweisungen des «Petrus»
7.5 Der Judasbrief – Unerbittlicher Kampf gegen falsche Lehren
7.6 Die drei Johannesbriefe: «Gott ist Liebe» – und was daraus folgt
8 Die Offenbarung des Johannes: Widerstand gegen die Verführungen der Macht (SB)
8.1 Visionen des Sehers Johannes
8.2 Die komplexe Situation der Gemeinden
8.3 Das Programm des Buches
Literaturverzeichnis
Karten
Abkürzungen
Detailliertes Inhaltsverzeichnis
Fussnoten
Seitenverzeichnis
|11| Vorwort
Wer sich auf die Suche nach den «Anfängen der Kirche» macht, ist im Neuen Testament zuallererst auf Paulus und die von ihm gegründeten Gemeinden verwiesen. Die Briefe des Paulus sind die ältesten erhaltenen Dokumente des Neuen Testaments, und sie geben vielfältige, faszinierende, mitunter überraschende Einblicke in die Welt der ersten messiasgläubigen Gemeinden. Sie tun dies nicht auf eine zusammenhängende Art und Weise; denn sie sind Gelegenheitsschriften, die meist auf Fragen oder Konflikte in den Gemeinden eingehen und daher stark auf diese konkreten Situationen bezogen sind. Doch gerade dies macht sie zu lebendigen Zeugnissen der Anfangszeiten der Gemeinden, ihrer Schwierigkeiten und Nöte, ihrer Hoffnungen und ihres gelebten Glaubens. Sie sind Teil eines Gesprächs zwischen Paulus und den Gemeinden, das zwar nur zur Hälfte überliefert ist, aus dem aber die Vielstimmigkeit der Diskussionen des Anfangs noch gut herauszuhören ist. Die Lebendigkeit dieser Zeugnisse, ihr hohes Alter und die grosse Bedeutung, die Paulus für die Ausgestaltung und Verbreitung der Christusbotschaft hatte, haben uns bewogen, Paulus und den von ihm gegründeten Gemeinden den grössten Teil dieses Buches zu widmen: In Kapitel 2 steht Paulus selbst mit seinem Leben und Arbeiten im Mittelpunkt. Kapitel 3 widmet sich dem Römerbrief und zentralen Themen paulinischer Theologie. Kapitel 4 beleuchtet die Briefe nach Korinth und einige der brennenden Fragen der Lebensgestaltung im Kontext einer antiken Grossstadt. Kapitel 5 führt in die Briefe des Paulus an die Gemeinden in Galatien, Philippi, Thessaloniki und im Haus des Philemon ein.
Paulus war nicht der erste, der die Botschaft vom Messias Jesus verkündet und messianische Gemeinschaften initiiert hat. Schon bald nach Ostern sind in Galiläa erste Verkündigerinnen und Verkündiger aufgetreten, die die Jesusbotschaft von Ort zu Ort getragen und die radikale Lebensweise Jesu und seiner Jüngerinnen und Freunde weitergeführt haben. Spuren ihrer Verkündigung sind in der Spruchquelle Q erhalten. Von den Anfangszeiten in Jerusalem erzählt die Apostelgeschichte. |12| Sie spannt einen grossen erzählerischen Bogen von der Zeit nach Ostern bis hin zur Ankunft des Paulus in Rom. Zwar ist die Apostelgeschichte erst um das Jahr 90, also lange nach diesen Anfangszeiten verfasst worden; doch gibt ihre Darstellung Einblicke in jene Anfänge zwischen Jerusalem, Damaskus und Antiochia. Ihnen ist das erste Kapitel dieses Buches gewidmet.
Das ausgehende erste Jahrhundert ist aber nicht nur die Zeit der Entstehung der Apostelgeschichte. Eine Reihe weiterer Briefe des Neuen Testaments ist in das letzte Drittel des ersten Jahrhunderts, um die Jahrhundertwende oder zu Beginn des zweiten Jahrhunderts zu datieren. Ein Teil dieser Briefe stellt sich in die Tradition des Paulus und gibt den Gemeinden der zweiten und dritten Generation mit der von Paulus geliehenen Autorität Hinweise für eine christgläubige Lebensgestaltung unter sich verändernden Bedingungen. Diese Briefe, die in Kapitel 6 dieses Buches gewürdigt werden, spiegeln einerseits die Wertschätzung des Paulus zu dieser Zeit und dokumentieren, wie man in veränderten Kontexten seine Botschaft verstanden und weitergeschrieben hat. Anderseits sind sie Zeugnisse für sich entwickelnde Gemeinden, in denen manche Fragen neu und anders verhandelt wurden, in denen bisweilen aber auch – so viel sei bereits an dieser Stelle gesagt – restriktive Tendenzen die Oberhand gewannen und manche diffamierende Töne gegenüber Andersdenkenden zu hören sind.
In die Tradition anderer Autoritäten stellen sich die «katholischen Briefe». Unter diesem Begriff werden Schriften aus verschiedenen Traditionen und Kontexten zusammengefasst, die sich weniger an eine konkrete Gemeinde als vielmehr an eine Allgemeinheit von Christinnen und Christen richten. Zu den in Anspruch genommenen Autoritäten, in deren Namen geschrieben wird, gehören neben Petrus auch Jakobus und Judas, die Brüder Jesu. Dagegen behaupten die drei Johannesbriefe nicht, von Johannes geschrieben zu sein; doch führen sie die Leserinnen und Leser in die ganz andere Welt der johanneischen Gemeinden und ihrer Theologie. Eines der immer wiederkehrenden Themen dieser Briefe ist das Leben als kleine und oftmals bedrängte Minderheit von Christgläubigen inmitten einer Gesellschaft, die |13| nach ganz anderen Regeln funktioniert als den eigenen. Doch fallen die Ratschläge und Hinweise, die in den verschiedenen Schriften gegeben werden, keineswegs einheitlich aus. Diese Gruppe von Briefen erhält gemeinsam mit dem anonymen Hebräerbrief in Kapitel 7 ihren Raum.
Das letzte Kapitel des Buches ist der Offenbarung des Johannes gewidmet. In apokalyptischer Sprache ruft der Verfasser dieser Schrift seine Adressatinnen und Adressaten dazu auf, nicht den Verlockungen des römischen Imperiums zu verfallen und sich nicht von den Vorteilen einer Anpassung an die römische Gesellschaft verführen zu lassen, sondern sich klar für Christus zu entscheiden und aus dieser Position Widerstand gegen die totalitären Ansprüche des Systems und seine täglichen Anforderungen zu leisten. Es ist eine irritierend harte Botschaft, die das letzte Buch des Neuen Testaments transportiert; doch sie lehrt, die je eigene Gegenwart im Licht des Glaubens kritisch zu hinterfragen.
Wer sich auf die Suche nach den «Anfängen der Kirche» begibt, sucht mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht nur historische Information, sondern erwartet aus der Lektüre über die Anfänge auch Impulse für die Gestaltung von Glaube und Kirche heute. Daher wird unsere Darstellung an vielen Stellen explizit oder implizit transparent für Fragen und Herausforderungen, vor denen wir heute immer noch oder neu stehen.
Ein solches Buch verdankt vieles den Forschungen jener, die sich vor uns mit diesen Dingen beschäftigt haben. Nur einen Teil davon konnten wir in den Fussnoten und im Literaturverzeichnis dokumentieren. Angesichts der Notwendigkeit, eine Auswahl aus der verfügbaren Literatur zu treffen, haben wir den Schwerpunkt auf gut zugängliche und auch für Nicht-Fachleute verständliche Veröffentlichungen gelegt. Am Ende jedes Kapitels gibt zudem die Rubrik «Zum Weiterlesen» ausgewählte Lesetipps zur Vertiefung.
Um die Lektüre zu erleichtern, haben wir oft markante biblische Texte zitiert. Soweit es nicht anders angegeben ist, geben wir die Texte nach der Einheitsübersetzung wieder. Allerdings haben wir den Wortlaut bisweilen leicht korrigiert, zum Teil, um in einem Detail präziser zu übersetzen, zum Teil, um Frauen und Männer explizit sichtbar zu machen oder vielfältigere Bilder für den Gottesnamen zu finden. An |14| manchen Stellen haben wir biblische Texte aber auch nach anderen Übersetzungen wie der Zürcher Bibel, der Bibel in gerechter Sprache, der Übersetzung von Fridolin Stier oder einer Kommentarübersetzung wiedergegeben und dies eigens vermerkt.
Dieses Buch geht zu einem Teil zurück auf ein Skript zu «Paulus», das Daniel Kosch für theologiekurse.ch verfasste. Für das vorliegende Buch hat Daniel Kosch (DK) einen Teil dieses Skripts zu einem umfassenden Kapitel zum Römerbrief ausgearbeitet (Kapitel 3). Alle anderen Kapitel dieses Buches wurden von Sabine Bieberstein (SB) neu geschrieben.
Das vorliegende Buch hätte nicht geschrieben werden können ohne die tatkräftige Unterstützung vieler. Monika Beil hat weite Teile des Manuskripts kritisch gegengelesen, viele kluge Hinweise gegeben und einige Literaturrecherchen übernommen. Prof. Dr. Klaus Bieberstein hat uns nicht nur einige Karten und Pläne, die er vor Jahren gezeichnet hatte, zur Verfügung gestellt, sondern stand uns darüber hinaus mit fachkundigem Blick auf das Manuskript zur Seite. Prof. Dr. Hermann Venetz war in allen Phasen der Manuskriptentstehung ein kompetenter Gesprächspartner, mit dem wir viele Fragen diskutieren konnten. Die Kollegen im Redaktionsteam der Reihe, Prof. Dr. Stephan Leimgruber und Dr. Felix Senn, haben mit grosser Sorgfalt und Sachkenntnis das Manuskript gelesen und zahlreiche weiterführende Hinweise gegeben. Felix Senn hat darüber hinaus als unermüdlicher Mahner und fachkundiger Gesprächspartner dazu beigetragen, dass das Manuskript den vorgegebenen Rahmen nicht noch mehr sprengt. Schliesslich haben wir dem Lektorat der Edition NZN bei TVZ für die sorgfältige Begleitung der letzten Phase der Buchentstehung zu danken.
Nun wünschen wir den Leserinnen und Lesern dieses Buches viele unerwartete Entdeckungen bei der Suche nach den «Anfängen der Kirche».
Bamberg und Zürich, im April 2012
Sabine Bieberstein und Daniel Kosch
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|15| Von Jerusalem nach Antiochia – Die Zeit des Anfangs (SB)
1.1
Die Katastrophe des Karfreitags
Der Tod Jesu am Kreuz hätte das Ende der Jesusbewegung sein können. Sowohl in römischer wie auch in jüdischer Perspektive musste Jesus als desavouiert, sein Anliegen als gescheitert gelten. Denn sein Tod war in römischer Perspektive der Tod eines Aufständischen, ein entwürdigender Sklaventod. Und in jüdischer Perspektive galt ein Gekreuzigter als von Gott verflucht (vgl. Dtn 21,22–23) – wenn er nicht als Märtyrer angesehen wurde, der wegen seines jüdischen Glaubens einen solchen Tod erlitten hatte,1 was die Mehrheit der zeitgenössischen Jüdinnen und Juden bei Jesus nicht so sah. Alles andere lag also näher, als ausgerechnet Jesus, der auf diese Weise ums Leben gebracht worden war, als Messias Gottes zu interpretieren und an seiner Botschaft festzuhalten.
Entsprechend gibt es in den neutestamentlichen Texten Anzeichen für einige Auflösungserscheinungen unter der Anhängerschaft Jesu nach dessen Kreuzestod. So spricht Mk 14,50–52 in drastischer Weise von der Flucht «aller» anlässlich der Verhaftung Jesu. Am Kreuz stehen nach dem Zeugnis des Markus- und Matthäusevangeliums weder die Zwölf noch andere herausragende Figuren der Anhängerschaft Jesu, sondern übrig geblieben ist allein eine Gruppe von Frauen, die zur Nachfolgegemeinschaft gehörte, unter ihnen an erster Stelle Maria aus Magdala (Mk 15,40 f.). Nach Lukas gibt es daneben noch eine Gruppe nicht näher bestimmbarer «Bekannter» (Lk 23,49), eine Notiz, die wohl der Aufnahme eines Motivs aus den Klagepsalmen (Pss 38,12; 88,9) geschuldet sein dürfte, bemerkenswerterweise aber die Zwölf nicht nennt. Einige Traditionen von Erscheinungen |16| des Auferstandenen sind in Galiläa lokalisiert (Mk 16,7; Mt 28,16–20; Joh 21). Dies alles spricht dafür, dass massgebliche Jünger nach der Verhaftung oder spätestens nach dem Tod Jesu Jerusalem verlassen haben und nach Galiläa zurückgekehrt sind.
Wir wissen heute, dass es nicht bei diesen Auflösungserscheinungen geblieben ist. Der Tod Jesu am Kreuz war nicht das Ende der Jesusbewegung. Die Anhängerinnen und Anhänger Jesu müssen vielmehr Erfahrungen gemacht haben, die sie zur Überzeugung brachten: Jesus aus Nazaret ist nicht im Tod geblieben, sondern Gott hat ihn auferweckt. Das bedeutete auch, dass all die Erfahrungen, die sie mit Jesus gemacht hatten, seine Worte, die sie überzeugt hatten, die Geschichten, die über ihn erzählt wurden, nicht hinfällig geworden waren, sondern ihre Überzeugungskraft behielten. Diese Erfahrungen machten aus der verstörten und verstreuten Gruppe der Jesusanhängerinnen und -anhänger eine kraftvolle Bewegung, die die Botschaft vom Gekreuzigten und von Gott Auferweckten in bemerkenswert kurzer Zeit über die Grenzen Judäas und Galiläas hinaus in weite Gebiete des Mittelmeerraumes verbreitete und rasch eine erstaunliche Zahl von Menschen für ihre Botschaft gewinnen konnte.
Exkurs
Menschen, die von Jesus in die Nachfolge gerufen wurden oder sich der Jesusbewegung angeschlossen haben, werden im Neuen Testament mit dem griechischen Wort mathetai bezeichnet. Es lässt sich verschieden übersetzen: als «Schüler, Schülerinnen» in Anlehnung an die rabbinische Tradition, als «Jünger, Jüngerinnen» nach gewohnterem kirchlichen Sprachgebrauch, als «Nachfolger, Nachfolgerinnen» oder auch «Anhänger, Anhängerinnen». Jedes deutsche Äquivalent macht jeweils andere Aspekte des griechischen Wortes sichtbar. Um einseitige Festlegungen zu vermeiden und den griechischen Begriff von möglichst vielen Seiten her zu beleuchten, verwenden wir in diesem Buch die genannten deutschen Übersetzungen nebeneinander. Wenn bisweilen von Freunden oder Freundinnen Jesu die Rede ist, ist dies vom Johannesevangelium inspiriert (Joh 15,15).
Eine besondere Gruppe innerhalb der Jünger- bzw. Anhängerschaft Jesu ist der Zwölferkreis. Er wird vor allem im Lukasevangelium und in der Apostelgeschichte mit den Aposteln gleichgesetzt. In den paulinischen Briefen dagegen werden darüber hinaus noch andere Menschen wie Junia, Andronikus (Röm 16,7) oder Paulus als Apostel bezeichnet.