Ferne Stätten

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»In Ordnung, meine Damen und Herren, wollen wir mal sehen, ob wir heute Geschichte schreiben« Er ging zum Sitz des Kommandanten und ließ sich nieder. »Schalten sie den Kristallantrieb zu!«, befahl er in Richtung des Navigators.

Der Kristallantrieb bestand aus großen Mengen des in Gel gelösten Kristalls. Durch Rohrsysteme, die in Böden und Decken der drei Decks verlegt waren, sowie durch die komplette Außenhülle liefen, konnte durch eine entsprechend hohe Spannung sichergestellt werden, dass alles im Inneren des Schiffes in den Hyperraum versetzt wurde. Die Hoffnung war nun, dass dort eine höhere Geschwindigkeit als die des Lichts erreicht werden konnte.

Der Navigator bestätigte und zählte einen Countdown von fünf Sekunden herunter. Kaum, dass er bei Null angekommen war, verschwamm die Umgebung um die Besatzungsmitglieder herum. Eine Sekunde später war sie wieder scharf.

»Schalten Sie die Außenbeobachtung auf den Hauptschirm!«

»Aye, Sir!«, bestätigte die Orterin. Das erhoffte Wabern war zu erkennen. Der Übertritt war geglückt, sie befanden sich im Hyperraum.

»Schalten Sie den Gravitationsantrieb zu. Zehn Prozent der Maximalbeschleunigung!« Mit diesen Werten müssten sie binnen dreißig Minuten die Lichtgeschwindigkeit erreichen. Der Navigator bestätigte. Vom Zuschalten des Antriebs war nichts zu bemerken. Kemp hielt stirnrunzelnd die Anzeigen der Geräte im Auge. Der Antrieb war zugeschaltet, ja, aber er verbrauchte weit weniger Energie als normal gewesen wäre.

»Funktioniert der Antrieb normal?«, ging seine Frage in die Runde. Der Navigator und ein Techniker bestätigten. »Beschleunigen wir denn?« Reed rief einige Diagnosedaten auf. Die Antwort war ernüchternd.

»Wir haben leider keine Vergleichswerte, denn da draußen existiert keinerlei Materie. Aber mit dem wenigen, das wir wissen, würde ich behaupten… Nein, wir beschleunigen nicht, sondern bewegen uns weiterhin mit zehn Prozent Licht« Kemp nickte.

»In Ordnung, bringen Sie und zurück in den Normalraum!« Der Navigator nickte, drückte einige Tasten und die Luft flimmerte wieder. Kaum, dass sie in den Normalraum zurückgekehrt waren, wurden sie in ihre Sitze gepresst. Reed flog zwei Meter nach hinten, bevor die Kraft nachließ. Die Andruckabsorber hatten reagiert und die Wirkung im Inneren des Schiffes aufgehoben. Jetzt beschleunigte die DIMENSION.

»Fünfundzwanzig Prozent Licht!«, rief der Navigator. Die Werte waren wieder verlässlich. Sofort hatte Kemp geschaltet und gab den nächsten Befehl.

»Kristallantrieb wieder einschalten!« Dieses Mal reagierte der Pilot ohne Countdown, sondern legte sofort den Schalter um. Die Sicht verschwamm und die Besatzungsmitglieder verloren für einen Moment den Boden unter den Füßen, bevor die Andruckabsorber ihre Tätigkeit einstellten. Die Beschleunigung war wieder aufgehoben. Kemp schüttelte den Kopf.

»Alle setzen sich jetzt hin!« Diese Anweisung erging hauptsächlich an Reed, der sich mittlerweile wieder aufgerappelt hatte und sich jetzt schnell einen Sitzplatz suchte. »Reduzieren Sie die Beschleunigung auf ein Prozent und schalten sie den Kristallantrieb aus!«

Der Andruck war diesmal nicht so drückend wie beim Versuch zuvor. Doch er war vorhanden, was bedeutete, dass der Antrieb wieder griff, während das Schiff sich im Normalraum befand. Die Wissenschaftler wirkten ratlos. Kemp hatte jedoch nicht vor aufzugeben.

»Beschleunigen sie auf 35 Prozent Licht und schalten die den Kristallantrieb erneut zu!«

Auch bei 40 und 45 Prozent der Lichtgeschwindigkeit war das Ergebnis dasselbe geblieben. Sobald das Schiff in den Hyperraum eintauchte, griff der Antrieb nicht mehr.

»In Ordnung, wir machen einen letzten Test. Beschleunigen Sie auf halbe Lichtgeschwindigkeit und schalten Sie noch einmal zu. Achtung an alle!« Die Warnung war eigentlich überflüssig, da die Besatzung die Effekte während des Dimensionswechsels mittlerweile gewohnt war. Doch diesmal sollte es anders sein. Nach dem Eintauchen rechnete Kemp damit, dass die Andruckabsorber nichts mehr zu tun hätten. Doch weit gefehlt, diesmal blieb das kurze Gefühl der Schwerelosigkeit aus. Das Schiff beschleunigte weiter!

»Können Sie die Werte bestätigen?«, fragte er und wandte sich an Reed. Dieser sah kurz von seinem Terminal auf und nickte dann.

»Wir beschleunigen weiter. Wenn ich diese Daten richtig lese, liegen wir jetzt bereits bei fast 80 Prozent Licht! 85… 90!« Die Werte stiegen immer weiter, der Energieverbrauch lag im grünen Bereich. Jetzt kam es darauf an. »95 Prozent… 100 Prozent…« Reed schluckte kurz. »Ja, das ist es! 105 Prozent Licht!« Die Besatzungsmitglieder brachen in Jubel aus. Auch Kemp konnte nicht anders und stimmte ein. Als die erste Aufregung abgeklungen war, konnte Reed sich wieder Gehör verschaffen.

»150 Prozent Licht und weiter steigend!“ Kemp überlegte kurz. „Schalten Sie den Kristallantrieb aus. Mal sehen, was passiert…«

Der Pilot bestätigte und eine Sekunde später befand sich die DIMENSION wieder im Normalraum.

»Wir fliegen mit Lichtgeschwindigkeit!«, war Reeds Stimme zu hören. »Keine Beschleunigung mehr, aber die Zeitdilatation wirkt jetzt auf uns. Laut den aktuellen Messungen… Ja, wir sind tatsächlich weiter von unserem Eintauchpunkt entfernt, als wir es mit Lichtgeschwindigkeit sein dürften. Ich glaube, wir haben es geschafft!« Erschöpft ließ er sich in seinen Sitz sinken.

»Bremsen Sie ab und setzen Sie einen Kurs zurück zur Erde. Das muss gefeiert werden!

Kapitel 3

Weitere zwei Jahre vergingen und die DIMENSION und ihre Schwesterschiffe hatten noch viele weitere Testflüge erledigt. Mittlerweile war der Kristallantrieb, seit kurzem nur noch Hyperantrieb genannt, von den vereinten Nationen zur Erforschung des Sonnensystems freigegeben. Die nationalen Weltraumorganisationen hatten selbst angefangen die Kristalle abzubauen und in eigene Schiffskonstruktionen als Antriebssystem einzubauen. Das Mineral hatte bisher noch keinen Namen, aber die meisten nannten ihn schlicht Reed-Kristall, nach seinem Entdecker. Die Unternehmen und staatlichen Organisationen hatten Forschungsstationen eingerichtet, seit einigen Monaten waren ständige Forschungsgruppen in den Orbits aller Planeten und sogar der Sonne. Die Experimente und Forschungen, die durchgeführt wurden, waren von unschätzbarem Wert für das Verständnis des Universums.

Thorsten Kemp hingegen hatte kaum noch Zeit für Forschungen gehabt. Denn ihm schwebte das nächste große Projekt vor. Dafür war er fast ununterbrochen um die Welt gereist, hatte Gelder gesammelt und Besatzungsmitglieder rekrutiert. Denn seit vierzehn Monaten wurde im Orbit sein bisher größter Traum gebaut. Nach genau ausgearbeiteten Plänen bauten die besten Ingenieure des Planeten das bisher größte Raumschiff.

Die YOSHIDA, so sollte das Schiff bald getauft werden, war ein riesiges Schiff. Das erste von Menschen gebaute, das nicht diskusförmig war. Stattdessen hatte es eine grobe Dreiecksform, wobei zwei Ecken an langgestreckte Flügel erinnerten. Auch hier war der Hyperantrieb verbaut, wieder in Röhrenbauweise. Diesmal erstreckte sich der nutzbare Raum auf mehrere Quadratkilometer, vollgestopft mit Aggregaten, Laboren und Mannschaftsquartieren. All das war bitter nötig, denn um den Kahn auch nur eine Lichtminute zu bewegen, waren fast vierhundert Besatzungsmitglieder nötig. Hinzu kamen noch jede Menge Wissenschaftler. Insgesamt standen derzeit 752 Personen auf der Liste.

Sie alle hatten ein Ziel vor Augen: Den ersten Flug in ein anderes Sonnensystem. Die Mission war bereits vollständig geplant. Das Ziel sollte das Trappist-1-System sein, ein etwa 40 Lichtjahre entfernter Planet. Eine unvorstellbare Entfernung, allerdings ein winziger Schritt in kosmischen Maßstäben. Die Wahl fiel auf dieses System, da vor einigen Jahren dort sieben Exoplaneten entdeckt wurden. Einer davon war der Erde sehr ähnlich. Zumindest, was die angenommene Atmosphäre betraf. Der Planet war zwar weniger als halb so groß, sollte nach vorherrschender Meinung aber lebensfähig sein. Es gab einige mögliche Planeten, die näher lagen, aber der Antrieb wollte getestet werden. Geplant waren vier Überlichtetappen, mit jeweils etwa 10 Lichtjahren Entfernung.

Die Forscher hatten auf Basis des Reed-Kristalls eine überlichtschnelle Kommunikationslösung entwickelt, den Hyperfunk. So war gewährleistet, dass der Kontakt nicht abbrach. Eine Relaiskette aus unbemannten Satelliten stellte die Verbindung her. Die Reichweite war im Prinzip unbegrenzt, sie war nur durch die zur Verfügung gestellte Energie limitiert.

Und all das wollte bezahlt werden. Fast alle Nationen der Erde, inklusive supranationaler Organisationen hatten Unmengen an finanziellen Mitteln gespendet. Private Unternehmen standen ihnen in nichts nach und die Medien rissen sich um die exklusivsten Rechte. Jeder wollte in der ersten Reihe sitzen und Kemp hatte vor, die ganze Welt an diesem Flug teilhaben zu lassen.

Gerade betrat er das Schiff. Die letzten Arbeiten wurden gerade abgeschlossen. Hingen vor einer Woche noch eine ganze Menge Kabel aus den Wänden und von den Decken, dominierte jetzt poliertes Metall mit farblichen Akzenten und Bildschirmen in regelmäßigen Abständen das Bild. Ihn trennten noch zehn Meter von der Zentrale. Die großen Schiebetüren öffneten sich automatisch, als er in ihre Nähe kam und gaben den Blick frei auf das große Kommandozentrum.

Der Raum durchmaß 35 Meter und war halbrund. An der rückwärtigen Wand mit den Türen waren einige Wissenschaftsstationen untergebracht. In der Mitte erhob sich ein Podest mit dem Sitz des Kommandanten und dem des ersten Offiziers, sowie der des leitenden Wissenschaftlers. So hatten alle drei einen guten Überblick über die weiteren Stationen. Direkt vor dem großen Hauptbildschirm fand der Pilot Platz, rechts und links daneben waren die Konsolen für Ortung, Funk und Maschinenüberwachung. Zusätzlich befand sich hier eine Waffenstation. Einige Geldgeber hatten darauf bestanden. Sie befürchteten einen Angriff einer außerirdischen Macht. Aber auch Kemp hatte dem Einbau der Waffen schließlich zugestimmt, allein schon, um Asteroiden oder andere Gefahren aus dem Weg zu räumen. Der große Bildschirm war eigentlich nicht notwendig, denn die Holotechnik war mittlerweile ausgereift genug. Der freie Platz zwischen den Stationen und dem Kommandopodest konnte für ein riesiges Holo genutzt werden, auch die einzelnen Plätze wurden hauptsächlich durch die neue dreidimensionale Darstellung bedient. Aus diesem Grund war der Schirm derzeit auf Außenbeobachtung geschaltet. Kemp blieb stehen und verlor sich im Anblick des blauen Planeten, der sich unter dem Schiff drehte. Es war jedes Mal aufs Neue wunderschön. Auch nach mehreren Jahren im All war es noch beeindruckend.

 

»Wie sieht es aus?«, fragte Kemp laut in die Runde. Die Anwesenden sahen von ihren Arbeiten auf, einige Soldaten salutierten. Die Besatzung war bunt zusammengewürfelt, neben 250 Zivilisten bildeten auch 150 Soldaten die Kernmannschaft. Sie wurden von den Heeren der Nationalstaaten mitgeschickt. Besonders die Vereinigten Staaten von Amerika hatten darauf bestanden und direkt eine ganze Gruppe Soldaten mitgeschickt, teils hochdekoriert bis zum Colonel. Aus militärischer Sicht war Kemp ihnen gegenüber nicht weisungsbefugt und es gab schon gar keinen Grund für irgendwelche militärischen Ehrenbezeugungen, nicht einmal für einen militärischen Gruß, doch die Soldaten taten dies aus Überzeugung. Sie alle waren freiwillig auf dem Schiff und standen hinter dem Projekt.

»Wir führen gerade die letzten Installationsarbeiten durch, Belastungstests im Leerlauf der Maschinen wurden auch schon durchgeführt. Bisher ist alles im grünen Bereich!« Kemp erkannte die Stimme von Doktor Reed. Der leitende Wissenschaftler an Bord war unter einer Konsole hervorgekrochen, verschloss die Wartungsluke und kam zu Kemp. Die Männer gaben sich kurz die Hände und gingen gemeinsam auf das Kommandopodest.

»Die Mannschaft befindet sich bereits im Anflug. Die erste Gruppe ist schon an Bord und richtet ihre Quartiere ein. Die zweite Gruppe dockt in zehn Minuten an. In etwa vier Stunden sind wir dann vollzählig. Was sagt die Bodenkontrolle?« Kemp grinste schief.

»Och, nachdem es wieder ein paar Querschläger gab, die den Start noch verhindern wollten, habe ich doch noch die Freigabe bekommen. Der UN-Generalsekretär wird vor dem Start noch eine Rede an die Menschheit halten, dann werden die Kameras zu uns umgeschaltet. Steht der Flugplan?«

»Ja, wir werden um Punkt 12 Uhr den Erdorbit verlassen und in Richtung Trappist-1 das Sonnensystem verlassen. Wir werden auf annähernde Lichtgeschwindigkeit beschleunigen, mit vorrangigem Kurs auf den Mars. Die Flugzeit dorthin beträgt etwa elf Minuten. Eine Kamerasonde wird unseren Anflug verfolgen. Mit einem Swing-By-Manöver werden wir dann den Kurs geringfügig ändern. Nach der Änderung werden wir dann den Hyperantrieb zuschalten. Die Menschen können also verfolgen, wie wir mit dem Mars im Bild verschwinden« Die Idee gefiel Kemp. Sie könnten zwar auch schon auf halbem Weg die Mindestgeschwindigkeit zum Übertritt erreichen, aber ein bisschen Show konnte nicht schaden. Reed fuhr fort. »Die erste Etappe wird über etwa zehn Lichtjahre gehen, wir berechneten eine Flugzeit von knapp 7 Stunden, was einem Überlichtfaktor von etwa 12.500 entspricht« Kemp klappte die Kinnlade herunter. Das war eine beachtliche Leistung. Und so, wie er seine Wissenschaftler kannte…

»Das ist aber noch lange nicht das Ende der Fahnenstange. Es sollten noch weitaus höhere Geschwindigkeiten möglich sein.« Genau darauf hatte er hinausgewollt. Aber für den Anfang sollte das reichen.

»Ich schätze mal«, setzte Kemp an, »das bedeutet wohl, es gibt kein Zurück mehr. Wir brechen wirklich zu den Sternen auf« Einen Moment lang unterbrach er sich und versank in Gedanken an die Zukunft. »Wie auch immer. Wie sieht es mit den Funkrelais aus?« Wieder nickte Reed.

»Deswegen bleiben wir bei zehn Lichtjahren pro Etappe. Wir könnten die Strecke auch in einmal zurücklegen, können aber nicht genau sagen, ob unsere Berechnungen für die echte Position des Planeten korrekt sind. Daher machen sind insgesamt drei Orientierungsstopps vorgesehen, um unsere Berechnungen zu verfeinern. Bei der Gelegenheit setzen wir auch die Relais aus. Die Reichweite haben wir aufgrund der benötigten Energie vorerst auf etwa fünfzehn Lichtjahre beschränkt. So sollte es zu keinerlei Ausfällen kommen« Kemp war zufrieden. Die Männer und Frauen hatten in den vergangenen Monaten ganze Arbeit geleistet. Er wusste schon, warum er nur die Besten angeheuert hatte.

*

Der Generalsekretär hatte seine Rede gerade beendet. Die Live-Bilder wurden auf das Schiff umgeschaltet, wo ein extra dafür abgestellter Offizier die Bilder der Fernbeobachtung auf dem Mars einspielte. Die YOSHIDA flog in Richtung des roten Planeten, würde in 15 Sekunden das Swing-By-Manöver einleiten und es in etwa 35 Sekunden beendet haben. Kemp aktivierte die Aufnahmeoptik auf dem Kommandopodest und bedeutete dem Offizier sein Bild über das Hauptbild zu legen. Sekunden später war er auf Sendung, passend zur Einleitung des Manövers.

»Wir werden jetzt ein Swing-By-Manöver beginnen, um den Kurs geringfügig in Richtung Trappist-1 zu ändern. Das Ganze dauert etwa zwanzig Sekunden. Danach werden wir mit einem fünf Sekunden Countdown den Hyperantrieb zuschalten. Unsere erste Flugetappe wird in knapp sieben Stunden beendet sein, während des Flugs ist keine Kommunikation möglich. Sobald wir gestoppt haben, setzen wir ein Funkrelais aus und werden die geglückte Etappe zur Erde zurückmelden. Bis dahin… Wie hieß es so schön in einer Romanserie aus meiner Jugend? Ad Astra – Zu den Sternen!« Mit einer Handbewegung schaltete er seine Automatik ab und bedeutete dem Piloten, den Antrieb zu starten. In der Beobachtung der Fernsehbilder konnte er einen großen Countdown aufleuchten sehen. Dieselben Ziffern wurden auch im großen Hauptholo der Zentrale gezeigt. Flammend rot zählte er herunter.

5…

4…

3…

2…

1…

Dann löste die Automatik den Kristallantrieb aus.

Innerhalb von wenigen Minuten hatte das Schiff auf die angedachte Geschwindigkeit beschleunigt. Jetzt hieß es: Warten. Die Wissenschaftler überschlugen sich vor Freude auf die Aussicht, mehrere Stunden bei einer solchen Geschwindigkeit Daten sammeln zu können. Die Außenbeobachtung war weiterhin aktiv. Sie zeigte das gewohnte Bild: Ein körperloses Wabern mit gelegentlichen Regenbogenfarben. Kemp wandte sich ab. Die Männer und Frauen würden die Arbeiten, welche jetzt anfielen, problemlos allein schaffen.

»Falls mich jemand brauchen sollte… Ich bin in meinem Büro!« Der erste Offizier, eine junge Frau, namens Emily Barrington, eine US-Soldatin, gebürtig aus Australien, nickte ihm zu. Sie würde gewissenhaft das Kommando übernehmen. Ursprünglich hatte er sich gewehrt, dass ein Soldat den Posten des ersten Offiziers erhalten sollte, aber als er Major Barrington kennengelernt hatte, war er sehr zufrieden gewesen. Sie diente bei der US Air Force, war lange Zeit im Auslang stationiert gewesen und ein mehrmonatiges Kommando auf einer Raumstation im Orbit des Saturn übernommen. Sie war durch besonnene Entscheidungen aufgefallen.

Die Station hatte in ihrer siebten Woche einen technischen Defekt erlitten und drohte in die Atmosphäre des Ringplaneten zu stürzen. Ihre erste Sorge hatte der Mannschaft gegolten, als zwei Ingenieure sich allerdings weigerten von Bord zu gehen, versuchte sie mit ihnen zusammen die defekten Lagetriebwerke zu reparieren. Mit Erfolg. Diese Tat hatte der damals 27-jährigen eine Belobigung, sowie die Beförderung zum Major eingebracht. Kemp war beeindruckt gewesen. Als er dann vor zwei Monaten die Bewerberlisten für die Besatzung sah, fiel sein Blick sofort auf ihren Namen. Neben ihr waren mehrere Soldaten für den Posten ausgesucht worden, zumeist im Rang eines Colonels und größtenteils auch deutlich älter als sie. Doch Kemp als Expeditionsleiter hatte das letzte Wort. So war seine Entscheidung schnell gefallen.

Sein Büro, oder eher seine Lounge, lag direkt neben der Zentrale. Es war ein Ort, um sich zurückzuziehen, oder Besprechungen im kleinen, inoffiziellen Rahmen durchzuführen. Kemp ließ sich auf das Ecksofa fallen, welches einen Teil des Raumes bedeckte. Mit einem Tippen auf die Sensorschaltfläche, welche in die Lehne des Sofas eingelassen war, öffnete er ein Holo über dem Tisch. Es zeigte die aktuellen Daten, angenommene Position, aktuelle Geschwindigkeit, geplante Restzeit im Hyperraum. Bisher sah alles gut aus. Auch die Anzeigen der Maschinen verblieben im grünen Bereich. Die Außenbeobachtung hatte er von vornherein abgestellt. Er war schon häufiger für lange Zeit im Hyperraum gewesen, doch der Effekt hatte immer negative Wirkungen auf ihn. Das menschliche Gehirn war nicht dafür geschaffen, höherdimensionale Vorgänge zu verstehen. Zumindest nicht, diese Vorgänge mit den normalen Sinnen zu erfassen. Das Wabern war eine annähernde drei- oder vierdimensionale Entsprechung der hyperphysikalischen Effekte. Manche Menschen kamen besser damit zurecht als andere. Kemp gehörte zur zweiten Sorte.

Die letzten Tage hatte er nicht viel Schlaf bekommen und selbst Kaffee konnte nicht mehr viel ausrichten. Die Mediziner an Bord hatten ihm schon mehrmals von aufputschenden Mitteln abgeraten, ihm allerdings jedes Mal doch wieder eine Spritze verpasst. Kaum, dass Kemp saß, fielen ihm die Augen zu. Alles war unter Kontrolle.

*

»Kommandant? Sir, bitte kommen Sie in die Zentrale!«

Barringtons Stimme riss ihn aus seinem erholsamen Schlummer. Im ersten Moment war er ein wenig desorientiert, aber das Gefühl legte sich schnell und die Klarheit kam zurück. Ein schneller Blick auf das Holo verriet ihm, dass noch etwa fünf Minuten Flugzeit im Hyperraum verblieben. Er hatte fast sieben Stunden geschlafen! Mit einer Bewegung seines Armes deaktivierte er das Holo, aktivierte stattdessen den Funk.

»Ich komme sofort!« Barrington würde die Lage auch noch eine weitere Minute unter Kontrolle haben. Er griff nach seiner Kaffeetasse, bemerkte aber, dass der Kaffee nur noch Zimmertemperatur hatte. Die Tasse war selbsterhitzend, er musste nur einen Sensor berühren. Innerhalb von Sekunden hatte das Getränk wieder eine angenehme Trinktemperatur. In einem großen Zug leerte er die Tasse und trat aus der Türe in die Zentrale. Es herrschte der erwartete Betrieb. Das Wiedereintauchen in den Normalraum stand kurz bevor, es mussten einige Vorbereitungen getroffen werden. Der Satellit, der als Funkrelais dienen sollte wurde bereits in den Schleusenraum gebracht, die Teleskope zur Positionsbestimmung ausgefahren und die Messgeräte vorbereitet. Auch die Generatoren für die Schutzschilde wurden auf Temperatur gebracht. Im Notfall konnte so innerhalb von Sekunden auf die Energieschirme zurückgegriffen werden.

Eine halbe Minute vor dem Wiedereintritt regelte der Pilot die Geschwindigkeit auf die Hälfte des Lichts herunter. Dies stellte die unterste Grenze für einen Flug im Hyperraum dar, darunter würde das Schiff unkontrolliert in den Normalraum fallen. Zwar konnte es mit niedrigeren Geschwindigkeiten in den Hyperraum übertreten, allerdings nicht weiter beschleunigen. Im Falle eines Notfalls beim Wiedereintritt konnte durch die immer noch relativ hohe Geschwindigkeit der Kristallantrieb wieder aktiviert werden und das Schiff so aus dem Gefahrenbereich kommen. Doch niemand ging von einem Problem aus. Wieder zählte der Pilot einen Countdown herunter, bei null angekommen betätigte er eine Schaltfläche in seinem Steuerholo und der Hyperantrieb verstummte. Alle Blicke waren jetzt auf das Hauptholo und den Beobachtungsschirm gerichtet. Übergangslos verschwand das Wabern und der Weltraum erschien. Entfernte Sterne tauchten auf, die meisten weit entfernt. Eine rote Sonne stand relativ nahe. Die Orter sprangen sofort an und zeichneten Daten auf. Doch niemand hatte derzeit ein Auge dafür übrig. In der Zentrale brandete Applaus auf. Der erste groß angelegte Test war bestanden. Und das – bisher – fehlerfrei. Kemp stimmte kurz in den Applaus ein und gab dann die ersten Befehle.

»Bestimmen Sie unsere Position. Und schleusen Sie den Relaissatelliten aus, ich möchte Kontakt nach Terra herstellen!« Die einzelnen Stationen bestätigten. Ein Video im Hauptholo zeigte, wie der Satellit ausgeschleust wurde und mithilfe seiner Steuerdüsen an einer Position verharrte. Er hatte genug Treibstoff geladen, um jahrelang hier verweilen zu können. Die Funkabteilung versuchte die Verbindung aufzubauen. Kurz zuvor bestätigte die Ortungsabteilung, dass sie sich nur um wenige Lichtsekunden verflogen hatten. Wieder kam der Applaus auf. Dass die erste Etappe so gut verlief, hatte niemand erwartet.

 

»Verbindung hergestellt!«, kam die Meldung der Funkabteilung. Kemp trat an den Rand des Kommandopodests und baute ein Kommunikationsholo auf. Schnell war die Verbindung mit der Erde aufgebaut.

»Kontrollzentrum Terra, hier spricht die YOSHIDA. Empfangen Sie uns?« Die Verbindung sollte eigentlich ohne Zeitverlust funktionieren, doch die Antwort ließ ein wenig auf sich warten. Kemp überlegte noch, ob der Kontakt vielleicht doch nicht fehlerfrei ablief, doch das Holo zeigte keine Fehler an. Der übermittelte Standortcode war definitiv der Terras. Die Verbindung sollte also…

»Hier Kontrollzentrum! YOSHIDA, wir empfangen Sie glasklar. Wie ist ihr Status?« Parallel zur Sprache flackerte das Holo kurz und das Gesicht des Funkoffiziers auf der Erde erschien. Zum dritten Male kam Beifall. Dieses Mal auf beiden Seiten der Verbindung.

»Unser Status ist gut. Wir haben uns nur um wenige Lichtsekunden verflogen, ansonsten direkt auf Kurs. Die Hyperfunkverbindung steht stabil mit genug Reserven. Wir fangen jetzt an mit der Kartierung des Sektors und melden uns vor dem Start der zweiten Etappe erneut. YOSHIDA Ende« Kemp wartete die Bestätigung des Funkers ab und trennte die Verbindung. Wobei, natürlich würde sie bestehen bleiben, parallel zu einer Bild-/Sprechverbindung war auch der Datenstream ständig aktiv. Die von der Ortung ermittelten Daten über nahe Sterne und Planeten wurde in eine Datenbank eingetragen, auf deren Basis eine Sternenkarte entwickelt wurde, mit Sol und Terra als Ursprung. Die neu gewonnenen Daten wurden gleichzeitig zur Erde gesendet, sodass die neuen Daten direkt in die Forschungen einfließen konnten. Innerhalb weniger Minuten sammelte die YOSHIDA mehr astrophysikalische Daten, als sämtliche Erdteleskope zusammen es gekonnt hätten. Die Erkenntnisse waren von unschätzbarem Wert. Die nächste Etappe war erst in vier Stunden angesetzt, also hatte Kemp Zeit für etwas, das er schon immer einmal tun wollte.

Die YOSHIDA hatte drei Hangars, einer war mit vier Schiffen der DIMENSION-Klasse bestückt, die anderen beiden waren kleiner und beherbergten jeweils drei Schiffe von der Größe einer GENESIS. Und so eines lag jetzt vor Kemp auf einem Antigravfeld. Er wollte sich das EZ Aquarii System einmal aus der Nähe ansehen. Die rote Sonne, die sie bei der Ankunft gesehen hatte, war nur eine von dreien. Untereinander waren die roten Zwerge wenige Lichtminuten voneinander entfernt. Leider waren sie so lichtschwach, dass sie von der Erde aus nicht beobachtet werden konnten, zumindest nicht mit bloßem Auge. Also wollte er näher heranfliegen.

Routiniert startete er den Diskus und verließ den Hangar. Der erste Stern stand nicht weit entfernt, innerhalb weniger Minuten erreichte er ihn. Dabei war er oberhalb der Ekliptik geflogen und konnte so gute Bilder des Systems machen. Die Bilder waren im Vergleich zu den Messdaten irrelevant, aber sie konnten einige Kataloge verschönern. Der Computer errechnete die Bahnen der Sonnen, im Holo wurde eine Darstellung sichtbar, in der das gemeinsame Schwerkraftzentrum sichtbar wurde. Die Schilde waren stark genug, also wagte er es und flog mitten hinein. Die Navigationsunterstützung schaltete Kemp aus, sodass er genau spürte, wann die Schwerkraft der einzelnen Sterne einsetzte. Sie war stark und hätte ihn mehrmals fast aus der Bahn geworfen, doch plötzlich war keine Kraft mehr zu spüren. Er befand sich jetzt genau im Mittelpunkt. Das Gefühl war unglaublich, zumindest wenn man wusste, was das bedeutete. Ein Funkruf aus dem Schiff unterbrach ihn in seinen Gedanken.

»Sir, wir haben im System mehrere Planeten entdeckt. Aus der Ferne betrachtet scheint es sich um einen Gesteinsplaneten und zwei Gasriesen zu handeln. Wir können von hier aus keine genaueren Messungen vornehmen. Was sind Ihre Anweisungen?« Kemp überlegte kurz und fasste dann einen Entschluss.

»Bleiben Sie auf Position. Ich sehe mir das näher an«

Man sollte meinen, wenn man in einem Sonnensystem alle Planeten gesehen hat, wären andere Planeten nichts neues mehr. Doch so dachte Kemp nicht. Der relativ sonnennahe Gesteinsplanet war vergleichsweise uninteressant. Er unterschied sich nicht sehr vom bereits bekannten Merkur, außer, dass seine Umlaufzeit vergleichsweise länger war. Immerhin drehte er sich um drei Sonnen, statt um eine. Doch die Gasplaneten waren beeindruckend. Der erste hatte gewisse Ähnlichkeiten mit Jupiter, doch besaß er im Gegensatz dazu ein Ringsystem. Die Ringe bestanden hauptsächlich aus Gestein und Staub, doch hatten sich in den äußeren drei Ringen zum größten Teil Methaneis angesammelt. Die Forscher auf der YOSHIDA vermuteten spontan, dass es sich um Überreste eines oder mehrerer großer Monde handelte.

Der zweite Gasriese war etwas Neues. Wo Jupiter rötlich-braun, Saturn gelblich, Neptun blau und Uranus blassgrün erschien, bestach dieser durch ein sattes dunkelgrün. Auch hier hatten sich Ringe gebildet. Und das war noch nicht genug der Wunder, der innere der beiden Ringe bestand aus… Ja, aus Glas. Oder zumindest einem glasähnlichen Mineral. Flog man im richtigen Winkel heran, brach sich das Licht der Sonnen darin und der Ring schimmerte in den Farben des Regenbogens. Es war ein atemberaubender Anblick.

Mit den gesammelten Daten und Bildern kehrte Kemp zur YOSHIDA zurück. Die Wissenschaftler überschlugen sich fast, als sie sahen, wie präzise die Daten waren, die gerade aus der GENESIS heruntergeladen wurden. Der Hauptcomputer des Schiffes fing sofort an zu rechnen, stellte Simulationen und Modelle auf. Plötzlich leerte sich der Hangar und Kemp sah, wie Männer und Frauen in weißen Kitteln in Labore liefen. Er lachte, schüttelte den Kopf und begab sich wieder in die Zentrale.

»YOSHIDA an Terra, wir leiten die nächste Etappe ein. In zwei Minuten ist die Geschwindigkeit ausreichend, um in den Hyperraum zu wechseln. Wir melden uns, sobald wir wieder zurückgekehrt sind« Er gab die Befehle an den Piloten weiter und die Maschinen fingen an zu arbeiten. Durch die Andruckabsorger unbemerkt, beschleunigte das Schiff und hatte kurz darauf die halbe Lichtgeschwindigkeit erreicht. Wieder verschwand die YOSHIDA im Hyperraum.

*

Die zweite Etappe war ohne Probleme verlaufen. Wieder hatte die Stellarkartographie die Umgebung genau gescannt und die Sternenkarten vervollständigt. Das zweite Funkrelais funktionierte ebenfalls problemlos und der Kontakt zur Erde war binnen Sekunden hergestellt. Daraufhin wurde die dritte Etappe eingeleitet. Und die YOSHIDA stand kurz davor, in den Normalraum zurückzukehren.

Kemp hatte einige Stunden geschlafen, geduscht und bereits wieder einen halben Liter Kaffee intus. Gerade betrat er erneut die Zentrale und stellte sich auf das Kommandopodest.

»Wie sieht es aus?«, fragte er in die Runde. Er hätte die Daten auch aus dem Holo ablesen können, doch er legte Wert auf menschlichen Kontakt.

»In drei Minuten verlassen wir den Hyperraum. Damit wäre auch die vorletzte Etappe abgeschlossen« Der Pilot wandte sich wieder um und begann mit den Vorbereitungen. Vorsichtig gab er Umkehrschub und das Schiff verlangsamte.

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