Die Zwillinge der Zeit

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Die Zwillinge der Zeit
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Die Zwillinge der Zeit

Dana S. Lublow


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Impressum

Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.

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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR

Mühlstraße 10, 88085 Langenargen

Lektorat: Sandy Penner + Melanie Wittmann

Cover gestaltet mit Bildern von © Chorazin – Fotolia lizensiert und Alexey Pavluts – Adobe Stock lizensiert

Illustrationen: Dana S. Lublow

Alle Rechte vorbehalten.

Taschenbuchauflage erschienen 2013

Herstellung: Redaktions- und Literaturbüro MTM

ISBN: 978-3-86196-242-7 - Taschenbuch

ISBN: 978-3-96074-311-8 - E-Book

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Inhalt

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Ich widme dieses Buch all denen,

die mich beim Schreiben unterstützt haben,

aber vor allem meinen Eltern.

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Die geteilte Welt


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„Nur sie können, dank der Magie der Drachen,

den Ring der Macht finden

und die geteilte Welt von der Dunkelheit befreien.“

Letzte Strophe der Prophezeiung

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Prolog: Der Anfang vom Ende

In einer Nacht, die jeder anderen zu gleichen scheint, werden zwei Kinder geboren. Sie sind Zwillinge und die Töchter des Königs und der Königin der Elfen von Baril, dem Königreich der geteilten Welt, dessen Krieger immer noch für das Gute kämpfen.

Baril und Darilon, das Land der Dunkelheit, führen einen erbitterten Krieg gegeneinander. Denn das Gute kann nicht ohne das Böse existieren, genauso wie der Schatten ohne das Licht nicht existieren kann.

Sind es diese beiden Kinder, die es dennoch schaffen werden, das Böse zu besiegen und der Welt wieder Frieden zu bringen?

***

Die Kristallburg, der Mittelpunkt von Baril, lag in tiefer Nacht. Alles war ruhig. Nur die Raben kreisten Unheil bringend über dem Schloss. Eine Wolke verdunkelte den Mond und dann geschah es. Ein Schatten kletterte den Turm hinauf, schwang sich durch ein Fenster und schaute sich um. Er hatte es geschafft. Er war drinnen. Doch das war nicht die Zeit, sich darüber zu freuen.

„Bring mir die Tochter meiner Schwester“, hatte Laika, die Königin von Darilon, gesagt.

Der Schatten befand sich direkt im Zimmer der Königsfamilie von Baril. Wie leichtsinnig derjenige doch gewesen war, der das Fenster offen gelassen hatte. Der Schatten schaute sich um. In einem größeren Bett lag die Königin. Aber in dieser Mission ging es nicht um sie. Es ging um ihre Tochter. Er trat näher an die Wiege der Prinzessin und jetzt erst bemerkte er es.

Es war nicht eine Prinzessin, es waren zwei. „Zwillinge“, murmelte der Schatten.

Da hörte er plötzlich Schritte auf dem Gang. Er musste sich entscheiden. Er nahm ein Kind und kletterte aus dem Fenster. Gerade rechtzeitig.

Als er auf dem Boden ankam, rannte er über die Ebene bis zum schützenden Wald. Jetzt wurde in der Kristallburg Alarm geschlagen, doch der Schatten wusste, dass er es geschafft hatte. Nun musste er zur Königin von Darilon zurückkehren.

Miyu, die Königin von Baril, hielt das ihr verbliebene Kind im Arm und drückte es fest an sich. Ihre Gedanken kreisten um das geraubte kleine Mädchen. Hoffentlich hatte man ihm nichts angetan. Sie war erschüttert. Wer tat so etwas? Wie hatte so etwas überhaupt passieren können? Bei den vielen Wachen?

„Der Schatten“, flüsterte sie. „Verdammt!“ Erneut hatte ihre Schwester Laika, die Königin von Darilon, sie überlistet.

„Eure Hoheit, was tun wir jetzt?“, fragte Yuuko, der oberste General der Drachenkrieger.

„Wir müssen meine zweite Tochter fortbringen, um sie zu schützen. Wenn sie alt genug ist, wird sie es verstehen“, antwortete Königin Miyu. Ihr Verstand gab vor, was zu tun war, doch ihr Herz wollte sich nicht von dem kleinen Wesen trennen.

„Ich kenne jemanden, der sie gewiss aufnimmt und sich gut um sie kümmert. Ich kann das Kind persönlich bringen“, erklärte General Yuuko.

Die Königin rang mit sich, küsste das Kind auf die Stirn und drückte es noch einmal an ihr Herz. Als sie es ihm dann vorsichtig reichte, lief eine Träne über ihr Gesicht.

„So verliere ich beide Kinder in nur einer Nacht. Ich erwarte dich morgen wieder hier“, entschied die Königin.

„Verstanden. Ich sage meinem Herrn Bescheid.“

Miyu schüttelte den Kopf. „Ich sage es ihm. Geh und bitte ihn herzukommen.“

General Yuuko verbeugte sich und verließ den Raum, um die einzige Hoffnung der geteilten Welt zu verstecken.

*

Teil 1: Die Magierin – Kapitel 1: Seron

16 Jahre später

Die Sonne ging über der Ebene auf und überflutete Seron mit Licht. Die Vögel fingen an zu zwitschern und erhoben sich in den strahlend blauen Himmel. Ein leichter Wind wehte, drückte das grüne Gras zu Boden und ließ die Blätter der Bäume an den Ästen tanzen. In Seron erwachte das Leben.

Die Händler bauten ihre vielen Stände auf und öffneten ihre Läden. Die Arbeiter fingen an, ihr übliches Tagewerk zu verrichten.

Ayuma Shino erwachte. Licht fiel auf das Ende ihres Bettes und ließ sie mit einem Mal hellwach werden. Das Mädchen sprang aus seinem Bett und rannte nach unten, wo sein Vater Izores schon in seiner Schmiede arbeitete. Izores war der Einzige in Seron, der dieses Handwerk ausübte, und deswegen lebten sie für ihre Verhältnisse nicht gerade schlecht.

„Guten Morgen“, rief Ayuma fröhlich und hüpfte zum Schrank, in dem sie einen Laib Brot fand. Sie riss sich ein großes Stück davon ab und legte den Rest zurück auf die Ablage. Es war ein wunderschöner Morgen und Ayuma genoss die frühen Sonnenstrahlen, sie lächelte vor sich hin.

„Da ist aber jemand fröhlich! Was hast du heute vor?“, fragte Izores, den Ayumas gute Laune ansteckte.

„Ich mach irgendwas mit Airo und Mornan.“

„Aber geht nicht zum Sperrgebiet. Man hört derzeit immer wieder, dass dort merkwürdige Dinge vor sich gehen. Es ist gefährlicher denn je. Ihr wisst ja eh, dass ihr da nicht hindürft.“

„Ja, wissen wir, aber wir wollen sowieso zum Wald.“

Izores war beruhigt.

Ayuma, Airo und Mornan waren andauernd in der Nähe des Sperrgebiets, obwohl sie damit gegen den ausdrücklichen Willen ihrer Eltern verstießen. Noch nie war ihnen irgendetwas passiert.

„Ach ... du bist mit der Küche dran!“ Izores drehte sich zu ihr um.

Ayuma verdrehte die Augen. „Vater, ich war ...“

„War nur ein Scherz! Jetzt beeil dich!“

„Ich bin dann weg!“ Sie umarmte ihren Vater und stürmte aus dem Haus.

Airo Seram und Mornan Daiko warteten schon am Stadttor auf Ayuma. Es war gefährlich, in Kriegszeiten im Wald zu spielen, aber zum Glück hatten die Gefechte Seron noch nicht erreicht. Doch das war nur eine Frage der Zeit.

„Du bist zu spät“, maulte Mornan.

„Tut mir leid, aber mein Vater musste mir wieder einmal sagen, dass wir nicht zum Sperrgebiet gehen sollen“, sagte Ayuma.

Die drei zogen los.

„Ja, das hat meine Mutter heute auch erwähnt“, meinte Airo.

„Ihr habt jedenfalls Eltern und keine Schwester, die sich einmischt“, maulte Mornan.

„Ist Dorna denn so schlimm?“, fragte Ayuma.

„Immer sagt sie, was ich tun und lassen soll. Belehrungen den ganzen Tag über, das nervt. Sie will einmal Drachenmeisterin an der Akademie werden und übt Erziehung an mir. Natürlich hat auch sie das Sperrgebiet verboten“, antwortete Mornan.

„Habt ihr schon einmal darüber nachgedacht, was ihr werden wollt?“, wollte Ayuma wissen.

„Ich will bei den Dämonenrennen mitmachen“, sagte Mornan sofort.

Airo zuckte nur mit den Schultern.

Er und Mornan waren beste Freunde und doch völlig unterschiedlich. Airo hatte kastanienbraune Haare und grüne Augen. Er lebte mit seiner Mutter im unteren Bezirk. Er wollte am liebsten Magier werden, aber das gab er nicht zu. Jedenfalls nicht, wenn Mornan dabei war. Airo mochte nicht im Mittelpunkt stehen und war der Vernünftigere.

Mornan hatte dunkle Haare, in denen Dutzende blonde Strähnen aufblitzten, und braune Augen. Seine Mutter war eine Nymphe gewesen, weshalb in seinen Adern Nymphenblut floss. Seine Eltern waren früh gestorben und so teilte er sich mit seiner Schwester ein Zimmer in einem Gasthaus. Mornan war impulsiv und abenteuerlustig. Er wollte einmal an den berühmten Dämonenrennen teilnehmen, dabei wusste er nicht einmal, wie er einen Dämon bekommen sollte.

Elfen, Nymphen, Floranier, Nekori und Taychoni konnten im Laufe ihres Lebens tierische Begleiter finden, die das passende Gegenstück zu ihrer Seele bildeten und alle Gedanken und Gefühle mit ihnen teilten. Man nannte sie Dämonen. Sie waren gutartig. Die Einzigen, die keine Dämonen besitzen konnten, waren Menschen.

 

„Und was ist mit dir?“, fragte Mornan.

„Ich weiß es nicht“, antwortete Ayuma. „Irgendwann wird der Krieg auch zu uns kommen und spätestens dann werde ich kämpfen.“

„Du hast doch noch nicht einmal eine richtige Waffe“, meinte Mornan.

„Die bekomme ich noch“, sagte Ayuma.

„Ja, genau wie du, Mornan“, erklärte Airo und rempelte Mornan absichtlich an.

Dann rannten sie hinunter zum Fluss. Dort warteten schon Gorek und Riku Norn, ungeduldig wie immer. Ihre Eltern waren Bauern und bewirtschafteten die Felder um die Stadt. Man sah ihnen an ihrer kräftigen Statur die harte körperliche Arbeit an.

„Da seid ihr ja endlich“, wurden die Ankömmlinge von Gorek begrüßt.

„Ein schönes Hallo oder Toll, dass ihr gekommen seid! hätte es auch getan“, flüsterte Airo Ayuma ins Ohr. Diese grinste.

Sie waren meistens zu fünft und Ayuma war oft das einzige Mädchen. Ab und zu kam Mornans ältere Schwester Dorna mit, aber das kam selten vor.

Gorek forschte weiter nach, wo sie denn den ganzen Morgen über gewesen waren.

„Sind wir denn so viel zu spät?“, wich Mornan aus.

„Mal abgesehen davon, dass wir Mittag haben ...“ Riku klang beinahe vorwurfsvoll.

„Was habt ihr denn den ganzen Morgen gemacht?“, lenkte Ayuma die Aufmerksamkeit auf Gorek.

„Wir haben uns als Fischer versucht. War nicht so erfolgreich, aber es macht eine Menge Spaß.“ Er deutete auf einen Haufen improvisierter Angeln. „Riku hat schon einen Stiefel aus dem Fluss geangelt und ich eine halbe Dose. Vielleicht haben wir zusammen ja mehr Glück.“

Das Fischen machte einen Riesenspaß. Es war zwar sehr eklig, den Wurm an der Spitze zu befestigen, und es dauerte sehr lange, bis die Fische endlich anbissen, aber wenn man dann einen Fisch hatte, konnte man stolz auf sich sein.

Am späten Nachmittag zählten sie, was sie gefangen hatten: sechs Forellen, einen Lachs, der sich wahrscheinlich verschwommen hatte, verschiedene Fische, die keiner von ihnen einordnen konnte, und eine weitere kaputte Dose, die Mornan gefangen hatte.

Die fünf beschlossen, die Fische zu braten. Doch niemand konnte mit Steinen einen Funken schlagen, um das Holz zu entzünden. Schließlich verdrehte Airo die Augen, murmelte einen Zauberspruch und das Feuer loderte auf. Das fanden Gorek, Mornan und Riku so toll, dass sie ihn auf den Schultern zum Fluss brachten und ihn direkt hineinbeförderten. Ayuma brach in schallendes Gelächter aus, als Airo Mornan packte, der einen Moment lang nicht aufpasste, und schon lagen beide im Wasser. Ayuma steckte noch schnell die Fische an einen Stock, hängte sie über das Lagerfeuer und half dann Mornan und Airo, auch noch die anderen Jungen ins Wasser zu schmeißen. Am Ende waren sie alle bis auf die Haut durchnässt. Aber zum Glück waren die Fische fertig gebraten.

Tropfend, vor Kälte fast eingefroren, aber dennoch glücklich aßen sie in eine große Decke gehüllt die leckere Mahlzeit am wärmenden Feuer. Inzwischen war es dunkel geworden, aber die magischen Flammen knisterten immer noch munter vor sich hin.

Die Fische waren köstlich, doch sie steckten voller Gräten. Als schon keiner von ihnen mehr Hunger hatte, waren immer noch Fische übrig.

„Schade, dass es nicht immer so bleiben wird“, sagte Riku. Alle schauten ihn überrascht an. „Na, wir werden erwachsen, ich schaue mich schon nach einer Arbeit um, Gorek hilft sogar bei den benachbarten Bauern auf den Feldern mit. Bei mir wird es auch nicht mehr lange dauern, bis ich etwas Gutes, aber vor allem gut Bezahltes gefunden habe. Einen kräftigen Jungen kann man überall gebrauchen.“

Mornan lachte. „Du und kräftig?“

„Ja, ja, lach du nur. Du suchst doch wahrscheinlich selber Arbeit.“

„Bis ich endlich meinen Dämon gefunden habe, werde ich Kriegsdienst leisten“, meinte Mornan.

„Du kannst doch noch nicht mal ein Schwert halten.“ Diesmal war es Gorek, der sprach.

„Tja, aber ich kann es lernen“, meinte Mornan und verdrehte die Augen.

Ayuma grinste. So waren die Jungs nun einmal. Sie hielten sich immer selbst für den größten und besten Krieger, wurden dann von ihren Freunden zurechtgewiesen und gaben meistens klein bei. So war es schon immer gewesen. Ayuma erinnerte sich noch genau, wie sie die vier kennengelernt hatte ...

Es war an einem heißen Sommertag. Ayuma schlenderte durch Seron. Sie hörte Geschrei und wirbelte herum. Ein Junge rannte auf sie zu, einen kleinen Geldbeutel in der Hand. Er packte sie an der Schulter und zog sie hinter eine Mauer. Er keuchte.

Dann rannte ein Mann durch die Gasse, er sah sie nicht. „Halt Junge, ich krieg dich“, rief er und lief schneller.

Ayuma schaute den Jungen, der sie umgestoßen hatte, genauer an. Sie kannte ihn, er war meistens in Begleitung seiner Schwester anzutreffen. „Woher hast du das?“ Ayuma nickte zu dem Geldbeutel, den der Junge jetzt aus ihrem Blickfeld schob.

„Tut mir leid, meine Schwester und ich brauchen das Geld.“

„Das ist gestohlen, du darfst es nicht behalten.“

„Wenn ich einmal reich bin, zahl ich ihm jedes Goldstück zurück.“ Der Junge stand auf.

„Ach, du wirst einmal reich?“, fragte Ayuma ungläubig. Neugierig geworden, ergriff sie die Hand, die er ihr hinhielt, und ließ sich von ihm hochziehen.

„Natürlich, irgendwann werde ich der beste Dämonenrenner der ganzen geteilten Welt sein.“

„Wie heißt du?“

„Mein Name ist Mornan.“

„Ich bin Ayuma. Wo ist überhaupt dein Dämon?“

„Er hat keinen“, sagte eine Stimme hinter ihr. Sie gehörte Airo, wie sie später erfuhr. Er kam mit Gorek und Riku auf die beiden zu.

„Irgendwann hab ich einen“, behauptete Mornan.

„Die übliche Leier, das sagt er jedes Mal“, meinte Gorek zu Ayuma. Mornan, der es natürlich gehört hatte, streckte Gorek die Zunge raus und Ayuma musste grinsen.

Von da an trafen sie sich jeden Tag, machten, was immer ihnen in den Sinn kam und worauf sie gerade Lust hatten.

„Weiß einer, wie spät es ist?“, fragte Ayuma die Jungen.

Airo schaute hinauf zum Sternenhimmel. „Zwei Stunden vor Mitternacht.“ Mornan starrte ihn verwundert an und öffnete den Mund. Airo kam der unausgesprochenen Frage zuvor: „Um dir das zu erklären, bräuchte ich mindestens unendlich Zeit. Gib dich einfach damit zufrieden, dass ich es weiß!“

„Ich glaub, ich muss nach Hause“, erklärte Ayuma und sprang auf. „Mein Vater bringt mich um, wenn ich zu spät komme.“ Sie deutete auf die Fische, die noch übrig waren. „Kann ich die mitnehmen?“

„Wieso nicht, nimm sie nur.“ Mornan reichte ihr den Rest herüber.

Auch die anderen sprangen auf. Bevor sie sich trennten, schlug Airo vor, sich am nächsten Tag im Sperrgebiet zu treffen. Doch Gorek und Riku schüttelten die Köpfe und erklärten, dass sie auf den Feldern helfen mussten. Ayuma winkte zum Abschied und ging mit Airo zwischen den Bäumen davon.

Sie waren bereits eine Weile unterwegs und konnten die Stimmen der anderen nicht mehr hören. Da wagte Ayuma es vorsichtig, ihren Freund auf seine übernatürlichen Fähigkeiten anzusprechen. „Du hast Feuer gemacht und musstest dabei die Formel nicht einmal laut aussprechen. Du hast das Zeug zu einem Magier. Wo hast du es gelernt?“

„Ich habe jemanden gefunden, der mich unterrichtet.“ Airo blieb unbestimmt.

„Dann wirst du also Magier?“ Airo strahlte und drückte seine Begeisterung mit einem Kopfnicken aus. „Wenigstens einer, dessen Traum sich erfüllt“, seufzte Ayuma. Airo zog fragend die Augenbrauen zusammen. „Meinst du, Mornan wird jemals ein Dämonenrenner?“, fügte sie an.

Er zuckte mit den Schultern. „In seinen Adern fließt Nymphenblut. Es könnte schon sein, dass er noch einen Dämon bekommt.“

Ob denn vielleicht Mornans Schwester Dorna einen Dämon besaß, konnten sie nicht klären. Schweigend setzten sie ihren Weg fort und erreichten kurze Zeit später das Stadttor. Die Wachen ließen die beiden einfach vorbei. Kinder wurden selten aufgehalten und Ayuma, Airo und Mornan waren allen bekannt. Ayuma verabschiedete sich winkend, als die beiden in verschiedene Richtungen davongingen. Sie schmunzelte, sie mochte Airo. Er hatte ein ruhigeres Wesen als Mornan und konnte sich auch in andere hineinversetzen.

Als sie die Tür zur Schmiede ihres Vaters öffnete und mit einem lauten „Bin wieder da!“ eintrat, schaute Izores von seiner Arbeit auf.

„Tut mir leid, ich wollte mit dem Essen auf dich warten, aber ich muss das hier bald fertig haben“, erklärte er und hob die Klinge, an der er arbeitete.

„Hast du mir etwas übrig gelassen?“, fragte Ayuma und setzte sich an den Esstisch.

„Auf dem Herd müsste noch etwas vom Eintopf sein. Was hast du da mitgebracht?“

Ayuma hob ihre Hand in die Höhe. „Das sind Fische. Wir haben sie im Fluss gefangen und dann gebraten.“

„Leg sie in die Speisekammer.“

Ayuma tat, was ihr aufgetragen wurde. Danach nahm sie sich ihren Teller und aß, während ihr Vater mit seiner Schmiedearbeit fortfuhr.

„Ihr wart also fischen?“, griff Izores das Thema wieder auf, als Ayuma mit dem Essen fertig war und den Teller zurück auf die Ablage stellte.

„Ja, am Fluss.“

„Ihr habt nicht schon wieder mit euren Stöcken herumgefuchtelt?“ So nannte er es, wenn sie sich im Kampf übten. Ayuma bemerkte seine Missbilligung nicht und erklärte, dass wohl morgen der Tag für ihre spielerischen Kampfübungen wäre.

Da öffnete sich die Tür der Schmiede knarrend.

„Mama“, rief Ayuma erfreut und fiel ihrer Mutter um den Hals.

„Na, was hast du heute wieder angestellt?“, fragte Cass, nachdem sie Izores auf die Wange geküsst hatte.

„Wir waren fischen“, erklärte Ayuma.

„Und, was gefangen?“ Cass ließ sich erschöpft auf einem Stuhl nieder. Sie arbeitete den ganzen Tag über im Anwesen des Grafen von Seron und kam oft erst spät am Abend nach Hause. Als Ayuma kleiner gewesen war, hatte ihre Mutter mehr Zeit für sie gehabt, doch als sie älter wurde, hatte sich dies geändert.

„Na ja, ich war nicht so gut, nur eine Forelle. Die Jungs hatten mehr Glück und sie haben mir alles überlassen.“

„Dann gibt es wohl morgen Fisch. Schließlich ist ein besonderer Tag!“

Ein Lächeln stahl sich in Ayumas müdes Gesicht. Meinte ihre Mutter ihren Geburtstag?

„Ich geh dann mal schlafen“, verabschiedete sie sich und ging nach oben in ihr Zimmer.

Dort zündete sie eine Kerze an. Sie ordnete ihre Sachen, kämmte ihre Haare und betrachtete sich in dem kleinen Spiegel, der neben der Tür hing. Sie hatte smaragdgrüne Augen und schulterlange, ganz hellblonde Haare, mit denen sie in Seron auffiel. Schon lange machte sie sich keine Gedanken mehr, warum andere sie deswegen anstarrten.

Ayuma ließ sich auf ihr Bett fallen. Der Mond war durch das Fenster zu sehen. Obwohl sie so erschöpft war, konnte sie nicht schlafen, denn sie zerbrach sich viel zu sehr den Kopf darüber, dass ihre Mutter vorhin auf ihren Ehrentag angespielt hatte: „Schließlich ist morgen ein besonderer Tag!“ Was hatte Cass sich ausgedacht?

Erst spät in der Nacht schlief das Mädchen endlich ein.

Am nächsten Morgen erwachte Ayuma bereits mit den frühesten Sonnenstrahlen, als draußen die Vögel erste Lieder zwitscherten. Schlaftrunken erhob sie sich und stieg die Treppe hinab in den Wohnraum.

„Alles Gute zum Geburtstag!“, ertönte es einstimmig, als ihre Eltern auf sie zutraten.

„Vielen Dank!“, freute Ayuma sich, als Cass sie herzlich in die Arme schloss.

„Du bist jetzt sechzehn“, erklärte ihre Mutter feierlich und ließ sie los, um ihr ein Päckchen zu reichen.

Izores grinste. „Nun öffne das Geschenk endlich.“

Ayuma löste eine Schnur und zum Vorschein kam ein feiner nebelgrauer Umhang. „Oh, der ist toll! Danke.“ Sie war hingerissen und umarmte ihre Mutter. Das war es also, das große Geheimnis, auf das Cass sich für sie am Vorabend gefreut hatte.

„Ich hab auch noch was!“ Izores stand auf, aber er hatte kein Päckchen in der Hand.

„Äh ...“, setzte Ayuma zu einer Frage an.

„Ich geh es holen!“ Als er aus der Schmiede zurückkam, hielt er einen länglichen, in ein weißes Tuch eingewickelten Gegenstand in der Hand.

„Nein“, sagte Ayuma, die schon ahnte, was sich darin befand.

 

„Mach es auf“, forderte sie ihr Vater auf.

Ayuma zog das Tuch weg. Ein Schwert mit weißer, schimmernder Klinge! Der Griff ebenmäßig und ebenfalls weiß. Ayuma starrte das Schwert an. Sie hatte in ihrem Leben noch nie etwas Schöneres gesehen.

„Nimm es nur, es gehört dir“, meinte Izores stolz.

Vorsichtig nahm Ayuma es in die Hand. Sie war erstaunt, wie leicht es war. Zwar schwerer als ein Stock, aber dennoch leicht. Es passte perfekt zu ihr. Es schmiegte sich an ihre Hand und fühlte sich genau wie die Verlängerung ihres Armes an. Ihr Traum war in Erfüllung gegangen. Ein eigenes Schwert hatte sie sich schon immer gewünscht.

„Das Schwert ist aus einem weißen Kristall, den ich zufällig bei einem Händler entdeckt habe“, erklärte Izores.

„Es ist wunderschön“, bestätigte Ayuma.

„Komm mit.“

Sie gingen vor die Schmiede, wo Izores zwei Stangen aufgestellt hatte. Ayuma rannte los, drehte sich elegant und zerschnitt die Stangen sauber in der Mitte.

„Die Jungen haben dir schon einiges beigebracht.“

„Ich habe es ihnen beigebracht“, warf Ayuma ein.

„Meine ich doch.“ Ayuma hielt inne und schaute ihren Vater fragend an. „Los, lauf schon zu Mornan und Airo!“

„Danke“, rief Ayuma über die Schulter, stolperte über einen Stein, fing sich wieder und war kurz darauf verschwunden.

„Musst du heute noch zum Anwesen des Grafen?“, fragte Izores und drehte sich zu Cass um. Diese schüttelte den Kopf und erklärte, dass man heute keine Verwendung für sie habe. „Wir sollten Ayuma endlich alles erzählen!“

„Warten wir lieber noch ein Jahr. Sie ist noch so jung. Sie hat zwar jetzt ein Schwert, aber noch keine Ahnung von dem, was da draußen vor sich geht. Hier kann sie es vielleicht mit den Straßenjungen aufnehmen, doch sie wird im Krieg keine Sekunde überleben.“ Izores schaute zu Boden. Er wusste, dass seine Frau recht hatte. „Sie ist noch nicht vorbereitet. Außerdem, du willst sie doch sowieso nicht gehen lassen“, fügte Cass noch hinzu.

„Es geht nicht um mich, sondern um die ganze geteilte Welt.“

„Aber ihr Schicksal kann es nicht sein, sich für die geteilte Welt zu opfern.“

„Sie wird sich nicht opfern.“

„Doch und das weißt du!“

„Noch hat sie nicht die geringste Ahnung, wer sie ist oder welche Bestimmung sie hat“, warf Izores ein. „Wenn der Krieg Seron endgültig erreicht, dann wird sie kämpfen müssen. Spätestens dann wird ihr jemand alles erzählen. Du solltest das langsam akzeptieren!“

Cass schaute ihn wütend an, drehte sich um und ging zurück ins Haus. Izores blieb ratlos auf der Straße stehen.

„Woher hast du denn das Schwert?“

Sie waren auf der Straße in Richtung Sperrgebiet unterwegs.

„Und der Umhang ist auch neu!“

„Es sind Geschenke meiner Eltern zu meinem Geburtstag“, erklärte Ayuma fröhlich.

„Unser Mädchen ist jetzt sechzehn“, rief Airo und umarmte Ayuma stürmisch.

„Ich will auch“, rief Mornan und umklammerte beide. „Kaum sechzehn und schon machst du verbotene Sachen!“

„Es ist nicht verboten, in das Sperrgebiet zu gehen. Es ist nur auf eigene Gefahr“, erklärte Ayuma, als sie sich befreite.

„Das ist das Gleiche“, warf Airo ein.

„Du hast recht, gehen wir trotzdem.“ Vergnügt zwinkerte Ayuma mit den Augen, rannte los und zog Mornan mit sich. Airo seufzte und eilte den beiden hinterher.

Bisher hatten sie sich immer an die Weisungen der Eltern gehalten. Doch diese hatten ihr Verbot mittlerweile so oft ausgesprochen, dass nun erst recht die Neugier der Freunde geweckt war. An diesem besondern Tag waren sie bereit, ein Wagnis einzugehen.

Sie liefen ein Stück am Fluss entlang und überquerten eine alte Brücke. Hier wurde die Stadt einsamer. Sie erreichten eine Anhöhe und schauten auf eine riesige, verkohlte Fläche hinab. Vor einigen Jahren hatte ein Feuer gewütet und die Menschen mussten ihre Häuser verlassen. Es hieß, das Unglück sei in diesen Teil Serons eingezogen. Dies war das Sperrgebiet.

Warum war das Gebiet eigentlich gesperrt? Sie wussten es nicht. Sie standen dort nebeneinander und zögerten weiterzugehen. Schließlich atmete Ayuma tief ein und wortlos setzten sie ihren Weg fort. Jeder Schritt wirbelte den schwarzen Staub auf, der sich auf ihren Schuhen absetzte.

„Wieso ist denn dieser Ort verboten?“ Ayuma wurde langsam unsicher, als sie auf Höhe der verlassenen Häuser waren. Wieder schauten sie sich um.

„Verschwinden wir besser wieder von hier“, meinte Airo, doch Ayuma und Mornan reagierten nicht.

Plötzlich ertönte ein Knallen. Ayuma zog sofort ihr Schwert, obwohl sie lange nicht so von sich überzeugt war, wie sie nun vorgab. Sie hatte einfach nicht genug Übung darin. Doch eine ganze Weile passierte nichts.

Alles war ruhig. Verdächtig ruhig. Man hörte nur das leise Rauschen des Windes. Die drei drehten sich in alle Richtungen, konnten aber keine Ursache finden. Langsam schritten sie weiter.

Da erklang noch ein Knacken.

Auf einmal sprang ein Ungetüm aus einem halb zerfallenen Haus auf sie zu. Es schien nur aus Feuer zu bestehen. Die drei stolperten rückwärts. Ayuma fuchtelte wild mit ihrem Schwert, doch sie ahnte, dass sie keine Chance hatte. Sie schloss die Augen und wartete auf den Tod, der langsam näher rückte.

Stattdessen kreischte es schrill in ihren Ohren und Ayuma schlug die Augen wieder auf. Das Feuermonster war in einer blauen Kugel gefangen. Es konnte sich nicht mehr bewegen und kreischte aus voller Kehle.

„Kommt her“, rief eine Stimme.

Ayuma schaute auf. War das Dorna? Woher war sie gekommen?

Die Freunde sprangen auf und rannten auf Dorna zu, die sie rasch auf den Weg zurückzog. Sie gelangten über die Brücke und ließen sich keuchend ins Gras sinken.

„Was ist los mit euch? Seid ihr verrückt geworden? Wieso treibt ihr euch im Sperrgebiet herum?“, herrschte Dorna sie an.

„Was war das?“ Mornan saß geschockt auf dem Boden. Er konnte noch nicht verarbeiten, was gerade passiert war.

„Wie hast du es vertrieben?“, verlangte Ayuma zu wissen.

„Mit Magie, mit gewöhnlichen Waffen kann man nichts ausrichten. Woher hast du dieses Schwert?“

Ayuma schaute an sich hinunter, der Griff des Schwertes lag immer noch in ihrer Hand. Schnell steckte sie es weg. „Ich habe es von meinem Vater Izores erhalten.“

„Dein Vater kann prächtige Waffen schmieden. Aber wenn du schon eine seiner Waffen in Händen hältst, dann solltest du sie auch benutzen!“

Ayuma wurde klar, dass sie das hätte tun sollen, aber dann gestand sie: „Ich weiß noch nicht, wie man sie gegen Feinde einsetzt.“

„Wieso geht ihr drei dann gerade ins Sperrgebiet, wenn ihr euch nicht einmal verteidigen könnt? Wisst ihr nicht, worauf ihr euch dort einlasst?“, fragte Dorna immer noch zornig.

Ayuma, Mornan und Airo starrten weiter zu Boden, sie konnten keine Erklärung dafür finden.

„Nun gut. Manchmal macht man Dinge, die verboten sind. Aber sie machen euch nicht stärker oder beliebter. Meistens sind sie einfach nur dumm. Ich würde vorschlagen, ihr lernt erst einmal, mit einer Waffe umzugehen. Ein guter Krieger sollte zwar auch ein paar Zauber beherrschen, doch die Kenntnis seiner eigenen Waffe steht an vorderster Stelle.“

Ayuma sah zu Dorna auf. Was hatte sie gesagt? Man musste als Krieger auch zaubern können?

„Ist das Gebiet wegen dieser Monster gesperrt?“, meldete sich nun Airo.

Dorna setzte sich nun ebenfalls ins Gras, ihr Zorn verflog allmählich. Sie überlegte, wie sie Airo antworten sollte. „Früher lebten dort Menschen. Doch dann haben ein paar Bewohner des Bezirks einen heftigen Streit angezettelt und eine Seite hat wilde Dämonen eingesetzt. Wilde Dämonen leben frei und ohne Verbindung zu einer Person. Sie sind äußerst gefährlich. Diese Zeiten sind lange vorbei, doch einige Tiere im Sperrgebiet sind damals von ihnen gebissen worden. Ihr Gift hat diese Tiere verändert.“

Nach einer Weile riet Dorna zum Aufbruch. Gemeinsam machten sie sich auf den Heimweg. Die Gefahr war an ihnen vorbeigezogen.