Buch lesen: «Und dann kam das Wasser»
Von Dagmar Isabell Schmidbauer
Und dann kam das Wasser
Kriminalroman
Imprint
Und dann kam das Wasser
Dagmar Isabell Schmidbauer
published by: epubli GmbH, Berlin
Copyright: © 2013 Dagmar Isabell Schmidbauer
www.der-passau-krimi.de Konvertierung: Sabine Abels | www.e-book-erstellung.de
Prolog
Träge lag ihr Blick auf der Tür, die sich vor einer Ewigkeit hinter ihm geschlossen hatte.
Wie lange mochte es her sein? Stunden? Tage?
Iliana versuchte ihren Kopf zu drehen und sich im Raum umzusehen. Aber ihr Körper reagierte immer weniger auf das, was sie ihm befahl. Die Muskeln der Beine zuckten unkontrolliert, und ihr Herz schlug schnell, als könnte es damit noch irgendetwas erreichen. Als könnte es weglaufen vor dem, was ihm unmittelbar bevorstand.
Zunächst hatte sie gedacht, er würde gleich wiederkommen. Dann hatte sie vermutet, dass ihm etwas dazwischengekommen war.
Müde fiel ihr Kopf wieder auf die Brust zurück. Wie aus weiter Entfernung spürte sie die Wand in ihrem Rücken, ihre Arme waren längst taub.
Kurz stöhnte die Andere neben ihr auf, dann war wieder alles ruhig. Livia hieß sie. Sie kannten sich noch nicht lange, aber das Gesicht war ihr gleich bekannt vorgekommen. Vielleicht hatte sie sie schon einmal irgendwo gesehen. Vorher. Bevor sie sich auf dieses Abenteuer eingelassen hatte.
Jetzt stöhnte auch Iliana. Aber nur leise. Sie hatte nicht mehr genug Kraft, um laut zu klagen oder gar zu schreien. „Hilfe! Hilfe!“, hatten sie am Anfang gerufen. Aber es war umsonst gewesen und hatte nur Kraft gekostet, die ihnen jetzt fehlte. Kraft, die sie in den nächsten Stunden brauchen würden.
Sie saßen auf dem nackten Fußboden. Doch inzwischen spürten sie auch das nicht mehr. Im Raum war es unerträglich heiß. Anfangs hatten sie geschwitzt, bis T-Shirts und Hosen klatschnass waren und unangenehm an ihrem Körper klebten. Der Hunger hatte an ihren Gedärmen gezerrt wie ein kläffender Hund an der Leine, und das Gefühl, pinkeln zu müssen, hatte sie fast umgebracht. Aber der Durst, der sich leise an sie heranschlich, hatte all diese Empfindungen zunichtegemacht. Er war das Schlimmste. Sie hatte förmlich gespürt, wie sie langsam austrocknete. Erst der Mund. Dann der Hals. Schließlich der ganze Körper. Ihr Magen fühlte sich wie ein harter Klumpen an, die Haut am ganzen Körper juckte. Spannte. Trocknete ein und riss auf. Sie gierte nach Wasser. Warum hatte er ihnen kein Wasser da gelassen?
Und warum kam er nicht wieder?
Ein Abenteuer hatte sie sich gewünscht, etwas, was ihr Leben lebenswerter machte. Und Geld. Wer träumte nicht davon, Geld zu haben? Und schöne Kleider. Ja, auch davon hatte sie geträumt.
„Livia. Hörst du mich?“, wollte sie fragen, aber ihr Mund war zu trocken und ihr Körper zu schwach, um klar zu sprechen.
Die Frau in der anderen Ecke stöhnte leise. Kein weiteres Geräusch verriet, dass sie am Leben war. Nur dieses schwache Keuchen.
„Livia! Wir dürfen nicht aufgeben“, formten Ilianas spröde Lippen tonlos.
Und dann hörte sie endlich das leise Klimpern der Handschellen, mit denen sie an den Heizungsrohren festgekettet waren.
„Livia?“
„Mama?“, stöhnte die andere, und im nächsten Moment hörte sie das Würgen und schließlich, wie die Flüssigkeit auf den Boden platschte.
O mein Gott, sie weiß schon gar nicht mehr, wo sie ist.
„Livia, ich bin‘s, Iliana“, versuchte sie richtigzustellen.
Aber die andere schien nicht zu begreifen.
„Mama. Du darfst nicht böse sein … Ich war das nicht“, lallte Livia mit brüchiger Stimme. Wie eine Betrunkene.
Vom Durst betrunken. Welch Ironie.
„Livia?“
Und kurz bevor der Schwindel in ihrem Kopf einsetzte und auch sie selbst nicht mehr wusste, wo sie sich befand und wie sie in diese missliche Lage gekommen war, wurde ihr bewusst, dass sie ja schon lange nicht mehr schwitzte und nicht mehr pinkeln musste, und dass das, was Livia gerade durchmachte, auch ihr bevorstand.
Da begriff sie, dass es bald vorbei war mit ihr. Dass sie kein Abenteuer mehr erleben würde. Dass man sie einfach vergessen hatte.
Wochen später
In der Regel ist der Mensch dankbar, wenn ihm genug Wasser zur Verfügung steht. Er liebt das Duschen am Morgen und das Rauschen eines wilden Bachlaufs in der Natur. Wenn aber der Boden nach tagelangem Starkregen den Segen von oben nicht mehr aufnehmen kann, wenn Bäche und Flüsse zu reißenden Strömen werden und schließlich über die Ufer treten, dann spricht man von sintflutartigen Regenfällen, von Klimawandel und Versäumnissen, und irgendwann sogar von einer Katastrophe. Dabei gehört Hochwasser, so schlimm es sich auswirken mag, zum natürlichen Wasserkreislauf und wird dem Menschen immer wieder die Grenzen seiner Macht aufzeigen.
Auch in Passau bahnte sich Anfang Juni für die Bevölkerung eine Katastrophe an. Zunächst regnete es einfach häufiger und ein bisschen als sonst. Dann, als jeder schon darauf wartete, dass es endlich genug war und der Sommer Einzug halten würde, kam er, der ganz große Regen. Tagelang schüttete es wie aus Kübeln. Die kleinen Zuläufe von Inn und Donau brachten immer mehr Wasser und ließen die großen Flüsse so weit anschwellen, dass sie an ihrem Zusammenfluss, an der Ortsspitze von Passau, einfach nicht mehr genug Platz in ihrem Bett fanden. Innerhalb kürzester Zeit traten sie über die Ufer. Das Wasserwirtschaftsamt hatte längst vor der drohenden Gefahr gewarnt, und die, die in Ufernähe wohnten, hatten sich auf das, was sie hier regelmäßig heimsuchte, gut vorbereitet. Die Keller waren ausgeräumt, die Türen mit Sandsäcken und speziellen Hochwasserschutzabdeckungen gesichert. Ruhig harrten die Anwohner aus und hofften darauf, mit einem blauen Auge davonzukommen. Genau wie die Mitglieder des Passauer Krisenmanagements. Wie immer hatten sie die längst fertigen Pläne aus den Schubladen geholt und sich für das Unvermeidliche gerüstet. Nur um kurz darauf festzustellen, dass man sich auf solch epochale Katastrophen einfach nicht vorbereiten konnte.
Doch zu dieser Zeit ahnte niemand, wie schrecklich die Ereignisse noch werden sollten, die die Stadt innerhalb weniger Tage heimsuchen würden.
Als Franziska Steinbacher, Oberkommissarin bei der Mordkommission in Passau, vor dem Haus, in dem sie lebte, aus dem Auto und direkt in eine tiefe Regenpfütze stieg, schickte sie einen mürrischen Fluch zum Himmel hinauf, bis sie sich selbst in Erinnerung rief, dass ein nasser Turnschuh angesichts dessen, was unten in der Altstadt vor sich ging, nur eine Lappalie war.
Nur wenige Augenblicke später huschte ihr ein Lächeln übers Gesicht, denn oben in der Wohnung wartete ihr Freund, der Bühnenkünstler Walter Froschhammer auf sie. Es war durchaus denkbar, dass er ihr bereits ein heißes Bad eingelassen, etwas Leckeres gekocht und eine gute Flasche Rotwein geöffnet hatte. Beim Gedanken an den gut gebauten Bühnenkünstler schwebte Franziska geradezu die Stufen hinauf, schloss die Wohnungstür auf und rief: „Walter, bist du da?“
Ihr Herz klopfte bis zum Hals, doch außer dem aufgeregten Pochen in ihrem Innenohr vernahm sie nichts.
„Walter?“, versuchte sie es erneut, aber auch dieses Mal bekam sie keine Antwort. Im Bad plätscherte kein Wasser in die Wanne, in der Küche brutzelte keine Köstlichkeit in der Pfanne, und in der ganzen Wohnung war es mucksmäuschenstill.
Enttäuscht zog sie die triefenden Schuhe und Socken und die regenbenetzte Jacke aus, schmiss die Tasche auf den Boden und patschte mit nassen Füßen und hängenden Schultern durch den Flur in Richtung Küche.
Am Nachmittag, als abzusehen gewesen war, dass sie später als verabredet nach Hause fahren musste, hatte sie ihm in aller Eile eine SMS geschrieben und ihn gebeten, in ihrer Wohnung auf sie zu warten. Kannst ja schon mal alles vorbereiten, hatte sie rasch getippt, einen Smiley drangehängt und sich gefreut. Auf ihn und darauf, dass es mit ihm nie langweilig wurde.
Tatsächlich war ihre Beziehung noch immer genauso aufregend wie vor gut einem Jahr, als sie sich kennengelernt hatten. Damals hatte Franziska mit ihrem Kollegen Hannes im Fürstbischöflichen Opernhaus im Fall einer ermordeten Sängerin ermittelt, und Walter hatte zu den Hauptverdächtigen gezählt. Zunächst. Nach und nach hatte sich nämlich herausgestellt, dass Walter die Tote zwar gekannt und wahrscheinlich auch begehrt, aber definitiv nicht erschlagen hatte.
Was dann aber passiert war, klang auch heute noch wie aus einem billigen Groschenroman. Kaum war die Kommissarin den Umgarnungen des Bühnenkünstlers erlegen, wurde er auch schon in einen weiteren Mordfall verwickelt. Diesmal im Fürstenkeller des Oberhauses, wo Walter von der Museumsdirektorin für die Gestaltung einer historischen Wand engagiert worden war. Glücklicherweise hatte er jedoch auch mit diesem Mordfall nichts zu tun, daher stand ihrer Liebe seit der ersten gemeinsamen Nacht in den Kulissen von „Frau Luna“ nichts mehr im Wege. Außer vielleicht, dass Walter als Mann völlig unberechenbar war und als Künstler andauernd nackte Frauen porträtierte, die er durch seine ganz eigene Art zum Leuchten brachte.
Gerade jetzt fand Franziska sein Benehmen allerdings weder reizvoll noch unberechenbar, sondern einfach nur unmöglich. Wie konnte er sie nur versetzen! Wo sie sich doch so auf ihn …
Mitten im Gedanken hielt Franziska inne. Aus dem Augenwinkel hatte sie ein Flackern wahrgenommen, und als sie den Kopf drehte, sah sie durch den Türspalt ein orangefarbenes Licht in den Flur scheinen. Das kam aus dem Wohnzimmer.
Alarmiert schoss sie herum. Hatte der Dauerregen vielleicht einen Kurzschluss ausgelöst und stand, während sie ihr Hirnschmalz an einen eitlen Hallodri verschwendete, vielleicht schon die halbe Wohnung in Flammen? Witternd hob sie die Nase, konnte aber keinen Rauch riechen.
Dann ein Einbrecher, war ihre nächste Vermutung und der Grund, warum sie mit geübtem Griff die Heckler & Koch aus dem Holster zog, die Waffe entsicherte und leise den Flur entlang schlich.
Sie hätte später nicht sagen können, womit sie eigentlich gerechnet hatte, aber es war sicher nicht das, was sich in diesem Moment vor ihren Augen abspielte: Der große Tisch, an dem sie normalerweise aß und arbeitete, war ganz an die Wand gerückt worden. Die beiden Korbstühle standen obendrauf, die anderen waren untergeschoben. Bücherregal und Fernseher wurden von einem großen Paravent verdeckt, den eine aufgemalte Hügellandschaft zierte. Die Vorhänge vor dem Fenster waren zugezogen, das Sofa umgekippt und mit einem grauen Stoff verhängt, sodass es an einen massiven Felsen erinnerte. Mitten im Zimmer stand ein Baum, der mit seinen blattlosen Ästen die Decke zu stützen schien. Auf dem Boden lagen dicke Tierfelle, daneben flackerte in einem Feuerkorb eben jenes künstliche Feuer, dessen Flammen sie schon im Flur wahrgenommen hatte. Mittendrin lag ein großer schöner Mann, splitterfasernackt, bis auf ein grobes Tuch, das er sich um die Mitte geschlungen hatte. Auffordernd hielt er ihr einen schweren, prunkvoll verzierten Kelch entgegen.
„Zur Strafe für dein Zuspätkommen musst du den Sühnetrunk zu dir nehmen“, erklärte er mit strenger Miene.
Ein Schauer lief Franziska den Rücken hinunter. Nicht wegen der Strafe; die hätte sie gern auf sich genommen. Es lag an Walters perfekt definiertem Oberkörper, von dem sie den Blick nicht wenden konnte und der sie sofort schwach werden ließ.
„Was ist das?“
Franziska steckte ihre Pistole wieder ins Holster und kniete sich neben Walter auf eines der Felle. Neugierig schnupperte sie an der Flüssigkeit in dem Kelch, den der Bühnenkünstler ihr in die Hand gedrückt hatte. Sie roch nach Wein und irgendwelchen fremdländischen Gewürzen.
„Trink!“, befahl Walter mit gespieltem Ernst. „Danach wirst du mir hemmungslos verfallen, und nichts wird mehr sein, wie es einmal war.“
Franziska grinste und rückte noch ein bisschen näher. „Sagt wer?“
„Tristan.“
„Isoldes Tristan?“
„Sehr gut.“ Walter sprach immer noch mit dieser gekünstelten tiefen Stimme. „Du kennst dich aus. Dann weißt du sicher auch, dass wir uns beeilen müssen, weil es sonst zu spät für uns ist.“
„Musst du weg?“ Franziska warf einen Blick auf die Uhr. Halb neun schon.
„Jetzt sei doch nicht so unromantisch“, mahnte Walter, mit gewohnter Stimme, und erhob sich, um sich ihr gegenüber zu knien. Dann räusperte er sich und veränderte seine Stimme erneut. „Du bist König Marke von Cornwall versprochen, meinem Onkel“, erklärte er voller Ernst, fasste sie bei den Schultern und schüttelte sie vorsichtig. „Nachdem ich deinen Verlobten im Kampf getötet habe, soll ich dich nun zum König bringen, damit er dich heiraten kann. So lautet die Vereinbarung.“
„Und, äh … will ich das?“ Franziska rutschte auf den Knien süffisant lächelnd auf Walter zu und berührte mit ihrer freien Hand zärtlich seine nackte Brust.
„Nicht mehr, wenn du diesen Trank zu dir genommen hast“, erklärte Walter grimmig und deutete mit dem Kopf auf den Kelch in ihrer anderen Hand. Dann grinste er lüstern und flüsterte: „In der Geschichte war es übrigens umgekehrt. Da sollte Tristan den Sühnetrunk nehmen, aber schließlich bist du ja zu spät gekommen.“
„Und du meinst, wenn ich das trinke, vergesse ich alles um mich herum?“ Franziska führte den Kelch zum Mund, trank aber nicht.
„Ja.“
„Das wäre ja wunderbar. Weißt du, bei uns war heute der Teufel …“
„Den wollen wir noch nicht rufen, der kommt später. Jetzt musst du trinken.“
Franziska nippte an der blutroten Flüssigkeit. „Hmmm! Das schmeckt ja lecker. Was ist da drin?“ „Ein Liebeselixier.“
„Uhh. Igitt.“ Franziska verzog das Gesicht. „Du meinst Schlangen, Nashornhoden und Yak-Penis?“
Walter lachte hell auf. „Warum musst du eigentlich immer alles so genau wissen? Nimm lieber noch einen Schluck.“
Franziska trank, bis ihr etwas einfiel. „Sag mal, hat nicht Isolde mit Tristan gemeinsam getrunken, weil sie mit ihm sterben wollte, und nur weil die Dienerin den Todestrunk gegen einen Liebestrunk ausgetauscht hat, haben sie sich verliebt statt tot umzufallen?“
Walter zuckte mit den Schultern. „Was du alles weißt.“
Franziska reichte ihm den Kelch und stand auf. „Du bist dran. Trink!“, hauchte sie, legte das Holster ab und begann sich schmunzelnd die Bluse aufzuknöpfen.
Aber Walter tat nichts dergleichen. Stattdessen starrte er sie an. „Merkst du denn schon, wie er wirkt?“, fragte er skeptisch.
Franziska schüttelte den Kopf und ließ die Bluse zu Boden gleiten. „Quatsch, so schnell wirkt das doch nicht“, sagte sie, obwohl sie überrascht bemerkte, dass der Trank ihre Stimmung zu heben schien. Sie öffnete ihre Jeans und schob sie sich langsam über die Hüften. „Na los, du musst auch trinken“, forderte sie und lächelte verführerisch.
Aber anscheinend war Walter noch nicht überzeugt. „Wie fühlst du dich?“, fragte er zögernd, als Franziska die Hose von den Beinen streifte und mit einem beherzten Schlenker des Fußes in die Zimmerecke schleuderte.
„Großartig.“ Sie trug nicht mehr als das sündige Set aus schwarzer Spitze, das mehr verriet als verbarg und das ihr Walter anlässlich ihres Halbjährigen geschenkt hatte. Er verschlang sie mit seinen Blicken, als sie sich auf die Knie sinken ließ und geschmeidig wie eine Wildkatze auf ihn zu kroch.
Walter grinste. „Hemmungslos?“
„Ja-haa!“ Franziska setzte sich rittlings auf seinen Schoß, führte ihm den Kelch an die Lippen und hob ihn an, bis er trinken musste. Erst als der Becher fast leer war, ließ sie von ihm ab, trank den Rest und leckte Walter einen Tropfen vom Mundwinkel.
„Was immer das war, es ist sehr gut dazu geeignet, eine müde Kommissarin allen Stress vergessen zu lassen“, schnurrte sie, bevor sie ihn erneut küsste, während sie die rechte Hand an ihren Rücken führte und den Verschluss des Büstenhalters aufschnappen ließ. Der transparente Stoff glitt ihr von den Schultern. Doch bevor sie Walter richtig zum Schwitzen bringen konnte, hob er sie von seinem Schoß, zurrte das Tuch um seine Lenden fester und drückte die Kommissarin auf die Felle nieder.
Lüstern grinsend begann Franziska, sich vor ihm auf dem Boden zu rekeln, und als er sie aufforderte, die Augen zu schließen, tat sie es nur zu gern.
„Kommt jetzt der Teufel?“, wollte sie kichernd wissen, doch Walter wiegelte ab.
„Noch nicht, aber bald“, versprach er großspurig.
„Muss ich mich fürchten?“
„Ein bisschen.“ Walter lachte. „Aber ich werde dir die Augen verbinden, damit du ihn nicht sehen musst.“
Unter dem Sofa zog er einen schwarzen Schal hervor und verband ihr die Augen. Dann küsste er sie zärtlich auf den Mund, schob ihre Arme nach oben und band auch diese an den Handgelenken zusammen.
„Tut mir leid, Süße, aber du bist dem König versprochen, und ich muss dich ihm jetzt ausliefern.“
„Was?“ Franziska versuchte sich aufzurichten, aber ihre Arme waren an irgendetwas festgebunden.
„Sch-sch! Ganz ruhig, der alte Zausel ist zwar ein Lustmolch, aber er wird dir kein Haar krümmen. Es sei denn, er findet mich nackt an deiner Seite …“
Franziska spürte, wie ihr Walter den Slip über das Gesäß zog und dabei die Innenseiten ihrer Oberschenkel berührte. Sie fröstelte. Dann bemerkte sie, dass ein Tuch über ihr ausgebreitet wurde, und begann mit den Füßen zu zappeln. Doch es war hoffnungslos. Sie konnte sich nicht von der Stelle rühren. Zudem war es um sie herum augenblicklich totenstill geworden.
„Walter!“
Kein Laut, keine Antwort.
Sie versuchte es auf die verführerische Tour. „Tristan?“
„Sch-sch!“, machte der nur. „Sei eine brave Isolde, ich muss jetzt gehen.“
Eine Sekunde später fiel die Wohnzimmertür zu, und Franziska lauschte verwirrt in die Stille ihrer Wohnung, die ihr auf einmal so fremd erschien. Sie war früh von zu Hause ausgezogen und hatte seither immer allein gelebt, aber das hier war etwas anderes. Sie war wehrlos, schutzlos, gefesselt. Würde Walter sie wirklich einem anderen Mann ausliefern? Oder war das nur ein Teil seines Spiels, eines Liebesspiels, das ihr ansonsten immer sehr viel Freude bereitete, weil Walter ein sehr kreativer Liebhaber war?
Schon mehrmals hatten sie sich in der Theaterwerkstatt in Maierhof geliebt, und nie hatten sie gewusst, ob nicht jeden Moment die Tür aufgehen und einer der Schauspieler oder Sänger hereinkommen würde, weil ihm etwas für die Proben fehlte. Doch da war Walter immer bei ihr gewesen, und das allein hatte sie mutig werden und ihre Bedenken vergessen lassen.
Aber hier, in ihrer Wohnung, war sie ja noch nicht einmal in der Lage, sich zu befreien, wenn wirklich …
Auf einmal hörte sie Schritte.
Dann ein Keuchen.
„Da bist du ja, mein schönes Kind“, krächzte eine völlig fremde Stimme in unmittelbarer Entfernung.
Franziska zuckte zusammen und spannte instinktiv den Körper an, um sich notfalls von den Fesseln loszureißen. Die Stimme über ihr war tief und … alt!
Kommt jetzt der Teufel?, hatte sie vor wenigen Minuten noch belustigt gefragt, und sie wäre niemals auf die Idee gekommen, dass Walter sie tatsächlich einem anderen Mann überlassen könnte.
Doch bevor sie sich fragen konnte, wer der fleischgewordene Antichrist war, zog dieser langsam das Tuch von ihrem Körper. Sie spürte seinen heißen Atem über ihre Haut wandern und hätte sich zu gern zur Wehr gesetzt. Doch statt wie vorhin wild mit den Beinen zu strampeln, blieb sie stocksteif liegen und atmete flach. Wenn sie doch wenigstens etwas sehen könnte …
„Verschwinde!“, keuchte sie atemlos.
„Du gehörst mir“, donnerte der Mann da in dramatischem Tonfall, und Franziska dachte: Es muss jemand vom Theater sein.
Vielleicht Carlos? Nein, niemals würde der charmante Sänger bei so etwas mitmachen – obwohl die Kommissarin einräumen musste, dass er sie immer schon ein bisschen angebaggert hatte.
Franziska wand sich unter den plötzlich einsetzenden Berührungen des Fremden, doch die Hände, die damit begannen, ihren Körper zu erkunden, drückten sie mit sanfter Gewalt auf die Felle zurück.
In Franziskas Kopf begann sich alles zu drehen. Walters Zärtlichkeit und seine verrückten Geschichten hatten ihr immer gut gefallen. Der Gedanke an Verbotenes erregte sie sehr. Aber zwischen der Vorstellung, es könnte jemand reinplatzen und sie beim Sex erwischen, und der Tatsache, dass jemand Wildfremdes ihren Körper berührte und … was hatte Walter gesagt? Ein Anrecht auf sie hatte?! Nein, das war zu viel. Nicht mit ihr!
Kraftvoll drückten die fremden Hände nun ihre Schenkel auseinander, und Franziska spürte, wie er sein Gewicht verlagerte, immer näher kam. Gleich würde er …
O Gott! Franziska zerrte an den Handfesseln und versuchte, die Knie zusammenzudrücken. Vergeblich. Das Keuchen wurde heftiger.
Endlich löste sich Franziska aus ihrer Schockstarre. „Runter von mir“, erklärte sie, ganz Oberkommissarin, in bestimmtem Ton, doch der Fremde legte ihr als Antwort nur eine Hand auf den Mund, sodass sie noch nicht einmal schreien konnte.
„Spinnst du?“, wollte sie rufen, doch ihre Frage drang nicht an der Handfläche vorbei, die sie völlig aus der Fassung brachte, und als der Unbekannte im gleichen Moment in sie eindrang, nahm ihr das vollends den Atem.
Denn nichts von dem, was er nun tat, passte zu dieser merkwürdigen Stimme und zu dem, was Franziska glauben sollte, dass es so eben mit ihr geschah. Das war Walter, der da gerade in ihr war, kein Fremder. Sie spürte es tief in ihrem Inneren, und mit jedem seiner Stöße wurde sie weicher, hingebungsvoller und entspannter, und endlich ließ sie sich in diese völlig verrückte Situation fallen. Ihre Nase begann ihn zu riechen, ihn, der versucht hatte, sich hinter einem fremden Parfüm zu verbergen. Ihre Haut fühlte seine Haut, die ihr inzwischen so vertraut war. Ein glückseliges Lächeln huschte über ihr Gesicht.
Noch wusste sie nicht, wie er es angestellt hatte, doch das absolut glaubwürdige Keuchen eines alten Mannes war in ein ihr wohlbekanntes Stöhnen übergegangen. Aus Angst war reine Lust und völlige Hingabe geworden. Vorsichtig schob sie die Zunge zwischen den Lippen hindurch und begann, die Hand auf ihrem Mund zu lecken, bis sie weggezogen wurde.
„Na, alter Mann? Wirst du es mir auch richtig besorgen?“, fragte sie leichthin und spornte ihn mit verführerischen Bewegungen ihres Beckens an. Da war sie wieder, die berauschende Leichtigkeit, die sie nach dem Genuss des Liebestranks gespürt hatte, und da sie ihn nicht allein getrunken hatte, wusste sie, dass ihr Geliebter ähnlich empfinden musste. Sie spürte, wie er vor Lust in ihr anschwoll, und musste unwillkürlich schmunzeln. Walter hatte sich wirklich viel Mühe mit seiner Inszenierung gegeben, aber manche Details konnte man einfach nicht verändern, und dieses wohlproportionierte Teilstück von Walter war gerade dabei, sie in den siebten Himmel zu katapultieren. Ob das nun an dem Liebestrank oder seiner ausgefeilten Technik lag, war ihr dabei völlig einerlei.