Tödliche Kunst

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„Nein, das hat sie nicht. Sie sagte nur, dass Sie beide viel Zeit zusammen mit Ihrer Kunst verbracht haben.“

„Was soll das!“, fuhr er erst Franziska und dann Hannes an. „Ich bin keine verdammte Schwuchtel und Quen auch nicht!“ Er redete sich in Rage, bis die Kommissarin ihm Einhalt gebot.

„Wenn Sie das sagen, dann glauben wir Ihnen das“, besänftigte sie ihn.

„Aber warum hat Quentin von Blümstorf sich dann überhaupt als homosexuell geoutet, wenn das gar nicht stimmte?“, hakte Hannes sofort nach.

„Weil sein bescheuerter Agent das so wollte. Der sagte: Kunst allein reicht nicht, du musst schon ein bisschen mehr liefern “, blaffte Moritz. „Hat ja auch geklappt. Auf einmal hatte er einen Freund mit dicker Brieftasche und den richtigen Kontakten.“

„Einen Mäzen, also?“, erkannte Franziska, und der junge Mann zeigte mit einer unschlüssigen Handbewegung, dass sie ihn so nennen durfte. „Und kennen Sie dann vielleicht auch die Namen dieser beiden Männer?“

Moritz zuckte lustlos mit den Schultern. „Joe, Joe Irgendwas hieß der Agent, und der Mäzen war ein Doktor Sowieso. Am besten fragen Sie Quens Alten!“

Das würde sie, nahm sich Franziska nicht zum ersten Mal vor, aber zunächst musste sie, wenn sie zum Umziehen nach Hause fuhr, ihre Tasche und ihr Notizbuch holen. Sie schielte zu Hannes, der etwas in sein Handy tippte, und hoffte, es seien die Infos, die der Zeuge gerade lieferte. Sie selbst schrieb lieber mit der Hand. Das ging schneller und konnte nicht so leicht fehlinterpretiert werden. Außerdem schadete es nie, sich die Notizen beim Abschreiben noch einmal anzuschauen und zu sortieren.

„Okay, das machen wir“, versicherte sie. „Haben Sie eigentlich auch von dem gestrigen Zeitungsanterview gewusst?“

„Nein, also erzählt hat er mir schon, dass er da hingehen will, aber mehr auch nicht. Ich hab das erst heute in Facebook gelesen.“ Er schaute die Kommissarin unschuldig an und holte eine weitere Zigarette aus der Packung. „In der Frühstückspause.“

„Er hat Ihnen also nicht erzählt, warum er sich im Interview derart geäußert hat? Ich meine, Sie waren Freunde, und Herr von Blümstorf schien sehr aufgebracht, da spricht man doch über so was, oder nicht?“, fragte Hannes.

„In Sachen Kunst hat Quen sein Ding gemacht. Aber es wäre sicher besser gewesen, er hätte mich mal gefragt. Allerdings war er, nachdem er diesen Agenten hatte, für meine Ratschläge taub.“

„Sie sagten, Sie waren kein Paar. Und das glaube ich Ihnen natürlich auch. Aber was war Quentin dann für Sie?“ Gespannt schaute Franziska den Zeugen an.

Moritz zog mehrmals an seiner Zigarette und paffte den Rauch in Ringen in die Luft. Er ließ sich Zeit, und als sein Gesicht einen ernsten Ausdruck annahm, fürchtete sie schon, er werde erneut lospoltern. Aber dann kam die Antwort eher kleinlaut. „Quen war mein Kumpel. Der beste, von allen. Echt cooler Typ. Solange ich denken kann.“

Allerbeste Freunde, erinnerte sie sich an Frau Tomaskos Worte.

„Und warum könnte so ein echt cooler Typ umgebracht werden?“, erkundigte sich Hannes.

„Keine Ahnung“, meinte Moritz ratlos.

„Niemand wird ohne einen Grund getötet. Zumindest nicht so“, beharrte Franziska, die sich sicher war, dass Täter und Opfer sich gekannt haben mussten. Bei Quentin von Blümstorfs Tod wies alles auf eine Beziehungstat hin, und da kannten sich nun mal beide Parteien und meist hatte das Opfer den Täter mit irgendetwas gereizt. Man sprach zwar in der Regel vom armen Opfer, aber ganz so unschuldig war es oft halt doch nicht. Auch wenn sie damit niemals den Täter von seiner Schuld freigesprochen hätte. „Hatte Quentin jemand gereizt, hatte er mit jemandem Streit? Haben Sie etwas mitbekommen?“

„Außer mit Karla?“ Moritz zuckte mit den Schultern. „Weiß nicht. Ich hab ja meine Arbeit und kann nicht ständig sein Kindermädchen spielen.“ Nervös schaute er über die Schulter in Richtung Eingangstür zum Schlachthaus.

„Wer ist Karla?“

„Na, seine Freundin. Ihr könnt sie ja gern mal fragen, was sie dazu sagt. Die fand das genauso beschissen wie ich. War auf einmal die Ex von ‘ner Schwuchtel. Gab ganz schön Zoff, kann ich Ihnen sagen.“ Dabei lachte er diebisch und schüttelte seine behandschuhte Hand mit der Kippe dazwischen, als habe er sich an etwas verbrannt. „Echt krass, wie die abgegangen ist.“

„Karla? Und mit ganzem Namen?“, forderte Hannes, das Handy einsatzbereit.

„Liebermann, glaube ich. Ihre Mutter hat eine Galerie in der Altstadt.“ Haushofer schielte erneut auf die Eingangstür zum Zerlegebereich. „War‘s das? Mein Job ruft, sonst ziehen die mir das vom Lohn ab.“

„Ich kann das gern Ihrem Chef erklären, dann haben Sie keine Nachteile“, bot Franziska an.

„Nein danke. Bloß nicht!“, wiegelte er ab.

„Gut. Das heißt also, Quentin hat sich von seiner Freundin getrennt, weil er sich angeblich homosexuell ausgerichtet hat“, überlegte Franziska laut. „Und Sie sagen, dass das nicht stimmt. Aber warum hat er sich dann von ihr getrennt? Hat er Ihnen auch das nicht erzählt?“

„Kein bisschen, aber vielleicht fragen Sie mal besser diesen Joe. Der wollte Kohle machen und da war ihm alles recht. Ganz egal, wie Quen in der Öffentlichkeit dastand.“

„Immerhin hat es ihn bekannt gemacht“, bedachte Hannes.

„Dass ich nicht lache!“ Abfällig warf Moritz die Kippe auf den Boden und trat sie genauso platt wie die erste. „Kaputt hat es ihn gemacht! Der war doch gar nicht mehr er selber. Und seit ihn dieser Typ gefördert hat …“

„Ja?“

„Ja nichts. Er war einfach so verbissen. Konnte gar nicht mehr genug kriegen.“ Er zuckte mit den Schultern. „Ständig musste ich mit anpacken, aber das war schon okay, ich lasse meinen Kumpel nicht hängen.“ Wieder blickte er über die Schulter zu der Tür, durch die er herausgekommen war. „Kann ich jetzt? Meine Kollegen warten.“

„Ja, das war‘s eigentlich schon. Das heißt, ich müsste von Ihnen noch wissen, wo Sie gestern Abend waren, nachdem Sie mit Frau Tomasko das Museum Moderner Kunst verlassen haben.“

Haushofer druckste herum. „Wollen Sie mir jetzt was anhängen?“

„Nein, wir wollen niemandem etwas anhängen, wir sind nur an der Wahrheit interessiert.“

„Ja, also ich bin dann nach Hause. Musste ja heute früh raus“, erklärte er und zuckte erneut mit den Schultern.

„Hey Moritz, was ist jetzt, brauchst du ‘ne Sondereinladung?“, rief plötzlich der Vorarbeiter von der Tür her.

„Ja, ja, schon gut, ich komm ja schon!“, schrie Moritz zurück und warf den beiden Kommissaren einen entschuldigenden Blick zu. „Tut mir echt leid, ich hätte gern noch ein bisschen gequatscht.“ Mit einem schiefen Grinsen im Gesicht wandte er sich um und verschwand kurz darauf durch die Tür im Schlachtraum.


In der Freinberger Villa angekommen, schickte Nina von Blümstorf Kriminalhauptkommissar Josef Schneidlinger zu ihrem Mann in dessen Arbeitszimmer, um ihm die schlimme Nachricht vom Tod ihres Sohnes zu überbringen. Denn sie wusste ganz genau, wenn sie alles, was passiert war, noch einmal mit anhören musste, würde sie es niemals schaffen, das Gesicht zu wahren. Außerdem gab es so viel zu bedenken, Dinge, die jetzt wichtiger waren. Dinge, die ihren Ruin bedeuten konnten. Wenn auch sicher nicht ihren finanziellen.

Nachdem Schneidlinger in Richtung Arbeitszimmer aufgebrochen war, nicht ohne ihr zu versichern, dass er nichts unversucht lassen würde, um den Mörder ihres Sohnes zu finden, und die Frau des Hauses allein an der Treppe zurückgeblieben war, konnte sie endlich ihre Maske fallen lassen. Rasch schlüpfte sie aus ihren hohen Pumps, denn sie spürte, wie ihre Knie weich wurden. Zitternd und müde stieg sie die Stufen in den ersten Stock hinauf, wo sie einen Moment stehen blieb. Sie lauschte, aber es drang kein Laut aus dem Erdgeschoss zu ihr herauf. Die Tür zu Quentins Zimmer war geschlossen. Wie immer, dachte sie resigniert, denn tatsächlich hatte sie sich längst daran gewöhnt, dass ihr Sohn sein eigenes Leben führte.

Sie ging ins Schlafzimmer und schloss leise hinter sich die Tür. Auch hier war alles unverändert, und doch wusste sie, dass schon bald nichts mehr wie immer sein würde. Einen Moment blieb sie reglos stehen, dann ging sie zu ihrer Bettseite und öffnete die Nachttischschublade, um ein Döschen herauszunehmen, in dem sie ihre Beruhigungstabletten aufbewahrte. Noch bevor sie sich aus dem benachbarten Bad ein Glas mit Wasser geholt hatte, schluckte sie zwei Pillen hinunter. Sie wusste, dass sie noch nicht wirken konnten, aber allein der Gedanke an diese wattierte Ruhe, die sich gleich in ihr ausbreiten würde, gab ihr die Kraft, sich auszuziehen.

Stück für Stück nahm Nina ihren Goldschmuck ab und sortierte ihn in die entsprechenden Fächer ihrer Schmuckschublade ganz oben in der Kommode, die der Mittelpunkt ihres Ankleidezimmers war. Die Ohrringe mit den Brillanten, die sie zum ersten Hochzeitstag bekommen hatte, das Collier zu Quentins Geburt, die Ringe, das Armband.

18 Karat Gold, lupenreine Diamanten im Vollschliff. Seit sie mit Georg verheiratet war, kannte sie sich aus. Danach schlüpfte sie aus ihrem Kleid und hängte es auf einen Bügel. Obwohl sie sich inzwischen praktisch alles leisten konnte, waren wertvolle Schmuckstücke und teure Kleider für sie immer noch etwas sehr Besonderes.

In Büstenhalter und Taillenslip ging Nina zurück ins Schlafzimmer und ließ sich seufzend auf die Tagesdecke des Bettes sinken. Ihr ganzer Körper begann zu zittern und ihr war schrecklich kalt. So gerne hätte sie jetzt geweint und mit den Tränen den ganzen Schmerz aus ihrem Körper gespült, aber Tränen waren nur etwas für junge Mädchen. In ihrem Alter sollte man sich im Griff haben, egal was passierte. Die Folgen sah man ewig. Während sie noch über die damit verbundenen Schönheitseingriffe nachdachte, drängte sich mit Macht eine Frage in ihr Bewusstsein, die sie nicht mehr losließ. War sie schuld an Quentins Tod? Nina erschrak, so etwas durfte sie noch nicht einmal denken, und doch ließ ihr Gewissen sie nicht ruhen. Hatte sie ihm zu viel abverlangt? Ihr Sohn war nicht wie sie gewesen, er war so sensibel. Frierend zog sie die Seidendecke um sich und wickelte sich darin ein.

 

Später würde sie mit Georg darüber reden müssen, aber jetzt fragte sie sich, welchen Sinn Quentins Tod machte, wenn er überhaupt einen Sinn machte, nach allem, was bereits entschieden war.

Sie hätte es verstanden, wenn jemand Georg getötet hätte, wobei auch das für sie unfassbar gewesen wäre, aber immerhin hatte Georg viele Neider. Das war so, wenn man Erfolg hatte, und Georg hatte mit der Blümstorf-Bau GmbH großen Erfolg. Hoch und Tiefbau, Bauträger und Fuhrunternehmer. Perfekt vernetzt, zukunftsorientiert, leistungsstark und seriös. Georg war in den Erfolg hineingeboren worden und hatte immer das Richtige getan. Keine Flausen, keine Dummheiten. Zielstrebig war er gewesen, immer schon. Er hatte die Firma übernommen, erweitert und gefestigt. Immer wieder, bis er sie dahin gebracht hatte, wo sie jetzt stand. An der Spitze der Niederbayerischen Baubranche.

Und Quentin hätte sein Nachfolger werden sollen, zumindest war das von Georg so vorgesehen gewesen. Schließlich hatte er dafür studiert, an der TU München erst seinen Bachelor und dann seinen Master in Bauingenieurwesen gemacht. Sie waren stolz und glücklich nach München gefahren, um dabei zu sein, als er sein Masterdiplom in Empfang genommen hatte. Alles, alles war in seinem und ihrem Leben perfekt gelaufen – erneut wurde Nina von einer Welle der Trauer erfasst – bis Quentin beschlossen hatte, Künstler zu werden.

Bis heute konnte sie nicht verstehen, warum ihm Georg das nicht einfach verboten hatte, denn dann hätte es nie diesen Artikel gegeben und nicht dieses schreckliche Gebilde, an dem er jetzt zu Tode gekommen war. Vor Ninas geistigem Auge sah sie ihr Kind leiden, obwohl sie gar nicht wusste, wie genau es geschehen war. „Aufgehängt“, hatte Josef gesagt. Aufgehängt, was immer das bedeuten musste, es zog ihr das Herz zusammen. Erneut holte sie zwei Pillen aus dem Döschen und schluckte sie. Dann setzte sie sich aufs Bett zurück und wartete auf die Wirkung. Sie wusste, dass sie jetzt nicht alles hinwerfen konnte. Sie musste sich herrichten und hinuntergehen, um mit Georg zu reden. Sie mussten sich überlegen, was sie wem sagen würden, sonst würden sie bald von allen Seiten mit Fragen überrollt werden. Fragen, denen sie bisher ausgewichen war. Nina begann zu zittern. Sie hatte Angst. Angst davor, dass Georg gerade jetzt den ganzen Schwindel um seine heile Familie durchschauen könnte, und dann, was sollte sie dann machen? Panik machte sich in ihr breit. Sie schloss die Augen. Sie musste noch warten, bis die Ruhe zurückkam und ihr die ersehnte Leere in ihrem Kopf schenkte. Denn solange sie derart durcheinander war, durfte sie auf keinen Fall mit Georg sprechen.


„Wie passen die beiden bloß zusammen?“, kommentierte Hannes das Gespräch vom Schlachthof, während sie in Hacklberg die Stephanstraße hinauffuhren.

„Bin ich froh, dass ich gleich zuhause bin“, seufzte Franziska und hob ihren linken Arm, um an ihrem T-Shirt zu schnuppern. „Ich habe das Gefühl, dieser schreckliche Gestank hängt überall an mir fest. Wie kann man da nur arbeiten?“, grummelte sie, bis sie bemerkte, dass diese Feststellung überhaupt nichts mit Hannes´ Frage zu tun hatte. „Tatsächlich hatte ich mir Moritz Haushofer auch ein wenig anders vorgestellt“, gab sie schließlich zu. „Ich meine, der Adel hat zwar bei uns seit hundert Jahren keine Privilegien mehr, aber irgendwie halten die ja doch zusammen und bleiben gern unter sich.“

„Die Österreicher waren da konsequenter“, wusste ihr Kollege, „die haben das Von und Zu gleich ganz abgeschafft.“ Sie antwortete nur mit einem unbestimmten „Hmm“.

„Traust du ihm zu, den coolsten Kumpel von allen vom Hocker geschubst zu haben?“, wollte Hannes wissen.

„Das kann man ja nie sagen. Von seiner Art und seinem Beruf würde ich mich da nicht hinreißen lassen.“ Franziska zuckte mit den Schultern. „Vom Gefühl her denke ich, er war eher auf die sauer, die aus Quentin eine Schwuchtel gemacht haben, wie er’s nennt, als auf ihn selbst. Und letztlich sehe ich bei ihm auch kein Mordmotiv. Er hätte sich einfach andere Freunde suchen können, dann wäre er ihn doch auch los gewesen.“

Sie blickte ihren Kollegen an, doch der machte ein undurchdringliches Gesicht. „Vielleicht war das nicht so einfach.“ Franziska hatte ihren Stellplatz vor dem Haus erreicht.

„Kommst du mit rauf?“

„Wie lange brauchst du denn?“

Sie schüttelte belustigt den Kopf. „Ich gehe mich umziehen, dann mache ich mir ein Pausenbrot, und dann können wir los.“

„Hast du etwa nicht gefrühstückt?“, frotzelte Hannes und warf einen Blick auf die Uhr.

„Nein, stell dir vor. Ich habe ja nicht so ein Schätzchen zuhause, das mir morgens das Frühstück richtet. Außerdem wollte Ramona uns versorgen.“

„Ich könnte Sabrina fragen, ob sie uns was vorbeibringt“, bot Hannes an und zückte sein Smartphone.

„Nein, lass mal. So eine Brotzeit krieg ich auch noch selber hin“, erklärte sie schnippischer als geplant und steuerte auf ihre Haustür zu. Sie gönnte Hannes seine Sabrina von Herzen, aber manchmal wurde ihr seine heile Welt einfach zu viel.

Kaum in der Wohnung angekommen schickte sie Hannes in die Küche, um dort auf sie zu warten. Nach der Ermahnung ihres Chefs holte sie im Schlafzimmer ihr schönstes Sommerkleid und die passende Unterwäsche aus dem Kleiderschrank und verschwand damit im Badezimmer. Nachdem sie geduscht und angezogen war, öffnete sie die Tür, um Hannes an ihren Gedanken zum aktuellen Mordfall teilhaben zu lassen.

Mein Lieber, schaut das gut aus!“, entfuhr es Hannes bei ihrem Anblick.

Franziska schenkte ihrem Kollegen ein vielsagendes Lächeln und erklärte: „Ist das nicht seltsam, dass Quentin angeblich vorher mit niemandem über den Inhalt dieses Interviews gesprochen hat?“ Sie beugte sich über den Vergrößerungsspiegel auf dem Fensterbrett und tuschte hingebungsvoll ihre Wimpern. „Ich meine, wenn ihn etwas so sehr aufgeregt oder geärgert hat, dann hätte er doch sicher mit jemandem darüber gesprochen, und wäre nicht als Erstes zur Presse gelaufen, um es aller Welt mitzuteilen.“ Zufrieden mit dem Ergebnis blickte sie auf.

„Mit wem hättest du denn in so einer Situation gesprochen?“

„Also sicher nicht mit einem Journalisten, bei dem ich mir ja letztlich nicht sicher sein kann, ob er den Inhalt so wiedergibt, wie ich ihn rüberbringen will“, überlegte sie und stäubte sich etwas Rouge auf die Wangen. „Aber sonst, hmm, ich schätze, mit dir.“

„Bist du sicher? Ich meine, du hast mir bis heute nicht erzählt, warum du dich wirklich von Walter getrennt hast.“

„Aber das ist doch was ganz anderes, das geht doch nur ihn und mich etwas an“, wunderte sie sich kurz über diese Verknüpfung, während sie ihre langen Haare mit einem durchscheinenden Gummiband zu einem Pferdeschwanz zusammennahm. „Kannst du bitte mal beim Chef anrufen und fragen, ob schon geklärt wurde, wie das heute Abend ablaufen soll? Vernissage ja oder nein.“

„Und ich dachte, das würde schon feststehen, so wie du dich aufbrezelst.“ Hannes erhob sich und verließ das Badezimmer, während sie Parfüm aufsprühte und einen letzten prüfenden Blick in den Spiegel warf.

„Und …“, wollte Franziska gerade noch ergänzen, aber ihr Kollege verschwand bereits zielstrebig im Wohnzimmer. Gleich darauf hörte sie seine Telefonstimme. Sie folgte ihm und wurde so Ohrenzeugin. „Okay, dann treffen wir uns im Büro. Ja, das sag ich ihr. Ja, machen wir. Ja, bis gleich.“ Damit drückte Hannes den Anruf weg.

„Ja?“, fragte Franziska lauernd auf die Auskunft ihres Chefs.

„Wir sollen ins Büro kommen, er möchte eine Teambesprechung abhalten.“

Franziska klaubte ihre Tasche vom Haken, überprüfte den Inhalt und schnappte sich aus dem Kühlschrank eine Flasche Wasser. „Komm, den Rest kriegen wir unterwegs beim Bäcker.“ Sie war gespannt darauf, ob Schneidlinger ihre Verwandlung auffallen würde.


Es war bereits zwei Uhr mittags, als die beiden Kommissare ein wenig außer Atem im Besprechungszimmer ankamen. Annemarie und die deutlich jüngere Mona diskutierten leise über ihren Laptop gebeugt. Schneidlinger sortierte einige Aufzeichnungen, während Obermüller einfach nur darauf wartete, dass es losging.

Ramona hatte wie immer Kaffee und Tee gemacht. Eher unüblich waren die verschieden großen Tupperdosen, die auf der Tischplatte aus Resopal standen. Hannes suchte sich sofort einen freien Platz, Franziska dagegen ging erst noch zu Ramona und bekräftigte: „Tut mir so leid, dass wir nicht weitermachen können. Wie geht es deinem Rücken?“

„Geht schon, hilft ja nichts, da muss ich jetzt halt durch.“

„Ach, Ramona, das wird schon wieder, vielleicht ist es ja auch nur der Stress“, versuchte sich Franziska in einer Erklärung und tätschelte tröstend den Arm der älteren Kollegin, bevor sie sich auf den freien Platz neben Hannes setzte. Erleichtert holte sie ihr grünes Notizbuch und einen Stift aus der Tasche und begann damit, die bisher aufgeschnappten Informationen einzutragen.

„So, meine Herrschaften, zunächst einmal die Nachricht, die uns alle im Moment am meisten beschäftigt: Die Vernissage findet wie geplant statt.“

„Was?“ Fassungslos hielt Franziska im Schreiben inne.

„Geht das denn?“, überlegte Hannes und blickte zu ihr herüber.

„Nicht wirklich, oder?“, kommentierte Obermüller.

Schneidlinger mahnte mit beiden Händen zur Besonnenheit. „Oberstaatsanwalt Dr. Schwertfeger hat sie ausdrücklich genehmigt. Und“, er blickte Hannes, Obermüller und Franziska an, „Sie drei werden heute Abend dort anwesend sein.“

„War ja fast klar, wenn der Minister kommt“, bemerkte Franziska seufzend und erntete dafür einen strengen Seitenblick ihres Chefs, der in einen fragenden und dann in einen anerkennenden Gesichtsausdruck überging. Immerhin schien er bemerkt zu haben, dass sie sich umgezogen hatte, registrierte sie zufrieden.

„Ich muss Sie wohl nicht an unseren Eid erinnern, Frau Steinbacher?“

„Wir müssen nicht arbeiten, sondern nur treu dienen“, kommentierte Obermüller an ihrer Stelle mit belustigter Stimme, woraufhin Schneidlinger erneut mahnend beide Hände hob. „Okay, okay!“

„Soviel ich weiß, gibt es bei einer Vernissage auch was zu essen“, tröstete Franziska ihn und als hätte er nur auf die Erwähnung des Wortes Essen gewartet, nahm Obermüller einen Teller vom Stapel und öffnete der Reihe nach die Deckel der Plastikschüsseln.

„Ja, nur zu, bitte bedienen Sie sich doch!“, forderte Schneidlinger an alle gewandt auf und wies mit einer Hand auf die Verpflegung. „Frau Meier war so freundlich, uns mit diesen Köstlichkeiten zu versorgen.“ Er schenkte Ramona ein dankbares Lächeln.

„War ja eigentlich für die Renovierung gedacht“, murmelte die Angesprochene so bescheiden, wie man sie in der Runde kannte.

Franziska dachte kurz an ihr Vollkornsandwich, das sie unterwegs beim Bio-Bäcker erstanden hatte, und beschloss, es für später aufzuheben. „Sobald der Fall gelöst ist, mache ich weiter“, versprach sie an Ramona gewandt und warf ebenfalls einen Blick in die Schüsseln. Außer kleinen Fleischpflanzerln gab es Kartoffel- und Nudelsalat sowie Pizzastangen. „Und so, wie es aussieht, kriegen wir Unterstützung von unserem lieben Kollegen Obermüller. Stimmt‘s?“

Der Angesprochene hatte sich bereits reichlich aufgeladen und die erste volle Gabel in den Mund geschoben. „Mit dir, Franzilein, mache ich doch alles“, versprach er und erhob seine Stimme: „Auf die edle Spenderin!“

„Gut, dann wollen wir mal alles tun, um unseren Fall möglichst schnell zu lösen“, forderte Schneidlinger und berichtete über Quentin von Blümstorfs Familienverhältnisse und seinen Studiengang im Bauingenieurswesen. „Seine Eltern leben nahe der oberösterreichischen Gemeinde Freinberg“, schloss er.

 

„Tja, aber Geld allein …“, kommentierte Obermüller und ließ den Satz doch unvollendet, weil er sich gerade ein weiteres Fleischpflanzerl in den Mund schob.

„Herr Obermüller, bitte!“ Schneidlinger fuhr fort. „Die von Blümstorfs sind Mehrheitseigner der Firma Blümstorf Bau GmbH, die in dritter Generation in Familienbesitz ist.“

„Na, was sag ich denn?“, fügte Obermüller hinzu und schob einen Löffel Kartoffelsalat hinterher.

„Okay, Geld war nicht das Problem. Aber wissen Sie zufällig auch etwas über diesen Agenten, der das Mordopfer vermarktet hat?“, mischte sich die Kommissarin ein und zückte ihren Stift.

„Und über den Förderer, diesen Doktor … Sowieso?“, legte Hannes mit einer weiteren Frage nach.

„Georg von Blümstorf hat mir tatsächlich Namen und Adressen von zwei Herren gegeben, die mit seinem Sohn gearbeitet haben.“ Schneidlinger schob einen Zettel mit den entsprechenden Angaben über den Tisch. „Der obere, Joe Büchner, hatte als sein Agent den Auftrag, Quentin bekannt und erfolgreich zu machen. Welche Maßnahmen er dazu genau ergriff, weiß der Vater nicht. Übrigens zeigte sich von Blümstorf genau wie seine Frau sehr verwundert über den Artikel, um es einmal vorsichtig auszudrücken.“

„Dr. Klaus Freudenthaler wohnt in Bad Griesbach“, las Franziska den unteren Namen vor und schrieb die Adresse in ihr Notizbuch. „Das müsste dann der Mäzen sein, von dem Moritz Haushofer erzählt hat“, kommentierte sie an Hannes gewandt. „Und Joe Büchner wohnt in der Ostuzzistraße. Das ist hier gleich um die Ecke, wo die Glasscherbenvilla steht.“ Sie reichte den Zettel an den Kollegen weiter.

„Moritz Haushofer war übrigens ein enger Freund von Quentin und hat mit ihm an seinen Projekten gearbeitet“, erklärte Franziska für alle im Raum. „Er hat uns erzählt, dass der Agent auf die Idee gekommen sei, Quentin solle sich als Teil der Homosexuellen-Szene outen, weil er damit etwas Besonderes wäre und sich von der breiten Masse abheben könnte“, wiederholte sie die Worte des jungen Mannes aus dem Schlachthof in entschärfter Ausführung.

„Dann ist das unter Künstlern vermutlich anders als zum Beispiel unter Fußballern oder Politikern, die lieber zum Schein eine Frau heiraten, als den Stempel der Homosexualität zu tragen“, gab Annemarie zu bedenken.

„Keine Ahnung. Aber bisher wissen wir auch nicht, ob das so ist oder ob Quentin von Blümstorf nicht tatsächlich gleichgeschlechtlich ausgerichtet war und sich erst auf die Ermunterung seines Agenten hin offenbart hat.“

„Halten Sie das für so wichtig?“, erkundigte sich Schneidlinger. „Sieht es denn so aus, als wäre er deshalb getötet worden?“

„Na ja, momentan wissen wir nur, dass es deshalb Streit gegeben hatte. Mit seiner Freundin zum Beispiel“, erläuterte Franziska.

„Die natürlich nicht begeistert war, dass ihr ehemaliger Freund auf einmal mit Männern ins Bett ging“, erkannte Annemarie. „Verständlich, wie ich finde.“

„Wenn sie ihn deshalb getötet hat, hört das mit dem Verstehen aber hoffentlich auf“, mahnte Schneidlinger ungewohnt barsch. Annemarie hob entwaffnend die Hände.

„Seine Mutter behauptet, er war auf keinen Fall schwul, das alles sei nur eine dumme Laune, oder so.“ Hannes blickte sich im Raum um. „Weiß jemand, ob man das im Nachhinein feststellen kann? Ich meine, ob ein Mann auf Männer steht oder ob er das einfach so behauptet hat? Ich meine, anatomisch?“, schob Hannes schnell hinterher.

„Ich weiß nur, dass ich es nicht bin“, ließ sich Obermüller schmunzelnd vernehmen.

„Ich könnte ja mal Frau Dr. Semmelweis fragen. Vielleicht weiß die das“, überlegte Franziska laut. „Immerhin hat sie bei Professor Wassly in der Rechtsmedizin gearbeitet, bevor sie nach Passau kam.“

„Damit könnten wir natürlich diese ganzen Vermutungen aus dem Weg räumen“, stimmte auch Schneidlinger zu und Franziska zückte ihr Handy, um die Frage mittels SMS an Freddy weiterzureichen.

„Gibt es schon etwas Neues aus der KTU?“, wollte Schneidlinger mit versöhnlicher Stimme wissen.

„Wie befürchtet, gab es natürlich jede Menge Spuren. Fingerabdrücke von unzähligen Personen, Speichel und sogar Tränenflüssigkeiten“, begann Annemarie und richtete sich in ihrem Stuhl auf. „Allerdings ist die Auswertung schwierig, weil sich vieles überlagert hat.“ In ihrer Stimme schwang Bedauern mit.

„Soll heißen, es kann dauern“, übersetzte Mona keck. „Mich wundert tatsächlich, dass wir kein Handy gefunden haben.“ Sie blickte Franziska an, die sie bereits über den Zustand der Wohnung im Innviertel informiert hatte.

„Dazu kann ich beitragen: Sein Vater meinte, Quentin benutzte seit ungefähr acht Wochen kein Handy mehr. Wie es zu dieser Entscheidung kam, wissen die Eltern nicht, aber das war wohl der Grund dafür, weshalb seine Mutter heute im Museum war.“

„Wie geht ein Leben ohne Handy?“, überlegte Mona und zog nachdenklich ihr Smartphone aus der Tasche.

„Ach komm, früher war das ganz normal!“, verkündete Obermüller, der seinen leergegessenen Teller wehmütig wegschob. „Und stell dir vor, das hat geklappt. Da hieß es um zwoa an der Uhr, und da hat man sich dann getroffen.“

„Was denn für eine Uhr?“ Mona blickte ihren Kollegen skeptisch an.

„Na, die an der Nibelungenhalle, also da, wo früher die Niha stand“, mischte sich auch Annemarie ein. „Die erste war echt ein hässliches Ding, aber sie zeigte die Zeit an, und das war wichtig.“

„Gut, so viel zur Passauer Stadtgeschichte“, beendete Schneidlinger den Ausflug in die Vergangenheit und beugte sich über die Tischplatte zu Annemarie Michl. „Bleiben Sie bitte trotzdem an einem möglichen Handy dran. Nur weil er den Eltern gegenüber behauptet hat, er benutze keines mehr, muss das ja noch lange nicht stimmen. Vielleicht wollte er einfach nicht für jeden erreichbar sein.“

Alle Achtung, dachte Franziska, da sieht man, dass der Chef Kinder hat, und laut verkündete sie: „Bei der Mutter würde ich mir vielleicht auch ein Zweithandy zulegen und sagen, ich verzichte.“

Schneidlinger verzog das Gesicht, hielt sich aber zurück.

„Immerhin hat Quentin viele Fans, die seinen Artikel gelikt haben. Inzwischen sind es 236 Namen, die mehr oder weniger originell klingen. Da müsste doch was draus zu machen sein“, kommentierte Hannes seine Suche, während er aufmerksam in sein Smartphone stierte, und zeigte Franziska die aktualisierte Liste.

„Mona!“, forderte die, und reichte es weiter, „kannst du damit was anfangen?“

Die Kriminaltechnikerin ergriff Hannes‘ Handy und scrollte sich durch. „Im Prinzip schon, aber können wir vielleicht einen Kollegen hinzuziehen?“, erklärte sie an Schneidlinger gewandt. „Die meisten hiervon hören sich wie Nicknames an. Das kann dauern, bis ich die dazugehörigen Personen gefunden habe.“

„Ich schau, was ich machen kann“, versprach der Chef.

„Ich habe mich um die Freundin des Burschen gekümmert“, verkündete Obermüller und riss damit alle Aufmerksamkeit an sich.

„Karla?“, erkundigte sich Franziska verwundert über diesen Vorstoß. „Woher weißt du, dass sie …“

„Karla Liebermann. Frau von Blümstorf war so freundlich, ihren Namen zu nennen“, klärte Schneidlinger auf.

„Karla Liebermann. Genau. Ich habe sie und ihre Mutter im Internet gesucht. Und siehe da! Ich bin mit ihr in die Schule gegangen.“

„Mit seiner Freundin? Ja, ist die denn schon so alt?“

„Vorsicht, Franzilein, vergreif dich nicht im Ton, du befindest dich auf ganz dünnem Eis!“, rügte Obermüller gutmütig. „Natürlich mit der Mutter, die sich aber ausgesprochen gut gehalten hat.“ Er wiegte anerkennend den Kopf.

„Oder gut mit Photoshop umgehen kann“, kam es von Mona, die nebenbei auf ihrem Tablet herumwischte. „Hast du sie denn schon getroffen?“

„Naa“, wich Obermüller aus.

„Sie soll eine Galerie haben“, prüfte Franziska das Wissen von Moritz Haushofer.

„Galerie Liebermann“, bestätigte Schneidlinger. „Die kenne ich. Die liegt in der Michaeligasse schräg gegenüber der Staatlichen Bibliothek.“

„Das liegt ja nur ein paar Minuten vom MMK entfernt“, wunderte sich Franziska über diesen Zufall. Wobei sie natürlich wusste, dass die ganze Ortsspitze der Altstadt von Galerien und Werkstätten geradezu durchdrungen war, weshalb eine gemeinsame Kunstnacht nahelag. „Dann schlage ich vor, dass wir zuerst dorthin fahren“, entschied Franziska. „Ich könnte mir vorstellen, dass sie einiges über Quentin von Blümstorf und das Mysterium seiner Homosexualität wissen dürfte.“ In diesem Moment meldete sich ihr Handy und Franziska sprang auf. „Ruf mich an!“, hatte Freddy geschrieben. „Tschuldigung, aber ich muss mal schnell telefonieren, es ist wichtig.“ Mit diesen Worten verließ sie den Raum und verschwand in ihrem Büro.