Tödliche Kunst

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Ich war kurz auf dem Klo“, durchkreuzte er ihre Karriereaussichten, „und als ich zurückkam, war er weg und ich konnte heimgehen.“

„So einfach?“, fragte sie, aber er hörte deutlich den Spott in ihrer Stimme. Genau wie bei Verena. Frauen konnten solche Biester sein.

„Ja, so einfach“, wandte er sich daher an den jungen Vater, wobei er ja gar nicht wusste, ob es überhaupt sein Kind war, mit dem er immer spazieren fuhr. „Ich ging hinauf und rief nach ihm und als er sich nicht rührte, wusste ich, dass er heimgegangen war.“

„Aber Sie sind nicht hineingegangen und haben sich davon überzeugt, dass er weg war?“, fragte die falsche Schlange.

„Nein, und wissen Sie auch, warum?“ Er schaute ihr direkt auf den gelben Fleck, der sich jetzt mit jedem Atemzug hob und senkte. Er hatte sie in der Hand. Gleich würde er seinen größten Trumpf ausspielen. „Weil er es jedem von uns verboten hatte!“ Das saß. Tatsächlich. Erstaunlicherweise. Er wusste gar nicht, wie ihm geschah.

„Gut“, sagte sie und lächelte ihn jetzt doch ein klein wenig an. „Dann haben Sie erst einmal vielen Dank. Wir kommen sicher noch einmal auf Sie zu. Und falls Ihnen doch noch etwas einfällt, dann melden Sie sich bitte.“

Ja, dachte er und schaute vor allem der Frau nach. Auf einen Anruf von ihm konnte sie allerdings lange warten. Zunächst musste er sich erst einmal ganz woanders melden. Er war schlau und besonnen gewesen. Hatte alles richtig gemacht, da sollte sich das eigentlich auch für ihn auszahlen, überlegte er. Vielleicht war das hier ja endlich die lang ersehnte Wende in seinem Leben.


„Der Mann verschweigt uns etwas“, flüsterte Franziska Hannes zu, nachdem sie das Gespräch mit dem Sudoku ausfüllenden Helmut Rother beendet hatten. „Oder warum sonst beharrt er so sehr darauf, dass niemand hereinkam?“ Sie hatten den Lichthof erreicht, doch Hannes schien nichts zu ihrer These beitragen zu wollen. „Er hätte doch einfach sagen können: Mir ist niemand aufgefallen, aber ich habe natürlich nicht die ganze Zeit über auf die Tür gestarrt. Er ist ja nicht Aufseher in Alcatraz.“ Als Hannes noch immer nichts sagte, folgte Franziska seinem Blick und sah, wie erwähnte Eingangstür aufgerissen wurde und eine sehr zierliche Dame hereingestürmt kam.

Zumal er ja nicht davon ausgehen musste, dass ein Mörder durchs Haus schleichen würde, wollte sie gerade ergänzen, als auch ihre Aufmerksamkeit von den undamenhaft langen Schritten in klackernden schwarzen Pumps, die ein hellgelbes, ärmelloses Etuikleid strapazierten, gefangen genommen wurde.

Fasziniert starrte Franziska auf das Gesicht, das halb hinter einer Sonnenbrille verschwand, wie sie in den fünfziger Jahren schon einmal modern gewesen war. Die schwarzen Haare hatte sie zu einem eleganten Knoten geschlungen, die Lippen sehr rot geschminkt, das übrige Make-up dezent aufgetragen.

Zielstrebig lief sie am Kassenraum und an den beiden Kommissaren vorbei, die Treppe hinauf, bis sie auf der Hälfte das eiserne Gitter passierte.

Franziska wechselte einen schnellen Blick mit Hannes. „Komm, die hat irgendetwas vor!“, vermutete sie und stürmte ebenfalls die Treppe hinauf. Im ersten Stock hatte Franziska die Dame erreicht und versuchte, sie beherzt am Arm zu fassen. „Entschuldigung. Würden Sie bitte einen Moment warten?“

„Lassen Sie mich, ich habe es eilig!“, rief die Schwarzhaarige schnippisch, machte sich mit einer schnellen Bewegung los und stöckelte auf ihren Pumps auch die nächste Treppe hinauf. „Ich muss zu meinem Sohn!“

Sie schaffte es bis in den ersten Ausstellungsraum, dort aber stellte sich ihr Obermüller mit seiner ganzen Leibesfülle in den Weg.

„Ja, bist du denn von allen guten Geistern verlassen?“, rief sie an ihm vorbei in den Raum hinein, als wäre Obermüller nur eine Attrappe.

„Tut mir leid, aber Sie können hier nicht durch!“, konstatierte der dicke Ermittler sachlich und blickte hilfesuchend Franziska an, die die beiden erreicht hatte.

„Kriminaloberkommissarin Franziska Steinbacher. Darf ich fragen, wer Sie sind?“

„Nina von Blümstorf. Ich will zu meinem Sohn“, erklärte sie hochmütig und versuchte, sich erneut an Obermüller vorbeizuschieben. Als ihr das nicht gelingen wollte, begann sie, ihn zu beschimpfen. „Was erlauben Sie sich? Lassen Sie mich durch!“, kreischte sie aufgebracht. „Wo ist Ihr Vorgesetzter?“

„Was ist denn hier los?“ Unwirsch dreinblickend kam Schneidlinger von der anderen Seite des Raumes bis zum Mauerdurchbruch, woraufhin Obermüller zur Seite trat. „Nina, bitte!“ Zur Verwunderung aller legte Schneidlinger der aufgebrachten Frau eine Hand auf die Schulter und versuchte, sie so vom Durchgang wegzuziehen.

„Josef!?“ Energisch wischte sie seine Hand zur Seite. „Was machst du hier? Und würdest du mir bitte erklären, warum ich nicht zu Quentin gelassen werde? Ich bin seine Mutter!“

„Ja, Nina, ich weiß. Komm, dein Sohn ist nicht hier, lass uns bitte hinunter ins Café gehen, dann können wir in Ruhe reden.“ Schneidlinger dirigierte Frau von Blümstorf in Richtung Aufzug, drückte den Knopf, und als sich die Tür öffnete, zog er sie mit sich hinein.

„Hast du gewusst, dass die beiden sich kennen?“, wollte Hannes wissen. Franziska schüttelte den Kopf. „Los, komm mit, ich muss wissen, was da abgeht.“ Franziska und Hannes nahmen die Treppe und erreichten noch vor dem Aufzug das Erdgeschoss.

Die Räumlichkeiten des Café Museum lagen im ehemals dritten Haus, einige Stufen tiefer als der Kassenraum und in Richtung Bräugasse gelegen. Eine simple Absperrkordel trennte sie vom Lichthof. Franziska und Hannes schoben sich in den Raum und konnten so verfolgen, wie Schneidlinger mit seiner Begleitung hinunterging, persönlich zwei Stühle von einem Tisch nahm und ihr die Sitzgelegenheit zurechtrückte. Diskret blieben sie auf ihrem Posten und beobachteten, wie ihr Chef auf die Dame in Gelb einredete, mitfühlend ihre Hand nahm und ihr ein Taschentuch anbot. Stumm schüttelte sie immer wieder den Kopf, und Schneidlinger, der sie bereits entdeckt hatte, winkte sein Team schließlich heran. Als Franziska näherkam, erkannte sie das Glitzern in den Augen seiner Gesprächspartnerin, das zeigte, wie nahe diese den Tränen war.

„Mein Beileid“, versicherte Franziska und ignorierte den mahnenden Blick ihres Chef, der zu ihrem bemalten T-Shirt ging.

„Warum hat er das nur getan?“, schniefte die trauernde Mutter und tupfte mit dem Stofftaschentuch vorsichtig über ihre Augen. Verwundert schaute Franziska Hannes an. Wusste die Mutter noch gar nicht, dass ihr Sohn ermordet worden war?

„Wir dachten, du könntest uns vielleicht etwas dazu sagen“, hakte Schneidlinger nach, und Franziska erkannte, dass sich das Gespräch um den online gestellten Artikel drehte. „Für einen solchen Rundumschlag musste er doch einen triftigen Grund gehabt haben.“

„Ich weiß es nicht. Quentin war so seltsam in letzter Zeit. Ich habe ihn gar nicht wiedererkannt. Er war wie besessen von dieser Ausstellung und …“, sie ließ den Satz unbeendet in der Luft hängen.

„Aber so eine Ausstellung ist doch in erster Linie eine große Chance“, gab Schneidlinger zu bedenken. „Da muss sich dein Sohn doch gefreut haben.“

„Ich weiß es doch auch nicht. Ach, Josef, du kennst das doch. Ich bin in so vielen Hilfsorganisationen, und in diesem Jahr bin ich für den Ladies Cup im Golfclub in Freinberg zuständig, und Georg hat mit der Firma auch genug zu tun. Man nimmt sich immer so viel vor, und dann ist es auf einmal zu spät.“

Die übliche Entschuldigung, wenn Eltern ihre Kinder von der Wache abholen müssen, weil sie etwas angestellt haben. Aber Quentin war kein kleiner Bub mehr und er hatte auch nichts angestellt, oder doch? Franziska fragte sich, ob die Mutter tatsächlich keine Ahnung gehabt hatte, was ihren Sohn bewegte.

„Seit er sein Studium abgeschlossen hat, hatte er nur noch seine Kunst im Kopf“, jammerte Frau von Blümstorf.

„Wohnte Ihr Sohn noch bei Ihnen zuhause?“, erkundigte sich Franziska, weil sie sich vorgenommen hatte, als Nächstes das Umfeld des Toten anzusehen.

„Nein, wo denken Sie hin! Er hatte sein Appartement im neuen Innviertel. Georg hatte es für ihn und seine kleine Freundin gekauft.“ Sie hielt inne und blickte eine Weile auf die Getränkekarte, die vor ihr auf dem Tisch lag. „Wobei sich das ja inzwischen auch erledigt hat.“

Franziska und Hannes blickten sich stumm an. Wie meinen Sie das, wollte Franziska gerade fragen, als Frau von Blümstorf anklagend die Stimme hob: „Langsam glaube ich, dass er mich damit verletzen wollte.“ Erschrocken blickte sie sich um, seufzte und erklärte zurückhaltender. „In dem Alter macht doch jeder mal einen Blödsinn, aber muss das gleich die ganze Welt erfahren?“

„Nina, bitte, wovon redest du?“

„Davon, dass das heute nicht der erste Artikel war. Vor ein paar Monaten erfuhren wir aus der Zeitung, dass unser Sohn von nun an schwul sei und dass das ruhig jeder wissen dürfe, weil: gerade er als Künstler dazu stehen müsse, denn Kunst dulde natürlich keine Tabus, und da wäre es doch sinnvoll, bei sich selbst anzufangen. So ein Unsinn, sag ich dir.“

„Und Moritz war sein Geliebter!“, kombinierte Franziska.

„Natürlich nicht!“, fuhr Frau von Blümstorf sie an. „Quentin hatte keinen Geliebten, und Moritz schon gar nicht. Mit dem war er lediglich im Kindergarten und in der Schule, bis der nach der neunten Klasse abgehen musste. Und sonst nichts.“

„Nina, ich verstehe, dass so ein Coming-out nicht einfach ist, aber wenn er damit glücklich war, dann gibt es doch auch keinen Grund, sich dafür zu schämen“, versuchte Schneidlinger zu vermitteln.

 

„Josef, hast du mir nicht zugehört: Quentin war nicht schwul!“, erklärte sie mit Nachdruck und sprang von ihrem Stuhl auf. „Das war alles nur ein völlig bescheuertes Kalkül.“

„Wissen Sie eigentlich, warum Ihr Sohn so hart mit der Kunstszene ins Gericht gegangen ist?“, versuchte Franziska dem Gespräch eine andere Richtung zu geben, denn sie fürchtete, dass das Thema Homosexualität gleich für eine Explosion sorgen würde. „Und kennen Sie den Grund dafür, warum er etwas gegen die Künstler aus Ungarn hatte?“

Traurig schüttelte Frau von Blümstorf den Kopf. „Nein, leider kann ich mir darauf auch keinen Reim machen. Ich selbst fand, dass er froh darüber sein sollte, überhaupt so eine Chance zu bekommen. Aber er hat nur gesagt: Das habe ich mir verdient und jetzt sind da diese Ungarn und der Minister kommt und alles nur wegen denen, das ist nicht fair .“

„Chef, kann ich Sie mal kurz unter vier Augen sprechen?“, wandte sich Franziska leise an ihren Vorgesetzten und blickte ihn eindringlich an.

„Herr Hollermann, Sie bleiben bitte bei Frau von Blümstorf“, wies Schneidlinger an und folgte seiner Oberkommissarin bis zur Tür.

„Darf ich Sie fragen, woher Sie sich kennen?“, wollte Franziska sofort wissen.

Schneidlinger schmunzelte. „Sie dürfen. Paulina hat mir Nina von Blümstorf vorgestellt, sie haben sich beim Golfen kennengelernt.“ Interessiert lauschte Franziska seiner Erklärung. „Sie sammelte Geld für ein Hilfsprojekt“, erklärte Schneidlinger weiter. „Nina ist eine sehr großzügige Spenderin. Und inzwischen spielen wir auch zusammen Golf.“

„Aha!“ Franziska hatte den Zusammenhang erkannt. „Gut, ich frage das auch nur, weil Sie sich dann ja vielleicht auch in den Familienverhältnissen auskennen.“

„Ein wenig. Aber Sie fragen Nina – Frau von Blümstorf – bitte alles, was Sie wissen möchten. Im Grunde bin ich in diesem Fall befangen und möchte, dass Sie sich darum kümmern.“

„Danke, Chef, das mache ich natürlich gern, aber ehrlicherweise wäre es mir lieber, wenn Sie sich weiter um die Familie von Blümstorf kümmern würden.“ Ohne auf eine Zustimmung ihres Chefs zu warten, berichtete Franziska, was sie über Moritz Haushofer wusste. „… daher würde ich mit Hannes gern zunächst in das Appartement in der Innstadt und dann in den Schlachthof fahren.“

„Gut, dann bringe ich Frau von Blümstorf nach Hause und spreche auch mit Georg, dem Vater. Das darf er von mir erwarten, auch wenn es mir nicht leichtfällt.“

Franziska war sich nicht sicher, ob ihr Chef hoffte, dass sie ihm diesen Weg abnehmen würde, machte aber kein entsprechendes Angebot. „Was hat eigentlich der Oberstaatsanwalt entschieden?“, fragte sie stattdessen, während sie Hannes´ mahnenden Blick auffing. Sie machte eine besänftigende Handbewegung in seine Richtung.

„Bisher nichts. Dr. Schwertfeger sitzt noch mit Direktor Engelmann zusammen. Der will um jeden Preis eröffnen, und die KTU, Sie wissen ja, wie genau Frau Michel ist, sagt nein. Ich persönlich würde auch nicht eröffnen, aber bei so viel politischer Prominenz … der Druck ist schon sehr groß.“

„Ich glaube, man kann beide Seiten verstehen, aber zum Glück kann ich mich da ganz raushalten.“

Schneidlinger stimmte ihr zu. „Seien Sie froh darüber, ich bin es auch.“


In dem festen Wissen, dass er nicht nach Hause gehen konnte, nicht so und nicht in diesem Zustand, war Thomas die halbe Nacht durch Passaus Altstadtstraßen gelaufen.

Und weil er danach noch immer nicht zur Ruhe kommen konnte und sich daher nicht ins Haus getraut hatte, war er in seine Schreinerwerkstatt gegangen und konzentrierte sich seither auf die antike Kommode, die er zunächst mit feinstem Sandpapier sorgfältig anschliff, um sie im Anschluss mit Schleiföl anzufeuern, wie man diesen Schritt nannte. Arbeit war nach allem, was er erlebt hatte, die beste Medizin, um seine Nerven wieder zu beruhigen.

Stunden waren inzwischen vergangen, und seine Arme wurden zunehmend schwerer. Trotzdem rieb er jetzt mit Hilfe eines Baumwollballens, der mit einem Stück Leinenstoff umhüllt war, die dickliche Paste aus verdünnter Politur und Bimsmehl in das vorbehandelte Holz ein. Ohne Unterlass fuhr seine Hand in kreisförmigen Bewegungen über die Kommode. Und obwohl er seine Augen kaum noch offenhalten konnte, nervte ihn sein schlechtes Gewissen mit der Frage: „Wie hat das alles nur passieren können?“

Seit er vor rund 20 Jahren seine Frau Renate kennen und lieben gelernt hatte, war sie es gewesen, die all seine Probleme mit einem praktischen Vorschlag aus der Welt räumte, und zu gerne hätte er gewusst, ob ihr das auch dieses Mal gelingen würde. Er seufzte. Arme und Schultern brannten wie von Feuer versengt, doch was war dieser Schmerz im Vergleich zu dem Kummer in seinem Herzen?

So nah war er dran gewesen, so nah, und dann hatte er alles vermasselt.

Und warum? Weil er zu lange gezögert hatte, aus Angst, etwas falsch zu machen. Natürlich war er sich seiner Sache sicher gewesen, sonst wäre er ja überhaupt nicht auf die Idee gekommen, dort hinzugehen. Seit Wochen drehten sich seine Gedanken um dieses erste Treffen.

Inzwischen polierte er mit Schellack weiter und achtete darauf, in gleichmäßigen Kreisbewegungen über das Holz zu gehen. Schellack war etwas für Könner. Vertieft in diese anspruchsvolle Arbeit schrak er zusammen, als er draußen im Hof Schritte hörte und sich gleich darauf die Tür zu seiner Werkstatt langsam öffnete.

Renate. Was, wenn sie es ihm ansah? Bestimmt erkannte sie nach einem Blick in sein Gesicht, dass etwas Schlimmes passiert war. Was, wenn sie ihn fragen, in ihn dringen würde, bis es ihm herausrutschte? Was, wenn sie ihn deshalb verlassen würde und die Töchter gleich mitnähme? Ihre Mutter würde über ihn schimpfen. Habe ich dir nicht gesagt, er ist ein Tunichtgut? Seine Schwiegermutter hatte ihn nie leiden mögen. Und wenn sie je die Wahrheit erfahren sollte, dann würde zumindest sie triumphieren.

Er liebte seine Familie, sie war sein Ein und Alles. Also musste er sich schnell eine Ausrede ausdenken. Am besten eine gute. Vielleicht konnte er es auf die Hitze schieben, und vielleicht würde sie ihm Glauben schenken. Hoffnungsvoll polierte er weiter und weiter, jetzt nur keine Pause machen und ja kein Öl auf dem schönen Holz stehen lassen, sonst wäre auch noch die Oberfläche ruiniert.


„Komm, wir sollten uns beeilen“, mahnte Franziska und zog ihren Kollegen Hannes mit sich zu ihrem vor der Klostermauer geparkten Auto. „Nicht, dass vor uns noch jemand auf die Idee kommt, sich die Wohnung anzuschauen.“

Kurz darauf umkreiste Franziska den Römerplatz in Richtung Untere Donaulände. Während sie sich auf den Verkehr entlang der Schiffsanlegestellen konzentrierte, schaltete Hannes sein Handy an. Franziska hatte keinen Hinweiston vernommen, aber seinem Lächeln nach zu urteilen, hatte er die Nachricht erwartet.

„Wir müssen unbedingt herausfinden, wer Quentin von Blümstorf wirklich war“, verkündete sie nach einer Weile, und da Hannes noch immer auf das Display starrte, stellte sie ihre eigene Gesprächsbereitschaft ebenfalls ein und gab sich stattdessen der Überlegung hin, was man wohl über sie als absolute Wahrheit erzählen würde, wenn sie tot aufgefunden worden wäre.

Von wem würde eine ermittelnde Kollegin erfahren, wer sie war und was sie umgetrieben hatte?

Von Hannes? Vielleicht. Wobei der auch nur wusste, was sie ihm erzählte. Und so richtig Privates erzählte sie ihm meist nicht.

Oder von Walter? Der wusste nach all den Jahren, in denen sie zusammen gewesen waren, schon recht viel über sie. Wobei der eher ihre Vorlieben kannte … Franziska verkniff sich rasch ein Grinsen. Nicht dass Hannes in diesem Moment aus seiner Handywelt auftauchte und sie bei solchen Gedanken erwischte. Er wüsste sofort, an was sie dachte, dafür kannte er sie dann doch zu gut.

Welches Bild wollte Quentin von Blümstorf von sich zeigen, überlegte sie weiter. Das eines modernen Don Quijote, der sich in den Medien gegen die Kunstszene auflehnte? Na ja, im Grunde hatte er nur ein Interview gegeben und hätte, wenn er noch lebte, jetzt mit den Folgen zurechtkommen müssen. Oder war sein Tod bereits eine Folge des Interviews? Franziska schaute zu Hannes, der noch immer in sein Handy vertieft war, und wusste auf einmal, was sie wirklich störte.

„Findest du es nicht auch seltsam, dass der junge von Blümstorf kein Handy bei sich hatte?“ Annemarie hatte sie extra darauf hingewiesen, als sie ihr den Wohnungsschlüssel aushändigte. Und natürlich auch darauf, dass sie keine Spuren vernichten sollten. Als ob sie das nicht selbst am besten wüsste.

„Vielleicht hat es ja auch der Täter mitgenommen“, mutmaßte Hannes.

„Wahrscheinlich sogar“, seufzte Franziska. Handys sagten oft mehr über den Besitzer aus, als jeder noch so gute Freund wissen konnte. Vor allem die neuen, die über so viel Speicherplatz verfügten, dass ein Dialog oft über Monate zurückverfolgt werden konnte. Seit Franziska das erkannt hatte, löschte sie so manchen Chatverlauf. Ihren Austausch mit Walter hatte sie aber trotz der Trennung aufgehoben. Zumindest die schönsten Dialoge. Und manchmal, wenn auch selten, schaute sie hinein und erinnerte sich wehmütig an diese Verabredungen. Walter konnte wunderbare, zweideutige Textnachrichten verschicken.

Erneut seufzend löste sie sich von diesem schwierigen Thema und stellte weitere Überlegungen zu ihrem Fall an.

„Wir müssen unbedingt mit dem Mann reden, für den Quentin sich geoutet hat“, erkannte Franziska und blickte ihren Kollegen an.

„Vielleicht gibt es diesen Mann ja auch gar nicht“, Hannes schaute kritisch zurück. „Du hast doch seine Mutter gehört.“

„Ja klar. Aber welche Mutter und vor allem welche Mutter, die wie Nina von Blümstorf ist, will schon wahrhaben, dass ihr Sohn auf Männer steht?“ Franziska hatte das Innviertel erreicht und fuhr in einen freien Stellplatz vor dem Blumenladen, der zum Hauskomplex gehörte. Endlich steckte auch Hannes sein Handy weg.

„Mist, ich wollte ja nach Hause und dieses peinliche T-Shirt ausziehen“, erkannte sie ihr Versäumnis, kaum dass sie den superschicken, teilweise verspiegelten Aufzug betreten hatte, der sie leise schnurrend nach oben beförderte.

Die Wohnung war klimatisiert und großzügig geschnitten. Das Mobiliar bestand aus einer so gelungenen Mischung von modernen Hochglanzschränken, Antiquitäten, Bodenbelägen und Dekoobjekten, dass Franziska unwillkürlich an einen teuren Innenausstatter denken musste. Fast ehrfürchtig schritt sie über das Echtholzparkett in den beschatteten Wohnraum, und als sie neugierig die Jalousien teilte, um hinausschauen zu können, fiel ihr Blick auf das Oberhaus, das auf der anderen Seite über der Altstadt thronte.

„Ganz schön nobel“, kommentierte sie, was sie sah. Franziska wandte sich um und schaute sich den großen Wohnraum genauer an. Auf der einen Seite gab es eine Luxusküchenzeile und eine Kochinsel, die ihr Hausfrauenherz höher schlagen ließ. Das galt auch für die Tischgruppe, die aus einem Glastisch mit Edelstahlunterbau sowie untergeschobenen Holzstühlen bestand. Richtig einladend wirkte die Loungezone aus hellem Leder, die auf ihren dünnen Füßen zu schweben schien und in Richtung Kamin ausgerichtet war. Im Winter musste es ein Traum sein, hier zu liegen, ein Buch in der Hand und das Knistern des Kamins im Ohr. Auf einem Sideboard stand ein Tablett mit Gläsern und einer Karaffe, und in einem schmalen Regal reihten sich Bücher nach Farbe und Größen sortiert. Alles war blitzblank, wirkte aber auch völlig unpersönlich. Fast wie in einem Möbelgeschäft, überlegte sie und verließ auf der Suche nach Hannes den Raum.

Im gegenüberliegenden Zimmer gab es ebenfalls einen Glastisch, dieser war aber über und über mit Skizzen, Stiften und Kunstbüchern beladen. In einem dazu passenden Regal standen neben weiteren Kunstbüchern auch etliche Studienunterlagen und Fachbücher, die so gar nichts mit Kunst zu tun hatten: „Dynamik der Baukonstruktion“, „Englisch für Architekten und Bauingenieure“. Sie ging zum Schreibtisch zurück, schlüpfte in ein paar Latexhandschuhe und hob einige der Blätter an. Sie mussten von Quentin sein, denn der Malstil entsprach dem, was sie schon im MMK gesehen hatte. An den Wänden hingen fertige Bilder und auf weiß lackierten Podesten standen kleinere Objekte.

 

„Hübsch“, kommentierte Hannes, der ebenfalls Handschuhe trug, und schaute auf die Regale und Wandschränke.

„Hast du schon etwas entdeckt, was auf einen Geliebten schließen lässt?“, wollte Franziska wissen, denn in diesem Raum gab es genau wie im Wohnraum keine Fotos.

„Das Gegenteil“, antwortete er kryptisch. Franziska folgte ihm ins Schlafzimmer und stieß einen anerkennenden Schrei aus. Nicht wegen der Kommode aus Nussbaum mit Messinggriffen, die zwischen zwei französischen Fenstern stand und deren Schubladen nur nachlässig geschlossen waren. Und auch nicht wegen des weiß lackierten Kleiderschranks, dessen eine Tür weit offen stand, und schon gar nicht wegen der Matratze, die ein wenig schief auf dem Bettrahmen lag, auch wenn das alles zeigte, dass hier jemand etwas gesucht hatte.

„Nicht schlecht!“ Franziska ging bis zum Fußteil des Bettes und blickte anerkennend auf das riesige Aktfoto, das über dem Kopfteil hing. „Nackt, wie Gott sie schuf, mit reichlich Bling Bling an den intimsten Stellen!“ Im Blick ihres Kollegen erkannte sie, dass ihm das, was er sah, durchaus gefiel. „Schöne Frau und sehr erotisch. Nur, warum hängt sich ein Mann, der eigentlich auf Männer steht, eine solche Frau über sein Bett?“

Hannes löste sich aus seiner Verzückung. „Weil seine Mutter eben doch richtig liegt.“

„Und warum steht dann in der Presse, dass er schwul ist?“, ließ sie nicht locker.

„Weil, weil …“, unschlüssig blieb Hannes die Antwort schuldig und fragte stattdessen: „Hat dein Bühnenkünstler auch so ein Bild von dir über dem Bett hängen?“

„Jetzt fängst du schon wieder mit dem an! Wir haben uns getrennt, es ist mir egal, was über seinem Bett hängt“, behauptete sie und wandte sich der Einrichtung zu. „Du hast recht, hier hat jemand etwas gesucht, oder warst du das etwa auf der Suche nach dem Handy?“

„Wo denkst du hin“, beschwerte sich Hannes. „Ich weiß doch, wie man sich in fremden Wohnungen verhält.“ Er hielt kurz inne und fügte dann nachdenklich hinzu: „Aber ich habe tatsächlich nichts in der Richtung gesehen.“

„Wenn hier jemand nach dem Handy gesucht hat, dann hat er es sicher mitgenommen und dann sollten wir lieber alles so lassen, wie es ist, sonst schimpft uns Annemarie zu Recht, und außerdem haben wir keine Zeit dafür.“ Franziska steuerte den Flur an, blieb aber an der Wohnungstür noch einmal stehen. „Außerdem finde ich dieses Bild schon aussagekräftig genug: Für die Zeitung gab Quentin von Blümstorf sein Coming-out, seine Mutter sagt, das sei Quatsch, und über seinem Bett hängt das Aktfoto einer weiblichen Schönheit. Wenn es zur Klärung seiner Todesumstände wichtig ist, ob er nun homo- oder heterosexueller Natur war, dann fällt mir momentan nur einer ein, den wir dazu befragen könnten“, entschied sie.


„Hast du ihn getötet?“, fragte Rother, nachdem sich sein Gesprächspartner gemeldet hatte, und schwankte zwischen Hoffen und Bangen.

„Nein, wo denkst du hin?“, kam die Antwort prompt und überzeugend.

Rother atmete auf. „Gut, ich glaube dir natürlich, aber wir müssen uns sehen. Ich kann so nicht weitermachen.“ Er lauschte, aber auf der anderen Seite blieb es still. „Ich brauche jetzt mehr, es geht nicht anders“, hörte er sich sagen und war entsetzt darüber, wie bedürftig das klang.

„Ist schon gut, ich kümmere mich“, versprach die Stimme, und Rother lehnte sich entspannt zurück. Natürlich tut er das, dachte er. Warum hatte er sich überhaupt Sorgen gemacht? Schließlich war er auch ein Mann, auf den man zählen konnte. Einer, der für andere da war, und …

Das Gespräch war beendet und auf einmal musste er an Emilia denken. Er könnte sie anrufen, begann schon ihre Nummer einzutippen und hielt dann doch inne. Was sollte er ihr jetzt sagen?

Vielleicht konnte er ihr irgendwann einmal die Wahrheit sagen. Dann, wenn alles vorbei war. Die würde Augen machen. Doch dann sah er ihr Gesicht vor sich. Den strengen Blick, wenn ihr etwas nicht gefiel, und er legte das Telefon weg.

Nein, heute würde er sie nicht anrufen. Heute war er nicht in der Stimmung, um eine Abfuhr zu erhalten.

Außerdem hoffte er, dass sie sich bei ihm melden würde, denn sie hatte sicher schon gehört, dass es bei ihnen im Museum einen Mord gegeben hatte.

Am Ende hatte sie sogar ein bisschen Angst um ihn.

Ein Lächeln schlich sich in sein Gesicht. Es tat noch immer gut, an sie zu denken, auch wenn sie das gar nicht richtig verdient hatte.


„Herr Haushofer, Moritz Haushofer?“ Der junge Metzger nickte. „Ich bin Franziska Steinbacher von der Passauer Mordkommission; das ist mein Kollege Hollermann.“ Franziska deutete auf Hannes und musterte dann den jungen Mann, der auf ihre Bitte hin von einem Vorarbeiter aus dem Zerlegeraum des Schlachthofes herausgeholt worden war. Er war gut eins achtzig groß und trug eine weiße Jacke und eine passende Hose. Beides wurde von einer teils blutbeschmierten Gummischürze und einem weißen Käppi, unter dem vereinzelt hellblonde Haare herauslugten, komplettiert. Seine Füße steckten in weißen Gummistiefeln, an der linken Hand trug er einen Stechschutzhandschuh aus Metall, der den Unterarm fast zur Gänze bedeckte. Nichts, was Franziska bei diesem Wetter tragen wollte. Hinzu kam dieser penetrante Geruch, der, wie sie vermutete, im Inneren der Halle noch intensiver war als hier draußen auf dem Parkplatz.

„Sie sind mit Quentin von Blümstorf befreundet?“ Franziska ließ den jungen Mann nicht aus den Augen. Er nickte und betrachtete seinen Handschuh, als sehe er ihn zum ersten Mal. Franziskas Gespür sagte ihr, dass er bereits Bescheid wusste. „Wissen Sie schon, was mit Ihrem Freund passiert ist?“, erkundigte sie sich daher, nachdem Moritz Haushofer keine Anstalten machte, etwas zu sagen.

„Ja, Verena, also Frau Tomasko, hat mich angerufen.“ Hilflos zuckte er mit den Schultern. „Schlimme Sache, die Ärmste ist ganz fertig.“

Franziska seufzte. So etwas hatte sie sich schon gedacht.

„Sie sagte, jemand hat Quen getötet.“ Moritz Haushofer schaute weiter auf seinen Handschuh, bevor er in aller Seelenruhe die Verschlüsse öffnete, um ihn abzustreifen. „Aber das glaube ich nicht.“ Franziska bemerkte den Stoffhandschuh, der zum Vorschein gekommen war. Genau wie die Schürze war er voller Blut. Schweineblut, vermutete sie.

„Leider stimmt es aber, Ihr Freund ist tot“, versicherte Franziska.

„Ja schon. Aber ich dachte halt, er hätte, also ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass ihn jemand …“, hilflos zuckte er mit den Schultern. „Ist ja nur, weil er halt so beschissen drauf war in letzter Zeit. Da hätte das vielleicht …“

Die Art und Weise, wie Moritz von Quentin sprach, erinnerte Franziska daran, dass Nina von Blümstorf von einer gemeinsamen Kindergartenzeit berichtet hatte. Sie warf Hannes einen schnellen Blick zu, während sich Moritz den Stechhandschuh unter den Arm klemmte, mit der rechten Hand ein Päckchen tschechische Zigaretten und ein Feuerzeug aus der Hosentasche zog, mit der linken einen der Glimmstängel herausholte und anzündete. Fasziniert betrachtete Franziska den blutigen Handschuh mit der Zigarette.

Nach einigen Zügen erklärte sie ihm: „Quentin von Blümstorf hat sich nicht selbst das Leben genommen. Er wurde getötet. Daran gibt es keinen Zweifel.“ Moritz zog noch ein paarmal an und warf die Kippe dann auf den Boden, wo er sie mit dem weißen Gummistiefel nachdenklich austrat. „Herr Haushofer, ich muss Sie das jetzt fragen, waren Sie und Herr von Blümstorf ein Paar?“, erkundigte sich Franziska und behielt den jungen Mann genau im Auge.

„Fuck, was? Wer behauptet denn so was?“, stieß er aufgebracht hervor und fuchtelte mit dem Feuerzeug herum. Sie war froh, dass er seine Messer im Zerlegeraum zurückgelassen hatte.

„Quentin von Blümstorf hat in einem Interview verkündet, dass er homosexuell sei. Und Frau Tomasko sagte, dass Sie viel Zeit miteinander verbracht haben, da …“

„Verena hat gesagt, dass ich schwul bin?“, fauchte der junge Mann und funkelte die Kommissarin böse an.