Kirche von Sinnen

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Kirche von Sinnen
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Cristina Fabry

Kirche von Sinnen

Kurzkrimis 2019

Dieses ebook wurde erstellt bei

Inhaltsverzeichnis

Titel

Alles muss raus

Kleine Biester

Das hatte Michelangelo nicht gewollt

Das Meer in dir

Spontanerbrechen

Tote zaubern nicht – ein abgeschlossener Kurzkrimi mit Peter Margo

Zweimal im Leben – mehrteiliger Kurz-Krimi

Der Hühnerhof des Sämanns

Epilog im Fegefeuer

Stammschwimmer

Black Story

Angst

Warum? - Ein folgenreicher Kurzkrimi

Vielleicht weil...

Oder auch wegen…

Es ist nicht ausgeschlossen, dass...

Es könnte aber auch…

Konzentrieren wir uns auf…

Darum…

Wenn er aber gewusst hätte…

I Matti di Roma – die Verrückten von Rom

Picknick auf dem Palatin

Teufels Werk und Gottes Auftrag – ein Peter Margo Dreiteiler – Teil 1

Teufels Werk und Gottes Auftrag – ein Peter Margo Dreiteiler – Teil 2

Teufels Werk und Gottes Auftrag – ein Peter Margo Dreiteiler – Teil 3

Was für ein Vertrauen – Kurzkrimi in vier Teilen – 1. Teil

Was für ein Vertrauen – Kurzkrimi in vier Teilen – 2. Teil

Was für ein Vertrauen – Kurzkrimi in vier Teilen – 3. Teil

Was für ein Vertrauen – Kurzkrimi in vier Teilen – 4. Teil

Lebenslang

Kein Entkommen

Gott als Mörder

Erschütternde Begegnung

Armbrust

Bullizwei – nur ein Elfchen

Fauxpas

Um die Ecke – ein Fortsetzungskrimi in mehreren Teilen – Teil 1 - Keller

Teil 2 - Kerstin

Teil 3 - Hinrichsen

Teil 4 - Uschi

Zwei in der Falle

Der dritte Mann

Nie zweimal in diesselbe Scheiße

Konfi-Event

Schwester der Braut

Impressum neobooks

Alles muss raus

Es rieselt schon der Tannenbaum,

die Weihnachtsäpfel werden faul,

der Freude Nachklang spürt sie kaum.

Der Vater fährt ihr übers Maul

Die Fortbildung ist morgen schon,

der Koffer ist auch schon gepackt.

Die Pflegerin am Telefon

versorgt den Vater nächste Nacht.

Übermorgen kommt sie nach Haus:

ein Kampf um Leben oder Tod;

beim Fortbilden, da kam es raus:

der Vater war ein alter Lot

Nicht wie die Bibel es beschrieb

- da lag die Schuld stets bei der Frau -

so wie der Lot es wirklich trieb:

der Vater war brutal und blau.

Der Tannenbaum fliegt vor die Tür,

die Äpfel holen sich die Spatzen,

das bunte Zeug ins Altpapier,

der Vater wässert die Matratzen.

Die Kekse kommen in den Müll,

die Kerzen fliegen hinterher

dann wird es irgendwann sehr still.

Der Vater, ja der ist nicht mehr.

Schon morgen holen sie ihn ab

einfache Fahrt, mit ihm ist's aus

das Kind in ihr, es litt und starb.

Der Vater auch, alles muss raus.

Kleine Biester

Es tat immer noch weh, ein bisschen. Aber das Doppeltsehen war verschwunden und es war ja nicht einmal eine Woche vergangen, seit dem. Eigentlich tat es auch nur weh, wenn man an die Wunde fasste, musste ja genäht werden, da hatten die Kameraden ziemlich übertrieben. Aber die Rechnung war aufgegangen. Niemand behauptete in der Öffentlichkeit, es seien nicht die elenden Zecken gewesen. Nur dass Hinrich den Quatsch mit dem Kantholz oben drauf gesetzt hatte, war wirklich dumm gewesen, er hätte sich den Film vorher einmal richtig ansehen müssen, dann wäre ihm klar gewesen, dass diese Behauptung in der Luft zerrissen würde. Sah man ja auch an den Verletzungen, dass hier nur Schläge, Tritte und Hautkontakt zum Straßenpflaster die Ursachen gewesen waren. Aber immerhin lag er nicht mehr in diesem miefigen Krankenhaus, wo versiffte und verkeimte Ärzte und Pfleger aus Pusemuckel einen womöglich kranker machten als man schon war. Zumindest hatte der Einsatz sich gelohnt. In der öffentlichen Meinung waren die Soll- und die Haben-Seiten wieder ausgeglichen. Und selbst wenn der eine oder andere spitzfindige Ermittler mit Linksdrall ihnen drauf käme: beweisen könnte er das nie und nimmer. Nächste Woche wäre alles verheilt und er würde endlich wieder durchstarten.

Das Blutgerinnsel hatten die Ärzte übersehen. Passierte praktisch nie, aber da hatte wohl einer gehofft, dass die kleine Ansammlung von Thrombozyten erledigen würde, was die Angreifer vermieden hatten. Klappte nicht ganz. Er überlebte es, aber er hätte es vorgezogen, in Walhalla einzuziehen.

Das hatte Michelangelo nicht gewollt

Levke fröstelte. Und dunkel war es auch. Hatte wohl niemand mitbekommen, dass sie noch auf der Toilette gewesen war. Sie tastete sich durch das dunkle Foyer. Zumindest die Bodenfliesen waren hell, wenn auch im hässlichen Siebzigerjahre-Look, so eine Mischung aus Waschbeton, Marmor und Terrazzo. Kalt und rutschig. Sie hatte vergessen, wo sich die Lichtschalter befanden. Sie erinnerte sich, wie man sich aus einem Labyrinth befreite, tastete sich konsequent an der rauen Klinkerwand entlang; irgendwann käme die Haustür von allein. Kam sie auch, aber sie war verschlossen. Verriegelt und verrammelt. Wie sollte sie das Haus verlassen? Sie zog das Telefon aus der Tasche. Der Akku war leer, na toll! Und an den Festnetzapparat im Gemeindebüro kam sie auch nicht heran. Die Fenster im Erdgeschoss waren nur mit einem Schlüssel zu öffnen. Tränen der Verzweiflung stiegen auf. Sie wollte nicht die ganze Nacht in diesem kalten, unwirtlichen Gemeindehaus verbringen, allein und von allen verlassen. Doch dann hatte sie eine Idee: Wenn sie den Lichtschalter fand, würde sie einfach permanent das Licht an- und ausknipsen. Das musste irgendwann jemandem auffallen und der könnte dann Hilfe holen, Pfarrer oder Küster Bescheid sagen, die hatten ja einen Schlüssel.

Doch dann breitete sich Erleichterung in ihr aus: Sie hörte ein Geräusch, da war doch noch jemand im Haus. Sie war gerettet – oder zumindest nicht allein. Vielleicht geschah ja jetzt das Unglaubliche und Paradiesische, vielleicht hatte David sich das für sie ausgedacht. Ihr Herz hämmerte.

 

„Hallo?“

Keine Antwort.

„Hallo? Wer ist da noch? Ich bin's, Levke Kopaz, ich bin hier im Foyer, die haben mich eingeschlossen. Hallo?“

Totenstille.

Hatte sie sich das Geräusch nur eingebildet?

Doch, da war es wieder. Ein leises Klappern, so wie behutsam sich nähernde Schritte. Warum antwortete die Person nicht? War das vielleicht ein schlechter Scherz?

„Ich finde das jetzt langsam nicht mehr witzig!“, schimpfte Levke. Sie hörte die Schritte wieder, konnte aber in der Dunkelheit keine Richtung ausmachen, sie schienen von verschiedenen Seiten zu kommen.

Jemand packte zu, griff ihr von hinten an die Handgelenke und führte ihre Hände hinter den Rücken. Bis zum Anschlag. Es tat sehr weh, sie schrie auf. Vor ihre Augen war ein Schatten, der drängte ihr entgegen. Bevor sie gewahr wurde, dass es sich um einen schwarz gekleideten, maskierten Mann handelte, hatte er sich schon an sie gepresst und nestelte an ihrer Jacke. Sie versuchte, sich aus dem stahlharten Griff des Hintermanns zu befreien, wehrte sich, versuchte zu treffen. Der Vordermann schlug ihr hart ins Gesicht. Zwei mal, kurz hintereinander. Sie schmeckte Blut. Benommen bemühte sie sich, auf den Beinen zu bleiben.

Es gelang ihr, sich aus dem Klammergriff zu winden, sie schlug um sich, griff zunächst ins Leere, dann bekam sie etwas zu fassen, mit dem sie ihren wehrhaften Schlägen mehr Wucht verleihen konnte.

Plötzlich lag sie am Boden und blickte mit schreckgeweiteten Augen in die Dunkelheit. Es war seltsam still. Noch seltsamer war, dass der schnöde Steinfußboden sich unter ihrem Körper ganz warm und weich anfühlte. Sie wollte gerade zusätzlich in Panik geraten, weil sie diese Empfindung für ein einsetzendes Taubheitsgefühl hielt, doch dann entspannte sie sich: Sie lag im Bett. Sie hatte das alles nur geträumt.

Das Nachthemd war komplett nass geschwitzt. Ihr Mund fühlte sich trocken an und der Traum war so realistisch gewesen, dass jetzt noch ihre Wangen von den harten Schlägen schmerzten. Sie stand auf, um sich in der Küche ein Glas Wasser einzuschenken. Die Beine zitterten noch immer, dabei war sie doch in Sicherheit. Vor wem hatte sie solche Angst? Niemand im Chor bedrohte sie oder machte ihr unangenehme Avancen, ganz im Gegenteil, sie wartete sehnsüchtig auf ein Signal von David, aber der war immer so beherrscht, vielleicht interpretierte sie in seine Blicke mehr glühende Leidenschaft, als da tatsächlich vorhanden war.

Das leicht sprudelnde Mineralwasser tat gut und allmählich stand sie wieder sicher und fest auf ihren Beinen. Kann ich ja auch gleich noch aufs Klo gehen, wo ich schon einmal aufgestanden bin – dachte sie.

Es lohnte sich und nach dem Toilettengang wusch sie sich selbstverständlich die Hände. Beim Blick in den Spiegel zuckte sie zusammen: aus ihrer Unterlippe sickerte Blut und der obere Teil ihres Nachthemdes war voll davon. Wie konnte eine so langsam blutende Wunde so viele Flecken verursachen? Sie musste sich festhalten. Die Beine zitterten wieder. Nur schnell ins Bett und dann vielleicht einen Krankenwagen rufen. Irgendetwas stimmte nicht mit ihr.

Sie warf sich auf die Matratze und atmete schnell und heftig. Das Bett war nass geschwitzt. Oder war ihr Blut auch ins Laken gezogen? Sie knipste die Nachttischlampe an und setzte sich auf. Und dann wurde es schlagartig dunkel.

Als sie wieder zu sich kam, lag sie noch immer im Bett. Sie fühlte sich, als sei sie schon tot, so kalt und starr, als könne sie sich nie wieder bewegen. Doch dann kam das Zittern und sie wusste nicht, ob es der Unterkühlung oder dem schrecklichen Anblick geschuldet war, der sie in die Ohnmacht hatte sinken lassen. David lag neben ihrem Bett, die Augen weit geöffnet und erstarrt, aus seiner Schläfe hatte sich ein dicker Blutstropfen Bahn gebrochen und neben ihm lag die Marmor-Figur aus Carrara: Michelangelos David als Miniatur, aber groß genug, um diesen David seinem Schöpfer zurückzugeben.

Das Meer in dir

Er war sich nicht im Klaren darüber, ob das Kribbeln auf der Haut von den Millionen feiner Sandkörner herrührte oder aus seinem Innersten kam. Er genoss die intensiven Sonnenstrahlen, die ihn mehr durchwärmten als jeder Qualitätswhisky vor einem prasselnden Kaminfeuer und da stieg noch eine andere Hitze in ihm auf, die kam von den athletischen Leibern, die wahlweise in sandiger Panade vor sich hin brieten wie Chicken Nuggets im Umluftherd oder herumtollten wie junge Hunde, um ihm mit ihrem betörenden Muskelspiel den Mund wässrig zu machen.

Mehr wollte er doch gar nicht von seinem Urlaub: Sonne, Strand und von der Liebe träumen – ja und hin und wieder zum Schuss kommen, das gehörte natürlich dazu.

Er war ein bisschen wie Friedrichs Gedicht: erst wüten und dann still da liegen. Er fühlte sich sogar wie das dazu gehörige Gemälde, ein azurblauer Wirbel, durchzogen von weißen und schwarzen Schlieren, umgeben von einer ockerfarbenen Hülle auf grauem Grund. Ockerfarben war seine Haut und der Sand hier am renaturierten Strand von Marina di Bibonna war auch eher grau als goldgelb. Und in ihm toste es noch immer, auch wenn er scheinbar in sich ruhte. Wenn er die Augen schloss, war da wieder das Platschen des von panischen Schlägen gepeitschten Mittelmeeres. Er hat kein so großes Problem mit den Bildern, sie kamen und er hielt sie aus. Aber mit den Bildern kamen auch die Geräusche. Und dieser Soundtrack war nicht zu ertragen. Er blinzelte in die Sonne und nahm einen Schluck aus der Limoflasche. Die Cocktails hob er sich für den Abend auf, er war ja kein Teenager mehr.

Vor elf Jahren hatte alles angefangen. Sie hatten sich angefreundet auf einer Fortbildung, die halbe Nacht geredet und sich dann immer häufiger verabredet. Ihm war sofort aufgefallen, dass Friedrich genauso war wie er. Nein nicht direkt ein Seelenverwandter. Dirk war ein Macher, einer der Strukturen durchschaute und es verstand, sich das zunutze zu machen, einer der diese Strukturen auch verändern und neu entwickeln konnte. Leitung lag ihm, hatte ihm schon immer gelegen, auch wenn die wenigsten ihm das zutrauten.

Friedrich dagegen war ein Schöngeist gewesen. Zwar ein hierarchischer Typ, der sich nicht infrage stellen ließ, aber auch ein Künstler, ein Individualist. Dirk hatte ihn für sein doppeltes Talent bewundert, die Lyrik und die Malerei und wie er das Zusammenspiel beider Kunstformen verstand. Dirk hatte organisiert und Friedrich hatte ausgestellt und viel Lob und Anerkennung geerntet.

Aber in einer Hinsicht waren sie von Anfang an gleich gewesen: sie gaben Männern gegenüber Frauen den Vorzug. Beide waren ledig und machten ihre Homosexualität nicht öffentlich. Es war zwar kein Ausschlusskriterium mehr, aber immer noch äußerst unwahrscheinlich, als offen schwul lebender Mann in eine nette, bürgerliche Kirchengemeinde zum Pfarrer gewählt zu werden. Und wer Karriere machen wollte, brachte lieber keine wertkonservativen Kleinbürger gegen sich auf.

Sie waren nie ineinander verliebt gewesen. Friedrich war nicht Dirks Typ, zu altmodisch und unlustig. Er erinnerte Dirk immer an seinen alten Lateinlehrer, der hatte auch so für die alten Griechen geschwärmt und so einen merkwürdigen Bart getragen, wie ein arabischer Fürst, Haare an Kinn und Oberlippe, Die Wangen und den Hals aber glatt rasiert.

Dirk war wohl auch nicht Friedrichs Typ gewesen, der füllige Körper, der derbe Humor, das hatte jedes eventuelle Verlangen in ihm im Keim erstickt. Aber sie waren gute Freunde geworden, die sich gegenseitig unterstützten und über die schlimmste Einsamkeit hinweg halfen. Und einmal im Jahr verreisten sie zusammen.

„Mir ist sooo heiß!“, hatte Friedrich gestöhnt. „Ich glaube, ich muss in den Schatten und mir einen Eiskaffee genehmigen.“

„Du bist am Meer!“, hatte Dirk gekontert. „Lass uns ins Wasser gehen.“

„Du weißt doch, dass ich nicht schwimme.“

„Du musst ja auch nicht schwimmen. Du planscht ein bisschen im Flachen, bis du dich abgekühlt hast und dann gehst du auf die Luftmatratze und leistest mir beim Rausschwimmen Gesellschaft.“

„Das habe ich ja noch nie gemacht!“

„Das ist ein Grund, aber kein Hindernis.“

„Wie bitte?“

„Ich meine, du kannst es als Ausrede versuchen, aber du kommst nicht damit durch. Alles, was man im Leben tut, tut man irgendwann zum ersten Mal.“

„So wie das Outing. Das macht man auch nur einmal. Wie ein Sprung ins kalte Wasser.“

„Fang nicht wieder davon an. Du weißt, dass ich meine Bewerbung für den Diakonie-Vorstand vergessen kann, wenn ich das tue.“

„Oder wenn ich es tue.“

„Untersteh dich! Ich weiß auch nicht, warum du das überhaupt tun musst. Es gibt genug kleine Wichser, die von unseren Urlauben wissen, eins und eins zusammenzählen und fünf herausbekommen. Wenn Du Deine sexueller Orientierung offenlegst, werde ich sofort mit dir in einen Topf geworfen und das weißt du.“

Friedrich hatte nur überlegen gegrinst. Da hatte etwas den Schalter in Dirks Kopf umgelegt.

Warum wollte Friedrich auch alles kaputt machen? Was hatte er davon, allen auf die Nase zu binden, dass er Männer liebte? Glaubte er, dass da schon jemand in den Startlöchern saß?

„Und jetzt komm, erst abkühlen, dann Seele baumeln lassen.“

„Was tue ich nicht alles für meinen ständigen Reisebegleiter.“, stöhnte Friedrich und rappelte sich auf. Das schrittweise Eintauchen in das kühle Tyrrhenische Meer kostete ihn reichlich Überwindung: „Jetzt war ich so froh, endlich mal wieder einen echten Kultururlaub zu machen und jetzt geht es hier ab wie letztes Jahr auf Ibiza.“

„Ibiza war geiler.“, entgegnete Dirk und kicherte seehoferisch. „Die Jungs am Strand waren alle willig, zumindest prinzipiell. Da bist doch sogar du auf deine Kosten gekommen.“

„Ach ja, aber eigentlich ist das nichts für mich. Ich will mich richtig verlieben, auf Dauer, in jemanden, auf den ich mich verlassen kann.“

„Warum musst du alles auf einmal haben? Du kannst doch massenhaft abwechslungsreichen Sex haben und verlassen kannst du dich auf mich. Komm, alter Mann, ich schleppe dich raus auf das Meer, das du so schön kreativ in Szene gesetzt hast.“

Dirk war den Strand hoch gelaufen und hatte die Luftmatratze geholt. Er hatte seinen Reisegefährten weit hinausgezogen. An Land bewegte er sich schwerfällig, aber im Wasser war er in seinem Element. Tatsächlich hatte Friedrich sich in der Sonne entspannt, darum war es ein leichtes für Dirk gewesen, ihn von der Matratze zu schubsen. Friedrich hatte aufgeschrien, war untergetaucht, wieder aufgetaucht, hatte panisch nach Luft gerungen und Dirk hatte geschrien: „Friedrich, halt dich an der Matratze fest!“, doch gleichzeitig hatte er ihn fortgestoßen, dafür gesorgt, dass der Ertrinkende weder die Matratze noch Dirk zu fassen bekam. Friedrich hatte Wasser geschluckt, nicht mehr schreien können, nur husten, hatte nach Luft gerungen und so immer mehr Wasser in seine Lungen gesogen, bis er schließlich nicht wieder aufgetaucht war.

Dann war der Freund zurück zum Strand geschwommen, hatte Alarm geschlagen, Panik und Verzweiflung nach außen gekehrt.

Drei Tage war das nun her. Seltsam, Friedrich fehlte ihm eigentlich gar nicht. Sein Bild verblasste schon, kein Wunder, bei dem Anblick, der sich ihm hier bot. Nur das letzte Gedicht, das sein Reisegefährte verfasst hatte, behielt er im Herzen:

Das Meer in dir

Wellen

die erst leise schwappen

größer werden

schneller kommen

alles mit sich reißen

und dann brechen

das Meer in dir

es tost und wütet

um dann

gleich morgen

wieder dazuliegen

tief und still und sanft

Spontanerbrechen

Im Bauch fängt es an. Der Darm ist mein Gehirn. Der Kopf ist nur die Schaltzentrale, das Wesentliche kommt aus den Organen unterhalb des Rectus Abdominis. Kein Wunder. Da wird lautstark gearbeitet, da wird Energie gewonnen, da werden wertvolle Ressourcen generiert. Die Schaltzentrale frisst nur und verursacht Wahnvorstellungen. Im Bauch entsteht auch neues Leben. Der Hohlraum sehnt sich danach, gefüllt zu werden, damit darin etwas Neues wächst, etwas das atmet und dafür sorgt, dass das Leben nicht aufhört.

Sie legt den Stift aus der Hand. Dieser Kurs in kreativem Schreiben ist vielleicht doch nicht das Richtige. Einfach aufschreiben, was einem morgens als erstes in den Sinn kommt. Warum die weibliche Morgenlatte in Literatur verwandeln? Wer will so etwas lesen? Ein tiefer Seufzer entfährt ihr. Sie nimmt den Stift wieder in die Hand. Was soll's, schreibt sie eben was in ihr ist.

 

Ramon streicht über meine Körperseite. Er beginnt an der Schulter, fährt wie ein Aston Martin, der sanft durch toskanische Hügel surrt, über meine Rippen, ins Tal meiner Taille, auf den Gipfel meiner Hüfte und geht dann langsam, kaum wahrnehmbar mit den Fingerkuppen über den Bauch hinunter, bis er schließlich den Ansatz des dunkeln Wildwuchses erreicht, in dessen Zentrum das süße Sehnen schlummert.

Ein Schatten fällt auf die Seite. Sebastian beugt sich über ihre Schulter, küsst ihren Hals bleibt eine Weile stehen, massiert die Nackenmuskulatur. Plötzlich hält er inne. „Wusste ich es doch!“, zischt er. Dann werden seine zärtliche Hände zu Schraubstöcken, die sich um ihren Hals legen. Sie will ihn fragen, was los ist. Ihr wird klar was los ist. Sie will ihm noch sagen, dass das nur Literatur ist, dass Ramon nicht existiert, doch es ist zu spät.