Götter, Monster und Heroen

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Hades/Pluto

Wie in der Religion spielt das Jenseits auch in jeder Mythologie eine wichtige Rolle – sei es das jüdisch-christliche „Paradies“, das katholische „Fegefeuer“ oder die „ewigen Jagdgründe“ der nordamerikanischen Indianer. Im alten Ägypten gab man den Toten kostbare Grabbeigaben mit, damit sie im Jenseits ihr gewohntes Leben weiterführen konnten, in Griechenland legte man den Toten lediglich eine Münze auf die Zunge – sie war für Charon bestimmt, den Fährmann, der die Verstorbenen über den Fluss Styx übersetzte, der das Reich der Lebenden von dem der Toten trennte. Dieses Totenreich, der Hades, war ursprünglich für alle gleich – ob gut, ob böse, hier wurden alle Menschen zu flüchtigen Schatten. Erst spät erkannte man die Notwendigkeit des Trostes und der Abschreckung im Transzendentalen und teilte das Totenreich auf: Im Elysion verbrachte man das Nachleben auf glückliche Art und Weise, im Tartaros (dem tiefsten Punkt der Unterwelt) auf äußerst unglückliche.

Der Gott, der in der antiken Mythologie für dieses Totenreich zuständig ist, heißt bei den Griechen Hades (genau wie das Reich, über das er herrscht) oder Pluton (römisch: Pluto). Er ist der Bruder von Zeus und Poseidon, also ein Sohn des Titanen Kronos. Die Mythen, die sich um ihn ranken, sind meistens düster, was nicht weiter verwundert. Am bekanntesten und bis in die Neuzeit am meisten rezipiert ist wohl der Mythos von der Entführung der Persephone: Darin verliebt sich Hades in die Göttin Persephone (römisch: Proserpina), eine Tochter von Zeus und der Erntegöttin Demeter (römisch: Ceres), und entführt sie in die Unterwelt. Demeter ist so traurig darüber, dass sie die Ernte verdorren lässt, was unter den Menschen zu einer Hungersnot führt. In der Angst, dass die Menschheit ausstirbt und niemand mehr den Göttern opfert, greift Zeus ein und holt Persephone zurück. Leider stellen sie jedoch fest, dass sie in der Unterwelt von einem Granatapfel gegessen hat, den Hades ihr gereicht hat – und da niemand, der im Hades etwas von den dortigen Speisen gekostet hat, mehr dauerhaft diesen Ort verlassen kann, kommt es zu einem Kompromiss: Jeweils die Hälfte (in anderen Überlieferungen acht Monate) eines Jahres darf Persephone bei ihrer Mutter sein, die übrige Zeit verbringt sie im Totenreich. Somit ist der Persephone-Mythos eine ätiologische Erklärung für die Jahreszeiten und das Winterhalbjahr, in dem auf der Erde keine Früchte wachsen.


Perséphone (von Igor Stravinsky, 1934)

Dieses musikalische Melodrama nach einem Libretto von André Gide fällt in Stravinskys neoklassische Periode. Es erzählt in drei Teilen die Geschichte von Persephone, wie sie von Hades (hier: Pluto) in die Unterwelt verschleppt wird. Anders als im Mythos nervt Persephone bei Stravinsky Pluto in der Unterwelt so lange mit ihrer Nörgelei, bis er sie wieder nach oben lässt. Sie kommt später freiwillig immer wieder zurück, weil sie Mitleid mit den Schatten der Toten hat.

Aus: Edgar Wallace, Der Goldene Hades (1900)

Richard Horatio Edgar Wallace (1875–1932) war ein britischer Schriftsteller. Er stammte aus sehr einfachen Verhältnissen und kam zur Schriftstellerei durch den Burenkrieg, während dem er als Kriegsberichterstatter tätig war. Am bekanntesten wurde Wallace für seine über 100 Kriminalromane wie Der Hexer (1926) oder Der Frosch mit der Maske (1933). Er verfasste aber auch zahlreiche Romane anderer Genres und Sachbücher zur Militärgeschichte.

Peter wurde in das Arbeitszimmer des Professors geführt und fand den kleinen Herrn an einem großen, höchst imposanten Schreibtisch, der mit offenen Büchern, Dokumenten, Papieren und Manuskripten bedeckt war; Cavan schrieb gerade eifrig an einer Abhandlung. Als der Butler Peter hereinführte, blickte der Gelehrte auf, griff nach Peters Visitenkarte und las sie, indem er sie nahe an die Augen hielt. Dann nahm er die Brille ab und lehnte sich mit einem verbindlichen Lächeln in seinem Sessel zurück.

„Bitte, nehmen Sie Platz, Mr. Corelly. James“, wandte er sich an den Butler, „schieben Sie doch einen Stuhl zurecht. Darf ich Ihnen eine Tasse Tee anbieten?“

„Danke, nein“, entgegnete Peter. „Das ist ein Getränk, an dessen Genuß ich mich noch nicht gewöhnt habe.“

„Außerordentlich schade“, meinte Cavan und schüttelte den Kopf. „Es ist ein herrliches Getränk, erhält einen frisch und munter, so daß man angestrengt arbeiten kann, ohne irgendwelche Ermüdung zu spüren. James, Sie können gehen.“

Als sich die Tür schloß, sah er wieder auf die Visitenkarte.

„Mr. Corelly, soviel ich verstehe, haben Sie mich aufgesucht, um mit mir über eine Spezialfrage der griechischen Mythologie zu sprechen. Ich glaube auch zu wissen, worum es sich handelt.“ Er sah Peter mit einem sonderbaren Lächeln an. „Sie wollen genauere Angaben über den goldenen Hades von mir haben.“

Peter konnte sich sehr gut beherrschen, aber trotzdem war es ihm in diesem Augenblick kaum möglich, seine Überraschung zu verbergen. Er hatte geglaubt, die Einzelheiten dieses geheimnisvollen Kriminalfalls wären nur den obersten Beamten der Geheimpolizei bekannt.

Der Professor war befriedigt von dem Eindruck, den seine Worte hervorriefen.

„Mr. Corelly, ich bin kein Hellseher, ich lese nur die Zeitungen sehr genau. Gestern abend fand ich eine Bemerkung im ‚Evening Herald‘, die von der Sache handelte. Allem Anschein nach hatte ein Redakteur dieser Zeitung einen Brief erhalten . . .“

„Ach ja, ich entsinne mich“, entgegnete Peter schnell. „Natürlich. Mr. Wilbur Smith hat ihn jetzt.“

„Gewiß, das stimmt mit den Zeitungsnachrichten überein. Also, Mr. Corelly, was kann ich für Sie tun?“

„Ich möchte Sie bitten, mir möglichst genau zu erklären, welche Funktionen der griechische Gott Hades oder Pluto bei den Römern hatte. Ich habe selbst studiert, aber natürlich besitze ich keine Spezialkenntnisse in griechischer Mythologie. Deshalb wäre ich Ihnen sehr dankbar, wenn Sie mir über diese Frage genauere Auskunft geben könnten.“

Cavan nickte bedächtig.

„Ich dachte mir schon, daß Sie sich danach erkundigen würden.“

„Ich weiß, daß Sie der beste Kenner der alten Götterkulte sind, die sich bis auf diesen Tag erhalten haben. Vielleicht müßte ich besser sagen, die in neuerer Zeit wieder aufgelebt sind.“

Der Professor nickte wieder.

„Ich habe allerdings eine sehr eingehende Kenntnis gerade dieser Materie. Es ist erstaunlich, wieviel von den alten Kulten sich bis in unsere Tage herübergerettet hat. Es gibt einige darunter, die eine große Anzahl von Anhängern, ich möchte sogar sagen, von Priestern haben, und es existieren noch ganz bestimmte Rituale. Zum Beispiel gibt es in Norwegen noch Verehrer der altheidnischen Gottheit Troll. Das ist eine Art Teufel aus der skandinavischen Göttersage. In Rußland waren sehr viele Anhänger des Geheimkults von Baba Yaga, auch einer mythologischen Gestalt. Es ist mir gelungen, sie mit der altgriechischen Gottheit Chronos zu identifizieren. In England und Amerika leben eine ganze Anzahl recht unangenehmer Leute, die meistens ein bewegtes und böses Vorleben haben und noch einen anderen Gott der griechischen Mythologie zu ihrem Schutzpatron erklären.“

„Bedeutet das auch, daß sie einen gewissen Kult mit ihm treiben?“

„Ja, sie verehren diese Gottheiten etwa so, wie die Parsen die Sonne verehren.“

„Legen Sie ihnen auch übernatürliche Kräfte bei?“

„Ganz gewiß. Nehmen wir einmal den Fall des Gottes Hades, für den Sie sich ja ganz besonders interessieren. Es gibt drei Gruppen von Hadesverehrern. Aus verschiedenen Gründen übt dieser Gott eine größere Anziehungskraft auf die Menschen aus als irgendeine andere Gestalt der alten Mythologie.“

„Gibt es denn tatsächlich solche Hadesverehrer hier in Amerika – speziell im Staat New York?“

„Ja, die gibt es“, entgegnete der Professor und sah Peter wieder sonderbar an. „Einige von ihnen sind begeisterte Anhänger, und zwar mit vollem Bewußtsein, andere sind in der Beziehung weniger fanatisch. Sie dürfen nicht vergessen, daß Hades oder Pluto unter anderem auch der Gott des Reichtums ist“, fügte er lächelnd hinzu.

„Ich möchte eine direkte Frage an Sie stellen. Sie verkehren doch hier in der besten Gesellschaft. Kennen Sie unter diesen Leuten Mitglieder einer Sekte, die den Gott Hades verehrt? Bevor Sie mir antworten, darf ich Ihnen sagen, daß ich ihre Namen jetzt nicht wissen will.“

„Ich würde Ihnen gern auch die Namen mitteilen, wenn ich sie wüßte, aber glücklicherweise habe ich mit diesen Dingen direkt nichts zu tun. Meine wissenschaftliche Tätigkeit liegt auf einem anderen Gebiet. Ich weiß wohl, daß solche Sekten existieren, weil ich im allgemeinen davon gehört habe, aber um derartige Absurditäten selbst habe ich mich weniger gekümmert. Und wo man derartige Gemeinden von Hadesverehrern finden kann – das mag der Himmel wissen!“

Er erhob sich und reichte seinem Besucher die Hand, „leben Sie wohl, Mr. Corelly.“

Peter hatte durchaus nicht die Absicht gehabt, schon zu gehen, aber nun blieb ihm nichts anderes übrig, als die Wohnung zu verlassen.

Hera/Juno

Inzestuöse Beziehungen waren in den antiken Kulturen genauso verboten wie in den modernen – außer, wenn es um die Götterwelt ging. Es war für die alten Griechen nicht verwerflich, dass Zeus mit seiner Schwester verheiratet war. Für Götter galten nun einmal andere Maßstäbe. Allerdings blieb auch wenig Spielraum für Fantasie: Da die olympischen Götter entweder Kinder des Titanen Kronos waren und damit Zeus’ Geschwister (Hera, Hades, Poseidon, Demeter, Hestia) oder Kinder von Zeus, musste es zwangsläufig zu einer Geschwisterehe kommen, wollte man Zeus eine „standesgemäße“ Ehefrau andichten. Die archaische italische Göttin Juno, die mit Hera gleichgesetzt wurde, gehörte zu den frühesten auf der italischen Halbinsel verehrten Gottheiten. Dies hängt auch hier mit ihrer Funktion als Schutzherrin von Familie und Geburt zusammen, denen in archaischen und antiken Gesellschaften eine besondere Bedeutung zukam.

 

Hera (römisch: Iuno) ist im Mythos dann auch die Ehefrau par excellence. Als Göttin ist sie zuständig für Ehe, eheliche Sexualität und Geburt, als Gattin von Zeus wacht sie eifersüchtig über ihren Mann und seine sexuellen Eskapaden – und entspricht damit beiden Rollen, der der Ehefrau und der der Ehegöttin. Bei Hera und ihren ewigen Querelen mit Zeus kommt der Anthropomorphismus der griechisch-römischen Götterwelt besonders schön zum Ausdruck, hier offenbaren die Unsterblichen Schwächen, die die Menschen bei sich selbst wiederfinden. Im Mythos hat Hera aber auch allen Grund, eifersüchtig zu sein, schließlich geht ihr Ehemann ständig fremd – und sie rächt sich hin und wieder an den Frauen, die zumeist gar nichts für ihre Lage können; zumal wenn es sich um Sterbliche handelt wie z. B. Io, die von Hera sogar prophylaktisch in eine Kuh verwandelt wird, damit sich der verliebte Zeus ihr nicht nähert. Im Troja-Mythos steht die notorisch schlecht gelaunte Göttin auf Seiten der Griechen, weshalb sie später den Troer Aeneas auf dessen Irrfahrt mit ihrem Zorn verfolgt und verhindern will, dass er sein Ziel erreicht – bis wiederum Zeus eingreift. In der antiken Literatur werden die Darstellungen des innerehelichen Zwists zwischen dem Göttervater und seiner Frau im Laufe der Zeit immer mehr satirisch oder komödiantisch verarbeitet (besonders schön in Lukians Göttergesprächen).


Juno (von Jason Reitman, 2007)

In dieser intelligenten Tragikomödie spielt Ellen Page eine schwangere Teenagerin namens Juno, die ihr Kind zunächst abtreiben will, es dann aber doch bekommt und zur Adoption freigibt. In einer Szene erzählt die Protagonistin, ihre Eltern hätten sie nach der Ehefrau von Zeus benannt; hier passt es natürlich außerordentlich gut, dass die Hauptfigur des Films so heißt wie die griechisch-römische Göttin der Ehe und der Geburt.

Aus: Lukian von Samosata, Göttergespräche (ca. 160 n. Chr.)

Lukian von Samosata (ca. 120 – ca. 185 n. Chr.) war ein griechischsprachiger Schriftsteller. Mehr als 70 Werke gehen auf ihn zurück. Bekannt wurde er durch satirische Dialoge wie die Göttergespräche und die Hetärengespräche, die mehr oder weniger verdeckt die herrschenden politischen und gesellschaftlichen Zustände kritisierten.

Juno: Dieser Ixion, dem du einen so freyen Zutritt bey uns verstattest, Jupiter, was meynst du wohl, was er für ein Mann ist?

Jupiter: Ein sehr hübscher Mann, liebe Juno, und ein angenehmer Tischgesellschafter. Würde ich ihn wohl zu meiner Tafel ziehen wenn er dessen unwürdig wäre?

Juno: Er ist aber dessen unwürdig und kann nicht länger bey uns geduldet werden.

Jupiter: Was hat er denn ungebührliches gethan?

Juno: Was er gethan hat? Es ist so arg, daß ich es vor Scham nicht sagen kann.

Jupiter: Um so weniger darfst du mirs verschweigen, wenn er was so schändliches begangen hat. Hat er einer unsrer Göttinnen etwas zugemuthet? Denn ich merke aus deinem Zögern, daß es so was dergleichen seyn wird.

Juno: Mir selbst und keiner andern, Jupiter, und dieß schon eine geraume Zeit her. Anfangs konnte ich lange nicht begreifen, warum er mich immer so starr und unverwandt ansah; mit unter seufzte er auch und hatte die Augen voll Wasser. Wenn ich dem Ganymed den Becher einzuschenken gab, bat er ihn heimlich, ihm aus demselben Becher zu trinken zu geben, und wenn er ihn bekam, küßte er ihn und drückte ihn an die Augen, und blinzelte dabey immer nach mir. Nun fieng ich an zu merken, daß er mir seine Liebe dadurch zu verstehen geben wolle: aber die Scham hielt mich immer zurück, dir etwas davon zu sagen, und ich hoffte auch, der Mensch würde von seinem Unsinn endlich ablassen. Aber da er sich nun gar unterstanden hat mir mündliche Liebeserklärungen zu thun, hab ich ihn auf dem Boden, wo er weinend vor mir hinfiel, liegen lassen, mir die Ohren zugehalten, um die beleidigenden Bitten nicht zu hören, die er zu meinen Füßen vorbrachte, und bin hieher gekommen, es dir anzuzeigen. Siehe nun selbst, was für eine Rache du an dem Menschen nehmen willst.

Jupiter: Ey der verruchte Kerl! Was? Mich selbst anzutasten, und auf der empfindlichsten Seite! Ists möglich, daß ihn der Nektar bis auf diesen Grad trunken machen konnte? – Aber freylich sind wir selbst schuld daran, und treiben die Menschenliebe offenbar zu weit, da wir sie mit uns essen und trinken lassen. Wahrlich, es ist ihnen zu verzeihen, wenn sie bey einem Wein wie der unsrige, und über dem Anschauen himmlischer Schönheiten, dergleichen ihnen auf der Erde nie vorgekommen sind, vor Liebe den Verstand verliehren und ihrer zu genießen begehren. Denn Amor ist ein gewaltthätiger Tyrann, der nicht nur über die Menschen, sondern zuweilen über uns Götter selbst den Meister spielt.

Juno: Von dir ist er in der That unumschränkter Herr, zieht dich bey der Nase, wie man zu sagen pflegt, ohne den geringsten Widerstand wohin er will, und verwandelt dich in jede beliebige Gestalt; kurz, du bist, im eigentlichsten Verstande, Amors Eigenthum und Spielzeug. Auch weiß ich sehr gut, warum du dem Ixion jetzt so leicht verzeihen kannst. Du erinnerst dich ohne Zweifel, daß du noch in seiner Schuld bist, und daß sein vermeinter Sohn Pirithous eine Frucht deiner ehemaligen Vertraulichkeit mit seiner Gemalin ist.

Jupiter lachend: Erinnerst du dich der kleinen Kurzweile noch, die ich mir ehemals auf der Erde da unten machte? – Aber soll ich dir sagen, was wir mit dem Ixion machen wollen? Ihn zu strafen und von unsrer Tafel wegzujagen, wäre in der That zu hart, da der arme Kerl die Liebe im Leibe hat, und, wie du selbst sagst, so erbärmlich daran leidet, daß er die hellen Thränen weint.

Juno: Und was also? – Du wirst doch nicht fähig seyn, deiner eigenen Gemahlin einen beleidigenden Antrag zu thun?

Jupiter: Warum nicht gar! Ich will eine Wolke nehmen, und eine Art von lebendigem Bilde daraus machen, das dir so gleich sehen soll als ob du es selbst wärest; und wenn wir von Tische aufstehen, will ich, während er sich schlaflos (wie einem unglücklichen Liebhaber geziemet) auf seinem Lager herumwälzt, das Wolkengebilde neben ihn legen. Das wird ihm, ohne Nachtheil deiner Tugend, von seinen Liebesschmerzen helfen, und was kannst du mehr verlangen?

Juno: Ein schöner Einfall! So sollte er also, anstatt der Strafe, die seine übermüthige Leidenschaft verdient, noch dafür belohnt werden?

Jupiter: Laß doch! Was kann es dir denn schaden, wenn sich Ixion mit einer Wolke ergötzt?

Juno: Aber er wird doch die Wolke für mich halten, und so wird es eben so viel seyn, als ob er mich selbst entehrt hätte!

Jupiter: Das sind Spitzfündigkeiten! Die Wolke wird nie zur Juno, und du nie zur Wolke werden: bloß Ixion wird getäuscht, das ist die ganze Sache.

(Übersetzung: Christoph Martin Wieland)

Hermes/Merkur

Bekannt ist er vor allem als „Götterbote“: Hermes, der Gott der Reise, des Verkehrs und der Kaufleute – kurz: aller Lebensbereiche, die etwas mit Fortbewegung zu tun haben. In der Mythologie ist Hermes der Sohn von Zeus und der Nymphe Maia und die meisten Mythen zeigen ihn als ebenso erfindungsreich wie listig (mitunter auch hinterlistig – so erhielt er noch eine weitere Funktion: als Schutzgottheit der Diebe). Seinem Einfallsreichtum verdankt die Menschheit zahlreiche nützliche Erfindungen: Das Würfelspiel, die Lyra, das Alphabet, die Astronomie sowie mehrere Sportarten gehen laut Mythos auf ihn zurück.

Ursprünglich war Hermes wahrscheinlich eine Gottheit, die in Form eines Steinhaufens (griech. hermaion) oder -pfeilers verehrt wurde, der als Wegmarke oder Grenzstein gedient haben könnte – oder auch als Grabstein: So ist Hermes später nicht nur für Reisen auf der Erdoberfläche zuständig, sondern er begleitet auch Tote in die Unterwelt. Bereits in archaischer Zeit stellte man in Griechenland an Weggabelungen Pfeiler mit aufgesetzter Büste und angedeutetem Phallus auf, die zwar ursprünglich nicht aus dem Hermes-Kult stammten, aber durch die Etablierung des Hermes als Gottheit, die die Wege und Straßen beschützt, die Bezeichnung „Herme“ erhielten. Der mobile Hermes wurde in klassischer Zeit mit Attributen ausgestattet, die seine Funktion unterstrichen: einem Helm und Schuhen, die mit kleinen Flügeln versehen waren, sowie einem Stab, ebenfalls mit Flügeln daran, der ihn als Überbringer der Botschaften des Zeus auswies. In Rom wurde Hermes’ Funktion als Gott der Kaufleute herausgestellt; man übertrug seine Eigenschaften auf Mercurius (eingedeutscht: Merkur), dessen Name bereits auf seine Funktion als Handelsgott hinweist (lat. merces: „Lohn“ bzw. „Preis einer Ware“). In der Moderne ist Hermes einer der am meisten rezipierten Götter. Nicht nur sein Name findet sich in den Begriffen „hermeneutisch“ und „hermetisch“ wieder, auch seine ikonischen Attribute, vor allem der Flügelhelm und die Flügelschuhe, finden sich überall, sei es in Logos von Firmen und Sportvereinen oder auf Otto Waalkes’ LP Der ostfriesische Götterbote (1979), und der Heroldsstab, oft auch mit zwei sich darum herumwindenden Schlangen dargestellt, war beispielsweise auf den Verdienstmedaillen der Zollverwaltung der DDR zu finden.


Mercurius (von Markus Lüpertz, 2007)

Diese 10 m hohe Bronzeplastik vor dem Bonner Post Tower ist eine von vielen bildhauerischen Werken von Lüpertz, die sich mit dem antiken Mythos aus­einandersetzen (wie Das Urteil des Paris, Daphne oder Herkules). Mercurius zeigt den Götterboten – passenderweise vor einem Gebäude der Deutschen Post – mit Farbklecksen im Gesicht und auf einer stilisierten Erdkugel stehend. Sein Flügelhelm erinnert in der Form eher an die Wehrmacht denn an klassische Darstellungen.

Aus: Felix Dahn, Gelimer (1885)

Felix Ludwig Julius Dahn (1834–1912) war ein deutscher Schriftsteller. Eigentlich Jura-Professor, interessierte sich Dahn, der mit Annette von Droste-Hülshoff verschwägert war, sehr für Literatur – und für Geschichte, vor allem für die Zeit des Übergangs von der Antike zum Mittelalter. Sein heute noch bekanntestes Werk ist der Goten-Roman Ein Kampf um Rom (1876).

Einstweilen hatten die Schiffe das Ufer erreicht: in breiter Auffahrt neben­einander landeten sie, mit rauschender Musik von Pfeifen und Pauken von dem Balkon herab begrüßt. Alsbald warfen die Kähne von ihren Schnäbeln herab zierliche Falltrepplein, deren Holzwerk reich mit Teppichen bedeckt war. Sklaven streuten Blumen auf die Stufen: über diese hin stiegen das Brautpaar und die Gäste an das Land, während gleichzeitig, auf ähnlichen Treppen, von den Schaugerüsten herab die Geladenen herniederschritten: die beiden Gruppen reiheten sich nun am Ufer zu festlichem Aufzug. Ein schöner, nur etwas weibisch aussehender junger Vandale, einen geflügelten Hut auf den blonden Locken und Flügelschuhe an den Füßen, eilte rastlos hin und her, den von goldenen Schlangen umwundenen Elfenbeinstab schwingend: er schien der Ordner des Festes.

„Wer ist das?“ fragte Victor. „Wohl der Herr der schönen Aphrodite? Er nickt! Und sie lächelt ihm zu.“ „Jawohl! Das ist Thrasabad,“ zürnte Laurus, die Faust ballend, aber gar ängstlich. „Sankt Cyprian schicke ihm Skorpionen in das Bett! Ein vandalischer Dichter! Der mir das Handwerk verdirbt. Mir, dem Schüler des großen Luxorius.“ – „Schüler? Ich denke, du warst . . . –“ – „Sein Sklave, dann Freigelassener. Ganze Eselshäute lang hab’ ich ihm seine Verse abgeschrieben.“ – „Aber doch nicht als Schüler . . .–“ – „Das verstehst du nicht. Die ganze Dichterei besteht aus einem Dutzend kleiner Kniffe: die lernt man beim Abschreiben am besten, weil sie immer wiederkehren. Und dieser Barbar dichtet gratis! Natürlich: muß froh sein, hört ihm jemand zu.“

„Er führt den Zug – als Merkur.“ – „O, er taugt dazu! Aufs Stehlen versteht er sich! Nur schlagen sie dabei den Eigentümer tot. ‚Fehde‘ nennen sie das, diese edeln Germanen!“ – „Sieh – er gab das Zeichen: sie ziehen in den Cirkus! – Auf! Laß uns folgen!“ Merkur streckte Aphroditen weit die Hand entgegen, ihr an das Land zu helfen. „Hab’ ich dich wieder?“ flüsterte er ihr zärtlich zu. „Zwei Stunden hab’ ich dich entbehrt, du Vielschöne. Ich habe dich wirklich lieb, Schätzchen.“ Sie lächelte anmutvoll – dankbar, selbst liebevoll schlug sie das schöne Auge zu ihm auf. – „Das ist der einzige Grund, daß ich noch lebe,“ flüsterte sie: gleich senkten sich wieder traurig die langen Wimpern. „Aber so ganz eingewickelt – meine Aphrodite?“ – „Ich bin nicht deine Aphrodite! Ich bin deine Glauke!“ Hand in Hand mit ihr eröffnete nun Thrasabad den Zug, der sich, nicht ohne Stockungen, durch die gaffende Menge drängte.

 

Sowie man in dem Cirkus angelangt war, wiesen zahlreiche Sklaven den Gästen, je nach ihrem Stand oder ihrer Wertschätzung durch den Festgeber, ihre Plätze an. Die ehrenvollsten waren die vorderen, ursprünglich für die Senatoren, die Kurialen von Karthago bestimmten, jetzt leer stehenden Sitzreihen; leer blieb der Ausbau auf der südlichen Langseite, das Pulvinar, die kaiserliche Loge, die gar mancher Vorgänger Gelimers besucht hatte. [. . .]

Der Merkur trat vor an die weiße Marmorbrüstung der Loge und schwang seinen Schlangenstab zweimal in der Luft: die beiden Pforten zur Rechten und zur Linken der Ställe sprangen auf: in die Arena traten aus der Rechten ein ganz in Blau, aus der Linken ein ganz in Grün gekleideter Tubabläser und zwei schmetternde Rufe verkündeten weithin den Anfang des circensischen Aufzugs. In der kleinen Pause, die nun vor der Auffahrt der Wagen entstand, zupfte Modigisel den Bräutigam leicht an seinem Pantherfell. „Höre,“ flüsterte er, „meine Astarte da verschlingt dich ja förmlich mit den Augen! Ich glaube, du gefällst ihr schon lange viel besser als ich. Nun sollte ich sie wohl totschlagen – vor Eifersucht. – Aber – Uff! – es ist mir zu heiß: zu beiden, zur Eifersucht und zum Schlagen.“ „Ich denke,“ erwiderte Thrasarich, „sie ist nicht mehr deine Sklavin.“ – „Ich habe sie freigelassen, aber die Gehorsamspflicht, das Obsequium, mir vorbehalten. – Bah, deshalb würd’ ich sie doch totschlagen, wäre es nicht so heiß. – Aber – wie wäre es, wenn wir – ich bin ihrer überdrüssig! – Und deine Kleine da, diese schlanke Eugenia gefällt mir: – vielleicht des Gegensatzes wegen – wie wär’ es, wenn wir – tauschten?“

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