Das Leben ent-ERNST-en

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Leukerbad, eine Reise wert

Meine zweite Heimat in der Schweiz ist Leukerbad. Da zieht es mich oft hin, egal zu welcher Jahreszeit. Einige Bekannte und Freunde sind uns nach unseren Schwärmereien gefolgt.

Einmal saßen wir als Familie in einer Gondel. Plötzlich erkannte unser Sohn aus unser Wohngemeinde die Familie Herzig. Voller Aufregung sagt der 9-jährige Sohn: „Mama schau, wie Herzig die Familie Herzig skifährt“.

Solche Momente mit liebevollem kindlichen Humorgehalt anzuerkennen, frei von persönlichem Angriff, erscheint mir eine hohe Lebenskunst. Egal, wie diese Familie skifährt, das Wichtigste ist die innere Atmosphäre, die ausgelöst wird beim Skifahrenden und beim Betrachter. Wenn bei allen eine positive Sichtweise der Freude vorausausgeht, stärken wir unser kollektives Bewusstsein.

„Neumödisches Züügs“

Ein anderes Mal saßen wir mit Freunden in der Gondel. Die Mutter, zuständig für den Sonnenschutz, strich mit der neumodischen Tube das Gesicht ihres Mannes ein. Sie drückte auf die Tube und es wollte einfach nicht mehr rauskommen, obwohl diese Tube neu gekauft wurde. Dieser Roller an der Spitze ging nur harzig über die Backen, Stirn und Nase. Das Gesicht von meinem Gegenüber erhielte eine glänzende, wachshaltige Schicht verpasst und ich fragte die Freundin, weshalb sie so viel Lippenpomade ins Gesicht streiche? Jetzt war es klar und die volle Kabine mit sechs Insassen fiel ins Grölen. Ich erklärte der Mutter, dass diese Tube in Doppelfunktion zu benutzen sei. Einerseits als Lippenpomade, und nachdem man den gesamten oberen Teil der Lippenpomade abschraubt, kann das „Neumodische Zeugs“ als Sonnencreme gebraucht werden. Nun ja, neu würde nicht NEU heißen, wenn wir es schon kennen.

„Walliser Roggenbrot“

Wer liebt es nicht und genehmigt sich gerne beim Frühstück eine, zwei oder drei dünne Scheiben! Während des Tages setzt dann meist der Stoffwechsel ein und bei freier Fahrt auf der Piste erlaubt sich so mancher „Verklemmter Furz“ durch die freien Pobacken aus der Enge zu fliehen. Auch ich schenkte meinen Gasen sehr wohl den nötigen, befreiten Raum. An einem Tag gab es nicht genügend Schnee, so dass wir mit den Skiern die Talabfahrt hätten machen können. Wir mussten die große Gondel benutzen, um hinunter ins Dorf Leukerbad zu gelangen. Mein Sohn meinte in der vollbesetzten Gondel plötzlich relativ laut: „ Mama, doh het öpper gfurzt – und dä stinkt wie dini“! (Mama, hier hat jemand gewindet, und dieser stinkt wie deine.) Nun ja, meine Pobacken haben in diesem Moment kläglich versagt. Trotz leisem Entfliehen und Loslassen kam es dazu, dass ich herzhaft zu lachen begann und versuchte, die Situation zu entspannen. Das ist übrigens ein Muster von mir. Wenn es mir äußerst peinlich ist, werden sämtliche Lachmechanismen in mir aktiviert und ich kann mich beinahe nicht mehr einrenken.

Sonntagsgeburtstag

Bei starkem Schneefall liefen wir an einem meiner Geburtstags-Sonntage in dieser wundervollen Stille zum Bodmerstübli, ca. eineinhalb Stunden von unserm Ferienhaus entfernt. Dort angekommen, genehmigten wir uns einen halben Liter Weißwein. Typischer, ‚leichter‘ Walliser-Johannesberg. Unsere mittlerweile volljährigen Kinder waren eingeladen, mitzutrinken, mit mir auf meinen Geburtstag anzustoßen. Doch beide verneinten. Oh weh, ich weiß – Weißwein ist nicht optimal für mich! Der Schneefall nahm in der Zwischenzeit zu und irgendwie fühlte ich eine Schwere in meinen Beinen, als ich wieder draußen an der frischen Luft stand. Ich konnte mich kaum auf den Beinen halten. Vorwärts zu gehen war eine Anstrengung. Als dann beide Kids noch den Lobspruch gaben, dass ich schwanke, lag ich im Schnee und konnte alleine beinahe nicht mehr aufstehen. Lachen erschwerte zudem das Aufstehen und meine Kinder amüsierten sich hochkarätig über ihre lachende, beschwipste „Mutti“. Die Rückkehrzeit zog sich in die Länge, denn der Schnee wurde immer mehr und mehr. Diese Droge lag zentnerschwer in meinen Beinen und ich werde mich hüten, eine solche Erfahrung reicht!

Schlittenfahrt auf dem Bauch

Es war eher neblig, und zum Skifahren auf Torrent wenig ansprechend. Deshalb legten wir einen Schlitteltag auf dem Gemmi ein. Wunderbar warm eingepackt mieteten wir die Schlitten und sausten die Piste hinunter. Papa voraus. Den Kindern vorzeigend natürlich bäuchlings, denn so schlittelte ‚Mann‘ ja schon als Kind den Hang hinunter. Eben frech und möglichst schnell. Es hatte ca. 20 cm Neuschnee. Ich nahm es gemütlich und saß auf dem Schlitten, ohne Eile. Wie durch ein Wunder hörte ich an einer meiner Schlittenkufen etwas metallartiges kratzen und bremste meinen Schlitten. Auf allen Vieren verfolgte ich meine Schlittenspur und fand tatsächlich den Schlüsselbund von meinem Mann im Schnee. Ich traute meinen Augen nicht. Dass ich den fand; da waren anscheinend kluge Helfer am Werk. Ich steckte die Schlüssel ein und schloss den Reißverschluss. „So, warte nur“, ging es mir durch den Kopf. Unten angekommen, traf ich auf meine Familie. Wir fuhren mit der Gondel wieder hoch und wiederholten die Schlittenfahrt weitere Male. Als wir bei der großen Luftseilbahn in der Kolonne standen – um von der Gemmi wieder nach Leukerbad zu kommen – sah ich, wie mein Mann in allen offenen Taschen begann, nach seinen Schlüsseln zu suchen. Hände rein, Hände raus. Hosentaschenkontrolle. Sein Gesicht veränderte die Farbe, denn schließlich waren ALLE Schlüssel – auch die vom Geschäft – an diesem Schlüsselbund. Ich fragte mal so beiläufig, was er den suche. Ungern gab er mir eine Antwort auf diese Misere. Ich spürte, wie in mir die ‚Schaden-Freude‘ hochkam und zückte den Schlüsselbund. „Suchst du diese?“, fragte ich ihn. Er: „Ja! Wo hast du diese gefunden?“ – „Nun, die lagen im Schnee und ich bin mit meinem Schlitten darübergefahren“, sagte ich. „Ja, und mein Militärmesser, das ich seit der RS habe, hast du das auch gefunden?“, fragte mein Mann ernsthaft. Mein Mund blieb offen. Wie konnte er eine derartige Frage stellen? Weder ein ‚Zum Glück hast du die Schlüssel gefunden‘ noch ein ‚Danke‘ bekam ich zu hören. Ich verstand in dem Moment die Welt der Wichtigkeitsmaterie nicht.

Hinterher war er bestimmt froh, doch diese Erkenntnis folgt oft zeitverzögert.

Sonnencreme Desaster

Zu viert fuhren wir in die Berge zum Skifahren. Ein Kollege meines damaligen Freundes (heute Ehemann) lernte spät Skifahren und fuhr eher etwas unsicher den Berg hinunter. So kam es, dass er ab und zu hinfiel. Nichtsahnend musste bei einem solchen Hinfallen seine Sonnencreme-Tube in seiner Skijackentasche zerplatzt sein. Er bemerkte dies erst, als wir uns am Nachmittag auf der Sonnenterrasse sonnten und er sich eincremen wollte. Er griff mit seiner Hand in die Tasche und meinte: „He, das ist doch praktisch. Da hast du die Sonnencreme viel schneller aufgetragen“, und strich sich mit der weißen Hand, voll von Sonnencreme, über sein Gesicht. So, dass es schön weiß aussah. Natürlich haben die Gäste dies von den Nebentischen mitbekommen und wir mussten herzhaft lachen.

Genau dieser VIRUS ist fatal, wenn dieser sich verbreitet! Mitlachen – auch dann, wenn man vielleicht gar nicht richtig mitbekommen hat, weshalb die anderen lachen. Einfach im Wissen, dass dabei pro Lacher 6 Kalorien verbrannt werden.

Beobachtungsstudien belegen, dass vom Lachen Schmerzen gelindert, Ängste reduziert und Stress abgebaut werden. Ebenfalls begünstigt Lachen das Einschlafen und verbessert die Schlafqualität, und mit Lachen verbessert sich die Sauerstoffversorgung des Immunsystems. Also, wo immer gelacht wird: Kräftig mitlachen und mithelfen, diesen Virus zu verbreiten, auch genau dann, wenn du vielleicht nicht weißt, warum die lachen! Nutze diese Auslöser, um dein Leben ein Stück zu ent-ERNST-en.

Es kommt schon wieder gut

Ich kenne ausgelassene, frohlockende, freie, beglückende „Cornelia-Momente“, welche mir noch heute freudvolle Gefühle hervorzaubern. Die Blauring-Mädchenzeit galt dem Austoben, Lachen, Spielen, Herumalbern, Singen, Bewegen und einfach Ich-sein.

Ich bin ein einfach gestricktes Kind. Was bedeutet, dass ich mit wenig materiellen Gütern aufgewachsen bin – als zweite Tochter von drei Geschwistern. Schon als Kind lernte ich von meiner Mutter, wie sie uns lustige Geschichten oder Gegebenheiten mit viel Zwischenlachen erzählte. Das beeindruckte mich. Diese Einfachheit und Leichtigkeit, angeknüpft an eine bildhafte Sprache. Beim Witze erzählen lachte sie weit davor. Holte ihre Zuhörer mit ins Lachboot, bis sie endlich die Pointe zum Besten gab. Sie konnte über manche Panne, die uns Kindern passierte, herzhaft und manchmal unverfroren und auch mutig lachen. So, dass der „ERNST“ der Lage aus dem Hause getrieben wurde. Sie nahm uns vier Kinder so an, wie wir waren. Wie oft ermunterte sie uns mit dem Spruch, dass „alles wieder gut wird“. So überzeugend konnte nur unsere Mutter lügen. So oft verweilte ich in meiner Ungeduld, als ich damals als Kind mehrere Wochen wegen Angina mein Bett hüten musste. Doch in diesem Satz lag ein Zauber inne und half, an die Heilung zu glauben.

Essigsaure Tonerde gegen Mayonnaise

Während einer Episode höre und sehe ich unsere verstorbene Mutter heute noch vor meinem geistigen Auge, frühmorgens herzergreifend lachen. Meine Schwester, die oft von Stechmücken gepeinigt wurde, versorgte diese Stiche jeweils mit Essigsaurer Tonerde aus der Tube. Um den Juckreiz und die Schwellung in der Heilung zu unterstützen, griff sie an diesem Morgen – wegen ihrer geschwollenen Augen – zur Essigsauren Tonerde Heiltube. Durch ihr eingeschränktes Sehvermögen (wegen der zugeschwollenen Augen) drückte sie anstellte der Mayonnaise Essigsaure Tonerde auf ihr Brot. JA, dieses mutige, echte Lachen von unserer Mutter, diente zur Auflösung von einiger Lebensdramatik.

 

Der nasse Waschlappen

Vor 4 Jahren ist meine Lebensspenderin dorthin zurückgekehrt, von wo wir alle herkommen.

Den Todestag vergesse ich nie. So kam es, dass der 6. Oktober 2016 in einer gewissen Hektik über die Bühne ging, um einiges zu organisieren. Als wir Kinder und Vater morgens um 6 Uhr vor ihrem Leichnam standen, lag sie friedlich und endlich schmerzfrei da. Leider hatte das Personal ihr die falschen Wunschkleider angezogen. Wir wussten, dass sie aufgebahrt werden wollte. Und sie bestimmte, in welchem Kleid das sein muss. Ich muss hierzu erwähnen, dass sie ihren gesamten Abschied würdevoll ins Detail geplant hat. Welche Lieder der Kirchenchor singen musste, was es als Leichenmahl gab etc.

So schnitten wir an diesem Morgen von hinten das gewünschte dunkelblaue schicke Kleid auf und halfen der Krankenpflegerin beim Um- und Anziehen. Als sie dann eingesargt wurde, entspannten kleine Witze die Situation. Als ob sie uns in dem Moment einen Lachtrost zusendete. Wie besprochen und gewünscht, legte ich ihren kleinen „Pfüdi“ (aus Filz hergestellte Kugel) in den Sarg, damit ihr damals vor 55 Jahren totgeborenes Kind auch eine anständige Beerdigung mitfeiern durfte. Das waren ihre Worte.

Damit ich von meiner Mutter gebührend alleine Abschied nehmen konnte, fuhr ich spät abends zur Leichenschauhalle im Hospiz. Eine Nachtschwester öffnete mir die Tür und fragte mich, ob sie mir einen Tee bringen soll/darf. Ich bejahte und es war stimmig, mich mit ihr neben dem Leichnam zu unterhalten, denn ich empfand ihren Körper nur noch als eine Hülle. Ihre befreite Seele schwirrte sehr wohl im Raum umher, um den traurigen Blicken ein Lächeln ins Gesicht zu zaubern.

Eine Freundin rief mich plötzlich an und fragte mich, wie es mir gehe. Ich konnte kein Wort sprechen, weil es mir die Kehle zuschnürte. Sie setzte sich ins Auto und fuhr in fortgeschrittener Nacht zu mir ins Hospiz.

Wir schauten gemeinsam auf diese Hülle und spürten, dass die Energie der Verstorbenen diesen Raum erfüllte. Meiner Freundin kam eine Kindheitserinnerung hoch, die uns herzhaft zum Lachen brachte.

In Schindellegi kreierten wir in einem Blauringlager einen Wetten-dass-Abend. Ich muss dazu sagen, dass unsere beiden Mütter damals für die Küche zuständig waren. An diesem Abschlussabend baten wir die beiden und den Pfarrer aus unserem Dorf auf die Bühne. Das heißt, wie in der echten Wetten-dass-Show luden wir Promis ein. Geschichtenerzählerin (war meine Mutter) im lila und blauen Blumenkleid sowie dunkelblauem Hut. Schauspielerin (die Mutter meiner Freundin), Velorennfahrer (ein Jungwächtler aus Schindelegi) und unser Dorfpfarrer.

Wir wollten wissen, wer sich von den Gästen am schnellsten hinsetzen konnte. Deshalb bat ich alle vier, aufzustehen. Während ich mich mit ihnen unterhielt, bemerkten sie nicht, dass ein Blauringmädchen einen „pflotschnassen“ Lappen auf den Stuhl legte. Plötzlich bat ich alle vier, sich hinzusetzen. Drei davon juckten und sprangen von den Stühlen, während die Kälte und Nässe durch die Kleider drang. Doch Trudi Gerster blieb sitzen und konnte vor Lachen nicht mehr aufstehen. Der gesamte Raum erfüllte sich mit ihrem ansteckenden Lachen und es war, als ob ein wohltuender liebevoller Virus so manche Mädchenseele heimsuchte. Während meine Freundin mir diese Geschichte erzählte – die ich längst vergessen habe – lachten wir herzhaft. Hier und jetzt in diesem traurigen Moment des Abschieds. Als ob meine innere Angespanntheit wie bei einem Herbstblätterflug abgefallen ist, fühlte sich dieses Lachen so heilsam und wohltuend an. Bestimmt wollte Trudi Gerster uns auf keinen Fall traurig sehen, deshalb brachte sie mir bestimmt meine innig geliebte Freundin und diese längst vergessene Geschichte zurück.

Wer plötzlich aufgefordert wird, sich mit dem Tod auseinanderzusetzen, den kann ich nur aufmuntern, ‚dass der Tod nicht immer nur schwarz trägt‘.

Dazu fällt mir gleich noch eine weitere Lachgeschichte ein, mit derselben Freundin und meiner Mutter.

Nach einigen Lachvorträgen in der ganzen Schweiz organisierte ich erstmals einen Vortrag in unserer Region. Meine Mutter und eben dieselbe Freundin waren mit von der Partie. Als ich zum Moment kam, indem jede Person sich ein Gegenüber suchen sollte, trafen meine Freundin und meine Mutter aufeinander. Während ich allen empfahl, die rote Papp-Nase aufzusetzen, hörte ich die beiden zünftig lachen. Und beide weinten Tränen vor Lachen. Wir fühlten uns zu diesem Spektakel buchstäblich hingezogen und versuchten durch Blicke zu erkennen, weshalb die beiden derART symbiotisch in einem Lachtanz gelandet sind. Ich erkannte den Grund. Meine Mutter zog die rote Pappnase verkehrt an, sodass sich beim Einatmen die bewegliche Papp-Nase zusammenzog und beim Ausatmen wieder ausdehnte und rund erschien. Dies geschah bei meiner Mutter deswegen, weil die Nasenlöcher der Papp-Nase gegen den Himmel schauten statt gegen den Boden. Shit happens!

Tränen, die man gelacht hat,

muss man nicht mehr weinen.

Schafskopf Entsorgung

Eine weitere Geschichte aus einem Blauringlager in Ruschein fällt mir ein. Maria (meine Mutter und letztendlich auch Lagermami/Lagerköchin für alle Mädchen) war am Nachmittag spazieren. An diesem Tag kamen von unserem damaligen Wohnort ein paar Pfadfinder auf Besuch. Am Abend saßen wir um unser Lagerfeuer, sangen, spielten, lachten bis in die späten Nachtstunden. Ich legte mich früher als die anderen zu Bett. Während ich mich in meinem Schlafsack einnistete, fiel mir auf, dass da an meinem Fußende etwas Dubioses war. In mir sträubte sich etwas, meine Füße auszustrecken. So knipste ich meine Taschenlampe an und beleuchtete dieses merkwürdige Teil. Da lag doch tatsächlich ein Knochenkopf in meinem Schlafsack! Wutentbrannt lief ich zum Fenster, wo die Pfadiboys noch mit anderen Blauringgirls um das Feuer saßen. Ich schrie in die Nacht hinaus: „Ihr seid fertige Säuihünd!“ (ihr seid echte Schweine!) und schnellte das Fenster wieder zu. So, das musste gesagt sein.

Am anderen Morgen fragte mich meine Mutter, weshalb ich mitten in der Nacht rumbrüllte. Ich erzählte ihr die Story und ich kenne sie ja schon seit meiner Geburt und konnte mit 15 Jahren genau erkennen, was sich hinter ihren Gesichtszügen verbarg. So erahnte ich plötzlich, welchen Schalk sie versuchte zu verbergen. Sie lachte hinten auf ihren Stockzähnen und ich stockte während dem Erzählen der Geschichte und schaute sie erstaunt an. Oh NEIN, „sag nicht, dass DU dir diesen Zapfenstreich mit diesem Schafskopf ausgedacht hast?“ Tatsächlich, so etwas habe ich ihr nicht zugetraut! So blieb mir nichts anderes übrig, als mich bei den angeschwärzten Pfadiboys zu entschuldigen.

Eri Basel oder Ritz Zürich?

Hauptsache individuell

Seit ich 12 Jahre jung bin, habe ich bis heute eine Brieffreundin. Weil unsere Väter beide in einem Schützenverein aktiv waren, langweilten wir uns an den Schützenfesten und lernten uns dadurch näher kennen und schätzen. So kam es, dass sie ihre Hochzeit nur 4 Wochen nach unserer Hochzeit, im selben Jahr 1989, ankündigte. Ich schritt mit meinem Vater durch das Kirchenschiff, wo ich meine Kinder- und Jugendzeit erlebt habe. Meine Brieffreundin saß neben ihrem zukünftigen Ehemann und ihrer Familie. Zu diesem Zeitpunkt lebte sie in Zürich. Wir sahen uns nur selten. Doch bei dem Anblick, wie ich so daher schritt, wurde es in ihrer Bauchregion immer eigenartiger zumute. Tatsächlich haben wir beide das exakt gleiche Hochzeitskleid ausgesucht, sie in Zürich bei der Brautmode Ritz und ich in Basel bei Eri. Als ob es nur ein Hochzeitskleid der Welt geben würde. Doch es spricht für uns beide. Wir feierten 2019 mit unseren Männern bei einem gemütlichen Essen unseren 30. Hochzeitstag.

Do you speak english?

Meine Eltern wurden vom gesunden Reisefieber heimgesucht. Da mein Cousin mit Frau und Kindern nach Neuseeland ausgewandert ist, planten meine Eltern, mit dessen Vater und Freundin dort hinzureisen. Ich stellte ihnen eine zweimonatige Reise zusammen – quer durch Australien und Neuseeland. Beide Länder besuchte ich anno 1986/1987 während mehrerer Monate. Damals war das etwas Besonderes. Man bedenke, es war die Zeit, als gerademal das Faxgerät ins Leben geboren wurde. Ich versuchte, den vier Reisenden mit fortgeschrittenem Alter ein paar wichtige englische Sätze mit auf den Weg zu geben.

Was haben wir dazu gelacht. Es waren eher Lachstunden als englischer Sprachunterricht. Als die ganze Reise vorbei war – mein Onkel hatte stets seine Filmkamera dabei – hörten wir beim Ansehen seiner Filme, wie er nach einem Flug beim Ausgang eines Flughafens in die laufende Kamera sprach: „Und jetzt sind wir grad in ‚EXIT‘ angekommen“.

Prophetin auf dem Barfüsserplatz

Meine Freunde lieben mich für meine Andersartigkeit und auch wenn ich mich auf komischen Flohmärkten aufhalte. Nachdem ich aus der katholischen Kirche ausgetreten bin, war ich auf der Suche nach einer neuen Gemeinschaft. Ich hatte den Eindruck, dass ich irgendetwas „Seelenbalsammäßigem“ angehören müsse. Ich brauchte diese besondere Erfahrung, welche mir eine Bekannte an einem Nachmittag vorschlug. Ich trat in eine weiße Brüderschaft ein. Näher gehe ich auf diese Sekte nicht ein. Denn ich ging so weit, dass ich mir wie Franz von Assisi eine braune lange Robe überzog, um so Werbeflyer für diese Gemeinschaft zu verteilen, auf dem Basler Barfüsserplatz! Wenn ich heute zurückdenke, stelle ich fest, wenn mich jemand mitreißt und der Begeisterungsfunke überspringt, bin ich dabei und laufe mit. Nun, frühestens auf dem Barfüsserplatz in Basel war mein Herz gespalten. In diese Verkleidung zu steigen bedeutete plötzlich für mich, als ob ich mich zum Narren machen lasse. Meine Freundin besuchte mich mit ihrer Schwester über Mittag und alleine wegen des Prophetenoutfits unterließen sie aus Anstand und Respekt ihr Grinsen.

Es ging so weit, dass ich nach Amerika/Washington flog, um das Oberhaupt aus der Nähe kennenzulernen, den wir jeden Sonntag anbeteten. Da gingen mir die Ohren auf. Ich spürte, das gemeinsame Singen war das, was mein Herz höher schlagen ließ. Und nicht die Geschichten von diesem geliebten Bruder, der im Rollstuhl saß (weil er, übergewichtig, soviel Bürde der Menschen zu tragen hat). Sein 4000 Dollar teures Outfit haute mich um und ich erwachte während des zehntägigen Aufenthalts zusehend. Bei einigen Aussagen wusste ich: Genau das will ich nicht! Nein, das kann es nicht sein. Wären da nicht auch noch andere Menschen gewesen, die mich baten, die zehn Tage durchzustehen. Die Zwischenräume der freien Zeiten verbrachte ich meistens mit dem Mann von meiner Kollegin, die mich in diese Sekte führte. Am freien Tag fuhr ich mit ihm mit dem Velo in der Gegend herum. Es war sehr heiß und wir lachten viel. Als ich einen Brunnen entdeckte – in Form eines Springbrunnens, der wie ein Tunnel aus dem Boden einen Torbogen spritzte – sah ich, wie einige Menschen darin hin und her sprangen. Oh, ich will auch. Pudelnass ließ ich mich bespritzen, bis mein Begleiter ebenso freudvoll mit in dieses Abenteuer einstimmte. Wir lachten, amüsierten uns. Als ob die inneren Kinder Heimat entdeckt haben. Der Begleiter meinte, sowas hätte seine Frau nie mitgemacht. Oh, so ein armer Mensch. Während des Heimflugs über den großen Teich wusste ich: Dieser Flug trug mich aus dieser Gemeinschaft fort. Und ich war froh, diesen Lernweg wieder zu beenden.

Ich will Singen und so das Gemeinschaftsgefühl spüren. So trat ich in einen Gospelchor ein. Diese Erfahrungen zeigen mir auf: Wenn ich vor einer Pizzeria stehe und die Speisekarte studiere, gelingt es mir nie, zu wissen, wie die Pizza da drinnen schmeckt, bis ich sie in meinem Gaumen ausprobiere. Ich bin ein Mensch, der Entscheidungen trifft, um Erfahrungen zu erhalten und danach mitzureden und nicht umgekehrt!

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