Buch lesen: «Die sieben Todsünden»

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DIE SIEBEN TODSÜNDEN

Mein Leben mit Slipknot und Sone Sour

Aus dem Amerikanischen von Alan Tepper


www.hannibal-verlag.de

MEINEN KINDERN

die ich inspirieren möchte

MEINER FRAU

die ich immer wieder gewinnen möchte

MEINER GROSSMUTTER

die mir meinen Erfolgswillen schenkte

„Ich kann mich an keine einzige Gelegenheit erinnern, in der ich respektlos war, außer was Dinge anbelangte, die andere als heilig betrachteten.“

MARK TWAIN

„Durch das reine Böse im gleißenden Licht erstrahlt das verhüllte Gute im finsteren Dunkel.“

WILLIAM BLAKE

„Scheiß drauf, scheiß auf alles – ohne Bedauern.“

METALLICA

Impressum:

Der Autor: Corey Taylor

Deutsche Erstausgabe 2011

Titel der Originalausgabe:

„The Seven Deadly Sins“ © 2011 by Corey Taylor

ISBN 978-0-306-81927-8

This edition published by arrangement with Da Capo Press, A Member of the Perseus Books Group, USA. All rights reserved.

Coverdesign: © P. R. Brown / Bau-Da Design

Coverdesign der deutschen Version: © bürosüd°, München

Coverabbildung: © Hideous Corpus Inc.

Autorenfoto: © John Michael Cooper

Layout und Satz: Thomas Auer

Übersetzung: Alan Tepper

Lektorat und Korrektorat: Hollow Skai

© 2011 by Hannibal

Hannibal Verlag, ein Imprint der KOCH International GmbH, A-6604 Höfen

www.hannibal-verlag.de

ISBN 978-3-85445-353-6

Auch als Hardcover erhältlich: ISBN 978-3-85445-324-6

Hinweis für den Leser:

Kein Teil dieses Buchs darf in irgendeiner Form (Druck, Fotokopie, digitale Kopie oder einem anderen Verfahren) ohne schriftliche Genehmigung des Verlags reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet werden. Der Autor hat sich mit größter Sorgfalt darum bemüht, nur zutreffende Informationen in dieses Buch aufzunehmen. Es kann jedoch keinerlei Gewähr dafür übernommen werden, dass die Informationen in diesem Buch vollständig, wirksam und zutreffend sind. Der Verlag und der Autor übernehmen weder die Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für Schäden jeglicher Art, die durch den Gebrauch von in diesem Buch enthaltenen Informationen verursacht werden können. Alle durch dieses Buch berührten Urheberrechte, sonstigen Schutzrechte und in diesem Buch erwähnten oder in Bezug genommenen Rechte hinsichtlich Eigennamen oder der Bezeichnung von Produkten und handelnden Personen stehen deren jeweiligen Inhabern zu.

Kapitel 1

Wie ich lernte, den Deckenventilator zu lieben

Kapitel 2

Der Zorn - wie ein Blitz aus heiterem Himmel

Kapitel 3

Die Lust - eine Lustseuche?

Kapitel 4

Der Zirkus der Eitelkeiten

Kapitel 5

Trägheit - das Faultier im Menschen

Kapitel 6

Mein Waterloo

Kapitel 7

Platzt du vor Neid?

Kapitel 8

Gierige kleine Schweinchen

Kapitel 9

Völlerei - Gier bis zum Abwinken

Kapitel 10

Die Neuen Sieben Todsünden

Kapitel 11

Das dramatische Ende

Danksagungen

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Ich wollte schon immer ein Buch schreiben.

Ich wusste, eines Tages würde ich mich hinsetzen und mir die Wörter unterwerfen – Fäden spinnen, aus einem Knäuel einen Teppich weben und Geschichten aus vergangenen Zeiten erzählen, Geschichten von kummervollen Tagen, gefärbt mit bittersüßen Freuden. Ich würde gebeugt über dem Papier hocken und liebevoll die Buchstaben zu einem Ganzen verknüpfen, in der Hoffung der nächste Hunter S. Thompson zu werden … oder zumindest ein so bekannter Autor wie der legendäre Anonymus. Aber ich nahm mir den feierlichen Schwur ab, nicht nur irgendetwas Wertvolles zu schreiben, sondern ein Thema zu behandeln, dem sich vor mir noch kein Autor angenommen hatte. Ich wollte das Undenkbare verwirklichen: Der Welt eine Botschaft verkünden, ein vollkommen neues Genre gebären. Die Revolution sollte die weißen Seiten besiegen. Ich wollte den Satz töten, damit daraus etwas Neues entstehen kann. Ich wollte die Welt neu erschaffen.

Offensichtlich kann so ein Vorhaben nicht sofort gelingen. Auf einer masochistischen Ebene kam ich damit klar. Ich musste noch den Unterleib meiner Seele von emotionalen Läusen befreien, nach der Rasierklinge greifen, den Mist absäbeln und anschließend wegspülen. Wenn jemand die letzte Metapher nicht versteht, kann er sich auf die Schulter klopfen und „sauber“ seines Weges ziehen. Jeder, der sich mal mit einer Stripperin getroffen oder mit Dreckskerlen zusammen gelebt hat, wird dieses Szenario nur zu gut kennen. Vielleicht treffen wir uns ja mal auf einem oder zwei Veteranentreffen?

Egal, irgendwo zwischen Tony Robbins [populärer und umstrittener Verkünder neuer Psychotechniken] und Dianetik [Buch von L. Ron Hubbard, auf dem Scientology basiert] existiert eine literarische Welt, die ich überhaupt nicht mehr verstehe. Leute preisen „Wie-werde-ich-reich“-Taktiken im Late-Night-TV an, die im Grunde genommen nur zur Steuerhinterziehung taugen oder sogar von der Regierung gefördert werden. Möchtegern-Prominente lutschen einem Verkehrspolizisten ein oder zwei Mal den Schwanz und schon werden ihnen Autorenverträge hinterher geworfen, die einem Fischfang in Sea World gleichkommen. Wenn Paris Hilton die Bestsellerliste anführt, trennen uns nur noch wenige Züge bei „Vier gewinnt“ vom Armageddon. Ich wünschte, ich wäre witzig, bin es aber absolut nicht. Ein so verehrungswürdiger Typ wie ich, regt sich nicht grundlos auf. Zumindest keiner in meinem Postleitzahlenbereich.

Ich hoffte, den mehrsilbigen Vergeltungsschlag auf den schlechten Geschmack zu initiieren. Statt dessen hoffe ich jetzt, nicht sofort vom globalen Buchmarkt weggeblasen zu werden. Na, komm schon: Kann ich etwas schreiben, worüber noch niemand geschrieben hat? Zwischen den Kennedys und den Royals – kann ich da noch etwas ausdrücken, was noch keiner zuvor von sich gegeben hat? Wenn ich keine Wortneuschöpfungen kreiere, muss ich dann mit dem Althergebrachten hantieren? Ich habe vor kurzem mal nachgeschaut – das geschriebene Wort gibt es schon, seitdem diese verrückten keltischen Hippies diese komischen Baumsymbole in alles Flache geritzt haben und ein angelsächsisches Heldengedicht aus dem 7. Jahrhundert „Beowulf“ nannten. Und genau hier liegt mein Problem: Werde ich genau wie Cialis [Medikament gegen Potenzstörungen] das Richtige bewirken, wenn die Zeit reif ist?


Schnellvorlauf. Einige Jahre später. In einem dunklen und verfluchten Land mit dem Namen Los Angeles. Ich fand mich an einem schmuddeligen, hölzernen Tisch in einem exotischen Lokal wieder, einem mysteriösen Gelehrten gegenüber. So saß ich da und wartete auf eine Portion Sushi. In diesem japanischen Restaurant brütete ich über der Idee zu dem Buch, das ihr gerade in den Händen haltet. Ich hatte einen Punkt erreicht, an dem ich nicht mehr zurückkonnte, aber auch nicht vorwärts kam. Der Mann, der mir gegenüber saß, riet mir, etwas über die Sieben Todsünden zu verfassen. Ich erwiderte ihm, dass so ein Thema, welches regelmäßig wie ein Kreuz in den Boden gerammt wird, nur einen Sinn ergibt, wenn man ihm einen einzigartigen und provokativen Dreh gibt. Er erwiderte, dass ich mit dem Anfang beginnen sollte.

Ich dachte einige Sekunden nach. So an das Buch heranzugehen, bedeutete, dass ich tiefer in meine Vergangenheit abtauchen musste, als je zuvor. So fragte ich ihn:

„Ganz zu Beginn?“

Er antwortete: „Hey, das sind meine gewürzten Thunfischröllchen!“

„Oh, sorry. Ich dachte es wären meine B.C.S.-Röllchen.“

„Sehen sie etwa aus wie B.C.S.-Röllchen?“

„Tja, wenn man blinzelt und sie von der Seite ansieht …“

„Was zum Teufel quatschst du denn da?“

„Moment mal, wie lautete die Frage?“

Ich weiß, was ihr denkt. Ihr fragt euch, was der ganze Wortwechsel zu bedeuten hat. Der Schlüssel zu diesem ganzen Desaster liegt genau in dem Tête-à-tête. Für Anfänger – es waren tatsächlich seine gewürzten Thunfischröllchen, und vergesst das bloß nicht! Die Begegnung bedeutete mir sehr viel, denn durch sie wurde mir die Startrampe geschenkt, sozusagen ein akademisches Cape Canaveral, mit der ich meinen kleinen Sputnik in das Herz einer Welt schießen konnte, die vielleicht noch nicht bereit war für so ein riesiges Großmaul.

Von Anfang an? Holt ganz tief Luft, atmet langsam und dramatisch aus … und beginnt zu lesen.

Es begann alles in einer saukalten, verfluchten Nacht im Jahre 1995.

Ich war 22, ein harter Pimmel mit einem Puls, draufgängerisch und den Kopf voller Flausen … zu viel Energie zum Verbrennen und zu wenig Zeit dafür, denn eine Stunde hat nur 60 Minuten. Das Jahr 1995 bestand aus 365 Tagen voller Saufen, Ficken, Austicken und Austesten. Es war die Zeit dieser ganzen egozentrischen Scheiße: Selbstgefälligkeit, Ichbezogenheit, Luxusgeilheit und Selbstsüchtigkeit. Ich war der einzige Mensch in der bekannten Galaxie und wollte verflucht noch mal meine Wünsche erfüllt sehen, je eher desto besser. Das Geschenk des Lebens bedeutete mir so viel wie ein Haufen Pferdescheiße, denn ich musste einfach alles haben, und zwar so schnell es ging. Es gibt heute noch Tage, an denen ich morgens die Atmosphäre jenes Jahres in meinen Knochen und auf der verfetteten Haut meines Rückens spüre. Hätte ich die Möglichkeit, das alles zu wiederholen (ich weiß, das klingt verrückt), dann würde ich heute noch mehr über die Stränge schlagen als damals und es richtig knallen lassen.

Ich war eine Herumtreiber ohne Kohle, der keine Grenzen kannte und sich um nichts scherte. Ich schlief dort, wo ich mich fallen ließ, manchmal aus reiner Erschöpfung, manchmal weil mich die Leute, mit denen ich zur Party gekommen war, einfach mitten im Nirgendwo aussetzten. Im Englischen bedeutet Nirgendwo ja „Nowhere“, also eine simple Kombination aus „Now“ [Jetzt] und „Here“ [Hier]. Grammatikalisch gesehen ist das natürlich falsch, aber wenn du dein ganzes Leben im Nirgendwo verbracht hast, weißt du ja auch nichts.

Wenn du in einer vertrackten Situation feststeckst und Scheuklappen hast, kommen dir Themen wie Sünde oder Hölle weder in den Sinn, noch steigern sie den Druck deines Moralbarometers. Irgendwelche Konsequenzen sind dir scheißegal, so lange du nur abspritzen kannst und zwar so heftig wie möglich! Vor deinem geistigen Auge schwebt natürlich ein Bild von dem, was richtig und was falsch ist, aber wenn nicht der Heilige Geist höchstpersönlich kommt, dir eine geladene 38er in die Visage hält und dich zur Sühne zwingt, dann ist die Chance, dass du dich fügst, ungefähr so groß wie die Wahrscheinlichkeit, den Hades lebend zu durchqueren. Wenn deine Welt scheinbar aus einem Vakuum besteht, entstehen die Psychosen, die irgendwann später ausbrechen. Aber erst mal auf zur Besinnungslosigkeit, und schalte bloß nicht einen anderen Kanal ein!

1995 war ich ein völlig abgedrehter Typ. Ich fing mir zwei Mal einen Tripper ein. Auf Parkplätzen begann ich mit dem Stage-Diving, stürzte mich von Kleinbusdächern einfach auf Unbekannte. Ich provozierte Streit mit Lesben, die offen mit Waffen hantierten. Wie du siehst, kann das nicht als ein gemütlicher Nachmittag im Bridge-Club durchgehen, sondern als Rumgemache eines hoffnungslos Durchgeknallten, eigentlich ein Mix aus Mad Max und Gummo [Kultfilm aus den Neunzigern, der das nihilistische Leben von Jugendlichen zeigt]. Es gab für uns ein Motto: Zieh alles durch, bevor du in einem Fluss voller Scheiße absäufst. Es war doch sowieso alles egal. Viele meiner Freunde starben oder mussten in den Knast. Schon bald wäre niemand mehr da, mit dem man eine Party schmeißen könnte. Mach was du willst, und zwar mit deiner ganzen Seele – wenn ich schon im Fegefeuer verkokeln soll, dann aber zu meinen Bedingungen.

Eines Nachts in jenem Jahr gab es eine Party. Ich weiß, das zu erwähnen ist eigentlich unnötig, weil jeden Tag irgendwo eine Party abging. Aber diesmal sollte alles anders sein. Der Gestank des Schicksals durchdrang den Rauch. Gleich an der nächsten Ecke lauerte der Stoff, aus dem Legenden entstehen. Und aus irgendeinem Grund steckte ich damals immer im Zentrum der Geschehnisse. Bis zum heutigen Tag könnte ich dieses Haus nicht mehr auf dem GPS finden, auch nicht, wenn mir jemand eine Knarre an den Kopf hielte. Aber ich erinnere mich an die Inneneinrichtung, als wäre es gestern gewesen. Und alles begann in der Garage!


Moment mal, ich bin zu schnell und fange lieber erst mit einer kleinen Einleitung an.

An jedem Wochenende ließen sich die Unreinen und Ungeläuterten in einem kleinen Gebäude in West Des Moines nieder, das den Namen Billy Joe’s Pitcher Show trug. Es war ein schäbiger, kleiner Laden mit einer Karaoke-Bar, einem Raum für den Alkoholausschank ab 21, vier Badezimmern und dem wohl großartigsten Kino der ganzen Welt. Da gab es keine Sitzreihen wie in einem Großkino, sondern Siebzigerjahre-Tische mit Siebzigerjahre-Stühlen und Siebzigerjahre-Aschenbechern, bis zum Rand voll mit Kippen. In der Woche lief alles ziemlich ruhig ab. Für einen Dollar konntest du alte Filme sehen, die ihre letzte Runde als Verleihstreifen machten. Bei den Zwei-Dollar-Filmen versammelten sich diese jaulenden Yuppies, die Huey-Lewis-Songs in einer schiefen Tonlage grölten. Aber an den Wochenenden verwandelte sich der Laden in Ground Zero. Es wurde unser Revier, und Billy Joe’s Pitcher Show präsentierte die Rocky Horror Picture Show.

Aus allen Winkeln Iowas strömten die Missgeburten in den zum Bersten vollen Laden. Der Film war eigentlich egal, da du nirgendwo anders hingehen konntest, dir keine Alternative blieb. Du musstest 21 sein, um in eine Bar zu kommen, denn damals lebten wir noch in der Zeit, bevor die großartigen, jugendfreien Veranstaltungen wieder auflebten.

Es gab keine Jugendzentren (na ja, zumindest keine Jugendzentren, in die du gehen wolltest, und einige galten als verdammt gefährlich), und es war verboten, sich nach der Sperrstunde in Parks zu treffen, ein Gesetz, das mir immer am Arsch vorbei ging. Um Henry Rollins zu zitieren: „Das Mahl deiner Wahl ist Fisch.“ Wir waren die bedeutendsten Motherfucker unserer Generation und hatten nichts zu tun. Und so machten wir Etwas aus dem Nichts, meist aus überhaupt nichts! Billy Joe’s wurde unser Treffpunkt, unser Katalysator, und wir verteidigten den Laden mit dem Blut, das durch unsere Adern floss.

Wenn uns einer als Homo beschimpfte, fielen wir über ihn her. Und wehe, jemand nannte uns Loser – den Typen knöpften wir uns so richtig vor. Wir waren unglaublich toll, ganz einfach, weil wir es sein wollten. Wenn du nicht mitziehen konntest – na ja, dann hat man halt auf dich geschissen. In uns trugen wir das brennende Verlangen, die Zeugnisse vergangener Generationen niederzureißen. Wir fühlten uns wie die jungen und vielleicht auch letzten Bilderstürmer, und es war egal, ob die Welt unsere Namen kannte oder nicht. Der Welt gewährten wir nämlich keinen Eintritt zu unserem Club.

Die Party begann immer im Kino. Wir ließen einen Hut herumgehen, kauften uns danach so viel miesen Fusel wie möglich und stürmten schließlich ein Haus, mit einem Plätzchen für uns, in dem irgendein klappriges Radio herumstand und das möglichst gut versichert war. In dieser besagten Nacht fanden wir in einem Reihenhaus mit drei Schlaf- und zwei Badezimmern Schutz vor dem Wirbelsturm des Lebens. Es lag in der vorstädtischen Hölle namens West Des Moines. Und hier war es auch, wo – wie man so schön sagt – der ganze Spaß erst richtig begann. Noch bis zum heutigen Tag werden die folgenden Ereignisse von den Leuten mit ehrfurchtsvoller Stimme als „die Nacht“ bezeichnet.

An die ersten Stunden kann ich mich nur schwach erinnern. Erst mal einige Jägermeister gekippt, dann abgekotzt, auf die Dächer fahrender Autos gesprungen, danach noch mehr Alk durch die Kehle, auf einer Couch geraucht, obwohl ich drinnen überhaupt nicht qualmen durfte, und wieder Jägermeister runter geschüttet … In den Nächten, an die du dich nicht mehr erinnern kannst, entstehen immer die Storys, die du nie vergessen wirst! Als das Donnern des Wahnsinns kurzfristig leiser wurde, machte ich mich rar, um wieder einen klaren Kopf zu bekommen.

Ich fand mich in einer Garage wieder, rauchte eine Kippe, fror mir den Arsch ab und saß mitten in dieser Betonwüste auf einem harten Metallstuhl, der einem Folterinstrument ähnelte. Ich kam langsam zur Besinnung, bereit für den sprichwörtlichen zweiten Anlauf, bei dem ich meist die allergrößte Verwüstung anrichtete. Der Heiligenschein des Fusels verblasste und gab die Sicht auf die Teufelshörner der Genialität frei. In diesem Augenblick begann ich zu träumen, nüchtern genug, um es zu schätzen, aber immer noch so besoffen, dass ich keine Notizen machen konnte. Später lernte ich, dass man in solchen Momenten leben musste, und nicht dafür, so etwas zu erleben. Wenn man zu konzentriert hinschaut, verschwinden sie einfach vor deiner Nase. Du musst dein Leben mit voller Intensität genießen, sonst wirst du jeden Atemzug bereuen. So reflektierte ich vor mich hin, dachte dabei aber nicht zu viel und lief gerade warm.

Wie sich herausstellte, schritt die Startpistole in menschlicher Form genau in diesem Augenblick durch die Tür zur Garage. Um der Story willen werden wir sie mal „Beth“ nennen. Sie war eine verdorbene, schwarzhaarige Frau mit feurigen Augen, verdeckt von überlangen Wimpern, die aus unbekannten Gefilden kam und sich meistens schwarz kleidete. Um sie herum schwebte eine Pheromonwolke, aus der mich das Wort „Lust“ lockte – und wir flirteten schon seit Wochen!

Mit langsamer Sinnlichkeit schritt sie durch die Tür und blieb auf der obersten Treppenstufe stehen, die zur Garage hinabführte. Ich schaute hoch und hörte, wie sie mit tiefer, gurrender Stimme verführerische Worte hauchte. Weicher als Schokoladenpudding schleimte ich zurück: „Häh?“

Sie fragte: „Was machste, mein Dummerchen?“ In ihren Augen brannte ein Feuer, genährt aus Provokation und Abenteuerlust. Sie führte irgendetwas im Schilde und das musste ich herausbekommen – so wahr mir Gott helfe.

Sie kam näher, setzte sich auf meinen Schoss und küsste mich ganz langsam. Sinnlich lockend enthüllte sie mir ihren Plan: Ich war der glückliche Gewinner eines flotten Dreiers mit ihr und einem anderen Mädchen, der wir an dieser Stelle mal den Namen „Kelly“ verpassen wollen. Sie machte zwar am anderen Ende des sexuellen Spektrums rum, wirkte aber genau so bezaubernd. Als hätte sie der Teufel gerufen, kam diese Mieze in die Garage und setzte sich auch auf meinen Schoß. Ich muss euch mal eins verraten: Wenn zwei Frauen rittlings auf dir wie auf einem Schaukelpferd sitzen, bist du dem Willen deiner Leistengegend hilflos ausgeliefert. Lust ist ein Bonbon, an dem ich tagelang lutschen könnte. Aber darauf werden wir später noch zurückkommen.

Hier noch mal eine knappe Zusammenfassung: Unser Held hat riesige Mengen Alkohol geschlürft, sich übergeben, und macht sich nun bereit für einen Dreier mit zwei attraktiven Ludern. Die Zukunft hätte nicht rosiger aussehen können, nicht wahr? Aber, wie mir immer wieder gezeigt wird, hasst das Schicksal uns alle.

Wir beschlagnahmten eins der Schlafzimmer, das wahrscheinlich den Eltern des Gastgebers gehörte, denn wer sonst hätte es in so einer spartanischen Bude mit schreiend-greller Deko ausgehalten? Aber die Inneneinrichtung störte uns nicht, denn wir schalteten das Licht schnell aus und rissen uns die lästigen Klamotten vom Leib. Lippen berührten Haut, diese „köstliche Pelle“, die Hannibal Lecter so genussvoll beschrieben hatte, und schon bald ähnelten wir einem verworrenen, unlösbaren chinesischen Rätsel, bildeten ein lustvolles Dreieck aus Hitze und ekstatischer Wollust. Die Mädchen kicherten und stöhnten. Ich hatte meinen Spaß dabei, wenn sie es sich gegenseitig besorgten. Für mich blieb ja noch genug übrig.

Wir waren in vollem Gange und ahnten nicht, dass man unten einen Plan ausheckte. Schon bald drohte ein „Spontanangriff“: „Eine große Menschenmenge dringt in einen Raum ein, in den sie nicht eingeladen wurde und der auch viel zu klein für sie ist.“ Vierzig Leute flüsterten und feixten, bereit dazu, unsere Festivitäten exakt im richtigen Moment zu stören. Es tröstete mich keineswegs, dass mein bester Freund Denny bei dieser feigen und grausamen Verschwörung den Cobra Commander [Actionfigur] spielte. Aber es war ja abzusehen gewesen, da ich ihn darum gebeten hatte, Wache zu schieben und niemand reinzulassen.

Nun ja, als drei Körper neue Möglichkeiten erlernten, sich auf einem beschränkten Raum zu entfalten (und es verdammt gut wurde, unglaublich gut), knallte die Tür auf, das Licht ging an und aus vielen Kehlen erklang ein johlender und schadenfroher Refrain, der einen offiziellen Schlussstrich unter unser Stell-ungs-dichein zog. Natürlich wurde ich total sauer. In ihren Gesichtern erkannte ich das hinterhältige Lächeln, und so verdrängte ich die Wut aus meinem Kopf, stieg splitterfasernackt aus dem Rammlerbett und schleuderte das außen flutschig-feuchte, aber innen noch staubtrockene Kondom dem nächststehenden Gaffer ins Gesicht.

Als ich mir wieder die Sachen anzog und sah, wie sich eine Menschentraube vor dem Bett bildete, kam mir eine außergewöhnlich gute Idee. Vielleicht lag es an dem Alk, der noch durch meinen Kreislauf pulsierte. Vielleicht lag es daran, dass sich meine Augen von dem grellen Licht erholten, das plötzlich angegangen war. Aber vielleicht kam mir diese brillante Idee auch nur in den Sinn, weil ich diesen Ärschen eins auswischen wollte – und zwar in der Sprache, die sie verstehen. Keiner konnte mich von meinem Vorhaben abhalten. Es war ganz simpel: Ich wollte vom Bett aus in die Menge zum Stagediving springen und war mir sicher, dass sie mich auf den Händen durch die Tür und dann die Treppe runter tragen würden, bis ich endlich an der Bar in der Küche anlangen würde, um mir einen Drink zu mixen.

So ein Einfall grenzt an absolute Genialität. Warum sollte das nicht funktionieren? Schon damals kannte mich jeder als Corey Fucking Taylor. Ja, und dann zog ich mir die Hosen an (so höflich war ich noch), hüpfte aufs Bett und sprang … und knallte mit dem Kopf an einen Deckenventilator, den ich entweder vergessen oder wegen meines versoffenen Tunnelblicks überhaupt nicht gesehen hatte. Ich schwöre euch, ohne den Witz damit verstärken oder mich als Schwächling darstellen zu wollen, dass es der härteste Deckenventilator war, den die Menschheit je gesehen hat. Und, liebe Leute, ich spreche hier vom Industriestandard! Innerhalb von zwei Sekunden bekam ich drei Mal einen verpasst: Ein Mal auf die Stirn, ein weiteres Mal auf beide Augen und zum Schluss ratschte das Ding noch über meine Nasenspitze. Der Ventilator schlitzte meine Fresse auf und vermachte mir zwei Veilchen. In der einen Sekunde wirkte ich noch wie der coolste Typ auf der Szene und in der nächsten lag ich auf dem Rücken, alle viere von mir gestreckt, und überlegte, was zum Teufel gerade passiert war. Das alles lief unglaublich schnell ab. Ich kam erst zur Besinnung, als mir jemand wie durch einen Schleier hindurch aufhalf. Gott scheint meine Freunde zu lieben, denn keiner verriet mir, wie beschissen mein Gesicht aussah und dass es Ähnlichkeit mit einem gewissen Rocky Balboa hatte. Ich mischte mich unter die Menge und sah erst eine Stunde später in den Badezimmerspiegel. Meine Güte, ich hätte ein Schild mit der Aufschrift „Möchten sie ein Bild mit dem Party-Zombie machen?“ um den Hals tragen können.

Ich erzähle diese Geschichte nicht, um zu prahlen oder ein falsches Image von mir in die Welt zu setzen. Für die folgende Sammlung an Einsichten und aufrührerischen Gedanken ist sie einfach sehr wichtig. Schon von Beginn an soll klar sein, dass ich weiß, wovon ich rede, wenn ich über „Sünden“ schreibe. Hier spricht kein Novize – auch die Jahrzehnte haben meine Hände nicht rein gewaschen. Denk nur mal drüber nach: In einer Nacht – verdammt, in nur fünf Stunden – habe ich jede einzelne der so genannten Sieben Todsünden abgerissen. Wie ein tollwütiger Baseballspieler bin ich durch das unmoralische Spektrum aus Völlerei, Habgier, Lust, Trägheit, Zorn, Neid, Eitelkei gerannt. Bis zum heutigen Tag erinnere ich mich mit Freude und einem wissenden Lächeln an diese verblüffende Verkettung von Ereignissen.


Was mich wieder zu der Idee hinter diesem Buch bringt, die ich wie eine Sommerliebschaft in den Armen gehalten habe. Nach der Einleitung und einem Räuspern bitte ich um eure Aufmerksamkeit, die ich auf eine kleine Tatsache lenke, die niemand wahrhaben will, sei es aus Gewohnheit oder einem schrägen Schuldbewusstsein. Ich weiß, dass ihr der Wahrheit begegnen, einen Schuss in die empfindlichen Stellen des Gehirns vertragen könnt. Ich glaube an euch, und deshalb vertraut mir:

Die Sieben Todsünden sind totaler Blödsinn:

Alle noch da? Oder ist vielleicht jemand zu Scientology konvertiert, weil ich dieses kleine Nugget der Realität in die Luft warf? Nein, dann können wir ja fortfahren.

Jahrhundertelang wehten diese so genannten „Waffen gegen die Moral“ wie beängstigende Fahnen vor den Augen von zigmillionen Menschen. Sie wurden von der Rechten oder den Verteidigern des Glaubens als legitimierende Drohmittel eingesetzt, um damit die Massen vom eigentlich normalen Freidenkertum abzuhalten, Menschen mit einem offenen Bewusstsein durch den feuergestählten Daumen zu unterdrücken. Wenn die Welt auf- und abspringt und ein wenig zu viel feiert, lassen diese Spaß-hassenden Arschgesichter die goldenen Kontrollregeln auf uns los, um uns von dem Partyzug zu stoßen. Ich werde nie verstehen, warum sich die meisten Menschen nicht einfach um die eigenen Angelegenheiten scheren, aber eins ist mir klar: In neun von zehn Fällen ist die Sünde eine Frage der Auslegung, und meiner Ansicht nach ist der Begriff Sünde nur gerechtfertigt, wenn du andere Menschen verletzt. So, und wenn niemand verletzt wurde – wie sollst du dann gesündigt haben?

Klar, die Sieben Todsünden können Schmerz und Bosheit in uns auslösen – sogar in den edelsten Charakteren. Sie können die größten Denker und die unbeirrbarsten Seelen überwältigen. Aber sie können ein Individuum auch beeinflussen und zu den ungewöhnlichsten Taten in den entscheidenden Momenten des Lebens befähigen. Sie als vernichtende Waffen zu bezeichnen, und uns alle damit zum schlimmsten Abschaum in der Menschheitsgeschichte zu erklären, ist ein Hohn der Gerechtigkeit. Wir alle erleben diese Gefühle und müssen kämpfen, um in einer Welt der Raubtiere Höflichkeit, Rechtschaffenheit und Anstand zu bewahren. Aber es gibt Zeiten, in denen es zu unseren Menschenrechten gehört, sich von diesen „Sünden“ wie eine warme Welle in der Karibik umspülen zu lassen. Es gibt Zeiten, und ich sage das mit Nachdruck, in denen wir uns als Spezies ungezwungen und lustvoll den Emotionen hingeben sollten, die mit den „Sünden“ Hand in Hand gehen. Um Himmels willen, wir sind verflucht noch mal einfach nur Menschen: Wir sind nicht perfekt! Es sind unsere Eigenarten, die den Charakter und die Individualität ausmachen. Ich weiß nicht, ob ich persönlich einem Menschen trauen könnte, in dessen Keller nicht eine Leiche liegt. Wir werden dadurch definiert, dass wir uns würdevoll über unsere Niederträchtigkeit erheben. Aber wir werden mit Sicherheit zu besseren Menschen, wenn wir diesen Weg in die Tat umsetzen.

Es steht geschrieben: „Der, der ohne Sünde ist, werfe den ersten Stein.“ Genau hier kann ich mit meiner Argumentation andocken. Wir sind nicht an unserem Menschsein schuldig – wir waren noch nie schuld! Ein Problem taucht auf, wenn wir zu Karikaturen dieser beschissenen Regeln werden, vergleichbar mit dem Politiker, der die Familienwerte lobpreist, aber zurücktreten muss, weil er eine unbedeutende, scharfe Nummer mit einer Nutte im Erfrischungsraum eines Truck-Stops geschoben hat. Oder der Filmstar, der dem trügerischen Glauben erlegen ist, dass er allein wegen seiner markanten, sich schön abzeichnenden Wangenknochen über den ungeläuterten Menschen steht. Nein, diese Typen sind keine Sünder: Es sind dumme Scheißer.

Ich versuche euch nicht zu retten, sondern predige Mäßigung. Einige Motherfucker unter euch sind tatsächlich verrückt. Ich habe überhaupt keine Bedenken, darauf hinzuweisen. Aber was ist, wenn du gerne fickst? Wen interessiert es, ob jemand den Besitz von Geld genießt, gerne ein gutes Essen verspeist, seinen Gefühlen freien Lauf lässt oder seine habgierige Natur auslebt, um sich zu ungeahnten Höhen empor zu schwingen? Wen juckt es, wenn du an deinem einzigen freien Tag einfach nur pennen willst – oder der Meinung bist, du wärst das schärfste, heißeste, geilste, was die Sexwelt zu bieten hat?

Wer kümmert sich um so was? Mich geht das alles nichts an. Es ist deine freie Entscheidung. Wenn du damit klar kommst und niemanden verletzt, kann ich dir von ganzem Herzen gratulieren. Zumindest hältst du keine Vorlesungen vor irgendwelchen verlorenen Partyfreaks, in denen du erklärst, wie sie die Schnellstraße zum Himmel erreichen können. Der einzige Sinn dieser angeblichen Sünden liegt in der Kontrollfunktion.

Denk mal drüber nach: Vor tausend Jahren lebten die Aristokraten beispiellos exzessiv. Eigentlich hätten sie schon auf der Erde in lichterlohen Flammen verbrennen müssen. Aber da sie der herrschenden Klasse angehörten, wurden ihre Taten als gottgewollt gewertet. Anschuldigungen, sie seien verdorben und lasterhaft, wurden ihnen nicht zur Last gelegt. Nur wenn sie einen Gleichgestellten ermordeten, mussten sie sich mit zögerlichen und vorsichtigen Nachfragen abplagen. Wenn sie gleich zur Geburt ihren theokratischen Freifahrtschein erhielten, ja, wo liegt für uns, die wir in der Moderne leben, der Unterschied? Die alte Logik ist natürlich eine Reflektion mittelalterlicher Ignoranz. Aber sie unterscheidet sich von der Definition der Grundpfeiler, auf denen die Vereinigten Staaten von Amerika aufgebaut wurden, markiert also eine alte Epoche, die wir längst vergessen haben müssten. Wir sind alle gleich. Was für den einen Sünde ist, ist für den anderen ein Hochgenuss. Blaues Blut verklumpt sich jeden Tag, um die Wünsche und Bedürfnisse der oberen Kruste zu erfüllen. Und wenn wir in der Mittel- oder Unterschicht uns so verhalten, sollen wir im Hause des christlichen Butzemanns schmoren? Warum sollen wir für unsere Ausgelassenheit an Wochenenden verdammt werden, wenn diese für die oberen Zehntausend zum ganz normalen Tagesablauf gehört?

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