Leb wohl, Schlaraffenland

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Leben ist Wandel

Meine Beziehung zur Natur und zum Lebendigen hat sich durchs Gärtnern verändert und mein Verhältnis zur Nahrung wurde regelrecht auf den Kopf gestellt. Auch meine Beziehung zu Menschen wurde durch den Garten bereichert, weil ich plötzlich andere Leute traf und zu schätzen lernte, die mit mir einen gemeinsamen Nenner hatten. Davor hatte ich sehr viel Kontakt mit Menschen, die von sich behaupteten, sie hätten Benzin im Blut. Etwas Dümmeres kann man nicht sagen. Sie hatten wohl eher einen Benzinwurm im Hirn, wie auch ich ihn habe – noch immer. Mein Interesse an Motoren und Maschinen ist ja nicht verschwunden, es ist nur hinter andere Lebensbereiche zurückgetreten.

Plötzlich traf ich aber Menschen, die „einen Garten im Blut“ hatten. Und den haben wir – so meine ich – alle in unseren Adern fließen, schon deshalb, weil es ja die Gärten sind, die uns letztendlich nähren. Das war eine schöne Erfahrung, ein bereicherndes Experiment, weil ich durch den Garten nach und nach zwar kein anderes, aber ein verändertes Leben führte. Eine Veränderung im Leben kann jeder Mensch herbeiführen, bloß versuchen es so manche auf viel aufwendigeren Wegen, nämlich zum Beispiel durch einen Ortswechsel. Das bedeutet: „Ich flüchte vor meinem Leben, ich ziehe in eine andere Stadt, in ein anderes Land, wechsle von der Stadt aufs Land, verlasse meine Familie, suche eine neue Familie, suche ein anderes Leben.“

Als viel schöner empfinde ich es, wenn das Leben bleibt, wie es ist, und man ganz bewusst die Dinge verändert, die man gerne verändern möchte. Ich habe das durch das Anlegen eines Gartens erreicht. Sicher, es hätte auch anders kommen können, und das Gärtnern hätte mir nach einem halben Jahr furchtbar auf die Nerven gehen können. Ich hätte zu dem Schluss kommen können, dass ich zum Beispiel zu ungeduldig für einen Garten bin, weil ich gewohnt war, mechanisch zu denken und zu agieren. Baue ich einen Motor zusammen, so „wächst“ er vor mir genau so, wie ich ihn zusammenschraube. Aber so läuft das beim Gärtnern eben nicht.

Würde ich mit der Herangehensweise des Mechanikers meinen Garten bewirtschaften, so würde das nicht klappen. „Ich setze meine Tomatenpflanze jetzt ein und punktgenau am Tag X muss dann die erste Frucht reif sein.“ Würde ich es nicht ertragen, wenn es nicht genau so kommt, wie ich es berechnet habe, dann würde ich mit meinem Garten furchtbar unglücklich werden. Wenn man sich aber auf den Garten und die Pflanzen einlässt, kann man sehr viel daraus lernen. Denn: „Es ist nicht entscheidend, was Sie aus Ihrem Garten machen, sondern entscheidend ist, was Ihr Garten aus Ihnen macht.“ Dieser Satz war in der TV-Serie „Der Wilde Gärtner“ in jeder Episode unser Schlusssatz.

Nachdem der Garten nun Teil meiner Lebensgeschichte war, dachte ich bei mir: „Das war ein so schönes Erlebnis, eine so gute Erfahrung für mich, die möchte ich anderen Menschen weitergeben.“ Vielleicht gibt es da draußen viele Menschen, die sich nicht vorstellen können, dass ein Garten irgendetwas kann, sondern Gärten eher mit Spießertum, mit Schrebergärten, mit „alten Leuten“ in Verbindung bringen oder einfach meinen, Gärtnern sei konservativ und keiner würde das heute mehr brauchen. Ich wollte diesen Menschen zeigen, dass ein Garten eigentlich viel mehr zu bieten hat. So entstand die TV-Serie „Der Wilde Gärtner“. Zu dieser Zeit war mein Garten für mich bereits Normalität, also kein Experiment mehr. Irgendwann muss ein Experiment schließlich aufhören, ein Experiment zu sein. Entweder, indem man es beendet und sagt: „Okay, ich habe mir das angesehen, jetzt lasse ich es bleiben“, oder aber das Experiment wird zu einem Teil des eigenen Lebens.


Für Roland Düringer ist der Garten ein Teil seines Lebens geworden.

Das Leben in meinem Garten wurde zu meinem Leben und es lebt sich gut darin – auch wenn man sich manchmal ärgert oder wenn man unglücklich ist. Dieses Jahr, 2013, erlebe ich eine Saison, in der ich mit dem Garten eigentlich unglücklich bin, weil ich mich in diesem jahr erstmals wirklich außerordentlich bemüht habe, weit mehr als sonst – das ist wahrscheinlich der Fehler, weil ich dadurch Erwartungen hatte – und jetzt spielt das Wetter nicht mit2. So bemüht wie in diesem Jahr war ich um meinen Garten zum letzten mal im ersten Jahr, in dem ich mit dem Gärtnern anfing. Zu Hause, auf der Fensterbank, steckte ich Samen in die Erde, um die Jungpflanzen selbst großzuziehen. Ich legte ein Gartentagebuch an, in dem ich dokumentierte, wann ich welche Pflanzen einsetzte. Ich engagierte mich dieses Jahr wirklich sehr in meinem Garten.

Im Frühjahr gingen dann einige Pflanzen aufgrund der plötzlichen Kälte zugrunde – als dieser starke Regen kam und in den Tälern entlang von Flussläufen Überschwemmungen brachte. Durch das nasse Wetter vermehrten sich die Nacktschnecken und diese fressen mir gerade so ziemlich alles aus meinem Garten weg. Von meinen Kürbispflanzen ist fast nichts mehr übrig, ich habe aber noch ein paar in Reserve, die ich einpflanzen werde. Für einen Berufsgärtner wäre das alles ein Misserfolg. Ich ging in letzter Zeit, als es so oft regnete, beinahe jede Nacht zweimal mit einer Stirnlampe durch den Garten, um Schnecken aus meinen Beeten aufzusammeln. Das macht unglücklich, erscheint mir sinnlos, denn am nächsten Tag sind ohnehin wieder Schnecken da. Dennoch ist dieses „Unglück“ Teil eines guten Lebens.

Ich sehe den Sinn meiner Berufung darin, über Dinge zu sprechen, die mich gerade selbst bewegen und die ich durchs Tun verinnerlicht habe. So werden die Worte glaubwürdig und die Geschichten werden in Form von Bildern im Kopf nachlebbar.

Am besten spricht man über Autos, wenn man sich mit Autos auskennt, redet über das Häuserbauen, wenn man die Baumaterialien kennt und weiß, wie man es macht – wenn man die Höhen und Tiefen des Hausbaus selbst erlebt hat. Das ist, so glaube ich, das Allerwichtigste, wenn man etwas zu sagen hat, und ich bin – zum Glück ein Mensch, der immer etwas zu sagen hatte, auch schon in der Schule. Ich meine damit nicht, dass ich das Sagen hatte. Etwas zu sagen zu haben bedeutet auch, etwas zu fragen zu haben. Ich sprach zwar nicht viel, nicht pausenlos, wenn ich aber den Mund aufmachte, war es mir wichtig. Ich hielt zum Beispiel im Deutschunterricht sehr gerne Referate, was andere Schüler gar nicht gerne taten. Das war auch der Grund, weshalb ich auf die Bühne ging: Weil ich etwas zu sagen hatte, was ich mir von der Seele reden wollte; weil ich Menschen beobachtete und mich fragte: „Warum funktionieren sie so oder so?“ Mir kamen viele Verhaltensmuster von Menschen schon immer ein wenig seltsam vor. Oft verstand ich das Verhalten nicht oder sah überhaupt keinen Sinn dahinter, außer dass es der Anpassung an die Erwartungen der Gesellschaft diente. Auf der Bühne darüber zu sprechen war mir ein Anliegen und ich wollte Menschen, die ich nicht verstand, spielen, um denen, die im Publikum saßen, eine Art Spiegel vorzuhalten.

Jetzt fängt es zu regnen an. Der Regen vertreibt uns aus dem Garten und wir müssen hineingehen. Das ist ein „Unglück“: Wir sitzen draußen, die Sonne scheint, und plötzlich regnet es.

Clemens G. Arvay: Wir müssen uns anpassen.

Roland Düringer: Stimmt. Wir müssen uns anpassen und gehen besser hinein, ins Trockene. Deine Kameras werden es uns danken.

Vom Glücklichsein

Dinge, die mich selbst bewegen, zu einem Lebensthema geworden sind, fließen immer in meine Arbeit ein. Daraus entwickelte sich auch das Projekt „Gültige Stimme“. Darin übe ich mich in der Kunst des Weglassens und sage dem Schlaraffenland Schritt für Schritt Lebewohl. In diesem aktuellen Experiment geht es mir darum, zu reduzieren, Dinge wegzulassen und neue Werkzeuge zu verwenden. Ich bin damit dem guten Leben auf der Spur. Oder besser: meinem guten Leben. Für andere wäre dieser Weg wohl alles andere als der Schlüssel zum guten Leben und würde sie nicht glücklich machen.

Clemens G. Arvay: Trotz der Unterschiede von Mensch zu Mensch gibt es die Statistik, auf die die moderne Psychologie aufbaut: Ein positives Lebensgefühl – glücklich zu sein – hat offensichtlich auch gesellschaftliches Potenzial, da es nachweislich dazu führt, dass Menschen eher etwas für andere tun, und zwar gerne. Die Solidarität in der Gesellschaft erhöht sich unter diesen Umständen, was der bekannte Psychologe Peter Salovey als das Phänomen „Fühl dich gut und du tust etwas Gutes“ bezeichnet hat. Glaubst du, dass eine Gesellschaft, in der die Menschen positive Lebensgefühle haben, also ein gutes Leben führen, auch tatsächlich eine solidarischere Gesellschaft wäre?

Roland Düringer: Ja, ich glaube tatsächlich, dass eine Gesellschaft von Menschen mit positiven Lebensgefühlen auch solidarischer wäre, wobei man meines Erachtens zwei Dinge grundsätzlich unterscheiden muss: „glücklich sein“ und „sich glücklich fühlen“. Aus diesem Grund spreche ich viel lieber vom guten Leben.

Man kann sich, auch wenn man gerade nicht glücklich ist, dazu zwingen, sich glücklich zu fühlen. Das nennt man dann „positives Denken“. Ich glaube, dass viele Menschen ein unglückliches Leben führen und sich dennoch glücklich dabei fühlen können. Das unglückliche Leben wird sich erst im Alter als das entpuppen, was es war, wenn die Krankheiten kommen, die Unzufriedenheit, die Fragen: „Hätte ich doch damals, wäre ich doch … Wenn ich das gewusst hätte!“ Ein ganz und gar unglückliches Leben endet wohl mit dem Gedanken: „Um Gottes Willen, was hätte ich alles anders machen können!“ Das muss furchtbar sein, obwohl sich ein solcher Mensch in vielen Phasen seines Lebens vielleicht glücklich ge fühlt hat.

 

Wenn jemand zum Beispiel schlechte Nahrung zu sich nimmt, ständig Fast Food oder industrielle Nahrungsmittel isst, dann fühlt er sich in dem Moment des Bestellens, des Kaufens oder des Essens glücklich. Ansonsten würden die Menschen es ja nicht so machen. Gerade bei Zucker, in welcher Form auch immer, ist das sehr gut sichtbar. Süß macht glücklich. Das vermeintliche Glück entpuppt sich dann später als großes Unglück, schon aus gesundheitlichen Gründen. Daher: Sich glücklich zu fühlen und wirklich glücklich zu sein – nämlich auf einem guten Fundament langfristig glücklich zu sein – sind zwei gänzlich verschiedene Phänomene. Ich glaube, dass viele Menschen in einer Lebenssituation stecken, in der sie latent unglücklich sind. Die Realität des persönlichen Unglücks wird immer wieder durch Glücklichfühl-Spitzen überspielt: „Ach, jetzt, indem ich dieses oder jenes erreicht habe, fühle ich mich endlich wieder glücklich.“ Dann falle ich wieder in ein Loch und: „Ach, jetzt muss ich wieder etwas tun, damit ich mich wieder glücklich fühle.“ Darum sind wir immer auf der Suche nach mehr, vermutlich, nach mehr Erlebnissen, nach mehr Anerkennung, mehr materiellen Dingen, was auch immer. Dabei geht es darum, immer wieder das Fundament des Leidens zu verlassen und ein Glücksgefühl in diesem Leiden zu erleben. Wir leben in einer Zeit, in der das sehr leicht möglich ist, weil man sich Glück scheinbar kaufen kann. Wenn ich überzeugt davon bin, dass mich dieses Fernsehgerät oder jenes Auto glücklich machen wird, dann kaufe ich es mir einfach. Ich kann es mir sogar kaufen, wenn ich es mir eigentlich nicht leisten kann, weil es mir ja jemand finanziert, nämlich meine Bank.

Clemens G. Arvay: Interessanterweise stellte man fest, dass diese Art des Glückserlebens – eben zum Beispiel viel Geld zu gewinnen oder sich ein Objekt zu kaufen, ein neues Auto – zwar tatsächlich zunächst zu einem Glücksgefühl führen kann, aber man konnte auch nachweisen, dass solche Gefühle sehr schnell wieder abnehmen. Danach landet man unter Umständen wieder unter dem Glücksniveau, auf dem man davor war, im besten Falle auf demselben.

Und je mehr man diese gekauften Glückserlebnisse – diese materiellen – braucht, desto weniger effektiv werden sie mit der Zeit.

Roland Düringer: „Ein Schritt nach vorne, zwei Schritte zurück“, lautet dieses Prinzip. Da ich seit einem halben Jahr fast ausschließlich mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs bin, also den „Bürgerkäfig“ verlassen habe und mit der Bahn fahre oder mit der Straßenbahn, mit der U-Bahn und zu Fuß gehe, sehe ich viel mehr Menschen als zuvor und habe deutlich mehr Begegnungen. Was mir dabei auffällt, ist – ich weiß nicht, ob das jetzt neu ist oder ob das schon immer so war –, dass sehr viele Menschen gerade zu den Hauptverkehrszeiten, am Weg von oder zur Arbeit, in der U-Bahn stehen und die Mundwinkel hängen bis zu den Fersen. Diese Menschen werden natürlich ihre Gründe dafür haben, ihre Mundwinkel nach unten hängen zu lassen, aber es fällt mir eben auf. Ich glaube, dass ich stets mit einem Grinsen durchs Leben gehe, auch in der U-Bahn, obwohl es ja dort bekanntlich nicht immer lustig ist, aber bisweilen lustiger, als alleine im Bürgerkäfig im Stau zu sitzen.

Wahrscheinlich aber stecken immer mehr Menschen in Lebenssituationen, in denen das Lachen schwerfällt und so sind wir auf der ständigen Suche nach dem Lachen, der Freude, dem temporären Glücksgefühl. Man möchte sich ja nach einem Arbeitstag auch zu Hause über etwas freuen können. Das kann etwas zu essen sein, vielleicht auch Alkohol, ein unterhaltsames Fernsehprogramm. Manche schauen sich womöglich einen Porno im Internet an. Oder sie haben im besten Fall Sex mit dem Ehepartner. Man sucht sich einfach irgendetwas, um wieder ein bisschen Glück zu empfinden, weil man eines ganz genau weiß: Wenn am nächsten Morgen der Wecker klingelt, beginnt das Unglück wieder. „Blah, blah, blah“, schon in der Früh quatscht dich jemand aus dem Radio an und versucht verzweifelt, Stimmung zu machen. Spätestens bei den aktuellen Staumeldungen ist die Stimmung aber wieder im Keller.

Ich weiß, wovon ich spreche. Ich stecke zwar schon lange nicht mehr in einer solchen Arbeitswelt, aber ich war auch einmal dort und die Erinnerung an diese Zeit ist klar und deutlich. Schon während der Anfahrt zur Arbeit haben viele ihren Masterplan im Kopf: Du fängst um neun Uhr an und weißt schon, dass um viertel nach zehn die erste Kaffee- oder Rauchpause stattfindet. Das ist dann der erste Joker, um sich wieder ein bisschen glücklich zu fühlen. Dann gibt es um elf Uhr ein Stück Schokolade – wieder um ein wenig Glück zu erfahren. Danach geht es zum Mittagessen – das nächste Glückserlebnis. Zurück zur Arbeit und um halb zwei auf die Toilette gehen, am besten mit einer Zeitung, um ein wenig zu lesen, damit wieder ein bisschen Ablenkung und Glück aufkommt.

Man sucht sich eben diese Ausreißer aus dem monotonen Arbeitsalltag und dem damit verbundenen Gefühl des Unglücks. Das trifft bestimmt nicht auf alle Menschen zu, allerdings habe ich sehr wohl das Gefühl, wenn ich Menschen beobachte, dass viele von ihnen wie in einem Kokon eingesponnen sind. Darin verstecken sie sich, vielleicht auch hinter dem iPhone oder einem sonstigen elektronischen Gerät. Sie verschließen sich, sie wollen das Rundherum eigentlich gar nicht wahrnehmen. Dabei gäbe es in einer U-Bahn so viel zu beobachten!

In der U-Bahn hätte man auch die Möglichkeit, zu kommunizieren. Aber stell dir vor, das machst du. Stell dir vor, du sprichst in der U-Bahn jemanden an. Und wenn das dann noch dazu jemand tut, der so aussieht wie ich, mit Kugeln im Bart … Okay, ich bin diesbezüglich ein Sonderfall, denn mich kennen viele Menschen in Österreich. Wenn ich jemanden anspreche, dann zeigt das eine andere Wirkung auf die Menschen, als würde sie irgendjemand anderer anquatschen, der, so wie ich, Kugeln im Bart trägt.

Es ist meistens so, dass die Leute mich ansprechen, was mir nicht unangenehm ist. Ich unterhalte mich gerne mit ihnen, weil jede Begegnung mit einem Menschen eine Erfahrung ist, die mich weiterbringt oder aus der ich etwas lernen kann. Selbst dann, wenn eine Begegnung unangenehm ist und man sich vielleicht denkt „das ist ja ein schöner Volltrottel, hilfe“, handelt es sich um eine Erfahrung. Wenn man sich in der U-Bahn aber hinter ein elektronisches Gerät oder eine Gratiszeitung schutzsuchend verschanzt, schließt man damit Begegnungen, Beobachtungen und somit die Welt, wie sie ist, aus.

Clemens G. Arvay: Ich zitiere noch einmal die psychologische Glücksforschung: Glückliche Menschen zeichnen sich statistisch durch Folgendes aus: Sie haben ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl, sie sind optimistisch, sie gehen aus sich heraus und sind auch zu ihren Mitmenschen liebenswürdig, sie haben enge Freundschaften oder sie sind glücklich verheiratet. Sie gehen Tätigkeiten nach, bei denen sie ihre Fähigkeiten einsetzen können, zum Beispiel in der Arbeit, aber auch in der Freizeit. Sie sehen in dem, was sie tun, Sinn oder haben eine sinnstiftende Weltanschauung, sie schlafen ausreichend und betreiben Sport. Das sind, statistisch betrachtet, die Faktoren, die mit dem Glücklichsein zusammenhängen, mit einem positiven Lebensgefühl3.

Roland Düringer: Okay, glückliche Menschen haben also die genannten Eigenschaften, so sagen die Wissenschaftler, also diejenigen, die Wissen schaffen. Nun sollte man fragen: Was war zuerst? Sind sie glückliche Menschen und deswegen haben sie diese Eigenschaften oder haben sie die Eigenschaften und sind deswegen glücklich? Was war zuerst, die Henne oder das Ei? Das ist die Frage.

Clemens G. Arvay: Das ist eine sehr gute Frage. Was die Psychologie jedenfalls ganz klar sagen kann, ist, womit das Glücklichsein und das positive Lebensgefühl nicht zusammenhängen: Es ist definitiv nicht das Alter, es ist nicht das Geschlecht und es ist nicht der Bildungsgrad.

Das Glück hängt auch nicht davon ab, ob man Kinder hat oder nicht. Es ist nicht die körperliche Attraktivität und es ist vor allem nicht der materielle Wohlstand4. Sicher, das sagt schon der menschliche Hausverstand. Aber immerhin lässt sich auch das nun wissenschaftlich beweisen. Es sind eben doch andere Werte, die glücklich machen, als das Materielle.

Ein weltbekannter Psychologieprofessor aus den USA, David G. Myers, hat zehn Ratschläge niedergeschrieben, die bei Befolgung angeblich glücklich machen. Einer davon lautet: „Machen Sie sich klar, dass anhaltendes Glück nicht vom finanziellen Wohlstand abhängt, behalten Sie die Entscheidungsfreiheit über Ihre Zeit.“

Andere Punkte sind:

„Suchen Sie sich eine Arbeit und Hobbys, bei denen Sie Ihre Fähigkeiten einsetzen können. Geben Sie engen Beziehungen den Vorrang. Blicken Sie über sich hinaus, zum Beispiel, indem Sie auch für andere etwas tun. Seien Sie dankbar für die positiven Aspekte in Ihrem Leben und pflegen Sie Ihr spirituelles Selbst“, also den Geist.

Dies sind die Empfehlungen eines international anerkannten Psychologen. Vieles davon deckt sich mit deinen eigenen Aussagen, vor allem beim Thema Zeit, also: „Behalten Sie die Entscheidungsfreiheit über Ihre Zeit. Suchen Sie sich eine Arbeit und Hobbys, bei denen Sie Ihre Fähigkeiten einsetzen können.“

Roland Düringer: Das meiste davon kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Aber: Wenn die Rahmenbedingungen, in denen wir uns befinden, uns die Umsetzung erschweren, was machen wir dann? Wenn wir nicht das tun können, was wir gerne tun, nicht die Arbeit haben, die uns zufrieden stellt, sondern einfach irgendeine, um das Leben zu finanzieren. Daher – und weil es auch in der Liste dieses Psychologen steht – ist es gerade für Menschen, die in so einer glücklichen Lebenssituation sind, wie ich oder du, ganz wichtig, dass man oft „danke“ sagt, ganz egal, zu wem. Es ist nicht selbstverständlich. Und, dass man dann, wenn man in einer so glücklichen Lebenssituation ist, auch die Verpflichtung hat, von seinem Glück etwas abzugeben, es zu teilen, in welcher Form auch immer. Es ist oft viel schöner, etwas zu geben, als etwas zu nehmen. Das ist eine alte Weisheit. Wenn man die Möglichkeit hat, etwas zu geben und jemandem wirklich Freude zu machen, auf sinnvolle Art und Weise, dann ist das ein großartiges Gefühl. Ich habe das am eigenen Leib erfahren.

Vor ein paar Jahren versteigerte ich einen Großteil meiner Autosammlung für einen jungen Mann namens Gerhard. Er sitzt nach einem Unfall im Rollstuhl. Ich erinnere mich gut daran, als Gerhard mich einmal nach einer meiner Vorstellungen ansprach. Er erklärte mir, dass er einen speziellen, behindertengerechten Wagen benötigte und sein Plan war, von mehreren Prominenten Objekte zu sammeln, um diese zu versteigern. Er fragte mich, ob ich ihm irgendetwas dafür überlassen konnte.

Ich antwortete ihm: „Ja, ich kann dir natürlich etwas geben, aber hast du schon einmal darüber nachgedacht, wie viele Objekte du brauchst, um dir ein solches Auto zu kaufen?“ Ich wusste, wie viel das kostete, denn mein Schwager ist in einer ähnlichen Situation und besitzt so ein Auto. Es verschlingt ein Vermögen.

Ich hielt Gerhards Wunsch im Hinterkopf: „Kommt Zeit, kommt Rat.“ Als ich etwa ein halbes Jahr später in meiner Halle stand und mir meine Autos ansah, schwirrte ein Gedanke durch meinen Kopf: „Eigentlich hätte ich lieber eine leere Halle.“

Ich rief Gerhard an: „Wir verkaufen meine Autos und du kannst dir für den Erlös zumindest einen Teil deines Wagens finanzieren.“ So taten wir es dann. Für mich war es relativ einfach, die Aktion medial anzukündigen, gemeinsam mit der Motorzeitschrift „Autorevue“, dessen Chefredakteur ich kenne. Wir versteigerten in kürzester Zeit 13 Autos und es kam bei weitem mehr Geld für Gerhard zusammen, als ich zu träumen gewagt hatte. Er konnte sich sein Automobil damit vollständig finanzieren. Die Aktion war ein dreifacher Nutzen: Erstens bekam Gerhard sein Auto, das er dringend brauchte. Ich war unnötige Last los und die Menschen, die die Autos kauften, hatten – vielleicht nur kurzzeitig, aber doch – Freude daran.

Clemens G. Arvay: In unserer Gesellschaft ist es doch ungewöhnlich, dass jemand 13 Autos …

Roland Düringer: Ja, es ist ungewöhnlich, aber es gibt Menschen, die haben noch viel mehr Autos.

Clemens G. Arvay: Das meine ich nicht. Ich wollte sagen: In unserer Gesellschaft ist es doch ungewöhnlich, dass jemand 13 Autos für jemand anderen hergibt.

Roland Düringer: Nun ja, mich von diesen Autos zu trennen war etwa so, wie für andere, ein paar Fahrräder abzutreten. Ich verdiente damals wie gesagt mein Geld sehr leicht. Es war keine so besondere Leistung. In der Summe war es zwar ein schöner Betrag, der auch sinnvoll verwendet wurde, aber es war von meiner Seite aus nichts, worauf ich stolz sein musste. Ich hätte meine Autos auch einfach verkaufen können, hätte den Erlös behalten und mir vielleicht neues Industriegerümpel gekauft. Oder ich hätte das Geld auf die Bank gebracht, damit es im großen Weltcasino zirkuliert. Das Gefühl, Gerhard mit der Versteigerung eine Freude zu bereiten und damit etwas Sinnvolles zu tun, war deutlich besser.