Buch lesen: «Pudding Pauli deckt auf»
Christine Nöstlinger (1936-2018 in Wien) schrieb für Zeitungen, Rundfunk und Fernsehen. Sie war sozial und gesellschaftspolitisch engagiert und erlangte vorrangig als Kinderbuchautorin international Anerkennung. Ihr Werk wurde vielfach ausgezeichnet, unter anderem mit dem Andersen Award und dem Astrid-Lindgren-Preis. Generationen von Leser*innen hat sie mit ihrem Witz und unkonventionellen Denken erfreut, nachdenklich und mutiger gemacht – eine Kunst, die sie konkurrenzlos beherrschte.
Mehr zu Christine Nöstlinger auf: www.christine-noestlinger.at
Pudding Pauli deckt auf
von Christine Nöstlinger
1. Digitale Auflage 2021
ISBN E-Book: 978-3-7074-1747-0
ISBN Print: 978-3-7074-2410-2
In der aktuell gültigen Rechtschreibung
Coverillustration: Barbara Fisinger
Innenillustrationen: Barbara Fisinger
© 2021 G&G Verlagsgesellschaft mbH, Wien
Alle Rechte vorbehalten. Jede Art der Vervielfältigung, auch die des auszugsweisen Nachdrucks, der fotomechanischen Wiedergabe sowie der Einspeicherung und Verarbeitung in elektronische Systeme, gesetzlich verboten.
Sein zweiter Fall
Christine Nöstlinger
Pudding Pauli
deckt auf
Mit Rezepten von Elfriede Jirsa
und Illustrationen von Barbara Fisinger
Inhalt,
in welchem der geneigte Leser einen kleinen Überblick bekommt.
1. Kapitel,
in welchem Rosis Seele rülpst, der Dackel Karli noch immer verschwunden ist und sich die Zufälle häufen.
2. Kapitel,
in welchem der Pauli keine Blinis bekommt, die Rosi Malakofftorte mampfen muss und Lösegeld ins Spiel kommt.
3. Kapitel,
in welchem Gulasch vor sich hin köchelt, die Frau Mader beruhigt werden muss und ein schwarzes Kuvert zu Boden flattert.
4. Kapitel,
in welchem sich die Rosi verkleidet und der Pauli nicht bedacht hat, dass Straßenbahnhaltestellen zum Einsteigen taugen.
5. Kapitel,
in welchem die Rosi auf Kommissar Zufall hofft, Nudeln zu weich werden und der Rosi einfällt, wo sie die tarnfleckige Baseballkappe gesehen hat.
6. Kapitel,
in welchem es Palatschinken gibt und die Rosi Kontakt zu Emily und zu Laura aufnimmt.
7. Kapitel,
in welchem der Pauli mit Fleischbällchen die Rosi versöhnt und sich die Emily als sehr brauchbar erweist.
8. Kapitel,
in welchem es kein Fleisch gibt, der Pauli im Alleingang der Wahrheit näher kommt und dabei höllisch friert.
9. Kapitel,
in welchem der Pauli mit Ingwer-Zitrone-Limo seine Stimme kuriert und die Rosi große Angst um ihn bekommt.
10. Kapitel,
in welchem der Pauli nicht mit brutaler Gewalt rechnet und der Kevin gottlob etwas nicht tun will.
11. Kapitel,
in welchem der Rest der Sache klar wird, es Pasta bis zum Überdruss gibt, und was noch zu tun bleibt, von einem netten Polizisten übernommen wird.
Rezepte
Glossar
1. Kapitel,
in welchem Rosis Seele rülpst, der Dackel Karli noch immer verschwunden ist und sich die Zufälle häufen.
Pauli Pistulka, elf Jahre und neun Monate alt, von seinen Freunden Pudding-Pauli oder einfach bloß Pudding genannt, saß hinter seinem Pult in der 3a und blickte versonnen zur Deckenlampe hoch, die vergeblich versuchte, den November-Vormittag zu erhellen. Durch den Boden der Milchglas-Schale schimmerte dicker, dunkler Belag.
„Rosi, da oben ist ein voll belegter Friedhof“, murmelte er.
„Ein Krematorium für Fliegen.“
Die Rosi, sein Pult-Co, nickte und zischelte ihm zu:
„Für Selbstmörder-Fliegen!“
„Weil Schulluft sogar die Fliegen depressiv macht“, sagte der Pauli etwas zu laut.
„Pistulka, keine Privatgespräche, wenn ich bitten darf!“ Der Mag. Specht, wegen seiner farbenfrohen Kleidung von der 3a Buntspecht genannt, deutete mit dem Tafelzirkel zum Pult von Pauli und Rosi.
„Das war nicht privat, das war eine schulinterne, sogar eine mathematische Anmerkung“, sagte der Pauli.
„Und zwar welche?“, fragte der Buntspecht voll Interesse.
Der Pauli streckte einen Arm anklagend zur Deckenlampe hoch.
„Seit zwei Jahren schaue ich zu, wie die Fliegenleichen über meinem Kopf mehr und mehr werden. Daher versuchte ich zu berechnen, wie hoch der Belag bei meiner Matura sein wird!“
„Dazu dürfte dein mathematischer Grips nicht reichen“, sagte der Buntspecht grinsend, drehte sich zur Tafel und machte sich daran, den Mantel eines gleichseitigen Prismas zu zeichnen.
„Lob fordert eines Schülers Leistung ungemein!“, rief der Pauli dem Buntspecht-Rücken zu und die Belegschaft der 3a kicherte. Der Buntspecht ließ von der Tafel ab und sagte: „Pistulka, komm raus und konstruiere weiter, damit ich eine Chance erhalte, dich zu loben!“
Der Pauli erhob sich seufzend, latschte im Schneckentempo zur Tafel und nahm Zirkel, Dreieck und Kreide vom Buntspecht in Empfang. Bis zum Ende der Mathestunde, die auch den Unterricht für diesen Tag beendete, fummelte er an der Tafel herum.
So ein Dummbauchi, dass er den Mantel eines Prismas nicht hinkriegen würde, ist der Pauli nun auch wieder nicht! Es lag am Tafelzirkel. Der war viel zu locker im Gelenk. Das Teil, in dem die Kreide steckt, flutschte immer weg, wenn der Pauli eine Strecke abschlagen wollte.
Ins Rasseln der Schulglocke hinein sagte der Buntspecht dann:
„Pistulka, du hast dich redlich um das Prisma bemüht. Reicht dir das als Lob?“
„Es wird mir den Tagesrest ungemein versüßen.“ Der Pauli lächelte den Buntspecht freundlich an, legte Zirkel, Dreieck und Kreide auf den Lehrertisch, wischte sich am Hosenboden die Finger vom Kreidestaub sauber, wieselte zu seinem Pult und sagte zur Rosi:
„Beeil dich, Süße, ich hungere gewaltig!“
„Was gibt es denn heute zu futtern, Pudding?“, erkundigte sich die Rosi, als sie neben Pauli herjappelte, eine Stunde früher als sonst am Freitag, weil Religion ausgefallen war.
„Grenadiermarsch und Gurkensalat!“, sagte der Pauli. Und fügte, bevor die Rosi zum Motzen ansetzen konnte, hinzu:
„Sei froh, dass es überhaupt etwas gibt. Unser Kostgeld-Topf war schon gestern völlig leer!“
Jeden Montag legen die Rosi und der Pauli Geld in einen alten Steingut-Topf. So viel, wie ihre Mamas früher für das Mittagessen im Hort bezahlt haben, und dazu noch Geld für die Pausenbrote. Und der Pauli holt sich jeden Morgen Geld aus dem Topf, um nach der Schule die Zutaten für das Mittagessen und für die morgige Pausen-Nahrung zu kaufen. Aber er kommt nur selten mit dem Geld bis zum Freitag aus. Oft müssen die beiden Mamas ein bisschen Geld nachschießen, manchmal gleicht er das Manko auch mit seinem Taschengeld aus. Ohne dass es die Rosi weiß. Er ist, was Taschengeld angeht, viel besser dran als sie, denn er kassiert dreifach. Von seiner Mama, von seinem geschiedenen Papa und von seiner Oma. Und zwar von allen dreien nicht knausrig. Doch der Freitag ist eben trotzdem meistens ein „Restl-Tag“.
Die Rosi ist nicht besonders heikel. Aber Grenadiermarsch mag sie nicht, und Gurkensalat hasst sie.
„Den Gurkensalat kannst dir schenken“, maulte sie also.
„Esse ich bloß drei Bissen von dem Zeug, muss ich den ganzen Tag lang rülpsen!“
„Das ist rein psychosomatisch!“, erklärte der Pauli und sperrte das Haustor auf.
„Psycho-so-ma-was?“ Die Rosi rannte hinter dem Pauli die Treppe rauf.
„Deine heikle Seele rülpst, weil sie ein dummes Vorurteil gegen Gurkensalat hat“, erklärte ihr der Pauli und öffnete die Wohnungstür.
„Meiner Seele sind Gurken blunzen“, protestierte die Rosi.
„Mein Magen hat was gegen sie! Und zwar kein Vorurteil, sondern ein Urteil!“
Der Pauli schubste die Rosi ins Vorzimmer rein. „Okay, okay, du alte Raunzen“, sagte er. „Bekommst du halt einen lieben, kleinen Paradeissalat!“
Die Rosi marschierte schnurstracks in die Küche, setzte sich zum Küchentisch, holte ihr Geometrie-Heft aus der Schultasche und wollte sich dranmachen, die Hausübung zu zeichnen.
„Lohnt sich echt nicht, dass du damit anfängst“, sagte der Pauli.
„In spätestens fünfzehn Minuten habe ich das Essen fertig! Ich habe nämlich heute in der Früh schon alles vorbereitet.“ Er zeigte auf eine Pfanne auf dem Herd. „Sogar die Zwiebel hab ich schon goldgelb geröstet. Und du könntest die Paradeiser für den Salat schneiden!“
„Du röstest in aller Herrgottsfrühe Zwiebel?“ Die Rosi konnte es nicht fassen! „Kein Wunder, dass du dann immer erst beim Läuten in die Klasse keuchst!“
Der Pauli händigte der Rosi vier dicke Paradeiser aus. Die Rosi nahm sie etwas unwillig entgegen und dachte: Bin neugierig, was ich diesmal falsch mache! Sie hilft dem Pauli beim Kochen nicht gern. Egal, was sie tut, immer hat er etwas auszusetzen. Außerdem muss sie ihm auch gar nicht helfen. Denn die Rosi und der Pauli haben seit über einem Jahr ein Abkommen. Er kocht das Mittagessen für sie und versorgt sie mit Pausenbroten, sie macht ihm dafür die Mathe-Hausübungen. Ihre Mamas haben von diesem Abkommen natürlich keine Ahnung. Die glauben, dass die beiden gemeinsam kochen und gemeinsam die Hausübung erledigen.
Der Pauli schaltete die Platte unter der Pfanne ein und holte eine Schüssel voll gekochter Fleckerln, vermischt mit Scheiben gekochter Erdäpfel, aus dem Eisschrank. „Das war heute ein Sonderfall. Über uns ist gerade wer Neuer eingezogen und dieser Irre hat schon ab halb sieben Löcher gebohrt. Da hätte nur ein Stocktauber weiterschlafen können.“
Die Rosi hatte sich nicht geirrt. „Mach doch die Scheiben nicht gar so dick!“, rügte sie der Pauli. „Und schneide den Stängelansatz gefälligst raus! Den kann man doch nicht essen!“
Die Rosi warf das Messer auf den Tisch. „Dann mach es doch selber!“, rief sie vergrämt. „Kochen ist schließlich deine Arbeit, nicht meine!“
In der Pfanne auf dem Herd fing es leise zu brutzeln an. Der Pauli nahm einen Kochlöffel, rührte im Brutzelnden und murmelte: „Ang’rührte Leberwurst!“
„Die Köche, die im Fernsehen kochen“, sagte die Rosi, „die rühren nie um! Die heben die Pfanne hoch und schupfen, was drin ist!“
Der Pauli warf der Rosi einen grantigen Blick zu. Wäre er ehrlich gewesen, hätte er sagen müssen, dass er das schon oft probiert, aber leider nie geschafft hat. Doch der Pauli ist keiner, der gern zugibt, dass er etwas nicht kann. Also sagte er: „Das geht mit dieser Pfanne nicht!“
Die Rosi wollte ihn fragen, warum das mit dieser Pfanne nicht gehen sollte, doch da klingelte es an der Wohnungstür. Der Pauli drückte der Rosi den Kochlöffel in die Hand, sagte „Rühr weiter!“ und lief ins Vorzimmer.
Die Rosi legte den Kochlöffel weg, packte den Pfannenstiel mit beiden Händen, hob die Pfanne hoch, versuchte nachzumachen, was die Köche im Fernsehen tun, und schaute entsetzt auf die hellbraunen Zwiebelfäden, die rund um die Pfanne auf die Ceranplatte rieselten.
„Shit!“, murmelte sie, stellte die Pfanne, in der nur noch ein paar Zwiebelfäden im heißen Schmalz schwammen, auf den Herd zurück, schaufelte mit dem Kochlöffel hurtig Zwiebelfäden in die Pfanne zurück und wischte die fettig gewordene Ceranplatte mit einem feuchten Lappen halbwegs sauber.
Kaum hatte sie es geschafft, kam der Pauli in die Küche zurück, und hinter ihm die alte Frau Mader, die Nachbarin vom Pauli. Die Frau Mader hatte rot geweinte Augen.
„Ist denn Ihr Karli noch immer nicht gefunden worden?“, fragte die Rosi voll Mitgefühl.
Der Karli ist der Dackel der Frau Mader. Vorgestern zu Mittag hatte die Frau Mader seine Leine an dem Hundehaken vor der Trafik festgemacht, weil sich der böse Hund der Trafikantin mit dem Karli nicht verträgt, und als sie aus der Trafik rausgekommen war, war der Karli samt der Leine spurlos verschwunden gewesen. Die Frau Mader schüttelte den Kopf und schnäuzte sich in ein riesiges kariertes Taschentuch. Der Pauli schob ihr einen Sessel hin und erklärte der Rosi: „Die Frau Mader will Plakate an die Haustüren in der Gegend kleben, wo draufsteht, wohin der Karli gehört. Und dass man sie anrufen soll, wenn man den Karli gefunden hat. Ich soll ihr das auf dem Computer machen.“
Die Frau Mader gab dem Pauli einen Zettel. „So hätte ich mir das vorgestellt“, sagte sie schniefend. „Geht das?“
Der Pauli las vor: „Dackel, neun Jahre alt, hört auf den Namen Karli, am 10. 11. von der Trafik Ecke Jagdstraße-Steinstraße entlaufen. Sachdienliche Hinweise erbeten an Marie Mader, Telefon 236 19 60.“
„Ich möcht auch noch dazuschreiben, dass ich einen Finderlohn bezahle“, sagte die Frau Mader. „Wie viel muss man da geben? Weil sehr viel Geld hab ich leider nicht.“ Und dann schnupperte sie und sagte: „Ich glaub, da verbrennt euch irgendetwas!“
„Grundgütiger!“ Die Rosi drehte sich zum Herd und zog die Pfanne, in der sich kohlrabenschwarze Fadenwürmer in rauchendem Schmalz ringelten, zur Seite.
„Jetzt ist euch wegen mir das Essen angebrannt“, jammerte die Frau Mader. „Was hätte es denn werden sollen?“
„Grenadiermarsch“, sagte der Pauli. „Aber das macht nichts. Ich schreib Ihnen jetzt die Plakate und drucke fünfzig Stück aus. Und das Ankleben übernehmen die Rosi und ich auch.“
„Dann mach ich wenigstens, wenn ihr nichts dagegen habt, den Grenadiermarsch für euch. Wo habt ihr denn Zwiebel?“, fragte die Frau Mader.
Der Pauli brachte ihr das Körberl mit den Zwiebel-Häupteln und die Frau Mader machte sich ans Werk.
Eine halbe Stunde später saßen sie zu dritt beim Küchentisch und mampften Grenadiermarsch, Gurken- und Paradeissalat. Und die Rosi tröstete die Frau Mader.
„Der Karli, der kommt ganz bestimmt zurück“, sagte sie.
„Die Peggy von der Frau Merny und der Hund vom Herrn Pollak sind doch auch gefunden worden.“
„Wann war denn das?“, fragte der Pauli.
Die Rosi überlegte. „Die Peggy von der Frau Merny hat sich vorige Woche für ein paar Tage vertschüsst und der Hund vom Herrn Pollak zwei Wochen davor, glaube ich.“
„Nein“, widersprach die Frau Mader. „Das war nur eine Woche vorher, wie der Hubsi vom Pollak entlaufen ist.“
„Schon merkwürdig“, sagte der Pauli mit vollem Mund, „binnen drei Wochen drei Hunde aus derselben Straße! Das ist eine äußerst interessante Häufung von Zufällen!“
Die Rosi spießte das letzte Fleckerl von ihrem Teller auf die Gabel, betrachtete es, als habe sie noch nie im Leben ein Fleckerl gesehen, und sagte warnend: „Pudding, lass es sein, auch gehäufte Zufälle gibt es zufällig!“
Das ist nämlich so: Pauli Pistulka ist fest davon überzeugt, Straftaten zu wittern und Straftäter zumindest so gut wie die Polizei ausfindig machen zu können. Das liegt ihm, behauptet er, im Blut. Und später mal, nach der Schule, wird er Kriminalkommissar oder Privatdetektiv.
„An zufällig gehäufte Zufälle glauben nur die fantasielosen Leute!“, sagte der Pauli, stapelte die leer gegessenen Teller und trug sie zur Spülmaschine.
Und wieder eine halbe Stunde später zogen die Rosi und der Pauli los und pickten an jedes dritte Haustor in der Gegend eine „Verlust-Anzeige“. Wie viel Geld die Frau Mader dem Finder vom Karli als Belohnung zahlen wollte, stand allerdings nicht auf den Zetteln, weil die Rosi gemeint hatte, „Hohe Belohnung!“ mache sich viel besser.
Den Häuserblock, in dem der Pauli wohnt, hatten sie hinter sich, da sagte der Pauli: „Rosi, du kennst doch den alten Karli. Der ist halb lahm, dem muss man schon gut zureden, dass er sich überhaupt vom Fleck rührt. Der reißt sich doch nicht von einem Hundehaken los!“
Dass der Pauli damit nicht ganz unrecht hatte, musste die Rosi zugeben. Und als sie dann bei der Trafik waren und den Hundehaken vor der Tür inspizierten, musste sie dem Pauli leider wieder recht geben! Das war ein Haken mit einem festen Schnappschloss, von dem konnte sich nicht mal der stärkste Hund losreißen.
„Vielleicht ist die Leine abgerissen, weil sie schon ganz morsch war“, sagte die Rosi.
„Red keinen Plunder, Rosi! Die Leine war total in Ordnung. Die war sogar neu.“ Der Pauli schüttelte den Kopf. „Da war eindeutig ein Hundedieb am Werk. Also könnten wir uns diese Zettel-Kleberei eigentlich sparen.“
„Pudding, wer stiehlt denn schon einen alten, fetten Dackel mit Asthma, aber ohne Stammbaum?“ Die Rosi wollte einfach nicht an einen Hundedieb glauben. Weil sie keine Lust hatte, mit dem Pauli in der nächsten Zeit hinter einem Hundedieb herzujagen. „Das werden wir rauskriegen!“ Die Augen vom Pauli funkelten vor Tatendrang blitzblau.
„Wenn es unbedingt sein muss“, murmelte die Rosi und hoffte inständig, dass der Karli doch noch schnell gefunden wird. Die Rosi liebt den Pauli nämlich. Und tut fast immer, was er will, auch wenn es ihr nicht gefällt. Und Paulis Vorliebe für Kriminalfälle aller Art ist wahrlich ihre Sache nicht.
„Aber die Zettel picken wir trotzdem weiter!“, beharrte sie.
„Weil das haben wir der Frau Mader versprochen.“
„Ist sowieso besser“, meinte der Pauli. „So wiegt sich der Dieb noch in Sicherheit und weiß nicht, dass wir bereits einen Verdacht gegen ihn haben!“
„Genau!“, seufzte die Rosi gottergeben und klatschte die nächste „Verlust-Anzeige“ an die nächste Haustür.
Nachdem das allerletzte Plakat endlich an einer Haustür klebte, liefen die Rosi und der Pauli hurtig heim, denn die Rosi musste ja noch die zwei Geometrie-Hausübungen machen. Und zwar im Blitztempo, bevor Paulis Mama vom Büro daheim war. Paulis Mama kontrolliert nämlich immer die Mathe-Hausübungen ihres Sohnes. Weil der, seit er ins Gymnasium geht, in Mathematik zwischen genügend und nicht genügend steht. Und es ist ihr, sagt sie oft, „ein wahres, echtes Rätsel“, dass er daheim immer alles richtig macht, aber in der Schule dann, an der Tafel, angeblich ein Total- versager sein soll! Das muss, vermutet sie, an seinem Mathelehrer liegen. Der mag wahrscheinlich ihren Sohn nicht, und der spürt das, denn er ist viel sensibler, als er auf den ersten Blick wirkt, und er wird dadurch unsicher und macht Fehler über Fehler. Gute Mamas sind eben so.
Fast hätte die Rosi bei den Geometrie-Hausübungen auch Fehler über Fehler gemacht, denn der Pauli löcherte sie unentwegt mit Fragen zur Peggy der Frau Merny und dem Hubsi vom Herrn Pollak. Wie lange denn die beiden Hunde verschwunden waren, wollte er wissen. Und wie sie wieder zurückgekommen sind? Einfach von selber? Oder hat sie wer gebracht? Und wo denn genau diese Frau Merny und dieser Herr Pollak wohnen? Und ob das kleine oder große Hunde, junge oder alte, sanfte oder bissige sind?
„Was weiß denn ich!“, sagte die Rosi genervt. „Ich habe das alles nur von meiner Mama gehört. Die Frau Merny wohnt bei uns in der Straße, so auf halber Strecke zwischen dir und mir. Und der Herr Pollak wohnt gleich um die Ecke von deinem Haus, den und seinen Hund musst du doch viel besser kennen als ich! Und die Peggy ist ein zittriger Rehrattler, und dieser Hubsi ist irgend so ein Mischling, ein kleiner, zotteliger. Mehr weiß ich echt nicht!“
„Dann krieg es heraus!“, verlangte der Pauli. „Das ist wichtig für unseren Fall!“
„Sehr wohl, Herr Kommissar! Bis morgen habe ich mich kundig gemacht!“, versprach die Rosi und verzichtete darauf, den Pauli zu fragen, was die Peggy der Frau Merny und der Hubsi vom Herrn Pollak mit dem Karli der Frau Mader zu schaffen haben.
Und sie schluckte auch tapfer runter, dass der Pauli eigentlich selber rauskriegen könnte, was er so dringend wissen will!
2. Kapitel,
in welchem der Pauli keine Blinis bekommt, die Rosi Malakofftorte mampfen muss und Lösegeld ins Spiel kommt.
Lautes Hühnergegacker weckte die Rosi am Samstag in aller Herrgottsfrühe. Das grausige Gekreisch war seit einer Woche der Klingelton von ihrem Handy. Die Rosi liebt es, ihr Handy alle paar Wochen anders ertönen zu lassen. Mal rasselt es wie ein alter Wecker, mal trompetet es eine Melodie, mal kichert es wie ein Lachsack, mal brüllt es los wie die Sirene vom New Yorker Überfallskommando.
Gähnend griff die Rosi aufs Nachtkastl, grapschte sich das Handy und blinzelte aufs Display, auf dem PUDDING RUFT AN stand, und drüber als Uhrzeit 7:01.
Sie drückte das Gegacker weg und stöhnte ins Handy: „Bist du des Teufels? Es ist Samstag und noch nicht einmal richtig hell draußen!“
„Weiß ich doch, Süße!“ Die Stimme vom Pauli klang putzmunter.
„Aber der Irre über mir rückt seit sechs Uhr seine Möbel im Kreis herum. Und ich will ja nur schnell wissen, ob du gestern noch irgendetwas erfahren hast.“
„Ruf mich um zehn wieder an, ich schlafe noch eine Runde!“
Die Rosi war fest entschlossen, das Gespräch zu beenden. Aber der Pauli schnurrte sanft: „Rosilein, Süße, für die arme Frau Mader ist jede Stunde ohne ihren Karli schrecklich, wir müssen ihr doch schnell helfen!“
Der sanft schnurrenden Pauli-Stimme kann die Rosi nie widerstehen.
„Na gut, Pudding“, seufzte sie und schwang die Beine aus dem Bett.
„Bei mir oder bei dir?“
„Gibt es bei dir drüben ein richtig schönes Frühstück?“, fragte der Pauli.
„Eher nicht“, vermutete die Rosi. „Außer du bringst was vom Bäcker mit.“
„Dann komm zu mir rüber“, schlug der Pauli vor, „ich mach uns was Schnuckeliges.“
Die Rosi wohnt in derselben Straße wie der Pauli, bloß fünf Quergassen entfernt. Rennt man schnell, schafft man den Weg in drei Minuten. Die Rosi zockelte so verschlafen dahin, dass sie dreimal so lang brauchte. Aber der Pauli hatte das Frühstück ohnehin noch nicht fertig.
„Gibt es heute zum Frühstück Erdäpfelschmarren?“, fragte die Rosi entsetzt, weil sich der Pauli, nachdem er sie in die Küche geführt hatte, daranmachte, Erdäpfel zu reiben. Auf der Seite vom „Laterndel-Reibeisen“, wo die großen Löcher sind.
„Erdäpfelschmarren macht man aus gekochten Erdäpfeln, du Deppenkind“, schnaufte der Pauli emsig reibend, „das sind rohe Erdäpfel. Du kriegst Super-Erdäpfel-Blinis. Und dazu selbst gemachtes Apfelmus!“
„Toll!“ Die Rosi setzte sich zum Küchentisch. „Dafür lohnt es sich, das Bett zu verlassen! Weil wegen dem bissl, was ich erfahren hab, hätte es sich nicht gelohnt, herzukommen.“
„Berichte“, verlangte der Pauli.
„Also, der Merny-Hund war fünf Tage weg, plötzlich war er wieder da, und meine Mama hat die Frau Merny gefragt, wer die Peggy gefunden hat, aber die Frau Merny hat ihr drauf keine Antwort gegeben, obwohl sie sonst eine Tratschen ist, die jeden dauernd anquatscht!“
Der Pauli stellte zwei Schüsseln auf die Arbeitsplatte, nahm die Hälfte der geriebenen Erdäpfel zwischen die Handflächen und drückte sie über einer Schüssel aus. Als zwischen seinen Fingern kein Saft mehr raustropfte, warf er die trockenen Schnipsel in die andere Schüssel.
Dann machte er es mit dem Rest der geriebenen Erdäpfel genauso.
„Und der Hund vom Pollak?“, fragte er, während er zwei Eier am Rand der Schüssel aufschlug und auf die gepressten Schnipsel plumpsen ließ.
„Mit dem Herrn Pollak redet meine Mama nie“, sagte die Rosi.
„Über den weiß sie gar nichts.“
Der Pauli rührte den Gatsch ordentlich durch, stellte eine Pfanne auf den Herd, schüttete ein paar Löffel Öl rein und schaltete die Kochstelle unter der Pfanne an.
Dann hielt er eine Hand prüfend über die Pfanne. So testet er, ob das Fett schon heiß genug zum Braten ist. Wenn es seiner Hand, fünf Zentimeter über dem Fett, zu heiß wird, kann er zu braten anfangen.
„Meine Mama kennt auch keinen“, sagte die Rosi, „der öfter mit dem Herrn Pollak redet. Der ist angeblich ein Eigenbrötler.“
Der Pauli zog die Hand von der Pfanne, klatschte mit einem Löffel Häufchen vom Schnipsel-Gatsch ins Öl und drückte sie mit dem Löffel breit.
„Meine Schwester meint, dass es Hundefänger gibt“, sagte die Rosi.
„Die stehlen Hunde für Tierversuche von Kosmetikfabriken.“
„Dann wären der Merny-Hund und der Pollak-Hund nicht wieder aufgetaucht!“ Der Pauli hob mit einer Gabel ein Blini, um zu sehen, ob es auf der Unterseite schon knusprig war. Es war noch zu hell.
„Vielleicht waren sie der Firma, die Tierversuche macht, viel zu alt und viel zu mickrig“, sagte die Rosi. „Und drum hat man sie laufen lassen.“
Der Pauli deutete auf eine Kanne und sagte, da drin sei Zitronentee, die Rosi solle sich eine Tasse einschenken. Dann wendete er die Blinis mit zwei Gabeln.
Die Rosi schenkte sich eine Tasse vom Tee ein. Kakao wäre ihr lieber gewesen. Aber höflich wie die Rosi nun mal ist, sagte sie das nicht.
Die Rosi mampfte schneller, als der Pauli braten konnte. Zwei Pfannen Blinis hatte sie im Nu verputzt, und schmollte auch noch, als der Pauli die letzten sieben Blinis, die in der Pfanne brutzelten, für sich beanspruchte.
Doch bevor sich der Pauli über den kargen Blini-Rest hermachen konnte, kam seine Mama schnuppernd in die Küche. Sie war noch im Nachthemd und hatte vom Schlaf verwurstelte Haare.
„Reiberdatschi!“, frohlockte sie. „Das nenn ich einen Luxus am frühen Morgen!“
Sie schnappte sich den Teller mit den sieben Blinis und rief:
„Aber doch nicht mit Apfelmus! Da gehören saurer Rahm und geräucherter Lachs dazu. Ist nicht noch ein bissl was vom gestrigen Lachs im Kühlschrank, Sohnemann?“
Der Pauli holte entsagend seufzend einen Teller aus dem Kühlschrank, auf dem unter Frischhaltefolie zwei Scheiben Lachs lagen.
„Mit saurem Rahm kann ich leider nicht dienen, gnä’ Frau!“, sagte er.
Die Pauli-Mama war auch so zufrieden. „Täte direkt nach mehr schmecken“, meinte sie, als sie den letzten Bissen geschluckt hatte.
„Mehr täte es aber nur geben, wenn es noch Erdäpfel geben täte“, sagte der Pauli, schmierte sich ein Butterbrot und kleckste Apfelmus drauf. Dann fragte er seine Mama: „Sag mal, kennst du den Herrn Pollak näher?“
„Na sicher, seit ich auf der Welt bin, also seit vierzig Jahren. Was ist mit ihm?“, fragte die Pauli-Mama besorgt.
„Wegen seinem Hund.“ Näher wollte der Pauli sein Interesse für den Herrn Pollak nicht erklären.
„Den hat er gottlob wieder“, sagte die Pauli-Mama. „Wäre eine Katastrophe gewesen, wenn dem was passiert wäre. Er hat sonst niemanden mehr, seit seine Frau tot ist.“
„Der ist doch angeblich ein Eigenbrötler“, sagte der Pauli. „Und redet mit niemandem.“
Die Pauli-Mama schüttelte den Kopf. „Er redet nur mit Leuten, die er mag. Und mich mag er. Mit mir plaudert er immer, wenn er mich trifft.“
„Könntest du von ihm rauskriegen, wie das mit seinem Hund gewesen ist?“, fragte der Pauli. „Wie er ihn zurückbekommen hat? Und von wem?“
Das, sagte die Pauli-Mama, habe sie vom Herrn Pollak selber schon wissen wollen. Aber er hat es ihr nicht erzählt. Er hat bloß gesagt, dass es ihn „allerhand Geld gekostet hat“. Das hat sie natürlich gewundert, und sie hat ihn gefragt, wieso das allerhand Geld gekostet hat, doch mehr als „Lassen wir das!“ hat er nicht geantwortet. Und wie sie den Herrn Pollak kennt, würde er ihr auch nicht mehr sagen, wenn sie ihn noch zehnmal fragen würde.
„Warum willst denn das wissen? Hat das vielleicht irgendetwas mit dem Karli von der Frau Mader zu tun?“ Die Pauli-Mutter pickte mit dem Zeigefinger das letzte knusprige Erdäpfel-Brösel vom Teller.
„Ist mein kriminalistischer Sohnemann am Ende wieder mal auf Verbrecherjagd?“
Der Pauli gab ihr keine Antwort.
„Keine Antwort ist auch eine Antwort“, sagte die Pauli-Mutter.
„Dann wünsche ich jedenfalls viel Glück, bei was auch immer!“
Sie stand auf, erklärte, dass sie das Bad für die nächste halbe Stunde beanspruche, und dampfte aus der Küche ab.
„Jetzt ist ja wohl alles klar“, sagte der Pauli zur Rosi. „Er hat bezahlt, damit er den Hund zurückkriegt.“
„Wem hat er das Geld bezahlt?“ Der Rosi war überhaupt nichts klar.
„Na, dem, der den Hund entführt hat“, sagte der Pauli. „Und ich traue mich wetten, dass es bei der Frau Merny genauso gewesen ist und bei der Frau Mader auch so sein wird.“
Die Rosi meinte, wenn das so wäre, wären der Herr Pollak und die Frau Merny zur Polizei gegangen. Erpresser muss man anzeigen.
Doch der Pauli erklärte ihr, dass jemand, der Angst um seinen geliebten Hund hat, das möglicherweise bleiben lässt. Und lieber das Geld zahlt, als die Polizei einzuschalten. Falls er sich das leisten kann.
Die Rosi war beeindruckt, aber nicht überzeugt. „Und wie kriegen wir raus, ob du recht hast?“, fragte sie.
„Wir knöpfen uns die Merny vor“, sagte der Pauli. „Wenn der Pollak meiner Mama nichts erzählt hat, erzählt er uns garantiert auch nichts. Also musst du dein Glück bei der Merny versuchen!“
„Wieso ich?“, protestierte die Rosi.
„Weil sie näher bei dir als bei mir wohnt“, sagte der Pauli.
Das war zwar so ziemlich das allerdümmste Argument, das die Rosi je gehört hatte, aber sie murmelte trotzdem: „Okay, ich versuche es halt.“ Wahrscheinlich hatten sie die vierzehn Blinis, die in ihrem Magen lagerten, träge gemacht und aller Widerstandskraft beraubt. Aber einfach an der Tür der Frau Merny zu klingeln, um sie sich „vorzuknöpfen“, fand die Rosi zu aufdringlich. Dazu kannte sie die alte Frau nicht gut genug.
„Ich müsste sie rein zufällig treffen“, sagte sie zum Pauli. „Wo kann man denn eine alte Frau am Samstagvormittag treffen?“
Der Pauli hatte keine Ahnung, wo man eine alte Frau am Samstagvormittag treffen könnte.
„Schon komisch!“ Die Rosi räumte das Geschirr in die Spülmaschine.
„Ich weiß nicht mal, was meine Omas den ganzen Tag lang so tun.“
„In fünfzig Jahren wirst es wissen!“ Der Pauli schrubbte die Blini-Pfanne sauber. „Sei nicht so zickig, klingle einfach an ihrer Tür und sag ihr, was Sache ist.“