Von Arsen bis Zielfahndung

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Je mehr Schnitte zu sehen sind, desto wahrscheinlicher handelt es sich um Selbstmord. Selbstmörder machen oft Probeschnitte, oder sie schaffen es nicht auf Anhieb. Sich die Pulsadern aufzuschneiden ist alles andere als einfach. Man muss der Länge nach schneiden und ziemlich tief. Und man muss die Schlagader gleich treffen. Sobald der Messergriff blutig wird, rutscht er einem aus der Hand. Zuweilen dauert es dem Selbstmörder zu lange, bis er stirbt, und er schneidet eine Reihe von Stellen auf, wo er Schlagadern vermutet. So eine Leiche kann dann regelrecht massakriert aussehen.

Gerichtsmedizinerin Dr. Mimi Brockdorf überprüft dann regelmäßig, ob die Schnitte sich nur dort befinden, wo man mit eigener Hand hinkommt.

Selbstmord durch Kehlschnitt ist auch nicht so selten, wie man womöglich denkt. Wenn man einen Mann mit aufgeschnittener Kehle im Badezimmer findet, hat er höchstwahrscheinlich den Schnitt mit Sichtkontrolle vor dem Spiegel gesetzt. Ist der Selbstmörder Rechtshänder, läuft der Schnitt an der rechten Halsseite lang aus, bei einem Linkshänder umgekehrt. Wenn der Schnitt nicht tödlich war, vollenden manche Selbstmörder ihre Tat mit dem Strick oder gehen ins Wasser.

Fehlen die Probeschnitte, ist das ein wichtiges Indiz für ein Tötungs­delikt. Weist das Opfer außerdem Schnitte an der Innenseite von Hand und Fingern auf, hat es ein Messer abzuwehren versucht, wurde also angegriffen. Am häufigsten richtet ein Aggressor das Messer übrigens gegen den Hals des anderen. Denn der liegt frei, und jeder weiß, wie empfindlich er ist.

Stichverletzungen

Sticht man mit dem Messer geradewegs zu, dann fließt kaum Blut. Das Opfer verblutet nach innen.

Fanny hat mit aller Kraft zugestochen. Aber ihr Exgeliebter Hans-Jürgen Haller ist stehen geblieben. Erstaunt schaut er sie an, verblüfft starrt sie zurück. Das muss er doch verstehen, denkt Fanny. Wenn er sie erpresst … Was soll sie denn tun? Aber wieso fällt er nicht um? Sie sticht noch einmal zu, in den Bauch. Er wehrt sich zwar nicht, aber er fällt auch nicht.

Tatsächlich zeigt das Opfer zunächst kaum eine Reaktion. Deshalb stechen zum Töten entschlossene Täter mehrmals zu, zuweilen so oft, dass es wie eine Tat im Blutrausch aussieht.

Polizeireporterin Suse hat, bevor die Polizei eintrifft, schon fest­gestellt, dass der Investmentvertreter, Kreditbetrüger und wichtige Zeuge in einem Wirtschaftsprozess, Harry Brenner, tot auf dem heimischen Sofa liegt. Abgesehen davon, dass er käseweiß ist, sieht er aus, als schliefe er. Seine Brille liegt, ordentlich zusammen­geklappt, auf dem Couchtisch.

Suse hat auf der Suche nach äußeren Verletzungen den Pullover hochgeschoben und einige Einstiche im Bauch entdeckt. Probestiche, denkt sie. Aber das Messer fehlt. Auch eine andere Stichwaffe ist nirgendwo zu sehen. Hat es Rentner Müller also doch noch geschafft, den Mann, der ihn ums Vermögen gebracht hat, zu töten? Einmal hat er es ja schon versucht, gleich nach der Gerichtsverhandlung. Und doch deuten die Probestiche und die abgelegte Brille so eindeutig auf Selbstmord hin, dass Suse ins Grübeln kommt.

Fehlt das Messer als Tatwaffe neben dem Toten, ist das in der Tat noch kein Beweis für Mord. Ein Selbstmörder hat nämlich durchaus noch Zeit, das Messer in die Küchenschublade oder den Schraubenzieher in den Werkzeugkasten zurückzustecken und sich hinzulegen. Dass sich einer selbst ersticht, ist allerdings sehr selten. Denn es ist schwierig, auszuholen und sich mit großer Kraft kontrolliert und gezielt ein Messer beispielsweise ins eigene Herz zu rammen. Man sticht gern daneben und muss es mehrmals versuchen. Mehrere Einstiche rund um die tödliche Einstichstelle sind auch hier ein Indiz für Selbstmord.

Finden Notarzt und Rechtsmedizinerin bei einem Opfer dagegen nur einen einzigen Stich, der tödlich war, weil er ins Herz ging, dann deutet das auf schwere Körperverletzung mit Todesfolge hin, nicht auf einen geplanten Mord. Typischer »Unfall«, wenn Jugendliche vor der Schule mit Messern fuchteln.

Hiebverletzungen

Da gibt es stumpfe und scharfe Hiebe. Die am häufigsten verwendete Hacke erzeugt beides, je nachdem, ob man mit der stumpfen oder mit der scharfen Seite zuschlägt. Hiebe gehen meist auf den Kopf und machen einen Menschen schnell wehrlos. Auf dem Schädel entstehen Riss- und Quetschwunden mit Schürfungssäumen. Scharfe Werkzeuge erzeugen tiefe Verletzungen, die man mit Stichverletzungen verwechseln kann. Sie sehen aber meist wüster aus und zerstören auch den Knochen. Es entsteht der Eindruck, der Täter müsse besonders brutal vorgegangen sein. Aber wenn jemand erst einmal die Hemmschwelle vor dem Zuschlagen überwunden hat, legt ihm die Waffe fast zwangsläufig nahe, mehrmals zuzuschlagen.

Erschlagene weisen die typischen Deckungsverletzungen auf, also Hiebe an den Armen und Händen, die sie schützend über den Kopf erhoben haben.

Grundsätzlich gilt: Wer mit dem Messer oder Beil auf einen anderen losgeht, hat nicht unbedingt einen kalten Mord geplant, aber er will in diesem Augenblick Blut sehen. Entschlossenheit ist schwer abzuwehren. Es muss dem Opfer klar sein, dass es um sein Leben geht, und es muss sich mit äußerster Entschlossenheit wehren, und zwar in einem Kampf von Körper gegen Körper.

Ersticken

Polizeireporterin Suse hat im Schlafzimmer des tot auf dem Sofa liegenden Investmentbankers und Betrügers Harry Brenner eine Frauenleiche gefunden – erhängt. Aber sie baumelt nicht am Lampenhaken, sie sitzt auf dem Bett, dick und massig, halb zur Seite gekippt. Der Strick ist am Knauf des Bettgeländers festgemacht. Die Schlinge liegt der Toten um den Hals und führt hinter dem Kopf schräg nach oben. Die Zunge ist blaurot aus dem Mund hervorgetreten. Die Nase läuft. Und, puh! Der Frau sind Urin und Kot abgegangen.

Suse behält die Nerven und fragt sich: Mord oder Selbstmord? Vielleicht hat Harry Brenner seine Frau erhängen wollen, bevor er sich selbst umbringt, den massigen Körper aber nicht hochziehen können. Zum Glück hat es dann auch so funktioniert.

Erhängen

Die meisten Menschen, die sich umbringen wollen, nehmen sich einen Strick. Es ist ein schneller Tod. In unseren Krimis finden wir sie am Baum im Wald baumelnd, am Balken auf dem Dachboden oder an einem Lampenhaken im Wohnzimmer.

Viel leichter aber ist es, sich im Sitzen oder Liegen zu erhängen. Was dabei passiert, nennt man Ischämie (sprich: Is-chämie). Gemeint ist die Blutleere eines Organs, in diesem Fall des Gehirns. In dem Moment, wo der Hals in der Schlinge hängt, werden Venen und Arterien im Hals abgeklemmt. Das Gehirn bekommt keinen Sauerstoff mehr und kollabiert. Man verliert beinahe augenblicklich das Bewusstsein. Tot ist man zwar noch nicht, aber man ist unter keinen Umständen mehr fähig, sich selbst aus der Schlinge zu befreien.

Dabei genügt ein Druck in der Schlinge auf die empfindlichen Stellen am Hals von nicht mehr als 3,5 Kilogramm (man findet auch höhere Zahlen). Allein der menschliche Kopf wiegt schon zwischen 4 und 5 Kilo. Kein Selbstmörder muss den berühmten Schemel unter den Füßen wegstoßen oder gar in eine Schlinge springen, um zu sterben. Er muss den Strick nur irgendwo oben festmachen, sich die Schlinge um den Hals legen und die Knie beugen, bis er hängt. Der fast augenblickliche Hirnkollaps verhindert, dass man die Beine wieder strecken kann. Man kann sich sogar im Sitzen oder Liegen erhängen, solange man nur einige Kilo Gewicht in die Schlinge am Hals bringt.

Daraus folgt, dass auch kein Mörder die Leiche an einen Baum hängen muss, um einen Selbstmord vorzutäuschen. Eine erfahrene Gerichtsmedizinerin wird erst stutzig, wenn sie am Hals zwei Strangfurchen vorfindet, eine waagrechte vom Strangulieren durch fremde Hand und eine, die nach oben geht, vom Strick, in dem die Leiche hängt. Oder wenn sie Verletzungen findet, die der Tote sich nicht beigebracht haben kann. Kleine Schlagverletzungen auf den Händen oder Fingern sind wiederum keine Zeichen äußerer Gewalt, sie entstehen, wenn bei den Todeskrämpfen die Hände am Baum, an der Wand oder sonst wo anschlagen.

In der Sprache der Gerichtsmedizin gibt es typisches und atypisches Erhängen. Zu den atypischen Formen gehören das Erhängen im Sitzen oder Liegen, aber auch solche Fälle, bei denen der Strick nicht im Nacken aufsteigt, die Schlinge also vorn herum verläuft, sondern der Strick beispielsweise vorn oder seitlich aufsteigt.

»Es lohnt sich übrigens«, erläutert Gerichtsmedizinerin Dr. Mimi Brockdorf beim Hintergrundgespräch der jungen Polizeireporterin Suse Marquardt, »einen Erhängten sofort abzuhängen, falls er nicht schon steif ist, und die Schlinge zu lockern, wenn man ihn findet. Das Gehirn ist erst nach fünf bis fünfzehn Minuten ­irreversibel geschädigt. Der Individualtod könnte also noch nicht eingetreten sein, der biologische Tod sowieso nicht. Das Herz kann bei Erhängten noch bis zu einer halben Stunde weiterschlagen. Im Kopf läuft das Leben wie im Zeitraffer ab. Das habe ich als Studentin ausprobiert, im Selbstversuch mit Abhängen. Aber bitte nicht nachmachen!«

Dass man beim Erhängen durch Genickbruch stirbt, gehört ins Reich weit verbreiteter Irrtümer, auch wenn manche behaupten, ein Sprung von über 40 Zentimeter in eine Schlinge reiche für einen Genickbruch aus.

Frauen nehmen übrigens immer ihr langes Haar aus der Schlinge, bevor sie sich erhängen. Steckt es noch drin, dann war es kein Selbstmord. Männer haben nicht selten eine finale Erektion mit Ejakulation. Und dem oder der Erhängten läuft die Nase. Es bildet sich nicht selten ein kleiner Speichelsee unter seinen Füßen.

Erdrosseln

Wird eine Schlinge um den Hals zugezogen, ohne dass man sich hineinhängt, sprechen Gerichtsmediziner und Polizei vom Erdrosseln.

 

Damit ist der Fall klar, denkt sich Polizeireporterin Suse. Hier ist es Mord oder zumindest Totschlag. Doch dann schaut sie sich die Lage des Toten genau an. Dr. Herbert Klein sitzt im Ledersessel am Wurzelholzschreibtisch der Vorstandsetage und ist nach hinten gesunken. Der Kaschmirschal ist mit einem eingesteckten Brieföffner zugedreht worden, und dieser Brieföffner wird jetzt von Dr. Kleins Schulter blockiert, so dass sich die Schlinge nicht lösen kann. Könnte Klein das selbst arrangiert haben? Hat er sich umgebracht wie schon der betrügerische Investmentvertreter Harry Brenner? Immerhin ist Klein mal Brenners Chef gewesen. Was läuft da schief im Konzern von diesem Dieter Fuchs?

Es ist sogar ziemlich einfach, sich selbst zu erdrosseln, indem man Schal oder Strick eigenhändig zuzieht. Wieder verhindert der Sauerstoffkollaps des Hirns sehr schnell, dass man sich selbst befreit. Ein raffinierter und in Forensik kundiger Mörder könnte auch versuchen, einen Selbstmord durch Erdrosseln zu inszenieren, doch würde Rechtsmedizinerin Dr. Mimi Brockdorf es an kleinen Ungereimtheiten bemerken, beispielsweise an kleinen Verletzungen, die auf Gegenwehr deuten, oder an fremdem Genmaterial am Schal.

Erwürgen

Und nun auch noch Rentner Müller, der seinerzeit auf den Investmentvertreter Harry Brenner schoss und dem man den Mord an Brenner nie hat nachweisen können. Da liegt Müller nun in seiner Küche auf dem Boden. Eine Waffe ist nicht sichtbar. ­Polizeireporterin Suse findet kleine rote Punkte um die Augen, nadelspitze Blutungen, wie sie bei Innendruck durch Erwürgen entstehen. Und sie entdeckt kleine rote Halbmonde in der Haut am Hals: die Abdrücke von Fingernägeln! Hier hat einer voller Zorn zugedrückt. Selbstmord war das definitiv nicht, Mord aber auch nicht, sondern Totschlag im Affekt. Wer hat da solche Wut gekriegt?

Niemand kann sich selbst mit bloßen Händen erwürgen. Doch der Täter hatte keine weitere Waffe dabei, nur seine beiden Hände. Das spricht dafür, dass er, als er sich mit dem Opfer traf, nicht vorgehabt hatte zu töten. Da ist ein Streit eskaliert.

Außerdem war der Täter höchstwahrscheinlich ein Mann. Und sein Opfer war zu fast 100 Prozent eine Frau (oder ein Kind). Denn um jemanden zu erwürgen, bedarf es einiger Kraft und vor allem Ausdauer. Mit bloßen Händen muss man die Stimmritze im Kehlkopf seines Opfers zudrücken. Bis ein erwachsener Mensch daran erstickt, dauert es bis zu zehn Minuten. Und die Gegenwehr ist anfangs heftig. Der Täter hat vermutlich Kratzverletzungen im Gesicht und an den Händen.

Das Opfer macht sich dabei in die Hosen und bekommt schließlich Krämpfe. Und niemals fehlen einem Erwürgten, Erdrosselten oder gewaltsam Erstickten die zahllosen kleinen Blutungen im Gesicht an Wangen, Augenlidern, Stirn und in den Augen. Sie sind meist nicht größer als ein Stecknadelkopf, aber dafür überall. Die Gerichtsmedizinerin findet sie auch im Körper, beispielsweise am Herzen und im Brustinnenraum, und nennt sie Tardieu’sche Flecken oder Petechien.

Aber Vorsicht: Blutungen der Kapillaren unter der Haut kommen auch bei Lebenden mit Blutgerinnungsstörungen vor.

Geschwächte alte Menschen sind wiederum so leicht umzubringen, dass man es gar nicht sagen mag: Es genügt, ihnen ein Kissen aufs Gesicht zu drücken. Unter Umständen bricht dabei allerdings das Nasenbein. Und bei Säuglingen bedarf es eigentlich nur des Zipfels einer Bettdecke oder der Bauchlage, damit sie keine Luft mehr bekommen.

Reflextod

In der Serie Star Trek gelingt es dem Halbvulkanier Mr Spock, mit einem Fingerdruck auf zwei Nervenpunkte des Schulterblatts seine Gegner schlagartig bewusstlos zu machen. Es handelt sich um den Vulkanischen Nackengriff oder auch den Mr-Spock-Griff. Blöd, dass man den Griff nur von hinten anwenden kann. Polizeireporterin Suse hat das im Streit mit ihrem Ex-Lover mal versucht, sich dabei aber nur eine Ohrfeige eingefangen.

»Kein Wunder!«, erklärt Rechtsmedizinerin Dr. Mimi Brockdorf ihr beim Hintergrundgespräch in einem japanischen Sushi-Lokal. »Die Nervenpunkte für so einen Griff liegen beim Menschen ganz woanders. Nämlich am Hals. Allerdings ist mir noch nie ein Fall untergekommen, bei dem ein Mensch absichtlich durch einen gezielten Schlag gegen den Hals bei einem anderen den Reflextod ausgelöst hat. Unabsichtlich kann das allerdings schon mal passieren. Da nimmt ein großer Bub einen kleinen in den Schwitzkasten und plötzlich ist der Kleine tot. Überdehnung des Vagusnervs.«

Der Reflextod ist ein Herzstillstand infolge eines Reflexes im vegetativen Nervensystem. Aber eben nur sehr theoretisch kann man einen Menschen töten, wenn man weiß, wo sich die Nervenpunkte befinden, die einen reflektorischen Herzstillstand auslösen. Einer dieser Punkte liegt seitlich am Hals, genau dort, wo sich die Halsschlagader nach oben gabelt, etwa da, wo Polizeireporterin Suse bei einem Toten versuchen würde den Puls zu ertasten. Wo die Gabelung der Arteria carotis liegt, ist wiederum individuell sehr unterschiedlich. Genau dort befindet sich der Sinus carotis, auch der Karotissinus genannt. Das sind druckempfindliche Messpunkte des Vagusnervs, die in der Halsschlagader den Blutdruck messen. Drückt man darauf, meldet der Karotissinus ans Hirn einen zu hohen Blutdruck. Das Hirn startet sofort eine Gegenmaßnahme und senkt den Herzschlag – wenn es dumm läuft, bis zum Stillstand.

US-Präsident George W. Bush hat das 2006 mit einer Brezel fast geschafft. Offenbar würgte er ein so großes trockenes Stück herunter, dass der Vagusnerv gereizt wurde. Die Folge: Blutdruckabfall und Ohnmacht. (Manche behaupten auch, dass Bush sich verschluckt und die Husterei den Blutdruck im Kopf erhöht habe.)

Die Mediziner nennen das auch den Bolus-Tod. Er tritt typischerweise im Steakhaus auf, wenn ein alkoholisierter Mensch seinen Fleischbrocken nicht schnell genug gekaut kriegt und runterschluckt. Der Brocken reizt dann den Vagusnerv, der zwischen Halsvene und Halsarterie verläuft, also nah an der Speiseröhre. Auch ein Kopfsprung ins kalte Wasser kann den Reflextod auslösen. Das nennt man dann den Badetod.

Es hatte also durchaus Sinn, dass man früher echauffierten alten Damen zur Beruhigung ein Glas kaltes Wasser einflößte. Kälte reizt den Vagusnerv und senkt Puls und Blutdruck.

Ertrinken

Gerät man mit dem Kopf unter Wasser, hält man zunächst etwa 20 bis 30 Sekunden lang die Luft an. Weil man zugleich wie wild zappelt, um an die Oberfläche zu kommen, wird der Zwang, Luft zu holen, schnell unbeherrschbar. Doch schon kleine Mengen Wasser, die in die Lunge dringen, führen zu Husten und einem Stimmritzenkrampf, der verhindert, dass weiteres Wasser in die Lunge kommt. Also fängt man an, das Wasser zu schlucken. Der Magen revoltiert und erbricht es wieder. Der Stimmritzenkrampf löst sich in den meisten Fällen. Der Ertrinkende zieht Wasser und Erbrochenes in die Lunge.

Süßwassertod

In den Atemwegen vermischen sich Wasser und Sekrete, in der Lunge bildet sich Schaum. Der Organismus erstickt (Hypoxie) und übersäuert (Azidose). Der Tod tritt nach 2 bis 5 Minuten ein. Das nennt man das nasse Ertrinken. Übrigens kann dabei bereits innerhalb einer Minute so viel Wasser aus der Lunge in den Blutkreislauf transportiert worden sein, dass sich das Blutvolumen verdoppelt. Das belastet das Herz so sehr, dass es versagt. Löst sich der Stimmritzenkrampf nicht (selten), stirbt man durch Sauerstoffmangel in Organen und Gewebe. Dann spricht man von trockenem Ertrinken.

Gerichtsmedizinerin Dr. Mimi Brockdorf findet anschließend kein Wasser in der Lunge. Auch beim nassen Ertrinken nicht! Denn Süßwasser wird sofort aus den Atemwegen abtransportiert (Osmose), und das sogar noch nach dem Atemstillstand. Die Ertrinkungslunge ist grauweiß und überbläht, also groß und steif. Die Schnittfläche ist trocken und von einem trockenen und steifen Schaum benetzt. Wenn Dr. Brockdorf mit dem Messer eine solche Lunge durchschneidet, knirscht es wie im Winter, wenn man in kalten Schnee tritt.

»Also wenn Sie den Todeskampf eines Ertrinkenden beobachten«, erklärt Rechtsmedizinerin Dr. Brockdorf beim Hintergrund­gespräch im Sushi-Lokal, »und wenn Sie sich entschließen, in den Badesee zu springen, um ihn zu retten, riskieren Sie Ihr eigenes Leben, es sei denn, Sie sind als Rettungsschwimmerin ausgebildet und kennen die Griffe, mit denen man den Klammergriff panischer Ertrinkender löst. Andernfalls besteht Gefahr, dass Sie gleich mit ersäuft werden.« Dr. Brockdorf lacht. »Haben Sie es aber geschafft und den Menschen bewusstlos ans Ufer geschleppt, können Sie sich die Mühe sparen, Wasser aus der Lunge des Bewusstlosen zu schütteln oder zu pressen. Denn da ist kein Wasser. Sie riskieren damit nur, dass sein Magen sich entleert und er Erbrochenes einatmet.«

Salzwassertod

In Salzwasser ertrinkt man langsamer. Da der Salzgehalt von Meerwasser höher ist als der von Blut, dringt per Osmose Wasser aus dem umliegenden Gewebe in die Lunge, was zu einem Lungenödem führt. Daran stirbt man nicht unmittelbar, es belastet das Herz nicht so wie Süßwasser. Auch hier produziert die Lunge Schleim und Schaum, der aus Mund und Nase tritt. Die Salzwasserlunge ist gebläht wie eine gut gefüllte Wärmflasche.

Reanimation

Wiederbelebungsmaßnahmen müssen bei Ertrunkenen augenblicklich eingeleitet werden: Beatmung und Herzmassage. Rettungsdienste intubieren sofort und geben 100 Prozent Sauerstoff. Nur so können Lungen- und Hirnödeme verhindert werden. Auch wenn der Gerettete wieder atmet, ist er keineswegs über den Berg. Erst wenn er 24 Stunden überlebt, ist die akute Gefahr vorbei. Und selbst dann kann er noch an Spätschäden sterben, nicht zuletzt an Lungeninfektionen durch die mit dem Wasser eingedrungenen Bakterien

Die Wasserleiche

Anhand von Kieselalgenarten, die beim Ertrinken aus der Lunge ins Blut transportiert (Süßwassertod) werden, lässt sich bestimmen, wo der Tote ertrunken ist. Kieselalgen gibt es in vielen Formen, die für bestimmte Gewässer und Gewässerabschnitte typisch sind. Der Ort des Ertrinkens ist meist nicht der Ort, wo die Leiche schließlich auftaucht. Denn ein Ertrinkender verschwindet sofort von der Wasseroberfläche in den Strömungen eines Gewässers.

Die Wasserleiche dreht sich dabei in Bauchlage, denn Kopf und Beine wollen nach unten hängen. Sobald die Zersetzung der Leiche anfängt, steigen Leib und Hintern nach oben. Der schwere Kopf schleift auf dem Gewässergrund und weist an Stirn und Nase sogenannte Treibverletzungen auf. Auch Hände und Füße zeigen Abschürfungen und Wunden, die nicht geblutet haben. Fäulnisgase treiben die Leiche schließlich nach vielen Tagen wieder nach oben. Die Haut ist schrumpelig (Waschhaut) und schwarz, es gibt Algenbesatz, die Haare sind locker, das Körperfett wird wächsern, Fische haben geknabbert.

Merke: Keine Wasserleiche dieser Welt treibt in Rückenlage an der Wasseroberfläche.

Außerdem gibt es noch die Fettwachswasserleichen. Sie sind auf natürlichem Weg konserviert und wie Mumien relativ gut erhalten.

So untersucht gerade (Juni 2009) Prof. Michael Tsokos, Direktor des Rechtsmedizinischen Instituts der Berliner Charité, eine Fettwachswasserleiche, die sich in der Sammlung des Instituts befindet und etwa 90 Jahre alt ist, auf ihre Identität. Denn es könnte sich um die Leiche der Sozialistin Rosa Luxemburg handeln, die nach ihrer Ermordung 1919 in den Landwehrkanal geworfen wurde. Doch »die Frau«, sagt Tsokos (Stuttgarter Zeitung, 4. Juni 2009), »die in der Charité 1919 obduziert wurde, ist niemals im Leben Rosa ­Luxemburg gewesen.« Luxemburg hatte einen Hüftschaden und ungleich lange Beine, doch der Obduktionsbericht von damals sagt, die Leiche habe keinen Hüftschaden oder ungleich lange Beine. Die Leiche wurde dann aber offenbar zu der Luxemburgs erklärt, damit man sie neben Karl Liebknecht beerdigen konnte. Dazu der Rechtsmediziner: »Sie trägt das Medaillon der Sozialistin. Das ist wirklich Blödsinn. Ich habe Hunderte von Wasserleichen gesehen. Nach einigen Tagen im Wasser haben die nichts mehr an, alles wird abgerissen.«

Die Fettwachsmumie, die in der Charité jetzt untersucht wird, hat weder Hände noch Füße. Aber »die Leiche hat die Körperproportionen und exakt die Körperlänge von Rosa Luxemburg«, so Tsokos. »Das Labor sagt, der Körper könnte aus der Zeit kommen. Der Computertomografie zufolge war die Frau zum Zeitpunkt des Todes zwischen 40 und 50 Jahren alt. Luxemburg starb mit 47 Jahren. Und die Leiche hat einen Hüftschaden. […] Historiker berichten, Luxemburg sei nach ihrem Tod mit Drahtschlingen um Fuß- und Handgelenke gefesselt und beschwert worden. Bei Wasserleichen gibt es nach einigen Wochen Auftrieb. Das könnte erklären, warum Hände und Füße abgerissen sind.«

 

Ob es sich bei dieser namen- und nummernlosen Leiche in der Sammlung der Charité wirklich um die von Rosa Luxemburg handelt und im Grab die Falsche liegt, kann jetzt nur noch durch einen Genvergleich geklärt werden. Das DNS-Profil der Leiche ist erstellt. Jetzt braucht das Institut Gegenstände, die Luxemburg benutzt hat, Briefe von ihr, deren Briefmarken sie vielleicht angeleckt hat, oder blutsverwandte Nachfahren.5

Sprengstoff

Fanny hat Pistole, Messer und Strick verworfen, und auf ein Boot hat sie ihren Mann auch nicht bekommen, um ihn beim Törn in den Bodensee zu stoßen. Aber irgendwie muss es doch gehen! Am besten schnell, sauber und anonym. Vielleicht ein Sprengstoff­anschlag, eine Bombe im Auto beispielsweise? Dann müsste Fanny ihn nicht attackieren, keinen Abzug drücken. Dieter würde gewissermaßen selbst entscheiden, wann er stirbt, und sie wäre zu diesem Zeitpunkt weit weg. Die gottgleiche Entscheidung über den Moment seines Todes wäre ihr abgenommen.

Allerdings muss man eine Weile basteln, sich mit Autos, Zeitschaltuhren und Kabeln auskennen und von irgendwoher Sprengstoff bekommen. Falls man sich von einem Tschechen Semtex mitbringen lässt, hätte man einen Zeugen der Tat und wäre erpressbar.

Und bevor wir Fanny Fuchs das Auto ihres ungeliebten Mannes in die Luft jagen lassen, sollten wir uns selbst fragen, ob wir uns zutrauen würden, den Bombenzünder an die Zündung des Autos anzuschließen, und ob das bei der Nobelkarosse, die Fanny Fuchs’ Ehemann fährt, überhaupt so geht, wie wir das aus alten Filmen vom Kurzschließen von Autos kennen. Und wir sollten uns klarmachen, dass fast alles, was man zum ersten Mal verkabelt und anschließt, nicht funktioniert. Das gilt für den neuen DVD-Player genauso wie für einen Bombenzünder, nur dass der DVD-Player nicht vorzeitig explodiert. Wenn man den Bau von Zündern beherrscht, sind Bomben eine böse Distanzwaffe, die viel Schaden anrichtet, übrigens auch Kollateralschäden. Unbeteiligte können ums Leben kommen, unschuldige Kinder.

Und man hinterlässt jede Menge Spuren. Über die Markierungsstoffe des Sprengstoffs kann die Polizei den Handelsweg zurückverfolgen und den Lieferanten finden. Hunde riechen Plastiksprengstoff, weil er in fast allen Staaten der Welt mit deutlich riechenden Stoffen und – für Metalldetektoren – mit Metallspänen versetzt werden muss. Auf Englisch heißen diese Markierungsstoffe Tagging Agents oder Taggants. Wenn wir in unserem Krimi Plastiksprengstoff einsetzen, wird die Polizei binnen kurzem wissen, wo das Zeug herstammt. Und sie wird, wenn sie eine Person verdächtigt, mit Sprengstoff hantiert zu haben, sofort jede Menge Proben von Kleidern, Tischen, Messern oder Handschuhen nehmen, um Partikel des Sprengstoffs nachzuweisen. Außerdem verraten der Zünder und die Zündungstechnik, die unser Mörder verwendet, jede Menge über ihn. Die Einzelteile muss er ­irgendwo gekauft haben. Hat er sie übers Internet bestellt und die Bauanleitung auch aus dem Internet, dann hat er im Netz jede Menge Spuren hinterlassen, welche die Polizei, wenn sie einmal Verdacht geschöpft hat, auf seinem PC nachvollziehen kann.

Sprengstoffe und Zünder gibt es in vielen denkbaren und undenkbaren Varianten. Wenn das unser Krimithema wird, werden wir uns ausführlich kundig machen müssen. Grundsätzlich kommt es beim Sprengstoff immer darauf an, dass chemische Elemente miteinander reagieren und dabei blitzschnell sehr viel Hitze freisetzen, weshalb Sprengstoff einen Träger braucht, der dafür Sauerstoff zur Verfügung stellt, einen brennbaren Grundstoff und einen Stabilisator, der hilft, die Explosion zu steuern.

Schwarzpulver

Der erste Sprengstoff, der zum Schießen verwendet wurde, besteht aus 75 Prozent Kaliumnitrat (Salpeter), 15 Prozent Holzkohle und 10 Prozent Schwefel, der säurefrei sein muss. Salpeter ist der Sauerstofflieferant. Das Kohlepulver ist der Brennstoff, der Schwefel hilft, damit das Ganze beim kleinsten Funken zu brennen anfängt. Alle Bestandteile müssen klein zermahlen und gleichmäßig vermischt werden. In Pulvermühlen wird das Gemisch feucht zum Kuchen gepresst, getrocknet, wieder zerstoßen und gekörnt oder als Mehlpulver belassen. Die Größe der Kügelchen entscheidet, wie schnell das Zeug abbrennt. Schwarzpulver hält, luftdicht verpackt, über Jahrhunderte. Es ist allerdings, wenn man es selbst herstellt, ziemlich unberechenbar. Es explodiert auch gern mal vorzeitig.

Dynamit

1866 erfand Alfred Nobel einen starken und kontrollierbaren Sprengstoff. Es besteht aus 75 Prozent Glycerintrinitrat (volkstümlich: Nitroglyzerin) als explosiver Komponente, 24,45 Prozent Kieselgur als Trägermaterial und 0,5 Prozent Natriumcarbonat (Soda) als Stabilisator. Glycerintrinitrat allein explodiert bereits bei leichten Schlägen und Erschütterungen. Wenn man es mit Kieselgur mischt, ist es weniger empfindlich. Das war Nobels Entdeckung. Seine Dynamitstangen brauchten jetzt eine Initialzündung. Die Sprengwirkung von Dynamit ist deutlich stärker als die von Schwarzpulver.

Plastiksprengstoff

Er heißt nicht deshalb Plastiksprengstoff, weil er aus Plastik bestünde, sondern weil er plastisch ist, also verformbar. Semtex besteht zu einem Teil aus Kautschuk. Der wohl bekannteste verformbare Sprengstoff wurde 1966 in Tschechien erfunden und ist nach Semtin benannt, einer Vorstadt von Pardubice in Ostböhmen. Der Erfinder griff auf eine britische Vor­erfindung zurück, genannt PE-808 oder auch RDX (Hexogen). Das war ein wasserfestes kittähnliches Zeug, das man in Behälter füllen oder irgendwohin streichen konnte. Es war gelbbraun, seine giftigen Gase rochen nach Marzipan und verursachten Kopfschmerzen. Semtex ist aus RDX (Hexogen), PETN (Pentaerythrittetranitrat, Nitropenta) und Binde- und Knetmitteln gemixt. Im Bergbau wird Plastiksprengstoff kaum verwendet, weil er zu teuer ist, und auch die kommerziellen Gebäudesprenger benutzen geeignetere Sprengstoffe wie Ammongelit (Ammoniumnitrat und Aluminium).

Stromtod

Zufällig ist unser Haushaltsstrom von 230 Volt und 50 Hz besonders gefährlich. Hochfrequente Ströme ab 100 000 Hz hingegen beeinträchtigen unsere Nerven und Muskeln nicht mehr. Entscheidend für die Wirkung von Strom sind Stromstärke, Stromweg, Durchströmungszeit und Konstitution des Opfers. Strom erzeugt eine unwillkürliche Muskelkontraktion. Fasst man eine Stromquelle an, schließt sich die Hand. Die Beuger der Hand sind stärker als die Strecker, deshalb kann man nicht mehr loslassen. Fließt Strom durch das Herz, droht Herzstillstand. Das Gehirn ist dagegen durch den Schädelknochen ziemlich gut vor Strom geschützt.

Je kürzer der Strom durch den Körper fließt, desto weniger gefährlich ist er. Niedrige Spannungen, die lange fließen, lösen Kammerflimmern, Ersticken durch Krampf der Atemmuskulatur und Herzstillstand aus. Gefährlich ist auch die Wärme, die Strom im Körper erzeugt. Muskelsubstanz wird gekocht, der Eiweißabfall, der entsteht, wirkt giftig. Man stirbt später an einer Nierenschädigung.

Bei Hochspannung (über 5000 V) kann die Spannung ohne direkte Berührung des stromführenden Gegenstands überspringen. Es gibt einen Lichtbogen, der schwerste Hautverbrennungen erzeugt. Das Gesicht ist schwarz, und man sieht weiße Aussparungen in den Augenfalten, weil das Opfer die Augen zusammengekniffen hat.

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