Buch lesen: «Kulturgeschichte der Überlieferung im Mittelalter»
UTB 4554
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Elisabeth Gruber, Christina Lutter, Oliver Jens Schmitt
Kulturgeschichte
der Überlieferung
im Mittelalter
Quellen und Methoden zur Geschichte
Mittel- und Südosteuropas
BÖHLAU VERLAG WIEN KÖLN WEIMAR · 2017
Impressum
Elisabeth Gruber ist Mitarbeiterin am Institut für Realienkunde des Mittelalters und der frühen Neuzeit der Universität Salzburg in Krems und Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung.
Christina Lutter ist Professorin für Österreichische Geschichte an der historisch-
kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien und Mitglied des Instituts für Österreichische Geschichtsforschung.
Oliver Jens Schmitt ist Professor für Geschichte Südosteuropas an der historisch-kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Wien.
Eine vollständige Liste aller Beiträgerinnen und Beiträger findet sich am Ende des Buches.
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Umschlagabbildung: Siegel des Patriarchen Visarion, 13. Jahrhundert,
Siegelabbildung revers. Foto: Ivan Jordanov.
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Einbandgestaltung: Atelier Reichert, Stuttgart
Korrektorat: Claudia Macho, Wien
Kartographie: Joachim R. H. Zwick, Ingenieurbüro für Kartographie, Giessen
Satz: büro mn, Bielefeld
Druck und Bindung: Pustet, Regensburg
Gedruckt auf chlor- und säurefreiem Papier
Printed in Germany
UTB-Band-Nr. 4554 | ISBN 978-3-8252-4554-2 | eISBN 978-3-8463-4554-2
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Inhaltsverzeichnis
Cover
Impressum
Über dieses eBook
Vorwort
Erläuterungen zur Verwendung von Ortsnamen
Einleitung – eine Annäherung
1
1.1 „Moderne“ Wissenschaften und Nationen
1.2 Nationale Geschichtsbilder
1.3 Wiener Methodenausbildungen und ihre Ausstrahlung nach Südosteuropa
1.4 Ausblick: nach 1945 – nach 1989
2
2.1 Überblick über die politischen Veränderungen 500–900
2.2 Forschungstraditionen und Methoden zur frühmittelalterlichen Geschichte Mittel- und Südosteuropas
2.2.1 Spätantike Karten: Die Tabula Peutingeriana
2.2.2 Spätantike Epigraphik und das Ende der Alten Welt (300–500)
2.2.3 Linguistische Quellen zum Frühmittelalter: Zur Aussagekraft der historisch-vergleichenden Sprachwissenschaft
2.3 Die Kirche als Trägerin frühmittelalterlicher Überlieferung
2.3.1 Differenzierung und Integration durch Glauben
2.3.2 Integration durch Schriftlichkeit
2.4 Die Materialität der Quellen: Archäologie und Architektur, dingliche und bildliche Überlieferung
2.4.1 Stratigraphie eines Burghügels – das Beispiel von Alessio/Lissus/Lezha
2.4.2 Die Fundinterpretationen in der Mittelalterarchäologie der Provinz Vojvodina
2.4.3 Inschriften als Quelle für Herrschaftsgeschichte: Frühmittelalterliche kroatische Inschriften
2.4.4 Ein Steppenvolk erobert den östlichen Balkan: Bildkultur und Schriftlichkeit in proto-bulgarischen Inschriften
2.4.5 Die Siegel des mittelalterlichen Bulgarien 864–971
2.5 Ordnung ins Chaos? Das Handbuch De Administrando Imperio (948–952) des Konstantin Porphyrogénnetos
3
3.1 Neue Herrschaftsbildungen 1000–1300: Adels-, Hof- und Klosterkultur
3.2 Herstellung von Sicherheit: Recht setzen und gestalten
3.2.1 Urkundliche Überlieferung im mitteleuropäischen Kontext
3.2.2 Fälschungen und Herrschaftslegitimation
3.2.3 Urkunden der lateinischen Kaiserkanzlei der Romania (Lateinisches Kaiserreich von Konstantinopel)
3.2.4 Serbische Herrscherurkunden
3.2.5 Urkunden als Spiegel von Kultureinflüssen: Fallbeispiel Moldau
3.2.6 Rechtskodifikationen in Mitteleuropa
3.2.7 Das Gesetzbuch des Stefan Dušan
3.2.8 Die fränkischen Assisen in Griechenland
3.2.9 Mittelalterliches Stadtrecht an der östlichen Adriaküste und in Mitteleuropa
3.3 Geschichte(n) erzählen: Historiographie, Hagiographie und Literatur
3.3.1 Geschichten erzählen: Geistliche und weltliche Überlieferung
3.3.2 Hagiographie und ihre politischen Funktionen: Böhmen und Mähren
3.3.3 Heilige Könige: Serbische Königsviten als balkanslawische Form der Herrscherrepräsentation
3.3.4 Klösterliche Annalistik
3.3.5 Chronistik des 12. und 13. Jahrhunderts
3.3.6 Deutschsprachige höfische Literatur: Ein Überblick
3.4 Visuelle und materielle Kultur
3.4.1 Materielle, bildliche und schriftliche Überlieferung als Medien von Repräsentation und Kommunikation
3.4.2 Burgen als Medien mittelalterlicher Herrschaftspraxis
3.4.3 Memoria multimedial: Inschriften und Wappen im Dienste von Erinnerung und Repräsentation
Übersichtskarten Mittel- und Südosteuropa
Karte 1 Physische Übersicht
Karte 2 Mittel- und Südosteuropa um 500
Karte 3 Mittel- und Südosteuropa um 800
Karte 4 Mittel- und Südosteuropa um 900
Karte 5 Mittel- und Südosteuropa um 1000
Karte 6 Mittel- und Südosteuropa um 1200
Karte 7 Mittel- und Südosteuropa um 1400
Karte 8 Mittel- und Südosteuropa um 1475
Karte 9 Wichtige Handelswege
Karte 10 Universitäten
4
4.1 Herrschaft und pragmatische Schriftlichkeit 1300–1500: Städtische Gemeinschaften
4.2 Verschriftlichung und Normierung: Bausteine institutioneller Überlieferung
4.2.1 Professionalisierung in der Territorialverwaltung: Südosteuropa
4.2.2 Sicherung der Stadtverfassung durch Rechtsbücher: Wien – Prag – Ofen
4.2.3 Die Archive sprechen: Notarsprotokolle und Prozessakten im Vergleich
4.3 Stadt als Raum
4.3.1 Ansichten der Stadt: Chroniken, Karten und Pläne
4.3.2 Himmel über Prag und Wien: Städteportraits im 15. Jahrhundert
4.3.3 Die Stadt und ihr Umland: Umweltgeschichte, Donaustädte, Grundherrschaft
4.4 Soziale Gruppen und Gemeinschaften
4.4.1 Gebets- und Wirtschaftsgemeinschaften
4.4.2 Stadt und Fürsorge: Bettelorden, Spitäler und religiöse Stiftungen
4.4.3 Liturgie in der Stadt: Prozessionen, Altäre und Stiftungen
4.4.4 Ländliche Gemeinschaften in Dalmatien
4.5 Verflechtung spätmittelalterlicher Lebensräume
4.5.1 Quantifizierte Personen: Universitätsmatrikel
4.5.2 Bücherverzeichnisse als Abbild städtischer Beziehungsgeflechte
4.5.3 Zur christlich-jüdischen Koexistenz in der Stadt
4.5.4 Hof, Adel und Religion: Böhmische Buchmalerei zur Zeit der Luxemburger und der Hussitenkriege
4.5.5 Narrative der Herrschaftsrepräsentation und -praxis
4.6 Kommunikation und Korrespondenz: Politische und pragmatische Schriftlichkeit
4.6.1 Reform, Konzil und Korrespondenz: Böhmen und die Kirche
4.6.2 Endlich Zahlen: Osmanische Steuerregister
4.6.3 Handelsregister als quantitative Quelle: Dalmatien
4.6.4 Italienische Gesandtenberichte als Schlüsselquellen der politischen Geschichte Südosteuropas?
Ausblick
Abbildungsnachweis
Bibliographie | eBookplus
Personenregister
Geographisch-ethnographisches Register
Quellenregister
Verzeichnis der Beiträgerinnen und Beiträger
Rückumschlag
Vorwort
In den vergangenen fünf Jahren, in denen wir an diesem Buch arbeiteten, wurde die Frage „Was ist Europa?“ in unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen neu gestellt. In diesem Zeitraum wurden Jahrestage des Endes der Teilung Europas (1989) und der darauf folgenden fundamentalen Veränderungen der europäischen politischen Landschaft gefeiert, Fragen nach der Zugehörigkeit zu diesem Europa, nach Begründungen von Ein- und Ausschlüssen gestellt; die räumlichen Begriffe „Mittel“-, „Zentral“- und „Südost“-Europa wurden und werden neu und oft kontrovers definiert, und nicht zuletzt historisch argumentiert. Diese Kontexte lassen sich beim Verfassen einer „Kulturgeschichte der Überlieferung“ Mittel- und Südosteuropas nicht ausblenden, auch wenn sie dem Mittelalter gewidmet ist. Denn damals wurden – weder linear noch ungebrochen, sondern in unterschiedlichen Rhythmen und komplexen Verfechtungen – allmählich die Eigenschaften geformt, welche dieses Europa in seiner Vielfalt ausmachen.
Vor diesem Hintergrund entstand das Buch auf mehreren Ebenen der Auseinandersetzung: jener der aktuellen gesellschaftspolitischen Diskussionen; jener des wissenschaftlichen Diskurses, mit Kolleginnen und Kollegen unterschiedlicher Fachdisziplinen und geographischer Verortung, die sich im weitesten Sinn mit den überlieferungsgeschichtlichen Grundlagen unseres Wissens über das, was wir heute „Europa“ nennen, auseinandersetzen, ebenso wie mit jenen, die sich in einer transkontinentalen Perspektive mit größeren Zusammenhängen befassen, in denen Aspekte einer europäischen Geschichte differenziert und konturiert werden können; und schließlich der Ebene der Auseinandersetzung mit unseren Studierenden, die sich dafür interessieren, warum die Beschäftigung mit den Quellen mittelalterlicher Geschichte und den Methoden ihrer Untersuchung für die Fragen, die uns heute bewegen, wichtig und bedeutsam ist.
Dieses Buch ist daher einer vergleichenden Perspektive verpflichtet. Sie hat uns auch dazu bewogen, gewohnte Gestaltungsprinzipien solcher Einführungsbücher abzuwandeln: Wir haben diesen Band gemeinsam verfasst und zusätzlich dort Forscherinnen und Forscher um Gastbeiträge gebeten, wo unsere eigene Expertise an ihre Grenzen stieß. Ihnen sei an erster Stelle mit besonderem Nachdruck gedankt, sich auf dieses „Experiment“ der überfachlichen Zusammenarbeit eingelassen zu haben. Angesichts der räumlichen und zeitlichen Dimensionen, die das Buch umfasst, haben wir zudem eine Reihe von Fachleuten unterschiedlicher Fachkulturen eingeladen, den [<<9] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe Text vorab zu lesen und mit uns in einem Intensiv-Workshop zu erörtern: Unser großer Dank für diese detaillierte Auseinandersetzung und die wertvollen Kommentare, Ergänzungen und Korrekturen gilt Gábor Klaniczay, Jonathan Lyon, Judit Majorossy, Claudia Märtl, Ferdinand Opll, Konrad Petrovsky, Walter Pohl, Bernd Schneidmüller, Katalin Szende und Petr Štih, die hier stellvertretend für die zahlreichen Kolleginnen und Kollegen genannt werden sollen, durch deren Wissen, Kritik und Anregungen dieses Buch erst ermöglicht wurde. Der vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) geförderte Spezialforschungsbereich VISCOM (SFB 42) Visions of Community: Comparative Approaches to Ethnicity, Region and Empire in Christianity, Islam and Buddhism (400–1600 CE) bot einen hervorragenden Rahmen, die skizzierten Fragestellungen aus einer Vielzahl von Perspektiven zu diskutieren – gerade weil dort Europa nicht im Zentrum steht.
Der Breite der hier behandelten Themen ist auch unsere Entscheidung geschuldet, die notwendigerweise detaillierte und damit sehr umfangreiche Bibliographie vollständig online und nicht in Form eines bibliographischen Anhangs zugänglich zu machen und damit der quellenbezogenen Kontextualisierung im gedruckten Buch mehr Raum zu geben. Direkte Nachweise von Quellen und Literatur werden dafür unmittelbar im Textzusammenhang gegeben, ebenso wie solche zum Bildmaterial, das integraler Bestandteil der diskutierten Überlieferungsformen ist. Wir danken dem UTB-Verlagskonsortium, besonders dem Böhlau Verlag, namentlich Julia Beenken und Ursula Huber, für professionelle Betreuung und Lektorat, und nicht zuletzt für das Entgegenkommen bei diesen editorischen Entscheidungen ebenso wie dafür, dass in diesem Einführungsformat Bild- und Kartenmaterial großzügig berücksichtigt werden konnte. Für die gemeinsame Erstellung eines eigenen Kartensatzes für dieses Buch gilt unser Dank Joachim Zwick, für die Unterstützung bei der Erarbeitung der Bibliographie Daniel Frey und Birgit Aubrunner, für die kontinuierliche Begleitung der Konzeptentwicklung Karl Brunner und für ihre mehrfache kritische Lektüre Stefan Erdei, Herwig Weigl und Horst Wenzel.
Eine vergleichende Kulturgeschichte der Überlieferung liegt in mancherlei Hinsicht quer zu den gewohnten Kategorien der Einordnung mittelalterlicher Quellen und der Methoden ihrer Bearbeitung. Das beginnt bei der Auswahl des Materials, der Frage nach dessen Repräsentativität, und führt bis hin zu den vielfach verflochtenen Wissenschaftsgeschichten seiner Auffindung, Ordnung und Bearbeitung. Eine mittel- und südosteuropäische Perspektive auf Überlieferungsformen, die uns Auskunft über Aspekte des Werdens des mittelalterlichen Europa geben, macht Heterogenität und Ungleichzeitigkeit von historischen Entwicklungen, die den Kontinent auch heute prägen, besonders deutlich. Manche der Wege, die wir dabei erkundet haben, waren [<<10] noch wenig beschritten, manche Frage konnte nur skizziert werden, manche Unübersichtlichkeit bleibt bestehen, oft fehlen Quellen, während in anderen Fällen aus der Fülle des Materials eine Auswahl getroffen werden musste. Unser Anliegen ist es zu zeigen, dass Überlieferungsgeschichte mehr bieten kann als Quellenkenntnis allein, dass eine kulturwissenschaftliche Verortung der Überlieferung robustere Brücken zwischen den Gegenständen der Forschung und den Möglichkeiten ihrer Interpretation bauen hilft. Damit hoffen wir einen Beitrag zu einer Verflechtungsgeschichte historischer Räume zu leisten, deren Uneindeutigkeit und je zeitgebundene Neuerfindung für jede Generation von Historikerinnen und Historikern wieder eine neue Herausforderung ist.
Wien, im Mai 2016 [<<11]
Erläuterungen zur Verwendung von Ortsnamen
In einem vielsprachigen Raum mit bisweilen starker sprachlicher Durchmischung, die erst durch Flucht und Vertreibung im 20. Jahrhundert teilweise zerstört worden ist, stellt die Schreibweise von Ortsnamen eine besondere Herausforderung dar. Die Verwendung heutiger Ortsnamen allein wird der kulturellen Gemengelage im Mittelalter nicht gerecht. Auch kann sie sprachlich-demographische Verschiebungen im Laufe der Geschichte nicht abbilden. Alle historischen Sprachgruppen im Betrachtungsraum dieses Buches haben für Ortsnamen, auch außerhalb ihres mehr oder minder geschlossenen Sprachraumes, eigene Bezeichnungen. Dieser Komplexität versuchen wir, mit unterschiedlichen Mitteln Rechnung zu tragen.
Fließtext
Da sich dieses Buch an deutschsprachige Leserinnen und Leser richtet, werden im Fließtext sowie in den Karten bei häufiger Nennung in der Regel deutsche Ortsnamenformen verwendet, die – sofern existent – auch in der folgenden Ortsnamenkonkordanz an erster Stelle stehen. Ergänzend werden die zeitgenössisch am häufigsten verwendeten Formen genannt, um die kulturelle Vielfalt im Betrachtungsraum zu unterstreichen, sowie in der Konkordanz zusätzlich jeweils die heute gültige amtliche Form (z. B. Pressburg/Bratislava/Pozsony).
Karten
Die Karten versuchen, historische Entwicklungsprozesse von der Spätantike bis ins Spätmittelalter abzubilden, indem epochal einschlägige Namensvarianten angegeben werden. Zugleich müssen auch sie auf Lesbarkeit und Verwendbarkeit Bedacht nehmen.
In der physischen Karte, die der allgemeinen Orientierung dient, entsprechen die Ortsnamenformen als einzige ausschließlich dem heutigen Sprachgebrauch. Überall sonst soll die beschriebene Herausforderung mit einem Ansatz gelöst werden, der am besten anhand eines Beispiels erläutert werden kann: Im Falle der adriatischen Ostküste, wo die Siedlungskontinuität besonders bedeutsam ist, wird etwa für das bereits im [<<12] Seitenzahl der gedruckten Ausgabe Mittelalter so belegte Dubrovnik zusätzlich auch der frühmittelalterliche griechische Ortsname Raúsion angegeben, für die Zeit um 1200 das im ganzen Mittelmeerraum bekannte und bis weit in das 20. Jahrhundert verwendete Ragusa, für die späteren Karten aus Gründen der Übersichtlichkeit nur noch Dubrovnik.