Geschichten aus Friedstatt Band 3: Friedstatt muss leben!

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Aus der Reihe: Geschichten aus Friedstatt #3
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Geschichten aus Friedstatt Band 3: Friedstatt muss leben!
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Christian Voß

Geschichten aus Friedstatt Band 3: Friedstatt muss leben!

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Inhaltsverzeichnis:

Prolog:

Drachenkriege: Die verzehrende Plage

Papier kann töten

Rätsel über Rätsel

Brandheiße Führung

Überraschungsbesuch

Erstkontakt

Geisterwerke voraus

Stadtbesichtigung auf orkisch

Geisterwerke Voraus 1.1

Todeszirkel

Kinderkram

Spukie im Glas

Voll ins Auge

Geisterwerke Voraus 1.2

Ein Werwolf lernt fliegen

Der Todeszirkel 1.1

Die neue Ordnung

Der Todeszirkel 1.2

Ohngesicht

Geisterwerke Voraus 1.3

Voll ins Auge 1.1

Der Todeszirkel 1.3

Gott per Zufall

Der einsame Prinz

Geisterwerke Voraus 1.4

Neuorientierung

Alte Freunde neue Ziele

Arwek und sein Schatz

Seemanns Alptraum

Alte Freunde neue Ziele 1.1

Schattentheater

Alte Freunde neue Ziele 1.2

Tödliche Lieferung

Drachenmacht

Gespräch unter Toten

Alte Freunde neue Ziele 1.3

Impressum neobooks

Inhaltsverzeichnis:

1. Kapitel: Die verzehrende Plage

2. Kapitel: Papier kann töten

3. Kapitel: Rätsel über Rätsel

4. Kapitel: Brandheiße Führung

5. Kapitel: Überraschungsbesuch

6. Kapitel: Erstkontakt

7. Kapitel: Stadtbesichtigung auf orkisch

8. Kapitel: Todeszirkel

9. Kapitel: Kinderkram

10. Kapitel: Spukie im Glas

11. Kapitel: Voll ins Auge

12. Kapitel: Ein Werwolf lernt fliegen

13. Kapitel: Die neue Ordnung

14. Kapitel: Ohngesicht

15. Kapitel: Gott per Zufall

16. Kapitel: Der einsame Prinz

17. Kapitel: Neuorientierung

18. Kapitel: Alte Freunde, neue Ziele

19. Kapitel: Arwek und sein Schatz

20. Kapitel: Seemanns Alptraum

21. Kapitel: Schattentheater

22. Kapitel: Tödliche Lieferung

23. Kapitel: Drachenmacht

24. Kapitel: Gespräch unter Toten

Prolog:

Hell strahlst du im Dunkel einer Weltennacht.

Eine Stadt, mein Herz – in deinen engen Gassen, fühl ich mich beschützt. Du bist voller Leben, ungeduldig wie ein geiler Freier. Mal schön, mal hässlich doch immer fair. In ihrer unbeschnittenen Freiheit jung geblieben und meist stockbesoffen.Die Nacht umarmt mich regelmäßig und führt meinen scheuen Blick ins Dunkel des Vergnügens. Jauchzen könnt ich vor Staunen und Glück, in dieser Stadt zu leben. Auf alten Beinen stehst du – doch jung in den Hüften und gnädig im Kopf. Fehler sind ihr Reichtum, Makel ihr Gesetz. Friedstatt dein Name geht mir zärtlich von den Lippen. Du bist ein Quell, ein Ofen, ein Schmelztiegel dein Produkt eine lebende Utopie. Lange schon liebe ich Dich und trotz aller Unbill bin ich ein treuer Verehrer geblieben..

Ergänzt von Eduard Wutklinge

Die Drachen waren schon lange fort – niemand, bis auf die Kinder, vermissten sie. Oft suchten sie vereint, mit wachem Blick den Himmel ab und seufzten kurz darauf enttäuscht. Die Handelsgilde vermisste weder diese schuppige Brut, noch ihren ausgebüchsten Halter. Die Stadtburg der Inquisition war geschliffen. Niemand trat ihr Erbe an, vorerst – jedenfalls. Nicht eine Seele, der Führungsriege und ihrer nächsten Handlanger, schienen den spontanen Pogrom überlebt zu haben. Die Raben freuten sich ungeniert, auch die Stadtwache machten keinen Hehl aus ihrer Schadenfreude. Diese fragwürdigen Gruppierungen wuchsen an, wurden präsenter und prägten fortan das Stadtbild. Niemand schien die zahlreichen, verkohlten Leichname der Inquisition begraben zu wollen, nicht mal die Leichensammler nahmen Notiz, von den spärlichen Überresten. So traten die Reliquienjäger auf den Plan und pickten, in den Überbleibseln des ehemals stolzen Gebäudes wie ein wild gewordener Hühnerhaufen. Alles was an brauchbaren Überbleibsel zu finden war, fand ohne Umweg, seinen Weg in versiegelte Einmachgläser. Mit der Zeit wuchs Gras auf der Ebene und niemand wagte mehr, das ehemalige Gut zu betreten. Angeblich hatten die Drachen das Land verheert und als würde das noch nicht langen, um unliebsame Gäste abzuhalten, gleich noch oben auf, auch noch zusätzlich verseucht.

Der Sturm wütete entfesselt durch die Stadt, niemand bis auf die direkt Betroffenen, nahm ihn anscheinend wahr, mit einer Ausnahme. Die Zeitung widmete sich dem unbekannten Phänomen und schenkte ihm ein paar Zeilen: Sandsturm sprang über die Stadtmauer und wanderte durch die Stadt – hieß es kurz und knapp, an ernstzunehmender Recherche schien niemand interessiert. Augenzeugen wurden gesucht – vergeblich. Nicht einer meldete sich. Diese sandgefüllte Windhose blieb ein ungelöstes Rätsel. Ein Irrlicht, das nur kurz aufflackerte und im Gedächtnis der Friedstätter augenblicklich erlosch.

Die Orkleichen, oder besser formuliert: "Überreste" wurden vor Ort verbrannt. Direkt vor den Toren der Stadt. Die entfachten Scheiterhaufen schenkten erschöpften Neuankömmlingen etwas Wärme, zu guter Letzt erfüllten diese Scheusale noch einen guten Zweck und stimmten die Bürger versöhnlich, jedenfalls für den Moment. Die Stadtwache, durch die Taten der Orks alarmiert, war hellhörig geworden und leitete mit Nachdruck die Suche nach einem verschollenen Orkhäuptling ein. Der Truchsess Ehrengeist war verschwunden und blieb es auch. Ansonsten herrschte der selbe, gewohnte Unfriede wie zuvor. Ein fragiles Gleichgewicht, das die bösen Kräfte nährte.

Drachenkriege: Die verzehrende Plage

Mir fehlen oft die Worte, um die zahllosen Eindrücke zu beschreiben, die uns in den Drachenkriegen widerfuhren. Noch immer schrecke ich aus dem Schlaf – schweißgebadet, der festen Überzeugung, dass Feuer der Drachen zu riechen und den bitteren Geschmack der Verbrannten, zu Staub gewordenen Leichen, meiner Kameraden, zu schmecken.

Anfangs bewegten wir uns frei unter dem Himmel. Wir ahnten nicht mal, was uns erwartete. Wir waren nicht mehr, als junge Burschen, teils vollkommen unerfahren. Die Veteranen waren längst gefallen. Die Schulungen zu bloßem Mittelmaß verkommen. Die Verantwortlichen – überfordert. Die Leiter waren froh, wenn sie überhaupt noch geeignetes Material fanden, um es an die fliegende Brut, wie sie die Drachen geringschätzig nannten, zu verfüttern. Die Suche der Rekrutierkolonne weitete sich täglich aus. Am Ende auf den gesamten, bekannten Kontinent. Nur der brennende Graben hielt sie auf. Eine Feuerbarriere von ungeahntem Ausmaß. Eine Frage bewegte alle, in diesen verzweifelten Tagen: Die Drachen – wo kamen sie her? Einige mutmaßten, dass die Zwerge, in ihrer Gier nach Erz diese Plage tief unter der Erde freilegten. Andere waren der Ansicht, dass eine fremde Macht seine Vorhut schickte und alsbald nachkommen würde, um die entmenschlichten Landstriche einzunehmen und für sich zu beanspruchen. Niemand wusste etwas genaues. Nur eines war klar: wenn nicht bald eine Lösung gefunden werden würde, wäre die Menschheit am Ende ihres kurzen Lebensspanne angelangt.

 

Der glutheiße Atem der Lindwürmer, wirbelte Staub und Asche auf, hoch in die Atmosphäre. Der Himmel verdunkelte sich, mit dem verstreichen einiger Wochen. Alles was noch lebendig war kauerte sich zusammen. Wir begannen aus schierer Verzweiflung zu graben, Stollen und Schützengräben auszuheben, um uns notdürftig, vor den lauernden Gefahren aus der Höhe abzuschotten. Das menschliche Leben wurde von der Erdoberfläche verbannt und verlagerte sich unter die Erde. Unser Dasein ähnelte auf unheilvolle Weise, immer mehr dem Lebensstil der Zwerge. Die wir zwar für ihre Schätze bewunderten, aber doch eher hassten für den Schmutz, den ihre zahlreichen Schmieden in die Stadtluft pusteten.

Die Zustände, die damals herrschten, waren verheerend und kaum zu beschreiben. Ratten, überall hausten Ratten – teilweise Kaninchen groß. Nachts, bei dem bloßen Versuch Ruhe zu finden, hüpften und sprangen sie lebhaft und frech über alles hinweg. Dieses respektlose Viehzeug knabberte jedes Lebewesen an, das ungeschützt schlief. Nase, Ohren, Finger nicht ein Körperteil war vor ihnen sicher. Einige Soldaten bauten sich eine Art Schlafkäfig, um diese Brut von dem ruhenden Körper fernzuhalten. Andere verstanden sich darauf die Prachtvollsten zu fangen und verarbeiteten sie hungrig und schadenfroh, umgehend in einer Suppe. Diese Brühe fand Anklang und reißenden Absatz, da es keine nennenswerte Alternative gab und obwohl sie so übel roch, kippten sich die Mannen den zähflüssigen Schmand, hungrig in den Schlund.

Unzählige Kämpfer erstickten in ihren unterirdischen Kammern. Der Rauch zog, wenn der Wind ungünstig blies, also – in aller Regelmäßigkeit, ölig dicht durch die Gänge und nahm seinen kauernden Bewohnern die Orientierung. Die armen Teufel fanden nicht schnell genug einen Weg an die Oberfläche und erstickten elendig in ihren engen Erdhöhlen und Ausschachtungen. Wenn es regnete brach das Wasser dunkel und schwer in die Gräben: Ich höre noch das verzweifelte Wimmern und Flehen der Verwundeten, die in den heranbrausenden Fluten schreiend und wild um sich schlagend, ertranken.

Wie wurden die Männer in den Gräben gehalten? Mit drakonischer Härte? Nein, die stete Anwesenheit der Drachen reichte vollkommen aus, sie in dem vollgeschissenen Labyrinth, aus unzähligen Gängen zu halten. Den schützenden Graben zu verlassen, hieß augenblicklich zu verbrennen. Es schien als lauerten die schwarzen Drachen nur auf eine Gelegenheit. Wir schissen in Pergament und warfen unsere Notdurft, sorgfältig in Papier eingeschlagen, aus den Gräben. Pissen? Gleich vor Ort – die Devise lautete: "Lass es fließen." Oder man pisste sich, vor schmerzhaftem Durst, in die Hände und leckte das salzige Zeug gierig auf.

Es stank erbärmlich, um uns und von uns. Wir fanden keine Gelegenheit unsere Kleidung zu wechseln. Wir stanken sprichwörtlich aus jedem Knopfloch. Überall lagen Leichen. Der Tod war allgegenwärtig und von schauderhafter Intensität. Wenn ein Feuerstrahl die Erde erreichte, begrub er die Menschen und die halb verwesten Überbleibsel der vorangegangenen Leichen wurden wieder freigelegt. Der Regen schwemmte reichlich Arme und Beine heran. Vielerorts lagen sie wirr umher – schauerlich anzusehen. Nicht wenige Ritter vergriffen sich gierig an dem Schwemmfleisch und schissen danach Blut. Wir lebten alle auf einem ungeordneten Friedhof in direkter Nachbarschaft mit dem Tod. Krankheiten breiteten sich aus: die Krätze. Trauben von Läusen hingen satt an den Menschen und ihre Leinenhosen trieften vor Blut.

Es wurde geraucht. Dankbar wurde geräuchert, um den bestialischen Verwesungsgeruch zu überdecken, der über das verwahrloste Land strich und sich in den Gräben festzusetzen drohte. Und gesoffen – bei den Göttern, es gab reichlich Fusel. Überall entstanden kleine Destillen und die Brennmeister waren sich selbst die besten Kunden. Dem Wasser konnte man nicht mehr trauen. Die Männer soffen zu jeder Tages- und Nachtzeit, was ihrer Aufmerksamkeit schadete und zweifelsohne für ihr wenig ruhmreiches Ableben sorgte. Die Angst ließ viele Männer verzweifeln. Ihr Blick war dünn. Ihre Haltung gebrochen. Geister ihrer selbst, die schaurig anzusehen in den Gräben wanderten und kraftlos flüsterten. Lebende Geister, die sich irgendwann im Feuer selbst opferten. Einmal, bei Regen fiel ich in ein Loch. Gierig fing ich an zu saufen, ohne die Folgen zu bedenken. Schnell bemerkte ich einen seltsamen Geschmack. Als kurz darauf eine Flamme durch den Wolken geschwängerten Himmel stieß, sah ich es mit Schrecken – das Wasser war rot. Vor meinen Augen schwamm ein Kopf. Die Augen des Mannes starrten mich leblos an. Blut, es war eine Grube voll eingesickertem Blut, in der ich da steckte und bis eben noch gierig trank.

Die Tragik nahm zu, desto länger der Konflikt anhielt. Mit der Zeit wurden unsere Getreuen zum Opfer unseres Hungers. Wir kehrten zurück zu unseren Wurzeln. Die Zivilisation und ihre Gesetze, einfach vergessen. Hunde mussten dran glauben, danach folgten unsere Pferde. Ich sehe immer noch wie Manustra der Schmied mit seinem Hammer auf sein Pferd einschlug. Der schwere Hammerkopf traf genau zwischen die Augen des armen Geschöpfes. Ein Schauer ging durch den Körper des Reittiers und endete in den Läufen, die sein Pferd, wie vom Blitz getroffen, nach allen Seiten ausstreckte, um danach leblos in sich zusammenzustürzen.

Aber da gab es noch anderes, schlimmeres zu berichten: Rohe Gewalt wirkte virulent. Menschen fraßen Menschen – Kannibalismus breitete sich wie eine Seuche zwischen den Kriegsparteien aus. Niemand schien mehr des anderen Bruder zu sein. Und die Drachen erschienen, mit der Zeit, weitaus gnädiger als ihre menschlichen Kontrahenten.

Huiii, das Pfeifen des Luftzugs – ich höre es immer noch, wenn ich die Augen schließe. Ein Drache im Sinkflug. Ein unvergleichliches Geräusch. Schatten machen mir bis heute Angst – immer denke ich: Ein Drache schwebt über mir und gleich wird mich sein Feuer verzehren.

Während dem letzten Aufbegehren der Rassen erschienen die Syders wie aus dem Nichts. Angepriesen, als eine neue Verheißung. Stilisiert von ihren fragwürdigen Schöpfern, zu einer gottgleichen Kraft. Von da an verschwanden die Menschen nicht nur in der verzehrenden Glut des Drachenodem, viele wurden auch entfernt – anderweitig eingesetzt. Die Feldlazarette verwaisten, auf eigentümliche Weise. Alle Verwundeten die transportierbar schienen, verschwanden spurlos. Heimlich still und leise des nachts. Es traf nicht nur die Alten und Verletzten auch frische Rekruten wurden dingfest gemacht und verschleppt – wohin? Zu den so genannten Geisterwerken, dessen Begründer die Hexer waren. Es waren Vorgänger der heutigen Magier und angeblich von den Göttern erschaffen. Weniger gut ausgebildet und weitaus unmoralischer in ihrem Handeln. Losgelöst von der Menschheit und mit Machtbefugnissen ausgestattet die zwangsläufig korrumpieren mussten, trieben sie ihr Unwesen.

Diese neuen Herren, fanden ein probates Mittel gegen die Himmelsbrut und scheuten sich nicht es einzusetzen, denn dafür waren sie erschaffen worden. Menschen wurden zu Syders umgewandelt. Vielen verstümmelten Recken wurde das Blaue vom Himmel versprochen, dankbar zwängten sie sich, in die von Magie durchwirkten Rüstungen, in der Hoffnung eine zweite Chance zu erhalten – doch leider wurden sie alle betrogen. Mit der neu gewonnenen Panzerung waren sie der Willkür der Magie ausgesetzt. Sie wurden, mit dem Anlegen der Rüstung automatisch zu Gefangenen der Hexer. Sich ihrer Macht bewusst, machten sie sich, ohne zu zögern daran, die Drachen zu bekämpfen. Diese neue Kampftruppe erwies sich als ungeheuer erfolgreich, so wurden keine unangenehmen Fragen gestellt und moralische Bedenken erst einmal hinten angestellt. Der Horror der diese, scheinbar neue Errungenschaft, mit sich brachte wurde vielen erst viel zu spät bewusst. Doch die Entwicklung stoppte nicht, eine zweite Welle folgte. Einer Weiterentwicklung die keine Ausfälle verursachte: die Pagan, entschlossener, gnadenloser, geistloser. Ein "Dornenherz" pochte in ihrem Schädel, geerntet aus den Freen Isa.

Auszüge aus dem Tagebuch des Ewald Kundibar: "Über die Drachenkriege"

Papier kann töten

Valakrien war ein Grenzgänger. Eine dicke Paste schützte seine empfindsame Haut vor dem Grauen des Morgen. Er war also an den Händen und im Gesicht vollständig mit billiger Theaterschminke eingekleistert, was sein, eh schon ungesunden Teint noch zusätzlich belastete. Er wirkte noch ungesünder als üblich. Wirre Lichter gaukelten durch den Halbtag wie Sinnestäuschungen, dieses diffuse Licht brannte in den Augen – sie wollten sich einfach nicht umgewöhnen. Dieser Umstand war mit ein Grund, warum sich der Vampir nur sehr ungern und selten, bei anbrechendem Tageslicht, durch das wirre Labyrinth der Gassen und Straßen von Friedstatt quälte. Menschen waren ein weiterer Grund. Köstlich und so verlockend. Er konnte ihren Puls hören und jeden Blutstoß unter der transparenten Haut mit bloßem Auge verfolgen. Die Verlockung seine Zähne, in ein zartes Handgelenk zu stoßen wurde mit jedem Atemzug größer. Eine Tortour, die kaum auszuhalten war.

Es war kalt geworden. Die Bäume schüttelten vielerorts ihr verdorrtes Kleid ab. Ihre Hinterlassenschaften bildeten bunte Mosaike in den kotverschmierten Rinnsteinen. Blatt für Blatt ein buntes verwirrendes Farbenspiel, das Valakrien faszinierte und ihm ein Lächeln ins bleiche Gesicht zauberte. Leugnete er seine Natur? Vielleicht – nein, ganz sicher.

Endlich war er an dem Haus des Sandzulieferers, Namens: "George Mondseele" angelangt. Eine Schar Schwarzgänse zog lauthals schnatternd über seinen Kopf hinweg. Ein Wunder, die Vögel kehrten zurück. Die Lieferungen waren schon seit Tagen ausgeblieben, sehr zum Leidwesen der hiesigen Vampirgemeinde. Dieser Boden war einzigartig in seiner Beschaffenheit. Er wies den richtigen Grad an Verseuchung auf. Die Dosis hielt Würmer und anderes schädliches Getier von den Särgen fern, eine Art Schutzmillieu, das jeder Vampir gerne in Anspruch nahm. Man argwöhnte das Mondseele bereits reich geworden war – nur allein durch den Abverkauf des Sandes, dessen Ursprung unbekannt blieb, was sicher im Sinne des Erfinders lag. Diesem heimlichen und verschwiegenen Mann auf die Schliche zu kommen war fehlgeschlagen. Alle Versuche scheiterten. Niemand vermochte es in seine Villa einzudringen, die magischen Siegel erwiesen sich als zu stark.

Der schwere Messing-Klopfer, in Form eines Wolfkopfes dröhnte. Ein, zweimal, – dieser dumpfe Ton hallte in der seelenvergessenen Gasse nach. Wo war dieser Kerl nur abgeblieben? Valakrien blickte lauernd nach oben. Aber kein befreiendes Quietschen von rostigen Fensterscharnieren, löste ihn aus seiner grüblerischen Anspannung. Die gelieferte Erde musste regelmäßig ausgetauscht werden, sie besaß eine Art: Halbwertszeit – danach ließ die Wirkung rapide nach, was besonders schlecht war für die Reisenden unter ihnen. Wenn sie einen neue Enklave oder gar Stadt fanden und dort anlandeten, war es ihre erste Pflicht die Erde umzupflügen, den Aushub zu beseitigen und mit der teuer erkauften, guten Muttererde aufzufüllen. Doch jetzt drohte das Aus für eine, jahrelang gepflegte Tradition. Wohlweislich, geradezu weitsichtig hatte man versucht hinter das Geheimnis von George Mondseele zu kommen – doch der zeigte sich als ein ausgekochter Hund – Hund? Wohl eher: "Ritralde". Valakrien vermutete schon seit langem, dass hinter dieser ach so harmlosen Fassade, ein Werwolf des Nordens steckte.

Ein weiteres und letztes Mal, fuhr der Türklopfer nieder. Nichts! Nur ein räudiger Köter kläffte rebellisch. Valakrie meinte auch das Kettenrasseln eines Spukie zu hören – Wesen aus Rauch die aus den Eingeweiden der Stadt empor dampften, irgendwo zwischen den schiefen und verwitterten Häuserschluchten des Händlerviertels. Sie ängstigten die Anwohner, mit ihrer bloßen Anwesenheit. Was war jetzt zu tun? Die unmissverständliche Vorgabe seines Meisters lautete: Finde den Kerl – und es ist mir egal wie! Selbst wenn du jeden Stein in dieser verpissten Stadt umdrehen musst! Und wage es nicht, mit schlechten Nachrichten zurückzukommen!

Valakrien hob wie zur Entschuldigung die Achseln. Er entschloss sich umzukehren. Das Licht nahm zu. Die Sonne stieg bedrohlich weit über die niedrigen Dächer der Nachbarschaft und verdrängte das schützende Zwielicht. Mit hängenden Armen und den Blick nach unten gerichtet schlenderte der Vampir zurück in Richtung Ordenshaus. Der Tiefpunkt seines bisherigen Lebens war erreicht. Diesen Vorfall empfand er als tiefe Schmach – eine Lösung musste notwendigerweise her.

 

Gerade, als er den Blick von der Straße abwenden wollte, nahm ein Stück Papier seine volle Aufmerksamkeit in Beschlag. Es handelte sich dabei nicht nur um ein schnödes Stück Papier, sondern ganz offensichtlich um einen Fetzen wertvolles Pergament. Seine Neugierde war geweckt. Valakrien erkannte die Struktur sofort. Mit dem routinierten Blick eines Schriftgelehrten analysierte er die Oberfläche. Es handelte sich ganz offensichtlich um ein Knäuel Geisterpergament, eine Rarität. Der Vampir sah sich hektisch um, als erwartete er einen Neider, der ihm das Papier noch in letzter Sekunde streitig machen wollte. Dieses Papier war äußerst selten und somit wertvoll. Die Magiergilde liebte solche Funde, besonders die Grünschnäbel ihrer Zunft, denn das hauchdünne Papier verstärkte auf wundersame Weise die Wirkung der aufgetragenen Runen. Valakrien nahm es mit einem hektischen Seitenblick auf und zog es vorsichtig in Form. Eine Rune prangte gut sichtbar auf dem Papier. "Enox", las er zu seiner Überraschung laut vor – Enox, elfisch für Zehn. Verdammt, eine Zahl ausgerechnet jetzt! Wie von einer unbekannten Macht wurde er getrieben den nächsten Schnipsel Papier aufzusuchen und aufzuheben. Sie lagen in nächster Nähe, wie zufällig verstreut, so dass er ohne größere Anstrengung den nächsten Brocken fand. Er schwitzte. Die Sonne stand bereits im Zenit. Die Theaterschminke verlief. Nur notdürftig reparierte er seinen Sonnenschutz, indem er die frei gewordenen Stellen an den Händen, Gesicht und Unterarmen, in einem schattigen Winkel, regelmäßig ausbesserte. Er war bei der Zahl eintausendfünfhundert angelangt. Es würde sicher noch die ganze Nacht dauern oder länger alle Teile des Puzzle aufzuklauben. Welcher Schelm hatte ihm diese Falle ausgelegt? Pardusa? Dieser Kerl tat alles um Valakrien zu kompromittieren. Das gefundene Papier stopfte er, mit mäßiger Sorgfalt, in die tiefen Taschen seines langen, schwarzen Mantel, der den Großteil seines Körpers vor der Sonne abschirmen sollte. Mit Erleichterung stellte Valakrien fest, dass Wolken aufgezogen waren. Die Lokalen, die ihn gewahr wurden, flohen bei seinem Anblick. Selbst die abgehärteten Straßenkinder, war er in dieser Maskerade nicht geheuer. Schreiend und mit schreckverzerrten Gesichtern flohen sie von ihren Opfern – mit Sack und Pack, ohne ihn weiter zu behelligen.

Endlich, die Papierspur endete. Er war bereits vierundzwanzig Stunden auf den Beinen. Valakrien spürte einen ungeheuren Blutdurst und bei näherer Prüfung, entdeckte er ein paar Verbrennungen auf seinem Handrücken. Elend sah er aus, als er endlich die Stadtvilla des Vampirordens betrat. Das Licht war gedämpft, schummrig. Die Schatten tanzten aufgeregt an der Holzvertäfelung des langen Flurs. Kerzen knisterten leise vor sich hin. Valakrien drückte die schwere Flügeltür ächzend ins Schloss. Ein fliehender Wind heulte kurz unter der Tür hindurch, als nähme er eine Chance wahr, dieser Gruft doch noch zu entfliehen. Was folgte war verhaltende, staubige Stille. Valakrien hängte seinen Mantel aus grober Wolle, der mit vollgestopften Taschen aussah wie ein Ballon, an einen der vielen Kleiderhaken und marschierte entschlossen in den benachbarten Versammlungsraum.

Der Hauptsaal war behaglich kühl. Kein Feuer brannte ihm Kamin, das Licht würde die Augen nur unnütz verwirren. Eiskerzen, standen ringsum und spendeten ein diffuses, blaues Licht. Trivasek stand vor der bläulich schimmernden Feuerstelle ohne Wärme und flüsterte heiser vor sich hin. Es klang nach einer Gebetsformel. Ein unterschwelliges Rumoren, das Wortfetzen aus der Tiefe seines Bauches hervordrückte, folgte.

"Sir, – Herr, ich bin zurück.", seine Worte tasteten sich in das Bewusstsein seines Großmeisters, der vertieft in seine Betrachtungen, ungerührt mit dem Rücken zu ihm stand und keine Anstalten machte, dem Neuankömmling seine Aufwartung zu machen.

"Es ist spät Vala – wo hast du so lange gesteckt?" Der Großmeister drehte sich um, "Bei den Göttern – wie siehst du aus!" fassungslos sah er den Schriftgelehrten an. Sein Verhalten war im allgemeinem seltsam, einem Vampir seines Standes ohnehin nicht angemessen – aber dieser Anblick war selbst für den krisengeschüttelten Vampirlord eindeutig zu viel.

"Hast du dich heimlich im Theater rumgedrückt? Etwa bei dieser Tarbanina?" schmunzelnd näherte er sich Valakrie. Mit seinem bleichen, mageren Zeigefinger strich er über Valakriens halb verkrustete Wange. Mit einem misstrauischen Blick, zerrieb er prüfend die Paste zwischen seinen Fingerspitzen.

"Ein kindischer Scherz – oder? Tatsächlich Theaterschminke?"

Valakrien senkte sein Haupt. Er wich dem fragenden Blick seines Meisters aus, solang es ging.

"Du warst schon immer seltsam – kein Vampir im klassischen sinne, eher ein schwacher Mensch. Wie kommst du nur auf so einen ausgemachten Unsinn?" Die graue Stirn des Meisters legte sich in falten. Diese Verwerfungen waren tief. Die Augen, nicht mehr als glimmende Rosinen. Sie glommen trübe, aus schachttiefen Augenhöhlen.

"Dein Vater war ein guter Freund, daher zögerte ich nicht mal eine Minute dich aufzunehmen. Zugegeben, du bist eine wahre Enttäuschung, aber in Gedenken an Freundschaft, habe ich dich gewähren lassen, dich aufgenommen und vor den anderen geschützt – wenn ich so nachdenke, habe ich dich eigentlich wie einen Sohn behandelt. Egal ob ich mir den Zorn der anderen zuzog."

Es raschelte geheimnisvoll im Flur. Trivasek horchte auf:, sein Gehör war ausgezeichnet, wenn er sich konzentrierte konnte er sogar die Maus im Nebenraum, die über den staubigen Boden tippelte hören, aber er tat dieses beiläufige Geräusch als eine Laune des Windes ab und konzentrierte sich darauf, seinem Gegenüber ins Gewissen zu reden – so sinnlos seine Bemühungen auch sein mochten.

"Was ist nun mit unserem Zulieferer, der sich so rar macht?"

Valakrien schämte sich sichtlich. Nur sehr zögerlich gab er Antwort: "Nun, ich hab ihn nicht angetroffen – ich weiß, wir sollen ihn nur bei Nacht aufsuchen, um kein Aufsehen zu erregen – aber das hab ich schon mehrfach versucht, niemand macht die Tür auf. Er scheint vom Erdboden verschluckt!"

"Ach was – also hast du eigenmächtig entschlossen, einfach mal bei Tage durch die Stadt zu marschieren?"

Valakrie nickte eifrig. Er hielt es wirklich für eine gute Idee, besonders das mit der Theaterschminke. Trivasek grunzte verstimmt und griff nach den Händen seines Günstlings. Er musterte sie ganz genau.

"Und wie ich unschwer erkennen kann war deine Schnapsidee nicht sehr erfolgreich – oder? Deine Handrücken sind verbrannt.", stellte er tonlos fest. Der Meister hielt ihm seine eigenen Hände, mit vorwurfsvollen Blick vor die Nase.

"Versteh endlich – wir haben ein Abkommen mit den Menschen. Es ist alt, aber nicht vergessen. Wir zeigen uns nicht am Tage und dafür lässt uns die Stadtwache in der Nacht in Ruhe walten – alles im Rahmen, nicht übertreiben, dazu sind wir angehalten. Du kannst von Glück reden, dass du nicht gleich festgenommen wurdest. Wir sind eine geheime Gesellschaft, wirken im Dunkel der Nacht, leben abseits, abgeschieden – doch so mögen wir es, niemand pfuscht uns in unsere natürliche Lebensweise. Die Jagdgründe sind zugeteilt. Es gibt unsichtbare Linien, die die Stadtteile fein säuberlich trennen, in unsere Gebiete und Stadtteile die für unsereins Tabu sind. Ein fragiles Gleichgewicht, abgesegnet durch den Truchsess höchstselbst."

Valakrien sah sein Gegenüber verwundert an – von einem Abkommen hatte er noch nie etwas gehört. Es raschelte wieder. Valakrien meinte eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrzunehmen.

"Es ist immer schon so gewesen und du rüttelst leichtfertig an den Fundamenten der Jahrhunderte." Trivasek schüttelte den Kopf verschränkte nachdenklich die Arme hinter dem Rücken und wendete sich wieder dem Kamin zu.

"Er ist also nicht Zuhause – verdammt! Wir brauchen seine Lieferungen. Wo zum Teufel steckt dieser Mondseele?"

"Er ist ein Ritralde – richtig?" Valakrie bedauerte schon gefragt zu haben.

Der Ordensmeister schnaubte verächtlich: "Woher weißt du das schon wieder?"

"So eine Ahnung – der Geruch – ich hab Speichel entdeckt, bereits eingetrocknet, aber meinem Blick ist dieses Detail nicht entgangen."

Trivasek hatte sich umgedreht seine Glutaugen brannten jetzt lichterloh. Seine Reaktion war ungewohnt heftig.

"Ich vergaß – du kommst aus dem Norden – vielleicht hattest du schon Kontakt mit seiner Art? Sag es niemanden, hörst du? Nicht einer Sterbensseele. Es wäre nicht auszumalen was dann geschieht! Seine Rache fürchterlich. Er hilft uns und dafür hüten wir sein Geheimnis. Eine Klaue wäscht die Andere – aber im Grunde ist dieser Kerl unberechenbar." Trivaseks Stimme klang ungewohnt besorgt, geradezu panisch für einen Vampirlord seines Kalibers.

"Ich beschwöre dich – lass ihm sein Geheimnis." Trivaseks Stimme war bedrohlich angeschwollen.

Es musste sich um einen nicht zu unterschätzenden Gegner handeln. Ein Stöhnen drang aus dem Flur, begleitet von einem Rascheln. Dieser Klang erinnerte an verdorrtes Herbstlaub, welches wirbelnd über das Kopfsteinpflaster einer leeren Gasse tanzte. Die Kerzenflammen beugten sich für einen Moment, dann erloschen sie ganz. Ein metallisches Dröhnen erklang – es passte so gar nicht in diesen Raum. Licht drang schräg durch die Ritzen der Vorhänge. Staub wurde aufgewirbelt. Valakrien beobachtete wie sein Meister sich verwandelte. Ledrige Flügel spannten sich knirschend. Sein Gesicht, befand sich im Fluss der Verwandlung. Trivasek stieß sich mit seinen gewachsenen, langen Tatzen vom Boden ab. Gerade, als er in den Saalhimmel strebte, platzte ein außergewöhnliches Geschöpf in den Versammlungsraum. Dieses Wesen knirschte und raschelte wild. Auf den ersten Blick, sah es aus wie ein Berg aus Papierfetzen. Wirr, irgendwie zusammenhanglos – durch einen Zufall zusammengewürfelt. Ein Arm streckte sich empor und ergriff das Bein des entfliehenden Ordensführer. Der kräftige Papierarm zog mit aller Kraft. Trivasek schlug heftiger mit seinen gewaltigen Flügeln, für einen bangen Moment schwebte er reglos in luftiger Höhe. Valakrien duckte sich hinter einen umgestürzten Tisch. Das sonderbare Wesen schien ihn erst einmal gar nicht zu beachten. Valakrien beobachtete über den Rand des Tisches, wie das Monstrum den Meister hinab zog und ihn wie ein Spielzeug hinwegschleuderte. Mit einem kläglichen Ächzen traf er an der gegenüberliegenden Wand auf. Seine Körperumrisse zeichnete sich, gut sichtbar in der Wandvertäfelung ab. Bewusstlos rutschte Trivasek zu Boden. Das Wesen stampfte träge heran. Die Kreatur schien noch nicht befriedigt, vielmehr drosch sie von oben, mit gewaltigen Fausthieben, auf den reglosen Körper, zu seinen Füßen, ein. Stumm ließ der Meister die Tortour über sich ergehen. Valakrien zitterte am ganzen Körper. Er kauerte sich hinter dem Tisch zusammen. Noch nie hatte er so etwas empfunden – wie nannten Menschen diesen verwirrenden Gemütszustand? Ein Haufen Papier löste sich von dem tobenden Ding und glitt direkt vor die Füße des schlotternden Valakrien. Es war zerknickt, doch die Zahl konnte er lesen: "Fio" – übersetzt: eintausend in der Sprache der Elfen. Seine Anspannung verging. Beherzt huschte er von Tisch zu Tisch, nutzte sie als Deckung und strebte Richtung Flur. Es war heller Tag, mit Hilfe war nicht zu rechnen. Die Gemeinde schlief tief unter seinen Füßen, in der angestammten Krypta des Ordenshauses. Valakrien riskierte einen kurzen Blick: sein Mantel war zu Boden gefallen, dass Tascheninnere nach außen gekehrt. Eine Spur Papierschnipsel endete direkt vor seinen Füßen. Valakrien bückte sich und sammelte die restlichen Schnipsel, deren er in der Eile habhaft werden konnte, auf. Öffnete die Tür und beugte sich vorsichtig, tastend hinaus. Er warf das Papier von sich. Für den Augenblick befriedigt, schlüpfte er wieder hinein und verschloss die Tür sorgsam hinter sich.