Die Ernährungs-Zahnbürste

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Die Ernährungs-Zahnbürste
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IMPRESSUM

Johan Wölber | Christian Tennert

Die Ernährungs-Zahnbürste:

Die effektive Langzeitformel gegen Karies, Parodontitis

und Übergewicht

1. deutsche Auflage 2020

ISBN 978-3-96257-187-0

© 2020 Narayana Verlag

Alle Rechte vorbehalten.

Coverlayout: Narayana Verlag

Coverabbildung: shutterstock © HstrongART

Herausgeber:

Narayana Verlag GmbH, Blumenplatz 2, 79400 Kandern

Tel.: +49 7626 974 970-0

E-Mail: info@narayana-verlag.de

www.narayana-verlag.de

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Die Empfehlungen in diesem Buch wurden von den Autoren und Verlag nach bestem Wissen erarbeitet und überprüft. Dennoch kann eine Garantie nicht übernommen werden. Weder die Autoren noch der Verlag können für eventuelle Nachteile oder Schäden, die aus den im Buch gegebenen Hinweisen resultieren, eine Haftung übernehmen.

PD DR. JOHAN WÖLBER | PD DR. CHRISTIAN TENNERT

DIE

ERNÄHRUNGS

ZAHNBÜRSTE

Die effektive Langzeitformel

gegen Karies, Parodontitis

und Übergewicht


Für Nina, Greta und Frida

JOHAN WÖLBER

Für meine Nichte Klara und meinen Neffen Johann

CHRISTIAN TENNERT

Inhalt

EINLEITUNG

1 EINE KLEINE GESCHICHTE DER MUNDERKRANKUNGEN


Karius und Baktus

Die Bakterien am Pranger – oder Robert Kochs Vermächtnis

Sind Karies und Parodontitis wirklich Infektionskrankheiten?

»Das Bakterium ist nichts, das Milieu ist alles.« Auch in der Mundhöhle?

Alternativen zum anti-infektiösen Weg – zurück in die Steinzeit

Steinzeit-Ernährung als Optimum für die Mundgesundheit?

2 DIE GRÖßTEN PROBLEME DER MUNDHÖHLE: KARIES UND PARODONTITIS

Was ist Karies? Und wie lässt sie sich bekämpfen?

Die »stillen Krankheiten« – Gingivitis und Parodontitis

3 DER AFFE IM SUPERMARKT – ODER WARUM »NORMALES« ESSEN HEUTZUTAGE KRANK MACHT


Heutzutage macht ein intuitives Ernährungsverhalten krank!

Willkommen im Anthropozän

Low-Fat oder Low-Carb?

Wenn wir wissen, dass Zucker krank macht – warum kommen wir so schwer davon weg?

Warum hat Süßes so viel Macht und was geschieht dabei im Körper?

Modernes Essen: Ein Mikronährstoff-Fasten

Fazit

4 AUF ZUR BESTEN ERNÄHRUNG!


Ernährung wirkt! In welche Richtung, liegt an uns

Die sechs Prinzipien der mundgesunden Ernährung

Lassen Sie den Blutzucker in Ruhe! Das niederglykämische Prinzip

Ballaststoffe sind DIE Gesundheitsstoffe! Das Ballaststoff-Prinzip

Mikronährstoffe sind wichtiger als Makronährstoffe! Das Mikronährstoff-Prinzip

Denken Sie an die kleinen Tierchen! Das Präbiotika-Prinzip

Wenn Fett, dann das richtige. Das Omega-3-Prinzip

Was ist eine evolutionäre Ernährung? Das Evolutions-Prinzip

Zusammenfassung der »mundgesunden Ernährung«

Faktencheck: Wie wirkt sich diese Ernährung auf die Mundgesundheit aus?

5 WIE WOLLEN WIR ESSEN? DER GESELLSCHAFTLICHE BLICK

6 ES SOLL SCHMECKEN UND GESUND SEIN! DIE UMSETZUNG

Leckere Rezepte für die mundgesunde Küche

Frühstück


»Haferkleie-Früchte-Samen«-Frühstück

Frischkorngericht (nach Dr. Max Otto Bruker)

Hafer-Chia-Pudding

Salate / Kalte Küche


Avocado-Tomaten-Lauch-Salat

Hirse-Rucola-Salat

Spinat-Rote-Bete-Zucchini-Salat

Feldsalat mit gebratenem Spargel

Römischer Rote-Bete-Apfel-Salat

Wirsing-Chips

Rote-Bete-Hummus

Veganes Quinoa-Wirsing-Sushi

Mandelknäckebrot

Warme Küche


Thai Curry mit der Extraportion Gemüse

Kürbissuppe mit Roter Bete

Kürbis-Linsen-Suppe

Asiatische Gemüsepfanne

Desserts


Bananen-Beeren-Eis

Chia-Pudding

 

Bananen-Pancakes

ANHANG

Was sind die besten Mundhygienehilfsmittel?

Danksagung

Über die Autoren

Referenzen

Index

Ihre Gesundheit liegt in Ihren Händen
Vorwort von Dr. Joel Fuhrman

Wir leben in einem Zeitalter des wissenschaftlichen Fortschritts, in dem es machbar geworden ist, den Menschen durch eine optimal eingestellte Ernährung ein sehr langes Leben zu ermöglichen.

Anders formuliert könnte ich auch sagen: Es sind nicht die Fortschritte in Medizin, Pharmakologie, Operationstechniken, Radiologie oder Organtransplantation, die unserer Bevölkerung Gesundheit und eine drastisch gestiegene Lebenserwartung beschert haben. Es ist ganz im Gegenteil eine optimale Ernährung, die uns ein langes und gesundes Leben ermöglicht. Leider wird diese Tatsache allzu oft von medizinischen Fachkreisen und der breiten Bevölkerung gleichermaßen ignoriert. Nicht unser Zugang zum Gesundheitssystem ist dafür verantwortlich, dass wir uns einer ausgezeichneten Gesundheit erfreuen können, sondern ein Lebensstil, der uns gesund hält, sodass wir die Dienstleistungen dieses Systems gar nicht erst in Anspruch nehmen müssen.

Ich sage immer, dass wir im Grunde genommen bereits alle Werkzeuge bei der Hand haben, um Millionen von Leben zu retten. Wir können den Kampf gegen den Krebs gewinnen und unsere Mitmenschen vor Herzinfarkten und Schlaganfällen schützen. Diese drei Krankheiten gehören zu den häufigsten Todesursachen. Das Gegenmittel ist denkbar einfach: Gemüse. Leider haben viele Menschen mit dieser Lösung ein großes Problem. Sie wünschen sich immer noch die eine Pille, die alles wegzaubern und vor Lungenkrebs schützen kann, ohne dass sie auf das Rauchen verzichten müssen. Oder sie wollen sich weiterhin von Pizza, Hot Dogs und Bagels ernähren und trotzdem nicht an Brustkrebs erkranken. Wir leben aber nicht in einem Märchen, in dem wir Dinge herbeizaubern können. In der Realität werden wir geprägt von dem, was wir im Laufe unseres Lebens essen. Die Verantwortung, unser Leben durch ungesunde Ernährung zu ruinieren oder es mit gesunden pflanzlichen Nahrungsmitteln zu schützen, liegt voll und ganz bei uns.

Endlich ist ein Buch über Zahngesundheit geschrieben worden, auf das ich und andere schon lange warten. Dr. Tennert und Dr. Wölber sind ausgesprochene Experten auf diesem Gebiet und haben viele Jahre zu diesem Thema geforscht. Sie ziehen die gleichen Schlussfolgerungen wie ich, nämlich dass man auch die Zahngesundheit durch eine optimale Ernährung positiv beeinflussen und sich selbst vor den heutzutage allgegenwärtigen Zahnkrankheiten schützen kann. Diese bahnbrechenden Erkenntnisse sind schon lange überfällig und vervollständigen unser Bild von den Ursachen und den Auswirkungen von Parodontitis, Karies und andere orale Erkrankungen.

Unsere Ernährung besitzt die Macht, die wunderbaren Heilkräfte unserer Zellen zu aktivieren. In Hinblick auf die tiefgreifende Studienlage zu diesem Thema wird deutlich, dass sich uns heute die einmalige Gelegenheit bietet, länger und besser zu leben als je zuvor. Alles, was wir tun müssen, ist, uns anders (besser) zu ernähren.

Ich bin ein ausgesprochener Verfechter einer nährstoffreichen Ernährungsweise, d. h. einer pflanzlichen Ernährung, die sich die reichhaltigen, abwechslungsreichen, entzündungshemmenden und Krebs bekämpfenden Eigenschaften der Pflanzen und ihrer wunderbaren Inhaltsstoffe zunutze macht. Zu einer nährstoffreichen pflanzlichen Ernährung gehören Bohnen, Pilze, Zwiebeln, grünes Blattgemüse, Beeren und Samen. Diese ergänzen sich alle hervorragend in ihren Wirkungen und lassen sich in ihren vielfältigen Eigenschaften perfekt aufeinander abstimmen, um ein krebsfreies und langes Leben zu ermöglichen.

Vitales, grünes Gemüse ist der Schlüssel zu einem langen und gesunden Leben. Grünes Gemüse hält nicht nur die Reparaturmechanismen unseres Körpers in Gang, sondern auch die normale Immunfunktion aufrecht. Es verhindert Veränderungen in unserer Geninformation, die – wenn sie ungehindert stattfinden können – die Entstehung von Krebs begünstigen. Und nun hat sich herausgestellt, dass grünes Gemüse eine wichtige Rolle für Zahngesundheit und Kariesprophylaxe spielt. Wie könnte es anders sein!

Auch hier lautet die Botschaft: Die Ernährung ist ein mächtiges Instrument und grünes Gemüse ist wahrscheinlich das machtvollste Nahrungsmittel, um Krebserkrankungen zu verhindern und die Lebenserwartung zu steigern. Und es sind genau diese Pflanzen, die auch Zahnfleisch und Zähne schützen.

Heutzutage haben wir die Wahl. Wir können uns super gesund ernähren und uns selbst mit Nahrungsmitteln schützen, die dafür sorgen können, dass wir auch mit zunehmendem Alter gesund bleiben und ernsten Krankheiten aus dem Weg gehen. Das ist wissenschaftlich bewiesen. Oder wir können uns so ungesund ernähren wie noch nie, dabei Herzinfarkte, Schlaganfälle und Krebs bekommen und obendrein noch unsere Zähne verlieren. Es liegt an Ihnen. Ich jedenfalls drücke Ihnen die Daumen und hoffe, dass Sie dieses Buch von vorne bis hinten genau lesen werden. Und natürlich hoffe ich auch, dass Sie sich gesund ernähren und ein langes, gesundes Leben genießen können.

DR. JOEL FUHRMAN

7-facher New York Times Bestsellerautor, unter anderem

von Eat to Live und Fastfood kann tödlich sein

www.drfuhrman.com

Vorwort der Autoren

Mundgesundheit ist vor allem eine Frage der Mundhygiene – sollte man meinen. Und so meinten wir auch – bis wir wenige Jahre vor Beginn dieses Buches unsere Ernährung veränderten und damit Schritt für Schritt auch unseren Blick auf die Mundgesundheit. Mit jedem verlorenen Kilo an Körpergewicht wurde uns bewusster, dass irgendetwas mit der »normalen« Ernährung und dem klassischen Blick auf den »bösen« Zahnbelag nicht stimmen konnte. Rückblickend betrachtet lebten wir in einer Welt mit Leitgedanken wie: »Iss, was du willst und was dir schmeckt – alles, zu jeder Zeit«, »Man muss nur genug Sport machen, dann wird man auch nicht dick«, »Essen ist für die Zähne kein Problem, solange du nur jede Stelle im Mund gründlich reinigst« und »Parodontitis, Diabetes, Übergewicht und Herz-Kreislauf-Erkrankungen sind Alterserkrankungen und werden einen mit zunehmenden Alter sowieso treffen«. Von daher war die Erfahrung, den Körper mit Ernährung wesentlich beeinflussen zu können, eine unglaubliche Bereicherung. Und wir waren in der glücklichen Situation, unsere Erfahrungen in wissenschaftliche Studien münden lassen zu können. Die Ergebnisse dieser Studien waren sehr eindrucksvoll und zeigten uns einmal mehr, dass wir in der richtigen Richtung unterwegs waren. Wir sehen es mittlerweile als ein großes Geschenk und Glück, als Zahnärzte unseren Patienten nicht nur zu gesünderen Zähnen und Zahnfleisch zu verhelfen, sondern »nebenbei« noch zu einer besseren Allgemeingesundheit. Es vergeht kaum ein Termin, an dem Patienten nicht berichten, was sie Großartiges für ihre Gesundheit erreicht haben: Einige beginnen damit, den Zucker wegzulassen, und verlieren dabei urplötzlich 3 kg Körpergewicht, wieder andere integrieren täglich mehr Gemüse in ihre Gerichte und stellen plötzlich fest, dass sich ihr Blutdruck gesenkt hat. Wie das funktioniert und auf welchen Prinzipien eine solche (nicht nur) mundgesunde Ernährung basiert, wollen wir Ihnen in diesem Buch vorstellen. Wir haben uns dabei nach besten Kräften bemüht, nicht in unseren gewohnten wissenschaftlichen Sprachgebrauch zu verfallen. Wenn es hier und da allerdings doch passiert sein sollte, sehen Sie uns dies bitte nach.

Wir wünschen Ihnen mit diesem Buch ganz viel Vergnügen beim Lesen, beim Schmecken, beim Auf-die-Probe-Stellen von Ernährungsgewohnheiten und vor allem ganz viel Gesundheit, die sich dabei »nebenbei« einstellen darf.

Herzlichst,

Johan Wölber & Christian Tennert

Wichtiger Hinweis: Bitte führen Sie Ernährungsumstellungen nur in Rücksprache mit Ihrem Arzt durch, insbesondere wenn Sie derzeit regelmäßig Medikamente zu sich nehmen. Die Medikamente müssen ggf. reduziert bzw. neu dosiert werden.

EINLEITUNG

Erinnern Sie sich an Ihre letzten Zahnarztbesuche zurück? Kennen Sie dieses mulmige Gefühl, wenn Sie zum Zahnarzt gehen? Den steigenden Puls vorher und das Glücksgefühl, wenn es vorbei ist? Und immer die Angst: »Hoffentlich findet er nichts!« Denn ein Loch bedeutet mitunter eine Fülle von weiteren Unannehmlichkeiten und oft auch Schmerzen.

Das klingt ein wenig danach, als hätten gesunde Zähne und Zahnfleisch etwas mit Glück zu tun: Habe ich es geschafft, alle Bereiche beim Zähneputzen gut zu reinigen, oder habe ich etwa eine Stelle ausgelassen? Die gesamte Kontrolle über die Mundgesundheit scheint uns offenbar nicht zu obliegen. Wenn wir als Zahnärzte Patienten fragen, warum eine Karies entstanden ist, dann antworten sie in der Regel: »Ich habe schlecht geputzt, oder?« Aber ist das die richtige Antwort? Und warum ist der Mensch auf unserem Planeten die einzige Spezies, die so stark auf das Zähneputzen angewiesen ist? Oder wer hat schon mal einen Affen mit einer Zahnbürste gesehen? Derzeit sind in Deutschland täglich rund 60.000 Zahnärzte damit beschäftigt, Schäden an Zähnen zu behandeln, vorzubeugen und fehlende Zähne zu ersetzen. Ist diese Zahl im Verhältnis zu anderen Lebewesen normal?

In der zahnärztlichen Praxis besteht die Prophylaxe bezüglich Karies zumeist in halbjährlicher oder jährlicher Kontrolle der Zähne. Die »klassischen« zahnärztlichen Therapiekonzepte sind Mundhygieneunterricht zur intensiveren Entfernung der Beläge (»Sie müssen öfter Zahnseide benutzen!«) und eine professionelle Zahnreinigung in der Zahnarztpraxis durch das Prophylaxepersonal (»Sie brauchen eine professionelle Zahnreinigung!«). Werden bei Kontrolluntersuchungen kariöse Stellen entdeckt, sind folglich zahnärztliche Therapien wie Füllungen, Kronen oder – falls der Zahn gezogen werden muss – sogar Zahnersatz erforderlich. Die Ernährung wird in zahnärztlichen Praxen nur selten thematisiert. Wir als Zahnärzte haben es in den meisten Fällen jedoch mit Erkrankungen zu tun, die hauptsächlich durch die Ernährung bzw. durch den Lifestyle bedingt sind. Karies ist die häufigste chronische Erkrankung des Menschen.

Diese »Löcher« in den Zähnen sind das Ergebnis eines Prozesses, bei dem Ausscheidungsprodukte von Bakterien in der Mundhöhle zu einem Herauslösen von Mineralien aus der Zahnhartsubstanz führen. Diese Ausscheidungsprodukte (Säuren) entstehen durch das Verstoffwechseln einfacher Kohlenhydrate aus der Nahrung und über längere Zeit sorgen sie wiederum für eben diese »Löcher«.

Karies, Zahnfleischentzündung (Gingivitis) und Knochenverlust um die Zähne (Parodontitis) haben größtenteils ihre Ursache in einer ungeeigneten Ernährung. Doch in unserer Ausbildung zum Zahnarzt, in fast sechs Jahren Studium, wurde uns das nicht so klar vermittelt. Vielmehr lag der Fokus des Studiums gerade in der zweiten Hälfte der Ausbildung überwiegend im Erlernen der praktischen Arbeiten am Patienten und im zahntechnischen Labor. Es ist vielmehr eine Ausbildung zum bohrenden und reparierenden Zahnarzt. Denn letztendlich ist es auch das, womit der Zahnarzt sein Geld verdienen muss.


Für viele Menschen ein alltäglicher Anblick auf dem Zahnarztstuhl.

In Deutschland sind derzeit etwa 98 % der Bevölkerung von Karies betroffen. Es ist die häufigste Ursache für den Verlust von Zähnen und Schmerzen in der Mundhöhle. In unseren Kliniken stellen sich täglich auch Kinder mit Zahnschmerzen vor.

CHRISTIAN TENNERT

Eine Mutter kam mit ihrem 8-jährigen Sohn in meine Sprechstunde, da sie dunkle Flecken an seinen Milchzähnen entdeckt hatte. Als ich dem Kind in den Mund schaute, sah ich an nahezu allen Backenzähnen Karies. Ich sagte der Mutter, ihr Sohn habe Karies, und fragte den Jungen, was er denn so isst und trinkt. Zum Frühstück gebe es Frühstücksflocken mit Kakao und Orangensaft zum Trinken, in der Schule vormittags einen Schokoriegel oder Kekse, am Mittag zu Hause ein von der Mutter zubereitetes Gericht, meist Nudeln, weißer Reis oder Kartoffelbrei mit Fleisch und etwas Gemüse. Abends isst die gesamte Familie zusammen Brote mit Wurst und Käse. Als Zwischenmahlzeiten würde er hin und wieder Schokoriegel oder Kekse essen. Die ganze Familie trinke zu Hause nur Zitronenlimonade. Ich fragte die Mutter, ob sie wisse, wie eine Karies entsteht. Sie sagte mir: »Er putzt nicht gern Zähne, was soll ich denn da machen?« Ist es wirklich allein das schlechte Putzen, was bei dem Kind die Karies verursacht? Sicherlich nicht. Schauen Sie sich seine Ernährung an: Frühstücksflocken, Kakao, Orangensaft, Nudeln, weißer Reis, Brot, Zitronenlimonade. Diese Nahrungsmittel enthalten Zucker und Kohlenhydrate in stark prozessierter Form. Bei deren Verstoffwechselung durch bestimmte Bakterien werden Säuren freigesetzt, die in der Mundhöhle Karies entstehen lassen können.

 

Die Nahrungsmittelindustrie hat in den vergangen 70 bis 80 Jahren für den Menschen sehr schmackhafte Nahrungsmittel kreiert. Süßigkeiten, Weißmehlprodukte wie Nudeln und Backwaren und Fertiggerichte sind Beispiele für industriell hergestellte Nahrungsmittel, die in ihrer natürlichen Form stark verändert wurden oder denen Zucker zugesetzt wurde. Aber manchmal muss es gar nicht die Industrie sein, die den Zucker verarbeitet.

JOHAN WÖLBER

In meiner Sprechstunde stellte sich ein Patient mit einer schweren Parodontitis und einem gleichzeitigen Körpergewicht von 150 kg vor. Mit meinem Wissen um die Bedeutung von Blutzuckerschwankungen sowohl für die Parodontitis als auch das Übergewicht suchte ich gemeinsam mit dem Patienten nach Gründen für diese starke Entzündungsreaktion und das vorhandene Übergewicht in seinem Ernährungsverhalten. Auf den ersten Blick schien der Patient jedoch nichts zu essen, was sein hohes Gewicht rechtfertigen würde: morgens Müsli mit einem Kaffee, mittags viel Gemüse, einen Teil Fleisch und mehr oder weniger stärkehaltiges Gemüse (wie Kartoffeln) und abends Vollkornbrot mit Käse. Nach intensiverem Überlegen fragte mich der Patient jedoch, ob Apfelsaft denn auch dick machen könnte. Er habe einen Hof mit vielen Apfelbäumen und da er es schade findet, Äpfel wegschmeißen zu müssen, machte er viel Saft draus. Und nun kommt’s: Davon trinkt er am Tag regelmäßig drei Liter! Erstaunlicherweise fand sich bei dem Patienten keine einzige Karies, was auf sein gutes Zähneputzen zurückgeführt werden kann. Und obwohl die Zähne an sich gesund geblieben sind, nahm der Patient im Laufe der Jahre durch den hohen Zuckerkonsum zu und es zeigten sich erste Entzündungserkrankungen wie die Parodontitis. Der Patient bedankte sich sehr für diesen Hinweis (es hatte ihn bisher noch kein Arzt darauf angesprochen, dass Apfelsaft auch schädlich sein könnte) und ging mit dem Plan nach Hause, den Apfelsaftkonsum zumindest um die Hälfte zu reduzieren. In der nächsten Kontrollsitzung kam der Patient mit sage und schreibe 10 kg weniger zu Besuch. Dementsprechend war er auch total glücklich, endlich einen Schlüssel zum Abnehmen gefunden zu haben.

Nachdem der Homo sapiens sesshaft geworden ist und vor allem im Laufe des 20. Jahrhunderts haben sich die Ernährungsgewohnheiten sehr stark verändert. Die Ernährung der westlichen Industrieländer, die zum Großteil aus industriellen Nahrungsmitteln besteht, wird auch als »Western Diet« bezeichnet und breitet sich mittlerweile Stück für Stück auf dem gesamten Globus aus. Lebensmittel dienen dabei vorwiegend als Energiequelle oder auch als Genussmittel. Industrielle Fertignahrung kann den Alltag erheblich erleichtern und unser Zufriedenheitsgefühl steigern. Die Lebensmittel sollen gut schmecken und dazu preiswert, vielfältig und überall, rund um die Uhr und vor allem schnell verfügbar sein. Aber ist diese ja beinahe künstliche Nahrung überhaupt für uns geeignet?

Ärzte und Zahnärzte thematisieren die Ernährung kaum bei ihren Patienten. Doch woran liegt das? Ist es die ungenügende Ausbildung auf diesem Gebiet, die Scheu, sich tiefgründiger mit seinem Patienten zu befassen? Oder ist es die Angst davor, als Zahnarzt vielleicht unwirtschaftlich zu arbeiten, da Bohren von den Krankenkassen besser entlohnt wird als das Gespräch mit dem Patienten? Und sicherlich gibt es auch nur wenige Patienten, die von ihrem Zahnarzt ein Gespräch über ihre Ernährungsgewohnheiten erwarten.

Wir selbst begannen uns mit dem Thema Ernährung zu beschäftigen, als wir etwas Gewicht verlieren wollten. Mit etwas Recherche im Internet und Literatur von Fitnessexperten fingen wir an, auf Nahrungsmittel zu verzichten, die Zucker enthielten oder aus Mehl hergestellt waren. Diese Nahrungsmittel sind in der Regel sehr kalorienreich. Obst, Gemüse und tierische Nahrungsmittel standen dafür mehr bei uns auf dem Speiseplan. Allein dadurch nahmen wir in wenigen Monaten etwa 8 bis 10 kg ab. Was uns dabei sehr schwerfiel, war der Verzicht auf Süßes. Die Lösung war zunächst folgende: Wir räumten uns in den ersten Monaten einen Tag in der Woche, unseren sogenannten »Überernährungstag«, ein. An diesem durften wir uns alles gönnen, worauf wir Lust hatten: Schokopudding, Crêpes, Schokoriegel, Weißbrot mit Honig, auch Fast Food. Das half uns anfangs über den Rest der Woche hinweg, an dem wir strikt an unserer Ernährungsweise festhielten. Auch wenn dann mal Heißhunger auf Süßes oder andere eher ungesunde Dinge aufkam, war die Aussicht auf den Überernährungstag unser »Rettungsboot« in der Anfangsphase. Irgendwann wurde uns bewusst, dass dies kein »Gönnen« war, sondern die letzten Fitzel einer weniger werdenden Abhängigkeit. Und nach einigen Monaten brauchten wir den Überernährungstag nicht mehr, denn das Verlangen nach Süßigkeiten verschwand.

Wir recherchierten stetig weiter, da uns dieses weite Feld der Ernährung mit all seinen Facetten immer mehr zu faszinieren begann. Schließlich beschäftigten wir uns auch wissenschaftlich mit dem Einfluss der Ernährung auf zahnmedizinische Erkrankungen und ahnten nicht, welches Potenzial die Ernährung in der Vorsorge und Therapie von Karies, Gingivitis und Parodontitis hatte. So schien es uns sogar möglich, durch eine geeignete Ernährung Entzündungen in der Mundhöhle vorzubeugen oder antientzündliche Wirkung zu erzielen. Dies mündete in wissenschaftliche Studien, die wir an unserer Universität in Freiburg durchführten und wodurch wir die Effekte der Ernährung in der Mundhöhle belegen konnten.

Was uns jedoch sehr mühsam erschien und Jahre in Anspruch nahm, war es, bei der Fülle an Informationen über Ernährungsformen, Ernährungsempfehlungen, vermeintlichen Superfoods, unbedingt zu vermeidenden Nahrungsmitteln in Podcasts, Büchern, Zeitschriften, Fernsehbeiträgen und im Internet das »Richtige« herauszufiltern.