Buch lesen: «Mit intelligenten Kindern intelligent umgehen»
Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek
Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar.
ISBN E-Book 978-3-92439-178-2
ISBN gedruckte Version 978-3-95779-022-4
Diesem E-Book liegt die Dritte aktualisierte Auflage 2019 der gedruckten Ausgabe zugrunde.
E-Book-Erstellung: CPI books GmbH, Leck
Originalausgabe unter dem gleichen Titel
im Selbstverlag der Autoren
Erste Buchauflage 2015 im Info3-Verlag
Zweite Buchauflage 2015
Dritte aktualisierte Buchauflage 2019
© 2015 Info3-Verlagsgesellschaft Brüll & Heisterkamp KG
Buchgestaltung: Frank Schubert, Frankfurt am Main
Umschlag unter Verwendung einer Zeichnung
von Thomas Plaßmann
Satz: Felix Hau, Kulturfarm, Rinteln
Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck
Über dieses Buch
Es gibt viele Formen von Hochbegabung: sportliche, musikalische, sprachliche, emotionale, soziale, etc.
Die intellektuelle Hochbegabung nimmt schon deshalb in der Reihe einen besonderen Platz ein, weil sie oft weder erkannt noch berücksichtigt wird und dann zu Verhaltensauffälligkeiten führen kann. Hochbegabte Kinder sind oft alles andere als glückliche Kinder. Das muss nicht sein. In ihrer Beratungspraxis haben die Autoren, beide Diplom-Psychologen, in unzähligen Fällen praktische Hilfestellungen für den Erziehungsalltag geben können und schöpfen für dieses Buch aus einem Schatz an Erfahrungen. Eltern, Erzieher(innen) und Lehrkräfte können davon profitieren. „Wir möchten betroffenen Eltern und Erziehern Mut machen, auch mal neue Wege zu gehen. Etwas Neues ausprobieren gibt den Eltern die Chance, ihre Kinder mit neuen Augen zu sehen und dadurch zu einem zufriedene(re)n Miteinander zu kommen.“
Dieses Buch wird empfohlen von der Deutschen Gesellschaft für das hochbegabte Kind.
Über die Autoren
Hagen Seibt
Diplom-Psychologe, Fachpsychologe für Arbeit, Betriebe und Organisationen. Von 1990 bis 2004 Mitglied des Vorstandes der Wirtschaftspsychologie im BDP e.V. Gründer und 17 Jahre lang Leiter des Arbeitslkreises „Hochbegabte/Potenziale“ im Berufsverband Deutscher Psychologen e.V. Seit 1993 freiberuflicher Berater und Trainer.
Christa Rüssmann-Stöhr
Diplom-Psychologin, NLP-Practitioner. Von 1999 bis 2007 Vizepräsidentin des Verbandes zur Förderung der Wirtschaftspsychologie e.V. Seit 1974 freiberufliche Beraterin und Trainerin in der Personal- und Organisationsentwicklung.
INHALT
Zum Geleit
Vorwort
KAPITEL 1-23: URSACHEN, HINTERGRÜNDE, HANDHABUNG
Kapitel 1: Hochbegabung – kein eindeutiges Konzept
Kapitel 2: Erkennen von intellektueller Hochbegabung im Alltag
Kapitel 3: Begabungsdiagnostik durch Tests
Kapitel 4: Testverfahren konkret
Kapitel 5: Motivation
Kapitel 6: Lernen
Kapitel 7: Disziplin und Ordnung
Kapitel 8: Stress und Stressmanagement
Kapitel 9: Kommunikation von Gefühlen
Kapitel 10: Beziehung zu Gleichaltrigen
Kapitel 11: Beziehung zu Geschwistern
Kapitel 12: Tradition und Moral
Kapitel 13: Depressionen
Kapitel 14: Unterschiede zwischen Mädchen und Jungen
Kapitel 15: Probleme der Eltern
Kapitel 16: Das Krabbelalter
Kapitel 17: Probleme im Kindergarten
Kapitel 18: Mobbing
Kapitel 19: Probleme in der Schule
Kapitel 20: AD(H)S
Kapitel 21: Asynchronie bestimmt die Entwicklung
Kapitel 22: Das 3 x 3 Begabungsmanagement
Kapitel 23: Das Prinzip der kognitiven Selbststeuerung
KAPITEL 24: BEGABUNGSMANAGEMENT
Begabungsmanagement 1: Arbeitshaltung in der Schule
Begabungsmanagement 2: Ausdauer fördernde Freizeitgestaltung
Begabungsmanagement 3: Angemessener elterlicher Erziehungsstil
Begabungsmanagement 4: Sozialverhalten in der Schule
Begabungsmanagement 5: Sozialverhalten in der Freizeit
Begabungsmanagement 6: Erziehung zum Sozialverhalten
Begabungsmanagement 7: Schule als Lernort für Gefühle
Begabungsmanagement 8: Freizeit und Emotionalität
Begabungsmanagement 9: Erziehungsstil und Gefühle
Kontakt und Informationen
Weitere Adressen
Autoren und Illustrator
Konformitätserklärung
Literaturhinweis
Zum Geleit
Mit diesem Buch halten Sie einen wunderbaren Ratgeber in Händen. Er richtet sich vor allem an Eltern hochbegabter Kinder und Jugendlicher, aber auch an deren Erzieher und Lehrer.
Die Deutsche Gesellschaft für das hochbegabte Kind, DGhK e.V., arbeitet seit Jahren mit allen Beteiligten praxisnah und lebensorientiert. Dieses Buch stellt in besonderer Weise Beispiele aus solcher Arbeit dar. Gerade weil es kein wissenschaftlich orientiertes Buch ist, sondern aus Erfahrungen von Experten resultiert – nämlich den Eltern –, ist es wunderbar als Hilfe zur Selbsthilfe zu verstehen. Das Einbinden aller Beteiligten bietet neue Entwicklungschancen und fördert die Entfaltung der Hochbegabung.
Die beiden Autoren haben eine kreative Unterstützung durch den Illustrator Thomas Plaßmann erhalten, so dass auch der Humor beim Lesen nicht zu kurz kommt. Wir, die DGhK, haben eine große Freude an hochbegabten Kindern und wünschen uns, dass dieser Ratgeber dieselbe Freude in die Welt trägt.
Martina Rosenboom
Präsidentin der DGhK e.V.
„Ein Vorteil der Klugheit besteht darin,
dass man sich dumm stellen kann.
Das Gegenteil ist schon schwieriger.“
Kurt Tucholsky
Vorwort
Liebe Leserin, lieber Leser1,
viele Bücher sind bereits zum Themenkreis Intelligenz/Hochbegabung bei Kindern geschrieben worden – warum noch eines?
Seit Jahrzehnten diagnostizieren und beraten wir zum Thema (Hoch-)Begabung. In dieser Zeit haben wir natürlich die einschlägige Literatur verfolgt. Meist schreiben Experten für Experten. Mit der Lupe zu suchen sind Ratgeber, die betroffenen Eltern, Erzieherinnen oder Lehrkräften konkrete Hinweise geben, wie nun mit problematischen hochbegabten bzw. besonders begabten Kindern umzugehen ist. Es gibt wenig Rat und Antwort auf die Frage: Wie gehe ich zu Hause mit solchen Kindern um? Die Eltern werden mit der Erziehung oft allein gelassen. Hier möchten wir konkrete Unterstützung anbieten.
Dieses Buch soll also nicht die akademische Diskussion bereichern. Es geht auch nicht um neue Schulprogramme. Es soll Rat geben, sprich: praktische Hilfestellung im Erziehungsalltag für die ganzheitliche Förderung der Kinder. Viele Förderprogramme beschränken sich auf den intellektuellen, kognitiven Bereich. Das greift zu kurz. Wo bleibt die Emotionalität? Wo das Sozialverhalten? Viele Probleme ergeben sich unserer Erfahrung nach erst dadurch, dass verschiedene Entwicklungsbereiche der Kinder unharmonisch auseinander klaffen.
Wir möchten betroffenen Eltern und Erziehern Mut machen, auch einmal neue Wege zu gehen. Etwas Neues ausprobieren gibt den Eltern die Chance, ihre Kinder mit anderen Augen zu sehen und dadurch zu einem zufriedene(re)n Miteinander zu kommen.
Dankbar sind wir den 4800 Eltern, die wir bisher beraten haben. Sie haben uns unendlich viele Beispiele genannt, wann und unter welchen Umständen bestimmte Maßnahmen erfolgreich waren. Diese wertvollen Rückmeldungen haben wir gesammelt und zu systematisieren versucht. Die Tipps gelten nicht nur für den Umgang mit Kindern, die klar als hochbegabt diagnostiziert worden sind, sondern auch für den Umgang mit besonders pfiffigen Kindern.
Mancher Tipp wird plausibler, wenn man mit einem neuen Verständnis und etwas anderer Hintergrundinformation an die Kinder herangeht. Als Grundlage dienen einschlägige psychologische Theorien, die allerdings stark verkürzt beschrieben sind.
Wir hoffen, dass Eltern unseren Ratgeber nicht nur einmal durchlesen und dann beiseite stellen, sondern ihn sich immer wieder einmal nehmen, darin herumschmökern und sich Anregungen zum Ausprobieren holen. Es gibt viele Eltern, die bei ihren besonders begabten Kindern mit ihren traditionellen Erziehungsmethoden nicht (mehr) weiterkommen. Diese finden hoffentlich den Mut, Neues zu riskieren. Denn es gehört schon Mut und Zuversicht dazu, sich mit seinem Kind gemeinsam auf eine neue Lernerfahrung einzulassen. Der Ausgang ist immer ungewiss. Die vielen aufgeführten Beispiele2, die sich natürlich nicht auf jedes Kind eins zu eins übertragen lassen, mögen die elterliche Phantasie anregen und zum Handeln auffordern.
Der besseren Auffindbarkeit wegen werden in diesem Buch auch die zusammenhängenden Ausführungen in einzelnen, jeweils kursiv überschriebenen Kerngedanken aufgeschlüsselt.
Wir wünschen allen Eltern, dass sie es schaffen, die wunderbare Kreativität dieser Kinder – die sich so oft störend in unserer Gesellschaft auswirkt – zu erhalten, ihre Kinder aber trotzdem zu befähigen, sich ohne seelischen Stress an gesellschaftliche Gepflogenheiten anpassen zu können. Wir haben solche sozial anpassungsfähigen Querdenker bitter nötig!
Christa Rüssmann-Stöhr
Hagen Seibt
BEGRIFFSVIELFALT
Bei unserem Thema herrscht Verwirrung wie beim Turmbau zu Babel:
• „Hochbegabung“
• „besondere Begabung“
• „Sonderbegabung“
• „überdurchschnittliche Begabung“
• „Hochleistungsdisposition“
• „potenzielle Hochbegabung“
• „allgemeine Hochbegabung“
• „spezifische Begabungen“
• „intellektuelle Hochbegabung“
• „intellektuelle Begabung“
• „nicht-intellektuelle Begabung“
• „besonderes Talent“
• „generelle Intelligenz“
• „emotionale Intelligenz“
• „soziale Intelligenz“
• „allgemeine Intelligenz“
• „multiple Intelligenzen“
• „mathematisch-räumliche Intelligenz“
• „sprachliche Intelligenz“
• „fluide und kristalline Intelligenz“
So lauten einige der gebräuchlichen Begriffe in diesem Zusammenhang. Sie meinen teilweise dasselbe, teilweise Unterschiedliches. Geradezu eine Inflation von Begabungen und Intelligenzen.
THEORIEVIELFALT
Vergleichbares gilt für den theoretischen Hintergrund. Theorien zur Hochbegabung gibt es seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Experten sind sich bis heute nicht einig. Es gibt nicht die einzige, unumstrittene Auffassung,
• was Hochbegabung oder besondere Begabung eigentlich ist,
• womit sie zusammenhängt,
• wie sie entsteht,
• wie man am besten mit ihr umgeht.
Einig sind sich alle Experten darin, dass Intelligenz nicht homogen ist, dass sich Intelligenz also aus mehreren Aspekten ergibt. Ein Modell geht von einer Vielzahl unabhängiger Faktoren aus. Andere Experten sehen einen generellen Grundfaktor und darüber hinaus einzelne Spezialfaktoren.
Eine weitere Unterscheidung, die Eingang in die Konstruktion von Testverfahren gefunden hat, ist die Differenzierung zwischen sogenannter fluider und kristalliner Intelligenz. Unter fluider Intelligenz (von lateinisch fließend) wird „Bewegliches“ verstanden, also Denkgeschwindigkeit, Gedankenvielfalt, Kreativität, Originalität, Gehen eigener Denkwege, Phantasie. Kristalline Intelligenz ist dagegen eher etwas „Festes“, wie alles Gelernte, unsere Erfahrungen, Bildung, Wissen. Kristalline Intelligenz nimmt mit den Jahren zu, fluide Intelligenz nimmt mit den Jahren eher ab.
Bekannte deutsche Forscher auf dem Gebiet sind C. Fischer, K. A. Heller, F. J. Mönks und D. H. Rost, von denen jeder sein eigenes Konzept vertritt.
Lassen wir die Diskussion in der Wissenschaft beiseite, denn sie hilft im Alltag – im Umgang mit besonders begabten Kindern – nicht viel weiter. Was nun ist mit Hochbegabung gemeint?
Hochbegabung gleich Einstein oder Beethoven?
Es geht nicht um spezielle Sonderbegabungen à la Mozart oder Beet-hoven auf einem bestimmten Gebiet, sei es die Musik, die Kunst oder der Sport. Hochbegabung bezieht sich auf grundlegende Faktoren, die Intelligenz ausmachen, wie z.B. Denkgeschwindigkeit, Aufmerksamkeitsspanne, Erkennen logischer Zusammenhänge und Regeln, neugieriges kreatives Finden, das Wissen darum, warum etwas so und nicht anders ist.
HOCHBEGABUNG = DENKSTRUKTUREN
Intellektuell hochbegabt ist jemand,
• der sich schnell und effektiv neues Wissen aneignen kann, landläufig schnelle Auffassungsgabe genannt;
• der neues Wissen, neue Erkenntnisse mit bereits vorher Eingespeichertem breit vernetzen kann;
• der sein Wissen in neuen Situationen gezielt einsetzen kann;
• der seine Denk- und Lösungsstrategien auf ungewohnte Fragestellungen zielsicher übertragen kann;
• der gut auch schwierige Probleme lösen kann.
Wie viel ist drei Viertel von 60?
Ein Beispiel für die Denkstrukturen Hochbegabter: Ein siebenjähriger Junge gab auf die Frage: „Wie viel ist drei Viertel von 60?“ die richtige Antwort: 45.
Da er Bruchrechnen nicht kannte, konnte er nicht den für uns üblichen Weg der Berechnung (60 : 4 x 3) beschritten haben. Wie er darauf gekommen ist? Er hat nicht geraten, sondern logisch abgeleitet: „Die Stunde hat 60 Minuten. Und eine Dreiviertelstunde hat 45 Minuten. Also muss es 45 sein.“
Wie viel ist 7 mal 7?
Ein Vorschüler, fünf Jahre alt, murmelt: „2 mal 7 ist 14, dann 28, 3 ... ist 48, dann muss ich noch eins dazu, raus kommt also 49.“ Was steckt hinter dieser kryptischen Äußerung? Der Gedankengang des Kleinen war offensichtlich folgender: 2 x 7 ist 14. Dann ist 4 x 7 das Doppelte, also 28. Dann müssen noch 3 x 7, also 21 dazu. Da nehme ich erst die glatte Zahl 20, da bin ich bei 48. Und dann bleibt noch eins, was dazu muss. Also ist das Ergebnis 49.
Wann hast du Geburtstag?
Und ein letztes Beispiel. Es geht um die Bestimmung des Geburtsdatums. Frage: „Wann hast du Geburtstag?“ Antwort eines Fünfjährigen: „Am 13. Februar.“ Nächste Frage: „Und in welchem Jahr?“ Erstaunte Antwort: „In jedem Jahr.“ Völlig korrekte Antwort auf die ihm gestellte schwammige Frage.
HOCHBEGABUNG GLEICH GUTE LEISTUNG? UND GLEICH GUTE SCHULNOTEN?
Begabung ist nicht gleich Leistung. Der Hochbegabte als Primus mit nur Einsen auf dem Zeugnis: Das ist ein Vorurteil, das muss ganz und gar nicht so sein. Die Meinung, dass besonders begabte Kinder aufgrund ihrer enormen Begabung schulische Anforderungen gut bewältigen, dass ihnen alles leicht(er) von der Hand geht, ist ein Mythos. Oder um es anders zu sagen: Lernen und üben müssen auch Hochbegabte. Viele Probleme mit besonders begabten Kindern ergeben sich daraus, dass sie das Üben, die Anstrengung und das Lernen nicht oder viel zu spät lernen. Nur ca. 20 bis 25 Prozent der Ursachen für gute Schulleistung sind auf die Intelligenz zurückzuführen, also weit mehr als zwei Drittel liegen an anderen Faktoren! Oder anders herum: Man muss keineswegs hochbegabt sein, um in Schule oder Beruf Erfolg zu haben. In Zahlen: Lediglich 15 Prozent der hochleistenden Schüler sind Hochbegabte. Die anderen 85 Prozent sind nicht hochbegabt und erbringen trotzdem Höchstleistungen.
Begabung ist ein Potenzial. Persönlichkeitsmerkmale wie Motivation, Arbeitshaltung, Lernstrategien, Anstrengung, Durchhaltevermögen müssen hinzukommen. Und es gibt noch einen dritten wichtigen Faktor, von dem die Leistung abhängt: das soziale Umfeld.
„DIE“ HOCHBEGABUNG GIBT ES NICHT
Ebenso wie normal begabte Kinder sehr verschieden sind, so sind auch Hochbegabte keine einheitliche, eindeutig erkennbare Gruppe. Unter Hochbegabten findet man eine ebenso große Vielfalt von kleinen Persönlichkeiten, eine Vielzahl unterschiedlicher Verhaltensweisen. Unauffällig Angepasste, auffällige Chaoten, unbeliebte Besserwisser, beliebte Klassensprecher, usw. usw.
Underachiever
Es gibt sehr wohl Hochbegabte, die sehr schlechte Noten haben, die in der Schule versagen. Auf neudeutsch nennt man sie „Underachiever“ (Minderleister oder Geringleister), da sie viel mehr leisten könnten als sie tatsächlich zeigen. Hochbegabung ist eben nur die Möglichkeit zur Leistung, nicht die Leistung selbst. Daher gehen schulische Fördermaßnahmen, die sich auf Leistung beziehen – und das ist bei den meisten nach wie vor der Fall –, an Hochbegabten oft spurlos vorbei.
Hochbegabung braucht Unterstützung
(Hoch-)Begabung ist, wenn man so will, der gute Boden, der bei entsprechender Pflege viele hervorragende Pflanzen hervorbringen kann. Wenn dieser gute Boden aber schlecht beackert wird, dann wächst nicht viel außer Unkraut. Das heißt: Hochbegabte Kinder bedürfen ebenso wie Minderbegabte einer besonderen Förderung, einer „Sonderpädagogik“. Hier sind Eltern wie Lehrer gefordert. Es kann nicht deutlich genug gesagt werden: Das Leistungsvermögen von Hochbegabten wird üblicherweise viel zu optimistisch eingeschätzt. Oder mit anderen Worten, von alleine entwickelt sich nicht viel. Ausgeklügelte individuell zugeschnittene Lerngelegenheiten mit hochwertigem Feedback sind absolut notwendig, damit auch besonders begabte Kinder lang andauernde Lernprozesse konzentriert durchhalten.
Hochbegabung ist äußerlich nicht sichtbar. In Situationen, in denen die besonderen Fähigkeiten Hochbegabter nicht zum Tragen kommen können, werden Hochbegabte nicht auffallen.
Hochbegabung gleich Behinderung?
Hochbegabung ist keine Krankheit, keine therapiebedürftige Behinderung. Hochbegabte sind keine durchgeistigten wunderlichen Sonderlinge, die an der richtigen Welt vorbei leben, Typ „zerstreuter Professor“. Auch die „Genie-Wahnsinn-These“ entspricht nicht den Tatsachen. Hoch- bzw. höchstbegabte Menschen entwickeln nicht zwangsläufig eine pathologische Persönlichkeitsstörung. Hochbegabung ist Potential, das allerdings nur bei entsprechender Erziehung und Unterrichtsgestaltung zu kreativ-schöpferischen oder wissenschaftlichen Leistungen führt.
Hochbegabung gleich Erfolg und Karriere?
In Schlüsselpositionen in der Wirtschaft oder in der Politik sitzen selten Hochbegabte. Wo Macht und Durchsetzungsverhalten eine große Rolle spielen, ist die ausgeprägte Sozialkompetenz Hochbegabter fehl am Platz. Sie streben deshalb in der Regel keine Führungspositionen an, sie verweigern sogar klassische Karrierewege, weil sie fürchten, dann nicht mehr inhaltlich sinnvoll arbeiten zu können. Andererseits wollen sie hoch motiviert ihre Umgebung, ihre Arbeit, ihre sozialen Beziehungen zum Besseren gestalten. Hochbegabte bringen sich hier deutlich mit Verbesserungsvorschlägen ein – nicht immer zur Freude von Chef und Kollegen.
Hochbegabten geht es zumeist um logische Konsequenzen, um sachliche Richtigkeit beziehungsweise grundsätzliche Klarheit. Dieses Bestreben kann dazu führen, dass einige Hochbegabte gegen die Autorität oder das System rebellieren und von daher aggressiv und renitent erscheinen. Sie haben ihre Schwierigkeiten mit dem normalen Erziehungssystem, ebenso wie Minderbegabte damit ihre Schwierigkeiten haben.
Hochbegabte Kinder ziehen sich durch ihre hohe soziale Sensibilität eher zurück – die anderen gleichaltrigen Kinder sind zu laut, zu dumm, zu derb, zu aggressiv... Hochbegabte sind nicht aggressiv – Aggression und körperliche Gewalt finden sich eher bei Kindern, die unterdurchschnittlich intelligent sind.