Buch lesen: «Doctor Who Monster-Edition 6: Roboter des Todes»

Schriftart:

DOCTOR

WHO

ROBOTER DES TODES

CHRIS BOUCHER

Ins Deutsche übertragen von

BERND SAMBALE



Die deutsche Ausgabe von DOCTOR WHO: ROBOTER DES TODES

wird herausgegeben von Cross Cult /Andreas Mergenthaler,

Übersetzung: Bernd Sambale; Lektorat: Jana Karsch; Korrektorat: Peter Schild;

verantwortlicher Redakteur: Markus Rohde; Satz: Rowan Rüster;

Printausgabe gedruckt von CPI Moravia Books s.r.o., CZ-69123 Pohořelice.

Printed in the EU.

Titel der Originalausgabe: DOCTOR WHO – CORPSE MARKER

German translation copyright © 2021 by Cross Cult.

Original English language edition copyright

© die jeweiligen Autoren, BBC Worldwide Limited

und BBC Studios, 1999, 2014, 2021

Doctor Who is a BBC Wales production for BBC One.

Executive producers: Chris Chibnall and Matt Strevens

BBC, DOCTOR WHO, TARDIS, DALEK and CYBERMAN (word marks and logos)

are trade marks of the British Broadcasting Corporation and are used under licence.

BBC logo © BBC 1996. Doctor Who logo © BBC 2018.

Dalek image © BBC/Terry Nation 1963.

Cyberman image © BBC/Kit Pedler/Gerry Davis 1966. Licensed by BBC Studios.

First published in 1999, THE MONSTER COLLECTION edition published in 2014

by BBC Books, an imprint of Ebury Publishing.

A Random House Group Company.

Printausgabe: ISBN 978-3-96658-026-7 • Digitale Ausgabe: ISBN 978-3-96658-027-4

Juli 2021

WWW.CROSS-CULT.DE

VORWORT

Wenn ich das mal kurz an meinen Fingern abzähle – meine liebste Herangehensweise an die Mathematik –, habe ich diesen Roman anscheinend vor rund fünfzehn Jahren geschrieben. Mein erster Agent hatte mir vor langer Zeit gesagt, ich solle niemals ein Datum irgendwo druntersetzen, »denn dies führt immer dazu, dass man den Dingen danach immer das Alter ansehen kann«. Diesen Text hat jedoch der Herausgeber mit einem Datum versehen; falls das ein Fehler war, so war es diesmal wenigstens nicht meiner. Ich glaube, es war Harold Wilson – möge er in Frieden ruhen –, der mal gesagt hat, in der Politik sei eine Woche eine lange Zeit. Nun, fünfzehn Jahre sind in jedem Fall eine lange Zeit. Besonders wenn es ums Gedächtnis geht.

Wenn man es recht bedenkt, ist es ohnehin eine schwierige Angelegenheit, sich an etwas zu erinnern. Wollte und könnte man etwa einen absolut präzisen Bericht der vergangenen Stunde abliefern, so würde einen dies logisch betrachtet eine Stunde in Echtzeit kosten. Angenommen, man wollte und könnte nun ferner einen vollkommen akkuraten Bericht der letzten beiden Stunden abliefern, dann müsste man sich zwangsläufig auch die Stunde in Erinnerung rufen, die man gerade damit verbracht hat, sich an die erste Stunde zu erinnern …

Mit dieser kleinen Abschweifung – übrigens ein fantastisches Rezept, um Schlaflosigkeit zu kurieren – möchte ich eigentlich nur eines rechtfertigen: Als ich gebeten wurde, das Vorwort zu dieser neuen Ausgabe von Roboter des Todes zu schreiben, konnte ich mich nicht mehr gut genug an das Buch erinnern, um meine Aufgabe guten Gewissens erfüllen zu können. Erst würde ich es noch einmal lesen müssen. Und das tat ich auch. Interessanterweise – nun, ich hoffe jedenfalls, es ist interessant – ist das Erinnern ein wesentliches Handlungselement. Ich mag solche schönen Zufälle, Sie auch? Selbstverständlich nicht als Handlungselement: Zufälle im Handlungsverlauf müssen anders gerechtfertigt werden, wodurch sie dann natürlich keine Zufälle mehr sind …

Eine Fortsetzung zu schreiben wirft stets Probleme auf, und sei es nur, dass man sich präzise an die Details des Originals erinnern muss, damit man sich nicht selbst widerspricht und nachher wie ein Trottel dasteht. Das Schreiben der Romanfortsetzung zu einem Fernseh-Mehrteiler stellte mich jedoch vor weit interessantere Schwierigkeiten. Und das Wort »interessant« verwende ich hier im Sinne des chinesischen Fluchs: Mögest du in interessanten Zeiten leben. Nebensächliche Dinge wie die Kostüme, in The Robots of Death im Fernsehen eindrucksvoll aber unkommentiert, wollten in der Romanfortsetzung nun beschrieben und begründet werden. Im Gegensatz zu etwas, was man nur flüchtig auf dem Bildschirm sieht, gewinnt eine Beschreibung in Prosa sofort eine größere Bedeutung, so als würde ein Regisseur den Fokus auf etwas richten. Eine Beschreibung sagt: »Sieh her«, und »Sieh her« sagt: »Warte mal, was hat’s damit eigentlich auf sich?« Dann muss man gründlich über alles nachdenken – was lustiger ist, als es vielleicht klingt, und (so hoffe ich) auch zu einer besseren und spannenderen Geschichte führt. Ergeben Elemente einer Handlung keinen Sinn, dann verliere ich leicht das Interesse – und nicht selten auch das Bewusstsein.

Instinktiv gehe ich wohl zumeist reduktionistisch vor: Ich nehme Ideen, Gefühle und Überzeugungen auseinander und versuche herauszubekommen, wie sie tatsächlich funktionieren, nicht nur dem Anschein nach. So ausgedrückt, klingt es ein wenig nach Gottkomplex; ich glaube jedoch, es ist eher ein Komplex, der mit Göttern, Religionen, Klassensystemen, Vernunft, Mode, Tod und Verschwörungen sowie all den anderen Dingen zu tun hat, die uns meistens Angst machen und uns ansonsten gut unterhalten. Oder geht das nur mir so? Jedenfalls können Sie das ganze Zeug in diesem Buch finden, Sie müssen nur suchen. Ich würde Ihnen aber empfehlen, es nicht zu tun: Warten Sie lieber, bis es sich von hinten anschleicht und Buh ruft! Und dann gibt es noch Witze und Gewalt und sogar ein paar sexuelle Anspielungen. Ja, eigentlich kommt so ziemlich alles vor, was ich selbst von guter Unterhaltung erwarte. So bin ich schon immer ans Schreiben herangegangen: Wenn es mir keinen Spaß macht, macht es auch Ihnen keinen Spaß, und dann haben wir beide unsere Zeit verschwendet.

Ich weiß noch: Als ich beauftragt wurde, dieses Buch zu schreiben, war ich dankbar für die Arbeit und das Geld, obwohl es mehr Arbeit und weniger Geld war, als man damals beim Fernsehen bekam, oder selbst beim Radio. »Damals« ist hier das Schlüsselwort. Stephen Cole, zu dem Zeitpunkt der Redakteur, meinte, die Leute hätten Lust auf eine Fortsetzung zu The Robots of Death – ob das stimmte, ist wohl nach wie vor nicht geklärt. Ich selbst aber hatte durchaus Lust darauf und meine Familie wollte gern weiterhin den Luxus von Essen und einem Dach über dem Kopf genießen.

Wann immer ich einen Auftrag bekomme – und nur dann kann ich überhaupt schreiben –, strebe ich eine bestimmte tägliche Wortzahl an. Hoffentlich fallen nur mir jene Stellen auf, an denen ich zu kämpfen hatte, um mein Tagesziel zu erreichen. Dieses Vorwort ist natürlich ebenfalls eine Auftragsarbeit, und heute läuft es nicht gut: Zweiundfünfzig Wörter in diesem Teil des Absatzes, und keines besonders von Belang. Dies muss der Moment sein, da Sie aufhören, Ihre Zeit mit dem Vorwort zu vergeuden – lesen Sie lieber das Buch! Ehrlich gesagt – und gewöhnlich versuche ich, ehrlich zu sein, denn Lügen ist so anstrengend – war ich beim Lesen ein wenig verblüfft: Im Gegensatz zu mir scheint der Roman nämlich kaum gealtert zu sein. Mir hat es jedenfalls viel Freude gemacht, ihn noch einmal zu lesen. Ich hoffe, er gefällt auch Ihnen.

Chris Boucher

Oktober 2013

Für Linda, für immer

Inhalt

VORWORT

VORBESPRECHUNG

MARKER

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Kapitel 10

Kapitel 11

Kapitel 12

Kapitel 13

NACHBESPRECHUNG

VORBESPRECHUNG

Die gewaltige Maschine namens Sturmmine vier kriecht durch die pfadlose Ödnis des Blind Heart. Sie jagt den unbeständigen Wetterfronten der Wüste nach sowie den jähen wilden Winden, die mineralreiche Sandstürme entstehen lassen und wertvolle Erze in fliegende Flöze verwandeln.

Die wissen das alles – warum befasse ich mich überhaupt damit? Ich gebe vor, sie zu unterschätzen, damit sie sich überlegen fühlen und ihrerseits mich unterschätzen …

Ein talentierter Captain, mit einem fähigen Piloten an seiner Seite, kann an einem Sturm dranbleiben und seinen ergiebigsten Erzströmen folgen, während sie an den offenen Ansaugschächten vorüberwirbeln. Zwar können auch Roboter diese Arbeit erledigen, ebenso wie all die anderen Jobs, die nötig sind, um die Mine zu betreiben. Um jedoch das ökonomische Potenzial der Ausrüstung voll auszuschöpfen, sämtlichen Reichtum aus den dichten, sturmgepeitschten Kieswolken herauszusaugen, braucht man Instinkt und Fingerspitzengefühl. Das lässt sich nichts Geringerem als einem menschlichen Wesen einprogrammieren.

Aber es spielt keine Rolle: Sie liegen so weit zurück in der Partie, dass sie gar keine andere Wahl haben, als mich zu unterschätzen …

Gegenwärtig hat die Firma kein besseres Zweiergespann aus Captain und Pilot als Kiy Uvanov und Lish Toos in der Datenbank. Leider erreicht der Rest der Mannschaft von Sturmmine vier nicht den gleichen hohen Standard, und nachdem acht Monate des zweijährigen Einsatzes vergangen sind, kommt es zum Desaster: Es gibt einen suspekten Todesfall. Paranoia greift um sich. Feindseligkeiten, die bisher unter der Decke gehalten wurden, treten plötzlich zutage und in der zunehmend hysterischen Atmosphäre fangen die Mitarbeiter an, sich gegenseitig des Mordes zu bezichtigen.

Dann kommen sie um – einer nach dem anderen.

Fast von Anfang an besteht kein Zweifel daran, dass jemand – oder etwas – durch die leeren Ebenen und die verlassenen Korridore der enormen Mine streicht und wahllos und unerbittlich mordet.

Natürlich haben sie es trotzdem bezweifelt. Zweifel und Paranoia – wo wären wir ohne sie? Nun, ich würde mich jedenfalls sicher nicht auf diesem eigenartig rückständigen Planeten verstecken …

Als der Captain schließlich begreift, was in Wahrheit vor sich geht, sind nur noch drei aus seinem Team am Leben. Zwei sind bereits völlig irrsinnig und auch Pilotin Toos sowie Uvanov selbst verlieren allmählich den Bezug zur Realität und fangen an, Gespenster zu sehen. Im eisigen Griff des Schreckens fantasieren sie aus dem Nichts einen seltsam gekleideten Mann und ein Stammesmädchen herbei, da sie sich schwer damit tun, das Undenkbare, das Unvorstellbare anzuerkennen.

So unmöglich es auch erscheinen mag, sie haben es mit Robotern zu tun: Normalerweise funktionsfähigen und vollständig abgesicherten Vocs und Supervocs, die erst hier vor Ort, in der Mine selbst, modifiziert worden sind.

Noch immer will man es nicht glauben, doch diese Roboter sind entsichert worden, sodass sie töten können. Nachdem sie die Schächte geschlossen und die Maschinen so weit gedrosselt haben, dass die Mine nicht im Sand versinkt, beginnen Captain Uvanov und Pilotin Toos, nach Wegen zu suchen, wie sich die Killermaschinen zerstören lassen.

Ein bisschen übertrieben, aber vieles von alldem ist ja melodramatische Spekulation. Also schauen wir einfach mal, was für eine Reaktion wir rausschlagen können …

»Nein.« Die Stimme aus dem Halbdunkel hinten im Konferenzraum klang gebieterisch. »Tut mir leid, aber das glaube ich nicht.«

Carnell pausierte das Bild auf dem Demonstrationsbildschirm und stellte das Licht im Raum ein wenig heller. Er schaute den selbstbewussten Mann an, dessen kruder Anzug aus derbem, schlichtem Gewebe von seinem Wohlstand und seiner aristokratischen Herkunft zeugte, und seufzte innerlich. Einer der anderen wäre ihm lieber gewesen, einer, der weniger offensichtlich dumm war. Vergleichbare Geisteskraft hätte er auch bei einer der vielen humanoiden Maschinen bekommen können, die, reglos und unbeachtet, nur darauf warteten, den Teilnehmern dieser geheimen Versammlung zur Hand zu gehen. Er machte sich rasch eine gedankliche Notiz sicherzustellen, dass die Roboter zum Routineservice geschickt wurden, damit nicht irgendwelche Daten zu diesem Treffen zurückblieben und jemand versehentlich darauf zugriff.

»Ich glaube das nicht, tut mir leid«, wiederholte der junge Mann.

Dir hat in deinem Leben noch nie etwas leidgetan, du inzüchtiger Idiot, dachte Carnell und sagte: »Könnten Sie vielleicht etwas konkreter werden, Firstmaster Roatson?«

»Das Ganze kann unmöglich so abgelaufen sein.«

Es war eine schlichte Feststellung – oder vielmehr die Meinungsäußerung eines Mannes, der zu privilegiert war, um den Unterschied kennen zu müssen. Carnell wusste, dass es keinen Sinn hatte, sich mit so jemandem anzulegen, schon gar nicht in ihrer gegenwärtigen Gesellschaft. Aber diese Sache langweilte ihn schon jetzt. Das hier hätte ein recht interessantes Spiel sein können, wenn diese engstirnigen Narren mit ihren begrenzten Ambitionen nicht gewesen wären. Wo steckten bloß die dekadenten, machthungrigen Psychotiker, wenn man sie mal brauchte? Er hob eine Augenbraue und setzte ein dünnes Lächeln auf. »Da alle Indizien aufs Gegenteil hindeuten«, sagte er und machte eine wohl bemessene Pause, »müssen Ihnen offenbar Informationen vorliegen, die man mir vorenthalten hat.«

Mehrere Vertreter der anderen Gründerfamilien und einige Emporkömmlinge der Handelskartelle kicherten unverhohlen.

Der junge Aristokrat ließ sich nicht beirren. »Die Familien«, sagte er, »waren praktisch von Anfang an in die Roboterentwicklung involviert und ich kann Ihnen versichern: Es gibt keine Möglichkeit, den Rang eines Voc in der von Ihnen beschriebenen Weise zu verändern. Niemand könnte das, nicht einmal mit allen technischen Mitteln eines voll ausgerüsteten Labors, aber ganz gewiss nicht auf einer Sturmmine, während der Fahrt und mit nichts als einer gewöhnlichen Laserson-Sonde.«

Carnell bemerkte, wie beiläufig er jenes Werkzeug erwähnte, das auf die Subsysteme der Robotergehirne angewandt worden war. Diese Information war so geheim, dass kaum jemand davon hätte wissen dürfen. Jedenfalls hätte dieser Mann, ein jüngeres Mitglied einer der zwanzig Familien, gewiss nicht damit vertraut sein sollen. War es nun Dummheit oder simple Arroganz, dass der junge Firstmaster Roatson ihm gerade verraten hatte, wie viel er bereits von dem wusste, was diese Leute in diesem Augenblick vermeintlich zum ersten Mal hörten? Carnell hatte gute Lust, ihn darauf anzusprechen, aber dies war nicht der richtige Moment, solchen Impulsen nachzugeben. »Im Normalfall würde ich Ihnen zustimmen«, entgegnete er mit sanfter Stimme. »Bloß war an Taren Capel nichts normal, schon gar nicht sein Talent für Robotertechnik.«

»Ich glaube nicht, dass es Taren Capel je gegeben hat«, merkte Roatson an.

Carnell lächelte. »Wenn es ihn nicht gäbe, müsste man ihn erfinden.«

»Genau das ist es doch.«

»Ja«, stimmte Carnell noch immer lächelnd zu, »ganz recht.«

Erneut dimmte er das Licht und ließ das Demo weiterlaufen. Diesmal regelte er das Licht noch etwas weiter herunter und intensivierte und sättigte unmerklich die Farben auf dem Bildschirm. So, hoffte er, würden sich seine Zuhörer lange genug konzentrieren können, damit er seinen weitgehend irrelevanten Vortrag rasch abschließen konnte.

Nachdem alle unmodifizierten Roboter über die Hauptdeaktivierungsschaltungen stillgelegt sind, jagen Uvanov und Toos einige der Killerroboter in die Luft. Die Bomben hierfür stellen sie her, indem sie die Basisplatten von Z9-Sprengsätzen magnetisieren. Dann erzeugen sie in den Kommunikationsverbindungen der Roboter eine Rückkopplungsschleife, die sich durch sämtliche Kontrollebenen brennt und alles überlastet, was bei den Maschinen zu katastrophalem Gehirnversagen führt. Schließlich manipulieren sie noch die Stimmerkennungssysteme. So gelingt es ihnen, dass sich Taren Capels Höllengeschöpfe schließlich gegen ihren Schöpfer selbst richten. Das schattenhafte Genie ist das letzte Opfer seiner Roboter des Todes.

Als das Rettungsteam Sturmmine vier erreicht, ist bereits alles vorbei. Die Überlebenden – Captain Uvanov, Pilotin Toos und der schwerbehinderte Oberpacker Poul – werden in die Zivilisation zurückgebracht. Die Mine wird aufgegeben und versinkt im Sand, und mit ihr alle Beweise für das, was vorgefallen ist. Man denkt sich eine Geschichte aus, um die ganze Sache zu vertuschen – vielleicht ist es auch nur Spekulation –, und weil es das ist, was alle glauben wollen, wird es rasch zur allgemein akzeptierten Wahrheit. Und die Zivilisation, wie wir sie kennen, kann fortbestehen.

Als Finale zeigte Carnell Nachrichtenmaterial aus der Zeit: die kurzen, chaotischen Interviews mit den Überlebenden; eine sorgfältige Rekonstruktion des zum Scheitern verurteilten Kampfs der mutigen Crew gegen die Erzräuber; der wütende Ruf der Öffentlichkeit nach einem harten Vorgehen der Sicherheitskräfte, um die Verbrecher zur Rechenschaft zu ziehen. Als der Film vorbei war, ließ er einen Moment verstreichen, ehe er das Licht wieder heller drehte. Er wollte, dass sein Publikum darüber nachdachte, wollte einem von ihnen Gelegenheit geben, die offensichtliche Frage zu stellen.

»Und was genau hat das nun mit dem Projekt zu tun, für das Sie eingestellt wurden?« Der Sprecher war ein hochgewachsener Mann in einem Anzug aus synthetischem Gewebe, der in der ersten Reihe saß. »Ich habe kein Interesse an einem Zusammenbruch der Wirtschaft. Wenn diese Story rauskommt, geht alles zum Teufel. Wer sollte davon profitieren? Das Heilmittel wäre schlimmer als die Krankheit.«

Carnell war ein schmaler Mann, nicht sonderlich groß, und er besaß blonderes Haar und einen blasseren Teint als alle Anwesenden. Seine Augen waren jedoch etwas Besonderes, das ihn vom Rest der Leute hier unterschied. Sie waren von einem intensiven Blau und im richtigen Licht wirkten sie stechend wie Splitter aus Eis. Nun trat er ins richtige Licht und schenkte dem Mann ein eiskaltes Lächeln. »Sie müssen mir vertrauen«, sagte er. »Gerade darum bin ich so teuer: weil man mir vertrauen kann.« Er hob den Blick und ließ ihn durch den Konferenzraum schweifen. »Ich habe Ihnen diese Geschichte erzählt, weil ich mich vergewissern muss, dass man auch Ihnen trauen kann. Wenn Sie das Bedürfnis verspüren, in Panik auszubrechen, dann möchte ich, dass Sie das hier und jetzt tun.« Er machte eine Pause. »Ich schätze es, wenn Panik gut geplant vonstattengeht.«

Eine extravagant frisierte Frau in elfenbeinfarbener Ballonseide sagte: »Und dieser merkwürdig gekleidete Mann und die kleine Wilde?«

»Eine Gruppenhalluzination«, sagte Carnell.

»Sie schienen sich Ihrer Sache ziemlich sicher zu sein«, stellte sie fest.

Noch etwas, das Sie gar nicht wissen dürften, dachte Carnell. Offensichtlich haben Sie die Aufzeichnung der vertraulichen Nachbesprechung gesehen. »Falsche Erinnerungen«, sagte er, »gegenseitig hervorgerufen und verstärkt.«

»Also lügen sie?«

»Sie glauben daran.«

Roatson hinten im Raum lachte schallend. »Eine Gruppenhalluzination«, höhnte er mit aristokratischer Geringschätzung. »Wir reden hier von zwei Personen.«

Carnell lächelte. »Drei. Oberpacker Poul hat sie auch gesehen.«

Wie er erwartet hatte, konnte Roatson nicht widerstehen, weiter auf seinem Punkt herumzureiten. »Und er hatte also einen Zusammenbruch?«

»Sie alle hatten einen«, sagte Carnell. »Darauf will ich ja hinaus.«

»Woher wollen Sie wissen, dass der Mann und das Mädchen nicht real waren?«, fragte die Frau in der exklusiv von Robotern produzierten Mode.

»Weil es unmöglich ist.«

»Genügt das denn als Grund?«

»Jedem vernünftigen Menschen schon. Wichtiger ist jedoch, dass sie keine Rolle spielen. Sie haben keinen wesentlichen Einfluss auf das, was passiert ist, was gerade passiert oder was noch passieren wird.«

Und damit hatte Carnell den zweiten fundamentalen Fehler in seiner Karriere als Psychostratege begangen.