Buch lesen: «Weihnachtliches aus der Geschichtenküche»
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Weihnachtliches aus der Geschichtenküche
Charlie Hagist
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Impressum:
Personen und Handlungen sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit lebenden oder verstorbenen Personen sind zufällig und nicht beabsichtigt.
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© 2020 – Papierfresserchens MTM-Verlag GbR
Mühlstr. 10, 88085 Langenargen
Alle Rechte vorbehalten. Taschenbuchauflage erschienen 2018.
Cover + Illustrationen: A. Hagist
Herstellung und Lektorat: Redaktions- und Literaturbüro MTM
ISBN: 978-3-86196-762-0 – Taschenbuch
ISBN: 978-3-96074-336-1 – E-Book
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Inhalt
Oh Tannenbaum
Das sage ich dem Weihnachtsmann …
Der arme Weihnachtsmann
Die Kirchturmuhr
Die Sache mit dem Schnee
Engel dringend gesucht!
Hatschiii!
Pyramidonal
Schlittenfahrt mit Schneemann
Der Tag, an dem Opa in einem Netz gefangen war
Vom Himmel hoch
Der ist echt!
Weihnachtsgeschenke
Im Weihnachtswald
Post zu Weihnachten
Der Stern von Bethlehem
Die Weihnachts(mann)kiste
Im Kaufhaus
Der Anführer
Knallerbsen
Der verschwundene Weihnachtsmann
Traumhaft
Weihnachtsessen
Der Weihnachtsmann hat einen Unfall
Streik! Oder: Eine tolle Nachricht
Merkwürdige Spuren
Immer einen kleinen Schritt voraus
Oh je ...
Oh je ... Gute Besserung
Das Weihnachtswunderwasser
Lena, Lasse und die Blockflöte
Strupp
Strupps erster Weihnachtsfeiertag
Strupps kleines Weihnachtsunglück
Strupps erster Weihnachtsbesuch
Zu guter Letzt ... Hasenaufstand
Der Autor
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Oh Tannenbaum
Es ist nun schon eine liebe Gewohnheit geworden, dass es zu Weihnachten eine kleine Geschichte von mir gibt. So sollte es auch in diesem Jahr sein. Also schaltete ich den Computer an, rief eine neue weiße Seite auf, machte kurz Finger-Lockerungsübungen und wollte loslegen. Aber worüber sollte ich in diesem Jahr schreiben? Der Bildschirm glotzte mich blendend an und schien zu rufen: „Nun schreib’ doch schon los!“
Es fiel mir schwer, die verschiedensten Gedanken zu ordnen und die Geschichte, deren grober Inhalt schon in meinem Kopf war, zu einem guten Ende zu führen. Es haperte hier und da. Das Einfachste wäre dann, den Computer wieder auszuschalten und das Ganze auf einen späteren Termin zu verlegen. Irgendwann musste doch der rettende Einfall kommen. Aber der ließ auf sich warten. Was aber nicht auf sich warten ließ, war Weihnachten. Das Fest kam immer näher. Andere Dinge gewannen an Bedeutung. Zum Beispiel der Weihnachtsbaum.
Die Scheiben am Auto waren zugefroren. Ehe ich sie abgetaut oder abgekratzt hätte, wäre ja Weihnachten vorbei. Es war furchtbar kalt. Also dann schnell zur U-Bahn. Der Bahnhof, den ich erreichen wollte, war nicht allzu weit und die Fahrzeit dorthin betrug auch nur etwa fünfzehn Minuten. Die Nordmanntannen sollten dort am billigsten sein.
Das Aussuchen des Baumes dauerte nicht lange, nur zehn Minuten. Der Baum war etwa 1,70 Meter groß und sollte 12 Euro 50 Cent kosten. Nachdem sich der Verkäufer mit Händen und Füßen dagegen gewehrt hatte, das Netz kostenlos dazuzugeben – er verdiene ja bei dem niedrigen Preis sowieso nichts, es sei für ihn nur ein Zuschussgeschäft, behauptete er – legte ich noch 50 Cent für das Netz drauf.
Nun wurde der Baum in ein Metallrohr geschoben und erschien auf der anderen Seite wieder. Eingepackt wie ein Schweinerollbraten im Netz. Ich schnappte mir den Baum und lief flinken Schrittes zum Bahnhof zurück. Dort kaufte ich mir noch eine Fahrkarte, entwertete sie und wartete auf den Zug. Dabei ging mir so durch den Kopf, dass die Kosten für den Baum, also mit Netz, Hin- und Rückfahrkarte, insgesamt gar nicht so niedrig waren. Aber gut, die Zeit bis Heiligabend war inzwischen zu kurz, um Ausflüge zur Baumbeschau in anderen Gegenden zu machen.
Nachdem die Wagen angehalten hatten, stellte ich fest: Mit dem kannst du nicht fahren. Viel zu voll. In sieben Minuten kommt ja wieder einer. Und so war es auch. Pünktlich hielt der nächste Zug. Er öffnete die Türen und …. genauso voll. Aber jetzt musste ich mit, es wäre sonst zu spät geworden.
„Machen Sie doch bitte mal etwas Platz“, sagte ich und drängelte mich mit dem Ungetüm hinein. Kaum hatte ich den Wagen betreten, schlossen sich auch schon die Türen. Ich war drinnen – aber mein Baum mit seinem letzten Drittel draußen!
Draußen war das Signal zur Abfahrt des Zuges zu hören. Die Türen, die jetzt noch offen standen, schlossen sich selbsttätig, die Signallampe auf dem Bahnhof blinkte mehrmals kurz auf und die Fahrt begann.
Der Zug gewann an Fahrt und da ich im letzten Wagen war, hatte er beim Verlassen des Bahnhofs schon eine beachtliche Geschwindigkeit. Das, was sich jetzt abspielte, dauerte genau zwei Minuten und zwölf Sekunden. Genau die Zeit von einem Bahnhof zum anderen. Am Ende des Bahnhofes gab es ein kurzes knackendes Geräusch und die Spitze des Baumes, also ein Drittel der Nordmanntanne, war ab. Aber der Baum ließ sich noch nicht herein ziehen. Die Tür hielt ihn wie mit Krallen fest.
Innen ging der Zank auch schon los. „Steigen Sie jetzt aus?“, wurde ich gefragt. Ich verneinte. „Dann gehen Sie mit Ihrer Palme doch zur Seite.“
„Geht nicht“, entgegnete ich „der klemmt fest.“ Dabei deutete ich mit meinem Gesicht auf den Baum.
Es wurde ungemütlich.
Einer, der das Halten des Zuges kaum erwarten konnte, kletterte über den querliegenden Baum. Er blieb mit seinem Absatz im Netz hängen. Der Mann, bestimmt zwei Zentner schwer, verlor das Gleichgewicht und trampelte nun auch noch mit seinem anderen Fuß auf den Baum. Dabei brach ein unterer Ast ab und das Netz riss ein. Da der Mann mit seinen Händen die Haltestangen nicht erreichen konnte, griff er kurzer Hand nach einem anderen Fahrgast. Dabei klammerte er sich so fest, dass dem anderen Fahrgast der Karton mit den Weihnachtsbaumkugeln herunter zu fallen drohte. Konnte er aber nicht, weil es so voll war. Gott sei Dank!
Der Fahrgast, der unter dem Gewicht des zwei Zentner Mannes bald zusammenzubrechen drohte, schimpfte nun mit mir. Dabei zerrte er mit all seiner noch zur Verfügung stehenden Kraft am Baum, um diesen endlich aus dem Klammergriff der Türen zu befreien. Schließlich gelang dies auch, aber … das Netz zerriss dabei vollständig. Der Weihnachtsbaum spreizte nun seine Zweige sofort auf wie ein Regenschirm mit Aufspann-Automatik. Dabei kratzten die Nadeln seiner Zweige um die Beine und Taschen der anderen Fahrgäste. Es war urplötzlich eine Bewegung im Abteil, als wenn eine Maus aus einem Karton gehuscht wäre.
Am nächsten Bahnhof musste ich aussteigen. Kaum hatten sich die Türen geöffnet, verließ ich den Wagen mit dem aufgeklappten Baum. Na, der Baum sah aus! So voll gestreuselt von Tannennadeln wie hier auf dem Bahnhof, so muss es jetzt auch im Zug ausgesehen haben. War mir aber inzwischen auch egal. Hauptsache ich hatte dieses Zwei-Minuten-zwölf-Sekunden-Irrenhaus verlassen.
Da ich mit diesem Baum ohne Netz nicht mehr weiterfahren konnte, blieb mir nur noch übrig, den Fußmarsch mit dem Ungetüm anzutreten. Auf die Schilderung der Einzelheiten, wie ich ihn unter dem Arm trug, will ich hier lieber verzichten.
Zu Hause angekommen, wurde ich als Erstes gefragt, warum es so lange gedauert habe, bis ich mit dem „Besen“, wie er bezeichnet wurde, nach Hause kam. Ich schilderte dann meinen Kampf mit Baum, Bahn und Fahrgästen und erwartete eigentlich ein kleines Lob, dass ich mich all dieser Gefahren ausgesetzt hatte und dass der Baum dafür doch noch ganz hübsch aussähe. Aber nein.
„Typisch Mann. Da schickt man ihn mal allein los, einfach nur einen Baum zu kaufen, und dann kann er damit noch nicht mal anständig Bahn fahren. Ich muss jeden Tag mit meinem vollen Einkaufsnetz Bahn fahren, während du (damit war ich gemeint) mit dem Auto fahren kannst, um so einen läppischen Weihnachtsbaum zu kaufen. Und, ist mir jemals das Netz in der Zugtür eingeklemmt und sind dabei die Apfelsinen gleich ausgepresst worden, sodass ich hier nur mit den Schalen angekommen bin?“, spöttelte meine Frau.
Was sollte ich dazu sagen?
Tja, nun kennt ihr die Geschichte unseres diesjährigen – leicht demolierten – Weihnachtsbaumes und, wie ich sehe, ist auch die leere Seite meines Computers vollgeschrieben. Dann höre ich doch am besten gleich auf, nasche noch einen Spekulatius, trinke eine Tasse Tee und warte auf Weihnachten.
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Das sage ich dem Weihnachtsmann …
Nur noch eine Woche bis Heiligabend. Die ersten drei Adventssonntage sind vorbei und alle Weihnachtslieder und Weihnachtsgedichte sitzen perfekt. Alexander, Mia und Pia haben fleißig gelernt. Und für die Schule war ebenfalls allerhand zu tun.
Aber wegen des intensiven Lernens haben sie manchmal vergessen, ihr Zimmer aufzuräumen. Da liegen dann schon mal die Jeans zusammen mit dem vollkommen verknautschten T-Shirt auf der Erde. Schmutzwäsche ist mit frischer Wäsche vereint in einem Knäuel. In den Zimmern von Alexander, Pia und Mia hat Mama dieses Durcheinander überhaupt nicht gestört. Da sagt sie immer: „Kommt nicht heulend angerannt, wenn ihr über euren Dreck stolpert und hinfallt. Euer Problem.“ Wenn sich aber das Chaos bis ins Wohnzimmer ausbreitet, dann gibt das Ärger. Papa ist das egal, der kriegt davon nichts mit, der ist arbeiten.
Abends, wenn er nach Hause kommt, ist im Wohnzimmer alles wieder wie von Geisterhand aufgeräumt. Aber Mama wird dann richtig ungemütlich. Wenn sie sich so richtig ärgert, dann sagt sie zu uns: „Na wartet ab, das sage ich heute Abend Papa, da wird’s aber was geben.“ Gibt es dann auch. Manchmal heißt es: einmal Mithilfe beim Autowaschen, oder: diese Woche lassen wir das Fernsehen ausfallen. Seit dem ersten Advent aber sagt Mama etwas Anderes, sie sagt: „Das sage ich dem Weihnachtsmann.“
Das sage ich dem Weihnachtsmann
„Pia, weißt du, warum Mama das sagt?“, fragt Mia ihre Schwester.
„Lass mich raten“, antwortet Pia, „sie weiß sich sicher keinen Rat mehr mit uns. Sie weiß nicht, wie sie mit uns schimpfen soll, damit wir hören.“
„Würde ich auch nicht wissen, bei euch Beiden“, hakt sofort Alexander ein.
„Du bist ja doof“, giftet Pia zurück, „und vor allen Dingen, was kann der Weihnachtsmann denn da helfen? Soll der sagen, dass er jeden Tag vorbeikommt, um nachzusehen, ob alles in Ordnung ist und wenn nicht, dass er dann mit uns schimpft?“
„Und außerdem ist es ja so, dass durch das Herbeirufen des Weihnachtsmannes Mama zugeben würde, dass sie uns nicht mehr richtig unter Kontrolle hat. Na das würde Mama doch nicht zugeben“, steuert Mia bei. Sofort donnert Alexander los: „Na du bist ja auch nicht unter Kontrolle zu bringen, so wie du immer rumläufst und wie du dich anziehst. Manchmal muss ich mich ja bald in der Schule für dich schämen.“
Nur weil Pia dazwischen stürmt wird eine größere tätliche Auseinandersetzung verhindert. Sonst würde einiges zu Bruch gehen.
„Also nun mal zurück zu dem Satz Das sage ich dem Weihnachtsmann, den Mama immer sagt. Was will sie damit bei uns bezwecken? Will sie uns nur Angst machen, weil sie mit dem alten, bösen Mann droht, der uns zu Strafen verdonnern kann, die sie sich nicht traut zu sagen? Und weil wir Angst oder Respekt vor ihm haben, werden wir uns die Strafe auch zu Herzen nehmen? Meint sie jedenfalls, vielleicht?“, versucht Pia ihre Streithähne wieder einzufangen.
Wie erreiche ich den Weihnachtsmann?
„Jetzt stellt euch mal vor, überall im Land sind Eltern, die ihren Kindern mit dem Satz drohen ‚Das sage ich dem Weihnachtsmann’. Und die würden tatsächlich den Weihnachtsmann auf irgendeine Art und Weise erreichen, dann … .“ Weiter kommt Alexander nicht, denn Mia fährt dazwischen: „Kannst du, mein lieber Alexander, denn sagen, wie Mama den Weihnachtsmann erreichen kann? Ruft sie ihn an, wenn ja, unter welcher Telefonnummer? Oder schreibt sie ihm einen Brief?“
„Wie altmodisch, einen Brief. Da kann man ja beinah fragen, ob sie eine Postkutsche auf die Reise schickt. Ist ja albern!“, prustet Pia.
„Oder sie schickt ihm eine WhatsApp-Nachricht. Da müssten wir ja in ihrem Smartphone Kontaktdaten finden. Lass mich nachsehen, das Handy liegt dort auf dem Tisch.“
Mia flitzt zum Tisch, greift sich Mamas Handy und schaut auf das Gerät. Keine Adresse des Weihnachtsmannes. Und auch keine Telefonnummer. Na gut, also weder eine WhatsApp-Nachricht noch eine E-Mail noch einen Anruf. So kann Mama den Weihnachtsmann nicht erreichen. Aber wie macht sie das bloß? Da bleibt nur eins: warten, bis der Weihnachtsmann kommt, und ihn dann einfach fragen.
Da nun aber erst noch ein paar Tage bis Weihnachten vergehen müssen, beschließen die drei Ratlosen, immer dann, wenn Mama etwas macht, das ihnen nicht gefällt, auch einfach zu sagen: „Das sage ich dem Weihnachtsmann.“ Mal sehen, was sie dann sagt.
Und kaum hatten sie das verabredet, kommt auch schon Mama ins Zimmer und nörgelt, weil sich die drei Ratlosen noch nicht die Hände gewaschen haben. Es gibt doch gleich Abendbrot. Mama hat noch nicht das letzte Wort ausgesprochen, da sagen die drei wie aus einem Mund: „Das sage ich dem Weihnachtsmann.“ Dazu machen sie ein bitterböses Gesicht.
Mama scheint davon überhaupt nicht beeindruckt zu sein. Das Einzige, was sie den Kindern erwidert, ist die Frage: „Und wie wollt ihr das machen, ihr Schlauberger? Wie erreicht ihr ihn denn? Wollt ihr zu ihm laufen? Dann lauft mal los! Wollt ihr ihn anrufen? Hier ist das Telefon. Wollt ihr ihm schreiben? Da liegen Papier und Stift. Wollt ihr ihm eine E-Mail senden? Ran an den Computer. Na, wie?“
Mia, Alexander und Pia stehen, sich gegenseitig groß anschauend, ratlos da. „Das ist aber auch ein Mist“, beginnt Alexander nach einer endlos erscheinenden Überlegungspause. „Wir müssen einfach warten, warten, warten. Irgendwie kriegen wir das raus“, ist er überzeugt.
Und so machen es die drei Geschwister auch. Sie warten.
Heiligabend
Dann sind sie da, der Heilige Abend und der Weihnachtsmann. Bepackt mit vielen kleinen und großen Paketen kommt der bärtige, mit einem roten Mantel bekleidete Mann ins Haus. Er prustet und scheint vor Erschöpfung bald im Wohnzimmer umzufallen. Damit dies nicht geschieht, bietet ihm Alexander den Sessel an, auf dem bis eben noch Papa gesessen hatte. Der Weihnachtsmann rückt seine Brille auf der Nase zurecht und fragt die Kinder, ob sie seit seinem letzten Besuch, der ist ja nun auf den Tag genau ein Jahr her, auch immer schön brav gewesen waren. Pia, Mia und Alexander nicken und damit der alte Mann das auch hörbar wahrnimmt, wird zusätzlich gesagt: „Aber immer doch“, von Alexander, „natürlich“, von Pia, und „na logisch“, von Mia. So ganz wohl ist ihnen dabei jedoch nicht, schließlich hörten sie seit dem dritten Advent des Öfteren: „Das sage ich dem Weihnachtsmann.“ Der Weihnachtsmann wirft ihnen einen leicht zweifelnden Blick zu und kramt im vor ihm auf dem Boden stehenden Weihnachtssack. Er brummt leise vor sich hin. Nach – den Kindern endlos erscheinenden – Minuten holt er ein dickes, großes Buch hervor. Ein eingelegtes Lesezeichen lässt ihn schnell die Seite finden, die die Aufzeichnungen über die Kinder Alexander, Pia und Mia beinhalten.
Nun wird’s ernst
Nun wird’s ernst, denken die Kinder, denen ihre Knie nun etwas weicher und ihre Stimmen etwas leiser werden.
„Hier lese ich aber“, setzt jetzt der Weihnachtsmann an, „dass es mit der Sorgfalt in den Schulheften schlimm aussieht, lieber Alexander. Und über dich, meine liebe Pia, lese ich, dass du das Wort ‚Aufräumen’ wohl noch nie gehört hast und deshalb auch nicht weißt, was mit dieser Aufforderung verbunden ist.“ Jetzt zittert Mia. Was hat er über sie gehört? „Ja und bei dir, mein junges Fräulein, lese ich, dass du gern und oft deinen Eltern widersprichst. Das ist nicht gut, nicht gut.“ Der Weihnachtsmann sagt dies alles in ruhigem Ton, aber mit einem ernsten Gesicht. Jedes Kind wird von ihm angeschaut, als erwarte er eine Erklärung für das von ihm genannte Verhalten.
Mia fasst sich ein Herz, tritt ganz dicht an den Weihnachtsmann heran, zupft am Ärmel des roten Mantels und fragt ihn: „Sag mal, lieber Weihnachtsmann, woher weißt du denn das alles. Ich meine, du wohnst doch nicht hier und ich habe noch nie gehört, dass dich Mama angerufen hat.“
„Ja“, ist jetzt auch Alexander mutig, „und Papa sagt immer, dass er so viel zu tun hat auf der Arbeit, da wird er doch keine Zeit haben, mit dir zu telefonieren. Oder?“
„Und WhatsApp hast du doch bestimmt noch nicht, in deinem Alter?“, setzt Pia noch dazu. Kaum hat sie den Satz gesagt, merkt sie, dass der Satz doch ganz schön frech war, von wegen in deinem Alter. Sie erschrickt und hält sich schnell ihre Hand vor den Mund, gerade so, als wolle sie verhindern, dass sie noch mehr solcher frechen Sätze sagt. Der Weihnachtsmann hat derartige Fragen bisher von keinem Kind gehört. Er ist ein wenig erschrocken und zunächst still.
Dieses Schweigen des Weihnachtsmannes wird von Alexander genutzt, die Frage zu seinem dicken Buch zu stellen.
Alexander fragt
„Wenn du so viel über die gehorsamen und die ungehorsamen Kinder hörst und in dein Buch schreiben willst, von allen Kindern die es gibt und die du besuchst, dann müsste ja dein Buch so unheimlich viele Seiten haben, dass du es gar nicht tragen kannst.“
Pia bohrt mit ihrer Frage gleich weiter. „Und wenn die Kinder das ganze Jahr über ungehorsam sind und die Eltern dich informieren, woher weißt du, welches Böse du gerade an Weihnachten vorlesen sollst?“
Pia, die sich inzwischen ebenfalls zum Weihnachtsmann auf die andere Seite gestellt hat, setzt ihr spitzbübisches Gesicht auf und kommt damit ganz dicht an sein Ohr heran: „Du, Weihnachtsmann, sag mal ehrlich, wie kommst du an all die Informationen über die Kinder und wie ist das mit deinem dicken Buch? Steht da wirklich alles drin? Steht da alles von allen Kindern der Welt?“ Pia hat den Weihnachtsmann mit ihrer zu diesen Fragen ganz ruhigen, flüsternden Stimme in sein Ohr einzulullen und zu beeinflussen versucht. Sie hat es so gemacht, wie sie es immer mit ihrem Papa macht, wenn sie etwas haben will, von dem sie weiß, dass es der Papa ihr nicht so gern gestatten oder geben oder sagen würde.
Und der Weihnachtsmann? Der bittet jetzt die neugierigen Kinder, sich auf den Boden zu setzen und einfach zuzuhören. Alle drei folgen neugierig dieser Aufforderung und sehen den Weihnachtsmann gespannt an. Wie wird er ihnen das alles erklären?
Der Weihnachtsmann erklärt
„Also das ist so“, beginnt er, „ich sitze nicht das ganze Jahr über am Telefon und höre mir an, wo wieder ein Kind oder ein Erwachsener“, dabei schaut er zur Mutter hinüber, „nicht artig war. Da hätte ich viel zu tun. Ich könnte mich überhaupt nicht ausruhen von der Heilig-Abend-Arbeit. Aber ich habe fleißige Helferlein. Die erspüren, ohne dass das Telefon klingelt oder dass eine E-Mail oder eine WhatsApp-Nachricht eingeht, wo etwas nicht so läuft, wie es eigentlich laufen sollte. Dort, wo es nicht in Ordnung ist, da sind die Eltern traurig. Und dieses Traurigsein sehen und merken meine fleißigen Helferlein. Dann notieren sie genau, wer irgendwo unartig oder ungehorsam war. Wenn das nur einmalig war, dann wird es im Laufe des Jahres wieder gestrichen. Wenn es allerdings sehr, sehr schlimm oder böse war oder öfter vorkam, dann notiert sich das Helferlein, wer das war und wo das geschah. Und wenn ich dann zu den Kindern gehe, dann macht es mir hier in diesem Weihnachtsbuch, in dem alle Kinder mit Namen und Adresse stehen, einen roten Haken.“
Der Weihnachtsmann schlägt das dicke Buch auf und dreht es kurz zu den Kindern. Sie können so schnell nicht erkennen, ob bei ihnen auch ein roter Haken angebracht ist.
„Bei den anderen Kindern“, fährt er fort, „ist ein grüner Haken.“
„Jetzt wissen wir aber noch nicht, wie es kommt, dass du weißt, was das Kind angestellt hat, das den roten Haken bekommen hat“, stellt Mia fest.
Der Weihnachtsmann, der in seinem ganzen, langen Leben noch nie derartige Fragen gestellt bekommen hatte, bleibt ganz ruhig. Er ist selbst gespannt, was die drei Ratlosen noch alles wissen wollen.
„Pass auf Mia, wenn ich am Weihnachtsabend zur Bescherung bei den Familien läute oder an der Tür klopfe, öffnet mir meistens die Mutti oder der Vati die Tür. Schnell und leise flüstert mir dann Mutti oder Vati zu, welches böse Verhalten im Laufe des Jahres von mir genannt werden soll. Und so weiß ich dank der Erwachsenen und meiner Helferlein, wo ich mit den Kindern ein ernstes Wort reden muss.“
Na gut, die Sache mit dem dicken Buch ist geklärt, aber wie verhält es sich mit den Wunschzetteln? Woher weiß der Weihnachtsmann, was sich die drei Ratlosen gewünscht haben?
Und wie ist das mit den Geschenk-Wünschen?
„Weihnachtsmann“, fängt Mia jetzt an, „jetzt wissen wir, wie das ist mit deinem dicken Buch, aber wie läuft denn das mit den Wunschzetteln? Wie kommen die denn zu dir?“ Dabei umschnurrt sie ihn, wie sie es sonst nur bei ihrem Papa tut, wenn sie etwas Außergewöhnliches von ihm will. Na ebenso, wie es auch Pia bei ihm meist erfolgreich macht.
Nun wird’s für den Weihnachtsmann schwierig. Bisher scheint er die Kinder mit seinen Antworten zufriedengestellt zu haben. Aber bei der Suche nach einer Erklärung auf diese Frage kommt er doch leicht ins Schwitzen. Er atmet einmal tief durch, rückt sich seine Mütze gerade, schiebt die Brille auf der Nase nach oben und sagt dann:
„Bei einigen Geschenken ist das so, dass meine fleißigen Helferlein, so ähnlich wie bei den Bosheiten der Kinder, über das Gefühl erspüren, welchen Wunsch die Kinder haben. Das sind Wünsche, die man nicht im Geschäft kaufen oder im Internet bestellen kann. Nicht, weil sie zu groß sind oder zu teuer …“, weiter kommt er nicht, weil ihn Alexander unterbricht.
„Sondern, weil sie zu blöd sind“, beendet er den Satz des Weihnachtsmannes.
„Nein, mein Junge, das nicht. Es handelt sich dabei um sogenannte immaterielle Wünsche, Wünsche, die man nicht kaufen, einpacken und mitnehmen kann.“
„Was können denn das für Wünsche sein, Wünsche, die man nicht kaufen und einpacken kann?“, fragt Pia.
„Das sind Wünsche zum Beispiel nach mehr Freizeit, nach besseren Noten in der Schule. Oder das sind Wünsche nach einer Mama oder einem Papa dort, wo eine Mama oder Papa im Haushalt fehlen, weil ein Elternteil verstorben ist oder die Eltern sich getrennt haben. Da kann ich nur meine guten Ratschläge oder lieben, vielleicht tröstenden Worte mitbringen und die kann man nicht kaufen und einpacken. Stimmt’s?“
Mia, Pia und Alexander sind ganz ruhig geworden. Daran hatten sie gar nicht gedacht. Sie hatten nur ihre Wünsche im Kopf. Ihre Wünsche nach einem Mikroskop, nach Büchern und Spielen. Und die kann man bekanntlich kaufen, einpacken und mitnehmen.
Mia hakt noch einmal nach. Jetzt lächelt auch der Weihnachtsmann wieder.
Das ist jetzt geklärt
„Du willst es aber ganz genau wissen, kleines Fräulein. Na gut. Wenn die Kinder sich Dinge wünschen, die es zu bestellen und zu kaufen gibt, dann informieren meine fleißigen Helferlein die Eltern, wo es die Dinge gibt und dann schicken sie sie los. Das klappt meistens sehr gut. Es kommt auch mal vor, dass das Geschenk nicht zu bekommen ist, dann geben die fleißigen Helferlein auch Vorschläge, was stattdessen infrage kommen könnte. Dann packen sie, also die Eltern, die Dinge hübsch ein. Und wenn ich dann am Heiligen Abend komme, dann stecken sie schnell und von den Kindern unbemerkt die Geschenke in meinen mitgebrachten Weihnachtssack. Und weil auf den kleinen Geschenkanhängern steht, für wen das Päckchen sein soll, weiß ich auch, wem ich das Geschenk geben soll. Ja, so ist das mit den Geschenken, nun wisst ihr’s.“
Jetzt wird Papa neugierig
Der Weihnachtsmann ist erleichtert. Er scheint eine Erklärung gefunden zu haben, die die Kinder verstehen. Er will sich aus dem Sessel erheben, aber sofort stellt sich der Papa der drei Ratlosen vor ihn und bietet ihm etwas zu Trinken und zu Essen an. Immerhin ist er bei der Familie schon so lange, dass es Abendbrotzeit geworden ist. Der Weihnachtsmann lehnt das Essen ab, freut sich aber über ein Getränk und während Papa einen Saft ins Glas füllt, fragt er:
„Weihnachtsmann, eine Frage möchte ich aber noch gerne von dir beantwortet haben. Eine Frage, über deren Lösung ich mir schon so viele Gedanken gemacht habe, ich aber bisher zu keiner vernünftigen Erklärung gekommen bin.“
„Lass mich Raten: Es ist die Frage nach der Zeit, stimmt’s?“, fragt der Weihnachtsmann. „Du willst wissen, wie ich es mache, dass ich an einem Abend bei der Mehrzahl der Kinder vorbeikomme und das schon über viele, viele Jahre? Du meinst, ich bin zu alt und zu langsam dazu?“
„Genau, Weihnachtsmann. Wie geht das?“
„Ich mache euch einen Vorschlag: Wenn ich das nächste Mal zu euch komme, also nächstes Jahr Weihnachten, dann erkläre ich euch das in aller Ruhe. Für heute aber muss ich los, die anderen Kinder warten schon lange genug.“
Da die Familie einverstanden ist, verabschiedet sich der Weihnachtsmann mit einem kräftigen: „Ho, ho, ho. Frohe Weihnachten!“ und geht.
Unterwegs denkt er ständig an sein Versprechen, die Sache mit der Zeit zu erklären. Ist aber auch schwer. Er hat jetzt ein Jahr lang Zeit, über eine Erklärung nachzudenken. In diesem einen Jahr werden aber auch Pia, Mia und Alexander schlauer und dann eine Erklärung finden, die diese drei Ratlosen zufrieden stellt, das wird schwer.
Schwerer als heute.
Weihnachtsmann strenge dich an und denke nach. Aber erst nach dem Heiligen Abend, heute sind erst einmal die Kinder dran, die warten doch schon ganz ungeduldig.
Frohes Fest lieber Weihnachtsmann! Frohes Fest allen Kindern und Erwachsenen!