Buch lesen: «Der Priester, die Frau und der Beichtstuhl»

Schriftart:

Der Priester, die Frau und der Beichtstuhl

Missbrauch in der Kirche

Charles Chiniquy / Franz E. Schlachter


Impressum

© eBook-Ausgabe 1. Auflage 2021 ceBooks.de im Folgen Verlag, Langerwehe

1. Neuauflage der Druckausgabe 2005 im Eigenverlag Freie Brüdergemeinde Albstadt

© 2005 Karl-Hermann Kauffmann, Albstadt

Erstmals 1901 erschienen bei: Expedition der „Brosamen“, Biel; in Kommission bei Joh. Schergens, Frankfurt a. M

Autor: Chiniquy, Charles

Übersetzung: Franz E. Schlachter

Cover: Caspar Kaufmann

ISBN: 978-3-95893-273-9

Verlags-Seite und Shop: www.ceBooks.de

Kontakt: info@ceBooks.de

Dieses eBook darf ausschließlich auf einem Endgerät (Computer, eReader, etc.) des jeweiligen Kunden verwendet werden, der das eBook selbst, im von uns autorisierten eBook-Shop, gekauft hat. Jede Weitergabe an andere Personen entspricht nicht mehr der von uns erlaubten Nutzung, ist strafbar und schadet dem Autor und dem Verlagswesen.

Dank

Herzlichen Dank, dass Sie dieses eBook aus dem Verlag ceBooks.de erworben haben.

Haben Sie Anregungen oder finden Sie einen Fehler, dann schreiben Sie uns bitte.

ceBooks.de, info@ceBooks.de

Newsletter

Abonnieren Sie unseren Newsletter und bleiben Sie informiert über:

 Neuerscheinungen von ceBooks.de und anderen christlichen Verlagen

 Neuigkeiten zu unseren Autoren

 Angebote und mehr

http://www.cebooks.de/newsletter

Inhalt

Impressum

Dank

Newsletter

Inhalt

Erstausgaben

Vorwort

1. Die Preisgabe des Schamgefühls im Beichtstuhl verursacht dem Weibe einen schweren Kampf

2. Die Ohrenbeichte ist ein Sumpf des Verderbens für den Priester

3. Die Unaufrichtigkeit der Beichtväter

4. Was der Beichtstuhl aus gebildeten Frauen macht

5. Die Ohrenbeichte zerstört die heiligen Bande der Ehe

6. Vermag die Ohrenbeichte der Seele Frieden zu geben?

7. Die Lehre von der Ohrenbeichte, verglichen mit der Heiligen Schrift und den Kirchenvätern

8. «An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen!»

Anhang (F. E. Schlachter)

Letzte Seite

Erstausgaben






Charles Chiniquy

Muster der englischen Ausgabe

The Priest, the Woman

and the Confessional.


BY

Rev. Charles Chiniquy,

former Roman Catholic priest



CHICAGO: A. CRAIG & CO., PUBLISHERS, 1880.

COPYRIGHT, 1880, BY REV. CHARLES CHINIQUY.

Vorwort

Schon jahrelang kannte ich die Werke von Charles Chiniquy, die Franz Eugen Schlachter übersetzt hatte. Allerdings lagen mir nur die Neuauflagen der 60er Jahre vor, u.a. „Der Beichtstuhl“ von 1961.

Der Doppelband von Pater Chiniquys Erlebnissen ist erfreulicherweise immer noch im Handel erhältlich.

Bei den Überlegungen der Neuherausgabe von Schlachters Büchern hatte ich den „Beichtstuhl“ eher für eine spätere Herausgabe vorgesehen.

Nachdem mir aber zwischenzeitlich eine Reproduktion des Originals vorliegt, möchte ich dieses Werk dem geneigten Leser nicht länger vorenthalten.

Es handelt sich um eine Neuauflage des Originals mit nur leichten Überarbeitungen bzw. erklärenden Fußnoten. Die Fußnoten von Franz Eugen Schlachter sind kursiv gesetzt. Gesperrt gedruckte Worte des Originals wurden aus Gründen des Schriftbildes fett gedruckt wiedergegeben. Im Gegensatz zu den späteren Auflagen ist hier der Anhang wieder beigefügt.

Das Werk ist eine der großen protestantisch apologetischen1 Abhandlungen, gewaltig in Inhalt und Sprache und spricht eigentlich für sich. Interessant ist aber auch die Entgegnung von Franz Eugen Schlachter auf das Schreiben des Bischofs von St. Gallen. Dieses Dokument befindet sich im Anhang.

Ich wünsche dem Leser Gottes Segen beim Lesen dieses einmaligen Werkes.

Albstadt, den 6. Januar 2006

Karl-Hermann Kauffmann

1 Apologetik ist die Verteidigung des Glaubens

1. Die Preisgabe des Schamgefühls im Beichtstuhl verursacht dem Weibe einen schweren Kampf

Unter allen Frauen sind die Brahminenweiber und die römischen Katholikinnen am meisten zu bedauern. Für beide sollte vor dem Gnadenthron täglich Fürbitte eingelegt werden, – für die Brahminenfrau, weil sie, von ihren Priestern betrogen, sich lebendigen Leibes mit ihrem verstorbenen Gatten zusammen auf dem Holzstoß verbrennen lassen muss, um auf diese Weise den Zorn ihrer hölzernen Götter zu versöhnen1; für die Katholikin aber, weil sie, nicht weniger irregeführt durch ihre Priester, eine noch weit ärgere Tortur im Beichtstuhl zu erdulden hat, um dadurch den Zorn ihres Hostiengottes2 zu stillen.

Ja, ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, dass manch eine Katholikin lieber ihren Leib brennen ließe, als im Beichtstuhl die heiligsten Geheimnisse ihres Herzens und Lebens dem Auge eines Mannes zu offenbaren, der ihr hier Fragen vorlegen darf, welche nicht einmal der schlimmste Verführer von ihr über seine Lippen brächte. Mehr als einmal war ich Zeuge davon, dass Frauen im Beichtstuhl von einer Ohnmacht befallen wurden, nur darum, weil sie, wie sie selbst nachher bekannten, genötigt wurden, zu einem unverheirateten Mann von Dingen zu reden, die ihnen ihr angeborenes Schamgefühl zu verschweigen gebot. Und nicht hundert-, nein tausendmal habe ich von den Lippen sterbender Frauen und Jungfrauen das fürchterliche Wort vernommen: «Ich bin ewig verloren! So vielmal ich gebeichtet und so oft ich die Kommunion genossen habe, ich habe es immer mit geschlagenem Gewissen getan, weil ich meinem Beichtvater nie alles gestehen durfte, was er von mir verlangte, da die Scham meine Lippen verschloss; darum – so klagten diese Armen – bin ich ewig verdammt!»

Wie oft bin ich wie versteinert neben der Leiche meiner weiblichen Beichtkinder gestanden, wenn sie, mit diesem Bekenntnis auf ihren Lippen, in die Ewigkeit hinübergegangen waren, ehe ich imstande gewesen war, ihnen durch das betrügerische Mittel der priesterlichen Absolution die Vergebung ihrer Sünden zu erteilen! Ich glaubte nämlich damals ebenso fest wie die arme Seele, die soeben ihrer sterblichen Hülle entflohen war, dass Vergebung der Sünden nur durch das Sakrament der priesterlichen Absolution zu erlangen sei.

Es gibt nicht nur Tausende, sondern Millionen von römisch-katholischen Mädchen und Frauen, die ein so stark ausgeprägtes Schicklichkeitsgefühl besitzen, dass all die Sophistereien und teuflischen Künste ihrer Priester sie doch nie dazu bewegen können, ihrer weiblichen Würde etwas zu vergeben. Sie können sich nie und nimmer dazu herbeilassen, gewisse Fragen ihrer Beichtväter zu bejahen. Trotzdem sie sich manchmal vor Gott schuldig fühlen und nach der Lehre ihrer Kirche glauben, dass ihre Sünden ihnen nie vergeben werden können, es sei denn, dass sie dieselben beichten, so haben doch die Gesetze des Anstandes größere Gewalt über sie als die grausamen Gesetze ihrer Kirche. Lieber riskieren sie eine ewige Verdammnis, als dass sie einem sündigen Manne Sünden bekennen würden, welche Gott allein zu wissen berechtigt ist und die auch er allein austilgen kann durch das am Kreuz vergossene Blut seines lieben Sohnes.

Dabei hören aber diese Frauen und Töchter beständig von allen ihren Kanzeln herab und lesen in allen ihren Büchern, dass, wenn sie auch nur eine einzige Sünde vor ihren Beichtvätern verbergen, dies sie ins ewige Verderben stürze! Welche Seelenkämpfe das den Ernsten und Ehrlichen unter ihnen bereitet, kann man sich denken. Ich weiß von manchen, die unter Tränen Gott um die Gnade angefleht haben, dass er ihnen Kraft geben möge, so viel von ihrer Selbstachtung und ihrem Schicklichkeitsgefühl dranzugeben, dass es ihnen möglich werde, zu ihren Beichtvätern nach deren Wunsch von jenen unnennbaren Dingen zu reden. In der Hoffnung, Gott habe dieses ihr Flehen erhört, kehrten sie zum Beichtstuhl zurück, entschlossen, vor des unerbittlichen Mannes Augen ihre Schande zu enthüllen. Aber wenn dann der Augenblick kam, wo sie ihr entehrendes Bekenntnis hätten ablegen sollen, entfiel ihnen aller Mut; ihre Knie schlotterten, ihre Lippen wurden bleich wie der Tod, kalter Schweiß drang aus allen ihren Poren. Das dem Weibe angeborene Schicklichkeitsgefühl erwies sich immer noch stärker als die Lehren ihrer falschen Religion. Und so mussten sie denn abermals mit dem Gefühl unvergebener Sünde, ja, wie sie glaubten, mit einer neuen Bürde, einem Meineid auf dem Gewissen, den Beichtstuhl wieder verlassen.

O wie schwer ist doch das römische Joch! Wie bitter ist das menschliche Leben, wie so gar keine Freude gewährt das Geheimnis des Kreuzes diesen armen betrogenen und verlorenen Seelen! Ich fordere hiermit die ganze römisch-katholische Priesterschaft heraus: Sie sollen es leugnen, wenn sie können, dass nicht der größere Teil ihrer weiblichen Beichtkinder sich während einer gewissen längeren oder kürzeren Zeit in diesem eben geschilderten, höchst traurigen Seelenzustand befinde. Alle katholischen Moral-Theologen warnen ja in ihren Schriften die Beichtväter übereinstimmend vor dieser weiblichen Widerspenstigkeit – wie sie es nennen. Kein katholischer Priester wird das in Abrede stellen können.

Nicht lange, nachdem ich mein Amt als römischer Priester angetreten hatte, kam zu meiner nicht geringen Überraschung eine feingebildete und elegante junge Dame in meinen Beichtstuhl. Obgleich sie tief verschleiert war, erkannte ich sie sogleich als die Tochter eines vornehmen Hauses, in welchem ich fast jede Woche verkehrte. Sie hatte bisher fleißig bei einem andern jungen Priester gebeichtet und galt für eines der frömmsten Mädchen in der ganzen Stadt.

Da sie offenbar hoffte, ich erkenne sie nicht, ließ ich sie gerne in diesem Glauben und hörte ihr ruhig zu. Anfangs brachte sie vor Bewegung kaum ein Wort über ihre Lippen; um so lauter redeten ihre Tränen.

Mit vieler Mühe brachte sie es endlich dahin, mir folgendes Bekenntnis abzulegen: «Teurer Beichtvater, ich hoffe, dass sie mich nicht kennen und auch keinen Versuch machen werden, mich kennen zu lernen. Ich bin eine verzweifelt arge Sünderin; ich fürchte, ich sei verloren! Wenn aber noch irgendwelche Hoffnung für mich übrig ist, so bitte ich um Gotteswillen, weisen Sie mich nicht ab! Ehe ich meine Beichte beginne, flehe ich Sie an, verschonen Sie mich mit jenen Fragen, welche die Beichtväter sonst ihren weiblichen Beichtkindern zu stellen pflegen; denn ich bin durch eben diese Fragen schon genugsam verderbt worden. Gott weiß, dass ich vor meinem 17. Jahr so rein und unschuldig war wie ein Engel. Aber in dem Nonnenkloster, in welches mich meine Eltern zu meiner Erziehung verbracht hatten, befand sich schon ein älterer Beichtvater, der mir im Beichtstuhl Fragen stellte, die ich zuerst gar nicht verstand. Unglücklicherweise hatte ich aber eine Klassengenossin, welche diese Fragen nur zu gut verstand. Sie trieb Spaß damit und erklärte mir dieselben. Diese erste unzüchtige Unterredung meines Lebens leitete meine Gedanken in ein wahres Meer von Unrat hinein, das mir bisher ganz unbekannt gewesen war. Während einer ganzen Woche stürmten die schändlichsten Versuchungen auf mich ein, bei Tag und Nacht, so dass ich schließlich von Sünden überwältigt wurde, die ich gerne mit meinem eigenen Blut austilgen würde, wenn es nur möglich wäre. Ich musste aber bald erfahren, dass das durch die Sünde verursachte Vergnügen nur von kurzer Dauer ist. Die Furcht vor dem göttlichen Gericht plagte mich so, dass ich nach wenigen Wochen eines höchst jämmerlichen Lebens meine Sünden aufzugeben beschloss und nach Versöhnung mit Gott verlangte. Vor Reue und Scham zitternd am ganzen Leibe, wusste ich nichts besseres, als wieder zu meinem Beichtvater zu gehen, den ich wie einen Heiligen verehrte und wie einen Vater liebte. Ich darf sagen, dass ich ihm wirklich ein aufrichtiges Bekenntnis ablegte, wenn ich auch eine Sünde aus lauter Scham und Ehrfurcht vor diesem meinem geistlichen Führer unerwähnt ließ. Ich verschwieg ihm auch nicht, dass nächst der Verderbtheit meines eigenen Herzens die sonderbaren Fragen, die er mir bei meiner letzten Beichte gestellt, die hauptsächlichste Ursache meines Falles geworden seien.

Der Priester sprach mir hierauf freundlich zu, ermahnte mich, gegen meine bösen Neigungen zu kämpfen und gab mir guten Rat. Als ich aber glaubte, er sei nun fertig, richtete er abermals zwei so schändliche Fragen an mich, dass es mir vorkommt, weder das Blut Christi noch alle Feuer der Hölle könnten die Erinnerung daran je wieder aus meinem Gedächtnis auslöschen. Diese beiden Fragen haben mein Verderben besiegelt. Wie zwei vergiftete Pfeile sind sie mir ins Herz gedrungen. Tag und Nacht beschäftigten sie seitdem meine Phantasie und durchdringen mein ganzes Wesen wie ein tödliches Gift. Zuerst entsetzte ich mich allerdings darob; bald aber gewöhnte ich mich so daran; dass mir diese Gedanken zur zweiten Natur wurden und zur Quelle aller möglichen Lüste, Begierden und Missetaten. Als wir dann einen Monat darauf den Klosterregeln gemäß wieder beichten mussten, da war ich inzwischen schon so verderbt, dass es mir gar nichts machte, meine Sünden einem Manne zu bekennen; im Gegenteil, ich empfand ein wahrhaft teuflisches Verlangen nach einer recht langen Unterredung über derartige Dinge und hoffte, der Priester werde noch weitere Fragen von dieser Sorte an mich richten.

In der Tat, ich täuschte mich nicht! Nachdem ich ihm schamlos alles gestanden, begann er mich wieder auszufragen, und Gott weiß, was für verderbliche Worte von seinen Lippen in mein armes verdorbenes Herz fielen. Nach einem einstündigen tête-à-tête mit dem alten Mann wusste ich, dass er um kein Haar besser sei als ich, und da er mir schließlich mit verblümten Worten einen Antrag machte, nahm ich denselben ebenfalls mit verblümten Worten an. Über ein Jahr lang habe ich so mit diesem Menschen ein höchst sündliches Leben geführt. Froh war ich eigentlich, als mein Klosterkurs zu Ende ging und meine Eltern mich wieder nach Hause kommen ließen; denn ich wurde des Sündenlebens schließlich doch müde. Ich hoffte, unter der Leitung eines bessern Beichtvaters Versöhnung mit Gott zu finden und ein christliches Leben beginnen zu können.

Aber o weh, ich kam leider vom Regen unter die Traufe! Mein neuer Beichtvater war ein junger Mann, der mir alsbald dieselben bekannten Fragen stellte. Er verliebte sich bald in mich, und ich fasste ebenfalls eine sündliche Liebe zu ihm. Sie werden mir gerne das Bekenntnis alles dessen ersparen, was aus diesem Verhältnis folgte.

«Das alles sage ich Ihnen», so schloss die Bedauernswerte ihre Beichte, «nicht um mich selbst zu rechtfertigen und die Schuld auf meinen jungen Beichtvater abzuwälzen; denn ich war schlimmer als er. Er war vorher ein guter und heiliger Priester. Ich habe ihn durch mein schamloses Bekenntnis verderbt. Ich weiß auch wohl, dass diese meine jetzige Beichte nicht so detailliert ist, wie es unsere heilige Kirche verlangt. Ich wollte Ihnen nur einen Begriff davon geben, was für eine elende Sünderin es ist, die heute von Ihnen Hilfe verlangt. So habe ich nun mehrere Jahre hindurch ein Sündenleben geführt, bis letzten Sonntag der liebe Gott in Seinem unendlichen Erbarmen mich angesehen hat. Er hat Ihnen ins Herz gegeben, uns in Ihrer Predigt den verlorenen Sohn als das Exempel einer wahren Bekehrung vor Augen zu stellen und als den wunderbaren Beweis der unendlichen Sünderliebe unseres Heilandes. Daraufhin habe ich mich dem barmherzigen Gott in die Arme geworfen. Meine Sünden sind mir unaussprechlich leid, ich habe seit jenem glücklichen Tag stets darob geweint; aber ich bin doch von ganzem Herzen froh, dass ich mit meinen Tränen die Füße des Heilands benetzen darf, wie einst die große Sünderin tat.

Sie werden begreifen, dass ich meinen früheren Beichtvater für immer aufgegeben habe. Mein Wunsch ist es nun, in Zukunft bei Ihnen beichten zu dürfen. Stoßen Sie mich um des Heilands willen nicht zurück! Erschrecken Sie nicht vor einem solchen Monstrum von Bosheit! Bevor ich jedoch Ihre Zusage entgegennehme, muss ich Sie um zwei Gnaden bitten; erstens, dass Sie niemals nach meinem Namen forschen, und zweitens, dass Sie mir keine jener Fragen stellen, welche sonst, wie es scheint, alle Beichtväter zu stellen pflegen, die aber eine so verderbliche Wirkung auf mich hatten. Sie haben uns kürzlich die große Sünderin vor Augen gehalten als das echte Beispiel einer wahrhaft bußfertigen Seele. Hat denn Jesus dieser Frau solche Fragen gestellt, wie sie uns die Priester im Beichtstuhl zur Beantwortung vorlegen und die, anstatt das Feuer der Sünde in uns zu löschen, nur noch Öl ins bereits vorhandene Feuer gießen? Hat Er von ihr verlangt, dass sie ihm eine Geschichte erzähle, die ein sündiges Weib nicht erzählen kann, ohne die Achtung zu vergessen, die sie sich selbst und ihrem Gott schuldig ist? O nein, Sie haben uns gesagt, das einzige, was der Heiland getan, das sei gewesen, dass er auf die Tränen und die Liebe dieser Sünderin blickte. Bitte, tun auch Sie das und Sie werden meine Seele retten!»

Ich war damals noch ein sehr junger Priester und hatte niemals etwas derartiges im Beichtstuhl gehört. Sprachlos stand ich dieser Person gegenüber, die mit ihren Tränen und Seufzern und mit ihrem freimütigen, sie selbst so tief erniedrigenden Bekenntnis den erschütterndsten Eindruck auf mich machte. Es stiegen in mir nun doch Zweifel auf, ob sie wirklich die Tochter jenes vornehmen Hauses sei, für welche ich sie zuerst gehalten hatte; jedenfalls ward es mir nicht schwer, ihr das Versprechen zu geben, dass ich keinerlei Nachforschungen über ihre Persönlichkeit machen würde. In um so größere Verlegenheit brachte mich ihre zweite Bitte, dass ich ihr bei der Beichte die üblichen Fragen nicht stellen möchte; denn die katholischen Theologen bestehen mit großer Bestimmtheit darauf, dass alle möglichen Fragen an die Beichtkinder zu richten seien, insbesondere an die beichtenden Frauen und Töchter.

Ich sprach der jungen Dame darum vorläufig Mut zu, so gut ich konnte und ermahnte sie, mit Hilfe der Heiligen Jungfrau und St. Philomene, die damals in der Mode war, bei ihren guten Vorsätzen zu beharren. Im Übrigen versprach ich ihr, den geäußerten Wunsch betend überlegen zu wollen; in acht Tagen könne sie sich die Antwort holen.

Noch am gleichen Tag begab ich mich um dieser Sache willen zu meinem eigenen Beichtvater, Pfarrer Baillargeon von Quebec, dem späteren Erzbischof von Canada, und fragte ihn um Rat, indem ich ihm zu verstehen gab, ich sei nicht abgeneigt, der Bittstellerin ihr Gesuch zu gewähren, um so lieber, da es mir selbst zuwider sei, derartige unzarte Fragen an Frauen und Töchter richten zu müssen. Ich sagte ihm auch offen, es hätten mir schon mehrere ältere und jüngere Priester gebeichtet, von denen alle, mit zwei einzigen Ausnahmen, bekannt hätten, dass sie diese Fragen nicht stellen und die Antworten darauf nicht hören könnten, ohne infolgedessen in die verdammungswürdigsten Sünden zu fallen.

Mein Beichtvater schien etwas betroffen von dem, was ich ihm sagte. Er bat mich, morgen wieder zu kommen, damit er unterdessen einige theologische Werke über diese Frage konsultieren könne. Als ich wiederkam, gab er mir auf Grund seiner Bücher folgende Antwort, die ich damals wörtlich niederschrieb und sie hier wiedergebe, wie ich sie in meinen alten Manuskripten finde. Sie lautete: «Dass durch die Fragen der Beichtväter die weibliche Tugendhaftigkeit ruiniert wird, ist ein notwendiges Übel, das nicht vermieden werden kann; denn solche Fragen sind in den meisten Fällen absolut unerlässlich. Die Männer bekennen in der Regel so aufrichtig, dass es meist nur dann nötig ist, ihnen Fragen zu stellen, wenn sie ganz unwissend sind. Aber sowohl der heilige Liguori wie auch unsere eigene Beobachtung lehren uns, dass die Frauen und Mädchen, zufolge einer falschen Scham, gewisse Sünden unerwähnt lassen. Es erfordert daher die größte Sorgfalt seitens des Beichtvaters, damit diese unglücklichen Sklavinnen ihrer geheimen Leidenschaften nicht mit einem falschen Eid auf dem Gewissen zur Kommunion gehen. Mit äußerster Weisheit muss er da seine Fragen stellen, indem er, von den kleinsten Sünden ausgehend, allmählich die schwersten Vergehungen zur Sprache bringt. Da die von Ihnen erwähnte Person sich offenbar weigert, ein vollständiges und detailliertes Bekenntnis aller ihrer Sünden abzulegen, so dürfen Sie ihr keine Absolution erteilen, sofern Sie sich nicht durch geschickt gestellte Fragen überzeugt haben, dass sie alles gebeichtet hat.

Darauf zu bestehen darf Sie nicht die gemachte Wahrnehmung abhalten, dass die Priester mit ihren Beichtkindern in die allgemeinen Schwachheiten der mensch­lichen Natur verfallen. Unser Heiland kannte die Versuchung wohl, mit denen wir im Beichtstuhl zu kämpfen haben; er wusste auch wohl, dass viele daran zu Fall kommen würden. Darum hat er uns die heilige Jungfrau Maria gegeben, welche beständig für uns Vergebung erfleht und auch erhält. Er hat uns auch das Sakrament der Buße verordnet, vermittelst dessen wir Vergebung erlangen können, so oft wir darum bitten. Das priesterliche Gelübde völliger Keuschheit ist eine große Ehre und ein herrliches Vorrecht; aber es auferlegt uns eine Last, welche viele nicht beständig zu tragen vermögen. St. Liguori sagt uns, wir sollen den bußfertigen Priester nicht tadeln, wenn er nur einmal des Monats falle; und andere glaubwürdige Theologen sind noch weit milder als dieser Heilige.»

So lautete die Antwort meines Beichtvaters – für mich ganz und gar unbefriedigend. Sie schien mir von Schmierseifegrundsätzen durchzogen. Ich verließ ihn mit schwerem Herzen und geängstigtem Gemüt. Gott weiß, wie ernstlich ich betete, Er möchte es doch verhüten, dass die fragliche junge Dame je wieder in meinen Beichtstuhl komme. Ich war damals kaum 26 Jahre alt, voller Leben und Jugendkraft. Es kam mir vor, die Stiche von tausend Wespen könnten meinen Ohren nicht so gefährlich sein wie die Worte dieser liebenswürdigen, hübschen, vornehmen, aber bei alledem doch verlorenen Tochter. Damit will ich nicht sagen, dass ihre Geständnisse sie in meiner Achtung heruntergesetzt hatten. Nein, gerade durch ihren ernstlichen Protest gegen die verunreinigenden Fragen der Beichtväter hatte sie meine Achtung gewonnen, und ich hoffte zuversichtlich, dass sie im Reiche Christi einen Platz finden werde neben der Samariterin und der großen Sünderin, ja, mit all jenen Sündern, die ihre Kleider gewaschen haben im Blute des Lammes.

Am bestimmten Tage hörte ich eben die Beichte eines jungen Mannes, als Miss Mary daher kam und auf der andern Seite des Beichtstuhls niederkniete. Obschon sie noch tiefer verschleiert war als das erste Mal, zweifelte ich doch keinen Augenblick daran, dass sie dieselbe Person war, in deren väterlichen Hause ich schon öfters so schöne Stunden verlebt hatte. Sie pflegte bei solchen Gelegenheiten unsere prachtvollen Kirchenlieder auf dem Piano zu spielen und sang dazu mit ihrer melodischen Stimme. Ihre vornehme Haltung, die ganz mit ihrem Benehmen zu Hause im gesellschaftlichen Kreise übereinstimmte, verriet auch hier in der Kirche, wer sie war.

Wie gerne hätte ich ihr in dieser feierlichen Stunde ihre ernstliche Bitte, die sie vor acht Tagen an mich gerichtet hatte, gewährt! Wie gerne hätte ich sie auf den sterbenden Erlöser hingewiesen und ihr zugerufen: «Gehe hin mit Frieden; deine Sünden sind dir vergeben!» Aber hier im Beichtstuhl war ich nicht Christi Knecht; ich durfte nicht Seinen göttlichen, heilsamen Worten folgen, noch dem, wozu mich mein eigenes Gewissen trieb. Nein, hier war ich der Sklave des Papstes! Ich musste die Regungen meines eigenen Gewissens ertöten und die göttlichen Eingebungen ignorieren. Mein Gewissen hatte da nichts zu sagen, die Vernunft musste schweigen! Ich hatte einzig und allein den päpstlichen Theologen Gehör zu schenken und ihnen unbedingt zu gehorchen. Ich war nicht da, um zu retten, sondern um zu verderben; denn unter dem Vorwand, die Seelen zu reinigen, ist es oftmals, wenn auch nicht immer, die wahre Aufgabe des Beichtvaters, auch wenn er dies gar nicht will, dass er den Seelen Anstoß geben und sie verdammen muss.

Nachdem der junge Mann, der mir zur Linken kniete, seine Beichte beendigt hatte, wandte ich mich zur Rechten und fragte die junge Dame durch das Gitterchen: «Sind Sie bereit, Ihre Beichte zu beginnen?»

Statt einer Antwort vernahm ich nur den Seufzer: «O Jesus, habe Erbarmen mit mir! Ich bin gekommen, um meine Seele in Deinem Blute zu waschen; willst du mich abweisen?» Mehrere Minuten lang richtete sie ihre Hände und Augen gen Himmel und weinte und betete. Offenbar bemerkte sie gar nicht, dass ich sie beobachtete. Sie glaubte, das Fenster des Beichtstuhls sei geschlossen.

Nachdem ich die in Andacht versunkene Person eine Zeitlang beobachtet hatte, klopfte ich leise an das Gitter und fragte nochmals: «Sind Sie bereit zur Beichte?» Jetzt schaute sie mich an und antwortete mit zitternder Stimme: «Ja, ich bin bereit.» Dann begann sie aber aufs Neue zu weinen und zu beten; ich konnte jedoch ihre Worte nicht verstehen.

Nach einigem Warten forderte ich sie wieder auf, ihre Beichte zu beginnen. Jetzt fasste sie sich und sagte: «Treuer Pater, Sie denken doch noch daran, was ich kürzlich von Ihnen bat? Können sie mir gestatten, mein Bekenntnis so abzulegen, dass ich dabei den Respekt nicht vergesse, den ich mir selber schuldig bin, so gut wie Ihnen und dem allwissenden Gott? Und können Sie mir versprechen, dass Sie mir keine jener Fragen stellen wollen, die mir schon solch unheilbaren Schaden zugefügt haben? Ich bekenne Ihnen offen, dass in mir Sünden wohnen, die ich niemand offenbaren kann außer Christus; denn Er ist mein Gott und weiß alles schon. Lassen sie mich zu Seinen Füssen weinen! Können Sie mir wirklich nicht vergeben, ohne dass ich zu meinen bereits begangenen Sünden noch weitere hinzufüge, indem Sie mich zwingen, von Dingen zu reden, von denen ich nun einmal nicht reden kann?»

«Meine teure Schwester», antwortete ich bewegt, «dürfte ich meinen eigenen Gefühlen folgen, so würde ich Ihrer Bitte mit dem größten Vergnügen entsprechen. Aber ich stehe hier als der Diener unserer heiligen Kirche, durch deren Verordnungen ich gebunden bin. Und diese lehrt mich durch ihre allerheiligsten Päpste und Theologen, dass ich Ihnen Ihre Sünden nicht vergeben kann, wenn Sie dieselben nicht allesamt und zwar so bekennen, wie sie von Ihnen begangen worden sind. Die Kirche verlangt, dass eine detaillierte Beichte abgelegt werde und sie befiehlt dem Beichtvater, dass er nach denjenigen Sünden frage, die etwa wissentlich oder unwissentlich mögen verschwiegen worden sein.»

Als ich solches sagte, schrie sie mit durchdringender Stimme: «Dann, o mein Gott, bin ich verloren, ewig verloren!»

Dieser Schrei ging mir durch Mark und Bein. Wer beschreibt aber meinen Schrecken, als ich durch die Öffnung des Beichtstuhles sah, dass die Unglückliche in eine Ohnmacht versank! Ich hörte, wie sie zur Erde fiel und wie sie im Fallen ihren Kopf auf dem Beichtstuhl aufschlug. Schnell wie der Blitz sprang ich ihr zu Hilfe, rief etliche Leute herbei, die in der Kirche zugegen waren und legte die Ohnmächtige mit deren Hilfe auf eine Bank, holte Wasser und Essig und wusch ihr damit das Gesicht. Sie war bleich wie der Tod, nur ihre Lippen bewegten sich und flüsterten die Worte, die niemand außer mir verstand: «Ich bin verloren, ewig verloren bin ich!»

Wir brachten sie nach Hause, zu ihren untröstlichen Eltern. Dort schwebte sie einen Monat lang zwischen Leben und Tod. Ihre beiden ersten Beichtväter wollten sie besuchen; sie wies denselben höflich und bestimmt die Tür. Mich bat sie hingegen, sie täglich zu besuchen; denn sie sagte: «Ich habe nur noch wenige Tage zu leben; helfen Sie mir in der Vorbereitung auf die ernste Stunde, da sich mir die Pforten der Ewigkeit öffnen werden!»

Ich besuchte die Kranke täglich und betete und weinte mit ihr. Immer wieder bat ich sie unter Tränen, ihre Beichte zu beendigen; aber sie verweigerte dies mit einer Bestimmtheit, die mich in Verwunderung setzte.

Eines Tages kniete ich an ihrem Bette nieder, um zu beten. Ich fand aber keine Worte, sondern konnte nur schluchzen. «Warum weinen Sie?» fragte mich die Kranke.

Weil ich Ihr Mörder bin!» erwiderte ich.

«Weinen Sie nicht um meinetwillen, sondern weinen Sie wegen der vielen Priester, die ihre Beichtkinder verderben. Ich glaube an die Heiligkeit des Sakramentes der Beichte», sagte sie, «aber etwas Unrichtiges muss doch daran sein, sonst wäre ich nicht dadurch zu Grunde gerichtet worden. Ich befürchte, wenn unsere Väter einmal dahinter kommen und erfahren, welchen Schaden ihre Töchter im Beichtstuhl nehmen, so werden sie furchtbare Rache an den Priestern nehmen.»

Ich konnte hierauf nichts erwidern, sondern weinte nur noch heftiger. Da reichte sie mir ihre Hand und sagte: «Weinen Sie nicht! Sie haben mir ja freilich durch Ihre Antwort, die Sie mir im Beichtstuhl gaben, einen heftigen Schlag versetzt; aber ich weiß, dass Sie nicht anders handeln durften, weil Sie durch die Vorschriften der Kirche gebunden sind. Und ich kann Ihnen sagen, dass der Sturm, den Ihre Antwort damals in meinem Innern entfesselte, mein Schifflein von dem bodenlosen Meer meiner Sünden in den Friedenshafen getrieben hat, wo Jesus meiner wartete und mir meine Sünden vergab. In der Nacht, die auf jenen Vorfall folgte, hatte ich einen Traum – nein, es war kein bloßer Traum, sondern Realität. Mein Jesus kam zu mir, blutbesprengt, die Dornenkrone auf dem Haupt und das Kreuz auf Seiner Schulter. Er sprach zu mir mit einer Stimme, so süß, dass sie keine menschliche Stimme nachahmen kann: Ich habe deine Tränen gesehen und dein Schreien erhört und ich weiß, dass du mich liebst: Deine Sünden sind dir vergeben; fasse Mut, in wenigen Tagen wirst du bei mir sein!»

Der kostenlose Auszug ist beendet.