Handbuch Ius Publicum Europaeum

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Insgesamt scheint der monarchistische Einfluss auf die Fünfte Republik weitaus weniger prägend als der bonapartistische und cäsaristische Einfluss. Die Fünfte Republik knüpft zum einen an eine „Mystik des Chefs“ an, die eindeutig von autoritären Zügen gezeichnet ist. Zum anderen beruht sie auf einer „Mystik der Republik“, die in ihren Grundsätzen mit einem gewissen Autoritarismus nicht unvereinbar ist, denn es geht darum, die Republik als „eine“, „unteilbare“, „laizistische“, „demokratische“ und „soziale“ zu zelebrieren. Im Kern ist der französische Republikanismus keineswegs liberal. Man kann deshalb sagen, dass die Fünfte Republik als sonderbare Synthese von Elementen der gesamten französischen Verfassungstradition seit 1789 in der Absicht seines Gründervaters eine

autoritäre Republik

 begründen sollte.



§ 2 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich

 › I. Ursprung und Entstehung des Verfassungssystems der Fünften Republik › 3. Die besonderen Voraussetzungen der Ausübung verfassunggebender Gewalt im Jahre 1958





3. Die besonderen Voraussetzungen der Ausübung verfassunggebender Gewalt im Jahre 1958






a) Die Algerienkrise und der Aufstand vom 13. Mai 1958



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Die Vierte Republik wurde mit den Problemen der Entkolonialisierung überfordert. Weder die kollektive Mentalität noch der schwächliche Parlamentarismus waren den vielschichtigen Schwierigkeiten dieses unaufhaltbaren Prozesses gewachsen. Im Jahr 1954 überstürzen sich die Ereignisse. Seit 1952 bzw. 1953 lockert sich der starke französische Einfluss im Maghreb, bis die ehemaligen Protektorate Tunesien und Marokko im März 1956 schließlich in die Unabhängigkeit entlassen werden. Im Juli 1954 verlässt Frankreich Indochina entgültig. An Allerheiligen 1954 erfährt das Entkolonialisierungsproblem jedoch seine tragischste Wendung: Am 1. November werden in Algerien mehrere Attentate verübt, für die eine neue algerische Geheimorganisation (die

Front de Libération Nationale

,

F.L.N.

) die Verantwortung übernimmt. Der Algerienkrieg beginnt – der

verschwiegene

 (Bürger-)Krieg, der offiziell nur als „Polizeieinsatz“, „die algerischen Ereignisse“ oder „Befriedungsprozess“ in Rede stand, aber zum „Krebsgeschwür“ im Körper der Vierten Republik wurde. Jedwede Lösung hätte eine stabile, handlungsfähige und relativ unabhängige Regierung erfordert, die jedoch nicht existierte. Im Laufe des Jahres 1956 fallen und folgen die Regierungen wie gewohnt aufeinander. Wegen der außenpolitischen Folgen eines Luftangriffs gegen eine in Tunesien gelegene Operationsbasis der

F.L.N.

 tritt die Regierung am 15. April 1958 zurück.



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In dieser höchst angespannten Situation dauerte es etwa einen Monat, bis sich eine mögliche Nachfolge abzeichnete. Dieses damals übliche Szenario hatte einen tödlichen Ausgang für die von Unentschiedenheit gezeichnete Vierte Republik. Die Ereignisse vom 13. Mai 1958 waren das Ergebnis zweier „Komplotte“, von denen das erste von den in Algerien sehr aktiven rechtsradikalen Bewegungen geschmiedet, das zweite in den gaullistischen Milieus organisiert wurde. Der Fortbestand des französischen Algeriens war das Ziel des geplanten Aufstands, die Armee seine Waffe. Am 9. Mai bekundeten die Generäle der in Algerien stationierten französischen Armee ihre „Angst“ vor einer „Politik der Aufgabe“ in Algerien. Der nach langem Zögern vom Staatschef vorgeschlagene Ministerpräsident Pierre Pflimlin verkörpert für die Verschwörer ebendiese „Politik der Aufgabe“. Am 13. Mai, als der neue Ministerpräsident vom Parlament gewählt wird, wird das Gebäude des Regierungsrates in Algier gestürmt und mit Unterstützung der Armee ein

Comité de Salut Public

 errichtet – ein Militärputsch. Als Antwort der Zivilbehörden wird die Einsetzung Pflimlins in der Nationalversammlung mit großer Mehrheit bewilligt. Am 15. Mai ruft General Salan vom Balkon des algerischen Regierungsrats „

Vive de Gaulle!

“ aus. Dieser erklärt sich am selben Tag in einer Pressemeldung dazu bereit, „die republikanische Staatsgewalt zu übernehmen“, und am 24. Mai schließt sich Korsika dem Aufstand an. Die Pläne zum Einmarsch der aufständischen Truppen in das französische Mutterland liegen schon bereit. Nach einem geheimen Treffen mit Pflimlin teilt de Gaulle am 27. Mai der Öffentlichkeit mit, er „habe das reguläre Verfahren zur Gründung einer republikanischen Regierung eingeleitet“.



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Diese Meldung war ebenso klug wie unzutreffend, da sie den Anschein erweckte, es sei eine Vereinbarung zwischen de Gaulle und den regulären Zivilbehörden getroffen worden, was bewiesenermaßen falsch ist. Der Schein der Legalität wurde jedoch gewahrt. Pflimlin dementierte nicht und erklärte den Rücktritt seiner Regierung. Das Verfahren war keineswegs regulär: de Gaulle war selbstverständlich nicht dazu berechtigt, ein Verfahren zur Selbsternennung auch nur „einzuleiten“. Mit der Hervorhebung seiner eigenen Rolle, des „Ichs“, machte er jedoch allenthalben deutlich, wer im Besitz der faktischen Macht stand. Allein derjenige, der den Aufruhr stilllegen kann, ist imstande, auch tatsächlich Macht auszuüben, und allen war klar, dass es niemanden außer de Gaulle gab, der dieses Wunder vollbringen konnte. De Gaulle verkörperte damals das Maximum an Zugeständnissen, die das Parlament der Armee und die Armee dem Parlament machen konnte. So wurde er zum zweiten Mal in der Geschichte zum unverhofften Mann Frankreichs. Allerdings wies de Gaulles Machtergreifung cäsaristische Züge einer „Usurpation“ auf.






b) Die Machtergreifung de Gaulles und die Umgestaltung des Verfassungsänderungsverfahrens



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Am 1. Juni 1958 wurde General de Gaulle auf Vorschlag des Präsidenten der Republik, René Coty, von der Nationalversammlung zum Regierungschef gewählt. Die Vorstellung des Regierungsprogramms vor den Abgeordneten fiel äußerst knapp aus und lässt sich in zwei Punkten zusammenfassen: eine unbeschränkte Generalvollmacht der Regierung zur Erledigung der algerischen Krise und eine „Verfassungsreform“. Dass diese

so genannte

 Verfassungs

reform

 die Ausarbeitung einer völlig neuen Verfassung nach sich ziehen sollte, war unschwer vorhersehbar. Schon in seiner berühmten Rede in Bayeux vom 16. April 1946 hatte de Gaulle das Modell der Verfassung von 1946 vehement abgelehnt. Zur Umsetzung des Regierungsprogramms wurden zwei Gesetze verabschiedet. Das Ermächtigungsgesetz vom 3. Juni übertrug der Regierung für sechs Monate die Gesetzgebungsgewalt, woraufhin die Regierung per Verordnung alle „zur Wiedererstarkung der Nation notwendigen Maßnahmen“ ergreifen durfte. Das Verfassungsgesetz vom 3. Juni änderte das in Art. 90 der Verfassung von 1946 vorgesehene Verfassungsänderungsverfahren, sodass die Verfassunggebung die Form einer Verfassungsänderung annahm.



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Allerdings zielte das Verfassungsgesetz auf eine Verfassungsdurchbrechung, was sich vor allem darin niederschlug, dass von den Bestimmungen des Art. 90 abgewichen wurde. Die Regierung wurde ermächtigt, ein Gesetz zur Änderung der Verfassung vorzuschlagen, über das per Referendum abgestimmt werden sollte. Das Parlament als solches war aus dem Verfahren jedoch völlig ausgeblendet. Statt einer parlamentarischen Zustimmung musste die Regierung nur die Stellungnahme eines beratenden Komitees (

Comité consultatif constitutionnel

) sowie des Staatsrates (

Conseil d’État

) einholen. Dem

ad hoc

 beratenden Komitee mussten einige Parlamentsmitglieder angehören. Schließlich beinhaltete der Entwurf der Exekutive einige materiellrechtliche Vorgaben: gesetzgebende und vollziehende Gewalt mussten direkt oder indirekt vom Volk ausgehen und weiterhin getrennt bleiben; die Regierung musste dem Parlament verantwortlich und die Rechtsprechung unabhängig sein. Kurz: Die Republik sollte weiterhin ein demokratischer Rechtsstaat bleiben. Doch waren diese Prinzipien unbestimmt genug, um der Regierung einen weiten Gestaltungsspielraum zu überlassen.



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Über diese technischen Angaben hinaus sei betont, dass in dem so konzipierten Verfassungsänderungs- bzw. Verfassunggebungsverfahren alle Instanzen und Mechanismen der parlamentarischen Demokratie ausgeschlossen wurden. Nach de Gaulles Auffassung durfte die neue Verfassung in keinem Fall das Werk der Parteien sein. In dem damaligen Krisenzustand konnte eine (sakrosankte) Verfassung nicht aus einigen, gleich ob „echten“ oder lediglich „dilatorischen“ Kompromissen gebastelt werden, sondern musste einer Grundsatz

entscheidung

 zur politischen Form der Nation entspringen. Das Pathos der Entscheidung prägte durch und durch den gaullistischen Diskurs. Die Autorität kam wieder „von oben“, das Vertrauen durch Volksabstimmung „von unten“.






c) Die Ausarbeitungs- und Annahmemodalitäten der Verfassung vom 4. Oktober 1958



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In der ersten Phase befasste sich allein die Regierung mit der Ausarbeitung des Verfassungsentwurfs. Der Justizminister Michel Debré leitete die „Arbeitsgruppe“, die den vorläufigen Entwurf vorbereiten sollte. Selbstverständlich hatte General de Gaulle seinerseits die allgemeine Richtung vorgegeben. Die Vorschläge der „Arbeitsgruppe“ wurden im Rahmen von Ministerialkomitees unter dem Vorsitz de Gaulles beraten und zwischen dem 23. und 25. Juli 1958 von den Regierungsmitgliedern beschlossen. Der vorläufige Entwurf wurde sodann dem

Comité consultatif constitutionnel

 zugeleitet, das vom 29. Juli bis zum 14. August tagte und an ebenjenem Tage der Regierung seine zahlreichen Änderungsvorschläge bekannt gab. Einige dieser Vorschläge wurden übernommen, wonach der veränderte Entwurf auf Beschluss eines Kabinettsrates am 20. August festgesetzt und am 21. August dem

Conseil d’État

 vorgelegt wurde. Am 27. und 28. August wurde der Entwurf schließlich von der Generalversammlung des

Conseil d’État

 beraten. Die Eröffnungsrede des Justizministers bleibt ein wichtiges Dokument zur Erläuterung der neuen Institutionen. Auf Grundlage der Stellungnahme des

Conseil d’État

 wird der endgültige Entwurf mit einigen Änderungen am 3. September 1958 vom Ministerrat festgesetzt. Der Text wird dem französischen Volk im Rahmen einer von André Malraux inszenierten Zeremonie präsentiert, zu deren Anlass General de Gaulle seinerseits eine Rede hält, die an die berühmte in Bayeux aus dem Jahre 1946 anknüpft. In einer Flutwelle der Zustimmung wurde der Verfassungsentwurf mit 82% der abgegebenen Stimmen und somit von insgesamt 66% der Wahlberechtigten per Referendum befürwortet. Der Verfassungstext wurde am 4. Oktober 1958 in Form eines Verfassungsgesetzes verkündet. Die Fünfte Republik war aus der Taufe gehoben worden.

 



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Genau vier Monate verstreichen zwischen de Gaulles Ernennung und der Annahme der Verfassung – ein Verfahren im militärischen Sturmschritt, aber auch ein geheimes Verfahren, da die Beratungen des

Comité consultatif constitutionnel

 und des

Conseil d’État

 jeweils unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. Diese Beratungen sind

stricto sensu

 weniger als „Gesetzesmaterial“ zur Verfassung von 1958 zu verstehen denn als einfache Meinung in der Verfassungsinterpretation. Umso verwunderlicher ist es, dass sich die Verfassungs- und Verwaltungsgerichtsbarkeit zuweilen auf die Debatten des

Comité consultatif constitutionnel

 von 1958 berufen, als ob sie den authentischen Sinn der Verfassung zum Ausdruck brächten.



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Nach Maßgabe der Art. 91 und 92 der Verfassung von 1958 (im Folgenden: CF) waren die Institutionen der Republik innerhalb von vier Monaten zu bilden. Ein Punkt sei an dieser Stelle besonders hervorgehoben: Zur Bildung der Institutionen wurde die Regierung dazu ermächtigt, die erforderlichen Texte mittels

Ordonnances

 zu erlassen. Auf Grundlage dieser Ermächtigung erließ die Exekutive beinahe sämtliche zur Verfassungsergänzung notwendigen Normen, die von Verfassung wegen eher als Organgesetze höheren Ranges einzustufen sind denn als einfache Gesetze. Die Exekutive vervollständigte hierdurch die Verfassung, die sie sich soeben gegeben hatte. In der Form ihrer Annahme sowie der ihrer Umsetzung brachte die Verfassung unmissverständlich zum Ausdruck, dass die Fünfte Republik ein Regime exekutiver Prägung war.



§ 2 Grundlagen und Grundzüge staatlichen Verfassungsrechts: Frankreich

 › I. Ursprung und Entstehung des Verfassungssystems der Fünften Republik › 4. Die gestaltenden Verfassungsideen





4. Die gestaltenden Verfassungsideen






a) Das Erbe der Résistance



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Die Gedanken, welche die Errichtung des institutionellen Bauwerks der Fünften Republik entscheidend prägen, entspringen der Reformbewegung der 1930er Jahre. Diese Bewegung hat zahlreiche Theoretiker aus Kreisen der Résistance beeinflusst und sie während des Zweiten Weltkriegs zur Ausarbeitung bedeutender Verfassungsprojekte bewegt, die 1946 überhaupt nicht berücksichtigt wurden, im Jahr 1958 hingegen teilweise großen Anklang gefunden haben. Die gaullistische Bewegung setzt in den Anfangsjahren die verfassungsrechtlichen Überlegungen der 1930er Jahre und der Résistance fort. Die Grundsatzfrage bleibt dieselbe: Wie kann in einem republikanischen Rahmen dem ein Ende gesetzt werden, was André Tardieu als „die Regierung des parlamentarischen Despotismus“ bezeichnete? Raymond Carré de Malbergs Analyse aus den 1920er Jahren diente der Antwort auf diese Frage als Ausgangspunkt. Im Gegensatz zu den von Adhémar Esmein oder Léon Duguit vertretenen Positionen zeigte Carré de Malberg, dass das parlamentarische Regime der Dritten Republik kein Regime war, in dem „das Parlament und die Exekutive zwei verschiedene Gewalten darstellen und jede ihrerseits zur Repräsentation der Nation verpflichtet ist“, sondern ein nahezu eingleisiges, in den Parlamentskammern konzentriertes System, in welchem die Exekutive jeglicher „Willensunabhängigkeit“ entbehrt. Die Parlamentskammern „haben nicht nur den Charakter eines höchsten Organs, sondern sind eigentlich das einzige Staatsorgan“. Carré de Malberg zufolge sind in Frankreich alle republikanischen Verfassungssysteme von entscheidender „Widersprüchlichkeit“ gezeichnet, von einer „Mystifizierung“, namentlich der Anmaßung des Parlaments, die ausschließliche Befugnis zur Ausübung der souveränen Rechte der Nation innezuhaben. Abhilfe geleistet wird dem insbesondere durch die Einführung plebiszitärer Elemente, durch die der Regierung gegenüber dem Parlament gewährte Unabhängigkeitsgarantie und durch die Volkswahl des Staatschefs. Die beiden zentralen Gestalten im Rahmen dieser Debatten unter General de Gaulle sind Michel Debré, erster Premierminister der Fünften Republik, und René Capitant, beide ehemals Mitglieder der militanten Résistance.






b) De Gaulles Verfassungsideen



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Schon während des Ersten Weltkriegs sieht de Gaulle im parlamentarischen Absolutismus den Hauptgrund für die Entgleisung des politischen Systems der Dritten Republik. De Gaulle teilt den Antiparlamentarismus, der sich im Frankreich der 1920er Jahre verbreitet. Als Offizier begegnet er dem sterilen und arroganten Politikbetrieb der Kammern mit der Figur des „Chefs“, dessen Portrait 1932 in

Le fil de l’épée

 erscheint. Diese Konzeptionen tragen eindeutig autoritäre Züge. Allerdings werden faschistische Ausuferungen insofern unmöglich, als de Gaulles historische Legitimität gänzlich auf dem Kampf gegen den Faschismus gründet. Die elitistische Denkweise des Chefs muss mit hinreichend demokratischen Gewährleistungen in Einklang gebracht werden. Eben diesen, anlässlich seiner Rede in Bayeux 1946 erstmals kundgegebenen Grundgedanken konkretisiert de Gaulle mit seiner Forderung nach einer strengen Trennung zweier Bereiche, die Georges Burdeau in seiner klassischen Analyse der Gedankenführung de Gaulles als den Bereich der „staatlichen Gewalt“ und den der „demokratischen Gewalt“ bezeichnet. Erstere dient der Aufrechterhaltung staatlicher Einheit und Kontinuität und ist im „Staatschef“ verkörpert. Seine Aufgabe ist es, „als Schiedsrichter über die politischen Lappalien hinweg zu dienen“, das fortlaufende Funktionieren der Institutionen sicherzustellen, politische Krisen mittels des Volksentscheids zu überwinden und in Ausnahmesituationen die verfassungsmäßige Ordnung wiederherzustellen, gegebenenfalls mit Hilfe von Sonderbefugnissen. Die „demokratische Gewalt“ stellt ihrerseits die Repräsentation von Interessen sowie den Pluralismus der Meinungen im Parlament sicher und findet in der gesetzgebenden Gewalt unmittelbar Ausdruck. Diese Trennung von vollziehender und gesetzgebender Gewalt im Sinne de Gaulles ist insofern besonderer, gar radikaler Natur, als die vollziehende Gewalt nicht von der Legislative hervorgehen darf. Wahrhafter Chef der Exekutive ist der Präsident der Republik, weshalb die Regierung nunmehr vom Staatschef hervorgehen muss. Hierdurch erlangt die gesamte Exekutive ihre Unabhängigkeit von der Legislative.






c) Der Einfluss René Capitants



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Zwar befand sich René Capitant zum Zeitpunkt der Ereignisse von 1958 in Japan, doch war er schon in der Vierten Republik General de Gaulles privilegierter Ansprechpartner in verfassungsrechtlichen Fragen. Es ist bekannt, dass sich Capitant als treuer Verfechter von Carré de Malbergs Lehre unermüdlich für die Einführung plebiszitärer Elemente in das Verfassungssystem einsetzte, Elemente, die das Dogma der „parlamentarischen Souveränität“ sprengen konnten. Darüber hinaus brachte Capitant, der ein großer Kenner der Weimarer Republik war, das Carl Schmitt’sche Bild der Präsidentschaft ein. In einer Studie über den Präsidenten der Weimarer Republik aus dem Jahr 1932 betont Capitant die Ambivalenz der Schmitt’schen Lehre, ohne diese Ambivalenz jedoch negativ zu bewerten. Einerseits müsse der Weimarer Präsident neutrale und regulierende Gewalt ausüben, herrschen, ohne zu regieren. Die Präsidentenschaft sei „in erster Linie Schiedsrichterfunktion, die darin besteht, die Konflikte zwischen den Weimarer Verfassungsorganen beizulegen“. Diese Funktion soll er „im Interesse der nationalen Einheit“ ausüben. Andererseits aber, so Capitant, übernimmt der Weimarer Präsident „im Wesentlichen politische Aufg