Dark Shadows – Die Schatten der Vergangenheit

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Ich hole sie mit meinem schilfgrünen DKW von ihr zu Hause ab. Nach einer innigen Umarmung zuckeln wir gen Kufstein zur österreichischen Grenze. Wir erzählen uns die Erlebnisse der vergangenen 25 Jahre. Sie hat einen Sohn und eine Tochter. Ich habe zwei Töchter und einen Sohn. Das ist jedoch alles nicht wirklich wichtig für uns. Wir haben uns wieder, für eine kurze Zeit. Die Gefühle sprudeln, das Begehren wächst. Wir fühlen uns frei, ungebunden, wie zu studentischen Zeiten. Die Strecke von der Grenze bis zum Gasthof Alpenhof in Hintertux im Zillertal erscheint mir unendlich lang. Endlich erreichen wir unser Ziel. Beim Ausfüllen des Anmeldescheins schreibe ich „Dr. Lutz Reuss und Frau Gemahlin“. Ich zwinkere dem Wirt zu und lege dem Meldeschein einen 20-Mark-Schein bei. Er versteht und fragt nicht weiter. Es ist notwendig, inkognito zu bleiben, denn Ursula ist inzwischen eine in Deutschland bekannte Schauspielerin.

Das Zimmer ist sehr geräumig und österreichisch rustikal mit Zirbelkiefer verkleidet, ein großartiges Liebesnest. Nur die riesige Decke auf dem Bett stört, weil sie im Moment völlig unnütz ist. Sie fliegt in die nächste Ecke auf den Boden. Die beiden Einzelbetten schieben wir dicht zusammen und legen eine zusammengefaltete Wolldecke in die Ritze zwischen den Matratzen. Zum Auspacken ist keine Zeit.

Wir sind gierig aufeinander und ziehen uns aus. Ich betrachte ihren nackten Körper, die niedliche Wölbung ihres Frauenbauchs und finde ihn aufregend und wunderschön. Ihre Muschi ist dicht behaart und der Venushügel kräftig gewölbt. Der Busen hat nicht mehr die Spannung wie vor 25 Jahren, ist aber noch immer wohlgeformt. Die kleinen Nippel, die ich schon immer liebte, locken meine Zunge. Es erregt sie. Wir fallen auf das Bett und streicheln uns zärtlich, dann verlangend. Ich flüstere ihr waidmännisch ins Ohr: „darf ich, dein Feuchtblatt lecken, das würde den Bock in mir wecken.“

Sie lächelt, schiebt die Decke zur Seite und lädt mich ein. Mit der empfindlichen Nase eines Jagdhundes nehme ich die Witterung auf. Es ist berauschend, dieser Geruch ihrer Weiblichkeit ist betörend. Unser Verlangen steigert sich, die Spannung ist kaum noch erträglich. In der Aufregung verwende ich das Präservativ falsch herum, verdammt, es lässt sich nicht abrollen. Uschi streichelt mich, lächelt über meine Nervosität und rollt den Präser richtig herum ab. Die Vereinigung unserer Körper erfüllt uns mit unsagbarer Freude und Befriedigung. Wir liegen nebeneinander, streicheln uns und schlafen in inniger Umarmung ein.

Ganz in meinen erotischen Erinnerungen versunken, blende ich für einen Moment die unerträgliche Realität meiner trostlosen dunklen Gefängniszelle aus. Meine Hände gleiten unter die Bettdecke und ich verschaffe mir Entspannung. Mit einem leichten Anflug von schlechtem Gewissen denke ich daran, dass in meinen erotischen Fantasien nicht meine Frau, sondern Uschi und andere vergangene Liebschaften die Hauptrolle spielen. Glücklicherweise bin ich allein in der Zelle, die aus WC, Waschbecken, Tisch, Stuhl, einem Bild von den Alpen und einem zweistöckigen Bett aus Stahlrohr besteht.

Der Gefängnisdirektor ist bereits Anfang 60 und wartet offensichtlich auf seine Pensionierung. Er ist und war sein Leben lang Justizvollzugsbeamter, also auch unter Hitler bereits ein gehorsamer Zuchtmeister. In meinen Ohren klingt „Justiz-Vollzug“ nach Sadismus. Und dann noch „Beamter“, die Lizenz zum sadistisch genussvollen Vollzug auf Lebenszeit. Seinem Habitus nach zu urteilen, genießt er seine Macht in seinem Revier. Geistig hat er den Zusammenbruch des Dritten Reiches wohl nicht wirklich verarbeitet. Er lebt noch immer in der guten, alten Zeit, ist und bleibt ein Ewig-Gestriger. Zu meinem Glück sieht er in mir ein Opfer der neuen Zeit, die er nicht versteht oder verstehen will. Es sieht in mir, dem ehemaligen Offizier, einen Bruder im Geiste, und er erfüllt mir, im Rahmen seines Machtbereiches, fast alle Wünsche. Ich erhalte ein Einzelzimmer, mit etwas Wandschmuck, eine Blumenvase, Papier und Bleistifte und ich darf mich innerhalb des Gefängnisses relativ frei bewegen. Ich helfe dem Herrn Direktor, so lässt er sich gerne nennen, bei seinen Büroarbeiten. Schließlich habe ich als Veterinärrat einige Erfahrungen im Umgang mit Beamten und Behörden. Die Fortsetzung meiner Erinnerungen ist unerotisch und mehr so etwas wie eine Gardinenpredigt.

Ursula und ich genießen unsere Gemeinsamkeit völlig unbeschwert für drei Tage. Wir wandern, lieben uns, erzählen uns die wichtigsten Episoden unseres Lebens. Wir sind glücklich vereint, bis zur Abreise. Auf der Fahrt zurück nach München bricht es aus ihr heraus. Sie überschüttet mich mit vorwurfsvollen Fragen und fragenden Vorwürfen „Warum hast du mich damals verlassen? Warum hattest du keinen Arsch in der Hose, zu deiner Liebe zu stehen? Warum hast du dich nicht dem Willen deiner Mutter widersetzt? Wo war dein Ehrenkodex geblieben, nach all deinen Liebesschwüren? Ich hätte so gern mein Leben mit dir geteilt und dir Kinder geschenkt. Schade, du warst zu feige. Ich bin immer noch tief enttäuscht und verletzt. Die Tage in Hintertux waren die Erfüllung eines Traums, ein Traum, der nun endgültig ausgeträumt ist. Unsere Wege sollten sich nun für immer trennen. Du hast eine Verpflichtung deiner Familie gegenüber und ich die Verantwortung als alleinerziehende Mutter für meine Kinder. Lebewohl, mein Held“, sagt sie spöttisch und verschwindet aus der Haustür.

Ich habe mir all ihre Vorwürfe geduldig angehört und jegliche Antwort vermieden. Ich fühle mich schuldig. Ja, ich hatte sie sitzen gelassen. Meine Freunde in der Verbindung fanden Uschi ebenfalls interessant und bewunderten mich für diesen außergewöhnlichen Fang. Sie war jung, schön, geistreich, gebildet und sportlich. Attribute, die nicht in vielen Menschen so gut zusammenkommen wie bei ihr. Ich war damals zudem von ihrem Charme bezaubert und von ihrer erotischen Ausstrahlung gefesselt. Trotz meines Schweigens auf dem Rückweg nach München bin ich innerlich aufgewühlt.

Trennungsgründe

Im Nachhinein betrachtet, finde ich viele Gründe, mich zu trennen. Der Hauptgrund war wohl meine Mutter. Als sie mitbekommt, mit wem ich mich herumtreibe, so ihre Formulierung, zitiert sie mich nach Hause. Aus ihrer Sicht ist die Familie nicht standesgemäß. Meine Mutter war schon immer sehr autoritär, sie duldet keinen Widerspruch. Wer es wagt sich ihr zu widersetzen, bekommt die volle Kälte einer herrischen Frau zu spüren. Mein Vater ist ihrer Dominanz komplett unterlegen. Seine Meinung ist nicht gefragt. Meine Mutter sagt mir klipp und klar: „Wenn du weiterhin Kontakt zu dieser Person hältst, sperre ich die monatlichen Unterhaltszahlungen. Ein Vorfahren von Dir hatte mit einer Schauspielerin schon einmal Schande über die ganze Familie gebracht.“ Man erzählt sich, er sei mit einer Schauspielerin durchgebrannt, er habe Frau und Kinder sitzengelassen. Ach, dieses alte Lied wieder, denke ich. Meine Mutter erhöht sich gern in ihrer Anklage über meine Vorfahren. Das Ereignis hatte sich circa 1780 abgespielt und niemand weiß, was damals wirklich geschah.

„Und im Übrigen erwarte ich von dir die sofortige Verlagerung deiner Studien nach Leipzig. Mit dem leitenden Professor der Tiermedizin habe ich bereits gesprochen. Er ist ein Freund der Familie und hat zugestimmt. Gibt es noch Fragen? Nein? Worauf wartest du noch? Mach dich auf den Weg. Am kommenden Montag wirst du in Leipzig erwartet. Melde dich um 8 Uhr bei Herrn Obermedizinalrat Professor Dr. Johannes Schmidt, aber pünktlich bitte.“

Es gab kein „Auf Wiedersehen“, kein „Gute Fahrt, mein Sohn“, keine Herzlichkeiten, kein Mitgefühl. Das kannte sie von ihrem Zuhause nicht und sie hat es auch später nie gelernt. In ihrer Familie herrschte immer ein rauer aggressiver Ton, was auch einmal dazu geführt hatte, dass sich ihr Bruder mit dem Vater handfest geprügelt hatte.

Überhaupt war und ist mein Verhältnis zu meiner Mutter angespannt. An warmherzige Worte erinnere ich mich nicht. Sie lässt mich spüren, dass sie mich für einen Versager hält. Sie sucht nach den Schwächen der Menschen. Nach Bedarf spielt sie damit und kann dann auch sehr boshaft sein. Ich kann mich auch nicht erinnern, als Kleinkind einmal liebevoll von ihr in die Arme genommen worden zu sein. Nestwärme habe ich nie gespürt. Bei meinem Vater fand ich zwar immer Trost, aber er war zu schwach und zu ängstlich, um sich gegen den Familientyrann durchzusetzen.

Den Wunsch nach Verlobung nehme ich im Gegensatz zu Uschi nicht wirklich ernst. Sie ist für mich das richtige Mädchen zur richtigen Zeit. An eine feste Bindung denke ich gar nicht. Wir führen geistreiche Gespräche miteinander. Wir teilen einen Hang zur Spiritualität, beschäftigten uns mit Tarotkarten und nehmen an spiritistischen Sitzungen teil. Wir bringen, durch Konzentration und die Hände über dem Tisch haltend, eben diesen zum Schweben. Mein Vater hatte mir einmal gezeigt, wie man mit einer Weidenrute Wasser suchen kann. Das funktioniert auch bei mir sehr gut. Ich habe dafür eine besondere Sensibilität. Die Radiästhesie und Geomantie sind seit Jahrtausenden bekannt. Da sie mit wissenschaftlichen Methoden jedoch nicht nachweisbar sind, wird sie oft belächelt und als spirituelle Spinnerei betrachtet. Sie funktioniert aber trotzdem bei der Suche nach Wasser. Auch Moses war von Gott aufgefordert worden: „Nimm deinen Stab in die Hand. Damit sollst du dann den Felsen schlagen, so wird Wasser herauslaufen.“

Ein weiterer Grund für meine Bindungsunwilligkeit war, dass ich noch viel erleben wollte. Ich wollte mich nicht einengen lassen und keine Rechenschaft über meinen Tagesablauf abgeben müssen. Andere Gründe werden mir erst viel später bewusst. Ich komme aus einer konservativ denkenden Familie. Meine Mutter hatte es später in ihrer Art so ausgedrückt: „Künstler und Schauspieler werden bewundert und beklatscht, aber in einer ehrwürdigen bürgerlichen Familie möchte sie niemand haben.“ Womöglich habe ich diese Haltung, ohne mir dessen bewusst zu sein oder es gar wahrhaben zu wollen, so sehr verinnerlicht, dass auch ich eine Ehe mit Ursula nie in Betracht gezogen hatte.

 

Meine erotischen Träume in der Gefängniszelle haben etwas Befreiendes. Sie geben mir das Gefühl von Männlichkeit, Vitalität und die Kraft, die täglichen Probleme leichter zu bewältigen. Die Frage, warum sich meine erotischen Träume nie um meine geliebte Anna-Lena drehen, beschäftigt mich. Liegt es daran, dass Anna-Lena die Mutter meiner Kinder ist, und sich wilder Sex nicht mit meinem (und dem gesellschaftlichen?) konservativen Bild von einer treuen, umsorgenden Ehefrau und Mutter vereinbaren lässt? Liegt es daran, dass sie 14 Jahre jünger ist? Bin ich mehr eine Vaterfigur für sie? Oder besser gesagt, sehe ich, sieht sie in mir eher einen Beschützer? Als wir uns trafen, war sie 17 Jahre alt und stand als Schülerin kurz vor ihrem Abitur. Ich war damals bereits 31 Jahre alt, promovierter Veterinär und fachlich ein Vorgesetzter ihres Vaters. Ihr Vater war Tierarzt und Schlachthofdirektor im Ort. Mir unterstanden die Lebensmittelkontrollen und somit auch die Kontrolle des Schlachthofs.

Auf der Suche nach dem WARUM

Ich habe meine Promotion in Leipzig beendet. Das Thema lautete: „Allgemeine therapeutische Betrachtung über die ‚Erden‘ unter besonderer Berücksichtigung des ‚Biohydrosils‘“ Wie bei meinem Abitur ist auch hier meine Leistung nur ausreichend, gut genug jedoch, um mein Ziel, Veterinär zu werden, zu erreichen.

Ich sehe mich nicht als Wissenschaftler, sondern mehr als Praktiker. Nun könnte man behaupten, ich sei zu bequem und faul gewesen. Man könnte aber auch sagen, ich hätte meine Kräfte ökonomisch portioniert eingesetzt. Man könnte auch vermuten, das Akademische läge mir nicht, was wohl richtig ist. Nach den damaligen Bestimmungen ist nach dem Fachexamen ein dreimonatiger Fleischbeschau-Lehrgang in einem Ausbildungsbetrieb notwendig. Den absolviere ich in Bernburg in einem qualifizierten Lehrschlachthof. Anschließend wird mir die Approbation als praktischer Tierarzt erteilt.

In der Folgezeit arbeite ich als Assistent an mehreren Schlachthöfen und übernehme diverse Vertretungen von Tierärzten und Veterinären. Im Rahmen dieser Vertretungen reise ich durch Süddeutschland sowie Nord- und Mitteldeutschland. Ich führe eine Art Nomadenleben, einerseits, um möglichst viel zu sehen und zu lernen, andererseits aus Abenteuerlust. Ich will mich noch nicht etablieren.

Durch meine berufliche Tätigkeit komme ich mit vielen Menschen aus der Landwirtschaft in Kontakt und werde zu Jagden eingeladen. Das Jagen ist mir wichtiger als das Geldverdienen. Die Unterkünfte, die ich finde, sind preislich günstig und bevorzugt auch mit einem angenehmen Bratkartoffel-Verhältnis verbunden.

Ich verdiene viel Geld mit Nebentätigkeiten als praktischer Tierarzt, unversteuert in meine eigene Tasche. Die Bezahlung erfolgt nach dem BAT-Prinzip, „Bar auf Tatze“.

Besonders bei den Pferdebesitzern in den Reitställen bin ich erfolgreich. Wer sich ein Pferd leisten kann, ist nicht wirklich arm. Viele Pferdebesitzer sind jedoch sparsam, manche würde ich auch geizig nennen, „tiefe Taschen, kurze Arme“. So sind sie froh, wenn ich die Pferde gegen eine geringe Gebühr behandele.

Erfurt

Als ich im Juni 1937 am Schlachthof in Erfurt tätig bin, begegne ich dem Pferdehändler und Pferdefleischverwerter Erwin Rossmann aus Nohra. Sein Name ist Programm. Er ist fast 1,90 Meter groß, hat breite Schultern, einen kräftigen Kopf, ein Gebiss wie ein Pferd, kräftige Hände wie ein Holzfäller aber auch das Gemüt eines Ackergauls. Erwin ist 50 Jahre alt und wohnt nicht direkt in Nohra, sondern kurz davor in Mönchenholzhausen an der alten Ziegelei. Erwin bringt Pferde zum Schlachter, verarbeitet das Fleisch vorrangig zu Würsten und verkauft diese an Endverbraucher. Erwin gilt als Unikum. Ohne Ansehen der Person, Alter oder Dienstgrad duzt er jeden. So auch mich.

„Hör mal, du Pferdeschinder, hast du Lust auf eine kleine Nebenbeschäftigung am Wochenende? Ich habe zurzeit circa 25 Pferde aller Altersklassen, die in den nächsten Wochen auf einer Auktion verkauft werden sollen. Die brauchen noch einen Gesundheitsnachweis. Als Tierarzt kannst du doch sicher dafür sorgen. Soll dir kein Schaden sein, ich bezahle dich in bar.“ Es klingelt in meinen Ohren und weckt eine gewisse Neugierde. Rossmann & Reuss, R&R, klingt doch nach einer guten Kooperation, oder? Mein Angebot kannst du gar nicht ablehnen. Komm Freitagnachmittag auf meinen Hof, dann besprechen wir alles“, sagt er, dreht sich um und geht davon, ohne meine Antwort abzuwarten.

Als ich auf seinen Hof fahre, kommt ein etwa 4 Jahre junger Schäferhund auf mich zugelaufen und knurrt bedrohlich, als ich aussteige. Erwin kommt aus dem Haus und ruft: „Astor, pfui, bei Fuß!“ Der Hund gehorcht, läuft zum Herrchen, macht Platz und gestattet, dass ich mich nähere. Ich bewege langsam meinen Handrücken auf den Hund zu und lasse ihn Witterung aufnehmen. Nun vertraut er mir und ich kann Erwin begrüßen, ohne Sorge, dass der Hund das als Angriff auf seinen Herrn werten könnte.

Erwin hat einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb mit circa 60 Hektar Wiese, auf denen die Pferde in mehreren Abteilungen weiden sowie rund 25 Hektar Ackerland. Die Stallungen und das Wohnhaus machen einen sehr gepflegten Eindruck.

Da kommt die Hausfrau an die Tür und sagt: „Ist kühl hier, kommt in die Küche, Kaffee ist fertig.“ Sie reicht mir die Hand: „Ich bin Hannelore,“ ganz unkompliziert, wie Erwin.“ In der Küche sitzt ihr Sohn Werner. Er ist 20 Jahre alt, nicht so groß wie sein Vater und hat offensichtlich einiges von der Schönheit der Mutter abbekommen. Werner hat eine jugendliche sportlich-athletische Figur und sehr kurz geschnittene Haare. Höflich, fast militärisch anmutend, steht er auf und begrüßt mich. Später erzählt er mir, er sei Leistungssportler und wolle sich demnächst als Fallschirmspringer zur Luftwaffe melden.

Auf dem Küchentisch steht eine Flasche Nordhäuser Korn. Die Brennerei besteht seit Anfang 1500 und ist sehr berühmt für seine Qualität. Schon Napoleon soll sich mit Nordhäuser Korn Mut angetrunken haben und auch Bismarck galt als beständiger Liebhaber Nordhäuser Korns. Bismarck hatte das Gesöff während seines Studiums in Göttingen kennengelernt und es als Medizin nach oder vor fettem und auch weniger fettem Essen getrunken. Oder einfach, weil es ihm schmeckte. Bei Erwin ist Nordhäuser Standard, er steht immer auf dem Küchentisch. Kaffee kann man nur in Verbindung mit Nordhäuser trinken, sagt er. Davor, danach, oder gleich mit in die Tasse gekippt. Als ich mich einmal während meiner Arbeit vernehmlich über den morgendlichen Konsum von Schnaps wundere, fragt er mich, ob ich denn das typische Frühstück in Thüringen nicht kennen würde? „Man nehme eine originale Thüringer Wurst, eine Flasche Nordhäuser und einen Hund.“ „Wie jetzt, einen Hund? Wozu das denn?“, frage ich verständnislos. „Naja“, sagt Erwin, „einer muss doch die Wurst fressen.“ Ich pruste laut los und verteile dabei den Schluck Kaffee aus meinem Mund über den ganzen Tisch. Eine schöne Schweinerei ist das. Aber Hannelore tröstet mich: „Das kommt hier häufiger vor“.

An den kommenden drei Wochenenden gibt es eine Menge zu tun für mich. Bei sechs Pferden finde ich eine ganze Bandbreite an Pferdekrankheiten, von Fieber über Mauke bis zu Strahlfäule. Alle anderen neunzehn Pferde machen einen guten und verkaufsfähigen Eindruck.

Die Familie Rossmann behandelt mich wie ein Familienmitglied. Schäferhund Astor hat Freundschaft mit mir geschlossen. Er begleitet mich stets bei meinen Arbeiten auf der Koppel, auf dem Hof und im Stall. Erwin ist beinahe eifersüchtig, weil Astor immer bei mir ist und mir besser gehorcht als ihm.

Als ich zum Abschluss aufrechne, was ich an Arbeitszeit, die Medikamente hat er selbst bezahlt, geleistet habe, bekommt er große Augen und brummt: „Das kann nicht sein, die meiste Zeit hast du bei Hannelore in der Küche gesessen und dich füttern lassen. Mann Gottes, du alter Straßenräuber, wer soll das bezahlen? Da muss ich ja mein Auto in Zahlung geben und noch einige Scheine oben drauflegen.“ Erwin verdient zu dieser Zeit fast unanständig viel Geld mit seinem Pferdehandel. Das Wort Auto reizt mich sehr. Mein alter DKW F1 schwächelt schon etwas und mein Denken geht schon seit einiger Zeit in Richtung Erneuerung. Erwin hat einen DKW F5 Cabrio-Limousine, Baujahr 1936. Das ist genau das Auto, von dem ich schon lange träume. Neu ist er mir zu teuer, aber gebraucht könnte er erschwinglich sein. Mein Einkommen ist dank Schwarzarbeit sehr gut, ich könnte mir ein neueres Auto leisten. Es muss allerdings ein Cabrio sein. Ein DKW F5 Cabrio-Limousine zum Beispiel wäre die Erfüllung meiner Träume. Das Auto hat Frontantrieb, was nützlich auf Waldwegen und im Winter ist, hinten hochgelegte Querblattfedern als Schwebeachse, 0,6 Liter Hubraum und starke 18 PS Leistung. Das Cabrio ist verdammt schick und die Augen der Frauen würden mich verfolgen, denke ich. Die Vorstellung schmeichelt meiner Eitelkeit und Seele.

Erwin gesteht mir, dass er von einem Mercedes Benz, Typ 230, 6-Zylinder, 2,2 Liter Motor und 55 PS und mit einem 4-Gang-Getriebe, träumt. „Ist doch ganz schön teuer“, sage ich. „Ja, soll ich denn das viele Geld mit der Mistgabel in der Scheune täglich umdrehen, damit es nicht gammelt? Man lebt nur einmal“, brummt er.

So erfüllen sich zwei Männer ihren Traum. Hannelore hat Verständnis für uns. Sie fragt mich: „Kennst du den Unterschied zwischen einem Knaben und einem Mann“? Ich schüttele den Kopf und schaue sie fragend an. Sie antwortet: „Der einzige Unterschied ist, dass die Spielzeuge teurer werden.“ Wir lachen herzlich und trinken, na was wohl, Nordhäuser Korn.

Erwin und ich besichtigen den Wagen, fahren zusammen einige Kilometer und verhandeln wie Pferdehändler. Nach vier Bieren und sechs Gläsern Nordhäuser einigen wir uns per Handschlag. Das ist bei Viehhändlern so üblich und wertvoller als jeder schriftliche Vertrag. Mit schriftlichen Versprechungen bin ich schon einmal betrogen worden, niemals aber wurden Wort und Handschlag eines Viehhändlers gebrochen.


Eine Woche später hole ich das Auto meiner Träume ab. Die Übergabe gestaltet sich wie eine langwierige feierliche Übergabe- und Abschiedsaktion. Ich erinnere mich nicht, wie viel ich getrunken habe oder wie ich nach Hause gekommen bin und ins Bett gefunden habe. Ich wundere mich nur, dass die Straße, auf der ich schon hergekommen bin und auf der ich wieder zurückfahre, plötzlich viele mir bisher unbekannte Kurven hat. Sie ist unangenehm schmal und die Kurven sind plötzlich elendig eng. Gott sei Dank ist außer mir niemand sonst unterwegs. Ich muss ja nur bis in den Vorort von Erfurt. Bis zur Hirsch-Apotheke.

Ich wohne bei der Apothekerin, Katharina, zur Untermiete im Gästezimmer. Das Zimmer ist geräumig, geschmackvoll eingerichtet und hat ein eigenes Bad. Wenn ich mir Frühstück machen, eine Kleinigkeit kochen oder Kaffee zubereiten will, darf ich ihre Küche benutzen.

Katharina ist 35 Jahre alt und immer elegant gekleidet. Auf Empfehlung eines Freundes, der mich auch angemeldet hat, komme ich an einem Wochenende zu ihr. Sie öffnet die Tür und ihr Anblick wirft mich um. Sie trägt einen karierten Rock mit großen Karos in schwarz-weiß, einen kuschelig aussehenden Pullover und einen Schal, der aus dem gleichen Material zu sein scheint, wie der Rock. Alles sah sehr gestylt aus. Die dunklen, fast schwarzen Haare sind leicht gelockt. Ihr feines Gesicht spiegelt ihre Bildung und viel Herzlichkeit. Ihre dunklen Augen strahlen mich an, als hätte sie schon immer auf mich gewartet und als wären wir schon seit langer Zeit befreundet. Die große Wohnung über der Apotheke, ich schätze sie circa auf 200 Quadratmeter, ist mit antiken Möbeln bestückt und strahlt viel Wärme und Geborgenheit aus. Ich fühle mich gleich wohl.

Ihr siebenjähriger Sohn Maximilian kommt aus seinem Zimmer, schaut mich mürrisch an und geht grußlos in die Küche.

Katharina hatte vor acht Monaten ihren Mann verloren und Maximilian seinen Vater. Beide arbeiteten in der eigenen Apotheke, die Katharina von ihren Eltern übernommen hat. Eines Morgens, so erzählt sie, wollte ihr Mann Heinrich nicht aufstehen. Nun ja, dann bleibt er halt noch etwas liegen, dachte sie. „Morgens ist ohnehin nicht viel los in der Apotheke und die Helferinnen schaffen das auch ohne ihn. Ich muss nur in der Nähe sein, falls Fragen auftauchen. Als ich mittags hochkomme, liegt er noch immer im Bett. Ich rufe: ‚Heinrich, du Penner, steh endlich auf du Faulpelz!‘ Als er nicht reagiert, gehe ich zu ihm. Er war tot. Er hatte am Vormittag einen Herzanfall gehabt. Und starb, allein, ohne, dass ich bei ihm war.“

 

Während sie erzählt und sich selbst Vorwürfe macht, kommen Katharina die Tränen. Sie legt ihren Kopf an meine Schulter. Ich ermuntere sie, die Tränen laufen zu lassen. Diese spontan entstandene Vertrautheit bringt uns einander näher.

Maximilian allerdings ist anstrengend. Sobald ich mich mit seiner Mutter unterhalte, drängt er sich dazwischen und seine Eifersucht bricht sich Bahn. Der Schmerz, den Vater verloren zu haben, sitzt tief. Außerdem ist er jetzt der Mann im Haus und damit der Beschützer seiner Mutter. Bin ich jedoch allein mit Maxi, ist er ein prima Junge, sehr interessiert am politischen Geschehen in Deutschland. Er geht zum Gymnasium und hat in allen Fächern gute Noten.

Ungestört und innig können Katharina und ich nur abends miteinander sprechen. Ab und zu besucht Katharina mich in meinem Zimmer, wir kuscheln und schmusen miteinander. Ich bedränge sie nicht, sie rutscht einfach zu mir unter die Decke. Ich liege zum Schlafen meist auf der linken Seite und fühle ihren Busen an meinem Rücken. Sie umschlingt mich und wälzt mich auf den Rücken. Zärtlich umkreisen ihre Finger meine Brustwarzen, bis meine Nippel sich vergrößern. Meine Erregung steigert sich, bis sie mir eine „Zipfelmütze“ überzieht und sich lustvoll auf mich setzt. Ich fasse ihren Busen und knete ihre Brustwarzen, bis wir uns orgastisch entspannen. So verführt sie mich häufiger und ich lasse es mir mit Vergnügen gefallen. Es schmeichelt mir, von dieser großartigen, reifen Frau verführt zu werden. Ihr Schlafzimmer ist für mich tabu. Die Vorstellung, uns in dem Bett des Verstorbenen zu lieben, ist für uns beide gleichermaßen abstoßend.

Wir bemühen uns, unser Verhältnis vor Maximilian zu verbergen. Er hätte das Verhalten seiner Mutter, so kurz nach dem Tod des Vaters, sicher nicht verstanden.

Nach acht Wochen nehme ich Abschied von Katharina und Maximilian, von Erwin und seiner Familie samt Astor sowie von der schönen Stadt Erfurt. Sicherlich könnte ich hier gut leben. Schöne Stadt, schönes Land, nette Leute. Was braucht man mehr? Doch ich ziehe weiter.

Auf Wanderschaft

Als Junggeselle fühle ich mich wie ein Freibeuter der Liebe. Ich habe diverse Affären, sowohl mit älteren als auch mit jüngeren Frauen. Die Auswahl ist groß. Mein Vater sagte mir bevor ich zur militärischen Grundausbildung einberufen wurde: „Weißt du, Lutz, beim Militär gibt es immer Männer, die ins Bordell gehen wollen. Das ist kein gutes Milieu für dich. Das musst du nicht machen. Es gibt viele anständige und hübsche Frauen, die es genauso juckt wie dich.“ Diese Erkenntnis hatte ich vor seiner Erklärung jedoch schon selbst gewonnen.

Im Ersten Weltkrieg sind über zwei Millionen deutsche Männer gefallen. Demzufolge gibt es für einen wie mich angenehmen Frauenüberschuss. Ich muss nur aufpassen, dass keine Frau zur Klette wird, denn der Gedanke an eine Bindung liegt mir fern. Ich lebe meine Männlichkeit und meine Sexualität. Dank der Erfindung der Verhütungsmittel bin ich vor ungewollten Schwangerschaften und Geschlechtskrankheiten geschützt. Allerdings reicht der Schutz nicht vor sogenannten „Sackratten“, den Filzläusen, oder wie der Seemann sagt: „Matrosen am Mast“. Das ist sehr lästig. Diese 1 bis 2 Millimeter kleinen Krabbeltiere leben gerne an warmen Stellen, wie zwischen den Beinen oder unter den Armen. Sie leben vom Blut des Menschen, der Biss erzeugt Rötungen und juckt höllisch. Mit einer speziellen Lotion, die Pyrethrum oder Lindan enthalten muss, bekomme ich sie weg. Die Kleidung und das Bettzeug müssen komplett gewaschen werden oder mehrere Tage in der frischen Luft hängen. Ohne Körpertemperatur sterben die Viecher innerhalb von 24 Stunden.

Gewitter

Blitze erleuchten meine Gefängniszelle. Das Gewitter steht direkt über uns, Blitz und Donner erscheinen fast gleichzeitig. Die Druckwellen des Donners spüre ich selbst in der Zelle. Es herrscht eine Stimmung wie im Vorhof der Hölle. Über dreißig Minuten lang zieht das Gewitter hin und her. Sobald ich glaube, es sei vorbei und ich könnte endlich schlafen, kracht erneut ein Donnerhall durch den Raum. Eingesperrt in einer Gefängniszelle, ohne Chance, bei einem Brand heraus zu kommen, beschleicht mich ein beklemmendes Gefühl der Angst. Was, wenn der Blitz hier einschlägt und die Bude brennt? Ich versuche mich zu beruhigen und konzentriere meine Gedanken. Das, was gerade geschieht, kleide ich in Worte und bringe es in Versform.

Blitze zucken, ferner Donnerhall,

Regen prasselt nieder.

Ein greller Blitz, ein ries’ger Knall,

Schreck fährt mir durch die Glieder.

Wen hat’s getroffen?

Ist das Gebäude noch intakt?

Ist ein guter Ausgang zu erhoffen,

wenn dies Wetter mal ein Ende hat?

Die Vögel hörten auf zu singen,

jetzt trällern vor sich hin sie wieder.

Mit der Müdigkeit am Ringen,

streck’ ich meine schlaffen Glieder

An Schlaf ist nicht zu denken. Meine Gedanken wandern zurück in den Sommer 1938, zu einem speziellen Gewittererlebnis auf dem Ratzeburger See.

Im Sommer, von Juni bis Oktober, bin ich in Ratzeburg am schönen Ratzeburger See. Der See ist schmal und lang, zum Rudern und Segeln gut geeignet. Ich nehme Kontakt zum örtlichen Segelclub auf und leihe mir gelegentlich ein Gig-Einer-Ruderboot. Während meiner Schulzeit in Dessau war ich Mitglied eines Ruderclubs und habe deshalb etwas Erfahrung mit diesen sehr schmalen und schnellen Ruderbooten. Sie sind teuflisch flink und man muss höllisch aufpassen, dass man keinen „Krebs fängt“. Denn tauchen die Ruder im falschen Moment ein, wird man aus dem Sitz gerissen und in hohem Bogen ins Wasser katapultiert. Was bei angenehmen Wassertemperaturen zwar ganz erfrischend sein kann, ist dennoch nicht immer erfreulich.

Am 11. Juni, es ist ein Samstag, ist das Wetter schwül, warm und leicht gewittrig. Die Temperatur liegt bei 25 Grad, gefühlt sind es deutlich mehr. Es zieht mich aufs Wasser. Auf dem See herrscht ein angenehmeres Klima. Ich rudere in Richtung Buchholz und bemerke im Osten aufziehende Gewitterwolken. Nun ja, denke ich, meistens kommt das Wetter ja vom Westen her, es wird also wohl ostwärts weiterziehen. Ich rudere in Ufernähe, damit ich gegebenenfalls schnell aus dem Wasser kann. In der Nähe von Pogeez werde ich dann von heftigen Gewitterwinden überrascht. Das Wasser im See entwickelt unerwartet starke Wellen und ich kippe mit dem Boot um. Im selben Moment ist das Gewitter über mir und die Blitze zucken am östlichen Ufer. Was soll ich tun? Bei Gewitter im Boot zu sitzen ist gefährlich, aber im Wasser zu liegen, ist noch gefährlicher. Mein Versuch, auf das Boot zu klettern, misslingt. Ich beschließe, das Boot bis zum Ufer zu ziehen. Es ist eigentlich nicht weit, aber hunderte Meter in Panik und mit einem Boot im Schlepptau können verdammt lang werden. Der Wellengang schaukelt das Boot unregelmäßig hin und her. Plötzlich spüre ich einen heftigen Schmerz im Rücken. Der Bug hatte mich hart erwischt. Ich kämpfe mich mühsam bis zum flachen Uferwasser vor und ziehe das Boot an Land. Klatschnass und bibbernd hocke ich mich am Ufer unter einen Busch. Das Gewitter zieht glücklicherweise schnell weiter, es hat die Lufttemperatur aber auf gefühlte 10 Grad gesenkt. Ich friere wie ein Schneider, der typische Schneider galt früher als armer, schmächtiger und schwächlicher Stubenhocker, der fror. Ich muss an meine Mutter denken, die jetzt wieder zetern und schimpfen würde, über meine Leichtsinnigkeit und überhaupt, wie kann man so dumm sein, bei Gewitter aufs Wasser zu gehen. Ich war mitten in Gedanken, als plötzlich jemand auf mich zugelaufen kommt und ruft: „Ist Ihnen etwas passiert? Kann ich Ihnen helfen? Ich habe gesehen, wie Sie gekentert sind.“ Es ist ein älterer Herr mit einer warmherzigen und vertrauenswürdigen Ausstrahlung, schätzungsweise im Alter meines Vaters. „Alles in Ordnung, danke der Nachfrage. Hilfe brauche ich nicht.“, antworte ich. „Hm, das sehe ich aber anders. Sie bluten heftig am Rücken.“ Jetzt erst bemerke auch ich die Verletzung. „Kommen Sie, ich wohne hier gleich im nächsten Haus. Meine Frau wird Ihre Wunde versorgen und Sie können sich erst mal in eine Decke wickeln. So durchnässt wie Sie sind, bekommen Sie ja eine Erkältung. Mein Name ist übrigens Fritz Heubach,“ sagt er und streckt mir seine Hand entgegen.