Leben ist kälter als der Tod

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Leben ist kälter als der Tod
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Im Geheimauftrag von Callum Conan (3)

Zum Inhalt:

Colin Fox erhält den Auftrag, in Barcelona einen Mann zu töten. Eigentlich verläuft die Mission nach Plan. Aber nur eigentlich. Denn die Folgen des Mordes lassen ihn erkennen, was aus ihm geworden ist, und an seine Vergangenheit denken. Ohne wirklich zu wissen, was in den letzten Monaten passiert ist, wird ihm klar, dass er zurück in sein ‚altes‘ Leben will. Durch einen weiteren Auftrag erhält er einen Hinweis auf den Mann, den er für alle vergangenen Katastrophen verantwortlich macht: William St.John-Smith. Obwohl ihm eine direkte Spur fehlt, nimmt er die Verfolgung seines Todfeindes auf, die ihn nicht nur nach Mexico-City führt. Währenddessen will der neue Leiter des ESS seinen verloren geglaubten Top-Agenten zurück – tot oder lebendig…

Zum Autor:

Callum Conan ist zwanzig Jahre alt und studiert Medienmanagement an der Universität zu Köln. Leben ist kälter als der Tod ist bereits sein drittes Werk mit Colin Fox als Protagonisten und ein viertes Buch der Reihe ist derzeit in Planung. Wie genau das aussehen wird ist aber offen, denn die Reihe war von Anfang an Figuren-unabhängig konzipiert.

Geprägt von großen Autoren wie allen voran Ian Fleming, aber auch Robert Ludlum, Tom Clancy, Colin Forbes und deren Romanverfilmungen sind Conans Thriller mit bewährten Zutaten ausgestattet, aber durch die Einflüsse einer neuen Generation gezeichnet. (Stand: 10/2015)

Callum M. Conan
Leben ist kälter als der Tod

Ein Agententhriller aus der

Im Geheimauftrag von Callum Conan-Reihe

Englischer Titel: Broken Mirror

ePubli-Verlag

Alle Charaktere sind frei erfunden und beziehen sich auf keine lebenden Personen. Jegliche Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufällig und in keinster Weise beabsichtigt.
Insbesondere die dargestellten Unternehmen und Institutionen bilden keinerlei Bezug zu real existierenden Firmen oder Einrichtungen.

Impressum:

2. Auflage

Copyright © 2016 Callum M. Conan

Überarbeitung durch Bernd und Mathis Lepski

1. Lektorat: Susanne Schmidt-Lepski

2. Lektorat: Ilona Schmidt

Umschlaggestaltung by: ML

Verlag: ePubli GmbH, Berlin, www.epubli.de

Arnsberg, 11.10.2015

Mit Überarbeitungen zum 17.10.2015 und zum 27.05.2016

Für meine Eltern, Susanne und Bernd – die besten der Welt!

Man sagt ja immer, man könne sich seine Eltern nicht aussuchen, aber dürfte ich mein Leben mit der bereits gesammelten Erfahrung noch einmal neu beginnen, so würde ich genau meine beiden wieder wählen!

Eines Tages wird alles gut sein, das ist unsere Hoffnung. Heute ist alles in Ordnung, das ist unsere Illusion. [...]

(frei zitiert nach Voltaire)

Prolog

Wenigstens wimmelt es hier nicht von Touristen. Das war sein einzig positiver Gedanke, als er auf der Spitze des Montjuїc angekommen war. Er begab sich zu der einige Schritte entfernten Holzbank und setzte sich darauf. Missmutig blickte er sich um. Im Sommer war hier normalerweise mächtig Betrieb. Dass dem heute nicht so war, hatte Vor- und Nachteile. Sein Kontaktmann hatte offenbar nur die Vorteile gesehen.

Die Sonne strahlte vom Himmel und erwärmte die Luft, die durch die milden Temperaturen der letzen Tage ohnehin sehr angenehm war. Einige Vögel zwitscherten umher, als wäre bereits der Frühling ausgebrochen und ein Kaninchen hoppelte über die kurzgemähte Wiese. Es war Sonntag, der 24. Dezember. Ein Heiligabend wie jeder andere, bis auf das Wetter vielleicht. Wäre da nicht dieser Auftrag...

Colin Fox zog das Trikot des FC Barcelona mit dem Messi-Aufdruck aus der großen Sporttasche, die er seit der Ankunft am Sants-Estació bei sich trug. Er war sich reichlich blöd vorgekommen, mit dem Ding vom Plaça de Catalunya über die Flaniermeile La Rambla zu laufen. Wer würde schon an einem Heiligabend zum Sport gehen? Noch dazu, wenn es ein geschäftsfreier Sonntag war, an dem nicht einmal die spanische Fußballliga Spiele austrug. Am Ende war Spanien nun einmal doch ein katholisches Land, das wenigstens an Weihnachten die kommerziellen Wünsche der TV-Sendeanstalten zurückstellte. Fox zog eine Grimasse. Aber im Grunde konnte es ihm ja auch egal sein, wie die Menschen in der Innenstadt der katalonischen Hauptstadt auf ihn reagierten. Er hatte schließlich einen Job zu erledigen, nur deshalb war er hier. Kein Gedanke an etwas Anderes!

So nahm er auch die lächerliche Erkennungsprozedur einfach hin. Ein Messi-Trikot war vermutlich nirgendwo auf der Welt als besonderes Merkmal geeignet. Aber so waren die Spanier eben. Fox schoss der flüchtige Gedanke durch den Kopf, warum er eigentlich so lange kein Spiel seiner Dortmunder Borussia gesehen hatte. Der Gedanke löste ein seltsames Gefühl in ihm aus. Fast so etwas wie Heimweh... Verärgert unterdrückte er die Regung.

Denk an den Auftrag!

Genau das war jetzt wichtig. Nichts Anderes. Wenn nur endlich dieser verdammte Kontaktmann auftauchen würde. Bis Mitternacht sollte alles erledigt sein und bis zu der Villa am Fuß des Tibidabo war es ja auch noch ein ganzes Stück. Eigentlich hatte er sich vorab noch einen Eindruck vor Ort verschaffen wollen, aber wie es aussah, musste er wohl auf die Aufnahmen und die Erinnerungen an die virtuelle Observation im ESS-Headquarters zurückgreifen. Sein Blick ruhte auf der Sagrada Familia, der großen Basilika im Zentrum Barcelonas, als sein iPhone vibrierte. Er nahm es hervor und registrierte die Nachricht. Es würde glücklicherweise nicht mehr lange dauern. Er sah wieder auf, dann erhob er sich und ließ seinen Blick über das Panorama der Stadt schweifen. Der Torre Agbar fiel ihm durch die ovale Form und den gläsernen Baustil sofort ins Auge. So wirklich passte er nicht zum Stadtbild. Wenn, dann hätte man ihn an den Hafen setzen sollen. Im Kreis der Luxusliner wäre er gar nicht aufgefallen. Ein müdes Lächeln huschte über Fox‘ Lippen, während er die Ausfahrt eines Schiffes aus dem großen Fährhafen beobachtete. Das Ziel seines Auftrages war ebenfalls über das Wasser nach Barcelona gekommen. Man hatte seine Ankunft für den heutigen Vormittag prognostiziert und recht behalten. Der Auftrag musste schnell und präzise ausgeführt werden, weil man befürchtete, dass sich das Zielobjekt nicht lange in der spanischen Hafenstadt aufhielt. Fox hatte keinerlei Informationen über die Art seines Zielobjekts. Er wusste lediglich, dass es sich um einen Menschen handelte und eben, dass es nicht viel Zeit gab, den Auftrag zu erledigen. Umso wichtiger, dass sein spanischer Kontakt endlich auftauchte.

Der Wind frischte etwas auf. Es würde doch jetzt keinen Wetterumschwung geben? Das hatte ihm auch noch gefehlt. Er wusste zwar nicht, was genau er für seinen Auftrag gleich bekommen würde, aber je schlechter das Wetter, desto schwieriger würde definitiv auch das erfolgreiche Ausführen der Aufgabe sein. Fox klappte den Kragen seiner schwarzen Jacke hoch. Sie war speziell für solche Aufträge entwickelt worden – irgendwas zwischen Jackett und Windjacke, aber vor allem mit der Möglichkeit zwischen einem elegant gekleideten und einem unsichtbaren Mann zu wechseln. Ein großer Fortschritt im Vergleich zu den militärischen Tarnjacken – die hätte er in vornehmen Etablissements sicherlich nicht tragen können.

Aus Richtung der Seilbahnstation kamen einige Menschen in seine Richtung.

Nun also doch mehr los!

Fox breitete das Messi-Trikot neben sich auf der Bank aus, so dass die Nummer zehn und der Namensschriftzug deutlich zu erkennen waren. Laut Vereinbarung hätte er das Jersey anziehen sollen, aber über die Spezialjacke bekam er es definitiv nicht. Er untersuchte nochmals die Sporttasche, um sich zu vergewissern, dass alle wichtigen Gegenstände herausgenommen worden waren. Das war offenbar der Fall. Dann betastete er die großen Innentaschen seiner Jacke und stellte befriedigt fest, dass er die Umrisse dieser wichtigen Gegenstände fühlen konnte. Mit einem Tritt beförderte er die Tasche vor die Bank. Die Menschen aus der Seilbahn kamen immer näher. Der Wind hatte sich schon wieder gelegt.

Ein Paar mit einem kleinen Mischlingshund und eine größere Familie, die lautstark plauderte, gingen an ihm vorüber, ohne auch nur von ihm Notiz zu nehmen. Schnell wurde es wieder ruhig. Fox lehnte sich zurück und nahm ein Kaugummi aus der Verpackung. Langsam begann er, darauf zu kauen. Aus dem Augenwinkel erkannte er einen Schatten, der seine Bank fast erreicht hatte. Als er sich wie zufällig in die Richtung des Schattens drehte, erkannte Fox, dass es sich um einen Mann mittleren Alters handelte. Vermutlich ein Katalane. Schwarze, lockige Haare, kurzer Bart, ein Tattoo, das seinen Nacken zierte. Automatisch speicherte Fox auch noch alle weiteren Informationen, die er auf den ersten Blick erkennen konnte und die für eine exakte Beschreibung wichtig waren oder bei einer körperlichen Auseinandersetzung hilfreich sein konnten.

Der Mann schob das Trikot zur Seite und setzte sich wortlos neben ihn auf die Bank. Eine schwarze Sporttasche, die er bei sich trug und die der von Fox erstaunlich genau ähnelte, stellte er zwischen sie auf den Boden. Eine Weile saßen sie beide so da. Der Katalane kratzte sich ein paar Mal am Hals und zündete sich nach einigen Minuten eine Zigarette an. Nichts passierte. Die Vögel sangen weiterhin ihr Lied, zu dem Kaninchen hatte sich mittlerweile ein zweites gesellt und ein lautes Tuten kündigte die Ankunft eines weiteren Kreuzfahrtschiffes an. Fox nahm sein iPhone hervor und rief eine Nachrichten-App auf. An Heiligabend stellten sich augenscheinlich selbst die Agenturen auf Ruhe und Besinnlichkeit ein – laut der News-Übersicht war am Tage noch rein gar nichts passiert.

 

Als die nächste Seilbahn die Bergstation erreicht und einige wenige Fahrgäste ausgespuckt hatte, warf der Spanier seine Zigarette weg. Lustlos griff er zu seiner Sporttasche hinunter und hob sie vom Boden auf. Er trat den noch qualmenden Stummel aus und trottete langsam zurück in die Richtung, aus der er gekommen war.

Fox sah sich langsam um. Nachdem er sich vergewissert hatte, dass niemand ihn beobachtete, nahm er die Sporttasche und stopfte das Trikot hinein. Während er den Reißverschluss zusammenzog, warf er einen kurzen Blick ins Innere: Ein Scharfschützengewehr also. So wusste er zumindest, wie er den Auftrag angehen konnte. Die Übergabe hatte reibungslos geklappt. Blieb zu hoffen, dass sich das am Abend genauso darstellte. Fox stand auf, nahm die Tasche und schlenderte in Richtung Seilbahnstation. In der Nähe des Casa Milà, eines der berühmten Gebäude des Modernisme-Architekten Antoni Gaudí, befand sich ein gutes Restaurant, in dem er auch mit der Sporttasche nicht besonders auffallen würde. So konnte er die Zeit, bis er in Richtung Norden fahren würde, gut rumkriegen.

Es war bereits dunkel, als das Taxi ihn am Fuße des Tibidabo absetzte. Er zahlte ein angemessenes Trinkgeld, weniger als gewöhnlich, um nicht besonders aufzufallen, und schritt die Straße entlang, bis er die Rückseite eines kleineren Anwesens erreicht hatte, dessen Garten auf einer Seite durch ein kleines Wäldchen begrenzt wurde. Schnell blickte er sich um und schlug sich dann in die Büsche. Was ihm fehlte, war ein Nachtsichtgerät. Lediglich das Visier des Scharfschützengewehrs hatte eine solche Funktion. Beim Beobachten war er also auf seine eigenen Augen angewiesen, wenn er nicht extra die sperrige Waffe herausnehmen wollte.

Fox zog ein Blatt Papier aus seiner Jackentasche, das er zuvor in der Sporttasche entdeckt hatte. Es zeigte das Zielobjekt auf seiner Yacht, einige Wochen zuvor. Nach wie vor wusste er nicht, wen er da eigentlich vor sich hatte und es war ihm auch egal. Er musste sich nur die wichtigsten Merkmale einprägen, um ihn zu erkennen. Aber da es auf dem Anwesen nicht nach einer Party aussah, würde er vermutlich ohnehin nicht zwischen vielen Menschen unterscheiden müssen. Die Ruhe, die den großen Garten und das Haus umgab, deutete darauf hin, dass der Herr des Hauses allein war. Es sei denn, er hatte Personal. Oder Familie. Was ein Problem darstellen würde. Aber auch kein allzu großes.

Langsam und geduckt schlich er sich an der Grundstücksbegrenzung entlang in Richtung Wald. Dabei ließ er das Haus nicht aus den Augen. In diese Richtung gab es nicht viele Fenster, aber ein einziges konnte ja schon ausreichen, um dem Hausherrn einen Blick auf ihn zu ermöglichen. Genau das wollte er vermeiden. Fox erreichte das kleine Wäldchen und drang tiefer in die Botanik ein. Als er ein paar Baumreihen zwischen sich und das Grundstück gebracht und die Sporttasche mit dem Gewehr so auf dem zum Grundstück hin abfallenden Gelände platziert hatte, dass sie nicht umfallen konnte, drehte er sich erstmals um. Durch die Äste und Zweige hindurch spähte er zum Haus. Ein schwacher Lichtstrahl fiel aus einem oberen Fenster. Noch erkannte man nicht viel. Im schwachen Mondlicht konnte Fox lediglich die Umrisse des Anwesens und die Reflektion auf der Wasseroberfläche eines Pools erkennen. Einen wirklichen Überblick über die Lage hatte er von hier aus nicht. Seine Hoffnung hatte sich also nicht erfüllt. Aber irgendwie würde sicherlich alles klappen. Er wusste von den Fotos, dass sich der Hauptwohnbereich, wenn man es denn so nennen konnte, zu dieser Seite hin erstreckte. Eine große Glasfassade wie von einem Wintergarten schloss sich direkt an die Terrasse vor dem Pool an. Zumindest würde er so einiges im Blick haben.

Die nächste halbe Stunde nutzte Fox, um sich an die Dunkelheit zu gewöhnen und sich ein genaueres Bild von der Lage zu verschaffen. Er prägte sich die natürlichen Hintergrundgeräusche der Umgebung ein, um auf jedwede Störung aufmerksam zu werden. Viele Tiere waren zu dieser Jahreszeit nicht unterwegs. Das Bellen eines Hundes auf dem Nachbargrundstück war während der gesamten Zeit das Lauteste, was er vernahm. Einmal glaubte er, ein ankommendes Auto zu hören, aber das stellte sich letztlich als Trugschluss heraus. Die Familien waren wohl doch bereits von der Christvesper wieder nach Hause gekommen.

Dank seiner Spezialjacke und der milden Temperaturen fröstelte er nicht. Nach dieser halben Stunde fasste er einen Entschluss. Wenn alles so kam, wie geplant, wäre dies der beste Plan. Er legte sich flach auf den Waldboden und nahm das Scharfschützengewehr aus der Tasche. Fox vergewisserte sich, dass alles richtig angebracht und funktionsfähig war und überprüfte zuletzt noch die Munition. Dann stellte er die Waffe auf das Zweibein und zielte auf die Glasfläche hinter dem Pool. Ein Blick durch das Visier bestätigte ihm die richtige Einstellung der Mündung. Durch die Enge zwischen den Bäumen hatte er zu den Seiten nicht viel Spiel, aber sobald sich sein Zielobjekt am richtigen Fleck befand, würde es gehen. Er musste nur schnell reagieren.

Es dauerte noch eine ganze Weile, bis sich etwas tat. Um kurz vor halb zehn wurde in dem wintergartenähnlichen Vorbau ein Licht eingeschaltet. Fox wartete darauf, dass der Spanier in sein Blickfeld kam, aber es tat sich nichts. Zumindest schien seine These bestätigt, dass sich nicht viele Menschen im Haus aufhielten, denn sonst wäre es nicht so ruhig geblieben. Er nahm ein paar Korrekturen an der Visierlinie vor und lud die Waffe durch. Ein Vogel wurde durch das Geräusch aufgeschreckt, aber da niemand in seiner Nähe war und er das Überraschungsmoment auf seiner Seite wusste, erregte es keinerlei Aufmerksamkeit. Schnell wurde alles wieder ruhig.

Als Fox erneut durch das Zielfernrohr blickte, zog eine Bewegung im Haus seine Aufmerksamkeit auf sich. Er sah auf und erkannte eine Gestalt, die sich langsam durch den Raum bewegte und sich dann auf einem der breiten Sofas niederließ, die von hier aus gut zu erkennen waren. Es war eindeutig eine Frau. Fox fielen sofort die geschmeidigen Bewegungen auf. Das war nicht sein Zielobjekt Er warf einen weiteren Blick durch das Visier und erschrak. Er kannte die Frau. Hier an diesem Ort, in diesem Kontext hätte er sie niemals erwartet, aber es gab keinen Zweifel. Dieses Ziehen in seiner Brust, das er heute schon in ähnlicher Weise bei dem Gedanken an Borussia Dortmund registriert hatte, meldete sich zurück. Diesmal aber erheblich stärker. Er konnte es nicht genau lokalisieren, geschweige denn beschreiben. Etwas wie Heimweh, aber nicht wirklich. Er vermutete es in seiner Brustgegend, aber vielleicht war das auch ein Trugschluss. Warum nur hatte er dieses Gefühl?

Verärgert versuchte er auch dieses Mal es abzuschütteln. Aber es gelang nicht wirklich. Er musste an den Auftrag denken, nur an den Auftrag!

Der Gedanke in seinem Kopf verblasste zu seinem Entsetzen. Er konnte das Gefühl nicht ignorieren. Aber er kannte auch den wirklichen Grund dafür nicht. Eine weitere Bewegung im Haus lenkte ihn ab. Ein Mann trat auf die Frau zu, die sich erhob und ihn zärtlich umarmte. Fox erkannte ihn: Das war sein Zielobjekt. Der Spanier war nicht direkt in seiner Schusslinie, das hinderte ihn daran sofort abzudrücken. Er wollte Perfektion – und das war an diesem Abend sein Fehler. Während er darauf wartete, dass sich der Mann bewegte, fiel ihm sein beinahe unverschämt gutes Aussehen auf. Fox fragte sich, warum er in dieser Situation an so etwas dachte, aber auch dieser Gedanke bekam keine befriedigende Antwort. Die beiden Personen im Haus umarmten sich noch intensiver und begannen sich zu küssen. Fox‘ Magen krampfte sich zusammen.

Jetzt denk an deinen Auftrag, Mann!

Der Mann löste sich aus der Umarmung der Frau und wollte sie mit sich auf das Sofa ziehen. Dabei bewegte er sich so weit, dass er exakt zwischen zwei Baumstämmen auftauchte, die bislang noch ein Hindernis im Schussfeld dargestellt hatten. Fox drückte ab.

Noch während er das charakteristische Geräusch der aus dem Schaft austretenden Kugel vernahm, wusste Fox, dass er einen Fehler gemacht hatte. Es war nicht der erste an diesem Abend, aber ein folgenschwerer. Mit einem lauten Krachen zerbarst das Glas der Fensterfassade und fiel in tausend Einzelteilen klirrend zu Boden. Fox sprang auf. Schon mit bloßem Auge erkannte er, dass er sein Ziel verfehlt hatte. Der Spanier war zwar zu Boden geworfen worden, aber es hatte sich lediglich um einen Streifschuss gehandelt. Aufgeregte Rufe aus Richtung des Hauses drangen an sein Ohr, während er das Gewehr halbherzig in der Sporttasche verstaute und sich mit schnellen Schritten in diese Richtung aufmachte. Auf seinem Weg nahm er die Walther PPQ aus seinem Halfter.

Nur für Notfälle! Das hier war einer.

Fox schwang die Tasche über die Schulter und hielt sie mit dem Riemen in einer Hand. In der anderen hatte er die Pistole, die bereits durchgeladen und entsichert war. Er musste aufpassen, um nicht über die Veranda oder in den Pool zu stolpern, aber er erreichte auf schnellstem Wege den wintergartenähnlichen Vorbau. Drinnen lag der Spanier inmitten eines Scherbenhaufens auf dem Boden und stöhnte vor Schmerz auf. Die Frau hatte sich über ihn gebeugt und versuchte verzweifelt, etwas gegen das austretende Blut an seiner Schulter zu unternehmen. Sein Name, den Fox bislang nicht gekannt hatte, schien Àlex zu sein, denn sie wiederholte ihn mehrfach in ihrem Wortschwall der Verzweiflung.

Der Spanier hatte Fox offenbar bemerkt, denn er drehte seinen Kopf zur Seite und schrie etwas Unverständliches in die Nacht. Im Hintergrund lief ein Song der Beatsteaks, der so gar nicht in dieses spanische Ambiente passte, sich von dem vorherrschenden Chaos aber nicht beeindruckt zeigte. Als er direkt über dem Spanier stand und auf ihn zielte, drehte die Frau sich zu Fox um. Ihre Blicke trafen sich und ließen einen sehr langen Moment nicht voneinander ab. Er registrierte ihre Verzweiflung, die ihn zu fragen schien „Warum tust du das?“. Eine kurze Regung zeigte sich in seinem Gesicht, dann wandte er sich von Lavinia ab und schoss dem Spanier direkt in den Kopf.