Seewölfe - Piraten der Weltmeere 594

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 594
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Impressum

© 1976/2020 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-96688-008-4

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Themse-Geier

Sie sind scharf auf das Silberschiff und werfen Don Juan in den Tower

Die Stadt London hatte zwei Gesichter. Der Glanz des Hofes von Königin Elisabeth konnte nicht darüber hinwegtäuschen, daß sich auch in ihrer engsten Umgebung bemerkenswerte Schurken im feinen Gewand herumtrieben. Und daß sich längs des Themseufers der Abschaum der Insel und jeder Schnapphahn eingenistet hatte, der im Bannkreis der großen Stadt auf leichte Weise reich werden wollte, wußte Philip Hasard Killigrew sehr genau. Wenn es um viel Geld, um eine lockende Beute ging, verlor ein Menschenleben augenblicklich seine Bedeutung.

Gerüchte waren schneller als der Blitz im Gewitter. Im Kielwasser der Schebecke stampfte das spanische Silberschiff. Für diese Prise lohnten sich Überfälle und kaltblütige Morde – und in diesem Fall würden die Seewölfe die Zielscheibe der menschlichen Geier sein, die an dem Ufer der Themse lauerten …

Die Hauptpersonen des Romans:

Revson Akehurst – der Landedelmann ist gar nicht so edel, aber gut im Pläneschmieden.

Harris Shenfield – auch er gehört zum niederen englischen Adel und plant mit seinem Freund Akehurst den ganz großen Coup.

Patrick Towyn – spielt zwar nur einen reitenden Boten, verfolgt dabei aber ein ganz bestimmtes Ziel.

Don Juan de Alcazar – gerät in die Falle abgefeimter Schurken und landet im Tower.

Philip Hasard Killigrew – einer Erpressung gibt er zunächst nach, aber dann schlägt er zu.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

1.

Kapitän Philip Hasard Killigrew stand breitbeinig auf dem Achterdeck der Schebecke und genoß den eigentümlichen Geruch der Straße von Dover. Es war kein exotischer oder sonderlich begeisternder Geruch, aber für den Seewolf und seine Crew bedeutete es den lang erwarteten Duft der Heimat.

„Sind das nun die Türme von Ramsgate, Folkestone oder Hastings? Es kann ja sein, daß sie in den letzten Jahren ein paar Kirchen oder Abwehrtürme gebaut haben, die ich nicht kenne“, fragte Stenmark und gab dem Ersten, Ben Brighton, das Spektiv zurück.

Ben zuckte mit den Schultern und erwiderte: „Woher soll ich wissen, was an Land gebaut wurde? Kann ich nicht sagen. Noch nicht. Welcher Kurs liegt an?“

Die Galeone „Fidelidad“ mit ihrer kleinen Crew segelte im Kielwasser der Schebecke. An Backbord breitete sich, im dünnen Dunst nur schwer zu erkennen, die Küstenlinie der Insel aus.

„Vorhin habe ich klar Nordost gelesen“, antwortete der Schwede.

Der Seewolf schwieg und dachte an die zurückliegenden Abenteuer und Erlebnisse, und er fragte sich, ob sie in London mehr Ruhe haben würden als bisher. Natürlich zweifelte er daran, denn die Zeiten waren alles andere als ruhig. Für ihn war es wichtig, das Silberschiff ohne Komplikationen loszuwerden, die Schebecke zu überholen und seiner Crew an Land jede nur mögliche Annehmlichkeit zu gewähren.

Am Geld sollte es nicht liegen. Die Arwenacks waren keine armen Kirchenmäuse.

Ob sie allerdings das Geld mit vollen Händen ausgaben, war ebenso fraglich wie alles andere.

Nicht mehr als ein Tag Fahrt trennte sie von London, von der London Bridge, vom Liegeplatz am Themseufer.

„Nordost?“ Der Erste überlegte. „Dann muß es wohl Folkestone sein.“

Aber er war nicht völlig sicher.

„In ein paar Stunden wissen wir’s ganz sicher“, tröstete ihn Old Donegal. „Was soll’s! Wir wollen nach London und nicht nach Ramsgate.“

„Man wird ja noch fragen dürfen, nicht wahr?“ knurrte Stenmark und enterte zur Kuhl ab.

Die Stimmung der Mannschaft schwankte so dicht vor dem Ziel zwischen Erleichterung und der Befürchtung, im letzten Augenblick noch von ihrem Ziel abgelenkt zu werden, auf welche Art auch immer das passieren mochte.

„Sind eigentlich alle unverkennbar, die Kirchtürme und die Mauern um die Städte“, meinte der Seewolf. „Fest steht jedenfalls, daß wir hinter Ramsgate hart nach Backbord segeln müssen. Dan?“

„Sir?“

„Laufen wir mit der Flut themseauf?“

„Das kommt ungefähr hin. Bis wir bei Southend-on-Sea sind, wird die Flut eingesetzt haben.“

Vor der Küste segelten kleine Fischerboote langsam nach Südwest. Hinter dem Nebel, der einige Stunden vor Mittag das Land versteckte, hoben sich Rauchsäulen schräg in die Luft. Möwen schwammen auf den Wellen und warfen den beiden Schiffen schräge Blicke zu. Die „Fidelidad“ blieb, langsam und behäbig, auf geradem Kurs. Die Schebecke segelte mit einem Schrick in den Schoten vor der Galeone, verringerte dadurch ihre Geschwindigkeit und bewachte gleichzeitig das unersetzliche Silberschiff.

„Das höre ich gern, Dan“, erwiderte der Seewolf. „Wir bleiben auf Kurs.“

Die ereignisreiche Nacht von Dieppe lag mittlerweile zurück und zählte zu der nicht gerade ärmlichen Erinnerung der Crew. Auch die Mannschaft drüben auf der „Fidelidad“ würde froh sein, wenn sie endlich ihr beschwerliches Kommando abgeben könnte. Die Handvoll Männer war überfordert, erschöpft und sicherlich hocherfreut, wenn sie London erreichten und sich an Land ausschlafen und verwöhnen lassen konnten.

„Aye, aye, Sir.“

Nicht nur der Seewolf, auch jeder Mann dachte darüber nach, was in London passieren konnte und zwangsläufig passieren mußte. Die Vorstellungen, die jetzt laut wurden, gingen natürlich weit auseinander.

Die Arwenacks wußten, daß diese Stadt, für viele von ihnen nicht zu Unrecht als Heimathafen geltend, nur eine Station bleiben würde. Früher oder später legten sie wieder ab und richteten den Bugspriet in eine andere Richtung der Windrose.

Al Conroy stemmte sich den Niedergang hoch und musterte seine Culverinen. Die Hälfte der Geschützrohre trug keine Schutzhüllen mehr. Die Crew blieb wachsam.

„Also“, sagte Dan O’Flynn zu ihm, „viel Gelegenheit, Al, wirst du heute wohl nicht erhalten. Was mich, nebenbei, sehr freut. Irgendwann muß einmal Schluß sein.“

Der Stückmeister der Arwenacks warf einen langen, nachdenklichen Blick zur Galeone zurück.

„Wer weiß? Wir sind noch nicht am Kai im Schatten des Towers“, antwortete er grimmig. „Bevor die Queen ihr Schiff nicht hat, denke ich ständig an die vielen Schurken, von denen alle Meere voll sind.“

„Du mußt Alpträume haben, wie?“ brummte Dan und suchte den Horizont mit seinem Spektiv ab.

„Das nicht gerade“, meinte Al Conroy. „Aber ich halte mein Pulver trocken und die Lunten am Glimmen.“

Hasard nickte ihm zu.

Er zeigte es nicht, aber auch er war unruhig. Natürlich kannte er den Zustand nicht, in dem sich die Themse von der Mündung bis Chelsea befand.

Hasard junior fragte ein wenig besorgt: „Eigentlich müßtest du von früh bis spät lachen, Dad. An was denkst du, wenn du ein solches Gesicht zeigst?“

„Auf keinen Fall an die anständigen Frauen und Männer in der Umgebung der Queen“, entgegnete der Seewolf und legte den Arm um die Schulter seines Jungen. „Mittlerweile ist die fremdartige Schebecke hier an den Küsten sicherlich bereits bekannt. Und daß wir eine schwerbeladene Galeone bewachen, wird man genauso wissen.“

„Das glaube ich auch.“

„Siehst du“, erklärte sein Vater. „Darum kann noch allerlei passieren. Hier, auf dem offenen Wasser, wird niemand wagen, die Galeone auch nur schief anzusehen. Außer den Möwen, meine ich.“

„Stimmt.“

„Aber du wirst erleben, daß die Strecke von der Themsemündung bis zum Tower ungefähr so lang ist wie vom Schwarzen Meer bis Dieppe. Und etwa ebenso gefährlich.“

„Ich glaube fast, du bist davon überzeugt“, meinte sein Sohn und zeigte offen seine Verwunderung.

„Ich bin überzeugt“, bestätigte der Seewolf und grinste kalt. „Überdies haben wir den Angehörigen einer Nation bei uns, die sich mit England in einer Art Kriegszustand befindet. Generalkapitän, sozusagen, Don Juan de Alcazar, um es genau zu sagen.“

„Daran“, antwortete sein Sohn nach einigen Atemzügen, „habe ich nicht gedacht. Für mich ist Don Juan einer von uns.“

„Für mich auch“, erwiderte der Seewolf. „Für jeden von uns. Aber nicht für jemanden an Land, der uns daraus einen Strick drehen will.“

„Du meinst, es gibt da jemanden?“

„Ich bin ganz sicher, daß es nicht nur einen gibt. Wenn man stets mit dem schlimmsten Ausgang einer Sache rechnet, wird man nicht überrascht.“

„Das merke ich mir“, schloß Hasard junior.

Der Wind wehte mit wenig Kraft, aber stetig aus einen Strich südlicher als West. Jedes einzelne Schiff, das der Schebecke begegnete, wurde mit größter Aufmerksamkeit aus vielen Augenpaaren beobachtet. Aber sie alle zogen friedlich ihrer Wege.

 

Die Landschaft glitt lautlos vorbei, und der Nebel wurde gegen Mittag etwas dünner, so daß die Seewölfe deutlich die Türme und Landmarken von Ramsgate an Backbord erkannten. Dahinter sprang das Ufer scharf nach Westen zurück.

Die Schebecke segelte einen Schlag auf den Kanal hinaus, um abzuwarten, bis die „Fidelidad“ heranrauschte und die kleine Crew die Segel neu trimmte.

„Kannst du den Kurs halten?“ fragte Don Juan de Alcazar und tippte auf die Abdeckung des Kompasses. „Trotz der Strömung?“

Die Galeone stampfte mit Wind von Backbord nach Nordwesten. Recht voraus konnte Southend-on-Sea angepeilt werden. Das vorspringende Massiv des Landes verfälschte die Windrichtung.

„Ich denke, ich schaffe es“, erwiderte Jan Ranse und nickte. „Wie fühlt sich ein Spanier, wenn die Hauptstadt des Feindes vor ihm liegt?“

Don Juan lachte kurz und erwiderte in plötzlichem Ernst: „Für mich, wie jedermann weiß, ist ein Engländer kein Feind mehr. Denkst du, wir handeln uns deswegen, weil ich Spanier bin, Ärger ein?“

„Das kann man nicht wissen“, murmelte der Rudergänger. „Es soll in jedem Land der Welt Leute geben, die nicht über den kleinen eigenen Schatten springen können.“

Sie schauten sich an und zuckten mit den Schultern.

Vor kurzer Zeit hatte Dan O’Flynn von der Schebecke aus herübersignalisiert. „Mit der Flut einlaufen!“ lautete das Signal.

In der riesigen Bucht zwischen Ramsgate und Clacton-on-Sea nahm der Schiffsverkehr zu. Jeder Typ von Schiff war vertreten, vom geruderten Fischerboot bis hinauf zu schweren und dickbäuchigen Handelsschiffen, die noch tiefer im Wasser lagen als die Galeone. Im schwachen Wind flatterten die Wimpel und Fahnen mit den Farben vieler Nationen, die spanische fehlte verständlicherweise.

„Vielleicht gelangen wir an eine Stelle, an der ich die Flutmarken erkennen kann“, sagte der Spanier und rechnete. „Mir scheint, daß wir gerade die Zeitspanne zwischen Ebbe und einsetzender Flut erwischt haben.“

Big Old Shane enterte aufs Achterdeck der „Fidelidad“ und schnappte die letzten Bemerkungen Don Juans auf.

„Bis wir an der Themsemündung sind, haben wir Flut“, sagte er.

„Du bist sicher?“

„Ziemlich sicher. Gegen Mittag kippt die Tide, Juan.“

„Ein Lichtblick“, sagte Don Juan.

Von Big Old Shane bis Batuti gab es niemanden an Bord der Galeone, der nicht froh gewesen wäre, wenn endlich die Festmacher um irgendeinen Poller an den Steinmolen in der Nähe des kantigen Towers gelegt werden konnten. Im Augenblick schnarchte die Freiwache unter Deck, und die Crew auf den Planken zeigte deutlich, wie erschöpft sie war.

Die Bärte wuchsen ungehindert und struppig, die Kleidung konnte nicht mehr gepflegt werden, und es war höchste Zeit, endlich einmal wieder etwas Handfestes zu essen, ein gutes englisches Bier zu trinken und ein heißes Bad zu nehmen.

Jetzt, als jeder Blick einen neuen Eindruck der bekannten Gegend der Themsemündung zeigte, steigerte sich die Stimmung. Die Aufregung wuchs, jeder sehnte das Ende herbei. Niemand sprach laut darüber, aber die Seewölfe wünschten sich nichts sehnlicher, als wieder an Bord der Schebecke zu gehen und das spanische Silberschiff zu übergeben.

Aber noch stand die schwierige Fahrt themseaufwärts bevor.

In vielen Biegungen führte das Fahrwasser an Forts vorbei, deren Kanonen seit den Tagen der „unbesiegbaren Armada“ jeden Fleck der Wasseroberfläche bestreichen konnten. Die Seewölfe waren neugierig, ob und wie sehr sich die Zone entlang der Flußufer in der langen Zeit verändert hatte, in der sie nicht mehr hiergewesen waren.

Von achtern näherte sich wieder die Schebecke. Die Männer winkten ohne rechte Begeisterung. Ein Schraler ließ die Segel killen, dann stemmte sich die Galeone wieder gegen die anlaufenden Wellen.

Don Juan beobachtete durch das Spektiv die Landmarken und sah, daß das Wasser die obersten Flutmarken noch nicht erreicht hatte. Aber noch stand der Wind einigermaßen günstig.

„Wir segeln weiter“, entschied er. „Und wenn wir die Riemen ausbringen und rudern müssen. Wie auch immer – heute soll der letzte Tag sein. Für mich ist die Fahrt noch vor Mitternacht zu Ende.“

Die Landschaft von Kent – viele Äcker, Obstbäume und Bauerngehöfte neben kleinen Burgen und Schlößchen – zog an Backbord vorbei. Essex erstreckte sich an Steuerbord, wo die Schebecke aufzuholen begann. Die Küstenlinie war unregelmäßig und führte mit ihren Hügeln und Wäldern langsam in jene Gegend am Mittellauf, wo London am rechten Ufer des Flusses lag.

Die Schiffe, die themseabwärts in See gegangen waren, hatten die auslaufende Ebbe genutzt. Jetzt verschwammen die Segel der letzten Schiffe im sonnendurchstrahlten Nebel. Einige Fischerboote kreuzten den Kurs der beiden Schiffe.

Vom Achterdeck der Schebecke rief Hasard zur Galeone hinüber: „Wir bleiben beieinander! Unser Ziel ist der Tower! Steuerbord, zwei Kabellängen vor der einzigen Brücke!“

„Verstanden, Sir“, rief Don Juan zurück. „Legen wir dort an?“

„Das muß erst noch geklärt werden. Wir können sicher sein, daß man uns von Land aus sehr genau beobachtet.“

„Damit rechne ich auch!“ rief der Spanier.

Sie winkten kurz, dann überholte die Schebecke, noch immer an Steuerbord, und setzte sich vor die „Fidelidad“. Die Flut setzte verstärkt ein und half den Schiffen, die Strömung des Flusses zu überwinden. Der Mündungstrichter verengte sich zusehends. Die Ufer rückten aufeinander zu, und jetzt konnten ohne Schwierigkeiten die Häuser, die kleinen Querkanäle, die Stege und die Schiffe beobachtet werden.

Nacheinander erschienen die Freiwächter an Deck, gähnten und rieben ihre Augen.

Endlich näherten sie sich London.

2.

Am frühen Nachmittag dieses Apriltages parierte Patrick Towyn seinen keuchenden und dampfenden Rappen hart durch, gab dem Pferd wieder kurz die Sporen und ritt im Trab über den geschwungenen Kies bis zu dem Portal des Herrenhauses. Er schwang sich aus dem Sattel und hastete die flachen Stufen hinauf.

Noch bevor er an die Tür hämmern und vielleicht eine der Schnitzereien beschädigen konnte, öffnete ein Diener.

„Vorwärts“, sagte er drängend. „Sir Revson wartet schon. Ich werde dir ein frisches Pferd besorgen.“

„Frisches Pferd? Das heißt …“, murmelte der kleine, sehnige Mann in der Lederkleidung verblüfft.

„Richtig“, erwiderte der Diener. „Du wirst etwas zu tun kriegen.“

„Ich habe genug zu tun“, sagte Patrick bissig, aber er wandte sich um und ging in den Saal, der sich anschloß.

An einem runden Tisch saßen zwei Männer vor silbernen Bechern. Den einen kannte Patrick gut: Sir Revson Akehurst, ein Steuereintreiber und Vertrauter des Hofes aus Essex. Er winkte und grinste leutselig – ein schlankgewachsener Mann von mehr als fünfunddreißig Jahren, schwarzhaarig und mit einem mächtigen schwarzen Oberlippenbart.

Er schnippte mit den Fingern, an denen einige bemerkenswert kostbare Ringe funkelten.

„Inga, mein Lieb“, sagte er, zum dämmrigen Hintergrund des Raumes gewandt. „Bringe diesem guten Mann einen Becher Wein und ein trockenes Tuch für seine schweißnasse Stirn. Sind sie endlich da, Patrick?“

„Sie sind eingelaufen. Eine spanische Galeone, von der ich den Namen nicht lesen konnte. Und ein schnelles Schiff mit vier Lateinersegeln. Es ist, ohne Zweifel, der Seewolf mit seiner Beute.“

„Dann stimmt das Gerücht. Ich habe es immer gewußt.“

Eine junge blonde Frau trat in den Bereich des Lichts, das aus zwei kleinen Fenstern und von den vielen Kerzen herrührte, die auf den Wandborden brannten. Sie trug ein Tablett mit Bechern und einem Weinkrug. Ihr Haar fiel über ihre Schultern und in einen tiefen, aufreizenden Ausschnitt. Sie schenkte dem Boten ein langes, unechtes Lächeln.

„Danke“, sagte Patrick und setzte sich, nachdem Sir Revson zu einem Sessel gezeigt hatte. „Die Schiffe führen die Flagge, so wie du sie mir aufgezeichnet hast. Daneben, viel kleiner, die Farben unseres Landes. Sie haben Kanonen an Bord, die nicht gerade ungefährlich aussehen.“

„Viele Männer an Bord?“ fragte der andere Gast. Patrick leerte den Becher und trocknete sich Gesicht und Hals ab. Er war wie ein Rasender geritten.

„Etwa zwanzig auf dem schnellen Schiff. Auf der Galeone habe ich sechs Kerle gesehen.“

Sir Akehurst nickte und zeigte auf seinen Gast. „Das ist Shenfield. Harris Shenfield. Ihm gehört die Barkasse. Wie schnell sind die Schiffe?“

Der Bote blickte zwischen beiden Männern hin und her und beantwortete die Frage Akehursts. Er hatte seit vielen Morgen gewartet, auch an diesem Tag, seit ihn Akehurst zum Themseufer geschickt hatte. Seine Augen waren scharf genug. Dies war nicht der erste Auftrag dieser Art, den er für Akehurst ausführte. Was hatte der Sir vor?

„Nicht schnell. Die Galeone liegt tief im Wasser und scheint voller Bewuchs am Unterschiff zu sein. Ich habe gesehen, außerhalb der Mündung, daß das schlanke Schiff kreuzen mußte.“

„Sehr gut“, sagte Harris Shenfield. „Das höre ich gern.“

„Also weit vor Poplar?“ fragte Akehurst.

„Möglichst noch davor. So weit wie möglich von der Brücke weg. Sie dürfen erst später Verdacht schöpfen.“

„Ich bin deiner Meinung, Shenfield.“

Patrick konnte seinen Blick nicht von Inga losreißen. Sie war drei Fingerbreit größer als er selbst und von üppiger Figur. Ihr Gesicht hatte einen Ausdruck, der ihn als bekannt scharfer Beobachter interessierte. Es war sauber gewaschen, leicht geschminkt und etwas gewöhnlich. Sie schien sich nur für sich selbst zu interessieren. Im übrigen sollte sie die Geliebte von Sir Akehurst sein. Der Stoff ihrer Kleidung, die mehr entblößte als bedeckte, war so teuer, daß nur er ihn bezahlen konnte, samt der Arbeit guter Schneiderinnen.

„Sie sind also da“, sagte Patrick und hielt Inga den Becher entgegen. Er war leer. „Sie werden in der Abenddämmerung wahrscheinlich zwischen Rotherhithe und dem Tower sein.“

„Das zwingt uns zur Eile“, sagte Shenfield mit seiner schnarrenden Stimme.

Inga, die Patricks Becher gefüllt hatte und ihm zurückgab, beugte sich weit vor und lächelte ihn wieder an. Diesmal glaubte er mehr als flüchtige Anteilnahme zu erkennen. In seinen Augen war und blieb sie ungewöhnlich begehrenswert.

„Ja, man sollte nicht zu lange zögern“, bemerkte Patrick.

Im großen, prächtig dekorierten und teuer eingerichteten Raum herrschten das Schweigen und das Einverständnis von Verschwörern. Patrick, als schwächstes Glied einer kurzen, aber starken Kette, hatte einige Gedanken, die seinen Auftraggeber erschreckt, zumindest aber stark verblüfft hätten.

„Patrick“, sagte Sir Revson im unverkennbaren Befehlston. „Du nimmst dir ein frisches Pferd. Dann reitest du zur Anlegestelle.“

„Genau das tue ich. Und dann?“

Sir Revson lächelte selbstgefällig. „Wir folgen dir in der Kutsche. Schließlich sind wir hohe Herren und die Abgesandten der Königin. Du bist ganz sicher, daß du den Spanier gesehen hast?“

Patrick nickte. „Ich bin ganz sicher. Unverkennbar. Er sieht aus wie ein Spanier, und man merkt das auch an seiner Art.“

Patrick sprach keineswegs wie ein einfacher Bote. Er war auch kein Bote oder Reiter. Was er wirklich war – nun, vielleicht würde er es Inga eines Tages sagen, wenn alles vorbei war. Hier und heute gehörte jeder Gedanke demjenigen, der ihn bezahlte und später extra belohnen würde: Sir Revson Akehurst.

„Ich soll also alle Männer vorbereiten?“ fragte er, nachdem beide Männer ihm zustimmend zugenickt hatten.

„So ist es.“

„Muß ich ebenfalls auf der Barkasse sein?“ erkundigte sich Patrick. Er kannte Sir Akehurst schon lange, und wenn er ihn noch länger kennen würde, dann hätte er wissen müssen, daß er den eigenen Kopf sozusagen freiwillig in eine prächtig geknüpfte Henkersschlinge schob.

„Du bist als Bote, der mitdenkt, sehr viel wichtiger“, bestimmte Harris Shenfield. „Ist es nicht so, alter Junge?“

Er grinste Sir Akehurst an.

Patrick brauchte nicht mehr viel nachzudenken. Er wußte vieles, aber längst nicht alles: Holländische Seefahrer und Kaufleute hatten von den seltsamen Kämpfen, Überfällen und Seegefechten berichtet, die sie teilweise selbst beobachtet, von denen sie über Fischer erfahren und die über zahllose Mittelsmänner in alle Richtungen gemeldet hatten. An einem Ende eines der vielen Fäden war die Neuigkeit von der gekaperten Galeone auch hierher geraten.

 

Wahrscheinlich stammte die Nachricht sogar von einem Spanier, der nicht wollte, daß der Silberschatz im Bauch des Schiffes an die englische Krone fiel.

„Ich meine das gleiche“, bestätigte Shenfields Gegenüber.

Inga lächelte in sich hinein.

„Der Schatz der Spanier in der Galeone muß gewaltig groß sein“, erklärte Sir Revson und stand auf.

Erst jetzt wurde sichtbar, daß er nicht nur groß, sondern auch kräftig und muskulös war. Er trug eine verblüffende Selbstsicherheit zur Schau. Sie schien angeboren zu sein.

„Nach allem, was wir wissen, lohnt sich der äußerste Einsatz“, stimmte Shenfield zu. „Deine Freundin, Sir, kümmert sich während unserer Abwesenheit um das Haus?“

„Wie immer während – solcher Unternehmungen.“

Hinter dem Rücken Patricks knarrte leise die Tür. Der Diener räusperte sich und sagte leise, aber sehr bestimmt: „Das Pferd, Sir.“

Auch Patrick stand auf.

„Ich weiß, was zu tun ist. Aber ich rechne damit, daß ihr beide kurz nach mir eintrefft und die Rolle so gut verkörpert wie alle anderen. Es wird dunkler sein als jetzt. Ich bin der Meinung“, Patricks Augen schienen eine Weile ziellos in dem großen Raum umherzuschweifen, dann heftete er sie auf Inga, „daß sich jeder von uns für ein Jahrzehnt zur Ruhe setzen oder verstecken kann, einfach verschwinden – der Silberschatz ist – zweifellos riesig.“

Harris Shenfield schien tatsächlich alles, was mit diesem Vorhaben zusammenhing, lange und gründlich bedacht zu haben. Er grinste, als wisse er buchstäblich alles.

Er nickte Sir Revson zu, schlug Patrick kurz auf die Schulter und sagte leichthin: „Wir sollten, weiß Gott, endlich aufbrechen. Lange genug ist alles geplant worden, aber um das Vorhaben zu einem guten Ende zu führen, bedarf es in der Tat unserer Anwesenheit. Ist es nicht so?“

„So ist es“, bestätigte Sir Revson.

Patrick streckte den Arm aus und reichte Inga den leergetrunkenen Becher. Sie berührte ihn kurz am Handgelenk und lächelt abermals, wie er fand, auf rätselhafte Art. Er drehte sich um, verließ das Haus, und schwang sich in den Sattel.

Als er sah, daß ihm Sir Revson seinen stärksten Schimmel überlassen hatte, pfiff er leise durch die Zähne, setzte sich zurecht und bohrte dem Tier, die Zügel freigebend, die Sporen in die Weichen. Er galoppierte aus dem Anwesen hinaus auf die schlammige Straße und in die Richtung des Anlegekais, an dem die Barkasse wartete.

Während des Rittes hatte er genügend Gelegenheit, darüber nachzudenken, wie schnell tatsächlich eine Meldung oder Nachricht sogar weite Wasserflächen überwand. Sein Mitwirken an diesem Plan von zwei geld- und machtgierigen Beamten der Krone – wobei Geldgier und Machtgier zusammenpaßten wie zwei Hände während eines Händedrucks und die vermeintliche Anständigkeit der königlichen Räte gleich groß war wie ihre Bereitschaft, ihre Königin zu betrügen und alles auf eine Karte zu setzen – war wichtig, aber nicht entscheidend.

Es war nicht mehr, aber auch nicht weniger als ein Bote, der Befehle überbrachte und seine, meist völlig richtigen Beobachtungen wortgetreu und ehrlich weitermeldete.

Jetzt ritt er weit im Sattel nach vorn gebeugt und in den Steigbügeln federnd, vom Hügel hinunter, durch das Bauernland und auf das Ufer der ehrwürdigen, ewigen Themse zu.

Er wußte nicht immer, was er tat, aber heute gab es keinen Zweifel.

Und was die anderen tun würden, wußte er auch.

Er ritt, den Hengst bis zur Erschöpfung fordernd, knapp eine halbe Stunde, bis zwischen Hügeln und langgestreckten Hecken, jenseits von hellgrün wuchernden Gewächsen auf den Feldern, mitten hindurch durch Schafherden und entlang von windschiefen Zäunen, hinter denen Kühe grasten, das Wasser der Themse zu sehen war.

Die Barkasse lag versteckt zwischen Hecken, Büschen und unter den Kronen der Bäume, die ihre Frühlingsblätter trugen. Auf den ersten Blick erkannte der reitende Bote, daß sie den Booten der Hafengarde haargenau und zum Verwechseln glich.

Patrick lenkte den Schimmel auf einen schmalen Pfad und blickte über die Themse. Er konnte nur noch ein paar Fischerboote sehen. Als er das gerade Stück flußaufwärts schaute, war er sicher, daß die Galeone und das schnellere Schiff noch nicht vorbei waren.

Er lachte zufrieden in sich hinein und rief nach einigen Schritten: „Mannschaft der Barkasse!“

Schritte polterten über Deck. In den Büschen raschelte es. Bewaffnete umringten ihn. Als das Pferd scheute, griff einer in die Zügel.

„Ich bin Patrick Towyn“, sagte er ruhig und mußte wieder grinsen, als er die Verkleidung der Männer erkannte. Sie trugen die Helme und die uniformartigen Kleidungsteile der königlichen Garde. „Mich schickt euer Herr, Sir Revson.“

„Kennwort?“ fragte der Anführer.

„Silbermünze“, erwiderte Patrick ungerührt. „Macht euch bereit. Eure falschen Offiziere erscheinen mit der Kutsche.“

Die Männer trugen oberschenkelhohe Stiefel, breite Gurte mit Säbeln, zerbeulte, aber gut geputzte Brustpanzer und Helme. In den Gurten steckten kurzläufige Pistolen.

Patrick kletterte aus dem Sattel.

„Ihr sollt auf die Galeone zuhalten. Sie müßte in der nächsten Zeit, zusammen mit einem Schiff mit Lateinersegeln an drei Masten, hier auftauchen. Ich weiß den Namen des Spaniers nicht, aber er soll ein Offizier sein. An Bord der Galeone sind nicht viele Männer. Klar?“

„Ich denke, das werden wir erledigen. Was hast du uns noch zu sagen?“

Patrick führte das Pferd am Zügel auf die breiten Planken zu, die vom Land an Bord führten. Woher Sir Revson die königlichen Flaggen hatte – Patrick wußte, daß Revson Akehursts Möglichkeiten bis in die Nähe des Thrones reichten.

Er berichtete den Anführern dieser knapp zwei Dutzend Kerle, die ihre Rolle in seinen Augen überzeugend darstellten, was er gesehen hatte und welche Gerüchte kursierten. Über die Menge des Silberschatzes war ihm nichts bekannt, aber sie mußte beträchtlich sein, wenn Akehurst und Shenfield einen so hohen Einsatz wagten.

„Das hört sich nicht nach einem Kampf an“, sagte schließlich ein vierschrötiger Mann namens Osbert, der seinen mächtigen Bart mit Fett spitz zugezwirbelt hatte. „Kein Problem für uns.“

„Die Seewölfe sind gefährlicher als alle anderen, die ihr kennt“, warnte Patrick. „Das weiß man nicht nur in Spanien und Frankreich. Aber sie werden nicht gegen Beamte der Königin kämpfen. Ihr tut besser daran, nach dem Überfall zu verschwinden.“

„Tun wir“, sagten die Anführer.

„Weit weg. Und sehr schnell“, empfahl ihnen Patrick. „Ich glaube, ich höre die Kutsche.“

„Sie kommen.“

Die falschen Gardisten gingen an Bord der Barkasse und packten die Riemen. Jetzt war das Mahlen der Räder deutlicher geworden. Als Akehurst und Shenfield nach einigen Atemzügen zwischen den Hecken auftauchten, erschrak Patrick fast, obwohl er sich auf einen ähnlichen Eindruck vorbereitet hatte. Sie hatten sich umgezogen und glichen aufs Haar den Hauptleuten der Garde.

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