Seewölfe - Piraten der Weltmeere 534

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Seewölfe - Piraten der Weltmeere 534
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Impressum

© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,

Pabel ebook, Rastatt.

eISBN: 978-3-95439-942-0

Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de

Burt Frederick

Entscheidung in der Schweinebucht

Sie wollen Mauritius alles nehmen – ausgerechnet eine Handvoll Piraten wehrt sich dagegen

Sie hörten die Geräusche in der Bucht. Schiffe und Menschen. Und Tiere.

Amado Tiron und Luceiro Monte waren vor Schreck verstummt. Sie bewegten sich lautlos im Dickicht. Dies war ihr Zuhause, nirgendwo sonst fühlten sie sich so sicher wie hier. Aber sie spürten, daß diese Sicherheit in Gefahr war. Wer sich auch immer dort in der Bucht befand, er würde ihr Leben empfindlich stören.

Die beiden Portugiesen erreichten den Rand des Dickichts. Fassungslos verharrten sie in sicherer Deckung. Vier Galeonen ankerten in der Bucht. Dreimaster. Und sie hatten bereits einen regen Pendelverkehr zum Strand eingerichtet

Die Hauptpersonen des Romans:

Joao Bonfado – Der Portugiese hat mit seinen hundert Gefährten auf der Insel Mauritius ein Paradies vorgefunden, und er ist entschlossen, es zu erhalten.

Loek Rademaker – Der holländische Kapitän geht über Leichen – bis er auf einen Gegner trifft, der sich nichts gefallen läßt.

Henk van Ronden – Der Dritte Offizier erhält einen Erkundungsauftrag, an dem er scheitert. Darum wird er standrechtlich erschossen.

Ben Brighton – Der Erste Offizier der Arwenacks hat düstere Gedanken und ist skeptisch, als die unbekannte Insel gesichtet wird.

Philip Hasard Killigrew – Der Seewolf beugt sich dem Befehl eines holländischen Kapitäns – aber aus taktischen Gründen, denn danach zieht er vom Leder.

Inhalt

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

1.

Die Portugiesen auf Mauritius verfügten über einen Kalender. Seit es sie hierher verschlagen hatte, hüteten sie ihn wie einen Augapfel. Und Joao Bonfado, ihr Anführer, wachte selbst darüber, daß der Kalender zuverlässig weitergeführt wurde. Selbst eine durchzechte Nacht war kein Grund, sich nicht um den Kalender zu kümmern.

Sie schrieben den 3. Januar 1597, als es den schwerwiegendsten Einschnitt in ihrem Leben auf der Insel geben sollte. Es war einer dieser paradiesisch schönen Tage mit strahlendem Sonnenschein und wolkenlosem blauem Himmel. Sie kannten fast nichts anderes. Selbst wenn es regnete, war der Regen sanft und mild, und der Wind reichte meist soeben aus, um ihren Schaluppen den nötigen Vortrieb zu geben. Unwetter waren selten auf Mauritius, dem Paradies, das Joao Bonfado und seine hundert Gefährten ganz für sich allein hatten.

Obwohl sie die Insel nie vollends erkundet hatten, wußten sie doch, daß es keine weiteren menschlichen Ansiedlungen gab. Sie hatten die Küste mehrmals umrundet, waren an den verschiedensten Stellen gelandet und hatten immer wieder festgestellt, daß da niemand außer ihnen war, der Mauritius für sich oder gar für irgendein Herrscherhaus der Alten Welt beanspruchte.

Der 3. Januar 1597 wurde ein düsterer Tag, obwohl der Sonnenschein anhielt.

Amado Tiron und Luceiro Monte waren die ersten aus Bonfados Schar, die sich dessen bewußt wurden. Ihre anfängliche Fassungslosigkeit wich ohnmächtiger Wut und schließlich flammendem Widerstandswillen, als sie das Geschehen in der Bucht beobachteten.

Sie konnten die Folgen noch nicht einmal abschätzen. Dennoch waren sie vom ersten Augenblick an überzeugt, daß man dieses Geschehen nicht tatenlos hinnehmen durfte.

Die vier Galeonen lagen etwa fünfhundert Yards vom Strand entfernt vor Anker. Die Segel waren säuberlich aufgetucht, und auch der sonstige Zustand der Schiffe zeigte, daß an Bord eiserne Disziplin und Ordnung herrschten.

Der Pendelverkehr, den sie zum Strand eingerichtet hatten, wurde von insgesamt acht Jollen betrieben.

Amado und Luceiro brauchten eine Weile, um vollends zu begreifen, was sich abspielte.

Die Jollen transportierten lebende Fracht.

„Schweine!“ flüsterte Amado Tiron ungläubig. „Kannst du dir das erklären? Ausgerechnet Schweine?“

„O ja“, erwiderte Luceiro Monte ebenso leise und nickte grimmig. „Welche Sorte Mensch hat Schweine? Denk nach!“

„Wie meinst du das?“

„Himmel!“ sagte Luceiro stöhnend. „Unsereins als Freibeuter von eigenen Gnaden wird ja wohl nicht gerade mit solchen Viechern umgehen.“

„Ach so!“ Amado zog die Augenbrauen hoch. „‚Bauern!‘ Du meinst Bauern? Glaubst du wirklich, diese Kerle wollen ausgerechnet auf unserer Insel Bauern ansiedeln?“

„Genau das glaube ich“, entgegnete Luceiro. „Es sieht nämlich verdammt danach aus. Kannst du unter den Kerlen da draußen besonders viele Soldaten entdecken?“

„Bis jetzt noch keinen einzigen.“

„Siehst du. Es sind Handelsleute. Sie werden genügend einfaches Volk mitgebracht haben, das sie hier zusammen mit dem Viehzeug aussetzen. Gleichzeitig wird ein Handelsposten gegründet, und nach und nach entsteht dann ein Hafen. Wir werden dann nichts mehr zu sagen haben auf Mauritius.“

„Wenn wir das Schweinevolk nicht vorher vertreiben!“

Die beiden Männer verstummten wieder.

Drei Boote erreichten jetzt den Strand, während die übrigen fünf bereits wieder zu den ankernden Galeonen unterwegs waren. Auf jeder der Jollen war ein hölzerner Käfig montiert, in dem die Schweine an Land gebracht wurden.

Da die Käfige nur jeweils einem Schwein Platz boten, würde es etliche Stunden dauern, bis alle an Land gebracht waren – je nachdem, wie viele Borstentiere sich in den Laderäumen befanden.

Am Strand, etwa hundert Yards vom Uferwasser entfernt, hatte ein erstes Kommando Pfähle in den Boden gerammt. Planken waren in aller Eile daran festgenagelt worden, die schmale Öffnung wurde mit zwei beweglichen Stangen verschlossen.

Zehn mit Musketen, Pistolen und Säbeln bewaffnete Männer waren bei dem Gehege postiert. Das Treiben der Schweine wurde von einem Dutzend unbewaffneter Männer besorgt.

Die Wächter spähten fortwährend zum Dickicht. Ihren Mienen war anzusehen, daß sie sich nicht sehr behaglich fühlten. Der Dschungel auf einer unbekannten Insel konnte alle nur erdenklichen Gefahren bergen.

Die beiden Portugiesen grinsten in ihrem Versteck, als ihnen klar wurde, daß diese Fremden nicht gerade eiskalte Eroberer waren. Eher harmlose Kaufmannsseelen, die man aus einem verstaubten Kontor in die Welt hinausgeschickt hatte.

Holländer waren es.

Das fanden Amado und Luceiro nun heraus, nachdem sie eine Weile intensiv den Gesprächsfetzen gelauscht hatten. Zu verstehen waren die Worte ohnehin nicht, da sie immer wieder vom Grunzen der Schweine im Gehege unterbrochen wurden. Etwa acht borstige Viecher wühlten dort bereits emsig mit ihren Plattschnauzen den Strand auf.

Die Treiber liefen hinunter zum Uferwasser, um die nächste Ladung in Empfang zu nehmen.

Unvermittelt wurden Rufe laut. Die Bewaffneten gestikulierten und lachten. Sie deuteten zur Nordseite des Strandes, wo das Dickicht einen weiten Bogen beschrieb und auf die Landzunge hinaus verlief, die die Bucht dort wie ein in die See ragender Wall begrenzte.

Die Treiber blieben stehen und drehten sich um.

Auch die Jollenbesatzungen wandten die Köpfe.

„Ach du liebe Güte!“ sagte Amado Tiron. „Ein Dodo!“

Luceiro Monte hielt sich unwillkürlich die Hand vor den Mund.

An der Nordseite der Insel hatte der grau-weiß gefiederte dicke Vogel das Unterholz verlassen. Groß wie ein dreijähriges Kind war er, sein unbeholfener Gang erinnerte an eine fette alte Waschfrau, die sich mühselig von einem Zuber zum anderen bewegte.

Die Holländer standen still vor Staunen.

In ihrem Versteck im Dickicht erinnerten sich die beiden Portugiesen daran, wie sie zum erstenmal einen Dodo gesehen hatten. Sie hatten nicht minder große Augen gehabt und nicht minder lange den Mund aufgesperrt.

Der Vogel wankte unentwegt weiter auf die Fremden zu. Seine Stummelflügel waren winzig klein im Verhältnis zu seiner gewaltigen Körpergröße. Er konnte sich niemals in die Luft erheben, und er brauchte es auch nicht zu tun. Denn auf Mauritius hatte er keine Feinde – nicht einmal Menschen, die seiner Spezies etwas antun würden.

Gelegentlich blieb der Dodo stehen und legte den Kopf schief, um die Menschen und die Schweine ausgiebig zu beäugen. Sein Schnabel war gebogen wie der eines Adlers, doch der Kopf oberhalb des lederartigen dunkelroten Schnabeloberteils ließ eher den Vergleich mit einem Schwan oder einer Gans aufkommen.

Der Dodo kannte keine Furcht. Mit seinem unbeholfenen Gang näherte er sich unentwegt weiter dem Schweinegehege und den Menschen, die dort versammelt waren.

 

Amado und Luceiro kannten die Dodos als ungewöhnlich freundliche Vögel. Man konnte sie mit Trockenbohnen füttern, die sie außerordentlich gern fraßen, das Wohlbehagen war ihnen dann regelrecht anzusehen. Hartbrot und alle Fleischsorten verschmähten sie indessen. Und man konnte mit ihnen herumbalgen wie mit Kindern. Zu etwas anderem taugten sie jedoch nicht.

Zehn Schritte vor dem Schweinegehege blieb der Dodo stehen und legte wieder den Kopf schief.

Die Bewaffneten hatten keinen Blick mehr für das Dickicht, das ihnen bis eben noch so viel Unbehagen eingeflößt hatte. Die Treiber waren zurückgekehrt, und auch mehrere Männer von den Jollen waren herbeigelaufen, um das seltsame Federvieh zu betrachten. Allesamt lachten sie, und einige begannen, den dicken Vogel zu locken.

Sogar die Schweine hatten ihre Grabetätigkeit unterbrochen und starrten mit ihren kleinen grauen Augen auf das unbekannte Wesen.

Der Dodo gab einen glucksenden Laut von sich und scharrte im Sand, wobei er fast vornüberkippte. Es fiel ihm sichtlich schwer, seinen mächtigen Körper im Gleichgewicht zu halten.

Die Holländer wollten sich ausschütten vor Lachen. Sie hieben sich gegenseitig auf die Schultern und klatschten sich vor Vergnügen auf die Schenkel.

Einer der Männer trat vor, ging in die Hocke und hüpfte, wobei er mit den Armen Flatterbewegungen vollführte. Zur Erbauung der anderen versuchte er, dem Dodo das Fliegen beizubringen.

Die Holländer grölten voller Begeisterung.

Der große dicke Vogel gluckste abermals und bewegte nur ein bißchen die Stummelflügel.

Die Männer schrien und krümmten sich in überschnappender Heiterkeit. Ein paar von ihnen warfen dem Vogel Hartbrotbrocken hin, die dieser jedoch nicht beachtete. Er stieß nun öfter seine Gluckslaute aus und schien großes Interesse daran zu haben, die lauten Fremden zu betrachten.

Der Wortwechsel nahm an Lautstärke noch zu.

Unvermittelt löste sich einer der Bewaffneten aus dem Menschenknäuel, von den anderen mit begeisterten Rufen angefeuert. Der Mann ging breitbeinig und wichtigtuerisch auf den Dodo zu, und der Vogel legte den Kopf beinahe waagerecht. Er wartete darauf, daß man ihm das Gefieder streichelte.

Amado und Luceiro kannten das. Das Verhältnis zwischen den Portugiesen und den Riesenvögeln bestand im Austausch von Freundlichkeiten.

Im nächsten Atemzug stockte ihnen das Blut in den Adern.

Der wichtigtuerische Holländer zog seinen Säbel, hob die blitzende Klinge betont langsam hoch und hieb dem Dodo den Kopf ab.

Die anderen schrien, grölten und klatschten.

Amado Tiron hielt seinen Gefährten zurück, der vor Wut aufspringen wollte. Luceiro sah es schließlich ein, doch er ballte die Hände zu Fäusten, daß die Knöchel weiß hervortraten.

„Diese Dreckskerle!“ zischte er zornbebend. „Ein unschuldiges und friedliches Tier ohne Grund zu töten!“

Auch Amado empfand so, doch man mußte sich zurückhalten, den Umständen entsprechend.

So beobachteten sie weiter und sahen mit stummem Grimm zu, wie die Bewaffneten Treibholz zusammensuchten und ein Feuer entfachten. Zwei Männer hatten bereits begonnen, den toten Großvogel zu rupfen.

Trotz allen Zorns mußten die Portugiesen grinsen.

Diese schwachköpfigen Holländer würden ihre besondere Freude an dem vermeintlichen Schmaus haben.

2.

Die Treiber setzten ihre Arbeit fort, denn von Bord der Schiffe waren gellende Befehle zu hören.

Mittlerweile hatten auch die fünf restlichen Jollen erneut lebende Fracht aufgenommen. In breiter Front liefen die Boote mit den großen Holzkäfigen im seichten Wasser auf Grund, und die quiekenden und grunzenden Borstentiere wurden von den Treibern übernommen. Ihre Aufgabe war es nun, die Tiere unverzüglich in das Gehege zu scheuchen.

Die beiden Beobachter vermuteten, daß die Holländer zunächst hier an der Bucht ein Depot einrichten würden. Erst danach würden diejenigen von ihnen, die für den Aufenthalt auf Mauritius vorgesehen waren, den Weg ins Inselinnere antreten. Darüber würden Tage vergehen.

Man hatte also genügend Zeit, einen Angriff auf die Eindringlinge vorzubereiten.

Unvermittelt entstand unten am Strand Geschrei.

Ein großer, kräftiger Eber hatte die Unachtsamkeit eines Treibers genutzt und stürmte schnaufend den Strand hinauf, auf das Dickicht zu.

„Du lieber Himmel!“ rief Amado Tiron halblaut. „Das Vieh flieht genau in unsere Richtung.“

„Rückzug“, sagte Luceiro Monte nur.

Sie konnten noch beobachten, wie einer der Treiber und zwei Bewaffnete die Verfolgung aufnahmen. Der Eber war erstaunlich schnell, obwohl er mit seinen kurzen Beinen und den scharfen Klauen immer wieder tief in den Sand sackte.

Die beiden Portugiesen bewegten sich vorsichtig, doch zügig. Zwar wußten sie, daß die Aufmerksamkeit der drei Holländer in erster Linie dem davonhastenden Schwein galt, aber es war möglich, daß sie bei einer zu auffälligen Bewegung im Dickicht entdeckt wurden.

Auf einer Lichtung, gut fünfzig Yards vom Rand des Unterholzes entfernt, verharrten sie und horchten.

Brechen und Bersten waren zu hören. Der Eber bahnte sich seinen Weg durch die verfilzten Pflanzen, die in Bodennähe besonders üppig wucherten. Es mußte ein kräftiges Tier sein und hatte alle Chancen, auf dieser Insel zu überleben.

Die Verfolger schienen zurückzufallen, denn Geräusche waren von ihnen noch nicht zu hören.

„Weißt du was?“ sagte Amado Tiron. „Wenn den Kerlen jetzt noch eine Sau entwischt, und wir verscheuchen die ganze Holländerbrut, bevor sie richtig an Land gehen kann, dann haben wir irgendwo auf Mauritius ein wild lebendes Schweinepaar.“

„Und dann wird Mauritius eine Schweineinsel“, entgegnete Luceiro Monte dumpf.

Beide Männer empfanden diesen Gedanken alles andere als erheiternd. Wilde oder verwilderte Schweine würden für die Tiere auf Mauritius eine ernste Gefahr bilden. Es war eine von tiefem Frieden bestimmte Tierwelt, wie sie die Portugiesen noch nie zuvor erlebt hatten. Wahrscheinlich hatten die Holländer auch Hunde an Bord. Und Ratten.

Die hilflosen Dodos würden die ersten sein, die den Eindringlingen zum Opfer fielen.

Das wütende Vordringen des Ebers näherte sich der Lichtung.

Amado und Luceiro wechselten einen Blick. Im selben Moment wußten sie, daß sie den gleichen Gedanken hatten. Ohne zu zögern, liefen sie zur anderen Seite der Lichtung und verbargen sich dort im Dickicht. Beide Männer zogen ihren Entersäbel.

Schon Sekunden später brach das schnaufende Tier aus dem jenseitigen Unterholz hervor. Als er verharrte, schien es verdutzt über den plötzlich fehlenden Widerstand. Es bewegte den kegelförmigen Kopf halbkreisförmig von einer Seite zur anderen, die rosige Plattschnauze schnupperte ständig.

Jetzt waren die Geräusche zu hören, die die Verfolger im Dschungel verursachten.

Amado und Luceiro zögerten keinen Augenblick. Fast ohne einen Laut schnellten sie aus dem Unterholz hervor.

Das Tier zuckte zusammen und wollte zur Seite ausbrechen. Doch die beiden Männer waren schneller. Sie töteten es mit ihren Säbeln so blitzartig, daß es nicht einmal mehr einen Laut von sich geben konnte.

Der Eber knickte in den kurzen Beinen ein, sank auf die Seite und streckte sich.

Amado und Luceiro zogen sich in aller Eile in das schützende Dickicht zurück. Doch sie ergriffen nicht etwa die Flucht. Sie verharrten vielmehr in jener kühlen Ruhe, wie sie sie jedesmal vor einem Kampf auf Leben und Tod erfüllte. Sie konnten davon ausgehen, daß es auch jetzt noch nur drei Holländer waren, die das Schwein verfolgten – eine einmalige Gelegenheit, drei Eindringlinge zu erledigen, bevor man zum richtigen Angriff ansetzte.

Lautlos beobachteten sie die Lichtung. Das Blut des Ebers versickerte im dunklen Grün des Waldbodens.

Nach dem Eindruck der Portugiesen drangen die Holländer wie plumpe Esel durch das Dickicht vor. Ihre sausenden Säbelhiebe, mit denen sie Schlingpflanzen und Blattpflanzen beseitigten, wurden von Flüchen begleitet. Sie gaben sich nicht die geringste Mühe, unbemerkt zu bleiben. Das lag zweifellos daran, daß sie sich schon jetzt als die alleinigen Herren dieser Insel fühlten.

Amado und Luceiro grinsten. Ihnen würden die Augen übergehen, diesen plattfüßigen Kerlen aus den niederen Landen, von denen man sagte, daß sie wegen ihrer ständigen Schlickrutscherei Schwimmhäute zwischen den Zehen hätten.

Auf einmal trat der erste auf die Lichtung hinaus. Es war der Treiber, ein blonder Mann mit struppigem Haar und untersetztem Körperbau.

Er prallte zurück, als er den toten Eber sah. Erschrocken riß er die Arme hoch, und es sah aus, als hätte er vor dem Kadaver Angst und nicht vor der Gefahr, die sein Anblick versinnbildlichte.

„Hierher!“ brüllte der Treiber. „Hierher! Schnell! Ich habe ihn! Das verdammte Vieh ist tot!“

Amado Tiron nahm den Säbel in die Linke. Mit der Rechten zog er das Messer aus der Scheide. Langsam und lautlos richtete er sich auf und hob den Wurf arm.

Die beiden bewaffneten Männer erreichten in diesem Moment die Lichtung. Beide hatten ihre Musketen zurückgelassen, da sie im Dickicht nur hinderlich waren. Unter den breiten Hüftgurten trugen sie Pistolen. Sie ließen die Säbel sinken.

„Warst du das?“ fragte der eine einfältig und deutete auf das tote Schwein.

Der Treiber ruckte herum. Seine Miene spiegelte Empörung, und er riß den Mund auf.

Es war dieser Gesichtsausdruck, mit dem er starb. Kein Laut drang mehr über seine Lippen. Nur der dumpfe Einschlag des Messers war zu hören.

Fassungslos stierten die beiden Männer auf den lederumwickelten Griff, der aus der Brust des Treibers ragte. Bis zum Heft war die Klinge in seinen Körper gedrungen. Während er in sich zusammensank, hatte es den Anschein, als versuchte er noch immer, etwas zu sagen. Die Männer spürten indessen, daß er ihnen keinen Aufschluß darüber geben konnte, was geschehen war.

Der tote Eber. Das Messer, das den Treiber getötet hatte. Beides zusammen gab den Holländern jähe Gewißheit.

Und sie gingen in Abwehrstellung.

Genau in diesem Moment schnellten Amado und Luceiro auf die Lichtung hinaus.

Mit der Gewandtheit von Raubkatzen gingen die beiden schwarzhaarigen Männer auf die eher grobschlächtigen Holländer los. Doch der äußere Eindruck trog. Die Männer aus dem nördlicheren Teil der Alten Welt waren durchaus beweglich. Zwar fehlte ihnen die Eleganz der Südländer, doch die glichen sie mit ihren Bärenkräften und wirkungsvollen Kampftechniken aus, mit denen sie jede Attacke der Portugiesen abzuwehren verstanden.

Die Säbelklingen blitzten und klirrten auf der Lichtung.

Amado und Luceiro kämpften voller unbändiger Wut. Und ihre Entschlossenheit, die Insel gegen die Eindringlinge zu verteidigen, gab schließlich den Ausschlag.

Luceiro unterlief einen voreiligen Ausfall seines Gegners und rammte ihm die Säbelklinge von unten her in den Leib. Der Holländer brach über ihm zusammen. Gerade noch rechtzeitig konnte Luceiro nach rechts weghuschen, um nicht unter der schweren Last begraben zu werden.

Er federte hoch und kreiselte herum. Dabei beobachtete er am Rand seines Blickfelds, wie Amado dem anderen Mann den Säbel aus der Hand hieb. Der Holländer wankte rückwärts.

Luceiro versetzte seinem zusammengesunkenen Gegner einen zusätzlichen Stoß, der diesen mit endgültiger Sicherheit tötete.

Amados Gegner verfing sich plötzlich mit dem Stiefel an einer Baumwurzel. Mit dem Rücken stürzte er zu Boden. Amado ließ sich täuschen. Er wähnte den Holländer benommen und gewährte sich selbst eine Sekunde zu lange Zeit, um ihm den tödlichen Stoß zu versetzen.

Der Holländer riß seine Pistole unter dem Gurt hervor.

„Paß auf!“ schrie Luceiro, und er spürte doch, daß er nichts mehr tun konnte.

In dem Augenblick, in dem die Säbelklinge auf ihn hinunterstieß, feuerte der Holländer.

Krachend zerriß der Schuß die Stille des Dschungels.

Luceiro Monte zuckte zusammen, als wäre er selbst getroffen worden.

Neben dem Säbel, der sich durch den Oberkörper des Holländers und in den Boden grub, sank Amado Tiron zusammen.

Luceiro sah die furchtbare Ausschußwunde im Rücken seines Freundes, und ihm schnürte sich die Kehle zusammen. Er wußte, daß es hier keine Hilfe mehr gab.

 

Der Holländer, mit dem Säbel im Brustkasten, bewegte noch den Kopf.

Luceiro versetzte ihm den tödlichen Hieb.

Er richtete sich auf und schob den Säbel in die Scheide. Vom Strand waren keine Stimmen mehr zu hören. Klar, daß sie den Schuß vernommen hatten. Zwar würden sie nicht wissen, was passiert war, doch sie würden auf jeden Fall nach dem Rechten sehen.

Es schmerzte Luceiro, doch er hatte keine andere Wahl. Er mußte den toten Freund zurücklassen, ohne daß er ihm die Würde eines ordentlichen Begräbnisses zuteil werden lassen konnte.

Er wandte sich ab und tauchte im Dickicht unter, ohne ein Geräusch zu verursachen. Die Holländer würden ihn nicht hören, und sie würden seine Spur nicht verfolgen können. Während er zügig in den Dschungel vordrang, überlegte er, ob er den Toten nicht doch hätte mitnehmen können.

Nein.

Es ging nicht allein um seine eigene Sicherheit und um sein Vorankommen. Wichtig war, daß die Freunde im Stützpunkt alarmiert wurden. Joao Bonfado und die anderen mußten erfahren, was sich in der großen Nordbucht abspielte. Es war wichtig, daß sie diese Information erhielten, bevor sie eine blutige Überraschung erlebten.

Amados Leiche, so sagte sich Luceiro, hätte ihn auf seinem Fluchtweg durch das Unterholz viel zu sehr behindert. Und die Holländer waren letzten Endes auch Christenmenschen. Sie würden ihre Wut nicht an einem Toten auslassen.

Er gewann so rasch Distanz, daß er nicht einmal mehr hörte, ob die Holländer am Strand ein Verfolgerkommando zusammenstellten. Sicher würden sie das tun, und vielleicht ließen sie sich nur deshalb Zeit dabei, weil sie nicht in einen Hinterhalt tappen wollten – wie die drei Schweinejäger.

Der Stützpunkt der Portugiesen befand sich fünfzehn Meilen südwestlich von jener Nordbucht. Bonfado und seine Männer hatten nur Teile des Waldes gerodet, um den Hütten und dem größeren Versammlungshaus Platz zu verschaffen.

Von See her waren die massiven Holzgebäude im Schutz des verbliebenen Buschwerks und des Baumbestandes nicht zu erkennen. Pfade führten vom Strand zu den Hütten.

Die Schaluppen, mit denen Bonfado und seine Männer in den Küstengewässern auf Beutezüge gingen, lagen im Schutz einer Flußmündung, die in Schlangenlinien und von dichtem Bewuchs gesäumt in die Bucht einschnitt.

Eine wesentlich größere Bucht war es als jene, die die Holländer offenbar zu ihrem Stützpunkt ausbauen wollten. Port Louis war diese Bucht von unbekannten und wieder verschwundenen Entdeckern genannt worden. Auf den Seekarten war es der einzig eingetragene Namenszug außer dem Inselnamen Mauritius.

Die Bucht von Port Louis, die Joao Bonfado und seine Männer nach dem Untergang dreier portugiesischer Karacken als Schiffbrüchige erreicht hatten, lag innerhalb der Küstenlinie und bildete einen fast geschlossenen Kreis, dessen äußeres Zehntel von aufeinander zuragenden Landzungen freigelassen wurde. Das war eine natürliche, kanalähnliche Zufahrt, die die Bucht zu einem denkbar günstigen Hafen gestaltete.

Mit Recht hatten die unbekannten Entdecker seinerzeit festgestellt, daß es sich um die bestgeeignete Bucht für Ansiedlungszwecke auf ganz Mauritius handelte. Bonfado und seine Gefährten hatten bei ihren Küstenfahrten keinen günstigeren Ort entdecken können.

Bonfado hatte den größten Teil seiner Männer in den Hütten am Rand der Bucht konzentriert. Es gab jedoch einige, die sich weiter landeinwärts Hütten gebaut hatten. Auf gerodeten Waldstücken versuchten sie Feldfrüchte anzubauen.

Sie taten dies in der Hoffnung, daß es ihnen eines Tages gelingen würde, Frauen auf die Insel zu holen. Dann würden sie die ersten sein, die auf Mauritius eine bodenständige Lebensgrundlage schufen.

Luceiro Monte traf den breitschultrigen Anführer in einer Besprechung mit den Unterführern vor dem Versammlungshaus. Bonfado trug einen Vollbart. Das schwarze Kopfhaar reichte ihm bis auf die Schultern. Schon in der Miene Luceiros lasen Bonfado und die anderen, wie schlimm das sein mußte, was geschehen war.

Einer brachte dem völlig erschöpften Mann einen Krug mit frischem Wasser. Er ließ sich auf eine rohgezimmerte Bank sinken und begann zu berichten.

Harte Furchen entstanden in Joao Bonfados Gesichtszügen.

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