Seewölfe Paket 27

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4.

Nach ein paar Stunden Arbeit sah die „Santa Barbara“ wieder manierlich und sauber aus. Die Decks waren von der schmierigen Asche gesäubert worden, aber feine Staubreste hingen immer noch in der Luft und sorgten für neuen Dreck.

„Jetzt werden wir uns mal um die Blessuren kümmern“, sagte der Kutscher. „Wir haben ja alle ziemlich viel abgekriegt.“

Sie hatten Wasser in die Waschbalje geschöpft und sich Ruß, Schmiere und Dreck abgewaschen. Jetzt fühlten sie sich bedeutend besser, wenn auch die Körper noch von den höllischen Funken brannten.

Der Kutscher besah sich mit langem Gesicht das, was die Dons unter dem Begriff „Medizinkiste“ verstanden. Die Kiste enthielt einen weiteren kleinen Kasten mit ärztlichem Besteck. Als der Kutscher einen Blick in den Kasten warf, wurde sein Gesicht noch länger. Mac Pellew blickte gottergeben drein.

„Ich sag’s ja, ich sag’s ja“, klagte er. „Diese Lausekerle lassen alles verkommen und vergammeln. Ihre Degen sind immer blitzblank und rosten nicht, aber hier ist alles verrostet. Da können wir jahrelang putzen, bis wir das wieder sauber haben.“

„Jahrelang ist zwar ein bißchen übertrieben, aber im Prinzip hast du recht. Mit dem Besteck ist wirklich nicht viel los. Die haben nicht einmal eine Salbe gegen Brandverletzungen. Jetzt stehen wir aber schön da.“

„Nehmen wir eben Olivenöl“, schlug Mac grämlich vor. „Das Zeug tut’s ja schließlich auch und so.“

„Schön, nehmen wir Olivenöl. Davon haben wir eine ganze Menge an Bord. Dann füll mal was ab.“

„Das Zeug stinkt“, stellte Mac beim Abfüllen in einen kleinen irdenen Topf fest. „Das ist so alt wie Seine Allerkatholischste Majestät, der König von Spanien. Ranzig ist der Mist.“

Dem Kutscher platzte fast der Kragen.

„Himmel, Arsch und Olivenöl!“ brüllte er den zusammenzuckenden Mac Pellew an. „Seit wir auf diesem Eimer sind, hast du ständig was zu meckern und stinkst den ganzen Tag lang herum. Wir haben nun mal nichts anderes, also behelfen wir uns mit ranzig riechendem Öl. Hättest ja die Dons fragen können, ob sie für uns nicht ein besser ausgerüstetes Schiff hätten!“

Der Kutscher fummelte weiter in der Kiste herum. Sie enthielt Verbandszeug, Pülverchen in kleinen Tüten mit spanischen Bemerkungen und zwei kleinen Fläschchen, die irgendeine übelriechende Tinktur enthielten. Zu was das Zeug gut war, wußte nicht einmal der Kutscher. Viel mehr war in der Kiste nicht zu entdecken. Alles sah vergammelt und verwahrlost aus.

Der Kutscher kehrte mit dem kleinen Öltopf an Deck zurück und tupfte den ersten Männern das Olivenöl auf die Brandwunden.

Als Carberry an der Reihe war, begann er mißtrauisch zu schnüffeln. Dann blickte er Mac Pellew an, der ein Gesicht zog, als bestehe die ganze Welt nur noch aus Leid und Elend.

„Na, Mister Seltenfroh“, knurrte er, „was ist denn das für ein stinkendes Dreckzeug? Glaubst du, ich will hier wie ein Stinktier durch die Gegend laufen?“

„Erstens kann hier niemand durch die Gegend laufen, weil’s gar keine Gegend gibt“, wurde er von Mac belehrt. „Und zweitens ist das das Beste vom Allerbesten, was die Dons gegen Brandwunden haben. Und drittens will ich das mit dem Mister Seltenfroh überhört haben, sonst stech ich dir ein Loch in die Pelle.“

„Hast wohl heute dein starkes Hemd an, was, wie? Ist das Zeug denn wirklich so gut?“

„Sag ich doch – das Beste, was wir an Bord haben. Und wenn es stinkt, dann ist es ganz besonders gut.“

„Riecht aber nach ranzigem Öl“, stellte Carberry fest.

„Ist auch ranziges Öl“, erwiderte Mac trocken. „Wir haben einfach ein Faß altes Olivenöl geöffnet.“

Der Profos lachte kurz, während Mac weiter an ihm herumtupfte.

„Du mit deinen Witzen“, sagte er. „Das mußt du schon einem Dümmeren verklaren.“

„Da werde ich aber lange suchen müssen.“

Der Profos dachte noch über die letzte Bemerkung nach und wie sie aufzufassen war, doch war Mac schon bei Smoky und grinste auf eine Art, als hätte man ihm alle Zähne gezogen und Seewasser zum Nachspülen gegeben.

„Weiß der Satan“, brummte der Profos. „Wenn ich diesen Mister Seltenfroh nicht so gut kennen würde, dann möchte ich wetten, daß er wahrhaftig ranziges Stinköl genommen hat.“

„Riecht jedenfalls komisch“, stimmte Smoky zu. „Der verpestet hier das ganze Schiff von vorn bis achtern.“

Mac Pellew ließ sich jedoch durch die Bemerkungen nicht weiter aus der Reserve locken. Er und der Kutscher gingen von einem zum anderen und tupften Olivenöl auf die Brandwunden, bis auch der letzte Mann behandelt war.

Danach roch es allerdings wirklich merkwürdig auf der „Santa Barbara.“

„Was ist das für ein Zeug?“ erkundigte sich selbst Hasard interessiert. „Es riecht so eigenartig.“

„Olivenöl, Sir, etwas alt schon, aber es erfüllt dennoch seinen Zweck. Für Brandwunden ist es gut geeignet.“

„Ich verstehe. Es ist also nichts anderes da. Du mußt improvisieren, Kutscher?“

„So ist es. Große Medizinmänner waren hier ganz sicher nicht an Bord. Alles ist vernachlässigt worden.“

„Nicht nur, was die Medizin betrifft – das meiste andere auch. Ferris hat mir gerade gemeldet, daß der Kahn ein wenig suppt. Es ist kein großes Leck, nur eine angeknackste Planke. Der Schaden wird bald behoben sein.“

„Wie weit mögen wir jetzt von der Küste entfernt sein?“ wollte der Kutscher wissen.

Hasard mußte seit langem mit einer Antwort passen. Auch Dan O’Flynn, der sich zu ihnen gesellt hatte, zuckte mit den Schultern.

„Wir können es nicht einmal annähernd abschätzen, weil wir keinerlei Orientierungspunkte haben. Aber einen Jakobsstab haben wir gefunden, mit dem wir die Gestirnshöhe messen können.“

„Dazu müßten wir erst einmal die Sonne sehen“, sagte der Kutscher gedankenverloren.

Hasard blickte aufs Meer, dann zum Himmel.

Es schien alles immer noch unwirklich zu sein. Es gab nicht mehr das Blau des Himmels und des Meeres, das sich bis zur Kimm erstreckte.

Düsteres Grau umgab sie jetzt, mit einem schmutzigen Fahlgelb. Selbst das Meer hatte seine Farbe genau dem Himmel angepaßt. Es ähnelte giftigem Schwefel, und so roch es auch noch immer. Die Sicht betrug im Augenblick bestenfalls, eine Kabellänge. Von da ab wurde alles undefinierbar und unübersichtlich wie in einer Waschküche.

„Die Farben haben sich verändert“, sagte Dan. „Es scheint, als würde die Suppe immer dichter und dicker.“

„Richtiger Nebel wäre mir lieber“, meinte Hasard. „Da weiß man, daß man in einer Nebelbank steckt und auch wieder hinausgelangt. Hier sieht das absolut trostlos aus, und es zeichnet sich immer noch kein Ende ab.“

Die See plätscherte lustlos an die Planken. Das Wasser dünte ganz schwach. Tauwerk und Blöcke knarrten und ächzten. Und doch hatten sie immer noch das Gefühl, als würden sie durch das Wasser geschoben. Hasard ging von einem Deck zum anderen. Überall sah er winzige kleine Löcher von schwärzlicher Farbe in den Planken – die Narben des feurigen Bombardements.

Als er an der Kombüse vorbeiging, hörte er Mac Pellew meckern. Er sprach zu sich selbst und stieß hin und wieder eine leise Verwünschung aus.

Einen Augenblick lauschte der Seewolf lächelnd.

„… mistiges Ratten- und Kakerlaken-Schiff. Aber euch ziehe ich noch das Fell über die Ohren, das könnt ihr laut singen.“

„Der liebe Mac hat heute seinen schlechten Tag“, sagte der Kutscher entschuldigend. „Es paßt ihm überhaupt nichts. Er meckert ständig an allem herum.“

„Das legt sich wieder. Sind viele Ratten an Bord?“

„Ein paar schon. Plymmie wird sie schon aufstöbern. Nur scheint sie keine Lust zu haben.“

Er zeigte auf die Wolfshündin. Sie hatte es sich neben der Kuhlgräting bequem gemacht und döste vor sich hin. Der Kopf lag auf den Vorderpfoten, die Zunge hing ein Stück heraus.

Der Kutscher sah – nach dem Schimpansen, der ebenso lustlos und unbeteiligt war. Arwenack hockte auf einer Webeleine des Großmastes und starrte gelangweilt an Deck. Auch Carberrys Liebling, der Aracanga-Papagei Sir John, rührte sich nicht. Er hatte ein Bein angezogen und den Schnabel auf die Brust gesenkt. Vorher hatten sie die Tiere unter Deck gebracht, damit sie nicht in Panik gerieten.

Die Stimmung der drei Tiere übertrug sich auch auf die Männer. Sie warteten, blickten aufs Meer oder in den Himmel. Nur Ferris Tucker und Big Old Shane waren damit beschäftigt, das kleine Leck abzudichten, aus dem es in den Laderaum suppte.

„Fängt ja gut an die Reise“, hörten sie Mac Pellew wieder aus der Kombüse tönen. „Erst latscht man den lausigen Dons in die Quere, dann kriegt man glühende Steine auf die Rübe, und jetzt hängen wir irgendwo zwischen Himmel und Erde ’rum. Hätten doch lieber im Stützpunkt bleiben sollen. Au, verflucht noch mal, jetzt habe ich mich geschnitten. Auf diesem Lauseeimer läuft aber auch alles verkehrt.“

Die Männer an Deck grinsten über den alten Griesgram, der seine einsamen Monologe führte und ständig am Schimpfen war.

Dann war es ganz still in der Kombüse. Offenbar hätschelte Mac jetzt seine Schnittwunde.

Doch das erwies sich als Irrtum. Die Schnittwunde war so unbedeutend, daß man sie gar nicht sah. Mac stand auf der Lauer, und in der Hand hielt er eine, schmierige Pfanne.

Die Männer zückten zusammen, als ein hallender Schlag erklang. In der Stille wirkte er beunruhigend. Er klang wie ein riesiger Gong, den jemand in großer Wut geschlagen hatte.

Aus der Kombüse kam etwas geflogen. Carberry und Jack Finnegan rissen instinktiv die Arme hoch, als das Ding an ihnen vorbeiflog. Es knallte an das Schanzkleid und blieb auf den Planken liegen. Dazu erklang Mac Pellews Stimme, sauer und verärgert.

 

„… sind hier doch nicht auf der Arche Noah, verdammt, wo wir alles an Viechern mitschleppen müssen!“

Carberry und Jack starrten verdattert auf eine Ratte, die auf den Planken lag.

„He!“ brüllte der Profos. „Wenn du hier schon mit toten Ratten schmeißt, dann wirf sie auch gefälligst über Bord und nicht auf die Planken, du versauerter Prielwurm.“

„Wirf sie selbst über Bord“, knurrte Mac, „ich habe zu tun. Sei froh, daß ich die Biester erledige.“

„Mit dem ist heute wirklich nicht gut Kirschen essen“, meinte Jack. „Der hat einen ausgesprochen üblen Tag.“

Mit dem Fuß schob er die tote Ratte durch das Speigatt, bis sie aufklatschend im Wasser landete.

Mac erschien mit Leichenbittermiene an Deck, ignorierte den strengen Blick des Profos’ und leerte den Abfallkübel über Bord. Er hatte inzwischen tüchtig in der Kombüse aufgeklart. Obwohl es jetzt einigermaßen manierlich darin aussah, war Mac noch lange nicht zufrieden.

„Rattenkahn“, brummte er. „Kakerlakeneimer. Mistviecher eklige. Soviel Viehzeug haben wir noch nie an Bord gehabt. Das gab es nicht mal auf der Arche.“

„Der Herr liebt alle seine Schafe“, sagte der Profos salbungsvoll und grinsend. „Auch die dämlichen und sauertöpfischen.“

„Wenn du mich damit meinst“, giftete Mac, „dann laß dir gesagt sein, daß du heute vom Essen ausgeschlossen wirst. Ich koch doch nicht für einen, der dauernd mit mir ’rumstänkert und so.“

Immer wenn an Bord das Wörtchen „Essen“ fiel, erschien wie aus den Planken gewachsen Jack Finnegans Freund, der dickliche und verfressene Paddy Rogers. Er war ein guter Kerl und ein hervorragender Seemann, der es auch prächtig verstand, mit den Fäusten umzugehen. Aber mit seiner sprichwörtlichen Verfressenheit ging er vielen auf den Geist – Mac Pellew ganz besonders.

„Gibt’s denn schon was zu essen?“ erkundigte er sich erwartungsvoll. „Vielleicht etwas mit viel Fleisch?“

Mac musterte ihn von oben bis unten. Dann sagte er: „Hättest du etwas dagegen, Mister Rogers, wenn ich mich dazu herabließe, dich einen unverschämten Freßsack zu nennen? Wenn du Fleisch haben willst, dann fisch dir die Ratte aus dem Bach.“

„Wie – wie hat er das gemeint?“ erkundigte sich Paddy, der beim intensiven Nachdenken immer mit leichten Schwierigkeiten zu kämpfen hatte. „Der quasselte ja so geschraubt.“

„Seine hochmögende Lordschaft belieben heute etwas stark angesäuert zu sein“, sagte Carberry. „Wenn Seine Durchjauchzt so weitermacht, dann wird er sich noch was am Scheitel einhandeln. Kapiert, Paddy?“

„Wie – äh – was? Was ist los?“

„Das erkläre ich dir mal, wenn die Sonne wieder scheint“, versprach Carberry. „Aber das wird noch eine Weile dauern.“

„Das Essen?“

„Das auch.“

„Und dabei hab’ ich einen Mordshunger. Schade, daß die Ratte kein Ochse war, sonst hätten wir genug gehabt.“

„Ja, wirklich schade“, sagte der Profos mitfühlend, „obwohl wir natürlich auch ein paar Ochsen an Bord haben.“

Paddy kratzte sich nachdenklich den Schädel und sah dem Profos nach, der grinsend aufs Vordeck ging. So ganz blickte er noch nicht durch, wie das alles aufzufassen war, denn manchmal ließ der Profos schon eigenartige und merkwürdige Sprüche ab.

Er lehnte sich ans Schanzkleid und starrte in die trübe Brühe, die sie von allen Seiten umgab. Es hat ganz den Anschein, überlegte er dabei, als würde sich das eigenartige Wetter nie mehr ändern.

5.

Inzwischen waren drei Tage vergangen.

Die „Santa Barbara“ dümpelte in einer bleigrauen Zwielichtzone auf nur ganz schwach bewegter See.

Will Thorne hatte die kleinen Brandlöcher in den Segeln geflickt. Neue Segel, die sich in der Segellast befanden, waren angeschlagen worden. Sie hingen schlaff von den Rahen und bewegten sich kaum.

Von der Sonne war noch immer nichts zu sehen. Wenn es Nacht wurde, verdunkelte sich das Zwielicht. Wurde es Tag, dann sahen sie es nur daran, daß sie das Wasser dicht am Schiff erkennen konnten. Das diffuse Halblicht ließ immer noch keine Standortbestimmung zu.

„Wo mögen wir uns nur befinden?“

Ben Brighton stellte die Frage mehr an sich selbst, denn er erwartete keine Antwort darauf. Aber die Frage drückte seine ganze Hilflosigkeit aus.

„Ich kann es nur grob schätzen“, sagte Hasard. „Wir bewegen uns irgendwo in der Nähe des Äquators, vermutlich in westliche Richtung. Ich glaube deutlich zu spüren, daß uns eine Strömung westwärts treibt. Zudem haben wir umlaufenden Wind, wenn man das überhaupt als Wind bezeichnen kann. Aber ich werde das Gefühl nicht los, daß wir geschoben werden. Am Äquator gibt es ja Gegenströme und andere, die weiter in den Pazifik führen.“

„Es kann aber auch umgekehrt sein“, sagte Ben.

„Dann wären wir wieder auf Land gestoßen, was nicht der Fall ist. Zumindest wären wir näher in den Bereich der Ausbrüche gelangt. Aber wir entfernen uns von ihnen.“

„Ja, das stimmt.“

Alle Männer blickten hoch, als ein schwacher Windstoß in die Segel fuhr und sie leicht killen ließ. Neue Hoffnung keimte in ihnen auf, daß dieses blinde Treiben bald ein Ende haben würde.

„Ich habe vorhin am Fockmast gekratzt“, behauptete Old O’Flynn. „Und Smoky hat eine Münze über Bord geworfen. Bekanntlich gibt das ja Wind, den man dadurch provoziert. Jetzt ist er da.“

„Das hättet ihr schon vor drei Tagen tun sollen“, sagte Dan grinsend. „Dann wären wir jetzt ’ne Ecke weiter.“

„Das ist zwecklos“, meinte der Alte. „Man kann nicht gleich am ersten Tag den Wind herbeipfeifen. Man muß schon ein bißchen Geduld haben und den richtigen Zeitpunkt abwarten.“

Die anderen grinsten ebenfalls mehr oder weniger versteckt. Sie waren nicht so ganz davon überzeugt – im Gegensatz zu Old Donegal, der fest daran glaubte.

Zu ihrer Verwunderung füllte jedoch gleich darauf ein neuer Windstoß die Segel. Old O’Flynn grinste bis über beide Ohren. In seinem Granitgesicht erschienen tausend kleine Fältchen.

„Ihr glaubt ja nicht mal daran, daß es Seewasser gibt“, erklärte er. „Euch muß man alles erst tausendmal beweisen.“

Stolzgeschwellt, als hätte er den Wind erfunden, ging er davon.

„Es brist tatsächlich auf“, sagte der Seewolf verwundert. „Dann dürfte auch bald die Sicht besser werden.“

Pete Ballie ging ans Ruder und spuckte erfreut in die Hände.

„Endlich geht es wieder los. Welchen Kurs, Sir?“

„Such dir einen aus“, empfahl der Seewolf lächelnd. „Nimm am besten den Kurs platt vorm Laken, der bringt uns am schnellsten voran.“

„Aye, aye, Sir. Platt vor dem Laken.“

„Und ihr anderen Faulenzer verholt euch mal ganz schnell an Schoten und Brassen!“ rief der Profos. „Jetzt läßt Äolus endlich mal Dampf ab, und da steht ihr dämlich grinsend herum. Oder sind euch die Affenärsche eingefroren, was, wie?“

„Affenärsche anbrassen!“ krakeelte eine Stimme von der Großmarsrah, wo Sir John hockte. Er war wieder putzmunter und watschelte o-beinig hoch oben herum. Auch die Bordhündin war jetzt hellwach. Sie drehte sich um und schnüffelte in den Wind. Arwenack begann zu turnen. Die Tiere wirkten, als seien sie aus einem Schlaf erwacht.

Als die Schoten durchgeholt waren und die Segel unter leichtem Druck standen, begann auch die Bugwelle wieder aufzuschäumen. An den Bordwänden gluckerte das Wasser. Die Seewölfe fühlten sich wie neugeboren, als erstmals wieder Kielwasser zu sehen war und eine kleine schaumige und blasenwerfende Bahn achteraus blieb.

Durch die aufgekommene Brise verschwand auch die drückende Schwüle, die über allen Decks gelastet hatte. Nur die Sicht war noch auf bestenfalls zwei Kabellängen begrenzt, und der Himmel hatte seine Farbe kaum verändert.

„Wir segeln wie in einer riesigen Dunstglocke“, sagte Dan, „aber wir segeln wieder, und das allein ist wichtig.“

Der hochgewachsene Spanier neben ihm nickte zustimmend. Don Juan begann erleichtert zu lächeln.

„Herrlich, diese Brise, erfrischend. Lassen wir deinen Vater bei dem Glauben, daß er sie herbeigerufen hat, Dan.“

„Du wirst ihn auch kaum vom Gegenteil überzeugen können. In der Beziehung versteht er keinen Spaß.“

Am Nachmittag kam Ferris Tucker nach achtern. Er hielt ein kleines Brettchen in der Hand, das er Hasard überreichte.

„Vielleicht können wir uns damit provisorisch behelfen, Sir“, meinte er. „Ich hoffe jedenfalls, daß es einigermaßen funktioniert.“

Auf dem Brettchen befand sich eine kleine zitternde Nadel, die unruhig hin und her tänzelte.

„Wo hast du das her?“ fragte Hasard erstaunt.

„Das habe ich aus dem Überrest des Kompasses gebastelt. Ich habe einen kleinen Kupfernagel zugefeilt und die Kompaßnadel, die leider stark beschädigt war, darauf gesetzt. Leider ist das Ding sehr empfindlich.“

Der gute alte Ferris, dachte Hasard gerührt. Er war immer am Tüfteln und Überlegen, und jetzt hatte er aus dem zerschlagenen Rest die Kompaßnadel zurechtgefummelt, damit sie sich wenigstens einigermaßen auf ihrer langen Reise orientieren konnten.

„Prachtvoll“, sagte Hasard und legte dem Schiffszimmermann die Hand auf die Schulter. „Eine Orientierungshilfe ist es ganz sicher. Das hast du hervorragend gemacht, Ferris.“

Ferris Tucker wandte sich verlegen ab.

Hasard nahm das Brettchen und stellte es in der Nähe des Ruders auf die Planken. Die Nadel zitterte stark und tanzte. Aber offensichtlich wies sie doch ungefähr auf Nord.

„Ich dachte, der Kompaß sei total zertrümmert worden“, sagte Hasard.

„War er auch. Die Nadel war kaputt und verbogen. Ich habe sie zwischen den Holztrümmern gefunden.“

Hasard ließ den Kurs ändern und beobachtete die Orientierungsstriche, die Ferris angebracht hatte. Die Kompaßnadel spielte mit. Sie wies immer noch nach Nord, als sich das Schiff um vier Strich nach Backbord drehte.

„Das haut hin!“ rief Dan begeistert. „Sobald wir die Sonne besser im Visier haben, können wir Vergleiche anstellen. Wir müßten den Kompaß nur noch besser schützen.“

„Wir haben leider kein Glas an Bord“, sagte Ferris. „Daran habe ich natürlich auch schon gedacht.“

„Wie wär’s denn mit einer der kleinen Scheiben aus der Kapitänskammer?“ fragte der Seewolf. „Damit hätten wir eine wetterbeständige Absicherung. Über das fehlende Fensterchen können wir ja ein Holzbrett nageln.“

So geschah es dann auch. Ferris ging gleich an die Arbeit, entnahm der teilweise verglasten Heckgalerie eine der kleinen Bleiglasscheiben und fertigte daraus ein kleines Kompaßgehäuse. Das Fenster schloß er mit einem dünnen Brett.

„Wenn der Kompaß stimmt, liegen wir auf Westkurs, wie ich vermutet habe“, sagte Hasard am Abend, als wieder das Zwielicht herrschte, das immer mehr in dunkles Grau überging. „Nur diese Pestwolke zieht noch mit uns, als wollte sie uns über den ganzen Pazifik begleiten. Sie wird sich mit dem Wind jedoch hoffentlich langsam verlieren.“

Am nächsten Morgen wehte der Wind immer noch beständig, und sie liefen weiter auf Westkurs platt vorm Laken.

Die Sonne war zwar noch nicht zu erkennen, doch an der Kimm stand ein schwach glosendes Nebelgespinst im Osten, das jedoch noch keine Kraft hatte, den Dunst zu durchdringen. Immerhin betrug die Sichtweite jetzt mehr als eine Meile. Himmel und Erde schienen weiter auseinandergezogen zu sein.

Nach weiteren zwei Tagen hatte sich etliches verändert. An der Kimm stand wabernder Dunst, die Sonne erschien in einem riesigen Schleier dreimal so groß wie unter normalen Umständen.

Die Kompaßnadel zeigte eine kleine Mißweisung an, erwies sich aber trotzdem als gute Orientierungshilfe in der Weite des Meeres.

Sie waren allein inmitten eines riesigen Ozeans. Kein Schiff zeigte sich, weit und breit war kein Land zu sehen.

An diesem Tag erschien der Kutscher mit besorgtem Gesicht bei Hasard.

„Mit dem Trinkwasser ist es schlecht bestellt, Sir“, meldete er.

„Es sind doch genügend Fässer da“, sagte Hasard. „Im Laderaum stehen auch noch einige.“

„Das stimmt, wir haben auch noch genug Wasser an Bord. Aber da gibt es ein kleines Problem. Die Dons haben zwar viel Wasser an Bord genommen, aber sie haben die Fässer nicht richtig ausgeschwefelt, daher verdirbt das Wasser zusehends. Es fault und beginnt zu stinken, um das mal ganz kraß auszudrücken. In zwei Fässern sind bereits lange grüne Fäden drin.“

 

„Das hat uns gerade noch gefehlt. Weit und breit kein Land in Sicht, und dann fauliges Wasser. Was können wir tun, Kutscher?“

„Einige Fässer ausschwefeln und umfüllen, aber wir haben leider auch keinen Schwefel an Bord.“

„Wir hatten nicht mal eine Besatzung an Bord“, meinte Hasard sarkastisch, „deshalb mußten wir uns selbst mitbringen. Aber wie steht es mit Rum? Den haben wir doch noch.“

„Es sind ein paar kleine Fäßchen da.“

„Dann schlage ich vor, du kochst das Wasser ab und vermengst es anschließend mit Rum, damit es haltbarer bleibt.“

Der Vorschlag Carberrys, das Wasser verfaulen zu lassen und ausschließlich Rum zu trinken, stieß auf wenig Beachtung. Zur Zeit wurde dafür nur wenig Verständnis aufgebracht.

„Wie sieht es mit dem Proviant aus?“ forschte Hasard weiter.

„Die Vorräte reichen noch knapp zwölf bis vierzehn Tage, dann müssen wir rationieren, falls wir nicht auf Land stoßen.“

„Darauf verlassen wir uns vorerst lieber nicht. Wir werden uns also einschränken müssen. Vorerst ist jedoch das Wasser am wichtigsten.“

„Ich werde mich sofort darum kümmern, Sir.“

Hasard sah dem Kutscher nachdenklich hinterher, als er wieder nach vorn zur Kombüse ging.

Die ersten kleinen Probleme tauchen bereits auf, dachte er. Aber jetzt gab es kein Zurück mehr. Sie mußten durch und konnten nur hoffen, bald auf eine Insel zu stoßen. Die Reise stand nicht gerade unter einem günstigen Stern. Aber sie waren ja auch völlig unvorbereitet aufgebrochen.

In der Kombüse begann der Kutscher unverzüglich damit, in einem großen eisernen Kessel das Wasser abzukochen. Faulte es weiter, dann war es nicht nur ungenießbar, sondern auch gefährlich für die Männer. So weit durfte es erst gar nicht kommen.

Luke, Stenmark, Batuti und Sam Roskill brachten die Wasserfässer vom Laderaum zur Kombüse und überprüften sie. Zwei Fässer waren mit langen grünlichen Schlieren und Algen so durchsetzt, daß der Kutscher sich angeekelt schüttelte, als er an dem Zeug roch.

Mac Pellew mußte natürlich ebenfalls an dem Zeug riechen. Er fuhr zurück, als hätte ihn eine giftige Natter gebissen. Sein Gesicht wurde noch galliger.

„Das ist doch niemals Wasser gewesen“, behauptete er. „Das ist stinkende Jauche.“

„Das war Wasser“, sagte der Kutscher. „Es wird nur wesentlich länger herumgestanden haben als das andere. Wenn wir jetzt nicht schleunigst etwas unternehmen, sieht das andere Wasser auch bald so aus und wird ungenießbar. Was das angesichts des großen Meeres bedeutet, brauche ich wohl nicht extra zu betonen.“

„Werft das Zeug über Bord“, sagte Carberry naserümpfend. „Den Geruch kriegen wir niemals mehr aus den Fässern heraus.“

Er packte selbst mit an und hievte eins der Fässer auf das Schanzkleid. Aus dem Spundloch gluckerte grünlicher zäher Schleim heraus. Ganze Klumpen von Algen hatten sich im Faß gebildet.

Luke Morgan mußte schluckend an sich halten, als er das schmierige Zeug ins Wasser laufen sah. Er gab dem Faß einen Stoß, daß es ins Wasser fiel und an der Bordwand vorbeitrieb.

Später behauptete er, das Kielwasser sei stundenlang giftgrün gewesen.

Auch das zweite Faß wurde über Bord geworfen und versank. Der Inhalt roch noch fauliger als der des anderen Fasses.

„Torfkahn!“ schimpfte Mac wieder. „Überhaupt nichts ist in Ordnung. Jeden Tag entdecken wir etwas anderes, nur nie was Gutes. Wird uns noch unterm Hintern zusammenbrechen, der Schlorren.“

„Mal bloß den Teufel nicht an die Wand!“ fauchte Stenmark. „Du siehst sowieso immer nur die schlechten Seiten.“

„Sind ja auch nur schlechte Seiten“, nörgelte Mac, „oder hast du vielleicht schon ein paar gute entdeckt?“

„Immerhin sind wir vorerst in Sicherheit. Ohne dieses Schiff wären wir vermutlich nicht mehr am Leben und ein Opfer des Vulkanausbruches geworden. Oder die Dons hätten uns noch im letzten Augenblick alle umgelegt.“

„Ich seh das trotzdem mit anderen Augen.“

Mit Mac war nicht zu reden. Er wußte alles besser als die anderen, beschwerte sich, nörgelte, nölte und meckerte an allem herum.

Inzwischen war einer der großen Kessel gefüllt worden und stand jetzt auf dem Herd. Darunter bullerte ein Holzkohlenfeuer. Da hatte Mac schon wieder was zu knurren.

„Immer Wasser kochen, Wasser, Wasser und nochmals Wasser. Ich bin doch schließlich kein Wasserkoch. Wo gibt’s denn so was, daß auf einem Schiff immer und ewig nur Wasser gekocht wird?“

„Hier gibt’s das schon“, sagte der Kutscher biestig, dem Mac allmählich immer mehr auf die Nerven ging. „Hier wird jetzt Wasser gekocht, damit wir überleben können. Und wenn dir das nicht paßt, dann lernst du mich einmal von meiner üblen Seite kennen, Mister Pellew. Ich kann deinen dämlichen Scheiß nämlich nicht mehr hören. Kapiert, oder brauchst du erst was aufs Maul?“

Mac Pellew wich fassungslos zurück, als der Kutscher ihn wild anblickte und offenbar tatsächlich entschlossen war, ihm „was aufs Maul“ zu hauen. Perplex starrte er den hageren Mann an.

„So, so – äh – so hast du noch nie mit mir gesprochen“, hauchte er.

„Dann wird es jetzt höchste Zeit, mein Lieber. Ich will, verflucht noch mal, kein Gemecker mehr hören.“

„Ist ja schon gut“, murmelte Mac erschrocken. Er ging vorsichtig weiter rückwärts, weil der Kutscher immer noch so ein wildes Gesicht zog. Als er nach dem Handlauf des schmalen Niedergangs griff, zuckte er erschreckt zusammen, nahm die Hand weg und besah sie sich.

Aus seinem Handballen ragte ein Holzsplitter, den er sich beim Zugreifen eingezogen hatte.

Der Kutscher sah diesen Holzsplitter auch – und ebenfalls das bestürzte Gesicht von Mac. Der wollte gerade wieder lauthals losfluchen.

„Sag bloß noch, daß es etwas Ähnliches auf der ‚Isabella‘ nie gegeben hätte“, erklärte der Kutscher gefährlich leise. „Darauf warte ich jetzt nur noch. Wenn du das jetzt sagst, dann tue ich mit dir das, was ich vor langen Jahren schon einmal mit einem getan habe.“

„Ich hab’ nichts gesagt, überhaupt nichts“, versicherte Mac. „Klar, auf der ‚Isabella‘ habe ich mir auch schon mal einen Holzsplitter eingehandelt. Ist ja auch nicht weiter schlimm, nicht?“

Das Gesicht des Kutschers blieb völlig ausdruckslos. Er sah zu, wie Mac sich den Splitter aus der Hand zog. Mac Pellew wirkte in diesem Augenblick total eingeschüchtert.

„Äh, was hast du damals eigentlich mit dem Kerl getan?“ fragte er.

„Ich hab ihn ignoriert, einfach ignoriert“, erwiderte der Kutscher. „Das hat mächtig weh getan.“

„Kann ich mir vorstellen“, sagte Mac beeindruckt. „Der konnte wohl tagelang nicht mehr richtig laufen, was?“

„Was hat das damit zu tun?“

„Na, ich meine, wenn du ihn so richtig – äh – na eben so richtig mit der Bratpfanne und so, dann hat es ihm auch weh getan.“

„Ah ja, natürlich“, sagte der Kutscher abwinkend. Soll Mac bei diesem Glauben bleiben, dachte er, der kapiert heute überhaupt nichts und hat seinen begriffsstutzigen Tag.

Nach einer Weile nahmen sie den Wasserkessel vom Herd, damit er abkühlen konnte. Später sollte dann Rum dazugegossen werden. Während sie den nächsten Kessel aufsetzten, reinigten die anderen an Deck die Wasserfässer und säuberten sie, so gut es eben ging.

„Trotz allem werden wir bald rationieren müssen“, prophezeite der Kutscher düster. „Es sei denn, es regnet kräftig. Doch damit ist wohl vorerst nicht zu rechnen.“

Mit einem gewissen Unbehagen blickten die Seewölfe der nächsten Zeit entgegen. Sie sah keineswegs rosig aus. Sie hatten immer noch das Gefühl, mutterseelenallein auf der Weite des Pazifiks zu sein.

Noch immer war kein einziger Vogel zu sehen.