Buch lesen: «Seewölfe Paket 24»
Impressum
© 1976/2019 Pabel-Moewig Verlag KG,
Pabel ebook, Rastatt.
eISBN: 978-3-95439-992-5
Internet: www.vpm.de und E-Mail: info@vpm.de
Inhalt
Nr. 461
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Nr. 462
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 463
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 464
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nr. 465
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nr. 466
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 467
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 468
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 469
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 470
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nr. 471
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 472
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 473
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 474
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Nr. 475
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 476
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 477
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 478
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Nr. 479
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Nr. 480
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
1.
19. April 1595 – Great Abaco.
Nur noch Spuren im Sand deuteten darauf hin, daß sich an der Eight Miles Bay an der Ostküste von Great Abaco Schnapphähne übelster Sorte aufgehalten hatten.
Von den algerischen Piraten unter ihrem Oberschnapphahn Mubarak fand sich jedoch keine Spur mehr. Seit sie in der letzten Nacht versucht hatten, die Schiffe vom Bund der Korsaren zu entern, gab es die „Alis“ nicht mehr. Ihre Flöße waren vernichtet und sie selbst zu den Fischen geschickt worden.
Jetzt lag die Insel wieder wie unberührt im Sonnenlicht da. Leise glucksend liefen kleine Wellen an den Strand – ein Bild des Friedens und der Beschaulichkeit.
In der Bay ankerten die „Empress“, die „Golden Hen“, die „Wappen von Kolberg“ und die „Pommern“ unter dem Deutschen Renke Eggens.
Erwartet wurden noch die restlichen drei Schiffe des Korsarenbundes, die „Isabella“, der Schwarze Segler und Siri-Tongs düsterer Zweidecker „Caribian Queen“.
Die drei hatten zwischen den Caicos-Inseln einen Verband aus drei spanischen Kriegsgaleonen abgefangen und vernichtet. Inzwischen befanden sie sich auf dem Weg nach Great Abaco, wie es zuvor vereinbart worden war.
Ein Problem hatten die Männer allerdings noch, und das war der Ruderschaden an der „Golden Hen“. Ein auf den ersten Blick lächerlich erscheinender Schaden, denn sie war „nur“ von einem Hai gerammt worden.
Diesen Blauhai hatten Tümmler gejagt, attackiert und gerammt, bis der Blauhai, blind vor Schmerz, in das Ruderblatt der „Golden Hen“ gekracht war. Das Ruderblatt war geborsten und nicht mehr zu gebrauchen. Das war die augenblickliche Lage an diesem Morgen in der Eight Miles Bay von Great Abaco.
Der grauhaarige Schiffsbaumeister Hesekiel Ramsgate wollte sich noch einmal persönlich den Ruderschaden ansehen. Mulligan hatte das neue Ruderblatt einschließlich der Beschläge bereits in Arbeit.
Als er von der „Wappen“ auf die „Golden Hen“ überstieg, erwarteten ihn die Männer bereits.
Jean Ribault schien etwas nervös zu sein, wie Hesekiel nach einem schnellen Blick feststellte. Aber auch die anderen Le Vengeurs fühlten sich ohne Ruder gar nicht wohl. Kein Wunder, dachte Hesekiel, ein Schiff ohne Ruder ist nicht mal mehr ein halbes Schiff.
„Bin gespannt“, sagte Jean Ribault nach der Begrüßung, „ob du auch der Ansicht bist, daß wir irgendwo aufslippen müssen. Mulligan meinte, das könne nicht unter Wasser repariert werden. Himmel, ich werde schon ganz kribbelig bei dem Gedanken, wir müßten jetzt mit dem Notruder ins Gefecht ziehen. Dann sind wir völlig wehrlos.“
„Sind ja auch noch ein paar andere Schiffe da“, sagte Hesekiel trocken. „Die nehmen dich dann schützend in die Mitte.“
„Wie die Herde ihr Junges, was?“
„So ähnlich“, sagte Hesekiel lächelnd. „Das kriegen wir schon wieder hin. Wie sieht es denn aus?“
Er betrachtete sich das Ruderblatt, mit dem Mulligan emsig beschäftigt war und das jetzt an Deck der „Golden Hen“ lag.
„Eine recht üble Sache“, meinte Mulligan. „Aber das betrachten wir uns besser von der Jolle aus.“
Sie enterten in die Jolle ab und verholten sie nach achtern zum Heck. Auch Jean Ribault war dabei. Sein Gesicht war immer noch kummervoll verzogen.
„Hier ist der Bursche wie ein Irrer hineingerast“, erklärte Mulligan. „Das Blatt ist total zerschmettert worden. Ich habe mir den Schaden auch weiter unterhalb angesehen, als ich tauchte. Die Ruderbeschläge und Ruderösen, einschließlich der Fingerlinge, sind teilweise aus dem Holz gebrochen oder total verbogen.“
Hesekiel lehnte sich weiter vor und tastete die Stelle ab. Durch das klare Wasser erkannte er etwas verzerrt, aber eindeutig den Schaden.
„Ja, die Fingerlinge, die die Beschläge und Ösen miteinander verbinden, sind tatsächlich stark in Mitleidenschaft gezogen. Das läßt sich unter Wasser nicht reparieren, beim besten Willen nicht.“
Ramsgate strich über seinen grauweißen Bart und sah noch einmal nachdenklich auf die Ösen und Fingerlinge. Dann schüttelte er nachdrücklich den Kopf.
„Er hat recht“, sagte er zu Ribault. „Ich bin auch der Ansicht, daß die ‚Golden Hen‘ gekielholt werden muß, wenn wir ihr ein neues Ruder einsetzen.“
„Hast du nicht einen anderen Trick auf Lager?“ fragte Jean.
„Nein, leider nicht. Das ist unumgänglich, Jean. Glaube mir, ich habe einen Blick dafür. Du kannst aber auch noch warten, bis Ferris Tucker hier ist, und dir dann seine Ansicht anhören. Sie wird mit Sicherheit nicht anders ausfallen.“
„Nein, ich glaube euch selbstverständlich. Ich dachte nur an die bevorstehende Heidenarbeit, wenn wir aufslippen.“
„Die ist leider damit verbunden.“
Ribault fand sich damit ab, aber es paßte ihm nicht. Die Karavelle mußte geleichtert werden, denn sie hatte noch die Schätze der Caspicara-Flores-Halunken an Bord, außerdem Pulver- und Weinfässer sowie zwölf Culverinen. Bis das alles von Bord ist, dachte er schaudernd, vergeht eine Ewigkeit.
„Die anderen packen ja mit an“, sagte Ramsgate, als hätte er Ribaults Gedanken erraten. „Es sind genügend Leute da, und es treffen auch noch etliche ein.“
„Na schön. Jetzt stellt sich nur die Frage, wo wir das Schiffchen flachlegen.“
„Auch dafür werden wir einen Platz finden. Kehren wir erst einmal an Bord zurück.“
Nach einem letzten Blick auf den Ruderschaft zogen sie sich mit der Jolle wieder an die Backbordseite zurück und enterten auf.
Hesekiel Ramsgate betrachtete lange Zeit nachdenklich den weißen, makellosen Strand der Bucht. Er warf dem in Gedanken versunkenen Franzosen einen schnellen Blick zu.
„Ich glaube, hier bietet sich einiges an“, sagte er bedächtig.
Jean Ribault nickte, griff zum Kieker und musterte ebenfalls den Strand der Eight Miles Bay, die im Nordosten vom Cherokee Sound begrenzt wurde.
Der Strand war von hinreißender Schönheit, mit Palmengruppen durchsetzt und teilweise dichtem Baumbestand der Abakoskiefern. Landeinwärts stieg das Land sanft an.
Interessiert ließ er seinen Blick weiterwandern, bis er den Kieker in die nordöstliche Richtung hielt.
Hesekiel musterte ihn von der Seite.
„Die Bay bildet dort oben offenbar eine hakenförmige Halbinsel“, murmelte Jean Ribault, „und der Haken wiederum scheint nach Südwesten umgekrümmt zu sein.“
„Scheint sich um ein geschütztes und fast lauschiges Plätzchen zu handeln“, sagte Ramsgate. „Vielleicht sollten wir uns das einmal aus der Nähe ansehen, um uns ein Urteil bilden zu können.“
„Ja, das sehen wir uns an – jetzt gleich.“
Jean Ribault setzte den Kieker ab und blickte in die Bucht. Neben ihm war Don Juan de Alcazar aufgetaucht. Auch der Spanier, der seit kurzer Zeit dem Bund der Korsaren angehörte, sah lange dorthin.
„Kann ich euch begleiten?“ fragte er. „Ich würde mir das auch gern einmal ansehen.“
„Selbstverständlich.“
Auch Roger Lutz wollte mit.
Ribault sah zu der „Empress“ hinüber, auf der Old O’Flynn und Martin Correa hockten. Während Martin etwas ausbesserte, hockte der alte O’Flynn völlig selbstvergessen da und starrte Löcher in die Luft. Er blickte so angestrengt in den Himmel, als würden die Englein dort einen lieblichen Reigen tanzen. Ganz verzückt sah der Alte aus, fast verträumt.
Er schaute auch nicht auf, als Mary O’Flynn an Deck erschien und ihn etwas fragte. Er nahm die drei Frauen, Gotlinde, Gunnhild und seine eigene, überhaupt nicht zur Kenntnis. Auch als Gotlinde und Mary in die Jolle stiegen, blickte er nicht auf.
„Wir segeln mal zur Nordostseite hinüber“, sagte Ribault zu Old O’Flynn. „In zwei Stunden sind wir wieder zurück. Wir suchen nach einem Platz zum Aufslippen.“
Old O’Flynn stierte weiterhin Löcher in den blauen Himmel. Offenbar tanzten die unsichtbaren Englein immer noch Reigen.
„He, Donegal!“ rief Jean Ribault.
Die resolute Mary O’Flynn, geborene Snugglemouse, rothaarig, langmähnig und mit einer prächtigen Reibeisenstimme ausgestattet, winkte lächelnd ab.
„Der hört heute nichts, Jean!“ rief sie hinüber. „Er sitzt offenbar auf seinen Ohren oder ist taub geworden. Ich verklare ihm schon seit einer Weile, daß wir ein paar Langusten fangen wollen, aber das hat er auch nicht kapiert.“
Ribaults bemerkte, daß Mary O’Flynn heute von einer selten gesehenen Fröhlichkeit und Aufgekratztheit war. Sie strahlte vor Lebenslust, und in ihren Augen stand ein eigenartiges Funkeln, wie Jean es noch nie an ihr gesehen hatte. Sie war ganz anders als sonst – vielleicht, weil Old Donegal heute auf seinen Ohren saß?
Na ja, ein bißchen merkwürdig ist der alte Kauz manchmal, dachte Ribault. Eigenartig und sonderbar, so daß man aus ihm nicht mehr schlau wurde. Vermutlich peilte er wieder ein bißchen hinter die Kimm und sah etwas, das anderen verborgen blieb.
Mary und Gotlinde, die Frau des Wikingers, enterten in die kleine Jolle ab und pullten näher zum Ufer, um Langusten zu fangen.
Auch das entging Old O’Flynn. Selbstvergessen und total in sich versunken hockte er auf der Gräting. Dann endlich bewegte er sich, aber nur, um einen Finger nachdenklich an die Nase zu legen und weiterzugrübeln.
„Er sitzt da wie ein nordischer Troll, der etwas ausheckt“, meinte Roger Lutz grinsend. „Jetzt hat er auch noch mehr Runzeln im Gesicht.“
„Das sind keine Runzeln“, widersprach Don Juan lächelnd, „das ist nur eine ganz besonders detailreiche Gesichtshaut, wie er sie immer beim Nachdenken hat.“
Als auch der zweite Anruf auf kein Echo traf, winkte Jean Ribault ab. Aber Martin Correa hatte verstanden und zeigte klar. Dabei grinste er über das ganze Gesicht.
Jean Ribault nahm noch das Lot mit, um an der Krümmung der Bucht die Wassertiefe zu loten.
Gleich darauf setzten sie Fock und Großsegel der Jolle und glitten über die Bucht.
Renke Eggens und Oliver O’Brien standen an Deck ihrer Schiffe und blickten ihnen nach.
Dicht unter Land segelten sie nordostwärts. Palmen säumten den langen Strand, die ihre kokosbehangenen Wipfel sanft im Wind wiegten. Hin und wieder war in großer Höhe ein Vogel zu sehen. Sonst sah alles wie unberührt aus, obwohl Mubaraks Schnapphähne hier lange Zeit gehaust hatten.
Von einem der zerstörten Flöße fanden sich noch ein paar Trümmer, die die Wellen an den Strand geworfen hatten. Backbord voraus stob ein Schwarm rosafarbener Flamingos hoch und entschwand in den Lüften.
„Herrlich“, sagte Ramsgate, der die Ruderpinne übernommen hatte und dicht unter Land ging. „Die Bucht da oben sieht sehr vertrauenerweckend aus.“
Roger Lutz lotete ein paarmal Tiefe, aber es gab genügend Wasser unter dem Kiel selbst für größere Schiffe.
Dann segelten sie in die Bucht hinein.
„Tatsächlich so, wie ich das durch den Kieker gesehen habe“, sagte Jean Ribault. „Die Eight Miles Bay bildet hier oben eine Bucht, die von einer von Nordosten nach Südwesten verlaufenden Halbinsel gegen Sicht von See her abgeschirmt wird. Seht euch das nur an.“
Sie merkten kaum, daß die Fock schlaff in sich zusammenfiel und die Jolle träge auf dem Wasser zu schaukeln begann. Sie saßen auf den Duchten und blickten nach Backbord hinüber.
Der Strand war hier immer noch schneeweiß, breit und sauber. Dort, wo er aufhörte, wuchsen die Abakoskiefern. Ein kleiner Wald begann. Der Kiefernbestand ging allmählich wieder in Palmengruppen und Buschwerk über. Auf den Dünenkämmen wuchs haferähnliches Gras, das sich wellenförmig vor dem leise säuselnden Wind beugte und wie sanft fließendes Wasser wirkte.
„Wir haben Nordostwind“, sagte Don Juan in die Stille hinein, „aber in der Bucht ist davon nichts zu spüren. Hier bläst wohl nur ganz selten der Wind hinein.“
„Und wenn – dann bestenfalls aus Westen oder Südwesten“, sagte Ribault nachdenklich. „Von See aus kann man hier jedenfalls nicht gesehen werden, und wenn eine ganze Flotte vorbeisegelt. Wie steht es mit der Tiefe, Roger?“
„Zwölf Faden fast konstant. Der Ankergrund ist reiner Sand.“
„Dann pullen wir mal ein Stückchen näher heran. Auf der Ostseite scheint es ein ziemlich großes Korallenriff zu geben.“
Wenn sie nach Steuerbord blickten, sahen sie die Schaumwirbel und Untiefen des Riffs. Immer wieder schäumte es dort auf, und kleine Wellen erschienen wie aus dem Nichts.
Diese korallengespickte Bank der Insel zog sich bis zur südwestlichen Spitze der Halbinsel hin. Hier kam niemand durch, bestenfalls bei Flut eine Jolle. Das langgestreckte Korallenriff verhinderte auf natürliche Weise, daß Schiffe näher an das Land herangehen konnten. Es war eine unüberwindliche Barriere aus rasiermesserscharfen Dolchen und Sägezähnen.
Sie pullten ein paar Schläge nordwärts und sahen sich um. Roger Lutz lotete erneut Tiefe. Diesmal waren es elf Faden mit immer noch sandigem Untergrund.
An der Nordseite der Bucht war der Strand flach, während er auf der Südseite, gebildet durch die Halbinsel, etwas steiler war. Auch die Ostseite, die sich der See zukehrte, war steiler.
Hier wehte nur noch ein kaum spürbares Lüftchen, das nicht einmal das Focksegel zum Killen brachte. Immer noch hing es faltig und fast unbeweglich am Mast.
Die Männer sahen sich an und grinsten. Sekundenlang herrschte eine fast andächtige Stille. Jeder begutachtete das Plätzchen, das so verlockend schien.
Hesekiel Ramsgate rieb sich die Hände. Sinnend sah er über das Wasser zum Strand.
„Das wäre doch etwas für uns, meint ihr nicht auch?“ fragte er. „Die Bucht bietet Platz für alle Schiffe des Bundes, die Wassertiefe ist mehr als ausreichend, und als Ankergrund haben wir feinen Sand, den man sogar von der Jolle aus erkennen kann.“
Hesekiel Ramsgate sprach damit genau das an, was Hasard schon geplant hatte: nämlich hier oben nach einem Stützpunkt zu suchen, einem Ersatz für die untergegangene Schlangen-Insel.
„Ja, das wäre ein feiner und idealer Platz“, meinte Ribault nachdenklich, wobei er immer noch in die Runde blickte.
„Hier ließe sich auch gut aufslippen“, sagte Old Ramsgate mit einem feinen Lächeln. „An den mächtigen Kiefern könnte man zum Beispiel schwere Taljen anschlagen. Das Schiff dann auf den Nordstrand zu ziehen und abzupallen ist ebenfalls kein Problem.“
Don Juan und Roger Lutz waren von diesem „Plätzchen“ ebenfalls total begeistert. Roger Lutz stierte ins Wasser und zeigte immer wieder auf Langusten, die sich verzerrt durch das Wasser spiegelten.
„Hier sitzen die Viecher massenweise“, sagte er, „da brauchen die Frauen erst gar nicht lange zu suchen. Man kann sie einfach mit Keschern vom Grund holen.“
„Kehren wir um und erzählen es den anderen“, sagte Don Juan. „Ich denke, sie werden ebenso begeistert sein wie wir. Auch Hasard wird später angenehm überrascht von unserer Entdeckung sein.“
„Dann laßt uns mal zum Wind pullen, damit wir die Neuigkeit verbreiten können“, sagte Ribault, der es jetzt plötzlich sehr eilig hatte.
Sie pullten bis zu jener Stelle, wo der Nordostwind wieder einsetzte.
Der Wind fuhr in die beiden Segel und blähte sie. Mit rascher Fahrt ging es zurück, bis sie wieder bei den anderen waren.
Ribault und Don Juan berichteten dem interessiert lauschenden Renke Eggens und dem ebenfalls neugierig zuhörenden Oliver O’Brien von der Abgeschiedenheit und Ruhe der Bucht. Da läge man auch nicht wie hier auf dem Präsentierteller, sondern sei vor allen neugierigen Blicken absolut geschützt.
„Dann sollten wir sofort in jene Bucht verholen“, schlug Renke Eggens vor.
O’Brien, der kein Freund vieler Worte war, nickte ebenfalls.
„Verholen wir“, sagte er, „es ist ja nicht weit.“
Noch am Vormittag war alles erledigt. Innerhalb kurzer Zeit hatten alle Schiffe in die schützende Cherokee-Bucht verholt und gingen vor Anker.
Die „Golden Hen“ ankerte dicht unter dem Nordufer, an jener Stelle, wo sie auf den flachen Strand gezogen werden sollte.
Der Platz war gut zum Aufslippen, daran gab es nichts zu bemängeln. Er war geradezu ideal. Aber Jean Ribault war von der ganzen Angelegenheit trotzdem nicht sehr begeistert. Das alles würde einige Tage dauern.
„Halb so schlimm“, sagte Hesekiel wieder, der Jean Ribaults unmutiges Gesicht sah. „Bis heute nachmittag sind wir mit den gröbsten Arbeiten fertig. Ich denke, daß wir morgen etwa um die gleiche Zeit das Schiff auf den Strand ziehen können.“
„Dein Wort in Gottes Ohr“, brummte Jean. „Schließlich müssen wir die Karavelle auch noch abpallen, und dazu brauchen wir Pallhölzer. Bis wir die gesägt haben …“
„Haben wir doch alles an Bord, Jean. Wir haben zwei Holzladungen nach Deutschland in Havanna gestaut. Die angeblich nach Deutschland gehen sollen“, sagte Hesekiel sanft. „Wir schlagen ein paar schwere Taljen am Bug der Karavelle an und ziehen sie zu den breitstämmigsten Kiefern Hinüber. Aber vorerst leichtern wir das Schiff und nehmen alles von Bord. Die anderen haben ihre Beiboote schon abgefiert und werden alle kräftig mit anpacken.“
Jean Ribault sah zu den Kiefern hinüber. Da gab es eine, die ganz besonders ins Auge fiel, eine sehr hohe Kiefer, die auf einem Hügel der Halbinsel stand. Sie hatte eine dichte und breit gefächerte Krone.
„Bevor wir anfangen“, sagte Jean, „sollten wir einen Ausguck einrichten. Ich denke dabei an die Kiefer dort drüben. Dort kann ein Mann bequem in der Krone sitzen und Ausschau halten, ohne daß er selbst gesehen wird. Das könntest du für die ersten paar Stunden übernehmen, Roger“, sagte er. „Grand Couteau kann dich später ablösen, aber der Ausguck ist wichtig, dafür müssen wir zuallererst sorgen.“
„Ich möchte wetten“, sagte Roger nachdenklich, „daß uns die anderen Kameraden nicht einmal sehen, wenn sie hier vorbeisegeln, so gut geschützt sind wir von der Halbinsel.“
Kurz darauf brachte ihn eine Jolle zum Strand. Er war mit einem Spektiv bewaffnet und stieg in die Kiefer, wo er es sich in der breiten Krone gemütlich einrichtete und seinen Posten bezog. Von hier aus konnte er alles überblicken und war selbst vor den Blicken anderer vorzüglich geschützt.
Mit den Arbeiten wurde auf der „Golden Hen“ auch sogleich begonnen, nachdem alle Schiffe ihre Jollen abgefiert hatten.
Als Roger Lutz seinen Ausguck bezogen hatte, begann man damit, die Schatzbeute der beiden Schnapphähne Caspicara und Flores auszuladen und an Land zu bringen. Die Männer von O’Brien und Renke Eggens kamen mit den Jollen längsseits und brachten Truhen, Kisten und Fässer an Land.
Mit einer anderen Jolle wurden ebenfalls Pallhölzer zum Strand gebracht und gestapelt.
Danach begann die Plackerei mit den schweren Geschützen, die mühsam abgefiert wurden. Den Männern lief bereits der Schweiß in Bächen über die Körper.
Von den Schiffen des Geleitzuges, der nach Porto Bello unterwegs gewesen war, hatten sie noch Fässer voller Schießpulver und Wein, die ebenfalls an Land gebracht werden mußten.
Eine Stunde nach der anderen verrann mit harter Arbeit. Und noch war kein Ende abzusehen.