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Aus der Reihe: PatchWords #1
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Britta Bendixen

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25 Kurzgeschichten

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Vorwort

Kurioses

Paradies

Blütengeflüster

Kiwi

Einfach kann doch jeder

Quid pro quo

Kriminelles

Ein hochprozentiger Fall

Nur das Mondlicht war Zeuge

Der Geheimgriff

Der gekaufte Mord

Eine Minute zuviel

Herzliches

Der Trick mit dem X-5000

Im Zweifel für die Liebe

Gruseliges

Der Teufel soll dich holen!

Die Prophezeiung

Feenaugen und Elfenflügel

Märchenhaftes

Meine Suche nach Dornröschen

Die drei kleinen Schweinchen

Mein rotes Käppi, der Wolf und ich

Dramatisches

Der erste Schritt

Scherbenwelten

Historisches

Die Kräuterfrau

Die Frau des Kreuzritters

Ein später Gast

Die Sterne lügen nicht

Die letzten Zehntausend

Danksagung

Impressum neobooks

Vorwort

Lieber Leser,

seit ich mich mit dem Schreibvirus infiziert habe, das war im Mai 2012, habe ich nicht nur Romane geschrieben, sondern auch eine erstaunliche Anzahl an Kurzgeschichten ‚verzapft‘.

Eine Auswahl davon – nämlich die, die bei Wettbewerben gewonnen haben und / oder zu meinen persönlichen Favoriten gehören - sind in diesem Buch versammelt. Ich habe sie unterteilt, in Krimi, Historisches usw. So kannst du immer das lesen, wonach dir gerade der Sinn steht. Manchmal möchte man ja lieber eine Liebesschnulze lesen, an anderen Tagen ist man sozusagen in „Horror“-Stimmung.

Ich denke, dass für jeden Geschmack etwas dabei ist. Und ich hoffe, dass der Krimi-Leser auch mal einen Blick auf die historischen Geschichten wirft bzw. der Liebesschnulzen-Liebhaber sich an die Horror-Storys wagt.

Auf jeden Fall wünsche ich viel Spaß und spannende Unterhaltung – bei allen Geschichten!!

Britta Bendixen

Handewitt, im Sommer 2015

Kurioses

Eine Frage raubt mir den Verstand:

Bin ich verrückt, oder alle anderen im Land?

Albert Einstein

Paradies

„Name? Alter? Herkunftsland?“

„Frank Fischer. 54 Jahre. Deutschland.“

„Todesursache?“

„Ich … äh, ja also, Herzinfarkt.“

Der Empfangsengel überreicht ihm ein Schild und Frank ver­sucht, es an sein Jackett zu heften.

„Dauert das noch lange?“, brummt jemand hinter ihm.

„Bin ja schon fertig.“

„Das wird auch Zeit, verdammt! Ich warte hier seit … He! Wieso zum Teufel hat meine Uhr keine Zeiger mehr?“

„Meine Herren!“ Der Empfangsengel ist ungehalten. „Uhren brauchen Sie nicht mehr. Und noch etwas …“ Er sieht den Herrn mit den verschwundenen Zeigern an. „Fluchen ist an diesem Ort nicht erwünscht. Wenn Sie aber Wert darauf legen, können Sie der Entscheidung gerne vorgreifen.“

Der Mann ohne Zeiger erstarrt.

„Und was passiert jetzt mit mir?“, fragt Frank.

„Sie werden in Kürze aufgerufen.“

Frank nickt dem Engel zu und sieht sich um. Alles hier ist hell, weich und friedlich. Leise Musik schwingt in der Luft.

Ein Engel winkt ihn zu sich. Er kommt Frank vage bekannt vor. Zögernd geht er auf ihn zu.

„Hallo, Frank!“

„Hi. Kennen wir uns?“

„Allerdings.“ Der Engel runzelt die Stirn. „Du weißt es nicht mehr, stimmt‘s?“

Frank denkt kurz nach. „Tut mir leid“, sagt er. „Ich kann mich nicht erinnern.“

„Sommer 1977. Campingurlaub auf Sylt?“

Frank sieht ihn ratlos an und der Engel seufzt. „Die Nacht, in der die Imbissbude abgebrannt ist. Na, klingelt es?“

Franks Augen weiten sich. Sein Gesicht wird puterrot. „Tim?“

„Tom!“

„Entschuldige! Natürlich, Tom.“

„Was ist, soll ich dich ein bisschen herumführen?“

Frank zuckt mit den Achseln. „Warum nicht.“

Sie gehen ein paar Schritte.

„Wir haben drei Bereiche. Dies ist der größte.“

Tom weist nach rechts, wo Börsenberichte und Nachrichten über Bild­schirme flimmern und Leute vor Computern sitzen.

Augen flackern, Finger huschen über Tastaturen, Smartphones und Tablets.

Frank staunt. „Sag bloß, es gibt auf virtuellem Weg noch Kontakt zur Erde.“

Tom lächelt. „Oh nein. Es ist nur eine Art Placebo. Aber sehr beliebt.“

Sie gehen weiter. Ab und zu erklingt eine Durchsage wie auf einem Bahnhof, nur lieblicher.

„Warum hast du nie angerufen?“, fragt Tom leise. „Ich hab echt gelitten, weißt du? Ich dachte, das mit uns wäre was Be­sonderes.“

Frank hüstelt. „Das war es auch.“

„Unsinn. Du wusstest ja nicht einmal mehr meinen Namen.“

„Entschuldige. Aber nach dem Urlaub damals begann meine Ausbildung“, versucht er zu erklären. „Ich hatte kaum noch Privatleben.“

„Ja, du warst sehr erfolgreich, ich weiß. Ich hab dich mal ge­googelt. So, hier ist der nächste Bereich.“

Er wirkt wie ein riesiges Wohnzimmer, mit Sitzecken und Sesseln aus knautschig-weißen Wolken. Es gibt Grünpflanzen, Spiele und nur wenige Fernsehgeräte, auf denen sich zufrie­dene Menschen Serien und Spielshows von früher ansehen.

„Hier sind all die, die ihr Leben lang hart gearbeitet, aber keine Ahnung von Computern haben. Die Generationen unserer Eltern und Großeltern. Es kommen nur noch selten Neue.“

„Bist du … schon lange hier?“

„Ja, eine Weile. Ein Porsche hat mich umgenietet.“ Tom führt ihn um eine Ecke. „Hattest du nicht auch einen?“

Frank schweigt.

Stolz zeigt Tom den letzten Bereich. Hier leben Mensch und Tier friedlich Seite an Seite, Löwen und Schafe, Katzen und Spatzen. Alle wirken glücklich und entspannt. Es gibt keine elektronische Unterhaltung, dafür Natur, Musik und Tanz. Und fröhliches Ge­lächter.

„Das ist aber schön hier!“ Frank ist begeistert. „Warum ist dies die kleinste Abteilung?“

Eine melodische Stimme ertönt, bevor Tom antworten kann.

Frank Fischer bitte an Schalter 2.

Franks Lächeln gefriert. „Oje, das bin ich.“ Unsicher schaut er sich um.

„Schalter 2 ist dort. Wir sehen uns später.“

„Warte! Was ist das für ein Aufzug daneben?“

Tom lächelt geheimnisvoll. „Den dürfen nur ganz spezielle Men­schen benutzen. Hoffen wir, dass du nicht zu ihnen gehörst.“

Schon ist er verschwunden. Hat sich einfach in Luft aufgelöst.

Frank sieht wieder zum Fahrstuhl. Davor steht ein Mann mit pani­schem Blick. Franks Augen werden schmal. Er kennt ihn. Das ist Karl Abel, der Makler! Von ihm hat er damals den Tipp mit dem Konto bekommen.

 

Ein Engel hält Karls kräftigen Arm und drückt einen Knopf. Die Tür geht auf.

Abel versucht sich loszureißen und brüllt: „Nein, ich will nicht! Lass mich los, du Miststück!“

Mühelos schiebt der Engel den Makler in die Kabine und drückt einen roten Knopf. Die Tür schließt sich und ein greller gespen­stischer Schrei erfüllt die Luft.

Auf Franks Armen bildet sich Gänsehaut. Zögernd tritt er an Schalter 2.

Was hat Abel bloß angestellt, dass er in diesen Aufzug … ?

„Willkommen, Herr Fischer. Ich habe hier Ihre Statistik“, unterbricht der Engel am Schalter seine Gedanken.

„Hier steht: 17 gebrochene Herzen, 56.243 Lügen, 378.500 Euro an hinterzogenen Steuern und 13 Feinde.“ Der Engel hebt eine Augenbraue. „Einige waren auf Ihrer Beerdigung, um sicherzugehen, dass Sie auch wirklich tot sind.“

„Wie nett, dass Sie mir das erzählen.“ Frank lächelt gequält und schielt hinüber zu dem Fahrstuhl, der ihm vertraulich zuzuzwinkern scheint.

So als wolle er sagen „Ich warte auf dich …“

Sein Kragen ist viel zu eng. Er kriegt keine Luft.

Auf einmal ist Tom neben ihm und Frank zuckt zusammen. Wo kam der so plötzlich her?

„Und?“, will Tom von dem Engel wissen. „Welche Abtei­lung?“

Der Engel gibt ihm einen Zettel und Tom wirft einen Blick darauf. „Das dachte ich mir“, sagt er mit einem leisen Seufzer und nimmt Franks Arm.

Frank wird heiß. Sehr heiß. Er zerrt an seinem Krawattenkno­ten und keucht.

Tom steuert ihn in Richtung Aufzug.

Frank wird übel. Kann einem Toten schlecht werden? Kann sein Herz rasen? Dieses verdammte Schweizer Konto!

Der Aufzug. Er will da nicht rein! Hilfesuchend sieht er zu Tom. Der achtet nicht auf ihn und geht langsam weiter, an dem Fahrstuhl vorbei.

Franks Beine drohen vor Erleichterung nachzugeben.

Als sie die große Computer-Abteilung erreichen, fällt ihm etwas ein.

„Du hast vorhin meine Frage nicht beantwortet. Warum ist der schönste Bereich hier gleichzeitig der kleinste?“

Tom weist in den Raum, in dem die Menschen statt zu kom­munizieren auf Bildschirme starren.

„Hier kannst du es googeln. Gib einfach ‚Himmelpe­dia.gott/Paradies‘ ein. Alles Gute, Frank. “

ENDE

Blütengeflüster

„Marie! Hier bin ich.“

Marie wandte den Kopf und sah ihre beste Freundin winkend an einem Tisch am Fenster sitzen.

„Hier war ich noch nie“, gestand sie, nachdem sie Eva begrüßt und sich hingesetzt hatte.

„Der Laden ist klasse“, sagte Eva. „Ich war schon oft hier. Tolles Essen, netter Service.“

Marie sah sich um. Das Restaurant war gemütlich eingerichtet und gut besucht.

Eva beugte sich vor. „Jetzt erzähl. Wie war der Mallorca-Ur­laub?“

„Sehr schön, obwohl Daniel nicht mitfahren konnte. Aber vielleicht können wir die Flitterwochen dort verbringen.“

Ein Kellner trat an ihren Tisch. Er hatte strohblonde, verwu­schelte Haare und blitzende blaue Augen. „Hallo. Haben Sie sich schon entschieden?“

„Ich nehme den Blütensalat mit Putenbruststreifen“, sagte Eva. „Und ein Mineralwasser.“

„Blütensalat?“, wunderte sich Marie und überflog die Speise­karte. „Was ist das denn?“

„Oh, der ist köstlich, du musst ihn unbedingt probieren. Ess­bare Blüten sind der letzte Schrei.“

„Wenn du meinst …. Also gut, warum nicht.“

Marie klappte die Karte zu und wandte sich an den Kellner. „Das nehme ich auch.“

„Gute Wahl“, nickte er und lächelte ihr zu.

Zwanzig Minuten später wurde das Essen serviert. Nach einem prüfenden Blick auf den bunten Teller spießte Marie eine orangefarbene Blüte auf.

„Sieh mal, Eva, so eine hast du gar nicht.“

„Sicher schmeckt sie trotzdem“, beruhigte ihre Freundin sie.

Gespannt schob sich Marie die Blüte in den Mund und begann vorsichtig zu kauen. Sie schmeckte wirklich gut.

Eva trank einen Schluck Mineralwasser. „Hat Daniel dich denn gestern angemessen empfangen?“

Marie nickte langsam. „Er schien sich zu freuen und hat Spag­hetti für uns gekocht.“

Eva hob verwundert eine ihrer perfekt geschwungenen Augen­brauen. „Er schien sich zu freuen?“

Marie nickte ernst. „Na ja, er war mit seinen Gedanken oft woanders. Bestimmt bei der Arbeit. Diese Kampagne hat es in sich, schließlich konnte er deswegen nicht mal seinen Urlaub antreten. Sicher gibt es Probleme, mit denen er mich nicht belasten will.“

Eva senkte den Blick auf ihren Teller und stocherte im Salat herum. „Gut möglich.“ Wie naiv sie doch ist. Was wird sie wohl sagen, wenn sie erfährt, dass Daniel, statt mit ihr nach Mallorca zu fliegen, mit mir nach Sylt gefahren ist?

Marie runzelte die Stirn. „Was hast du gesagt?“

Eva hob den Kopf. „Ich sagte: Gut möglich, dass er dich nicht mit seinen Problemen belasten will.“

„Hast du nicht noch etwas mehr gesagt? Irgendwas mit Mal­lorca und … Sylt?“

Eva schüttelte nachdenklich den Kopf. „Nein. Bestimmt nicht.“

Hab ich etwa laut gedacht? Hoppla, ich muss besser aufpas­sen!

Marie starrte ihre Freundin mit offenem Mund an.

Eva legte ihre Gabel hin und ergriff die Hand ihrer Freundin. „Marie, Liebes, was ist denn auf einmal mit dir? Du bist ja ganz bleich.“ Besonders braun ist sie im Urlaub sowieso nicht geworden. Hat sich wahrscheinlich nur im Schatten aufgehal­ten. Na ja, empfindlich war sie ja schon immer.

Marie entzog Eva ihre Hand und stand auf. „Ich glaube, ich – muss mal zur Toilette.“

„Tu das.“ Eva lehnte sich zurück. Hoffentlich hat sie keinen Virus aus Spanien mitgebracht. Ich muss mir gleich mal die Hände waschen gehen.

Marie sah Eva an wie eine Fremde.

„Entschuldige mich“, murmelte sie und ging mit weichen Knien auf die Waschräume zu.

Sie schloss sich in eine der Kabinen ein, ließ sich auf den Toi­lettendeckel sinken und versuchte herauszufinden, was gerade geschehen war. War das ein kosmischer Scherz? Wieso konnte sie hören, was Eva dachte? Und was sollte der Unsinn, dass Daniel mit ihr auf Sylt gewesen sei? Er mochte sie doch nicht einmal und nannte sie immer nur ‚die zickige Eva‘.

Marie massierte sich die Schläfen. Gedankenlesen! Das war doch verrückt. Hatte sie sich irgendwann den Kopf angeschla­gen und diese akustischen Halluzinationen waren die Folge einer nicht auskurierten Gehirnerschütterung?

Hoffentlich war es so. Die Dinge, die sie zu hören geglaubt hatte, waren erniedrigend und boshaft gewesen.

Eva war doch seit vielen Jahren ihre beste Freundin. Hatte sie sich all die Jahre in ihr getäuscht?

Das konnte nicht sein. Sicher war das eben nur Einbildung gewesen. Das war die einzige vernünftige Erklärung für dieses … diesen … was auch immer das war.

Sie wollte gerade aufstehen, als sich die Tür zu den Wasch­räumen öffnete. Jemand näherte sich und verschwand in der Nebenkabine. Marie rührte sich nicht, ohne zu wissen, warum. Sie hörte, wie die Tür verriegelt wurde, dann das Rascheln von Kleidungsstücken und ein leises Seufzen.

Gleich werde ich es ihm sagen. Oh Gott, ich wünschte, ich wüsste, wie er reagiert. Wenn er mich zu einer Abtreibung überreden will, drehe ich ihm den Hals um.

Marie starrte mir aufgerissenen Augen an die Kabinenwand. Offenbar konnte sie doch Gedanken lesen, nicht nur Evas, sondern auch die von anderen. Das war zuviel! Mit zitternden Fingern betätigte sie die Spülung und verließ eilig den Wasch­raum.

Der blonde Kellner kam ihr entgegen. Ah, da ist die hübsche Dunkle ja wieder. Aber warum sieht sie so verstört aus?

„Geht es Ihnen gut?“, fragte er besorgt. „Ist der Salat nicht in Ordnung?“

Marie starrte ihn an. „Doch, er ist … danke. Alles gut“, stam­melte sie und ging weiter.

Alles gut!? Nichts war gut, absolut gar nichts!

Eva sah ihr mitleidig entgegen. „Geht’s dir besser?“ Was hat sie denn nur? Sie sieht ja furchtbar aus.

„Danke“, murmelte Marie verärgert und ließ sich auf ihren Stuhl sinken. „Mir ist wohl was auf den Magen geschlagen.“ Vermutlich deine hinterhältige Verlogenheit!

Sie widmete sich wieder ihrem Salat und beobachtete aus den Augenwinkeln ihre Freundin, die genüsslich ihren Salat ver­speiste. Dabei hielt Marie die Ohren gespitzt. Sie brauchte nicht lange zu warten.

Hoffentlich sagt Daniel ihr bald die Wahrheit. Ich halte diese Heuchelei nicht mehr lange aus. Nach Feierabend werde ich ihn anrufen und … ach, Mist, dann ist Marie ja zu Hause und wir können nicht reden. So geht es nicht weiter, ich …

„Was hat sich denn bei dir in der letzten Woche so getan?“, fragte Marie und rang sich ein Lächeln ab. Sie hatte Evas Ge­danken einfach unterbrechen müssen. Noch eine Unver­schämtheit mehr und sie wäre ihrer ‚besten Freundin‘ an die Kehle gesprungen!

„Oh, nicht viel. Alles wie immer.“ Eva sah auf ihre Armband­uhr, trank ihr Glas leer und tupfte sich den Mund mit einer Serviette ab. „Du, tut mir leid, aber ich muss los, meine Mit­tagspause ist gleich vorbei.“ Sie stand auf und gab Marie einen Kuss auf die Wange.

Genau wie Judas, dachte Marie angewidert.

Erst am späten Nachmittag kam sie zu Hause an. Sie war noch im Stadtpark spazieren gegangen, und wenn jemand an ihr vorbei gekommen war, hatte sie auch dessen Gedanken gehört. Wo kam diese plötzliche Fähigkeit her, zum Kuckuck?

Sie sah wieder den netten Kellner vor sich, hörte ihn fragen, ob der Salat nicht in Ordnung sei. Der Salat! Lag es daran, an diesen Blüten? Vielleicht an der einen, die Eva nicht gehabt hatte?

Sie hörte Daniels Schlüssel im Schloss. Langsam stand sie auf und ging ihm entgegen. Ihr Herz raste.

„Hi, Schatz“, sagte er fröhlich, schloss die Tür und gab ihr einen Kuss.

Noch ein Judas, schoss es Marie durch den Kopf.

„Wie war dein letzter Urlaubstag?“ Sie sieht aus, als hätte sie schlechte Laune. Das kann ich jetzt echt nicht brauchen.

„Sehr interessant“, sagte Marie langsam. „Ich habe mit Eva zu Mittag gegessen.“

Er legte seinen Schlüssel auf die Kommode und stellte seine Aktentasche daneben. „Wie geht‘s ihr?“ ‚Interessant‘ hat sie gesagt. Das klingt nicht gut. Hat Eva etwa gebeichtet? Hof­fentlich nicht!

Marie verschränkte die Arme, um sich davon abzuhalten, auf ihn loszugehen.

Es stimmte also. Ein kleiner Teil von ihr hatte noch immer gehofft, dass alles nur ein schrecklicher Irrtum war.

Sie biss sich auf die Unterlippe, um nicht vor Wut und Enttäu­schung aufzuschreien.

„Es geht ihr prima“, brachte sie mühsam hervor. „Sie ist offen­sichtlich frisch verliebt.“

„Aha. Soso.“ Daniel sah an ihr vorbei in die Küche und rieb sich die Hände. „Was gibt es zu essen?“

Marie hätte ihn am liebsten erwürgt.

„Wie wäre es mit knusprigem Lumpbraten und zarten Be­schissböhnchen?“, grollte sie.

Irritiert drehte er sich um. „Wie bitte?“

Sie fixierte ihn kühl. „Was bist du nur für ein feiger Schuft. Ich weiß es, Daniel.“

Ich hab’s geahnt. Verdammt, Eva! Wir hatten doch abgemacht, dass ich mit Marie rede. Ich bin noch nicht soweit!

Unschuldig sah er sie an. „Wovon redest du, zum Teufel?“

„Das weißt du genau. Von dir und meiner besten Freundin.“

„Du glaubst, dass Eva und ich …?“ Daniel schnaubte entrüstet. „Wie kommst du nur auf so eine schwachsinnige Idee?“

Er war wirklich überzeugend. Unter anderen Umständen wäre sie ihm glatt auf den Leim gegangen.

„Ich weiß, dass ihr auf Sylt gewesen seid, als ich weg war.“

Er tippte sich an die Stirn. „Das ist albern, Marie. Ich konnte nicht mit in den Urlaub, weil ich arbeiten musste. Das weißt du doch. Warum sollte ich also mit Zicken-Eva nach Sylt fah­ren?“

Ach ja, Sylt. Evas nackter Körper im Meer, die heißen Nächte im Hotel …

„Heiße Nächte im Hotel, ja?“, fauchte Marie. „Du kotzt mich an, Daniel.“

Er starrte sie an wie einen Geist. „Was hast du da gesagt?“

„Du hast mich schon verstanden.“

Sie musterte ihn voller Verachtung. „Ich muss hier raus. Wenn ich wiederkomme, bist du verschwunden. Für immer.“

Es dämmerte bereits, als sie das Restaurant betrat. Der Kellner mit den blonden Wuschelhaaren saß am Tresen und trank ein Bier. Marie trat auf ihn zu. „Hallo. Schon Feierabend?“

 

„‘Schon‘ ist gut.“ Er drehte sich um, erkannte sie und strahlte. „Oh, hallo! Haben Sie etwas vergessen heute Mittag?“

Sie schüttelte den Kopf. „Ich würde nur gern mehr über die Blüten erfahren, die in dem Salat waren.“

Er ließ sich seine Verwunderung nicht anmerken. „Ach so. Warten Sie, ich hole den Koch.“

Komischer Grund. Egal. Hauptsache, sie ist hier.

Er rutschte vom Hocker und ging in die Küche.

Der Barkeeper sah ihm nach. Andys Hintern ist zum Anbeißen. Zu schade, dass er hetero ist.

„Möchten Sie was trinken?“, fragte er Marie. Ich wette sie trinkt Weinschorle.

„Ich mag Weinschorle, doch im Moment ist mir nach etwas Stärkerem“, sagte sie matt. „Einen doppelten Whisky bitte.“

„Äh …“ Der Barkeeper blinzelte. „Kommt sofort.“

Als er ein Glas vor Marie abstellte, trat Andy trat mit einem unwirsch dreinblickenden Mann aus der Küche. „Sie wollten mich sprechen?“

„Ja.“ Sie trank einen Schluck. Ah, tat das gut! „Würden Sie mir verraten, welche Blüten Sie für ihren Salat verwenden?“

„Das ist kein Geheimnis. Kornblumen, Kapuzinerkresse, Zitronenbaumblüten und Ringelblumen.“

„Könnte da auch noch eine andere Blüte dabei gewesen sein, eine ähnliche?“

„Unwahrscheinlich.“

„Aber möglich ist es?“

„Möglich ist alles.“

„Was für eine Blüte könnte das gewesen sein? Wissen Sie das?“

Mann, die kann nerven! „Keine Ahnung. War das alles? Ich hab Steaks in der Pfanne.“

„Ja, das war alles, danke.“ So ein Widerling!

Er brummte etwas und verschwand. Andy setzte sich zu Marie.

„Es geht mich ja nichts an, aber warum wollten Sie das wis­sen?“

„Das ist eine lange und verrückte Geschichte.“ Sie trank noch einen Schluck. „Ich hatte einen grässlichen Tag und vielleicht hatten die Blüten damit etwas zu tun.“

„Sie sind Ihnen nicht bekommen? Das tut mir leid.“

„Nein, das ist es nicht. Körperlich geht es mir gut.“

Sie … ein wenig durcheinander … sein. Und … sieht … aus.

Marie sah ihn prüfend an. Andys Gedanken klangen wie eine gestörte Telefonverbindung. Ließ die Wirkung der Blüten nach? Auch gut. Für einen Tag hatte sie wahrlich mehr als genug gehört.

„Kann ich Ihnen helfen?“, erkundigte er sich.

„Kaum“ seufzte sie. „Mein Verlobter schläft mit meiner Freundin.“

Andy schnalzte mit der Zunge. „Das tut mir leid!“

„Danke. Und wie sieht nun Ihre Hilfe aus?“

Er dachte einen Augenblick lang nach. „Wir könnten uns unter­halten“, schlug er schließlich vor und lächelte charmant. „Ich kann gut zuhören.“

„Tatsächlich?“

„Oh ja. Ich studiere nämlich Psychologie. Hier arbeite ich nur nebenbei. Also, wie wäre es? Lust auf Herz ausschütten? Wie wäre es beim Chinesen?“

„Sie können wohl Gedanken lesen“, schmunzelte sie. „Ich liebe chinesisches Essen.“

ENDE