Dame und Schwein

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Dame und Schwein
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»Dame und Schwein«, ist ein phantasievoller und ironischer Reigen, dessen sechs Erzählungen ein Wechselspiel von Eros und Sprache sind. Auf der Suche nach einer erotisierend-provozierenden Anregung für eine neue Geschichte, bittet ein Dichter seine treue Leserin und Buchhändlerin um die detailgetreue Nachstellung des bekannten Aktbildes »Pornocratès« von Félicien Rops in seiner Wohnung.

Bodo Kirchhoff ist nicht nur als Verfasser groß angelegter Romane bekannt, auch in der Kurzform brilliert der renommierte Stilist seit mehreren Jahrzehnten.

Von der kompromisslosen und polarisierenden Radikalität des Frühwerks, das mit sezierendem Blick gesellschaftlichen Randfiguren nachspürt, wird der Leser zunehmend in einen umfassenderen Handlungsrahmen geführt, hinein in einzigartige Augenblicke einer Ehe, Momentaufnahmen einer Familie. Lakonisch, präzise und geprägt von einer subtilen Hintergründigkeit schreibt der Autor immer auch über die Schwierigkeit, eine gemeinsame Sprache zu finden.

Bodo Kirchhoffs Erzählungen sind eine literarische Kostbarkeit, anhand derer die Entwicklung des Autors vom »bad boy« der Literatur zu einem der profiliertesten Schriftsteller der Gegenwartsliteratur lesend nachvollzogen werden kann.

»Ein breites Spektrum, das in diesem Erzählwerk von Bodo Kirchhoff zu entdecken ist und ein Hochgenuss für die Leser.« (Hessischer Rundfunk)

»Jede einzelne Erzählung ist lesenswert. In ihrer Gesamtheit sind sie ein literarisches Autorenportrait der Sonderklasse.« (Kölnische Rundschau)

»Kirchhoff ist ein Meister erotischen Erzählens, was heutzutage nicht oft vorkommt.« (Deutschlandradio Kultur)

»Kirchhoff ist grandios beim Ausloten menschlicher Gefühle. Er nutzt das Körperliche und Triebhafte, um unser Wesen zu erkunden.« (Mannheimer Morgen)

Inhalt

Dame und Schwein

Elende Schwächen

Eine geistige Übung

Verdammte Marie

Hundenarr

Fischgeschichte

Dame und Schwein

Als der mutlos gewordene Schriftsteller P., dessen Frühwerk Die Achsel mit dem Literaturpreis der Stadt O. bedacht worden war, eines Abends beim Durchblättern alter Magazine auf das Bild Die Dame mit dem Schwein von Félicien Rops stieß, sah er plötzlich einen Weg, die verlorengegangene Schärfe zurückzugewinnen. Schon in den nächsten Tagen wollte er das Motiv mit einer geeigneten Dame und einem ausgewachsenen Schwein in seiner Neubauwohnung nachstellen, um dadurch Anregung für ein Buch zu erhalten.

Es war die Nacht zum Frühlingsanfang neunzehnhundertvierundachtzig, und P. betrachtete die Reproduktion einer Radierung aus dem Jahre achtzehnhundertsechsundachtzig. Auf dem blaßblauen Hintergrund schwebten Putten; darauf könnte man verzichten, sagte er sich. Dame und Schwein, durch eine feine weiße Linie miteinander verbunden, waren in den gleichen milden Fleischtönen gemalt, eine Übereinstimmung, die er als Quelle der Aufgeladenheit des Motivs verstand. Sie erschien ihm so notwendig wie die wenigen Kleidungsstücke, welche der Maler ins Bild gesetzt hatte. Die Dame trug schwarze, halblange Strümpfe und ebensolche Handschuhe, die ein Glanz überzog; zudem in Rippenhöhe eine Schärpe und auf dem Kopf einen pelzbeladenen Hut. Und sie hatte eine Binde um die Augen. Trotz dieser reizvollen Behinderung schien sie dem Tier in keiner Weise ausgeliefert zu sein, und P. erkannte hier eine weitere Ursache für die Wirkung des Bildes: Daß die Dame, obgleich sie wie blind war und das Schwein vor ihr herging, nicht etwa geführt wurde, sondern selbst die Führung innehatte. Sie war das Schwein und war es nicht, darin lag ihr Geheimnis. Und dieses Geheimnis wollte er in seinem Wohnzimmer, das geräumiger als das Schlafzimmer war, einerseits darstellen, andererseits lüften.

P. dachte nun angestrengt über die praktische Seite des Vorhabens nach. Ein Schwein, glaubte er, ließe sich schon besorgen. Doch woher die Dame nehmen? Eine stellungslose Schauspielerin zu engagieren kam nicht in Frage. Nur eine Dame, die auch ganz in ihrer damenhaften Haut steckte, kam in Betracht. Sie müßte das Notwendige eines solchen Auftrittes einsehen und mit der gleichen Gelöstheit wie die Dame auf dem Bild durch das Wohnzimmer schreiten: Als existierte das Schwein nicht, in dessen Dunstkreis sie wäre.

Fast alle Frauen, die er näher kannte, gingen ihm durch den Kopf. Manche mochten wohl Ähnlichkeit haben mit der Person auf dem Bild, aber sie entgleisten zu häufig. Zum Beispiel seine geschiedene Frau, eine Tanzlehrerin. Sie war für jeden, der Verbrüderung suchte, ein Opfer. Oder die Kulturdezernentin der Stadt, mit der er ein Verhältnis hatte. Sie wäre zwar der Typ und sicher guten Willens, ihr fehlte nur jedes Format. Es gab keine Richtung der Kunst, für die sie nicht Verständnis zeigte, und P. verachtete sie wegen dieser Wahllosigkeit, von der auch er profitierte. Als nächstes dachte er an die Harfenistin des philharmonischen Orchesters der Stadt, mit der er unlängst eine Nacht verbracht hatte. Doch wahrscheinlich wäre sie mit solchem Eifer dabei, daß der gewisse Abstand zum Schwein, auf den es ja gerade ankam, völlig verlorenginge.

P. trat ans Fenster und sah auf die Gleisanlagen vor seinem Wohnblock. Dann bliebe eigentlich nur Frau von C., sagte er sich und drückte seine Stirn an die Scheibe. Frau von C. war seine treueste Anhängerin. Seit Jahren schrieb sie Leserbriefe und hatte hin und wieder Fotos beigelegt. Sie war eine stattliche alleinstehende Dame, die eine Buchhandlung mit Antiquariat besaß. Sie hatte viel Sinn für galante Geschichten und pflegte ihre Liebe zur Handschrift. Ihr Glaube an das geschriebene Wort ging so weit, daß sie in ihren Privaträumen ohne Telefon lebte. Und so hatte sie mit P. schon alle Formen des schriftlichen Verkehrs exerziert, die auf dem Postwege durchführbar sind. Es waren Ansichtskarten hin- und hergegangen, Einschreiben und gewöhnliche Briefe, Eil- und Blitzzustellungen, ja sogar Päckchen zum Nikolaustag. Die Möglichkeit einer Begegnung war indessen nicht einmal zur Sprache gekommen. Frau von C. war eine altmodische und zugleich radikale Person. Trotz des Geschäftes lebte sie ganz in den Welten ihrer Lektüre und war dadurch zu einer leidenschaftlichen Verfechterin der Phantasie geworden. Sie liebte nur die Wirklichkeit der Einbildung und hatte deren Mangel in P.s letztem Roman, Zeremonie der Erschöpfung, eingekleidet in ein Lob für den Stil, bereits taktvoll beklagt. P. entschloß sich, ihr zu schreiben.

Er holte sich ein Glas Milch und nahm damit an seinem Arbeitstisch Platz, er sah sie schon mit einem Schwein an der Leine den Weg vom Fernseher zur Anrichte nehmen; er stellte sich vor, wie ihre hellen unbedeckten Flächen in Verbindung mit dem pelzbeladenen Hut die ganze Mietwohnung gewissermaßen auf den Kopf stellten. P. trank die Milch in kleinen Schlucken und dachte an ein bestimmtes Foto von ihr; anläßlich seines Bändchens Der Strand hatte Frau von C. ein Urlaubsbild geschickt, das sie in einem einteiligen Badeanzug, bis zu den Knien in einem Weiher stehend, zeigte. Es war ein etwas unscharfes Foto, und auf der Rückseite stand: Um Ihre Einbildungskraft wieder zu stärken! Er holte es aus dem Schubfach, in dem er sämtliche Mitteilungen Frau von C.s aufbewahrte, und legte es neben die Reproduktion und ließ seinen Blick hin- und hergehen; die Folge war ein leichter Taumel, als hätte er Wein getrunken und keine Milch. Ihr hochgetragener Kopf und der Schwung ihrer Schenkel, das Gelöste des Spielbeins und die Grazie der Hände trafen seine Vorstellungen von der Dame mit dem Schwein so genau, daß er fahrige Armbewegungen machte. Als er sich wieder in der Gewalt hatte, griff er zu Papier und Füllfederhalter.

Sehr verehrte gnädige Frau, begann er den Brief. Ich darf Ihnen heute ein Anliegen vortragen, das für mich von höchster Wichtigkeit ist. Wie Sie ja selbst gemerkt haben und mich auch wissen ließen, leidet mein Schreiben seit geraumer Zeit an einem Mangel an Mut und Vorstellungskraft; daß Sie beim Lesen meiner Bücher nur noch am Stil Vergnügen finden, beschämt mich, und bis zum heutigen Abend hat mich Ihre Kritik nur noch mehr geschwächt. Bis zu dem Augenblick, als ich bemerkte, was meinem Schreiben fehlt: Die Anregung! Denn wie der Zufall es wollte, stieß ich in einem alten Magazin auf das Ihnen sicherlich vertraute Bild Die Dame mit dem Schwein von Félicien Rops, und es entstand dabei sogleich der Entschluß, dieses unerhörte Motiv detailgetreu in meiner Wohnung nachzustellen, um dadurch wenigstens einmal vor jenen vollendeten Tatsachen zu stehen, von denen doch jeder Schriftsteller träumt. Das ist mein unverrückbarer Vorsatz. Und nur ein einziger Mensch, den ich zwar nie getroffen habe, aber gut genug zu kennen glaube, hat ausreichend Sinn und Verstand und auch alle körperlichen Vorzüge, um eine so kühne Idee in die Tat umzusetzen – Sie. Sie, verehrte gnädige Frau, bitte ich daher, meiner Einladung hierher zu folgen und die bewußte Dame für mich darzustellen. Bis zu Ihrer Antwort werde ich alles Nötige veranlassen, um im Falle einer Zusage, auf die ich inständig hoffe, über ein ausgewachsenes und zahmes Schwein zu verfügen; und natürlich sorge ich auch für die im Bild vorhandenen Accessoires, wäre aber froh, wenn Sie das entsprechende Schuhwerk selber mitbrächten, damit Sie keine Unbequemlichkeiten in Kauf nehmen müssen. Außerdem kümmere ich mich um ein Zimmer mit Bad im ersten Haus unserer Stadt und werde Sie auch am Bahnsteig erwarten, sofern Sie mit dem Zug anreisen. Ich weiß, es ist viel verlangt, aber handeln Sie aus Liebe zum Wort, in Verbundenheit, Ihr P.

 

Um nicht wankelmütig zu werden, klebte er den Brief sofort zu und brachte ihn zu einem Nachtbriefkasten. Anderntags wachte P. zur gewohnten Zeit auf. Er verrichtete seine morgendlichen Dinge in dem Gefühl, daß etwas ganz Entscheidendes geschehen sei und sein Leben vor einer Wende stehe. Nach dem Frühstück löste er die Seite mit der Reproduktion von den übrigen Seiten und heftete sie mit Stecknadeln oberhalb des ausziehbaren Sofas, das ihm als Schlafstatt diente, an die Wand. Nun konnte er das Bild vom Schreibtisch aus sehen. Dann machte er sich Gedanken, wie er wohl zu einem Schwein kommen könnte.

Er ging schrittweise vor. Seine materielle Beziehung zu Schweinen bestand vor allem im Schnitzel. Und das Schnitzel kam vom Schlachter; der Schlachthof fiel ihm ein. Er suchte die Nummer heraus und führte ein Telefonat. Er erkundigte sich bei der Verwaltung, woher die Schweine kämen, die geschlachtet würden, man gab ihm die Adresse eines Zuchtbetriebes. P. rief dort an, es meldete sich eine Frau. Ob es wohl möglich sei, bei ihr ein Schwein zu mieten, fragte er. Nur für ein Wochenende.

Die Landfrau glaubte an ein Mißverständnis, worauf P. sich wiederholte. Er sagte: Ich möchte ein Schwein. Ich möchte es mieten. Nur für ein Wochenende.

Aber wozu? fragte die Frau.

Für einen künstlerischen Akt. Es soll an einer Leine gehen. Vor einer Dame her.

Naa! rief die Frau in ihrer Mundart.

Bitte?

Nein heiße das, sagte sie und wollte dann wissen, wo er denn lebe. Da käme als erstes der Tierschutzverein. Danach kämen Gesundheitsamt und Ordnungsbehörden. Da müßte er ihr schon Genehmigungen zeigen. Und außerdem: Nicht eines ihrer Schweine sei zu haben für so einen Kram. Schluß.

P. sagte nichts mehr, er legte auf; er fühlte sich elend. Und um durch die Forderungen des Tages nicht noch weiter von der Welt entfernt zu werden, zog er das Sofa wieder aus, legte sich hin und begann zu grübeln. Es wäre wohl am besten, grübelte er, das Schwein zu betäuben. Dann könnte es mit Hilfe von zwei Arbeitslosen, die sich ja finden ließen, in einer Umzugkiste ins Haus und in die Wohnung geschafft werden. Aber zu welchem vernünftigen Zweck? Was könnte man angeben? Vielleicht sollte er einfach behaupten, an einer Rehabilitierung des Schweines zu schreiben, was nur gelingen könnte, wenn er ein Schwein in seiner Wohnung hätte; der Tierschutzverein wäre damit gewonnen. Doch wie die sture Frau vom Land, wie das Gesundheitsamt, wie die Ordnungsbehörde auf seine Seite bekommen? Durch Bestechung natürlich; aber womit bestechen? Es kämen nur Freiexemplare seiner Bücher in Frage, mit Widmung; nur, würde das reichen? Hier müßte dann sein Name zählen; doch wie hoch steht sein Name im Kurs? Und herrscht nicht gerade in Behörden wieder das alte feindselige Klima bezüglich schwieriger Kunst? Demnach bräuchte er Beziehungen; bloß zu wem? Auf sein kleines Verhältnis mit der Kulturdezernentin durfte er nun wirklich nicht bauen. P. grübelte weiter, den ganzen Tag, und vom Grübeln erschöpft, schlief er auf seinem Sofa ein und erwachte erst, als seine Wohnungsklingel am anderen Vormittag schrillte.

Mit ausgedörrtem Mund und voller Blase ging er zur Tür. Es war ein junger Mensch, der eine Eilzustellung brachte. P. warf einen Blick auf die Schrift und spürte sein Herz. Der Brief wog schwer; es waren wenigstens vier Bögen ihres teuren Papiers. Er ging aufs Klo und brach dabei schon den Umschlag auf, er zwang sich, nicht gleich den Schlußsatz zu lesen. Es war ihre übliche tiefblaue Tinte, es waren die gewohnten steilen Züge. Aber es stand eine Anrede da, die seine treueste Leserin noch nie verwendet hatte, und ein Kopfschmerz befiel ihn, als wollte sich sein Hirn unter der Schädeldecke verdoppeln, um keinerlei Raum mehr zu bieten für die Gedanken eines anderen Hirns.

Mein armer P., begann der Brief anstatt mit Bester oder Mein Verehrtester, und es ging weiter in derselben Zeile. Ihr Anliegen hat mich nicht überrascht. Nach der Lektüre Ihres letzten Buches, Zeremonie der Erschöpfung, gab es für mich an Ihrer Krise keinen Zweifel mehr; Art und Ausmaß sind mir indessen erst durch Ihren Brief zu Bewußtsein gekommen. Was soll ich Ihnen sagen? Selbstverständlich kenne ich das großartige Bild Die Dame mit dem Schwein und vermag Ihr Anliegen, das ja mehr ein Ansinnen ist, auch zu verstehen. Stellen wir uns also vor, lieber P., ich käme Ihrer Bitte verständnisvoll nach und klingelte jetzt bei Ihnen; und lassen wir auch den starken Konjunktiv, den ich so liebe, für eine Weile beiseite …

Ich klingle also, und Sie eilen zur Tür. Aus Ihrem Bad dringt ein Scharren und Grunzen. Sie öffnen mir, Sie sehen mich zum ersten Mal vor sich. Ich trage ein gelbes Kostüm, mein Haar ist nach oben gesteckt, der Nacken liegt frei. Sie küssen mir die Hand, ich sage, Grüß Gott. Und danach trete ich in Ihre Wohnung, die mir aus dem Bändchen Vier Wände erzählen ja schon geistig vertraut ist. Sie bitten mich, auf Ihrem Ausziehsofa Platz zu nehmen, aus dem Bad kommt ein Poltern. Das eingesperrte Schwein hat Angst, eine natürliche Reaktion, dennoch beunruhigend. Ich schaue Sie fragend an, Sie sagen mir, das Schwein sei zahm, und um mich noch mehr zu beruhigen, nennen Sie mir sogar einen Namen, vermutlich erfunden. Ein schöner Name, sagte ich, viel zu schön für ein Schwein, und Sie widersprechen mir: der Versuch einer Konversation von Ihrer Seite. Aber ich wünsche keine Konversation. Ich bin gekommen, um die Dame auf dem Bild zu spielen, ich fordere Sie auf, die Vorbereitungen zu treffen; es besteht ein Vertrag zwischen uns. Mein Körper für Ihren Geist, lieber P.

Diese Sachlichkeit stört Sie, doch Sie zeigen es nicht. Sie holen die Accessoires, Sie legen sie auf den Tisch. Zuerst die weißen Kleinigkeiten: Leine, Schärpe, Augenbinde, Blumen und Bändchen, danach die schwarzen: Handschuhe, Strümpfe, Seidentuch sowie den pelzbesetzten Hut; die Schuhe trage ich bereits, Ihrer Anregung folgend, und ich trage auch schon die richtige Kette und die richtigen Clips. All das verwirrt Sie. Sie bieten mir Sekt an, ich lehne ihn ab. Aber warum? fragen Sie, und ich lächle; ich schlage Ihnen vor, mir zuzuschauen, während ich die Kleidung wechsle, der Maskerade beizuwohnen. Machen Sie es sich gemütlich, sage ich, und darauf ziehen Sie die Vorhänge zu und setzen sich hin. Sie setzen sich in Ihren Fernsehsessel, und ich bitte Sie, mir den Reißverschluß meines Kostümrocks zu öffnen. Ich bücke mich zu Ihnen hinunter, Sie sehen die Ränder meiner Wäsche durch den Stoff. Wir reden jetzt nicht mehr. Bis auf das unruhige Schwein ist es still. Abgesehen von Ihrem Herzen, das klopft natürlich, und im Hinblick auf Ihr Alter sollte ein Glas Wasser bereitstehen, neben dem Telefon mit der Notrufnummer …

P. drückte sich eine Faust gegen die Stirn. Sein Kopf tat immer noch weh, aber es war nicht die übliche Pein nach zuviel Anstrengung, es war eher ein schmerzendes Glück, eine gewaltige Ausdehnung in seinem Hirn. Aus dem Bad kam ein Geräusch. Vielleicht der Brausenhahn? Wahrscheinlich der Boiler. Er stand auf und zog die Vorhänge zu, er machte ein Licht an, die kleine Lampe neben dem Sofa; dann las er, stehend, weiter.

Sie öffnen mir nun den Verschluß, der enge Kostümrock springt auf, ich ziehe ihn über die Hüften, links ein Stück, rechts ein Stück, schließlich gleitet er herab. Ich steige aus dem Bündel, Sie sehen, daß ich Strumpfhalter trage. Die schwarzen Bänder sind wie Gitterstäbe, an die sich meine Schenkel pressen. Ich löse alle Bänder, die Strümpfe werden welk, ich ziehe die Jacke aus, danach meine Bluse. Ich stehe nun in der Wäsche vor Ihnen, ich blende Sie etwas. Blinzelnd kommen Sie aus Ihrem Sessel und treten vor die Bücherwand. Warum so befangen? frage ich leise, und Sie sagen mir, mein Anblick bringe Sie an den Rand … Doch ich lasse das nicht gelten. Ich bitte Sie, mich anzusehen, ja, mich zu mustern, als legte ich eine Prüfung vor Ihnen ab. Und Sie verschränken die Arme, mein lieber P., Sie heben ein wenig den Kopf. Ihre Augen werden schmaler, die Lippen entzweien sich; ich aber entkleide mich nun bis auf die Schuhe.

Mit den Absätzen entspricht meine Größe etwa der Ihren. Wir stehen uns gegenüber, ich verfolge Ihre Augen. Ihr Blick geht über meine Brüste, die Sie sich nicht so voll gedacht haben; der Hauch von Verfallenheit spricht Sie an. Dann fliegen die Augen hinunter zum Schoß. Sie sind überrascht. Sie hatten auch hier mehr Verblühtheit erwartet. Anstatt geplatzter Äderchen springt Ihnen Reife in die Augen – und auch kein Blutbeutel weit und breit, keine eingesunkene Haut, keine Flecken. Und nun begreifen Sie auf einmal, wen Sie vor sich haben. Sie begreifen, daß mir die Helden Ihrer Bücher jahrelang den Mann ersetzt haben. Sie ersparten mir jedes Privatim. Hände, von Ihnen beschrieben, machten mir alle wirklichen Hände entbehrlich, Hände, unter deren Grobheit meine Haut gealtert wäre, wie unter zuviel Sonne. Ihre Bücher erlaubten es mir, so zurückgezogen zu leben, wie ich es mochte. Bis sie dann schlecht wurden. Sie wurden allgemeinverständlich, sie wurden fad. Und nur deshalb bin ich heute bei Ihnen, verlieren wir keine Zeit! Das rufe ich Ihnen zu, und Sie reichen mir nun ein Requisit nach dem anderen. Sie staffieren mich aus, ich bin Ihr Kunstwerk. Zuletzt verbinden Sie mir die Augen, ich weiß jetzt nicht mehr, wie Sie schauen. Es ist still um mich herum, es ist warm. Sie haben einen elektrischen Zusatzofen unter den Schreibtisch gestellt, seine Strahlen erreichen meine Kniekehlen. Langsam auf Zehenspitzen schleichen Sie um mich herum. Sie kommen mir so nahe, daß Sie mich riechen können. Ich rieche nach heißen Kissen und Zimt. Ich bin die Dame auf dem Bild, ich bin es, und Sie treten nun etwas zurück, mein lieber P. – tun Sie, ich warte; zwei Schritte, wenn ich bitten darf …

P. machte zwei Schritte zurück, den Brief in der Hand, die er kaum ruhig zu halten vermochte.

Lassen Sie sich Zeit, flüstere ich. Betrachten Sie jede Einzelheit meines Körpers. Genieren Sie sich nicht. Zeigen Sie Ihr Interesse für Falten und Poren, für den Flaum in meinem Nacken, für die Härchenleiter unterhalb des Nabels; seien Sie schamlos, verlangen Sie Stellungen, die Ihnen vorschweben, nehmen Sie keine Rücksicht auf mich. Sehen Sie das Weib in mir, nicht die Frau. Sorgen Sie für das richtige Licht, leuchten Sie mich so aus, daß mein Körper in den ansprechendsten aller Fleischfarben schimmert. Geben Sie sich nur mit einem blassen Rosa zufrieden, dem Ton des Schweins. Ich bin nichts als Ihre Vorlage. Ich bin Ihr Stoff, verwenden Sie mich nach Belieben. Springen Sie um mit mir! Das rufe ich Ihnen alles zu, und Sie setzen es in Szene, bis nur noch das Schwein fehlt. Ich stehe da wie auf dem Bild, die feine weiße Leine in den Fingern, Sie schärfen mir ein, mich nicht zu bewegen, und gehen ins Bad. Das Schwein liegt auf dem Boden, es zittert. Mit einem Tritt und etwas Futter bringen Sie es auf die Beine, mit frischen Trüffeln locken Sie es in den Wohnraum. Ich schnuppere und lausche; ich rieche das Tier und höre sein Schnaufen. Und Sie verstecken die duftenden Knollen an verschiedenen Plätzen, so daß unser Schwein nicht mehr weiß, wo es hinstreben soll. Die Nase am Teppich verharrt es, was Ihnen Gelegenheit gibt, die feine Leine um den breiten Hals zu schlingen. Das Schwein will weg, doch wird vom Duft gehindert, und so verharrt es erneut, in einem fast graziösen Schritt nach vorn, während ich das Band zu ihm in meinen ausgestreckten Händen halte, ohne es zu spannen, ohne es lockerzulassen. Ich vertraue dem Schwein, so wie das Schwein mir vertraut. Sie aber treten zurück, um das vollendete Bild zu betrachten. Tun Sie’s, ich warte …

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