Buch lesen: «AMANDA»

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Bo Bowen

AMANDA

Chroniken einer Masochistin

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Amanda

Yvonne

Ben

Kuyn

Amanda

Diana

Ben

Amanda

Ben

Diana

Amanda & Ben

Impressum neobooks

Amanda

Vorwort:

Altersbeschränkung ab 18

Dieses Buch richtet sich auf Grund expliziter pornografischer Szenen ausschließlich an Erwachsene und sollte Jugendlichen unter 18 Jahren – oder entsprechend strengerer nationaler Bestimmungen – nicht zugänglich gemacht werden.

Des Weiteren möchte ich darauf hinweisen, dass die beschriebenen sadomasochistischen Praktiken auch auf erwachsene Leserinnen und Leser abstoßend wirken können und die Lektüre daher der Eigenverantwortung unterliegt.

Unsere Partnerinnen und Partner verdienen unseren vollen Respekt, unabhängig, ob emotionale Bindungen oder sexuelles Begehren – oder bestenfalls beides im Vordergrund stehen. In diesem Sinne lehne ich jede Form physischer, psychischer, emotionaler oder sexueller Gewalt und Unterdrückung strikt ab. Daher sollen die Inhalte dieses Buches bleiben, was sie sind: Träume und Fantasien.

Bo Bowen

* * * *

Ich beiße mir auf die Lippen, will mir nichts anmerken lassen, doch mein Widersacher weiß längst, wie es um mich bestellt ist. Der Klang leichter Schritte verrät mir, dass er mich umrundet, bis er direkt vor mir steht. Ich vernehme seinen Atem, fühle ihn über meine Wange streichen, verspüre seinen erdigen Geruch, der sich in jenen des neuen Leders mischt, dann seine Wärme und zuletzt ein federleichtes Streifen an meinen Brüsten.

Obwohl ich mich auf die dezenten Berührungen konzentriere, habe ich keine Idee, womit er mich da streichelt, doch ich ahne, dass es nicht seine Hände sind. Als seine Bewegungen den Rhythmus der heißen Wellen, die durch meinen Leib jagen, finden und aufnehmen, weiß ich, dass er gewonnen hat. Winzige Hiebe treffen meine Brustspitzen in rasend schnellem, sich steigerndem Crescendo, zu fest um angenehm zu sein, zu zart um wirklich weh zu tun. Ich schnappe nach Luft um zu schreien, doch er gibt mir keinen Grund dazu und ich will nicht riskieren, dass er aufhört. Zu gern wüsste ich, womit er mich schlägt, was diesen intensiven, kaum noch erträglichen Reiz hervorruft, doch die seidige Binde über den Augen beraubt mich meiner Sicht – und jeder Möglichkeit, mich gegen seinen nächsten Schritt zu wappnen.

Die Klapse enden so jäh und unerwartet, wie sie begonnen haben und mein Körper reagiert darauf mit einer verzweifelten Mischung aus Erleichterung und Sehnsucht nach mehr, während mein Herzschlag in meinen bis zum Bersten erigierten Nippeln pocht. Eine Hand berührt meine Wange, fährt in mein Haar und zieht meinen Kopf ein wenig nach rechts und etwas höher. Sanft und unnachgiebig zwingt er mich ihn anzusehen, doch die Binde verdeckt meine Augen und so kann ich seine Blicke nur fühlen. Mein Mund öffnet sich bebend, erwartet seinen Kuss, als ich seinen Atem spüre. Seine Lippen können nur noch Millimeter von meinen entfernt sein. Ich recke mich ihm entgegen, soweit es meine Fesseln zulassen, aber die ersehnte Berührung bleibt aus. Sein Verlangen danach ist ebenso stark wie meines, nichts hält ihn zurück als sein Wille und seine Beherrschung.

In gespannter Erwartung harre ich der nächsten Überraschung. Finger greifen nach meiner linken Brust – vorsichtig tastend und dennoch bestimmt und zielgerichtet – und dann spüre ich ein Piksen an der überreizten Brustwarze. Sofort gaukelt mir meine Fantasie eine Nadel vor, deren Spitze über meiner Haut schwebt und allein der Gedanke, er könne seine unausgesprochene Drohung wahr machen, raubt mir das letzte bisschen Beherrschung, an die sich mein Verstand noch klammert. Das Bild des schlanken Stahls, der unbarmherzig durch meine empfindliche Spitze getrieben wird, beherrscht mein Denken. Erst jetzt begreife ich, wie sehr ihm ausgeliefert bin, dass es nichts gibt, was ich sagen oder tun kann ihn davon abzuhalten, während ein erwachender Teil in mir darum bettelt, er möge es tatsächlich tun.

Er tut es nicht, doch alleine die Vorstellung genügt meine Schenkel in ein unkontrolliertes Zittern zu versetzen und meiner Kehle entringt sich ein verwundetes Stöhnen, das ich nicht länger zurückhalten will. „Lust und Schmerz können sich in wundervoller Synthese treffen“, hat er zwei Wochen zuvor gesagt – und wie leidenschaftlich habe ich ihm da widersprochen. Jetzt bin ich drauf und dran, die Wette zu verlieren, die Herausforderung, die ich in einem unbedachten Moment eingegangen bin.

Was hab ich mir nur dabei gedacht? Wie bin ich da bloß hinein geraten?

* * *

Yvonne

Alles beginnt mit der Einladung einer früheren Mitschülerin zu einer Vernissage in einer angesagten Galerie in der Innenstadt. Enge Freundinnen waren wir nie, dazu waren wir beide zu hübsch. Außerdem interessierten wir uns für dieselben Typen, und so kamen Yvonne und ich uns allzu oft in die Quere. Andererseits will ich mir die Galeria Informata schon lange einmal ansehen und die Aussicht auf interessante Begegnungen in gepflegter Atmosphäre hat durchaus ihren Reiz.

Am Tag der Veranstaltung beschließe ich, dass die Kanzlei auch ohne mich zurechtkommt und nehme mir den Nachmittag frei. Ich weiß gar nicht mehr, wann ich mich zuletzt richtig verwöhnt habe, also rasiere ich meine Beine und gönne mir ein ausgiebiges Bad. Der Duft nach Limetten und Sandelholz umschmeichelt meine Nase und der Schaum prickelt auf der Haut. Versonnen streiche ich mit den Fingerkuppen über meine nassen Unterschenkel und genieße die Berührung.

Dabei rufe ich mir Yvonne ins Gedächtnis. Ihr Markenzeichen war damals ihr ebenso langes wie dichtes rabenschwarzes Haar, das sie gekonnt einsetzte, um ihr etwas zu breites Gesicht zu kaschieren. Damit kriegte sie jeden Jungen, bis ich meines ebenfalls bis weit über den Rücken hinab wachsen ließ und noch helle Strähnchen in meine goldblonde Mähne setzte. Yvonnes Konter ließ nicht lange auf sich warten. Mit tief ausgeschnittenen Shirts betonte sie ihre beachtliche Oberweite und eröffnete damit eine Front, an der ich nicht mithalten konnte: Meine Brüste sind fest und wohlgeformt, doch über ein B-Körbchen komme ich auch heute nicht hinaus, sofern ich nicht zu Push-Ups und anderen Tricks greife, für die ein Gebrauchtwagenhändler ins Gefängnis käme. Also wurden meine Röcke im Gegenzug kürzer. Mit Eins Sechsundsiebzig überragte ich Yvonne um gute zehn Zentimeter und das verdankte ich vor Allem meinen langen Beinen. So kämpften wir um die Gunst der Mitschüler und brachten auch so manchen der jüngeren Lehrer in Bedrängnis, doch nach dem Abitur verloren wir uns aus den Augen, ohne dass ich dies groß bedauert hätte.

Ich gleite tiefer in die Wanne und lasse mich versinken, bis nur noch meine Nase aus dem Wasser ragt. Wärme umspielt meine Wangen und die Geräusche, die meine Bewegungen verursachen, klingen unter Wasser gedämpft und dennoch vertraut. Schließlich komme ich hoch und streiche mir die nassen Haare aus der Stirn, eine Geste, die Robert regelmäßig um den Verstand gebracht hat, wenn er mit mir im Bad war. Beim Gedanken an seinen durchtrainierten Körper springt etwas in mir an, das sich in einem wohligen Kribbeln zwischen den Beinen niederschlägt. Ich schließe die Augen und lasse zu, dass meine Hand meinen Gedanken folgt, genieße die Schauer, die das sanfte Streichen der Finger auf der nassen Haut durch meinen Körper jagt, träume von Robert, bis ich jäh hochschrecke. Wieso, verdammt, schelte ich mich. Das Arschloch hat mir wehgetan, mehr als einmal. Was stimmt nicht mit mir? Wieso werde ich geil, wenn ich an ihn denke?

Robert war der schärfste Typ am Juridicum und somit war für mich von Anfang an klar, dass er mir gehörte. Er war zwei Jahre älter als ich und wir hatten eine echt geile Zeit, die jäh endete, als er mit seinem Studium fertig war und nicht mehr auf die paar Hunderter angewiesen war, die ich mit meinen Nebenjobs verdiente. Ich stehe auf, drehe die Dusche voll auf und spüle den Schaum aus meinen Haaren und die Erinnerungen an Robert aus meinem Kopf.

Es ist Sommer und der Tag verspricht einen milden Abend, also frottiere ich nur kurz über mein Haar und bürste es dann nach hinten, bis es lang, glatt und seidig über meinen Rücken fällt und das Wasser in schmalen Rinnsalen über meinen Po und meine Beine läuft. Der Nachwuchs unter den hellen Strähnchen beschränkt sich auf zwei oder drei Zentimeter und verleiht mir einen verwegenen Look. Aus dem Spiegel lächelt mir das offene Gesicht einer unternehmungslustigen Neunundzwanzigjährigen entgegen, die jeden Mann haben kann, den sie will. Zumindest für eine Nacht – und von allem was darüber hinausgeht habe ich die Nase gestrichen voll.

Tief in mir verspüre ich eine gespannte Erwartung, ein Unrast, die mich mehr als einmal zur Uhr sehen lässt, obwohl ich echt gut in der Zeit bin. „Amanda, beruhig dich“, schelte ich mein Spiegelbild. „Es geht um eine verdammte Fotoausstellung. Das ist Alles.“ Sorgfältig trage ich Lidschatten und Eyeliner auf, umrahme meine graugrünen Augen mit dunklen, spitz auslaufenden Linien, bis sie katzenhaften Charme versprühen. Ich mustere mein Ebenbild und lege meinen dezenten Lieblings-Lippenstift wieder zur Seite. Dieser Abend verträgt das dunkle Rot mit dem lila Einschlag, um das ich meist einen Bogen mache.

Abschließend gönne ich mir einen kritischen Blick. Zu viel? Na wenn schon. Zu billig? Vielleicht, aber nach zwei Glas Sekt geht’s. Es wäre die erste Eröffnung einer Kunstausstellung, bei der die Gäste nüchtern bleiben.

Die nächste Station ist mein Kleiderschrank. Die Businesskostüme, die ich im Alltag trage, schiebe ich achtlos zur Seite. Heute steht mir den Sinn nach etwas Verwegenem. Nach einigem Hin und Her entscheide ich mich für das scharfe Rote, dass ich mir vor etlichen Jahren auf Ibiza zugelegt habe, ohne es jemals anzuziehen. Es ist vorne tief und hinten noch tiefer ausgeschnitten, zudem noch sehr kurz und seitlich geschlitzt. Ich war beschwipst, als ich es gekauft habe und am Morgen danach wurde mir rasch klar, dass ich richtig betrunken sein müsste, um es jemals zu tragen, aber heute sticht mich der Hafer. Ich will mir einreden, es hätte nichts mit Yvonne und unserer alten Rivalität zu tun, aber das gelingt mir nur unvollständig.

Ich halte mir das Kleid an und sehe in den Spiegel. Ja, es ist kurz, gerade recht für eine Siebzehnjährige, die auf Ibiza die Sau rauslassen will. Auf einen BH muss ich bei dem Ausschnitt wohl oder übel verzichten, wenn ich es tatsächlich tragen will. Nach kurzem Überlegen suche ich die schwarze, seidig schimmernde Strumpfhose aus dem Schrank und streife sie über. Es ist ein teures Stück, das ich mir für besondere Anlässe aufgespart habe, und als ich sie an meinen Schenkeln spüre und mich damit im Spiegel sehe, fühle mich wieder wohl in meiner Haut.

Obwohl das Kleid auffälligen Schmuck verträgt, lasse ich die Halskette weg. Seit dem Urlaub auf den Malediven hat meine Haut eine warme Bräune, deren Wirkung ich zur Geltung bringen möchte. Worauf ich hingegen nicht verzichten kann, sind die funkelnden Ohrringe, deren filigrane Glieder bis fast zu meinen Schultern hinab baumeln.

Zu guter Letzt schlüpfe ich in die schwarzen High-Heels. Da es eine Zeit her ist, dass ich so hohe Absätze getragen habe, laufe ich zweimal den Flur auf und ab. Ich kann mit mir zufrieden sein. Neben dem Studium habe ich ein wenig gemodelt und obwohl mir der Durchbruch nie gelungen ist, klappt das Laufen wie eh und je. Außerdem hilft es dem Selbstbewusstsein, wenn man schon in deutlich spärlicheren Klamotten als diesen über den Catwalk gelaufen ist. „Nacht, ich komme“, flüstere ich und werfe meinem Spiegelbild einen Kuss zu.

Der Signalton des i-Phones ist dezent und unauffällig, wie es sich für das Geschäft geziemt und ebenso unaufgeregt ist der Inhalt der SMS, die mein Taxi ankündigt. Ich kontrolliere den Inhalt des kleinen schwarzen Satintäschchens, werfe noch ein Paar Seidenstrümpfe dazu und mache mich auf den Weg nach unten. Die Sonne ist bereits hinter dem Horizont verschwunden, aber die sommerliche Hitze liegt noch über der Stadt. Noch immer ist diese Aufregung in mir, ein Kribbeln, wie ich es vor meinem ersten Kuss oder vor dem ersten Ball verspürt habe. Etwas liegt in der Luft, das mit den sommerlichen Temperaturen alleine nicht zu erklären ist – es riecht nach großer Stadt, glitzernden Lichtern und aufregender Abwechslung.

Das Taxi wartet mit laufendem Motor direkt vor der Einfahrt zur Tiefgarage des Appartementblocks. Der Fahrer mag irgendwo aus dem Südosten stammen und sieht gelangweilt in den Rückspiegel, als ich einsteige. Er schreckt hoch, als er mich sieht, dreht den Kopf zu mir und reißt die Augen auf, aber für so selbstverständliche Dinge, wie dem Fahrgast die Türe zu öffnen, ist es definitiv zu spät. Ich quittiere sein plötzliches Grinsen mit einem unverbindlichen Lächeln und nenne ihm die Adresse.

Unser Weg führt uns Richtung City, doch ehe wir in die engen Gassen des Zentrums kommen, biegt der Wagen in ein Viertel, das von den glänzenden Fassaden neuer Bürotürme beherrscht wird. Stylische Malls und angesagte Lokale locken mit bunten Lichtern und urbanem Ambiente. Im Rückspiegel sehe ich die Augen des Taxifahrers, die mich unverhohlen mustern. „Ich wäre ihnen verbunden, wenn sie die Augen auf der Straße lassen“, weise ich ihn zurecht und krame dabei meinen Schminkspiegel aus der Tasche, damit er nicht auf die Idee kommt, ich wolle mit dieser Bemerkung ein Gespräch einleiten. Im selben Moment biegt der Wagen rechts ein, meine Tasche kippt zur Seite und mein Schlüsselbund fällt heraus. Zwar erwische ich ihn im Reflex, ziehe mir dabei aber den Schlüsselring quer über den Oberschenkel. Au verdammt! Der kurze Schmerz ist erträglich, aber der offensichtliche Schaden an meiner Lieblingsstrumpfhose ist es nicht. Die Laufmasche ist zehn Zentimeter lang und zwei breit und dabei dürfte es kaum bleiben. Gut, dass ich die Strümpfe dabei habe.

„Wir sind da“, verkündet mein Chauffeur und lenkt den Wagen rechts ran. „Das macht achtzehn sechzig.“ Er wendet sich mir zu, doch ich bin schon dabei, die kaputte Strumpfhose los zu werden, was im Fond einer Taxis keineswegs leicht ist. „Ich kann hier wirklich nur kurz halten“, merkt er an, während ich meine Turnübungen vollführt.

„Moment noch“, antworte ich, da ich gerade meinen linken Schuh in der Hand halte. Die Blicke des Mannes brennen auf meiner Haut, während ich mich weiter verrenke, als in dem knappen Kleid gut ist. „Wollen sie zusehen?“, mache ich mir Luft. Er schweigt, aber schließlich ist auch das eine Antwort. Obwohl ich allen Grund habe, verärgert zu sein, entscheide ich mich dagegen. „Stimmt so“, sage ich, als ich fertig bin und gebe ihm zwei Zehner. „Und jetzt dürfen sie mir die Tür öffnen und mir aus dem Wagen helfen.“

Die Luft ist warm, doch schon nach wenigen Schritten betrete ich ein großzügig gestaltetes Foyer. Der Name BEN HARDWORTH prangt von nüchtern gehaltenen Schautafeln, doch meine Aufmerksamkeit ist anderweitig beansprucht. Die Herren tragen dunkle Abendanzüge und die Roben der Damen weisen die dreifache Länge, den sechsfachen Stoff und den geschätzt zwölffachen Preis meines Partykleides auf, und dementsprechend viele Blicke ziehe ich auf mich, wobei jene der Männer nicht halb so abweisend sind, wie die ihrer Begleiterinnen. Verdammter Mist. Wieso hat Yvonne nichts erwähnt? Wollte sie mich absichtlich einfahren lassen?

Ein netter junger Mann beäugt meine Einladung und noch so manch anderes, und dann bin ich drinnen. Eine ebenso nette junge Frau offeriert Gläser mit echtem Champagner, doch mein erstes Interesse gilt der Damentoilette. Ehe ich mich ins Getümmel stürze, will ich meine Adjustierung verbessern. Allein der Vorraum des WCs ist größer als mein Wohnzimmer. Eine ältere Dame trägt zusätzliches Make-Up auf und eine andere zieht gerade ihre Lippen nach.

Ich betrete eine Kabine und ziehe die halterlosen Seidenstrümpfe an. Gut, dass ich sie noch eingesteckt habe. Leider sind sie nicht ganz so lange, wie ich gehofft habe, und so lugt der Ansatz des spitzenbesetzten Bandes unter meinem Saum hervor, sobald ich mich bewege und aus dem seitlichen Schlitz blitzt Haut, aber das liegt wohl weniger an den Strümpfen, als an meinen langen Beinen und dem kurzen Kleid. Egal, jetzt kann ich das sowieso nicht mehr ändern, also kann ich es genauso gut voll Stolz tragen. Ich überprüfe meine Haltung, besinne mich des richtigen Schritts und marschiere aus der Toilette, als ginge es auf den Catwalk von Mailand hinaus. Wieder treffen mich missbilligende Blicke, aber diesmal kümmern sie mich wenig: So viel Neid muss man sich erst einmal verdienen.

Jetzt ist es an der Zeit, mich mit einem Aperitif zu bewaffnen und dann stolziere ich die Freitreppe hinauf, die in das nächste Geschoss führt. Die gesamte Galerie besticht durch offene klare Linien, die einen angemessenen Rahmen liefern ohne von den großflächigen Bildern des mir unbekannten Fotografen abzulenken.

Ich sehe mich nach Yvonne um, kann sie aber nirgends entdecken. Stattdessen bleibt mein Blick an einer lebensgroßen Fotografie hängen. Es zeigt den Rücken einer nackten, dunkelhäutigen Frau mit langem schwarzem Haar. Sie sieht zur Seite und zeigt uns damit ihr ausdrucksvolles Profil, das gleichermaßen Sehnsucht und Erfüllung ausdrückt. Langsam gehe ich näher, fasziniert von dem perfekt in Szene gesetzten Bild und ständig versucht nach links zu sehen, auf der Suche nach dem, was die Unbekannte dermaßen zu fesseln vermag.

„Unbenannte Sehnsucht und ihre Erfüllung“ steht auf dem Schild neben der Fotografie. „BEN HARDWORTH 2014; Kunstdruck 70.000€“

Im Normalfall kann ich mit konstruierten Kunsttiteln wenig anfangen, doch dieser spiegelt genau die Worte, die auch mir in den Sinn gekommen sind, stelle ich verblüfft fest. Wer ist der Mann, dass er hier ausstellen kann und noch dazu derartig unverschämte Preise verlangt? Der Name schreit förmlich nach einem Pseudonym und es ist vermutlich kein Zufall, dass sich weder auf der Einladung noch hier im Raum ein Bild des Künstlers findet.

Solcherart neugierig geworden, vertiefe ich mich in die Ausstellung. Die meisten Bilder sind in Schwarzweiß und zeigen weibliche oder männliche Akte, die nackte Haut mit Accessoires aus Seide und Spitze, Pelz oder Leder ästhetisch in Szene setzen. Mehr als einmal ertappe ich mich dabei, wie ich mich gedanklich in die Rolle des einen oder anderen Models versetze um das erotische Moment auszukosten.

Eine der Frauen, die mehrfach als Motiv auftaucht, erinnert mich in Vielem an mich selbst. Ein vergleichsweise kleines Bild zeigt sie auf einer Terrasse die gut hundert Meter oberhalb des ionischen Meeres liegt, zumindest lässt die Umgebung auf die griechischen Inseln schließen. Bis auf Manschetten, die ihre Handgelenke aneinanderfesseln, und ein Halsband aus Leder ist sie nackt. Lange blonde Haare wehen ihm Wind und ihre Miene zeigt eine Selbstsicherheit, die mich augenblicklich in ihren Bann schlägt. Natürlich habe ich schon von Bondage gehört und von anderen abartigen Spielarten, aber bislang habe ich Derartiges immer mit gebrochenen Opfern und sinnloser Gewalt assoziiert und als pervers abgetan. Jetzt ist da diese Frau auf dem Bild, die eine Kraft und eine Schönheit ausstrahlt, als wäre sie die Herrin der Situation. Ich stelle mich in die gleiche lässige Grätsche, hebe die aneinander gelegten Hände vor meine Brust und versuche sogar, den Zug ihres leicht geöffneten Mundes zu imitieren. Es fühlt sich gut an. Zuletzt werfe ich meine Haare zur Seite – und vermeine einen Moment lang den warmen Hauch des griechischen Sommers zu verspüren.

Ich riskiere einen Blick auf das Schild neben der Fotografie. „Diana, Bande der Leidenschaft; BEN HARDWORTH 2015; Kunstdruck 15.000€“

Warum schaue ich überhaupt nach, denke ich. Soweit kommt‘s noch, dass ich mir eine Nackte in die Wohnung hänge. Was glaubt der Kerl denn, wer er ist? Das Bild ist gerade einmal in A2-Größe und vielleicht habe ich insgeheim auf einen auch für mich erschwinglichen Preis gehofft. Und ja verdammt, mir gefällt das Bild, mir gefällt die Ästhetik und mir gefällt die Frau, trotz der Lederfesseln – wegen der Lederfesseln?

Ich kann mit dem Smartphone ein Bild knipsen. Das ist zwar verboten, aber es muss ja niemand mitbekommen. Vorsichtig sehe ich mich um, ob mich jemand beachtet. Es sind drei: Einer kann seine Augen gar nicht von mir lassen, ein anderer schielt immer wieder herüber, sobald er glaubt, seine Begleiterin sei abgelenkt und ein dritter gibt sich uninteressiert, obwohl er beinahe schon sabbert. Offensichtlich ist mein Auftritt nicht gerade unauffällig.

„Amanda“, höre ich eine Stimme hinter mir, die ich sofort wiedererkenne. „Schön, dass du gekommen bist.“

Ich zippe die Tasche zu, ehe sie mein aufnahmebereites Handy sieht, setze ein unverbindliches Lächeln auf und wappne mich für den ersten Waffengang. „Yvonne, Darling. Freut mich, dich zu sehen. Wie geht es dir?“

„Danke, und Dir?“ Wir umarmen uns und ich muss mich ein wenig hinabbeugen, ehe wir die obligatorischen Wangenküsschen austauschen. Sie ist kleiner als in meiner Erinnerung, aber das mag auch an meinen hohen Hacken liegen.

„Super“, antwortet sie und bleibt dabei ebenso oberflächlich wie ich.

Sie tritt einen Schritt zurück und wir mustern uns gegenseitig. Yvonne ist so attraktiv wie eh und je, obwohl sich an ihren Augenwinkeln schon deutliche Lachfältchen zeigen. Ihre Haare trägt sie nach wie vor lang, aber die schmalen Zöpfe, die oberhalb der Ohren nach hinten verlaufen, verleihen ihr zusätzlich Raffinesse. Sie trägt einen hochgeschlossenen dunkelblauen Hosenanzug, der die Schultern freilässt, ihre reichliche Oberweite aber mehr kaschiert als betont. Auch die schmalen Ohrringe und das natürlich wirkende Make-Up sind dezent – und wollen damit so gar nicht zu der Yvonne passen, die ich gekannt habe.

„Was machst du so?“, komme ich ihr zuvor, als sie zu einer Frage ansetzt.

„Alles Mögliche und Unmögliche“, antwortet sie. „Ich arbeite als Personal Assistent.“

Aha, Sekretärin, denke ich. Da hat’s fürs Medizinstudium wohl doch nicht gereicht. „Was verdient man da so?“, rutscht es mir über die Lippen, obwohl ich mir der Taktlosigkeit dieser Frage durchaus bewusst bin.

„Geht so“, weicht sie aus. „Wohnung, Urlaube, Auto – viel mehr brauch ich ja nicht“, und mehr bringe ich auch nicht aus ihr heraus.

„Für wen arbeitest du?“, setze ich nach, doch sie ignoriert meine Frage, nimmt mich am Arm und winkt einen Kellner mit einem Tablett voller Champagnergläser herbei.

Ich will abwehren, doch sie hat schon zwei Flöten in der Hand und reicht mir eine davon, nachdem sie mir mein eigenes, fast leeres Glas abgenommen hat. „Komm schon“, sagt sie. „Amüsier dich. Der Abend ist jung und wir sind es auch. Wie ist’s bei dir gelaufen? Modelst du noch?“

Ich schüttle den Kopf. „Nein, nicht mehr. Das ist vorbei. Ich arbeite als Wirtschaftsanwältin und das passt nicht zusammen.“

Yvonne legt den Kopf schief. „Was soll da nicht zusammenpassen? Die Termine?“

„Nein, da geht’s ums Image.“ Ich weiche ihrem forschenden Blick aus. „Die Kanzlei erwartet ein seriöses Auftreten und die Kunden ebenfalls. Da kann ich nicht gleichzeitig Unterwäsche präsentieren. Das ziemt sich nicht.“

„Stimmt“, pflichtet sie mir bei. „Die hübschesten Fische schwimmen in privaten Teichen und bleiben der gut zahlenden Kundschaft vorbehalten.“

„Blödsinn“, begehre ich auf. „Ich bin eine gute Anwältin.“

„Schnapp nicht gleich ein“, beschwichtigt sie. „Ich hab nie behauptet, du wärst schlecht in deinem Job. Ich wollte nur …“

Sie bricht ab, doch mein Kopfkino läuft ohnehin schon: Meetings mit Vorständen, Geschäftsführern und Aufsichtsräten, die allesamt mindestens doppelt so alt sind wie ich, Vorbesprechungen, in denen es primär darum geht, welche Frisur und welche Art von Kostüm bei welchem Kunden angemessen sind und weiche Ledergarnituren, in die ich so tief einsinke, dass mich nur noch meine strategisch platzierte Aktenmappe vor ungewollten Einblicken rettet.

„Was ist mit Robert?“, platzt Yvonne in meine ungewollte Selbsterkenntnis. „Seid ihr noch zusammen?“

„Fehlanzeige“, knurre ich, doch damit gibt sie sich nicht zufrieden.

„Robert war ein Idiot“, merke ich an und sie nickt verständnisvoll. Seit Robert hatte ich keine Beziehung mehr, die diese Bezeichnung verdiente. Auch mit Robert hatte ich keine Beziehung, schießt mir unvermutet durch den Kopf. Eher eine latente Krise mit sporadischem Sex. Ich räuspere mich um Zeit zu gewinnen, da ich Yvonne nicht alles auf die Nase binden will.

Noch während ich überlege, wie ich unser Gespräch wieder in unverfängliche Bahnen lenke, zieht sie mich zu einem Foto, das einen ebenso attraktiven wie muskulösen Mann zeigt, dessen bestes Stück nur von einem gekonnt platzierten Handgelenk verdeckt wird. „Gefallen dir die Fotos?“

Ich nicke. So wie die weiblichen Akte zuvor brilliert auch dieses Bild mit einer Ästhetik, dich ich selten zuvor gesehen habe. Die Augen des Mannes sind in eine unbekannte Ferne gerichtet und scheinen doch zugleich den Betrachter in ihren Bann zu schlagen. Langsam begreife ich, was den Wert des Fotografen ausmacht. „Ja, sie sind sehr schön. Mir sagt dieser Hardworth nichts, aber da hätte ich ohne deine Einladung jedenfalls etwas verpasst. Danke.“

Yvonne tritt an das Bild heran und legt zwei Finger an den metallisch schimmernden Rahmen. „Glaubst du, der ist überall so gut ausgestattet?“, erkundigt sie sich mit einem leisen Glucksen.

Ich sehe sie zweifelnd an, doch sie meint die Frage tatsächlich ernst. „Ich weiß nicht“, zögere ich, betrachte den Oberkörper und den durchtrainierten Bauch des Models an und bemerke, wie leichte Röte in mein Gesicht schießt. „Wahrscheinlich schon, so wie der da sitzt.“

Damit ist das Eis endgültig gebrochen und unsere beinahe schon naive Rivalität verblasst im Nebel einer vergangenen Ära. Kichernd schieben wir uns um die nächste Ecke. „Oh!“, ruft Yvonne, während ich mit offenem Mund stehenbleibe. Der Mann auf dem nächsten Bild ist definitiv derselbe wie zuvor, doch diesmal steht er frontal zur Kamera, demaskiert und ungeschützt. Nach einem Moment bemerke ich, dass ich auf seinen kleinen, fast winzig zu nennenden Penis starre. Langsam hebe ich den Blick, lasse ihn über den ebenmäßig modellierten Körper wandern, bis ich in ein ebenso schönes, wie ausdrucksstarkes Gesicht sehe. Da ist keinerlei Verunsicherung oder Scham zu erkennen, nur ein gelassener Ausdruck, der mich berührt.

„Wow!“, bringe ich schließlich hervor. „Das ist ganz schön mutig.“

„Meinst du das Model oder den Fotografen?“, erkundigt sich Yvonne, klingt dabei aber ziemlich abwesend.

„Ich weiß nicht“, antworte ich. „Beide?“

Sie sieht mich an und nickt. „Ich find’s gewagt, aber nicht schlecht. Mit meinen Vorurteilen habe ich jedenfalls krass danebengelegen.“

Ich schaue mich um, lasse meinen Blick über den offenen Raum mit den ausgestellten Fotografien gleiten und beobachte dabei die Menschen und ihre unterschiedlichen Reaktionen auf die teils sehr expliziten Werke. Den Großteil der Ausstellung habe ich jedenfalls gesehen und einige Bilder haben mir wirklich gut gefallen.

„Wollen wir einen Happen essen?“, schlägt Yvonne vor, doch mich zieht es zu einem Bereich, den ich bisher nicht beachtet habe. „Gleich“, gebe ich Bescheid. „Sehen wir uns zuvor da drüben noch um? Dann wären wir ziemlich durch.“

Die Fotografien in dem breiten Seitengang brillieren mit derselben distanzierten Ästhetik, die mich schon zuvor in ihren Bann geschlagen hat. Ein Bild zieht mich magisch an. Es zeigte eine blonde Frau, deren Handgelenke und Knöchel an den Stuhl gebunden sind, auf dem sie sitzt. Ihre Augenpartie ist von einer seidigen Binde verdeckt, während ihr leicht geöffneter Mund Sehnsucht signalisiert. Ein Hauch von einem Tuch umweht ihren Körper, getrieben von einem Wind, der auch ihre Haare zerzaust. Obwohl ihr Gesicht weitgehend verdeckt ist, erkenne ich sie als jene Diana, die mir zuvor schon aufgefallen ist. Scheinbar genießt sie die exponierte Pose, soweit ihre erigierten Brustwarzen diesen Rückschluss zulassen.

„Alles in Ordnung?“, höre ich Yvonnes Stimme wie aus weiter Ferne und zugleich spüre ich ihre Hand an meinem Arm. „Ja“, sagte ich mechanisch. „Ja natürlich.“ Ich wende mich ihr zu und sie starrt auf meine versteiften Knospen, die sich überdeutlich unter meinem Kleid abzeichnen. Obwohl sie sich rasch abwendet, laufe ich rot an wie eine ertappte Sechzehnjährige. „Gefällt dir sowas?“, erkundigt sie sich irritiert.

„Ja, nein, natürlich nicht“, stammle ich. Meine Wangen brennen vor Verlegenheit. „Sie gefällt mir, ihr Mut, ihr Ausdruck. Aber auf solche Spielchen kann ich verzichten. Wir sollten wirklich langsam was essen.“

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