Gejagt

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Aus der Reihe: Ein Riley Paige Krimi #5
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Gejagt
Gejagt
Hörbuch
Wird gelesen Katja Kessler
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Als Riley durch weitere Fotos blätterte, fand sie das Fahndungsfoto eines anderen Gangmitglieds.

"Wer ist das?" fragte Riley.

"Smokey Moran", antwortete Kelsey. "Shane the Chains rechte Hand – bis ich ihn wegen Drogenhandel festgenommen habe. Ihm drohte eine lange Haftstrafe, also hatte ich keine Probleme damit, ihn als Zeugen gegen Hatcher zu gewinnen, im Austausch für eine mildere Strafe. So haben wir Hatcher schließlich bekommen."

Rileys Haut fing an zu prickeln, als sie das Foto in den Händen hielt.

"Was ist aus Moran geworden?" fragte sie.

Kelsey schüttelte missbilligend den Kopf.

"Er ist immer noch da draußen", sagte sie. "Ich habe mir oft gewünscht, wir hätten diesen Deal nicht gemacht. Seit Jahren leitet er jetzt schon alle möglichen Gangaktivitäten. Die jungen Gangmitglieder sehen zu ihm auf und bewundern ihn. Er ist clever und schwer zu fassen. Die örtliche Polizei und das Büro waren nicht in der Lage, ihm das Handwerk zu legen."

Das prickelnde Gefühl nahm zu. Riley fand sich in Hatchers Gedanken wieder, wie er jahrzehntelang im Gefängnis über Morans Verrat nachgegrübelt hatte. In Hatchers moralischem Universum verdiente so ein Mann es nicht, zu leben. Und Gerechtigkeit war lange überfällig.

"Haben Sie eine aktuelle Adresse für ihn?" fragte Riley Kelsey.

"Nein, aber ich bin sicher, dass das Büro sie hat. Warum?"

Riley atmete tief durch.

"Weil Shane Hatcher dort hingeht, um ihn zu töten."

KAPITEL SIEBEN

Riley wusste, dass Smokey Moran sich in großer Gefahr befand. Doch wenn sie ehrlich war, dann kümmerte sie das Schicksal des Karriereverbrechers nicht wirklich.

Es ging um Shane Hatcher.

Ihre Mission war es, ihn wieder hinter Gitter zu bringen. Falls sie ihn fingen, bevor er Moran für seinen damaligen Verrat tötete, gut für ihn. Sie und Bill würden zu Morans Adresse fahren, ohne ihn vorzuwarnen. Das örtliche Büro konnte ihnen Leute zur Verstärkung dorthin schicken.

Die Fahrt von Kelsey Sprigges Mittelklasse-Haus in Searcy bis in die finstere, von Gangs kontrollierte Nachbarschaft in Syracuse, würde etwa eine halbe Stunde dauern. Der Himmel zeigte sich bewölkt, aber es fiel noch kein Schnee und der Verkehr bewegte sie flüssig auf den gut geräumten Straßen.

Während Bill fuhr, loggte Riley sich mit ihrem Handy in die FBI Datenbank ein und stellte ein paar schnelle Nachforschungen an. Sie sah, dass die Gang Situation vor Ort bedenklich war. Gangs hatten sich seit den frühen 1980er Jahren hier gebildet und zusammengeschlossen. Zu Zeiten von 'Shane the Chain' waren es hauptsächlich Einheimische gewesen. Seit dem hatten sich Gangs aus dem ganzen Land eingefunden und sorgten für größere Gewalt.

Die Drogen, die die Gewalt durch ihre Profite antrieben, waren seltsamer und gefährlicher geworden. Unter anderem umfassten sie Zigaretten, die in Einbalsamierungsflüssigkeit getunkt waren und Kristalle, genannt 'Badesalz', die Paranoia auslösten. Wer wusste, welche noch tödlichere Substanz bald um die Ecke kommen würde?

Als Bill vor dem heruntergekommenen Gebäude hielt, in dem Moran lebte, sah Riley zwei Männer mit FBI Jacken aus einem anderen Wagen steigen – Agenten McGill und Newton, die sie am Flughafen abgeholt hatten. Sie konnte an der Form ihrer Jacken sehen, dass sie schusssichere Westen darunter trugen. Beide hielten Remington Scharfschützengewehre.

"Moran wohnt im dritten Stock", sagte Riley.

Als die Gruppe von Agenten durch die Eingangstür des Gebäudes ging, trafen sie auf mehrere Männer, die in dem kalten und schäbigen Foyer standen und nach Gang–Mitgliedern aussahen. Sie standen einfach da, mit den Händen tief in den Taschen ihrer Kapuzenpullover vergraben, und schienen die bewaffneten Beamten gar nicht zu beachten.

Morans Bodyguards?

Sie dachte nicht, dass sie versuchen würden sie aufzuhalten, aber womöglich würden sie Moran signalisieren, dass sie auf dem Weg zu ihm waren.

McGill und Newton schienen die jungen Männer zu kennen. Die Agenten tasteten sie schnell ab.

"Wir sind hier, um Smokey Moran zu sehen", sagte Riley.

Keiner der Männer antwortete. Sie starrten die Agenten nur mit einem seltsamen, leeren Blick an. Das erschien Riley mehr als verdächtig.

"Raus", befahl Newton und die Männer nickten, bevor sie das Gebäude verließen.

Von Riley angeführt, stürmten die Agenten die drei Stockwerke nach oben. McGill und Newton kontrollierten sorgfältig jeden Flur. Im dritten Stock hielten sie vor Morans Wohnung.

Riley klopfte laut an die Tür. Als niemand antwortete, rief sie:

"Smokey Moran, hier ist FBI Agentin Riley Paige. Meine Kollegen und ich müssen mit Ihnen reden. Wir haben nicht vor, Sie zu verletzen. Wir sind nicht hier, um Sie zu verhaften."

Wieder keine Antwort.

"Wir haben Grund zu der Annahme, dass Ihr Leben in Gefahr ist", rief Riley.

Immer noch keine Antwort.

Riley drückte die Klinke herunter. Zu ihrer Überraschung war die Tür nicht verschlossen und schwang auf.

Die Agenten traten in ein ordentliches, nichtssagendes Apartment, mit so gut wie keinem Dekor. Es gab keinen Fernseher, keine elektronischen Geräte, kein Anzeichen von einem Computer. Riley wurde klar, dass Moran es schaffte, einen bedeuteten Einfluss auf die kriminelle Unterwelt auszuüben einfach indem er Befehle von Angesicht zu Angesicht gab. Ohne jemals online zu gehen oder ein Telefon zu benutzen, blieb er unter dem Radar der Strafverfolger.

Definitiv ein kluger Kerl, dachte Riley. Manchmal ist der altmodische Weg eben der Beste.

Aber er war nicht zu Hause. Die beiden örtlichen Beamten kontrollierten schnell alle Räume und Schränke. Niemand war in der Wohnung.

Sie gingen zurück ins Erdgeschoss. Als sie das Foyer erreichten, hoben McGill und Newton schussbereit ihre Gewehre. Die jungen Gang–Mitglieder warteten am Ende der Treppe auf sie.

Riley sah sie sich genauer an. Ihr wurde klar, dass sie offensichtlich die Anweisung gehabt hatten, Riley und ihre Kollegen die leere Wohnung durchsuchen zu lassen. Jetzt hatten sie etwas zu sagen.

"Smokey hat uns gesagt, dass Sie kommen würden", sagte einer von ihnen.

"Er hat eine Nachricht für Sie", sagte ein anderer.

"Suchen Sie drüben im alten Buschnell Lagerhaus an der Dolliver Street", sagte ein Dritter.

Dann, ohne ein weiteres Wort, traten sie einen Schritt zur Seite und machten den Agenten den Weg frei.

"War er alleine?" fragte Riley.

"War er, als er hier losgegangen ist", antwortete einer der jungen Männer.

Eine Art bedrückende Vorahnung hing in der Luft. Riley wusste nicht, was sie davon halten sollte.

McGill und Newton behielten die Männer im Auge, während die Agenten das Gebäude verließen. Wieder auf der Straße, sagte Newton, "Ich weiß, wo das Lagerhaus ist."

"Ich auch", nickte McGill. "Das ist nur ein paar Blocks von hier. Ist verlassen und steht zum Verkauf. Angeblich soll ein teures Wohnhaus daraus werden. Aber mir gefällt das Ganze nicht. Das ist der perfekte Ort für eine Falle."

Er nahm sein Telefon und rief weitere Verstärkung, die sie dort treffen sollte.

"Wir müssen vorsichtig sein", sagte auch Riley. "Zeigen Sie uns den Weg."

Bill fuhr, dem SUV folgend. Beide Wagen hielten vor einem vierstöckigen Backsteingebäude mit einer abbröckelnden Fassade und zerbrochenen Fenstern. Vor ihnen hielt ein weiterer FBI Wagen.

Riley verstand, warum McGill mehr Verstärkung angefordert hatte. Das Gebäude war riesig und heruntergekommen, mit drei dunklen Stockwerken voller dunkler und zerbrochener Fenster. Jedes dieser Fenster konnte mühelos einen Scharfschützen verstecken.

Die örtlichen Beamten hatten alle Gewehre dabei, aber sie und Bill trugen nur ihre Pistolen. Sie könnten leicht in einen Hinterhalt geraten.

Trotzdem ergab eine Falle für sie keinen Sinn. Nachdem er seit drei Jahrzehnten erfolgreich dem Gesetz ein Schnippchen geschlagen hatte, warum sollte ein so kluger Kerl wie Smokey Moran einen Schusswechsel mit dem FBI anzetteln?

Riley nahm das Funkgerät.

"Tragt ihr noch die Kevlars?" fragte sie.

"Ja", kam die Antwort.

"Gut. Bleiben Sie ihm Auto, bis ich Ihnen sage, dass Sie aussteigen sollen."

Bill hatte sich bereits in den gut ausgestatteten Kofferraum des SUV gebeugt und dort zwei Kevlarwesten für sie gefunden. Er und Riley zogen sie schnell über. Dann fand Riley ein Megafon.

Sie rollte das Fenster nach unten und rief in Richtung des Gebäudes.

"Smokey Moran, wir sind das FBI. Wir haben Ihre Nachricht bekommen. Wir sind hier, um mit Ihnen zu sprechen. Wir sind nicht hier, um Sie zu verhaften. Kommen Sie mit gehobenen Händen aus dem Gebäude und wir können uns unterhalten."

Sie wartete eine Minute ab. Nichts geschah.

Riley sprach wieder über das Funkgerät mit Newton und McGill.

"Agent Jeffreys und Ich steigen aus. Wenn wir draußen sind, kommen sie nach – mit gezogenen Waffen. Wir treffen uns alle am Eingang. Halten Sie den Blick nach oben. Wenn Sie irgendeine Bewegung sehen, gehen Sie sofort in Deckung."

Riley und Bill stiegen aus dem SUV und Newton und McGill taten es ihnen gleich. Drei weitere, schwer bewaffnete FBI Agenten stiegen aus dem anderen Wagen und kamen ebenfalls zu ihnen.

Die Agenten bewegten sich vorsichtig auf das Gebäude zu, die Augen auf die Fenster gerichtet, die Waffen im Anschlag. Schließlich erreichten sie die relative Sicherheit der riesigen Eingangstür.

"Was ist der Plan?" fragte McGill, der hörbar nervös war.

 

"Shane Hatcher verhaften, wenn er hier ist", sagte Riley. "Ihn töten, falls nötig. Und Smokey Moran finden."

Bill fügte hinzu, "Wir müssen das gesamte Gebäude durchsuchen."

Riley konnte an ihren Gesichtern ablesen, dass den anderen Agenten dieser Plan nicht gefiel. Sie konnte ihnen keinen Vorwurf machen.

"McGill", sagte sie, "fangen Sie im Erdgeschoss an und machen Ihren Weg nach oben. Jeffreys und ich gehen nach ganz oben und arbeiten uns nach unten durch. Wir treffen uns in der Mitte."

McGill nickte. Riley konnte Erleichterung über sein Gesicht flackern sehen. Sie wussten, dass die Gefahr mit großer Wahrscheinlichkeit nicht im unteren Teil des Gebäudes lag. Bill und Riley würden das größere Risiko übernehmen.

Newton sagte, "Ich gehe mit Ihnen mit."

Sie sah seinen entschlossenen Gesichtsausdruck und erhob keine Einwände.

Bill drückte die Türen auf und sie betraten nacheinander das Gebäude. Eisiger Wind pfiff durch die Fenster im Erdgeschoss, das hauptsächlich aus leerer Fläche bestand, mit einigen Pfeilern und Türen zu Nebenräumen. Riley und Bill überließen McGill und den drei anderen Agenten das Feld und bewegten sich zu der nach oben führenden Treppe. Newton folgte dicht hinter ihnen.

Trotz der Kälte konnte sie Schweiß in ihren Handschuhen und auf ihrer Stirn fühlen. Sie spürte ihr Herz hart gegen die Brust schlagen und bemühte sich, ihren Atem unter Kontrolle zu halten. Egal wie oft sie so etwas tat, sie würde sich nie daran gewöhnen. Das konnte niemand.

Endlich erreichten sie das oberste Stockwerk.

Die Leiche war das Erste, was Riley ins Auge fiel.

Sie war mit Klebeband an einen Pfeiler gefesselt und so schlimm zugerichtet, dass sie kaum noch menschlich aussah. Reifenketten hingen um ihren Hals.

Hatchers bevorzugte Waffe, erinnerte sich Riley.

"Das muss Moran sein", sagte Newton.

Riley und Bill tauchten einen Blick aus. Sie wussten, dass sie ihre Waffen noch nicht wegstecken durften – noch nicht. Die Leiche könnte ein Trick von Hatcher sein, um sie aus der Deckung zu locken.

Als sie auf die Leiche zugingen, blieb Newton einige Schritte zurück, das Gewehr bereit.

Gefrierende Blutlachen blieben an Rileys Schuhsohlen kleben, als sie sich der Leiche näherte. Das Gesicht war bis zur Unkenntlichkeit zerschlagen und es würde DNA oder Zahnabdrücke benötigen, um sie klar zu identifizieren. Aber Riley zweifelte nicht daran, dass Newton Recht hatte; das hier musste Smokey Moran sein. Groteskerweise waren seine Augen immer noch weit offen und der Kopf so an den Pfeiler geklebt, dass er geradewegs auf Riley zu starren schien.

Riley sah sich um.

"Hatcher ist nicht hier", sagte sie und steckte ihre Waffe weg.

Bill folgte ihrem Beispiel und trat dann ebenfalls zur Leiche. Newton blieb wachsam, hielt das Gewehr schussbereit und drehte sich immer wieder in alle Richtungen.

"Was ist das?" sagte Bill und zeigte auf ein gefaltetes Stück Papier, das aus der Jackentasche des Opfers ragte.

Riley nahm das Papier heraus. Darauf stand:

"Ein Pferd ist an einer sieben Meter langen Kette und isst einen Apfel, der acht Meter entfernt ist. Wie ist das Pferd an den Apfel gekommen?"

Riley hatte eine dunkle Vorahnung. Es überraschte sie nicht, dass Shane nur ein Rätsel hinterlassen hatte. Sie reichte Bill das Papier. Bill las es und sah Riley dann verwirrt an.

"Die Kette ist nirgendwo befestigt", sagte Riley.

Bill nickte. Riley wusste, dass er die Bedeutung des Rätsels verstand:

Shane the Chain war entfesselt.

Und er fing gerade erst an, seine Freiheit zu genießen.

KAPITEL ACHT

Als sie an diesem Abend mit Bill an der Hotelbar saß, konnte Riley das Bild der zerschundenen Leiche nicht aus ihrem Kopf verbannen. Weder sie noch Bill hatten verstehen können, was passiert war. Sie konnte nicht glauben, dass Hatcher nur aus dem Gefängnis ausgebrochen war, um Smokey Moran zu töten. Aber es gab keinen Zweifel daran, dass er es getan hatte.

Die Weihnachtsbeleuchtung der Bar wirkte in ihrer Stimmung aufdringlich und grell statt festlich.

Sie hielt dem Barkeeper ihr leeres Glas entgegen. "Noch einen für mich", sagte sie und reichte ihm das Glas.

Riley bemerkte aus den Augenwinkeln, dass Bill sie unbehaglich ansah. Sie wusste, warum. Das war bereits der zweite Bourbon on the Rocks heute Abend. Bill kannte Rileys Verhältnis zu Alkohol, das nicht immer schön war.

"Mach dir keine Sorgen", beruhigte sie ihn. "Das ist der letzte für heute."

Sie hatte nicht vor, sich zu betrinken. Aber sie brauchte ein wenig Entspannung. Das erste Glas hatte nicht geholfen und sie bezweifelte, dass es das zweite tun würde.

Riley und Bill hatten den Rest des Tages mit den Nachwirkungen von Smokey Morans Tod verbracht. Während sie und Bill mit der örtlichen Polizei und dem Team des Gerichtsmediziners am Tatort gearbeitet hatten, waren die Agenten McGill und Newton zurück zu Morans Wohnung gefahren. Sie hatten mit den jungen Männern reden sollen, die dort zuvor im Foyer Wache standen. Aber die waren nirgendwo zu finden. Morans Wohnung blieb ungeschützt und unverschlossen.

Als der Barkeeper ihr den Whiskey auf die Bar stellte, erinnerte sich Riley an das, was die Männer zu ihnen gesagt hatten.

"Smokey hat uns gesagt, dass Sie kommen würden."

"Er hat eine Nachricht für Sie."

Dann hatten sie ihnen gesagt, wo sie Smokey Moran finden würden.

Riley schüttelte den Kopf, während sie den Augenblick noch einmal in Gedanken abspielte.

"Wir hätten mit ihnen reden sollen, als wir die Möglichkeit dazu hatten", sagte sie zu Bill. "Wir hätten Fragen stellen sollen."

Bill zuckte mit den Achseln.

"Worüber?" fragte er. "Was hätten sie uns sagen können?"

Riley antwortete nicht. In Wahrheit wusste sie es auch nicht. Aber es kam ihr seltsam vor. Sie erinnerte sich an die Gesichter der Gang-Mitglieder – ernst, düster, sogar traurig. Es war fast so, als wüssten sie, dass ihr Anführer in seinen Tod gegangen ist, und das Betrauern bereits begonnen hätte. Die Tatsache, dass sie ihre Posten bereits verlassen hatten, schien das zu bestätigen.

Also was hatte Moran ihnen gesagt, bevor er gegangen war? Dass er zurückkommen würde? Riley verstand nicht, was er sich dabei gedacht hatte. Würde ein kluger, abgehärteter Krimineller wie Moran der Gefahr nicht aus dem Weg gehen? Warum war er überhaupt zu dem Lagerhaus gegangen, wenn er wusste, was dort auf ihn wartete.

Rileys Gedanken unterbrechend fragte Bill, "Was glaubst du, wird Hatcher als nächstes tun?"

"Ich weiß es nicht", sagte Riley.

Es war schwer das zuzugeben, aber die Wahrheit. Erfahrene Agenten bewachten Kelsey Sprigges Haus, für den Fall, dass sie Hatchers nächstes Ziel war. Aber Riley dachte nicht, dass das der Fall war. Kelsey hatte Recht. Hatcher würde die Frau nicht dafür töten, dass sie vor all den Jahren ihren Job gemacht hatte, vor allem, da sie sein Leben gerettet hatte.

"Denkst du, er könnte dich als nächstes Ziel haben?" überlegte Bill.

"Ich wünschte, das würde er", sagte Riley.

Bill sah sie leicht erschrocken an.

"Das kann nicht dein Ernst sein", sagte er.

"Doch, ist es", sagte Riley. "Wenn er sich nur zeigen würde, dann könnte ich vielleicht etwas tun. Das hier ist wie ein Schachspiel mit verbundenen Augen. Wie kann ich meinen Zug machen, wenn ich seine nicht kenne?"

Bill und Riley nippten für einen Moment schweigend an ihren Drinks.

"Du hast ihn auch getroffen, Bill", sagte Riley dann. "Was hältst du von ihm?"

Bill entfuhr ein langer Seufzer.

"Nun, er schien zumindest mich im Handumdrehen zu verstehen", sagte er. "Er sagte, ich solle nicht versuchen, die Sache mit Maggie wieder in Ordnung zu bringen. Ich hatte keine Ahnung, wie richtig er damit lag."

"Wie läuft es dieser Tage mit Maggie?" fragte Riley.

Bill wirbelte das Eis in seinem Glas herum.

"Gar nicht", sagte er. "Ich fühle mich gestrandet. Sechs Monate Trennung, keine Chance auf Versöhnung, aber noch sechs Monate, bevor die Scheidung durch ist. Es ist, als würde mein Leben gerade still stehen. Zumindest wird sie lockerer was das Sorgerecht der Jungs angeht. Sie lässt mich Zeit mit ihnen verbringen."

"Das ist gut", sagte Riley.

Sie bemerkte, dass Bill sie jetzt wehmütig ansah.

Das ist nicht gut, dachte sie.

Sie und Bill hatten jahrelang mit ihrer gegenseitigen Anziehung gekämpft, manchmal sehr ungeschickt. Riley zuckte immer noch zusammen, wenn sie an die Nacht dachte, in der sie ihn betrunken angerufen und eine Affäre vorgeschlagen hatte. Ihre Freundschaft und ihre professionelle Beziehung hatten diesen Ausrutscher fast nicht überlebt.

Sie wollte diesen Weg nicht noch einmal gehen, vor allem jetzt nicht, da sie durch Ryan und Blaine schon zur Genüge verwirrt war. Sie kippte den Rest des Drinks herunter.

"Zeit für mich, schlafen zu gehen", sagte sie.

"Ja, für mich auch", erwiderte Bill mit einer Spur Widerwillen in der Stimme.

Sie zahlten und verließen die Bar. Bill ging direkt zu seinem Zimmer. In der Hektik des Tages hatte Riley ihre Reisetasche noch nicht aus dem Auto holen können. Sie ging eine Treppe herunter und durch eine Tür, die direkt in die Tiefgarage des Hotels führte.

Ein kalter Windzug traf sie hart im Gesicht, als sie die Betonfläche betrat. Niemand war zu sehen.

Sie ging direkt auf den SUV des FBIs zu, der auf der anderen Seite der Garage stand. In dem Moment, in dem sie sich nach dem Türgriff ausstreckte, sah sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung zu ihrer Linken.

Sie drehte ihren Kopf, um hinzusehen. Außer den geparkten Autos konnte sie nichts sehen, meinte aber das Echo einer Bewegung zu vernehmen. Sie war sich sicher, dass ihre Augen ihr keinen Streich gespielt hatten. Jemand war in der Garage.

"Hallo", rief sie laut.

Ihre Stimme hallte durch die Garage, gefolgt von dem Heulen des Windes.

Adrenalin schoss ihr durch die Adern. Sie war sich sicher, dass jemand hier war und sich vor ihr versteckte. Wer könnte es außer Shane Hatcher sein?

Sie zog ihre Waffe und fragte sich, ob er ebenfalls eine hatte. Falls ja, würde er sie nutzen? Nein, einfach jemanden zu erschießen, schien nicht Hatchers Stil zu sein. Sie wäre nicht überrascht, wenn er unbewaffnet wäre – aber das würde ihn nicht weniger gefährlich machen.

Sie ging vorsichtig auf die Stelle zu, an der sie meinte, das Geräusch gehört zu haben. Ihre Schritte schienen ohrenbetäubend laut durch die Garage zu hallen. Kaum war sie wenige Schritte gegangen, hörte sie hinter sich ein Geräusch, gefolgt von einem klackernden Laut.

Sie wirbelte herum, ihre Waffe ihm Anschlag. Aber in der Sekunde hörte sie laufende Schritte aus der entgegengesetzten Richtung. Sie wirbelte wieder herum, aber sah und hörte nichts.

Sie verstand sofort, was passiert war. Er hatte etwas geworfen – vielleicht einen Stein – um sie abzulenken. Jetzt bewegte er sich irgendwo zwischen den geparkten Autos. Aber wo?

Sich von einer Seite zur anderen drehend, bewegte sie sich durch die geparkten Wagen und sah sich überall um.

Schließlich erreichte sie den Ausgang der Garage. Draußen fiel Schnee. Und dort war er – eine unverkennbare Silhouette auf freier Fläche, vor den grellen Außenlichtern.

"Hatcher!" rief Riley und richtete ihre Waffe auf ihn. "Stehen bleiben!"

Sie hörte ein vertrautes, hartes Lachen. Dann verschwand er in der Nacht.

Riley sprintete los und stürmte durch den weiten Ausgang. Der Wind war außerhalb der Garage deutlich schärfer und Riley war nicht warm angezogen. Sie zitterte heftig und erstickte fast an der kalten Luft. Schneeflocken peitschten ihr ins Gesicht.

Die Ausfahrt vor der Garage führte ein kurzes Stück weiter auf eine hell beleuchtete Straße. Sich in alle Richtungen drehend, rief Riley.

"Hatcher! Zeigen Sie sich!"

Jetzt hörte sie das leise Brummen des nahen Verkehrs. Über die schneebedeckten Formen von Büschen und Bäumen blickend, konnte Riley sich nicht vorstellen, dass er sich dazwischen verstecken würde.

"Hatcher!" rief sie wieder.

Schließlich erreichte sie die Straße und sah sich auf den freigeräumten Bürgersteigen um. Es war weit und breit niemand zu sehen.

 

Er ist weg, entschied sie.

Immer noch wachsam, ging Riley zurück zur Garage. Gerade als sie in den breiten Eingang trat, hörte sie Bewegung hinter sich.

Bevor sie reagieren konnte, wurde sie brutal von hinten gepackt.

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