London

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3. ZWISCHEN STRAND UND THEMSE: EINE ARISTOKRATISCHE VERGANGENHEIT

Im abschüssigen Gelände entdecken wir Spuren aus der Zeit, als entlang The Strand ein Adelspalast neben dem anderen stand. Deren Gärten erstreckten sich zu Bootsanlegern am Themseufer hinunter, denn der Wasserweg war damals bequemer als eine Kutschenfahrt. Unsere Route verläuft teils unterirdisch, bietet aber auch einen schönen Ausblick aus luftiger Höhe.

Ausgangspunkt ist die Südseite vom Trafalgar Square am westlichen Ende von The Strand. Wir biegen in die Northumberland Avenue ein, nehmen die erste Straße links (Northumberland Street) und sehen den Sherlock Holmes Pub. Direkt neben dem Pub führt eine enge Gasse, Craven Passage, zur Craven Street, wo Haus Nr. 36 eine besondere Bedeutung für amerikanische Besucher hat. Hier wohnte zwischen 1757 und 1775 ein Gründungsvater der Vereinigten Staaten, Benjamin Franklin (1706 bis 1790) und vertrat in London die Interessen der amerikanischen Kolonien. Vor einigen Jahren fand man im Keller Tausende menschliche Knochen – wahrscheinlich die Überreste von Leichen, die eine im Haus beheimatete Anatomieschule auf illegale Weise zu Lehrzwecken erwarb.


Sherlock Holmes Pub


York Watergate

Die Craven Passage führt als Fußgängertunnel unter dem Bahnhof Charing Cross weiter zur Villiers Street. Hier geht es nach rechts hinunter zum ältesten Weinlokal in London, der stimmungsvoll-schummrigen, seit 1890 familiengeführten Gordon’s Wine Bar, und direkt dahinter nach links in den Watergate Walk. Nach wenigen Metern ist das namensgebende Tor erreicht: das um 1626 errichtete York Watergate. Es diente George Villiers, dem ersten Herzog von Buckingham, als imposanter Eingang von der Themse zu seiner Residenz, York House. 50 Jahre später wurde York House abgerissen, aber das Villiers-Wappen schmückt noch heute die Schauseite des Tores.


Adelphi Terrace

Am Ende des Watergate Walk gehen wir links in die Straße York Buildings, dann rechts in die John Adam Street. Haus Nr. 8 entwarf Robert Adam 1774 als Sitz der Royal Society of Arts. Der Schotte Adam wird als Vater des klassizistischen Stils in Großbritannien angesehen (siehe Tipp 26, Seite 134, Syon House). Mit seinen Brüdern zusammen tat er sich als Immobilienentwickler hervor. Hier bauten sie auf sumpfigem Gelände die Adelphi Buildings (Adelphi: altgriechisch für „Brüder“), 24 auf Gewölbekellern erhöhte Stadthäuser mit Themse-Blick. In den 1930er-Jahren wurden diese abgerissen und das New Adelphi im Art-déco-Stil erbaut. Von Adams Anlage blieb nur die Nr. 11 Adelphi Terrace, die man über die Robert Street (rechts kurz vor der Royal Society) erreicht. Von der Terrasse vor dem New Adelphi blickt man auf die Embankment Gardens hinunter.

An der Ostseite der Adelphi Terrace nehmen wir die Treppe hinunter zum Savoy Place, gehen dann nach links zum Themse-Eingang des edlen Savoy Hotel. Direkt davor biegen wir links ab in den Carting Lane, dann rechts in den Savoy Way – wieder ein Tunnel, denn darüber türmt sich das Hotel – und einige Schritte weiter zur Savoy Chapel. Diese ist eine Eigenkirche des Monarchen und hat ihren Namen vom Savoy Palace, den Peter von Savoyen im 13. Jahrhundert bauen ließ. Seine Nichte hatte den englischen König geheiratet. Der Palast, der als feinste Residenz Londons galt, wurde im Bauernaufstand 1381 zerstört. An der Stelle entstand ab 1490 ein Spital für Bedürftige, von dem nur die Kapelle übrig blieb. Der Weg zurück zu The Strand führt über die Savoy Street oder vom Savoy Way aus durch eine merkwürdige unterirdische Passage im Bauch des Hotels.


Savoy Chapel

INFO

Adresse: Start: Trafalgar Square, WC2N 5DN, Ende: Strand

Anfahrt: U-Bahn nach Charing Cross (Bakerloo, Northern Line); Abreise: ab Charing Cross

Dauer: 1 Stunde, Weglänge: ca. 2 Kilometer

Sehenswertes:

 Benjamin Franklin House: verschiedene Führungen werden angeboten; benjaminfranklinhouse.org

 Savoy Chapel: geöffnet Montag bis Donnerstag 9 bis 16 Uhr; royalchapelsavoy.org

Essen & Trinken:

 Gordon’s Wine Bar: eine Londoner Institution – gute Weine in urigen Kellergewölben, dazu warme Gerichte und hervorragende Käseteller; 47 Villiers Street, gordonswinebar.com

 The Coal Hole: Pub mit einem wunderbaren Interieur – Stuckreliefs und ein Thekenaufbau aus Holz und Glas; 91–92 The Strand, Ecke Carting Lane, nicholsonspubs.co.uk, unter „Find a pub“ den Namen „Coal Hole“ eingeben

4. VON DER KATHEDRALE BIS BLACKFRIARS: MÖNCHE, APOTHEKER UND THEATERGESCHICHTE

Dieser kurze Spaziergang durch die Gassen eines kleinteilig angelegten Viertels ruft Erinnerungen an ein älteres London wach und führt zu einer Wirkungsstätte von William Shakespeare. Krönender Abschluss ist einer der schönsten Pubs der ganzen Stadt.

Nach dem Great Fire 1666 wollte Sir Christopher Wren, Architekt von St Paul’s Cathedral, die zerstörte Stadt schöner und großzügiger als zuvor wieder aufbauen. Dieser Weg durch kleine Straßen zeigt, dass er mit dem Vorhaben scheiterte, denn die Londoner wollten ihre Häuser an der gewohnten Stelle schnell wieder errichten. So blieb das Straßenmuster aus dem Mittelalter erhalten. Dies ist sofort ersichtlich, wenn man – den westlichen Haupteingang der Kathedrale im Rücken – links die Straße St Paul’s Churchyard überquert und in den Dean’s Court tritt. Das stattliche Haus rechts hinter Platanen ist die 1670 gebaute Residenz des Bischofs. Direkt angrenzend an der Ecke steht die ehemalige Chorknabenschule des Doms, heute eine Jugendherberge, mit Sgraffito-Verzierungen.


Einst Chorknabenschule, heute Jugendherberge


King’s Wardrobe: hier wurde einst die festliche Hofkleidung aufbewahrt

Um die Ecke in der Carter Lane, gegenüber der Herberge, führt ein Durchgang in den Hof Wardrobe Place. Eine Wandtafel neben einer blau verzierten Tür erzählt, dass der kleine Platz von 1361 bis zum Great Fire Standort der King’s Wardrobe war, des Amtes, das die festliche Kleidung des Königshofes aufbewahrte. Wir gehen weiter durch die Carter Lane und links in St Andrew’s Hill. Am unteren Ende dieser Straße befindet sich die Kirche St Andrew-by-the-Wardrobe. Hier feiert die Syrisch-Orthodoxe Gemeinde ihre Sonntagsmesse. Die liturgische Sprache ist Syriakisch, viele Gemeindemitglieder stammen aus Indien.

Wir gehen zurück auf St Andrew’s Hill zur Eckkneipe The Cockpit, dann links in die verkehrsfreie Passage Ireland Yard. Hier kaufte William Shakespeare 1613 ein Haus. Die Gegend kannte er gut, denn Ireland Yard führt weiter zum Playhouse Yard, wo die Schauspielertruppe The King’s Men auftrat. Shakespeare schrieb Stücke für die King’s Men und spielte selbst mit. Ihre Bühne war der ehemalige Speisesaal eines Dominikanerklosters, der diesem Stadtteil den Namen gab: Blackfriars, nach der schwarzen Kutte der Bettelmönche („friars“). Am Ende von Ireland Yard lohnt ein Abstecher rechts durch eine Gasse zu einem Garten an der Stelle der abgerissenen Kirche St Ann Blackfriars.


The Blackfriar

Ireland Yard setzt sich in Playhouse Yard fort und mündet rechts in die Blackfriars Lane. Hier findet sich ein Überbleibsel der historischen Zünfte: die Zunfthalle der Society of Apothecaries (Apotheker), eine der 108 Londoner „livery companies“. Diese entstanden im Mittelalter als Zünfte der Schneider, Weinhändler, Goldschmiede und so weiter. Sie regelten Handel und Handwerk, hatten religiöse Aufgaben und wählen bis heute den Bürgermeister, den „Lord Mayor“. Mittlerweile dienen sie meist wohltätigen Zwecken, aber manche erfüllen noch praktische Aufgaben – die Society of Apothecaries ist eine Prüfinstanz für medizinische Spezialgebiete. Die Zunfthalle stammt aus der Zeit um 1670. Das Wappen an der Fassade zeigt den Gott Apoll, der einen Drachen, Symbol der Krankheit, besiegt.


Apothecaries Hall, eine historische Zunfthalle

Gegenüber führt eine Treppe über die Bahnlinie in die New Bridge Street. Dort gehen wir nach links und erreichen nach einer Minute eine herrliche Eckkneipe. The Blackfriar mit einem freundlich blickenden Dominikanermönch über dem Eingang und einem überreich geschmückten Interieur aus Stuckarbeit, Buntglasfenstern und mittelalterlichen Szenen auf Kupferreliefs ist ein Gesamtkunstwerk des Jahres 1875.

 

INFO

Adresse: Start: Ludgate Hill/St Paul’s Churchyard, EC4M 8AY, Ende: 174 Queen Victoria Street

Anfahrt: U-Bahn nach St Paul’s (Central Line); Abreise: U-Bahn ab Blackfriars (Circle, District Line)

Dauer: 45 Minuten, Weglänge: ca. 1 Kilometer

Sehenswertes:

 St Andrew-by-the-Wardrobe Church: Vorraum zugänglich Montag bis Freitag 9 bis 16 Uhr, Kirchenschiff nur Freitag 10 bis 15 Uhr, syrisch-orthodoxer Gottesdienst Sonntag 9 Uhr; standrewbythewardrobe.net

Essen & Trinken:

 The Blackfriar: deftige, pub-typische Küche wie Pies, Würstchen, Fish & Chips, geöffnet Montag bis Samstag 10 bis 23 Uhr, Sonntag 12 bis 22:30 Uhr; 174 Queen Victoria Street, nicholsonspubs.co.uk, unter „Find a pub“ den Namen „Blackfriar“ eingeben

5. RUND UM DIE CHANCERY LANE: DAS HISTORISCHE JURISTENVIERTEL

Die historischen Rechtsschulen südlich der Fleet Street ziehen wegen der runden Kirche der Tempelritter viele Besucher an. Die Gegend nördlich der Fleet Street, beiderseits der Chancery Lane, wartet mit weniger bekannten Überraschungen und Kuriositäten auf.


Maughan Library

Von der Fleet Street biegen wir in Richtung Norden in die Chancery Lane, gehen nach knapp 100 Metern rechts durch ein Eisentor in einen Garten und stehen vor einem imposanten neugotischen Bau aus den 1850er-Jahren. Er beherbergte einst das Nationalarchiv, heute die Maughan Library, eine Universitätsbibliothek. Im Weston Room, den Besucher für Sonderausstellungen betreten dürfen, sieht man Glasmalereien und Prachtgräber aus der längst abgerissenen Rolls Chapel, der Kapelle eines hohen Richters. In seiner Obhut lagen die Gerichtsdokumente des Landes auf Schriftrollen („rolls“). Das Haus mit Säulenportikus auf der Chancery Lane gegenüber der Maughan Library gehört dem Verband britischer Rechtsanwälte (Law Society). Etwas weiter nördlich liegt ein 1689 gegründetes Geschäft: Ede & Ravenscroft, ein auf die Berufskleidung von Rechtsanwälten spezialisierter Schneider. Im holzgerahmten Schaufenster sind Talare und aus Pferdehaar hergestellte Richterperücken zu bewundern.


Ede & Ravenscroft verkauft Talare und Perücken für Rechtsanwälte


Diese historische öffentliche Toilette wird nicht mehr benutzt

Kurz dahinter führt die Passage Chichester Rents links zur Gasse Star Yard und einem seltenen Relikt. Die Hütte aus verzierten grünlichen Gusseisenplatten ist eine öffentliche Toilette des 19. Jahrhunderts. Am Ende von Star Yard biegen wir rechts in die Carey Street ein. Wer eine Pause braucht, geht geradeaus an einem alteingessenen Geschäft für Silberwaren vorbei zu einem stimmungsvollen Pub, The Seven Stars. Seit 1602 stillt eine Taverne an dieser Stelle den Durst der Juristen. Sonst geht es nach wenigen Metern nach rechts durch ein klassizistisches Tor mit dem Jahresdatum 1848 zum New Square.

Jetzt befinden wir uns im Lincoln’s Inn, einer der vier historischen Institutionen für Anwälte (Inns of Court), die jeweils eine ruhige Enklave mitten in London besitzen. Lincoln’s Inn wurde wahrscheinlich im 14. Jahrhundert gegründet und verweist auf viele prominente Ehemalige, zum Beispiel den Staatsmann und katholischen Märtyrer Thomas Morus und fünf Premierminister, darunter Margaret Thatcher und Tony Blair. Früher wohnten Jurastudenten in den Inns, heute werden sie dort ausgebildet. In den Höfen mit Rasen und Bäumen sind Anwaltskanzleien angesiedelt, außerdem hat jeder Inn eine Kapelle und eine Aula (Hall) für Feierlichkeiten – die Old Hall von Lincoln’s Inn wurde 1490 erbaut. Öffentlich zugänglich sind in Lincoln’s Inn nur die Höfe und die Kapelle, letztere 1623 errichtet. Das Interieur mit Buntglasfenstern und dunklem Holz ist gut erhalten.


Höfe im Lincoln's Inn mit Rasen und Bäumen

Neben der Kapelle verlassen wir den Inn durch ein Torhaus aus der Zeit um 1520 und halten uns links. Wir befinden uns wieder auf der Chancery Lane, die im 12. Jahrhundert den Tempelrittern als Verbindung zwischen ihrem „Old Temple“ weiter nördlich und dem Gelände südlich der Fleet Street (heute Inner Temple und Middle Temple) diente. An der Ecke Chancery Lane/Southampton Buildings lohnt es sich unbedingt, die gut bewachten Gewölbekeller der Silver Vaults zu besuchen, wo etwa 30 Spezialgeschäfte kostbare Silbergeräte verkaufen: Schmuck, Teeservices, Tafelsilber, kostbarer Schnickschnack aller Art – eine Warenauslage, über die man nur staunen kann. Southampton Buildings führt weiter zum Staple Inn, einer ehemaligen Rechtsschule. Durch Garten und Hof gelangt man zu einer prächtigen Fachwerkfassade an der Straße Holborn.


Gewölbe unter der Kapelle des Lincoln's Inn


Fachwerkfassade des Staple Inn an der Straße Holborn

INFO

Adresse: Start: Fleet Street/Chancery Lane, EC4Y 1AA, Ende: High Holborn

Anfahrt: U-Bahn: nach Temple (Circle, District Line), viele Busse fahren vom Trafalgar Square entlang The Strand und Fleet Street zum Anfang des Spaziergangs, z. B. die historischen Routemaster-Busse der Linie 15; Abreise: ab Chancery Lane (Central Line)

Dauer: ca. 45 Minuten, Weglänge: ca. 1,5 Kilometer

Sehenswertes:

 Lincoln’s Inn: Höfe Montag bis Freitag 7 bis 19 Uhr, Kapelle Montag bis Freitag 12 bis 14:30 Uhr; lincolnsinn.org.uk

 Silver Vaults: Montag bis Freitag 9 bis 17:30 Uhr, Samstag 9 bis 13 Uhr; silvervaultslondon.com

Essen & Trinken:

 The Seven Stars: Montag bis Samstag 11 bis 23 Uhr, Sonntag 12 bis 22:30 Uhr; 53 Carey Street, thesevenstars1602.co.uk

 The Knights Templar: einfaches Pub-Essen in einer umgebauten Bank, Montag bis Freitag 8 bis 23 Uhr, Samstag 11 bis 18:30 Uhr; 95 Chancery Lane, jdwetherspoon.com/pubs/all-pubs/england/london/the-knights-templar-near-fleet-street

6. FITZROVIA: INTELLEKTUELLES PFLASTER

Fitzrovia präsentiert sich als ein lebendiges Stadtviertel, das mit seiner Mischung aus Wohnhäusern, Geschäften, Büros, Kneipen, Cafés und Kunstgalerien zu einem Bummel einlädt. Unübersehbar thront über allem der 189 Meter hohe BT Tower.


Berühmte Wohnstätte: Virginia Woolfs Domizil von 1907 bis 1911

Zu den Stadtentwicklern im 18. Jahrhundert gehörte Charles FitzRoy, der spätere Baron Southampton, der den nördlichen Bezirk Fitzrovia gestaltete. Die Anlage des Fitzroy Square ließ er vom damaligen Stararchitekten Robert Adam entwerfen, der für die prachtvollen georgianischen Häuser hochwertigen Portland-Kalkstein verwendete. Gedacht waren die Häuser für die Oberschicht, die sich hier ansiedeln sollte. Die zog es jedoch vor, in die benachbarten Stadtviertel Marylebone und Bloomsbury zu ziehen. Stattdessen etablierten sich französische und andere Einwanderergruppen und begannen Möbelhandel zu betreiben.

Berühmtheit gelangte das Viertel im 19. und 20. Jahrhundert, als es viele Künstler und Intellektuelle in dieses Viertel zog, darunter der Autor E. M. Forster, der Maler Roger Fry und der Ökonom und Mathematiker John Maynard Keynes. Bekannte Persönlichkeiten wohnten am Fitzroy Square. Im 19. Jahrhundert war es der irische Dramatiker George Bernard Shaw und Anfang des 20. Jahrhundert Virginia Woolf, die hier mit ihrem Bruder lebte. Eine blaue Plakette an Haus Nr. 29 erinnert an sie. Von hier aus organisierte sich die Bloomsbury Künstlergruppe. Vorher hatte George Bernard Shaw von 1881 bis 1882 in der Fitzroy Street 37 residiert. In den 1950er-Jahren zog der Begründer der Scientology, L. Ron Hubbard hier ein. Heute ist das Haus ein kleines Museum, das eine Ausstellung über sein Wirken zeigt.

Anders als in Marylebone und Bloomsbury, die Grundbesitz von Herzögen und Grafen waren, gab es in Fitzrovia auch kleinere Landbesitzer, die das Aussehen des Viertels weniger einheitlich mitgestalteten. Die idyllische Fußgängerstraße Colville Place mit einer Reihe zum Teil farbig gestalteter Häuser gegenüber einer hübschen Grünanlage ist ein Beispiel dafür.

Den Namen Fitzrovia trägt der Stadtteil vermutlich erst seit den 1930er-Jahren. Damals traf sich eine Gruppe von Schriftstellern regelmäßig in der Kneipe Fitzroy Tavern.


Museum und Spielzeugladen in einem: Pollock's Toy Museum


Schriftstellerdomizil: Fitzroy Tavern

Zentrale Straße in Fitzrovia ist die Charlotte Street, in der viele Medienunternehmen ansässig sind. In ihrer Verlängerung folgt der Rathbone Place. Der angrenzende Rathbone Square wurde 2015 bis 2017 komplett saniert; das frühere Royal-Mail-Gebäude musste weichen und ein neuer Gebäudekomplex entstand, in das unter anderem das Hauptquartier von Facebook Großbritannien einzog. Die moderne Anlage soll eine Hommage an konstruktivistische Fitzrovia-Künstler der 1950er- und 1960er-Jahre sein.

Zentral, aber sehr versteckt in einem ähnlichen Gebäudeensemble am Pearson Square, findet sich die Fitzrovia Chapel, ein kleines Kirchenjuwel, dessen Besichtigung man nicht verpassen sollte. Erbaut 1891, fertiggestellt 1929, gehörte sie zum inzwischen abgerissenen Middlesex-Krankenhaus. Die kleine Kapelle ist inwendig mit wunderbaren Mosaiken gestaltet.


Fitzrovia Chapel


Weithin sichtbar: der BT Tower

Dominant ragt der BT Tower aus dem Viertel hervor. Er wurde für das General Post Office gebaut (Cleveland Street) und Mitte der 1960er-Jahre in Betrieb genommen. Damals war er das höchste Gebäude Großbritanniens.

INFO

Lage: 1,5 Kilometer nördlich der Stadtmitte

Anfahrt: U-Bahn nach Warren Street (Victoria, Northern Line) oder Tottenham Court Road (Central, Northern Line)

Sehenswertes:

 Fitzrovia Chapel: Mittwoch 10 bis 16 Uhr; Fitzroy Place, 2 Pearson Square, fitzroviachapel.org

 Pollock‘s Toy Museum: kleines Spielzeugmuseum, Montag bis Samstag 10 bis 17 Uhr, letzter Eintritt 16:30 Uhr, Eintritt £ 9; 1 Scala Street, pollockstoys.com

 Fitzroy House: Besichtigung nur nach Vereinbarung, 11 bis 17 Uhr, Eintritt frei; 37 Fitzroy Street, fitzroyhouse.org

Essen & Trinken:

 Fitzroy Tavern: Pub, Montag bis Samstag 12 bis 23 Uhr, Sonntag 12 bis 22:30 Uhr; 16 Charlotte Street/Ecke Windmill Street, facebook.com/pg/thefitzroytavern

 

 Franco Manca: italienische Küche, Montag bis Samstag 12 bis 22 Uhr, Sonntag 12 bis 21 Uhr; 98 Tottenham Court Road, francomanca.co.uk/restaurants/tottenham-court-road

ZENTRUMSNAHE STADTTEILE


Schickes Wohnen in alten Getreidespeichern

ZENTRUMSNAHE STADTTEILE

7.West-Smithfield: Marktplatz, Klöster und Märtyrer

8.Clerkenwell: Spuren vielfältiger Vergangenheit

9.King’s Cross: mehr als Harry Potter

10.Unbekanntes Notting Hill

11.Lambeth: Geschichten aus einem lebhaften Stadtteil

12.Bermondsey: Oliver Twist lässt grüßen

13.Wapping: Elfenbein, Rum und Piraten


7. WEST-SMITHFIELD: MARKTPLATZ, KLÖSTER UND MÄRTYRER

Das Bild von West-Smithfield ist geprägt durch die riesigen Markthallen und hat eine bewegte Vergangenheit mit Turnieren, Hinrichtungen, Handel und dem ältesten Krankenhaus. Heute zeigt sich in der Umgebung eine junge Szene mit Restaurants, Kneipen und Bars.

Vor den Smithfield-Markthallen am Ende der Giltspur Street liegt ein runder Platz. Im Mittelalter diente dieser Ort außerhalb der Stadtmauern als Turnierplatz, Schauplatz für Duelle und Hinrichtungen. Auch als Marktplatz wurde er schon genutzt. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts fand einmal jährlich im August der Bartholomäus-Jahrmarkt und regelmäßig ein Viehmarkt mit Kühen, Ochsen, Schafen, Schweinen und Geflügel statt. Charles Dickens beschreibt im Roman Oliver Twist sehr eindringlich die Szene als laut, stickig und so schmutzig, dass der Platz fußtief mit Morast und Dung bedeckt war.


Häuserzeile gegenüber den Markthallen


Smithfield Market

Im späten 19. Jahrhundert wurden dann an dieser Stelle die riesigen Markthallen geplant. Entworfen und erbaut vom Architekten Horace Jones im Stil der Renaissance und mit den technischen Finessen seiner Zeit, wozu ein ausgeklügeltes Keller-Tunnelsystem mit Aufzügen hoch in die Verkaufshallen gehörte. Damals gab es zwei Hallen für Fleisch und je eine für Geflügel, Fisch, Gemüse und den General Market.

In Betrieb sind heute die beiden Hallen gegenüber dem West-Smithfield-Straßenrund, die mit einer Durchfahrt optisch verbunden sind und mit ihren türkis-violetten, fein verzierten, gusseisernen Toren noch die Schönheit des ursprünglichen Entwurfs zeigen. Wer früh morgens kommt, kann sich das Handelstreiben mit Fleisch ansehen. Lebendes Vieh wird jedoch nicht mehr geschlachtet. Die westlichste Halle, früher der General Market, wird derzeit bis etwa 2024 als neuer Standort für das Museum of London umgebaut.

Auf der Rückseite der Markthallen hat sich eine lebendige Szene mit Restaurants, Cocktailbars und Clubs etabliert. Fleischliebhaber können im St John’s alles probieren, was die exquisite Küche nach dem Motto „nose to tail“ hergibt. Dazu gehören schon mal Entenherzen oder Schweinsohren. Für die Marktleute hat der Pub Fox and Anchor in der Charterhouse Street immer noch ab früh morgens geöffnet und bietet ein üppiges englisches Frühstück samt einem Pint Guinness-Bier dazu. Bemerkenswert an diesem Haus ist die Fassade mit Art-Nouveau-Fliesen von 1898.


St Bartholomew-the-Great

Im weiteren Verlauf der Straße erreichen wir, von schönem Grün umgeben, das Charterhouse, ein ehemaliges Kartäuserkloster aus dem 14. Jahrhundert. Unter Henry VIII wurde es 1537, wie alle Klöster des Landes, aufgelöst und die Mönche brutal hingerichtet. Nach 1545 wurde es zu einem Herrenhaus mit Innenhof umgebaut, bis es 1611 der Geschäftsmann Thomas Sutton erwarb. Er stiftete kurz vor seinem Tod Geld für eine Kapelle, ein Altersheim für Soldaten und eine Jungenschule. Die während des Zweiten Weltkrieges stark zerstörten Gebäudeteile wurden in den 1950er-Jahren restauriert. Dabei wurde das Grab von Walter de Manny entdeckt, dem ursprünglichen Klostergründer. Die Jungenschule ist bereits 1872 umgezogen, das Altersheim gibt es noch. Seit 2017 kann man das Museum und die Kapelle von Charterhouse besichtigen.

Parallel zum Charterhouse Square verläuft die schmale Gasse Cloth Fair. Die Straße gehörte bis 1910 zum Gebiet des ehemaligen Priorats St Bartholomew und unterlag deren Regeln, wozu eine abendliche Schließung gehörte. Hier steht an Nr. 41 ein Kaufmannshaus aus dem frühen 17. Jahrhundert. Es ist eines der wenigen erhaltenen Gebäude, die den Großen Brand von 1666 überlebt haben. Neben Nr. 44 führt die Gasse zu Haus Nr. 43 mit einer blauen Plakette für seinen ehemaligen Bewohner John Betjeman. Der Dichter und Publizist setzte sich für die Erhaltung vieler Denkmäler des 19. Jahrhunderts ein, zum Beipiel für den Bahnhof St Pancras.

Gegenüber steht die mit schwarz-weißem Stein auffällig gestaltete Kirche St Bartholomew-the-Great, die im 12. Jahrhundert als Augustiner Priorat entstand. Sie ist das Überbleibsel der ehemaligen Klosteranlage samt Krankenhaus, die auf Rahere, einem Höfling von König Henry I, zurückgeht. Er gründete und widmete beides dem Heiligen Bartholomäus aus Dankbarkeit für seine plötzliche Genesung nach einer schweren Erkrankung während seiner Pilgerreise in Rom. Das Kirchenschiff und viele Gebäudeteile wurden während der Reformation zerstört, Chor und Querhäuser, größtenteils aus der normannischen Zeit, blieben jedoch erhalten. Die heutige Pfarrkirche wird gerne als Drehort für Filme genutzt, zum Beispiel für „Vier Hochzeiten und ein Todesfall“. Am Straßenrund West Smithfield liegt linker Hand das mit Fachwerk gestaltete Torhaus, das zum Eingang der Kirche führt.


Mit Fachwerk gestaltetes Torhaus

Das St Barts Hospital als Teil des ehemaligen Klosters überstand die wechselvollen Zeiten und ist heute das älteste Krankenhaus London.

An der Wand zum Hospital entdecken wir eine Gedenktafel für protestantische Märtyrer, die im 16. Jahrhundert unter Königin Mary auf den Scheiterhaufen kamen sowie das Denkmal für den schottischen Freiheitskämpfer William Wallace, der hier hingerichtet wurde. Kurz danach erreichen wir den Eingang zu St Bartholomew-the-Less, eine ehemalige Pfarrkirche, heute eine Kapelle auf dem Krankenhausgelände.


Auffällig: die schottische Fahne für William Wallace

Wenn wir der Straße weiter folgen, gelangen wir zur Haberdashers‘ Hall. Haberdashery heißt übersetzt Kurzwaren. Die Haberdashers‘ Company, eine der zwölf ältesten Zünfte (Livery Companies) der City of London, kümmerte sich seit 1448 um die Regulierung des Seiden- und Samthandels, verlor jedoch mit der industriellen Revolution diese Aufgabe. Heute betätigt sie sich als Wohltätigkeitsinstitution und unterstützt Schulen. Brände und Krieg zerstörten die Vorgängerbauten der bestehenden Haberdashers‘ Hall, die aus dem Jahr 2002 stammt.

INFO

Lage: direkt nördlich der City of London

Anfahrt: U-Bahn nach Barbican (Circle, Metropolitan, Hammersmith & City Line)

Sehenswertes:

 Charterhouse: Museum, Kapelle und Shop, Dienstag bis Sonntag 11 bis 17:20 Uhr, Eintritt frei; Charterhouse Square, thecharterhouse.org

 St Bartholomew-the-Great: Montag bis Freitag Mitte Februar bis Ende Okt 8:30 bis 17 Uhr, November bis Mitte Februar bis 16 Uhr, Samstag 10:30 bis 16 Uhr, Sonntag 8:30 bis 10 Uhr, Eintritt £ 5; greatstbarts.com

 St Bartholomew-the-Less: täglich 8 bis 22 Uhr; greatstbarts.com/about/st-barts-the-less

 Haberdashers‘ Hall: haberdashers.co.uk

Essen & Trinken:

 St John‘s: Montag bis Samstag 12 bis 15, 18 bis 23 Uhr, Sonntag 12:30 bis 16 Uhr; 26 Street John Street, stjohnrestaurant.com

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