Unsere liebenswerte Familie

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

„Schatz, sag mal …“, setzte er noch während des Laufens an, hielt jedoch sofort inne als er merkte, dass es das Falsche war was er gerade gesagt hatte. „Entschuldigung! Ich dachte …“,

Nora schüttelte den Kopf, lächelte ihn milde an und machte sich weiter daran die Brote zu belegen.

„Entschuldigen Sie sich nicht dafür, Herr Baxter. Ich weiß, wie sehr Ihnen ihre Frau fehlen muss“.

„Ich … es tut mir trotzdem leid“.

„Herr Baxter, es ist ok. Vergessen Sie es! Ihre Frau ist gerade mal ein paar Wochen tot, da kommt es noch des Öfteren vor das Sie mich oder eine andere Frau mit dem Kosenamen ihrer Frau ansprechen. Ich mach gerade das Abendessen für die Zwerge. Möchten Sie auch was essen? Oder hatten Sie schon was in der Firma?“ Chris schüttelte nur den Kopf, denn er war noch nicht imstande wirklich was zu sagen. Nie im Leben hätte er gedacht, das sein Kindermädchen es so gut wegsteckt, das er sich verplappert hatte, wo es sich doch um ein so vertrautes und intimes Wort handelte. Noch während er in Gedanken war, teilte Nora ihm dann mit er könne schon mal die Kids aus dem Wasser holen, sie serviere das essen draußen.

„Alles klar“, antwortete er ihr und eilte dann wieder nach draußen. Schweigend und ohne auch nur einen Blick auf Chris und die Mädchen zu werfen, stellte sie das Tablett mit den Broten auf den Tisch, während ihr Chef versuchte, Fina und ihre Schwester Chana aus dem Becken zu holen. Nora deckte den Tisch für drei Personen, stellte noch etwas Gemüse - was die Kinder überhaupt nicht mochten, aber die Kinder sollten sich gesund ernähren, und einen großen Krug Saft hinzu und gesellte sich dann zu Chris an den Beckenrand. Mit verschränkten Armen stand sie nur wenige Meter von ihm entfernt und konnte sich das Grinsen kaum verkneifen. Es war aber auch zu witzig, wie ihr Chef versuchte mit lieben Worten und kleinen Versprechungen, seine Kinder aus dem Wasser zu holen. Nora konnte nicht anders. Sie musste eingreifen. Wenn sie es nicht tat, würden entweder die Kinder noch ewig im Wasser bleiben und blaue Lippen bekommen oder Chris hüpfte mit rein und dann wäre eh fertig. Dann würden wieder Spielchen von Ertrinkenden oder weiß der Herr was gespielt, das Essen wäre vergessen und auch die Schlafenszeit verschob sich um etliche Minuten. Langsam, aber zielsicher bewegte sich Nora an den oberen Beckenrand, stellte sich breitbeinig hin, nahm Daumen und Zeigfinger zwischen die Lippen und stieß einen Pfiff aus, der sich gewaschen hatte. Alle Blicke waren auf sie gerichtet, während die beiden Mädchen im Wasser wie kleine Hunde zappelten.

„Los! Raus aus dem Wasser! Essen steht auf dem Tisch“, sagte sie nur und begab sich wieder in Richtung Küche, während Chris den beiden Mädchen aus dem Wasser half und sie abtrocknete. Chris war noch immer fasziniert, dass Nora so gut pfeifen konnte als er sich mit den Kindern, die er in ihre Bademäntel gehüllt hatte an den Tisch setzte. Sie verblüffte ihn von Tag zu Tag mehr. Und jeden Tag mochte er sie dafür ein wenig mehr.

„Ich wünsche euch guten Appetit“, sagte sie in die Runde, nachdem die Familie Platz genommen hatte und Nora nochmals schaute ob sie alles hatten, bevor sie sich wieder in die Küche verzog, um die Reste und den Müll wegzuräumen.

„Wow Daddy, das war ja toll“, schwärmte Fina und schob sich ein Stück Paprika in den Mund. Chris konnte es nicht fassen. Seine Tochter aß Gemüse. Am besten sagte er jetzt nichts, denn ihr Teller war noch halb voll damit.

„Was war denn so toll?“

„Na wie Nora in ihre Finger gepustet hat und dann das laute Pfeifen rauskam“.

„Meinst du so?“, fragte Chris und demonstrierte den Mädchen sein Pfeifen.

„Jaaa … cool“.

Chris musste lächeln, wie schnell die Kids doch zufriedenzustellen waren und er sie zum Lachen bringen konnte. Und das Wort „Cool“ hatten sie sich von Nora abgekupfert. Von wem auch sonst. Aber das machte nichts. Nora war gerade fertig mit dem abwischen, als Chris mit den Tellern und Gläsern die Küche betrat. Schweigend stellte er die restlichen Brote in den Kühlschrank und die Gläser in die Spülmaschine. Er war der perfekte Hausmann, stellte Nora gedanklich fest und wandte ihren Blick wieder woanders hin, nicht dass ihr Boss noch dachte sie würde ihn anstarren.

„Ähm …“, setzte Chris an um Nora etwas zu sagen, hielt jedoch inne als ihr Handy anfing zu bimmeln. Er konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen, als Metallicas „Nothing Else Matters“ als Klingelton erklang. Nie und nimmer hätte er Nora als Fan von Metallica eingeschätzt. Aber so konnte man sich täuschen. Mit einem verlegenen Lächeln nahm Nora ihr Handy und teilte ihm lächelnd mit, sie fände Metallica eben geil.

Ahja, - dachte sich Chris und lächelte. Er wäre gern weiter mit Nora in der Küche gestanden, doch nun musste er zu den Kids.

„Ich bade die Kinder“, flüsterte er ihr zu, ehe Nora das Gespräch annahm. Und im nächsten Moment wäre sie lieber bei den Kids oben, als dieses Gespräch zu führen. Am andern Ende der Leitung war ihre Mutter. Nichts hasste Nora mehr als Gespräche mit ihrer Mutter zu führen, die sie noch immer behandelte, als wäre sie ein fünfjähriges kleines Mädchen, das von nichts und niemandem eine Ahnung hatte und nur darauf wartete, dass sie angelaufen kam, um Hilfe bei ihrer Mami zu suchen.

„Nora, Kind …“. Wenn Nora diese Worte schon hörte, wurde ihr kotzübel. Das Schlimmste daran war, dass ihre Mutter sie nicht nur zu Hause oder am Telefon so benannte. Nein! Sogar wenn ihre Freundinnen oder ihr damaliger Freund dabei waren. Stets hieß es Kind, kannst du mal oder Kind, was hältst du von ... An manchen Tagen fragte sie sich wirklich wie alt sie werden musste, dass dies endlich aufhörte. Eine Antwort bekam sie allerdings nie! Nora hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie ihrer Mutter schon beibringen wollte, sie doch bitte mit ihrem Namen anzusprechen und das „Kind“ wegzulassen. Aber immer wieder kam es ihr dann vor als ob sie mit einem Bild an der Wand reden würde. Wenn sie nicht Kind sagte, dann kam ihr voller Name zum Einsatz – Eleonora! Was genauso heftig war wie Kind. Doch Nora wusste sich mittlerweile zu helfen. Sie nannte ihre Mutter nicht mehr Mama, oder Mutti so wie früher, sondern rief sie schlichtweg Mutter, was Gloria aber nicht sonderlich beeindruckte, denn das Kind blieb. Stolze zwanzig Minuten quatschte Gloria nun Nora schon das Ohr voll. Wie sie mit Joshua gesprochen hätte und wie er ihr erzählte, dass sie bei einem wildfremden Mann eingezogen sei. Wie verantwortungslos das wäre und sie sich doch mal Gedanken über die ganzen Perversen machen sollte. Nora war mit ihrem Latein am Ende. Und was noch schlimmer war, sie verspürte wie Wut und Aggression in ihr Hochstieg und es nicht mehr lang dauern würde, bis sie aus der Haut fuhr.

„Mutter, beruhige dich. Ich bin keine Fünf mehr und ich weiß mir zu helfen. Ich kann Karate und weiß, wie man einem Mann in die Eier tritt, falls es drauf ankommt“.

„Nora, ich bitte dich. Komm nach Hause und such dir was anderes, oder arbeite mit Joshua in der Firma. Und bitte, ich möchte dich nicht noch einmal ermahnen, benutze nicht solche Wörter“.

„Hör auf damit … ich bin erwachsen!“, brüllte sie - hatte sich jedoch schnell wieder im Griff, als ihr bewusst wurde, dass es eh nichts bringen würde wenn sie sich aufregte. Es war jedes Mal dasselbe. Mit was hatte sie das nur verdient. Nora versuchte zwar stets die Ruhe zu bewahren, doch sie schaffte es einfach nicht. Gloria brachte es immer wieder fertig sie auf die Palme zu bringen. Warum konnte sie nicht so cool sein, wie andere Mütter, die ihre Kinder so nahmen, wie sie sind und sie auch behandelten wie einen Erwachsenen, wenn sie auf die dreißig zugingen. Das konnte doch nicht so schwer sein. Ihre Freundinnen lachten nur, wenn sie mal wieder kam und sich über Gloria beschwerte.

„Nora, denk immer, wie wir sind wissen wir. Wie wir werden steht in den Sternen“. Oh nein! So werden wie ihre Mutter. Niemals!

„Mutter ich muss Schluss machen. Ich ruf dich wieder an“, sagte sie und legte auf „oder auch nicht“, murmelte sie beim Hinausgehen. Nora stellte das Handy auf stumm und warf es in ihre Handtasche, die sie an einem Kleiderhaken im Flur des Hauses gehängt hatte, bevor sie nach oben eilte um wenigstens den Kids noch Gute Nacht zu wünschen, bevor sie schliefen.

Kapitel 3

Familienidyll“

Chris saß, halb liegend, halb sitzend, bekleidet mit einer Jeans und einem weißen Shirt, an der Kante des Kinderbettes der Zwillinge und las ihnen die Geschichte vom Wolf und den sieben Geißlein vor, als Nora an der Tür zum Kinderzimmer auftauchte. Dass es das noch gab, wunderte sich Nora, wo doch die meisten jungen Familien ihren Kindern Geschichte wie „Lauras Stern“ oder keine Ahnung was noch, vorlasen.

„Nora! Liest du uns weiter vor!“, ertönte eine etwas schläfrige Stimme von Chana und Nora hatte das Gefühl, dass Fina schon eingeschlafen war.

„Gern, wenn ich darf“, sagte sie und blickte zu Chris, der sich mühsam von der Kante rollte, um Nora den vorgewärmten Platz zu überlassen.

„Ich warte dann mal unten“, antwortete Chris, gab seinen Mädchen jeweils einen Kuss und schloss die Tür hinter sich, während Nora es sich gemütlich machte und die Geschichte weiter erzählte. Chris begab sich in Emily‘s Zimmer, um noch einmal nach seinem Baby zu sehen, das friedlich schlief, bevor er sich auf den Weg nach unten machte. Mit einem Glas Wein setzte er sich auf die Terrasse und genoss den lauen Sommerwind und das Zirpen der Grillen. Es dauerte nicht lange, bis sich Nora zu ihm gesellte um ihm mitzuteilen, dass die Zwerge tief und fest schliefen und es auch Emily gut ginge.

„Ich wünsche Ihnen dann eine gute Nacht, Herr Baxter“.

 

„Wollen Sie sich nicht zu mir setzen? Es ist so schön hier draußen und Sie wollen doch nicht schon schlafen gehen? Es ist doch erst sieben nach halb acht“.

„Nun, ich möchte Sie nicht stören und ich bin Ihre Angestellte. Ich glaube nicht, das sich das gehört, wenn …“.

„Lassen Sie das mal meine Sorge sein“, gab Chris ihr zur Antwort und schenkte auch ihr ein Glas Wein ein. Ich habe eh das Gefühl, dass es Sie nicht juckt, was sich gehört und was nicht“. Wo er Recht hatte, hatte er Recht. Nora war es wirklich relativ egal, was andere Leute über sie sagten. Chris hob feierlich sein Glas und auch Nora hob ihres an.

„Also, lassen Sie uns anstoßen auf … gute Zusammenarbeit und das Wohl meiner Kinder“.

Das Glas klirrte und Nora nahm einen Schluck. Nicht übel, das edle Tröpfchen, dachte sie sich und nahm einen weiteren Schluck. Einen sehr kleinen, denn sie wollte ja nicht betrunken werden. Hmm, ja … der war definitiv besser als das übliche Gesöff, was sie sonst trank!

„War wirklich an der Zeit, dass wir das nach holen“, Chris war, seit sie vor Wochen angefangen hatte immer bis spät in der Firma gewesen, und meist lag sie schon im Bett wenn er nach Hause kam und sie das Auto hörte „das mit dem Anstoßen meinte ich!“

„Hmm, ja … definitiv“, sagte Nora. Was auch sonst? Doch in ihrem Kopf rief alles Sex, Fummel, Knutschen. Schnell schloss sie ihre Augen, um die Gedanken zu verscheuchen. Was war nur los mit ihr? Klar! Sie hatte schon seit einer Ewigkeit keinen Mann mehr im Bett, aber das hieß noch lange nicht, dass sie ausgerechnet ihren Chef haben musste. Dies war ein Tabu und sollte es auch bleiben.

„Es ist wirklich schön hier draußen“, fing Nora das Gespräch an, um wenigstens etwas Konversation zu betreiben, denn das Schweigen war ja mehr als erdrückend.

„Ja, das ist es. Es war immer ein Traum hier zu wohnen, doch nun … ich lebe hier nur noch wegen der Kinder. Sie lieben das Haus und den Garten. Von mir aus könnten wir alle ebenso gut in einer Stadtwohnung leben. Vielleicht wäre das sogar besser“, sagte Chris zu ihr und stand auf. Mit den Händen in den Hosentaschen stand er nun am Rand der Terrasse und blickte auf den Garten hinaus. Nora wollte nicht über Danielle sprechen. Es tat ihm zu sehr weh, doch wenn er von allein anfing, hielt sie ihn nicht auf. Ihre Großmutter sagte immer zu ihr, als sie noch ein kleines Mädchen war, dass Sorgen einen Menschen innerlich auffressen. Wenn du also jemanden hast der dir zuhört, dann lass es raus. Ansonsten geh in die Kirche. Gott hört alle seine Schäfchen an. Doch in die Kirche wollte Nora auf keinen Fall. Ihr reichte es, in die Kirche zu gehen wenn jemand heiratete oder bei ihrer Konfirmation. Und selbst da war es ihr schon zu viel. Der Geruch von muffeligen Möbeln und Gemälden an der Wand machte ihr nur beim alleinigen Gedanken Kopfschmerzen.

„Wissen Sie, meine Ehe war … wie soll ich sagen … die Hölle? Nein! Denn wir hatten auch gute Zeiten. Allerdings nach der Geburt der Zwillinge nicht mehr. Danielle wollte Karriere und keine Familie. Sie war ständig auf Achse, schleifte die Babys hier und da hin, was zur Folge hatte, dass wir immer wieder Streit hatten. Ich wollte, dass meine Kinder normal aufwachsen und nicht ständig von einem Termin zum nächsten geschleift werden. Damals stellte ich sie vor die Wahl. Entweder oder …! Sie wusste ich hatte Geld und sie wusste, dass ich eine Frau niemals verlassen würde, wenn sie ein Kind von mir erwartet. Sie entschied sich für das entweder, aber nur widerwillig. Wohl fühlte sie sich dabei nicht. Sex gab es bei uns nur noch an Weihnachten oder an Geburtstagen. Und dann wurde sie wieder schwanger … es war grauenhaft“.

Chris erzählte und erzählte und Nora hörte zu. Ihm war es egal wem er seine Sorgen sagte, nur dass er sie jemandem sagen konnte, das zählte für ihn. Danielle hasste ihn, soviel stand fest. Das hatte Nora in dem bisherigen Gespräch schon herausgefunden. Sie hätte Chris niemals geheiratet, wenn sie nicht schwanger gewesen und ihre Eltern sie nicht gezwungen hätten dazu. Denn von Liebe war keine Spur, zumindest von Danielles Seite her, denn Chris hatte sie geliebt. Danielle sah nur das Geld, das Chris hatte. Liebe sei relativ. Danielle wollte Freiheit und mit zwei kleinen Kindern ging das nicht. Sie heirateten also, und sie hatte ausgesorgt. Chris las ihr jeden Wunsch von den Augen ab. Ihre Karriere allerdings blieb auf der Strecke.

„Sie sagte damals zu mir ich sei schuld, dass sie nicht mehr die Bikini Figur zum Modeln hätte. Nora, stellen Sie sich das vor! Meine Frau hatte Kleidergröße 34. Eine Bikini Figur, wo man jede einzelne Rippe zählen konnte. Von da an wurde mir klar, meine Ehe war kaputt. Aber ich habe sie geliebt! Naja, meine Ehe zerbrach nicht nur deshalb, es gab auch noch andere Gründe, aber die gehören nicht hierher“.

Nora stand auf und trat hinter Chris. Sanft legte sie ihm die Hand auf seinen Arm und er drehte sich zu ihr um.

„Sie hat Sie, glaube ich auch geliebt. Auf ihre Art und Weise. Und denken Sie an die Kinder. Denken Sie an Fina, Chana und Emily. Ihre Mutter mag nicht mehr da sein, aber Sie sind es und das allein zählt“.

Chris sah Nora tief in die Augen und verspürte plötzlich das Gefühl von Wärme. Wie gern hätte er sie nun in den Arm genommen und seine Nase in ihrem Haar vergraben, doch das durfte er nicht. Er war ihr Chef, und nicht nur ein billiger One-Night-Stand! Chris war dankbar dafür, dass Nora ihm zuhörte und es tat seiner Seele auch gut. Nora hatte ihm geraten, wenn er irgendwelche Probleme hatte, er könne jederzeit mit ihr reden und das wollte er auch tun. Es war die Zeit gekommen, die Trauer und den Verlust zu überwinden. Er hatte drei bezaubernde Kinder, um die er sich sorgen musste. Er hatte keine Zeit zum Versauern.

Nora deckte gerade den Frühstückstisch, als Chris mit Emily im Arm, das Esszimmer betrat. Er trug, wie jeden Morgen, einen Anzug mit Krawatte und einer Weste darunter. Die kurzen Haare hatte er etwas mit Gel gestylt, was ihm sehr gut stand und sein Gesicht noch mehr zur Geltung brachte. Irgendwas war plötzlich los mit ihm. Er stylte sich anders, trug andere, legere´ Klamotten. Rund um, er kleidete sich cooler. Was Nora nicht mal so übel fand.

„Guten Morgen. Haben Sie gut geschlafen?“, fragte Chris und legte Emily in die Wiege.

„Morgen! Naja, ich glaub mir ist der Wein gestern Abend etwas zu Kopf gestiegen. Heute Nacht fing mein Bett an sich zu drehen“. Chris fing an zu lachen. Ein Lachen, das tief aus seinem Herzen kam und Nora ansteckte auch mitzulachen. Kurze Zeit später kamen auch schon die Zwillinge angelaufen. Barfuß und in ihren Fix und Foxi Nachthemden. Mit langen, müden Gesichtern setzten sie sich an den Tisch und tranken ihren warmen Kakao, den Nora ihnen gebracht hatte. Schweigend nahm die Familie ihr Frühstück ein, als Nora Emily holte, um ihr das bereitgestellte Fläschchen zu geben. Und während sie dem Baby den Sauger in den Mund schob, sah Fina zuerst ihren Vater und dann Nora fragend an.

„Daddy?“

„Hmm, Süße. Was ist denn?“

„Sag mal, was macht Nora denn, wenn Mami wieder nach Hause kommt? Dann brauchen wir sie doch nicht mehr oder?“

Chris wich jede Farbe aus dem Gesicht und erschrocken blickte er zu Nora, die Emily ein wenig fester in den Arm nahm. Jetzt war der Zeitpunkt gekommen. Nun war es die Aufgabe von Chris seinen Mädchen zu sagen, dass ihre Mami nie wieder kommen wird.

„Ich bin draußen, im Pavillon, falls Sie mich brauchen“, sagte Nora und verließ den Raum. Mit großen Schritten lief sie zum Pavillon und setzte sich auf die Bank, die darin stand. Von hier aus würde sie nichts von der Unterhaltung mitbekommen. Doch Nora sollte sich täuschen! Es dauerte keine fünf Minuten, als Fina und Chana anfingen zu schreien, und zu weinen. Nora wiegte Emily in ihren Armen und schloss die Augen. Auch sie hatte Tränen in den Augen. Wie gern wäre sie ins Haus gelaufen um die Kinder zu trösten, doch das war nun Aufgabe von Chris. Nora konnte sich noch gut an den Moment erinnern, als ein Psychologe an ihrer Zimmertür stand und ihr sagte, dass ihr alles geliebter Papa nicht mehr nach Hause kam. Durch den ersten Schreck bekam sie nicht mal mit, warum er nicht mehr kam, doch als er dann zu ihr sagte, er sei tot, fing sie bitterlich an zu weinen. Man konnte das nicht vergleichen, denn Nora war keine Fünfjährige gewesen, wie Fina und Chana. Sie war fast erwachsen und trotzdem tat es ihr weh. Wie sehr musste es dann ein kleines Kind schmerzen, fragte sie sich und drückte Emily an sich. Fred, der gerade die Rosen neben dem Pavillon schneiden wollte, zuckte zusammen, als er das Geschrei der Kinder hörte und sah zu Nora, die mit schmerzverzerrtem Gesicht da saß.

„Was ist denn los?“, fragte er vorsichtig.

„Herr Baxter sagt den Kids gerade, dass ihre Mutter nicht mehr kommt“.

„Oh nein“, rief Fred, ließ die Schere fallen und rannte auf das Haus zu, so schnell er konnte. Er fand Chris auf den Stufen zum Obergeschoss sitzend, die Hände an den Kopf gepresst, mit verweinten Augen.

„Christopher?“

„Ich musste es ihnen sagen. Sie haben gefragt, was Nora macht, wenn ihre Mami wieder kommt. Was hätte ich denn tun sollen? Irgendwann mussten sie es doch erfahren. Denkst du nicht auch, sie hätten spätestens da Fragen gestellt, wenn sie älter sind und ihre Mama sie nicht besucht oder wenigstens mal anruft!“

„Christopher, ich mach dir keinen Vorwurf“, sagte Fred und ließ sich neben ihm nieder. „Aber du hättest trotzdem noch warten müssen“.

„Nein, Fred. Lieber zu früh als zu spät“, Chris erhob sich und rieb sich die Augen trocken. „Ich geh nach oben und sehe nach den beiden und dann … Wo ist Nora?“

„Draußen mit Emily. Ich hatte den Anschein, das ihr Herz blutetet, als die Mädchen zu brüllen anfingen. Aber keine Sorge, sie kommt schon klar“, antwortete Fred und Chris machte sich auf den Weg nach oben. „sieh du nach deinen Mädchen, das ist nun das Wichtigste“.

Chris betrat langsam das Zimmer von Fina und Chana und setzte sich zu den Mädchen ans Bett. Fina lag mit dem Gesicht nach unten da und wimmerte, während Chana ihr den Rücken streichelte. Es war ein zu süßes Bild, wie die eine Schwester die andere tröstet.

„Kommt her ihr beide“, sagte er und nahm sie in den Arm. „Ich weiß, wie schwer das für euch ist. Ich wollte es euch auch nicht sagen, aber was hätte ich denn tun sollen? Ihr seid fünf Jahre alt und werdet so schnell groß. Ich musste es tun. Nicht mehr weinen, Baby. Ok?“

Fina sah Chris mit ihren verweinten Kulleraugen an und wischte sich dann mit der Hand über ihre Nase, bevor sie Fragen stellte wo Chris nicht mal dachte, dass sie in einem so kleinen Kopf vor sich ging. Fina wollte wissen, warum ihre Mama tot sei und was denn das Wort tot überhaupt ist, während ihre Schwester nur wissen wollte, wo denn ihre Mama nun wohnt. Chris erklärte es ihnen so gut er nur konnte und als er merkte, dass es genug war, sich die beiden beruhigt hatten und wieder anfingen mit ihren Puppen zu spielen, ging er wieder nach unten.Im Esszimmer angekommen, schnappte er sich sein Handy und meldete sich für den Rest der Woche krank. Estelle war natürlich sofort alarmiert, als Chris sie anrief und ihr sagte, was sie noch zu erledigen hatte. Sie bot ihm an sofort vorbeizukommen, um nach ihm zu sehen, doch er lehnte dankend ab. Was er jetzt nicht im Geringsten brauchte, war eine Frau namens Estelle. Nachdem er alle Aufgaben verteilt hatte, begab sich Chris zu Nora in den Garten. Total von der Rolle setzte er sich neben sie auf die Bank, sagte aber nichts.

„Ist alles ok?“, fragte Nora schließlich und blickte zu Chris, der im gleichen Moment den Kopf drehte und ihr in die Augen sah „mit den Kindern, meine ich“.

Er hatte wunderschöne Augen, dachte sich Nora, doch es lag so viel Traurigkeit darin. Chris schien das Gleiche zu denken, denn er versank förmlich in den Augen von Nora. Oh mein Gott, was tue ich denn, du wirst dich nicht in deine Angestellte vergucken. Lass das!- tadelte Chris sich in Gedanken selber, doch er wusste, dass man gegen Gefühle machtlos war. Egal wie sehr man sich dagegen wehrte.

„Ich … ich habe mir den Rest der Woche frei genommen. Wegen der Kids. Sie brauchen mich jetzt“.

„Selbstverständlich! Wenn Sie wollen, kann ich mich den Rest der Woche verkrümeln, damit Sie und die Kids alleine sein können“.

Chris dachte er hätte falsch gehört.

„Wie? Sie wollen weg? Nix da! Sie bleiben hier. Die Kinder lieben Sie und was denken Sie wäre los, wenn Sie jetzt auch noch verschwinden würden. Ne ne! Das Risiko gehen wir nicht ein“.

 

„Na schön, wenn Sie meinen“, antwortete Nora und konnte den Blick einfach nicht von Chris abwenden. Nora hatte keine Ahnung, wie lange sie dort gesessen hatten, und sich anstarrten, als eine männliche Stimme erklang. Chris wandte den Blick ab und sprang dann auf.

„Charlie? Komm her!“, rief Chris und drückte seinen Bruder an sich.

„Chris! Schön dich zu sehen. Hätte Conrad mir nicht erzählt, dass du hier wohnst, hätte ich dich nie gefunden. Und ich musste doch meinen alten Bruder besuchen kommen.

„Ach komm, du bist bei der Presse. Bekommen die nicht alles raus, was sie wollen? Ihr nennt das doch Recherche“, lachte Chris und auch Charlie lachte mit, wurde dann aber gleich wieder ernst, als er Nora erblickte. Charlie hatte Danielle bisher nur einmal gesehen, damals bei seiner Hochzeit und daher konnte er sich nicht mehr an ihr Aussehen erinnern.

„Und du musst dann Danielle sein. Ich kann mich nicht daran erinnern, eine so gut aussehende Schwägerin bekommen zu haben. Bist du sicher, dass Chris der Richtige war?“ scherzte er und drückte Nora an sich.

Mann war der stark! ging es Nora durch den Kopf und lächelte Charlie verlegen an.

„Ich bin Charlie, du erinnerst dich wahrscheinlich nicht mehr an mich …“

„Charlie!“

„Lass mich ausreden … also ich bin …“

„Charlie!“

„Verdammt noch mal … Chris! Hör auf mich ständig zu unterbrechen. Also ich bin Charlie, Chris kleiner Bruder. Tut mir leid, dass wir uns erst heute richtig kennenlernen, aber ich bin sehr viel unterwegs und daher nicht oft bei der Familie“.

„Angenehm! Mein Name ist Nora, und ich bin das Kindermädchen hier im Haus. Aber trotzdem danke für die herzliche Begrüßung“, lächelte Nora und sah wie Charlie Chris völlig entgeistert ansah.

„Christopher? Was ist hier los? Wo ist deine Frau?“

„Hättest du mich vorhin ausreden lassen, dann hätte ich es dir gesagt, aber nein, du musstest ja weiter quasseln“.

„Jaja, also! Wo ist Danielle? Habt ihr euch getrennt?“

„Nein!“, Chris holte tief Luft und sah dann seinen Bruder an „Danielle ist tot“.

„Wie - sie ist tot?“

„Sie hatte einen Unfall und … Sie lebt nicht mehr“.

Charlie ließ sich auf den Stufen der Terrasse nieder und starrte Chris an.

„Aber man stirbt doch nicht einfach so … ich versteh das nicht“.

„Charlie, Danielle hat Selbstmord begangen. Sie ist freiwillig in den Gegenverkehr gerast“.

„Warum hat mir das keiner gesagt? Nicht mal Conrad sagte, was als er mich herschickte. Ich fass es nicht … sie war doch noch so jung“.

„Ich wollte nicht, dass es jemand erfährt. Es wussten nur die Familienmitglieder, die in der Nähe wohnen, Mutter und Vater Bescheid. Nicht mal Conrad wusste es. Ihm habe ich es erst gesagt, als ich ihre Asche im Meer verstreut habe“.

Nora war bereits aufgestanden und wollte gehen, damit die beiden Brüder sich alleine unterhalten konnten, als Just in dem Moment die Kids, mit Badehosen und Schwimmflügeln– in denen kein bisschen Luft vorhanden war- angelaufen kamen.

„Nora, Nora, komm wir wollen schwimmen! – Wer bist denn du?“, fragte Fina und sah etwas irritiert Charlie an.

„Kinder, das ist euer Onkel Charlie. Er lebt im Ausland und kommt nicht oft hierher um seinen alten Bruder zu besuchen“, sagte Chris und grinste Charlie dabei frech an.

„Die Zwillinge? Hi, es freut mich euch kennenzulernen“. Charlie hatte sich in die Hocke begeben, um mit den Kindern auf Augenhöhe zu sein. Beim genaueren Betrachten stellte er fest, dass sie das gleiche hübsche Gesicht wie ihre Mutter haben mussten. Charlie kannte die Gesichtszüge seines Bruder und bei den Mädchen war nichts davon zu sehen.

„Wie alt seid ihr beiden denn?“

„Fünf, aber bald sind wir sechs und dann kommen wir in die Schule, stimmt´s Nora?“

„Ja, stimmt. Aber nun entschuldigen Sie mich bitte. Emily braucht eine Windel und ein Schläfchen“, erwiderte Nora und stand auf. Charlie erhob sich ebenfalls. Chris war sichtlich begeistert, denn so höflich kannte er seinen Bruder gar nicht.

„Macht es Ihnen was aus, wenn ich Sie begleite? Ich möchte gern zusehen, wenn Sie meine Nichte ins Bett bringen“.

„Im Gegenteil. Sie können sie gern selbst hinlegen, vorausgesetzt Sie haben keine Angst vor einem Baby“, lachte Nora und auch Charlie fing an zu lachen, was Chris ganz und gar nicht gefiel. Was hatte sein Bruder vor? Nur wenige Minuten später kamen die beiden auch schon wieder fröhlich lachend und wild durcheinanderredend wieder nach draußen, wo Chris gerade dabei war den Mädchen Luft in ihre Schwimmflügel zu pusten.

„Was sehen meine müden Augen denn da?“

„Deine müden Augen?“, scherzte Chris und sah Charlie an „du meinst wohl eher, deine entzündeten Augen“.

„Sehr witzig du Scherzkeks. Stellen Sie sich vor Nora, so sprang er schon als kleiner Junge mit mir um. Aber nun zum wichtigen Teil. Warum haben die Mädchen noch Schwimmflügel?“

„Weil sie … noch nicht schwimmen … können. Und sag jetzt ja nichts, denn du konntest mit sechs auch noch nicht schwimmen“. Charlie musste sich eingestehen, dass sein Bruder ihn voll erwischt hatte.

„Onkel Charlie? Kannst du schwimmen?“

„Jetzt ja“.

„Kommst du mit uns in den Pool?“

„Ein anderes Mal ihr Süßen. Heute möchte ich mich mit eurem Vater und der entzückenden Nora unterhalten. Und außerdem …“, flüsterte Charlie „… hätte ich gar keine Badehose dabei“.

„Ok, aber wir dürfen ins Wasser. Ja, Nora, nicht wahr?“ bettelten die Kids.

„Ja, aber vorher müssen wir noch warten bis euer Vater die restliche Luft in die Flügel gemacht hat. Wir wollen nicht, dass ihr ertrinkt.“

„Kommst du auch mit in den Pool?“ wollte Chana wissen und blickte Nora fragend an, die ihren Blick wiederrum fragend an Chris wendete.

„Nein, heute nicht. Morgen wieder. Oder vielleicht später“, antwortete Chris.

„Wisst ihr was?“ Nora ging vor den Kindern in die Hocke und half ihnen beim Anziehen der Schwimmflügel. „Ich zieh mir später meinen Bikini an und heute Abend vor dem Abendbrot da schwimm ich dann noch eine Runde mit euch. Einverstanden?“

Die Freude der Kinder war riesengroß und es dauerte auch nicht lange, da waren die Mädchen schon so in ihrem Platschen vertieft, dass es sie nicht störte ob sich die Erwachsenen nun unterhielten oder nicht. Nora, Chris und Charlie saßen lange auf der Terrasse, lachten und redeten. Meist redete Charlie und erzählte Nora alte Kindergeschichten von Chris und seinem Bruder Conrad und wie sie ihn immer geärgert hatten. Dann fing Chris an zu lachen und man sah, wie sehr ihm die Gespräche mit seinem Bruder fehlten. Nora entschuldigte sich im Laufe des Mittags und Abends dann immer wieder kurz, um nach dem kleinsten Familienmitglied zu sehen. Schon wenige Minuten, nachdem Nora verschwunden war, drehte sich Charlie zu Chris und stieß ihn mit der Faust an.

„Bruderherz, du alter Schwerenöter. Wenn ich gewusst hätte, dass du ein so bezauberndes Kindermädchen hast dann … dann wäre ich natürlich schon viel früher gekommen“.

„Lass das. Nora ist eine sehr nette Person und ich schätze sie sehr“. Charlie fing schallend an zu lachen, worauf er von Chris sofort einen tadelnden, oder bösen Blick erntete.

„Den Blick kenn ich. Das ist der, wenn ich die Finger von einer Frau lassen soll, auf die du scharf bist“.

„Bist du bescheuert? Ich bin doch nicht scharf auf Nora!“, zischte Chris.

„Oh doch, das bist du. Ich kenn dich seit nun fast dreiunddreißig Jahren und ich weiß, wenn du auf eine Frau heiß bist“, setzte Charlie an und stellte dann rasch fest, dass sein Bruder das alles gar nicht wissen wollte. „Also ich an deiner Stelle würde …“

„Charlie? Du bist aber nicht an meiner Stelle. Es ist ok so wie es ist. Danielle ist erst seit ein paar Wochen tot und ich denke nicht mal dran, eine andere Frau heiß zu finden“.