Buch lesen: «Wer zuletzt lacht ...»
Bettina Huchler
Wer zuletzt lacht ...
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Inhaltsverzeichnis
Titel
Widmung
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Nachwort
Danksagung
Die Autorin
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Impressum neobooks
Widmung
Für meine Testleser, die nicht genug von der Geschichte bekommen konnten.
Kapitel 1
Mit dem letzten Klingeln für dieses Schuljahr verließen Mira und ihre Mitschülerinnen Susanne, Claudia und Laura gemeinsam das Schulgebäude.
»Endlich Ferien! Ich habe mir übrigens vorgenommen, mich von nun an ausschließlich vegan zu ernähren.«
Mira sah Susanne entsetzt an. »Wie bitte? Ist das dein Ernst? Das bedeutet dann wohl, nie wieder McDonald’s?«
»Ganz genau. Ist doch eh alles nur fettiges, ungesundes Zeug.«
»Aber warum dann gleich vegan und nicht vegetarisch?«, hakte Mira nach.
»Weil die vegane Ernährung die gesündeste ist.«
Laura nickte. »Das ist klasse.«
»Stimmt. Ich habe auch schon mal daran gedacht, mich vegan zu ernähren. Das wäre dann wohl der richtige Zeitpunkt, auch damit zu beginnen«, sagte Claudia.
Mira verdrehte die Augen. Dass Laura und Claudia Susanne alles nachplapperten, war nichts Neues. Aber meinte Susanne wirklich, was sie da sagte? Wie konnte eine Ernährungsform als gesund bezeichnet werden, bei der man sich fehlende Vitamine oftmals mittels Tabletten zuführen musste? Darüber hatte sie erst vor Kurzem einen Bericht gesehen. Aber Mira kannte sich damit nicht wirklich aus und wusste außerdem, wie stur Susanne sein konnte. Wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, würde sie das auch knallhart durchziehen, ganz egal, was andere davon hielten.
Deshalb zuckte Mira nur mit den Schultern. »Also für mich wäre das absolut nichts. Da fallen viel zu viele leckere Lebensmittel weg.«
Susanne musterte Mira abschätzig. »Das glaube ich dir gern.«
Mira wusste ganz genau, worauf ihre Freundin anspielte. Im Gegensatz zu Susanne, Laura und Claudia hatte Mira eindeutig keine Modelmaße. Nicht nur, dass sie fast einen Kopf kleiner war als Susanne, sie trug auch keine XS. Selbst eine S saß meist sehr eng und ließ sie wie eine Presswurst aussehen. Daher kaufte sie ihre Kleidung stets in Größe M, manchmal auch in L, um mögliche Rundungen besser kaschieren zu können.
In unschöne Gedanken versunken, ob sie vielleicht doch zu dick war, lief Mira neben den anderen über den Schulhof in Richtung Ausgang.
»Also dann, bis bald. Wir sehen uns sicherlich in den Ferien«, sagte Laura und hob die Hand zum Gruß.
»Aber klar doch.« Susanne winkte ihr und Claudia hinterher.
Mira nickte ihnen lächelnd zu. Sie hielt von den beiden nicht viel. Ständig klebten sie an Susanne und mussten alles genau so machen wie sie. Hatten sie denn nie eine eigene Meinung? Mira wusste, dass weder Laura noch Claudia sie wirklich mochten. Sie akzeptierten sie nur, wenn Susanne in der Nähe war. Diese hatte sie auch schon des Öfteren zur Ordnung gerufen, wenn sie Mira wieder einmal verbal angriffen. Auf Susanne konnte sich Mira in der Hinsicht echt verlassen, sie hielt zu ihr, wenn es darauf ankam.
»Weißt du denn schon, was du in den Ferien unternehmen wirst?«, fragte Susanne plötzlich.
»Da wir dieses Jahr nicht in den Urlaub fahren, muss ich mal schauen, was sich ergibt.«
Susanne blieb stehen und starrte sie mit großen Augen an. »Kein Urlaub? Du Ärmste. Wir fliegen dieses Jahr für drei Wochen nach Malta. Nichts als Sonne, Strand und Meer – und hoffentlich auch ein paar echt coole Typen. Ich freue mich jedenfalls schon wahnsinnig darauf, auch wenn ich bis dahin noch die ersten drei Ferienwochen rumkriegen muss.« Auf Susannes Gesicht breitete sich ein Strahlen aus. »Drei Wochen Zeit für die ein oder andere Party. Gleich heute Abend steigt auch eine. Sag mal, Mira, hättest du heute Zeit, um mir wieder mal ein paar Tipps für mein Styling zu geben?« Sie warf ihre langen blonden Haare mit gekonnter Handbewegung nach hinten, legte den Kopf schräg und sah Mira fragend an.
Miras Stimmung trübte sich ein wenig mehr. Nun war sie bereits sechzehn Jahre alt, würde nach den Ferien in die Oberstufe kommen und war noch nicht einmal auf einer richtigen Party gewesen. Die langweiligen Schuldiscos zählten nicht. Da saß sie eh meist nur in der Ecke herum und sah den anderen bei ihrem albernen Rumgehopse zu, das diese tanzen nannten. Nein, eine richtige Party stellte sich Mira ganz anders vor. Lockerer. Klar würde dort ebenfalls Musik gespielt und dazu getanzt werden. Aber es gab sicherlich auch leckeres Essen und tolle Gespräche. Susanne hatte ihr erzählt, dass sie auf Partys gewesen war, bei denen es Alkohol gegeben hatte – vom Rauchen ganz zu schweigen. Beides kam für Mira nicht infrage. Man konnte doch auch ohne solche Drogen Spaß haben.
»Erde an Mira. Hallo, jemand zu Hause?« Susanne fuchtelte albern mit ihren Händen vor Miras Gesicht herum.
Diese blinzelte ihren Tagtraum weg, ehe ihr Susannes Frage wieder einfiel. »Klar kann ich vorbeikommen, gar kein Problem. Wann soll ich bei dir sein?«
»Am besten so um vier. In Ordnung?«
Mira verzog das Gesicht. »Ich kann erst gegen fünf. Du weißt doch, meine Filialleiterin im Supermarkt lässt mich nicht eher gehen. Nicht mal, wenn ich schon alle Regale aufgefüllt habe.«
Verärgert schüttelte Susanne den Kopf. »Ich kann echt immer noch nicht begreifen, warum du dir das antust. Ich an deiner Stelle hätte schon längst das Handtuch geschmissen.« Sie lachte laut auf. »Nein, Quatsch. Ich hätte mit diesem Blödsinn erst gar nicht angefangen.«
Mira seufzte. Diese Diskussion hatte sie mit Susanne schon unzählige Male geführt. Es war für Mira aber nun mal ein schönes Gefühl, sich durch die Arbeit im Supermarkt ihr Taschengeld aufbessern zu können. Außerdem machte sie den Job noch nicht so lange. Sie hatte dort erst vor zwei Monaten angefangen. Aufgeben kam für sie nicht infrage. Warum auch? Ihr machte die Arbeit Spaß und die Kollegen waren allesamt sehr nett.
»Also gut, fünf Uhr geht auch – gerade noch so, also sei bitte pünktlich, ja?«, lenkte Susanne ein. Sie holte ihr Handy und eine Haarbürste aus ihrer Tasche. »Warte mal, wir müssen noch ein Foto für Instagram machen. Schließlich haben wir den letzten Tag des Schuljahres soeben erfolgreich hinter uns gebracht.«
Sie richtete sich die Haare, packte die Bürste weg und legte Mira einen Arm um die Schulter. Beide lächelten in die Frontkamera, als der Selbstauslöser, den Susanne eingestellt hatte, seinen Dienst verrichtete.
Sofort prüfte Susanne, ob das Foto was geworden war. Sie verzog das Gesicht. »Nein, das geht so nicht. Wie liegen meine Haare denn schon wieder?« Sie zog die Haarbürste erneut aus ihrer Tasche, um ihre Frisur in die richtige Form zu bringen. Dabei besah sie sich durch die Frontkamera des Handys. »So, jetzt. Versuchen wir es einfach noch einmal.«
Mira kannte das schon von Susanne. Selten war diese mit dem ersten Foto zufrieden. Oftmals wurde die Prozedur mehrmals wiederholt.
Susanne wiegte den Kopf hin und her, während sie das Foto betrachtete. »Na ja, könnte besser sein, aber ist okay.« Mit ein paar Klicks hatte sie das Bild gepostet und steckte das Handy wieder ein.
Vor dem Schultor verabschiedeten sich die Freundinnen voneinander. Susanne rauschte eiligen Schrittes davon, während Mira in Richtung Fahrradständer blickte.
Da war er wieder: der wohl bestaussehendste Junge der ganzen Schule. Viel wusste Mira allerdings nicht über ihn. Er hieß Marcel und ging in die Klassenstufe über ihr. Schon oft hatte sie ihn heimlich während der Hofpausen von Weitem beobachtet. Ihn anzusprechen traute sie sich allerdings nicht. Obwohl sie ihn noch nie mit einem Mädchen zusammen gesehen hatte, konnte sie sich gut vorstellen, dass er eine Freundin hatte. So süß wie er war, hatte Mira bei ihm sicherlich nicht die geringste Chance.
Genauso wie Susanne trug Marcel ausschließlich Markenklamotten. Solche Kleidung konnten sich Miras Eltern nicht leisten. Dafür verdienten sie nicht genug. Das war auch der Grund, warum sie dieses Jahr nicht wegfuhren. Drei Wochen am Stück waren sie sowieso noch nie weggewesen. Ein wenig beneidete Mira Susanne schon dafür, dass ihre Familie sich so viel leisten konnte. Aber war Geld wirklich alles? Wenn Mira genauer darüber nachdachte, war sie glücklich und es fehlte ihr an nichts.
Markenklamotten interessierten sie nicht im Geringsten. Auch günstigere Kleidung konnte durchaus gut aussehen. Es kam eben immer auf die Kombination an. Klar musste sie deshalb den ein oder anderen fiesen Kommentar ihrer Mitschüler über sich ergehen lassen. Die meisten trugen überwiegend Markenklamotten – und wer das nicht tat, war ein schlechter Mensch. Zumindest kam es Mira hin und wieder so vor. War das vielleicht der Grund, warum Susanne ihre einzige Freundin war? Claudia und Laura waren für sie lediglich Klassenkameradinnen. Aber ganz ehrlich, es war ihr egal. Sie brauchte nicht viele Menschen um sich herum, sie hatte lieber welche, die es ehrlich mit ihr meinten. Noch wichtiger war für sie, dass sie mit sich selbst zufrieden war. Und genau das war sie.
Nur hin und wieder schlichen sich ein paar Zweifel in ihre Gedanken. Wie zum Beispiel eben, als Susanne sie wegen ihrer nicht ganz idealen Figur gemustert hatte. In solchen Situationen fragte sie sich manchmal, ob sie nicht doch mal eine Diät machen sollte. Andererseits fand sie sich nicht wirklich zu dick. Außerdem aß sie viel zu gern.
Da waren ihre Gedanken also wieder beim Thema Styling und Ernährung angekommen. Sie musste daran denken, dass sie Susanne später ein paar Stylingtipps geben sollte. Doch wenn diese von Tipps sprach, war das nicht damit gemeint. Denn es war bei Weitem mehr als lediglich ein bisschen Hilfestellung, die Mira ihr gab. Meistens stylte sie ihre Freundin komplett und half ihr sogar bei der Zusammenstellung der Klamotten für die jeweilige Feier. Susanne hatte dafür kein Händchen. Im Alltag klappte das erstaunlich gut, aber sobald sie auf eine Party gehen wollte, sah sie häufig aus wie ein schräger Papagei. Sie hatte einfach noch nicht begriffen, dass oftmals weniger mehr war. Allerdings legte Susanne großen Wert darauf aufzufallen – um jeden Preis.
Aber im Endeffekt half Mira ihrer Klassenkameradin gern. Es war für sie eine gute Übung, denn sie wollte später unbedingt Kosmetikerin oder Maskenbildnerin werden. So genau hatte sie sich nicht festgelegt, schließlich hatte sie auch noch ein wenig Zeit. Es war faszinierend, wie etwas Schminke, eine andere Frisur und die dazu passende Kleidung aus einem Menschen einen völlig neuen Typ machen konnten.
Sie selbst schminkte sich für die Schule nur dezent. Die Wimpern tuschte sie täglich und hin und wieder legte sie ein wenig Lipgloss auf. Wenn sie Lust und Zeit hatte, kam noch ein Lidstrich dazu. Es hieß doch immer, dass die Augen der Spiegel der menschlichen Seele waren, also durften diese auch entsprechend betont werden. Wenn sie Langeweile hatte, experimentierte sie zu Hause gern mit ihrem kleinen Schminkkoffer herum, den sie vor drei Monaten von ihren Eltern zum Geburtstag bekommen hatte. Darüber hatte sie sich wahnsinnig gefreut. Eine solche Auswahl an Produkten hatte sie noch nie zuvor gehabt.
»Hey, Marcel, sehen wir uns heute Abend auf der Party?« Von dem Rufen eines Jungen wurde Mira zum zweiten Mal innerhalb kürzester Zeit aus einem ihrer vielen Tagträume gerissen.
Sie stand noch immer am Schultor und starrte in Richtung der Fahrradständer, wo sich Marcel mit seinen Kumpels unterhielt.
Er drehte sich auf einmal um und blickte zu ihr.
Schnell nahm Mira ihre Schultasche vom Rücken und kramte darin herum. Das Herz klopfte ihr bis zum Hals. Hatte er bemerkt, dass sie ihn angestarrt hatte? Hoffentlich nicht.
»Klar werde ich da sein. Was denkst du denn? Schließlich muss man den Ferienbeginn feiern, oder?«, antwortete Marcel.
Die Jungs verabschiedeten sich voneinander und Marcel schwang sich auf sein Fahrrad und fuhr los.
Endlich konnte Mira aufatmen, doch ihr Herzschlag beruhigte sich nur allmählich. Es wurde Zeit, dass sie sich auf den Heimweg machte. Dabei überlegte sie, ob ihr Schwarm am Abend wohl auf derselben Party sein würde wie Susanne.
Eine winzige Hoffnung keimte in Mira auf – wie eigentlich jedes Mal, wenn sie Susanne beim Styling half. Mira würde ihr auch heute wieder die Frage stellen, die ihr fast genauso starkes Herzklopfen bescherte wie Marcels Anblick. Vielleicht würde Susanne diesmal zustimmen und sie endlich einmal mit auf eine Party nehmen. Irgendwann musste sich ihre Hilfe doch auch mal für sie bezahlt machen, oder?
Kapitel 2
Bei der Arbeit im Supermarkt war Mira so unkonzentriert wie nie zuvor.
»Was ist heute nur mit dir los? So kenne ich dich gar nicht.«
Mira zuckte zusammen und hätte beinahe die Palette Pudding fallen gelassen, mit der sie wohl schon mehrere Minuten in Gedanken versunken vor dem Kühlregal gestanden hatte. Sie hatte die Filialleiterin nicht kommen sehen. Mira entschloss sich dazu, einfach die Wahrheit zu sagen. Denn was brachte es ihr, nach irgendeiner Ausrede zu suchen und diese vermutlich auch noch unglaubwürdig stammelnd vorzubringen? »Bitte entschuldigen Sie, Frau Winter. Ich war mit meinen Gedanken gerade ganz woanders. Denn möglicherweise gehe ich heute Abend auf meine allererste Party und bin deshalb ein wenig nervös.«
Frau Winters Gesicht hellte sich auf. »Ah, das verstehe ich. Vor meiner ersten Party war ich mehr als nervös. Ach, wie lange ist das jetzt schon her? Und vielleicht ist da ein süßer Typ, den du gern näher kennenlernen möchtest, hm?«
Prompt merkte Mira, wie ihr die Hitze zu Kopf stieg.
Frau Winter nickte lächelnd. »Du hast ja gleich Feierabend. Und für heute Abend wünsche ich dir auf jeden Fall ganz viel Spaß.
Mira hoffte sehr, dass sie den haben würde.
Kaum war ihre Schicht beendet, beeilte sie sich, nach Hause zu kommen und ihren Schminkkoffer zu holen. Den hatte sie nämlich nicht mit zur Arbeit nehmen wollen, aus Angst, dass ihn jemand klauen könnte. Sie packte noch ein paar Klamotten für sich selbst in ihren Rucksack, die sie anziehen könnte, wenn Susanne sie zu der Party mitnahm.
Danach machte sie einen kurzen Abstecher zum Café, das auf dem Weg lag und kam gerade noch rechtzeitig bei ihrer Freundin an.
Diese war wie immer vor einer Party total hibbelig. Diesmal kam sie Mira allerdings besonders aufgedreht vor.
»Was ist denn mit dir los?«
»Schau! Ich habe dieses Handy für mein gutes Zeugnis bekommen. Es ist das neueste Modell. Ist das nicht großartig?«
Mira rollte innerlich mit den Augen. Sie selbst bekam immer nur die abgelegten Handys von ihren Eltern, was ihr vollkommen ausreichte. Generell bekam sie für ein gutes Zeugnis ein Lob, aber niemals materielle Dinge. Das war für sie auch absolut in Ordnung.
Auf einmal schoss ihr der Gedanke durch den Kopf, dass die Zeugnisausgabe erst vor wenigen Stunden stattgefunden hatte. Sie runzelte die Stirn. »Moment, du bist heute noch mit deinen Eltern losgegangen, um dir das Handy zu kaufen?«
Susanne lachte. »Aber nein. Das hatten sie natürlich schon vorher.«
»Was wäre denn gewesen, wenn dein Zeugnis nicht so gut ausgefallen wäre?«
Susanne zuckte mit den Schultern. »Dann hätte ich es erst zu meinem Geburtstag bekommen und noch ewig darauf warten müssen.«
Mira hob eine Augenbraue. »Du hast im August Geburtstag.«
»Sag ich doch, das ist noch ewig lange hin.«
Mira sparte sich eine entsprechende Antwort und hielt Susanne stattdessen einen der beiden Pappbecher hin. »Hier, hab ich uns mitgebracht. Caramel-Macchiato, wie immer.«
Susanne machte keine Anstalten, ihr den Becher abzunehmen. »Welche Milch wurde denn verwendet?«
»Keine Ahnung. Vollmilch, nehme ich an – ich hoffe es zumindest, fettarme schmeckt doch nicht.«
Angewidert verzog Susanne das Gesicht. »Dann kannst du das Zeug allein trinken. Das ist beides Kuhmilch und somit alles andere als vegan.«
Dass Susanne ab sofort auf tierische Produkte verzichten wollte, hatte Mira im Laufe des Tages glatt wieder vergessen. Sie zuckte mit den Schultern und stellte beide Becher auf den Schreibtisch.
»Schau mal, ich habe schon ein paar Outfits rausgesucht. Was meinst du, ist etwas dabei, das ich anziehen könnte?« Susanne deutete auf die fünf Kombinationen auf ihrem Bett.
Beim Zusammenstellen der Kleidung folgte Mira keinem bestimmten Trend, sondern ließ sich stets von ihrem Bauchgefühl leiten, das sie bisher noch nie getäuscht hatte.
Sie ging hinüber zum Bett, nahm ein weißes, jedoch frech geschnittenes Oberteil von dem einen Outfit und kombinierte es mit der schwarzen Röhrenjeans eines anderen.
»Ist das nicht zu schlicht?«, warf Susanne ein, als Mira gerade weiße Sandalen hinzunahm.
»Warts ab.« Sie klaubte passenden Schmuck von der Kommode zusammen und bat Susanne, alles einmal anzuprobieren.
Als diese kurz darauf vor dem Spiegel stand und sich betrachtete, riss sie ihre Augen auf. »Wow! Das hätte ich jetzt nicht erwartet. Es sieht total elegant aus.«
Nun konnten sich die Mädchen dem Make-up widmen. Mira zauberte ihr Smokey Eyes mit drei verschiedenen Brauntönen, die ihre blauen Augen zur Geltung brachten, und kombinierte sie mit einem roséfarbenen Lippenstift.
Susanne war wie immer zufrieden.
Als Mira gerade dabei war, ihren Schminkkoffer zusammenzupacken, holte sie noch einmal tief Luft. »Wer wird denn heute Abend alles auf der Feier sein und wo findet sie überhaupt statt?«
»Die Party ist in dem Jugendclub. Es ist zwar ätzend, dass wir nur bis Mitternacht feiern dürfen, weil wir noch nicht volljährig sind, aber ansonsten ist es cool da. Und sicherlich werden wieder die Üblichen dort sein. Einige von unserer Schule, die meisten kennst du nicht.«
»Meinst du, ich könnte vielleicht diesmal mitkommen? Ich habe meine Eltern schon gefragt. Sie haben nichts dagegen.« Dass sie um elf Uhr wieder zu Hause sein sollte, verschwieg sie lieber. Sonst würde Susanne möglicherweise der Meinung sein, dass sich das gar nicht lohnte. Aber auf die eine Stunde, die Susanne länger da war, kam es sicherlich nicht an.
Doch Miras Freundin hörte ihr überhaupt nicht zu. Sie plapperte weiterhin aufgeregt: »Auf der Party letzten Samstag habe ich einen super Typen kennengelernt. Und stell dir vor, heute Abend kommt er auch. Ich freue mich schon jetzt sehr darauf, ihn zu sehen, das kannst du dir nicht vorstellen.«
Langsam sank Miras Hoffnung wieder. Was interessierten sie Susannes Bekanntschaften? Stattdessen sollte sie lieber auf ihre Frage antworten und diese nicht einfach ignorieren. Sie wollte auf eine Party, wenigstens einmal in ihrem Leben. Deshalb wiederholte sie ihre Frage.
Susanne sah sie zum zweiten Mal an diesem Tag an, als hätte sie soeben ein Gespenst erblickt. »Du?!« Sie lachte aus voller Kehle. »Was willst du denn auf einer Party? Du würdest mit deinem Erscheinen doch nur alle vergraulen. Für eine Party muss man besser aussehen als du. Da, wo ich hingehe, verkehrt nur die Crème de la Crème. Schüchterne graue Mäuse sind da nicht gern gesehen. Das soll jetzt nichts gegen dich persönlich sein. Ich mag dich, das weißt du, sonst wären wir nicht befreundet. Aber ich weiß, wie gemein die anderen zu denen sein können, die nicht in ihrer Liga spielen.«
Mira war den Tränen nahe, versuchte jedoch, diese zu unterdrücken. Sie kannte sich mit Partys nicht aus, hatte nur einiges darüber gehört und gelesen. Wenn es eine Privatparty war, durfte ihre Freundin sie vielleicht gar nicht mitnehmen, weil sie nicht eingeladen war. Mira hatte schon oft von Susanne gehört, dass es im Jugendclub hin und wieder solche gab – zum achtzehnten Geburtstag zum Beispiel. Aber sie wusste, dass Susanne auch immer mal wieder zu öffentlichen Partys ging, bei denen man keine Einladung brauchte, sondern Eintritt bezahlte. Nun wusste sie natürlich nicht, wie es sich bei dieser Party verhielt. Auch war ihr nicht klar, wer die einzelnen Gäste waren. Vielleicht passte sie wirklich nicht hinein.
Susanne hingegen kannte sicher die meisten Gäste, die auf der Party anzutreffen war. Folglich musste Mira ihr glauben, dass es keine Feier für sie war. Aber hätte Susanne das nicht netter formulieren können?
Klar, Mira war sich durchaus bewusst, dass sie nicht gerade dem Schönheitsideal entsprach. Allerdings wollte sie auch kein Model werden. Sie hatte aschblonde Haare, aber nicht, wie es gerade modern war, in Graublond gefärbt. Miras Mutter nannte diese Haarfarbe auch gern Straßenköterblond. Ihre Nase war einen Tick zu breit und ihre Lippen sehr schmal. Mit einer Körpergröße von gerade mal 1,61 Metern gehörte sie zu den Kleinsten in ihrer Klasse und musste zu jedem aufschauen – oder sie schauten auf sie herunter, wie auch immer man es sehen wollte. Bei Susannes Worten hatte es ihr die Sprache verschlagen. Sie hatten Mira verärgert. Mit großen Augen starrte Mira ihre Freundin an und versuchte, nicht wie ein kleines Kind loszuheulen.
Susanne betrachtete sich im Spiegel und zupfte ein paar Haarsträhnen zurecht. »Du solltest jetzt besser gehen. Sabrina kommt gleich, um mich abzuholen«
Mira hatte sich schon oft gefragt, warum Sabrina Susanne nicht beim Styling half. Immerhin war sie ihre beste Freundin. Die beiden kannten sich, soweit sie wusste, seit der Grundschule und sie besuchten immer gemeinsam die Partys. Einmal hatte Mira Susanne direkt danach gefragt, warum sie sich nicht zusammen mit Sabrina für die Feier fertig machte, doch sie war ihr ausgewichen.
Ohne ein weiteres Wort raffte Mira ihre Sachen zusammen, schnappte sich sowohl Rucksack als auch Schminkkoffer und verließ schnellen Schrittes das Einfamilienhaus.
Endlich konnte sie ihren Tränen freien Lauf lassen, was allerdings dazu führte, dass sie von ihrer Umgebung kaum noch etwas wahrnahm. Instinktiv schlug sie den Weg zum Stadtpark ein.
Diesen durchquerte sie immer, weil er die beste Abkürzung zwischen ihrem und Susannes Zuhause bildete. Doch noch wollte sie nicht heim, nicht in ihrem derzeitigen Zustand. Deshalb steuerte sie eine Parkbank an, die versteckt in einer Ecke am Ententeich stand. Auf dieser ließ sie sich nieder, schlug die Hände vor das Gesicht und schluchzte. Warum musste ihr so etwas passieren? Sie konnte Susanne die verletzenden Worte kurz vor ihrem Rausschmiss nicht verzeihen, dafür hatten diese sie viel zu tief getroffen. Für Mira war ihre Freundschaft beendet. Ein solches Verhalten musste sie sich nun wirklich nicht gefallen lassen. Lieber bleib sie allein, als von einer angeblichen Freundin so beleidigt zu werden. Unter Freundschaft verstand sie etwas vollkommen anderes. Erst in diesem Moment fiel ihr auf, dass Susanne immer nur nahm, aber nie etwas zurückgab. Keinen einzigen Gefallen hatte sie Mira bisher getan. Immer hatte sie ihr irgendwelche Ausflüchte entgegengebracht.
Auf einmal spürte Mira etwas Feuchtes an ihrem Arm und zuckte zusammen. Sie nahm die Hände vom Gesicht und blinzelte, um besser sehen zu können.
Vor ihr stand ein Schäferhund, der den Kopf zur Seite legte.
»Na, wer bist denn du?«, fragte sie mit belegter Stimme.
Der Hund bellte kurz auf.
»Du bist ja ein ganz Lieber. Aber sag mal, du bist doch sicherlich nicht allein unterwegs, oder? Wo ist denn dein Herrchen oder Frauchen, hm?«
Wieder bellte der Hund einmal.
In dem Moment hörte sie jemanden rufen. »Booser, wo steckst du? Booser! Komm sofort hierher!«
Bellend rannte Booser um den Busch hinter der Bank herum.
»Da bist du. Einfach weglaufen, also wirklich. Hey, Moment, was ist denn los? Wo willst du hin? Warte! Bleib hier! Booser!«
Kurz darauf kam der Hund auch schon wieder um die Ecke geschossen. Dicht hinter ihm folgte niemand anderes als Marcel.
Mira riss die Augen weit auf und brachte keinen Ton heraus. Das konnte doch nicht wahr sein! Ausgerechnet ihm musste sie in diesem fürchterlichen Zustand begegnen. Der Abend wurde ja immer besser!
»Oh, hi! Ich hoffe, mein Hund hat dich nicht belästigt. Er ist sonst nicht so, wirklich. Aber keine Angst, er tut niemandem was zuleide. Booser, komm sofort hierher!«
Doch Booser dachte nicht daran. Stattdessen setzte er sich direkt vor Mira ins Gras und blickte sie erneut mit schiefem Kopf an. Er winselte leise.
Marcel grinste verlegen und kratzte sich am Hinterkopf. »Okay, normalerweise hört er allerdings auch deutlich besser. Booser, du Schlingel! Sorry!«
Mira schüttelte den Kopf. »Er belästigt mich nicht. Alles gut.« Sie wischte sich über die Augen, obwohl sie damit ihre Wimperntusche sicherlich noch mehr verschmierte. Immer stärkerer Groll auf Susanne wuchs in ihr.
Marcel betrachtete sie genauer. »Hey, was hast du denn? Ist etwas passiert? Du bist ja völlig fertig.« Seine braunen Wuschelhaare bewegten sich in dem leichten Wind. Mit seinen eisblauen Augen sah er sie mitleidig an.
Mira war sich nicht sicher, ob sie ihm von Susanne erzählen sollte. Sie konnte gerade keinen klaren Gedanken fassen. Ihr Herz klopfte so laut, dass Mira schon befürchtete, Marcel könnte es hören.
Booser legte Mira eine Vorderpfote auf das Knie und blickte sie mit seinen treuen Hundeaugen an.
Marcel trat näher und tätschelte seinem vierbeinigen Freund den Kopf. »Schau, Booser möchte auch wissen, was mit dir los ist und wie wir dir helfen können.«
Mira stockte abermals der Atem, als sich Marcel neben sie setzte. Sie hatte nichts zu verlieren. Deshalb erzählte sie ihm in groben Zügen, was sie so sehr aufwühlte. Sie versuchte auszublenden, dass es ausgerechnet Marcel war, dem sie ihr Herz ausschüttete. Nie hätte sie für möglich gehalten, dass sie jemals ganz normal und ohne Stottern mit ihm reden konnte – schon gar nicht über ein solches Thema. Aber erstaunlicherweise funktionierte es.
Marcel war ein guter Zuhörer. Nicht einmal unterbrach er ihren Redeschwall und anschließend schwieg er einen Moment nachdenklich. »Das klingt wirklich nicht schön.« Er warf einen Blick auf seine Armbanduhr. »Ich habe heute leider keine Zeit mehr, weil ich verabredet bin. Das, was diese Sabine mit dir gemacht hat, ist alles andere als nett.«
Sie schmunzelte. »Susanne. Sie heißt Susanne. Und ich bin übrigens Mira.«
»Von mir aus heißt sie Susanne. Hi, Mira. Ich bin Marcel.«
Verlegen blickte sie zu Boden. »Ich weiß. Du gehst auch auf das Goethegymnasium.«
Nun weiteten sich Marcels Augen. »Du kennst mich? Warum wusste ich dann bis eben noch nicht, wer du bist?«
Mira zuckte mit den Schultern. »Kennen ist vielleicht zu viel gesagt. Ich habe nur mal mitbekommen, wie dich jemand mit deinem Namen angesprochen hat, als ich gerade in der Nähe war. Mehr nicht.« Dass sie ihn oftmals auf dem Schulhof heimlich beobachtete, verschwieg sie ihm wohlweißlich.
Es schien, als hätte Marcel erleichtert aufgeatmet. Aber sie konnte sich auch geirrt haben.
»Pass auf, wir treffen uns morgen Nachmittag gegen drei Uhr wieder hier. Vielleicht fällt mir bis dahin etwas wegen dieser Sandra ein.«
»Namen sind nicht wirklich deine Stärke, was?«
»Ich merke mir grundsätzlich nur Namen, die sich zu merken lohnen. Deinen zum Beispiel, Mira.«
Ihr Herz stolperte. Seine unbeschwerte Art besserte ihre Laune ungemein. Außerdem wurde er ihr dadurch noch viel sympathischer. Dennoch irritierte sie eine Sache. »Weshalb möchtest du dir eigentlich etwas wegen Susanne einfallen lassen? Immerhin kennst du mich doch gar nicht.«
»Dafür, dass wir tatsächlich auf dieselbe Schule gehen, finde ich es ehrlich gesagt sogar sehr schade, dass du mir nicht schon vorher aufgefallen bist. Aber davon einmal abgesehen, gefällt mir nicht, was deine angebliche Freundin die ganze Zeit mit dir abgezogen hat. So sollte man nicht miteinander umgehen. Freunde ziehen am selben Strang und nicht an zwei verschiedenen Enden.«
Etwas betrübt beobachtete Mira den Sonnenuntergang über dem Ententeich. »Im Endeffekt bin ich ja selbst daran schuld. Ich hätte mich schon viel früher von ihr abwenden sollen. Aber dann wäre ich wieder ganz allein.« Eine einsame Träne kullerte über ihre Wange, was sie aber nicht bemerkte.
Ruckartig stand Marcel auf, sodass nicht nur Mira zusammenzuckte, sondern auch Booser. »Sag doch so was nicht. Klar, du hättest ihr schon längst den Rücken zukehren sollen. Aber es ist verdammt noch mal nicht deine Schuld, ganz sicher nicht. Ich kann mir vorstellen, wie diese Stefanie tickt. Erst einen auf freundlich machen und wenn sie bekommen hat, was sie wollte, holt sie das sprichwörtliche Messer raus und rammt es dir zwischen die Rippen.«
Mittlerweile glaubte Mira, Marcel verwendete absichtlich andere Namen für Susanne, und musste schmunzeln. Dass er so außer sich war, irritierte sie dennoch sehr.
Erneut sah der Junge auf seine Uhr. »Sorry, nun muss ich wirklich los, sonst komme ich zu spät. Treffen uns morgen um fünfzehn Uhr hier?«
Mira konnte nur nicken, und sah Marcel und Booser hinterher. Sie blieb noch eine Weile sitzen, ehe sie sich ebenfalls auf den Heimweg begab.
Es beschäftigte sie, dass Marcel ihr, in welcher Hinsicht auch immer, helfen wollte, obwohl er sie überhaupt nicht kannte. Sie hoffte sehr, dass er es im Gegensatz zu Susanne ehrlich mit ihr meinte. Trotz aller Schwärmerei für ihn würde sie auf der Hut sein.
Als Mira die Tür ihres kleinen Reihenhauses aufschloss, kam ihre Mutter neugierig aus dem Wohnzimmer. »Mira? Mit dir haben wir so früh nicht gerechnet. War die Party nicht schön?« Ihre Mutter blickte sie mit geweiteten Augen an und schlug die Hand vor den Mund. »Oh mein Gott, wie siehst du denn aus? Was ist auf der Feier passiert? Hat dir jemand wehgetan?«
Der kostenlose Auszug ist beendet.