Die E-Zigarette

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Die E-Zigarette
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ISBN 978-3-903229-24-2

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Bernd Mayer

Die E-Zigarette

Fakten & Mythen


Science is a candle in the darkness of a demon-haunted world.

Carl Sagan (1934–1996)

INHALTSVERZEICHNIS


Cover
Impressum
Titel
Abkürzungen
1.EINLEITUNG
2.RAUCHEN
2.1Schädlichkeit
2.2Raucherquoten, Abhängigkeit und Entwöhnung
2.3Schadensminimierung
2.4E-Zigaretten: Alternative für Raucher zur Schadensminimierung
3.NIKOTIN
3.1Biologische Effekte
3.2Toxizität
3.3Tödliche Dosis
3.4Hohes Suchtpotential?
3.5Nikotinsalze
4.FUNKTION VON E-ZIGARETTEN
5.VERDAMPFUNG STATT VERBRENNUNG
5.1Schadstoffe im Dampf
5.2Exkurs Tabakerhitzer
6.BELASTUNG DER RAUMLUFT UND PASSIVDAMPFEN
7.AROMASTOFFE – GEFÄHRLICH BEI INHALATION?
7.1Entfall des Metabolismus in der Leber
7.2Toxizität von Pyrolyseprodukten: Beispiel Sucralose
7.3Direkte Toxizität auf Lungenepithelzellen: Beispiel Diacetyl
7.4Toxizität von Aromastoffen gemäß CLP-Verordnung der EU
7.5Menthol
7.6Fette und Öle (Lipide)
7.7Schädigung von Herz und Blutgefäßen?
7.8Toxizitätstests an Zellen zur Qualitätssicherung?
7.9Fazit zur möglichen Schädlichkeit von Aromastoffen
8.STUDIEN ZU DEN EFFEKTEN DES DAMPFENS AUF DIE GESUNDHEIT
8.1Lunge
8.2Herz und Blutgefäße
8.3Schwangerschaft
8.4Alles andere
9.UM WIEVIEL WENIGER SCHÄDLICH?
9.1Risikoabschätzung durch Public Health England (PHE)
9.2Krebsrisiko
9.3Missverständnisse rund um die Risikoabschätzung von PHE
9.4Risiko für Nichtraucherinnen und Nichtraucher?
9.5Risiko durch Alkohol in Liquids?
9.6Risiko bei Übergewicht oder Diabetes mellitus?
10.MYTHEN
10.1Dampfen renormalisiert das Rauchen
10.2Nikotin ist ein tödliches Sucht- und Nervengift
10.3Durch den Umstieg tauscht man eine Sucht gegen eine andere
10.4E-Zigaretten sind nicht harmlos
10.5Die Unschädlichkeit des Dampfens ist nicht bewiesen
10.6Es gibt noch keine Langzeitstudien
10.7E-Zigaretten erzeugen gesundheitsschädliche Partikel
10.8Tote durch E-Zigaretten
10.9Dampfen beeinträchtigt das Immunsystem und fördert Sars-Cov-2-Infektionen
10.10E-Zigaretten fördern den Ausstieg nicht, sondern behindern ihn (dual use)
10.11E-Zigaretten sind Einstiegsdrogen für Jugendliche
10.12Absurdes
11.DIE KONTROVERSE
11.1Wer verdient am Rauchen?
11.2Tabakkontrolle und Public Health – ein geschlossenes System
11.3Ausgrenzung der Tabakindustrie
11.4Beihilfe zur Desinformation durch die Medien
12.AUSBLICK
Glossar und Abkürzungen
Danksagungen
Abbildungsverzeichnis
Literaturverzeichnis
Zum Autor

ABKÜRZUNGEN

Um das Buch lesbar zu halten, werden (häufig gebrauchte) Maßeinheiten, besonders dann, wenn sie in Rechenbeispielen gebraucht werden, abgekürzt.

 

Gewichtsmaße:

kg = Kilogramm (1 Kilogramm = 1.000 Gramm = 103 g)

mg = Milligramm (1 Milligramm = 1 Tausendstel Gramm = 10−3 g)

μg = Mikrogramm (1 Mikrogramm = 1 Millionstel Gramm = 10−6 g)

Hohlmaße:

ml = Milliliter (1 Milliliter = 1 Tausendstel Liter = 10−3 l)

l = Liter (1 Liter = 1.000 ml)

Längenmaße:

m = Meter (1 Meter)

km = Kilometer (1 Kilometer = 1.000 m = 103 m)

Flächenmaße:

m2 = Quadratmeter

(1 Quadratmeter = Flächeninhalt von einem Quadrat von 1 x 1 m Seitenlänge)

Raummaße:

m3 = Kubikmeter

(1 Kubikmeter = Rauminhalt eines Quaders mit 1 x 1 x 1 m Seitenlänge)

Energieeinheiten:

kJ = Kilojoule (1 Kilojoule = 1.000 Joule)

kcal = Kilokalorie (1 Kilokalorie = 4,184 kJ)

1. Einleitung

Ende Februar 2006 suchte mich am Institut ein gewisser Renatus (alias René) Derler, wohnhaft etwa 50 Kilometer nördlich von Graz, auf und präsentierte mir eine sehr dekorativ mit chinesischen Zeichen beschriftete Holzschachtel. Der Inhalt entpuppte sich als zigarrenähnliches Teil, das man mit Filterdepots bestücken konnte, die mit nikotinhaltiger Flüssigkeit getränkt waren. Dieses Gerät, das René als „elektrische Zigarette“ bezeichnete, erzeugte mittels eines Akkus einen Nebel, den man ähnlich wie den Rauch von Tabakzigaretten inhalieren konnte. Als damals starker Raucher war ich von dem Gerät begeistert und wagte die Prognose, dass aufgrund dieser Erfindung das Rauchen binnen 15 Jahren ausgerottet sein würde. Dass diese Prognose hoffnungslos optimistisch war, liegt wohl vor allem an dem in meiner Naivität nicht erwarteten massiven Gegenwind, der diesen Geräten von verschiedenen Seiten entgegen bläst und der ein wichtiges Thema dieses Buchs sein wird.

Wie sich herausstellte, hat René Derler die von der Firma Ruyan damals in China vertriebene E-Zigarette auf einer Asienreise entdeckt und beschlossen, sie in Europa zu vermarkten. Dazu bekam er von Ruyan die Generalvollmacht, wollte sich aber bei der in Österreich dafür zuständigen Agentur für Ernährungssicherheit (AGES) mit einem toxikologischen Gutachten absichern, wozu er mich beauftragte. Als Grundlage für mein Gutachten hatte ich die Patentschrift der Firma Ruyan, aus der das Funktionsprinzip ersichtlich war, eine Liste von Inhaltsstoffen der „Depots“ und nicht zuletzt meinen Hausverstand zur Verfügung. Studien über E-Zigaretten gab es damals natürlich noch keine. Allerdings war seit langem bekannt, dass die schädlichen Wirkungen des Rauchens auf den Verbrennungsprodukten im Rauch beruhen. Außerdem gab es einige wenige tierexperimentelle Studien, die die Unbedenklichkeit der Inhalation der Hauptbestandteile der verdampften Flüssigkeiten, Glycerin und Propylenglykol (PG), belegten. Daraus folgte für mich zwingend, dass E-Zigaretten, in denen keine Verbrennung stattfindet, um ein Vielfaches weniger schädlich sind als Tabakzigaretten. Heute findet man in der Fachliteratur mehrere tausend Publikationen zu dem Thema – meine damalige Schlussfolgerung wurde aber bis heute nicht widerlegt.

In meinem Gutachten habe ich Rauchern dieses Produkt vorbehaltlos zur Entwöhnung empfohlen. Da ich bis dahin mit den ideologischen Konzepten der Tabakkontrolle nicht vertraut war, hatte ich nicht vorhergesehen, dass diese Empfehlung bei Gesundheitsbehörden sofort den „Arzneimittel-Reflex“ auslösen würde. Raucherentwöhnung war – und ist bis heute – ein therapeutisches Verfahren zur medizinischen Behandlung von Rauchern. Würde man Gummibärchen zur Raucherentwöhnung empfehlen, müssten die Hersteller diese Produkte vermutlich als Arzneimittel registrieren lassen – und dürften sie nur mehr in Apotheken verkaufen. Für mich war – und ist nach wie vor – jeder Ausstieg aus dem Rauchen eine Form der Raucherentwöhnung, und zwar unabhängig davon, ob man mit Nicorette®, einem Stressball, Gummibärchen oder eben E-Zigaretten aussteigt. Diese Auffassung wird leider von den meisten Gesundheitsorganisationen und Behörden nicht geteilt. Jedenfalls haben in Österreich sowohl die AGES als auch das Gesundheitsministerium die E-Zigarette von Ruyan als Medizinprodukt und nikotinhaltige Liquids als registrierungspflichtige Arzneimittel eingestuft.

Da das Meinungsäußerungen ohne gesetzliche Bedeutung waren, startete René Derler im Frühsommer 2006 mit dem Direktvertrieb von Ruyan E-Zigaretten in Österreich und hielt diesen bis Mitte 2007 aufrecht. Viele österreichische Händler wagten es jedoch aufgrund der Verlautbarungen des Gesundheitsministeriums lange Zeit nicht, nikotinhaltige Liquids zu verkaufen. Erst 2014 sorgte die Europäische Tabakproduktrichtlinie (TPD2) für seit langem fällige Rechtssicherheit betreffend den Handel nikotinhaltiger Liquids außerhalb des Arzneimittelgesetzes.

Warum habe ich die E-Zigarette von Ruyan damals euphorisch begrüßt und empfehle Rauchern auch heute noch ebenso euphorisch den Umstieg? Wie viele andere habe ich im zarten Alter von 13 Jahren mit dem Rauchen begonnen – richtig coole Männer rauchen, und selbstverständlich wollte ich dazugehören. Als ich später erkannte, dass ich damit nicht nur meine Geldbörse, sondern vor allem meine Gesundheit nachhaltig schädige, war es zu spät. Unzählige Entwöhnungsversuche mit Hilfe von Nicorette®, Allen Carr, eisernem Willen, Gruppendynamik und anderem waren allesamt nach spätestens sechs Monaten gescheitert. Irgendwann hatte ich mich selbst aufgegeben und meinen zunehmend schlechteren Gesundheitszustand als unveränderlich akzeptiert. Wenn mein jüngster Sohn sich beim abendlichen Vorlesen in seinem Bett beklagt hatte, ich würde entsetzlich stinken, sagte ich ihm er solle nicht so zimperlich sein. Als Raucher hatte ich meine Gesundheit schwer geschädigt und Familie, Freunde und Arbeitskollegen durch permanenten Gestank belästigt.

Und dann bin ich eben über E-Zigaretten gestolpert. Anfangs waren die Geräte unzuverlässig und wenig effizient. Weder die von Ruyan, noch ihre kaum verbesserten Nachfolger benutzte ich regelmäßig und hatte stattdessen weiterhin geraucht. Anfang 2012 schickte mir jedoch Kollege Jürgen Ruhlmann ein Starterset der von ihm entwickelten Snoke® für ein Gutachten. Ohne es zu bemerken hatte ich den ganzen Tag an dieser kleinen, relativ schwachbrüstigen E-Zigarette gezogen und statt 30 plötzlich nur mehr drei bis vier Zigaretten täglich geraucht. So ging das etwa drei Wochen lang, bis mein Vorrat an Tabakzigaretten erschöpft gewesen war und ich mich entscheiden musste. – Ich habe mich damals gegen eine neue Stange Tabakzigaretten und stattdessen für eine leistungsstärkere E-Zigarette entschieden. Das war Anfang Februar 2012. Seither habe ich, abgesehen von der einen oder anderen ekelhaften „Testzigarette“, nicht mehr geraucht. Meine damals schwerwiegenden gesundheitlichen Probleme, vor allem nahezu permanente Infektionen der Atemwege und schwerer Husten, waren innerhalb weniger Wochen verschwunden. Ich war ein neuer Mensch! Durch E-Zigaretten wurde ich trotz offensichtlich extremer Abhängigkeit von Tabakzigaretten zwang- und schmerzlos zum Nichtraucher. Und Millionen Umsteiger weltweit erzählen ähnliche Geschichten.

In diesem Buch werde ich versuchen, die Vorteile des Umstiegs vom Rauchen auf das Dampfen anhand der verfügbaren Fakten darzulegen. In der biomedizinischen Datenbank Medline findet man zurzeit etwa 26.000 Publikationen zum Thema Tabak, Nikotin und E-Zigaretten. Bei Einschränkung auf E-Zigaretten sind es noch immer über 5.000 Arbeiten. Das zeigt uns erstens, dass die Aussage, über E-Zigaretten sei noch wenig bekannt, nicht zutreffend ist. Und zweitens zeigt das, dass es unmöglich ist, das verfügbare Wissen auch nur annähernd vollständig in einem schmalen Band wiederzugeben. Ich musste daher eine Auswahl treffen. Aufgrund meiner persönlichen Erfahrung, die man auch als Befangenheit werten könnte, ist diese Auswahl naturgemäß subjektiv. Kritiker mögen das als cherry picking bezeichnen, allerdings habe ich durchwegs verlässliche Studien mit Aussagekraft ausgewählt und werde auch die Argumente der Gegner anführen und diskutieren. Die Gründe warum ich diese für wenig überzeugend halte, sollten aus dem Text hervorgehen. Von den finanziellen und ideologischen Motiven der Gegner kann ich nur die Oberfläche freilegen, für eine eingehende Analyse ist dieser Sumpf zu tief.

Viele Themen, die für Dampferinnen und Dampfer von Interesse sein könnten, muss ich aus Gründen mangelnder Kompetenz und Zuständigkeit weglassen. Das sind wirtschaftliche Aspekte wie Markttrends, Verkaufszahlen, Umsätze einzelner Firmen und dergleichen. Ebenso ausklammern werde ich soziologische Aspekte, also Fragen nach den Motiven bestimmter Kohorten E-Zigaretten zu nutzen oder das nicht zu tun und Fragen nach dem Zusammenhang von Geschlecht, Alter, Sozialstatus usw. mit der Prävalenz des Dampfens. Und zuletzt möchte ich betonen, dass die Vor- und Nacheile bestimmter Geräte oder die Beurteilung des Geschmacks von Liquids nicht Thema dieses Buchs sind. Ich biete auch keine technischen Anleitungen zum Betrieb von E-Zigaretten, zur Akkusicherheit oder zur Anfertigung schicker Wicklungen. Dazu verweise ich meine Leserinnen und Leser auf die diversen deutschsprachigen Dampferforen, Facebook-Usergroups und unzählige informative Youtube-Videos und Blogs. Im Herbst 2019 hat der Suchtforscher Professor Heino Stöver einen Sammelband mit dem Titel „Ratgeber E-Zigarette: Einsteigen, Umsteigen, Aussteigen“ herausgegeben, in dem 15 Fachleute, darunter auch Nutzer von E-Zigaretten ihre jeweiligen Positionen darlegen [1]. Die Darstellung des Themas wird daher in dem Ratgeber ausgewogener erscheinen, und dort findet man auch zahlreiche nützliche Tipps und Informationen rund um das Dampfen. Das vorliegende Buch kann und soll diesen Ratgeber nicht ersetzen.

2. Rauchen
2.1. SCHÄDLICHKEIT

Heutzutage ist wohl allen Raucherinnen und Rauchern bekannt, dass ihre Gewohnheit schwerwiegende Schäden für die Gesundheit zur Folge hat. Bei der Verbrennung von Tabak und Zigarettenpapier entstehen mehrere tausend Stoffe, von denen viele krebserregend oder anderweitig toxisch sind und die Entstehung tödlicher Erkrankungen wie Krebs, Herzinfarkt, Schlaganfall und schwerwiegende Lungenschäden fördern. Neben nachweislich krebserregenden polyzyklischen Kohlenwasserstoffen, Blausäure und mehreren toxischen Carbonylverbindungen entsteht aufgrund unvollständiger Verbrennung des Tabaks bei 800 bis 1000 °C auch Kohlenstoffmonoxid (CO), das als Verursacher von Rauchgasvergiftungen bekannt ist. CO bindet im Blut an Hämoglobin und behindert dadurch die Sauerstoffversorgung aller Gewebe des Körpers. Zahlreiche Studien zeigen, dass Raucherinnen und Raucher deutlich erhöhte CO-Spiegel im Blut haben und somit chronisch an einer leichten Rauchgasvergiftung leiden. Mit einem einfachen Testgerät lässt sich CO auch in der Ausatemluft nachweisen. Dieser Kohlenstoffmonoxid-Atemtest dient unter anderem der Überprüfung von Abstinenz in klinischen Studien zur Raucherentwöhnung.

 

Raucherinnen und Raucher haben ein massiv erhöhtes Risiko für Lungenkrebs und andere bösartige Tumorerkrankungen und leiden an beeinträchtigter Lungenfunktion, vom gut bekannten morgendlichen Raucherhusten bis hin zu schweren irreversiblen und potentiell tödlichen Lungenerkrankungen (Emphysem, COPD). Durch Beeinträchtigung des Immunsystems sind sie häufiger von Infektionen der oberen Atemwege betroffen (Erkältungen, Schleimbildung, „Schnupfen“) als nicht rauchende Personen. Jeder zweite Raucher stirbt vorzeitig an den Folgen des Rauchens, die Lebenserwartung wird durch das Rauchen um mehrere Jahre verkürzt.

2.2 RAUCHERQUOTEN, ABHÄNGIGKEIT UND ENTWÖHNUNG

Die weltweiten Raucherquoten variieren mit Geographie, Geschlecht und Alter. Laut Erhebung von statista.de betrug die Quote 2017 in der EU durchschnittlich etwa 18 Prozent. Das heißt jeder fünfte EU-Bürger raucht. Die länderspezifischen Unterschiede sind aber groß: Österreich und Deutschland liegen, was das Rauchen betrifft, im oberen europäischen Mittelfeld. Hier definiert sich ungefähr jeder Vierte als Raucher (28 bzw. 24 Prozent). Am meisten wird in Griechenland geraucht. Im südlichsten EU-Land greifen zwei von fünf Personen (37 Prozent) zur Zigarette. Am wenigsten rauchen die Schweden. Deren Raucherqoute beträgt sieben Prozent, gerade einmal ein Fünftel der von Griechenland. Die länderspezifischen Raucherquoten spiegeln sich auch in den Mortalitätsraten bei Lungenkrebs wieder: In Griechenland sterben 60 Personen je 100.000 Einwohner an Lungenkrebs, in Schweden nur 37 (2016; Quelle: Eurostat 11/2019).

AUSFLUG IN DIE GRUNDLAGEN DER EPIDEMIOLOGIE: ASSOZIATION VS. URSACHE

Gelegentlich wird argumentiert, man könne die Ursache von Erkrankungen oder Todesfällen niemals mit Sicherheit dem Rauchen zuschreiben. Das ist selbstverständlich richtig und trifft auch auf die diversen Gesundheitsrisiken vieler anderer Umwelt- und Lifestylefaktoren zu. Deshalb wird in solchen Fällen das Risiko in epidemiologischen Studien erfasst, in denen man exponierte Personen mit nicht exponierten Kontrollen vergleicht und das relative Risiko bei Exposition errechnet. So können Assoziationen erkannt werden, die allerdings nicht notwendigerweise auf einem kausalen Zusammenhang beruhen.

Häufig werden epidemiologische Ergebnisse durch Störfaktoren, sogenannte Confounder, verzerrt. Ein einfaches Beispiel wäre die erhöhte Sterblichkeit von Menschen mit grauen Haaren im Vergleich zu Kontrollen mit anderer Haarfarbe. Daraus würde wohl niemand schlussfolgern, dass graue Haare tödlich sind. In dem Fall ist das Lebensalter der offensichtliche Confounder. Confounding ist ein grundsätzliches Problem epidemiologischer Studien, sodass für die kausale Interpretation von Assoziationen weitere Kriterien herangezogen werden müssen, die von Bradford Hill 1965 publiziert wurden [2]. Das sind unter anderem Plausibilität und Dosisabhängigkeit, die im Fall des Zusammenhangs von Krebserkrankungen und Rauchen beide erfüllt sind. Tabakrauch enthält eine Vielzahl krebserregender Stoffe, sodass der Zusammenhang hoch plausibel ist. Und das relative Risiko nimmt mit der Anzahl der gerauchten Zigaretten und der Dauer der Raucherkarriere zu, ist also von der Dosis abhängig. Auch wenn man das im Einzelfall nicht beurteilen kann, ist der kausale Zusammenhang zwischen Rauchen und der Entstehung von Krebserkrankungen zweifelsfrei belegt. Daran ändert auch der berühmte Großvater nichts, der täglich 80 Zigaretten geraucht hat und mit 104 Jahren beim Klettern tödlich verunglückte.

Völlig auf Tabak verzichten Schweden aber dennoch nicht. Im Unterschied zu allen anderen EU-Mitgliedsstaaten ist in Schweden nikotinhaltiger Lutschtabak, auch Snus genannt, legal erhältlich und vor allem unter Männern sehr beliebt. Ob sich Snus auch außerhalb Schwedens durchsetzen würde, wissen wir nicht. Das Verbot von Snus in der EU ist aber in Anbetracht der Erfahrungen in Schweden und anderen skandinavischen Ländern sachlich nicht gerechtfertigt.

Die WHO und nationale Regierungen haben in den vergangenen Jahrzehnten drastische Maßnahmen zur Verminderung des Rauchens ergriffen: Rauchverbote, regelmäßige Erhöhungen der Tabaksteuer, Schockbilder, Informationskampagnen, staatliche Förderung von Entwöhnungsprogrammen, soziale Ausgrenzung von Raucherinnen und Rauchern („Denormalisierung des Rauchens“, siehe 10.1) und vieles andere mehr. Dennoch haben die Raucherquoten weltweit nur marginal abgenommen. Die Betroffenen wissen, dass sie mit ihrem Verhalten ihre Gesundheit nachhaltig schädigen und mit hoher Wahrscheinlichkeit ihre Lebenserwartung deutlich verkürzen. Dennoch nimmt die Mehrheit schwerwiegende finanzielle und soziale Einschränkungen in Kauf, anstatt dem vernünftigen Rat zu folgen und einfach aufzuhören [3,4].

„Mit dem Rauchen aufzuhören ist kinderleicht. Ich habe es schon hundertmal geschafft.“ Diese pointierte Bemerkung von Mark Twain trifft den Nagel auf den Kopf. Laut Umfragen würden etwa vier von fünf Raucherinnen und Raucher gerne aufhören, langfristig scheitern aber die meisten Versuche. Es ist internationaler wissenschaftlicher Konsens, dass die Schädlichkeit des Rauchens vorwiegend auf der Inhalation toxischer Verbrennungsprodukte beruht und nicht auf den biologischen Wirkungen von Nikotin. Diese Erkenntnis war die Grundlage für die Entwicklung nikotinhaltiger Arzneimittel zur Unterstützung der Raucherentwöhnung. Es bestand die Hoffnung, Raucherinnen und Raucher würden ihr Nikotin nicht mit Tabakrauch, sondern mit Kaugummis, Pflastern oder Inhalatoren konsumieren und so ihren Nikotinbedarf ohne Inhalation schädlicher Verbrennungsprodukte decken. Leider zeigten klinische Studien, dass diese sogenannten Nikotinersatzprodukte langfristig kaum effektiver sind als Placebo. Eine wesentliche Komponente der Zigarettenabhängigkeit ist die Gewöhnung an ein Verhalten, an das „Rauchritual“, das die Arzneimittel nicht ersetzen. Daher wird von den medizinischen Fachgesellschaften zur effizienten Raucherentwöhnung die Kombination von Nikotinprodukten mit Verhaltenstherapie und anderen psychotherapeutischen Verfahren empfohlen, wodurch die Einjahres-Erfolgsraten – je nach Methode und Studie – von etwa drei auf zehn bis zwanzig Prozent erhöht werden.