Buch lesen: «Kalte Zukunft»
Table of Contents
Teil 1: Alternativen
Kapitel 1
Kapitel 2
Kapitel 3
Kapitel 4
Kapitel 5
Kapitel 6
Kapitel 7
Kapitel 8
Kapitel 9
Kapitel 10
Kapitel 11
Kapitel 12
Kapitel 13
Kapitel 14
Kapitel 15
Kapitel 16
Kapitel 17
Teil 2: Vorbereitungen
Kapitel 18
Kapitel 19
Kapitel 20
Kapitel 21
Kapitel 22
Kapitel 23
Kapitel 24
Kapitel 25
Kapitel 26
Kapitel 27
Kapitel 28
Kapitel 29
Kapitel 30
Kapitel 31
Kapitel 32
Kapitel 33
Kapitel 34
Kapitel 35
Teil 3: Fusionen
Kapitel 36
Kapitel 37
Kapitel 38
Kapitel 39
Kapitel 40
Kapitel 41
Kapitel 42
Kapitel 43
Kapitel 44
Kapitel 45
Kapitel 46
Kapitel 47
Kapitel 48
Kapitel 49
Kapitel 50
Kapitel 51
Kapitel 52
Kapitel 53
Kapitel 54
Kapitel 55
Kapitel 56
Kapitel 57
Kapitel 58
Kapitel 59
Kapitel 60
Kapitel 61
Kapitel 62
Teil 4: Erare humanum est
Kapitel 63
Kapitel 64
Kapitel 65
Kapitel 66
Kapitel 67
Kapitel 68
Kapitel 69
Kapitel 70
Kapitel 71
Kapitel 72
Kapitel 73
Kapitel 74
Teil 5: Judaskuss [Epilog]
Kapitel 75
Kalte Zukunft
Benjamin Blizz
© 2015 Benjamin Blizz
© 2015 Begedia Verlag
Lektorat - Uwe Helmut Grave, Harald Giersche
Umschlagbild und Illustration - Jan Robbe
Covergestaltung und Satz - Begedia Verlag
ISBN 978-3-95777-036-3
Besuchen Sie unsere Webseite:
http://verlag.begedia.de
Teil 1: Alternativen
Kapitel 1
27. Februar 2023
American Airlines Sonderflug
Luftraum über der Westsahara
»Darf ich Ihnen noch ein Getränk servieren, Sir?«, riss ihn die nervtötend piepsige Stimme der beflissenen Stewardess aus dem Halbschlaf.
Gottverdammt, das Einzige, was ich wirklich möchte, ist meine Ruhe! Was werde ich wohl wollen, wenn ich meine Augen geschlossen habe?, faltete er sie in Gedanken zusammen und stellte sich ihren schockierten Gesichtsausdruck vor. Stattdessen streckte er sich jedoch und lächelte ihr freundlich zu. »Noch einen Kaffee, bitte!«
Das dumme Ding hatte vermutlich seinen ersten Tag und bemühte sich, perfekt zu erscheinen, um den Chief Purser, den ranghöchsten Steward der Kabinenbesatzung, der seit dem Start mit Argusaugen über all ihre Schritte wachte, zu beeindrucken.
Er konnte es der jungen Frau nicht einmal verdenken. In diesem Alter hatte er sich selbst noch der Illusion hingegeben, die Welt sei gemeinhin ein perfekter Ort, wenn man sich nur genügend anstrengte. Wie er diesen uneingeschränkten Optimismus doch vermisste. Jung sein bedeutete, dass einem alle Wege offenstanden, und selbst wenn nicht, erfreute man sich der vermeintlichen Tatsache, dass es schon irgendwie laufen würde.
Pustekuchen!
Zu dieser simplen Erkenntnis gelangte wohl früher oder später jedes denkende Mitglied der verkorksten Gesellschaft mit ihrem monotonen Alltag von Arbeit, Bier und Sportschau.
Die andere Variante war jedoch noch viel schlimmer: Man versuchte, diese Erkenntnis auszublenden, sie zu verdrängen, glaubte fest daran, eines fernen Tages etwas an der ›o heiligen Zukunft‹ ändern zu können. Diesen Weg hatte Shane O’Brien, gebürtiger Brite mit mütterlicherseits deutschen Vorfahren, gewählt – und büßte nun jeden Tag dafür.
Als ihm zum ersten Mal bewusst geworden war, wie schlecht es wirklich um die Welt stand, war es bereits zu spät gewesen. Auf der Autobahn des Lebens hatte er die richtige Ausfahrt verpasst; und Wenden war keine Option, es sei denn, man wollte fortan als gemeingefährlicher Geisterfahrer umherirren, bis einen irgendwann irgendjemand aus dem Verkehr zog. Nein, er war gezwungen, dem ihm vorbestimmten Weg ins Ungewisse weiter zu folgen. Klar, er hätte sich treiben, die Welt an sich vorbeiziehen lassen können, doch dann würde er noch fahren, wenn die Straße längst zu Ende war. Bevor die letzte Ausfahrt auftauchte, musste er sein Ziel erreicht haben. Bis dahin gab es noch so viele Dinge zu erledigen, so viele Artikel zu schreiben …
Würden seine Bemühungen überhaupt eines Tages Früchte tragen? Er wusste es nicht, und das machte es ihm außerordentlich schwer, weiter an seinen Idealen einer heilen Zukunft festzuhalten.
Was war er überhaupt für ein Mensch, den Wink des Teufels nicht verstehen zu wollen, dass die Erde nicht mehr nur auf den Abgrund zusteuerte, sondern den kritischen Punkt längst überschritten hatte? Nach Auffassung derjenigen, die ihn für seine innovativen Ideen lobten, war er ein unverbesserlicher Altruist, nach Auffassung seiner Ex-Verlobten ein unverbesserliches versoffenes Arschloch. Er wollte nicht wählen, also akzeptierte er beides.
Der einzige Grund, der ihn eben daran gehindert hatte, statt des Kaffees einen gedankenvernichtenden Bushmills Single Malt Whisky zu bestellen, war die bevorstehende Ankunft in Sun City, wie sie in eingeweihten Kreisen genannt wurde.
Natürlich hatte man ihn eingeladen. Wer lud ihn denn nicht ein, wenn es um die Zukunft der ganz großen Wirtschaft innerhalb der immer kontroverser diskutierten Energiepolitik ging? Jeder erhoffte sich einen guten Artikel von ihm. Das war es, was die Big-Bosse von ihm wollten, was sie dazu brachte, ihm förmlich sonst wo rein zu kriechen und ihn mit Präsenten und Angeboten aller Art zu überschütten.
Vor seinem inneren Auge sah er eine abstruse Schlagzeile aufblitzen: Shane O’Brien, Chefredakteur der Future Economy und Top-Berater aller Energieunternehmen, erschlagen von gewaltigem Werbepräsent! Das amüsierte ihn ungemein – und dabei hatte er doch kaum etwas getrunken.
Genauso schnell wie der verrückte Gedanke gekommen war, verschwand er auch wieder.
Shane atmete tief durch, versuchte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen. Im Grunde genommen freute er sich sogar auf das bevorstehende Zusammentreffen. Im Vergleich zu anderen aussichtlosen Projekten entsprach dieses nämlich ganz seinen Vorstellungen.
Als er vor einigen Jahren von dem kühnen Vorhaben, eine flächendeckende modifizierte Fotovoltaik-Anlage in der Wüste Nordafrikas zu erbauen, gehört hatte, war er sofort hellauf begeistert gewesen. Natürlich gab es bereits Solarstrom-Anlagen in Afrika, Kalifornien und anderen sonnenreichen Ländern, doch diese übertraf in Größe und Effizienz ihre Konkurrenten bei Weitem. Das System, das die Effizienz der Anlage auf so einmalige Weise steigerte, nannte sich PECS – Photon Element Coil System –, ein neuartiges Verfahren, bei dem die Technik der Photonenspule nochmals verbessert worden war. Endlich ging mal jemand einen Schritt in die richtige Richtung; umso mehr hatte sich Shane darüber gefreut, eine Einladung zur Eröffnung der Anlage und des angrenzenden Unternehmenskomplexes erhalten zu haben.
Neben ihm waren noch zahlreiche Vertreter verschiedener Energieunternehmen, Umweltschützer und Investoren geladen. Es versprach eine interessante Runde zu werden.
Die Stewardess kam mit dem Kaffee. Er lächelte ihr aufmunternd zu, während sie ihm einschenkte und sah ihr hinterher, als sie eine graziöse Wende machte und in der Kabinenküche verschwand. Talent hatte sie, angesichts eines so ausladenden Hüftschwungs in elf Kilometern Höhe.
Shane lehnte den Kopf zurück. Der Sessel war bequem und lud zum Versinken ein. Wenn die Lichter in der Kabine gedimmt wurden, konnte man ihn zu einem Bett umfunktionieren – kein Vergleich zu den engen Sitzen in der Economy-Klasse. Schon seit einigen Jahren reiste er nur noch First-Class – ausgenommen Privatjets – und hatte die damit verbundenen Annehmlichkeiten zu schätzen gelernt.
Noch lag die Boeing 747-800 der American Airlines ruhig in der Luft, doch schon bald würde sie von Turbulenzen, die berüchtigt für diese Gegend waren, unangenehm durchgeschüttelt werden. Der strahlendblaue wolkenlose Himmel versprach zwar einen ruhigen Sinkflug, aber dieser Anblick war trügerisch. Clear-Air Turbulenzen traten vor allem dort auf, wo man sie am wenigsten erwartete.
Es hatte Shane zunächst verwundert, als man ihm angeboten hatte, an einem Testflug teilzunehmen, der von einer renommierten Airline durchgeführt werden und bei dem auch gleich das Personal, das für die Eröffnungsfeier benötigt wurde, eingeflogen werden sollte. Warum sollte AA sein Streckennetz um eine Fotovoltaik-Anlage in Nordafrika erweitern wollen?
Doch dann war durchgesickert, dass der Betreiber der Anlage plante, in die Tourismusbranche einzusteigen – auch wenn Shane sich bisher noch nicht so recht vorstellen konnte, was man darunter zu verstehen hatte.
Jedenfalls verfügte der in der Demokratisch Arabischen Republik Sahara erbaute Unternehmenskomplex über eine eigene Start- und Landebahn, die sogar für größere Maschinen ausgelegt war und auf die das Flugzeug jetzt Kurs nahm. Sun City war nur ein Zwischenstopp. Die meisten Passagiere steuerten Johannesburg International an.
Shane nahm sein Netbook aus der Tasche und stellte es vor sich auf das kleine Edelholztischchen, um vor der Landung noch rasch seine E-Mails durchzusehen – eine Routinearbeit, die er mehrmals täglich hinter sich brachte. Heute war jedoch etwas anders: Sein Ordner für Familie und Freunde, in dem sich normalerweise nur vergessene Geburtstagsglückwünsche befanden, enthielt ausnahmsweise eine Nachricht, die sein Interesse weckte. Wenn er es sich recht überlegte, war dies die erste E-Mail aus diesem Ordner, die er überhaupt las. Sie stammte von Chantal, seiner Ex-Verlobten.
Chantal. Der Name war ihm von Anfang an zuwider gewesen und hatte augenscheinlich wie ein schlechtes Omen auf ihrer Beziehung gelegen. Zum Glück war ihre Person nicht mit der heruntergekommenen Nachbarschaftsprostituierten vergleichbar, an die er bei diesem Namen immer denken musste. Im Gegenteil, ›seine‹ Chantal war das pure Leben: spontan, witzig, einige Jahre jünger als er und mit der göttlichen Gabe gesegnet, nicht alles unnötig und breit ausdiskutieren zu müssen. Außerdem teilte sie seine Passion für edle Whiskys und nahm nie Wasser zum Verdünnen, wie es die meisten Frauen taten.
Warum, zum Teufel, hatte es mit ihnen nicht funktioniert? Ja, er kannte die Antwort auf diese Frage, doch verspürte er nicht die geringste Lust, sich jetzt damit auseinanderzusetzen.
Shane öffnete die im Imperfekt verfasste und mit wasserperlendem Hintergrund unterlegte Nachricht und suchte zwischen Passagen wie ›deswegen konnte ich dich einfach nicht mehr ertragen‹ und ›weil du einfach nur eine stinkende Schnapsleiche bist‹ nach dem Satz, der konkret aussagte, warum sie ihn wirklich verlassen hatte. Endlich hatte er die betreffende Stelle gefunden und betätigte innerlich sofort die Entfernen-Taste, um sich vorzustellen, wie die Buchstaben einer nach dem anderen verschwanden.
Wie hatte sie ihn bloß wegen James Paterson in den Wind schlagen können? James, der nicht einmal seine eigene Krawatte binden konnte, ohne dabei wie ein erdrosselter Pinguin auszusehen. Und dann war der Funke zwischen den beiden auch noch im Yoga-Kurs übergesprungen. Beim Yoga! Hallo, geht’s noch?
Shane hatte es sich bisher tapfer verkniffen, Paterson als Schwulen abzustempeln. Was konnten Homosexuelle dafür, wenn sich manche Männer effeminiert und seltsam benahmen?
Er spülte seine aufsteigende Wut mit einem Schluck Kaffee herunter und dachte, dass sich Chantal keinen besseren Zeitpunkt hätte aussuchen können, um ihm diese Nachricht zu schicken. Angekündigt hatte sie sie ihm bereits vor Wochen, bis dato aber wahrscheinlich nie die passenden Worte gefunden.
Erfreulicherweise hielt ihn die Bordansage vom Weiterlesen ab: »Sehr geehrte Damen und Herren, Ladys and Gentlemen, wir haben unsere Reiseflughöhe verlassen und beginnen nun mit dem Landeanflug. Wir bitten Sie, die Sicherheitsgurte anzulegen und die Rücklehnen in eine aufrechte Position zu bringen. Vielen Dank für Ihr Verständnis.« Shane fühlte sich nicht angesprochen. Nachdem sie über dem Atlantik in heftige Turbulenzen geraten waren, hatte er ohnehin darauf verzichtet, den Gurt wieder abzulegen.
Er verbannte Chantal aus seinen Gedanken und konzentrierte sich auf die weiteren Nachrichten. Eine stammte von Richard Feyn, dem Hauptgesellschafter von Future Economy. Das Wirtschaftsmagazin hatte sich vor etwa zwei Jahren aus der Financial Times Deutschland abgespalten und erfreute sich seitdem größter Beliebtheit, was nicht zuletzt auf Shanes Artikel und Kolumnen zurückzuführen war. Nicht nur das Magazin, sondern auch Shanes Konto hatte im Zuge dieser Entwicklung einen großen Sprung nach vorn gemacht.
Das Einzige, was er sich von all dem Geld nicht leisten konnte, war Freizeit. Zwischen Auslandsaufenthalten, Firmenbesuchen und Schreiben fehlte ihm schlichtweg die Zeit, die Früchte seiner harten Arbeit unbeschwert zu genießen. Während sein nagelneuer Aston Martin DB11 mit umweltschonendem Wasserstoffantrieb in der Garage seiner kleinen Villa in Frankfurt am Main dem Staub anheimfiel, setzte seine Jacht im Bootsschuppen Rost und andere schwer zu entfernende Ablagerungen an, die er sich lieber nicht genauer vorstellen wollte.
Die übereifrige Flugbegleiterin, deren fliederfarbene Bluse einen großzügigen Blick auf ihr Dekolleté freigab, lächelte ihm vom Platz eines fettleibigen Asiaten aus zu und schickte noch einen vielsagenden Blick hinterher. Augenscheinlich versuchte sie, ihm Avancen zu machen, doch er ließ sich nicht auf das Spiel ein. Kaum dem Teenager-Alter entsprungene Gören interessierten ihn nicht, sei ihr Hüftschwung auch noch so verführerisch! Umgekehrt interessierten sie sich zu seinem Leidwesen für ihn, denn für einen Mann seines Alters sah er noch blendend aus.
Sein nicht unbedingt gesunder Lebensstil hatte in den über fünfzig Jahren, die er nun schon auf dieser Erde weilte, weniger Spuren an ihm hinterlassen, als man hätte erwarten sollen. Das ergrauende, aber feste Haar im Salt’n-Pepper Style trug er kurz und gepflegt, genau wie den akkurat getrimmten Dreitagebart. Sein Gesicht besaß markante Züge, wirkte dabei aber mehr freundlich als hart – was im Kontrast zu seinem oft aufbrausenden Verhalten stand, doch das sah man einem Menschen glücklicherweise nicht auf Anhieb an.
Auf das Motto ›Kleider machen Leute‹ gab er meist nicht viel, trug heute aber aus gegebenem Anlass einen maßgeschneiderten Armani-Anzug, der in punkto Kostspieligkeit nur noch von der unter seinem Hemdärmel hervorschauenden Omega-Uhr übertroffen wurde. Mit diesem Outfit zollte er ausschließlich den Kreisen Tribut, in denen er sich beruflich bewegte – viel lieber wäre er in kurzer Hose und bedrucktem T-Shirt angereist.
Gedankenverloren ließ er seinen Blick aus dem Fenster schweifen. Sah die weitläufige Wüste unter einer dünnen Wolkendecke vorbeiziehen. Nur vereinzelt zeichneten sich Gebäude und Straßen in dem aschgelben Sandmeer ab. Alles wirkte so trostlos, so monoton, dass sich trotz der vermutlich abartig hohen Temperaturen eine eisige Kälte um sein Herz klammerte. Vielleicht machten ihm aber auch nur die Turbulenzen zu schaffen …
Shane zwang sich, seinen Fokus auf einen bestimmten Punkt in der Ferne zu richten, doch je näher sie dem Boden kamen, desto unangenehmer flimmerte die Luft über dem kochenden Sand und er musste den Blick abwenden.
Wieso stecke ich Idiot bei dieser Hitze in einem Armani-Anzug?
Das Display in der Rückenlehne des Vordersitzes zeigte nun die Wetterbedingungen des Zielortes, doch Shane ignorierte die Anzeige. Dass es draußen brüllend heiß war, konnte er sich auch so denken.
Um sich aus der Luft einen umfassenden Überblick zu verschaffen, drehte er den Kopf, stierte aus dem gegenüberliegenden Fenster und wartete darauf, dass die ersten voneinander abzugrenzenden Konturen sichtbar wurden. Stopp! Hatte er nicht eben etwas Grünes aufblitzen sehen?
Das Flugzeug neigte sich langsam zur Seite und flog eine weite Rechtskurve, um zur Landung anzusetzen. Nun sah Shane in aller Deutlichkeit, was sein Blick bisher nur kurz gestreift hatte: eine ausladende, grün leuchtende Oase, die sich über eine gewaltige Fläche hinter den Gebäudekomplexen und zur Rechten der Solarstromanlage erstreckte. Palmen und Sträucher so weit das Auge reichte! Doch damit nicht genug: Unzählige kleine Flüsse schlängelten sich durch die Vegetation und mündeten in einen großen See mit kristallklarem, hellblauem Wasser. Es war ein wunderbarerer Anblick.
Die Betreiber hatten nicht übertrieben, als sie in dem Einladungsschreiben ein überwältigendes Naturschauspiel angekündigt hatten. Eine Oase in der Wüste erinnerte daran, dass selbst unter extremsten Bedingungen etwas wirklich Schönes gedeihen konnte.
Nur mit Mühe konnte sich Shane davon losreißen, vor allem, wenn die Alternative war, sich Feyns Ermahnungen bezüglich seines bisweilen überbordenden Temperaments antun zu müssen»Geh sparsam mit deinen Kommentaren um, Shane!« Darauf ließ sich auch diese Mail reduzieren. Stets derselbe Tenor, nur mit neuen Floskeln umschrieben.
Seit Shanes unschöner Auseinandersetzung mit einem Vertreter eines großen Energiekonzerns war Feyn um den guten Ruf seines Magazins besorgt und geizte daher nicht mit Ermahnungen dieser Art. Früher hatte Shane nie lange gefackelt und jedwede Kritik entrüstet von sich gewiesen, doch im Laufe der Jahre war er etwas selbstkritischer geworden. Feyn hatte recht, in seinen Äußerungen bezüglich Öl, Erdgas und Atomstrom wurde er tatsächlich immer ›radikaler‹ – was vor allem daran lag, dass seiner Ansicht nach die konventionellen Energiegewinnungsmethoden dem absoluten Untergang geweiht waren. Trotzdem scheffelten die meisten Energieunternehmen in ihrer Ignoranz und Geldversessenheit damit immer noch Milliarden, statt sich mutig an der Erforschung zukunftssicherer Energiequellen zu beteiligen. Methoden wie Fracking waren in Shanes Augen der Gipfel dessen, was man der Erde antun konnte.
Er klappte das Netbook zu und verstaute es in seiner Aktentasche, in der sich noch ein altmodischer Terminkalender und ein Ersatzunterhemd befanden sowie einige Unterlagen, die er auf dem Flug eigentlich hatte durchsehen wollen. Als er den Reißverschluss der Tasche zuzog, ging ein Ruck durch das Flugzeug, und das Quietschen von Bremsen erfüllte die Kabine. Sie waren gelandet, zweifelsohne. Der Pilot aktivierte die Schubumkehr und die Maschine wurde langsamer. Während sie zum Terminal rollte, bedankte sich der Copilot bei den Fluggästen für ihre Anwesenheit und wünschte ihnen noch einen schönen Tag.
Mühsam, als wäre er am Polster festgebacken, stemmte sich Shane aus dem Sitz, klemmte sich die Aktentasche unter den Arm und steuerte auf den Ausgang zu. Obwohl das Flugzeug über eine Gangway mit dem Terminal verbunden war, schlug ihm eine brütende Hitze entgegen.
Dann mal rein ins Vergnügen!, dachte er sich und ging auf das Empfangskomitee zu.