Didaktisch handeln und denken (E-Book)

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Reflektieren



Reflektieren



Für Weiterentwicklungen im Sinne einer Professionalisierung im Lehrberuf ist es unabdingbar, dass die Lehrerinnen und Lehrer ihr eigenes Handeln immer wieder kritisch hinterfragen und in Verbindung mit neuen Erkenntnissen differenziert reflektieren.



Wir sehen nicht, was wir nicht sehen, und was wir nicht sehen, existiert nicht



Diese Erkenntnis in der Randspalte, die Humberto Maturana und Francisco Varela gegen Ende ihres Buches «Der Baum der Erkenntnis» formuliert haben, hat für den Lehrberuf eine besondere Bedeutung. Auch die weiterführende Erkenntnis von Maturana und Varela, «Tradition ist nicht nur eine Weise zu sehen und zu handeln, sondern auch eine Weise zu verbergen», ist für eine Auseinandersetzung mit pädagogischem Handeln höchst bedeutsam: Tradition steht für die gewohnten subjektiven Alltagstheorien, die einerseits pädagogisches Sehen ermöglichen und andererseits verunmöglichen. «Eine Tradition basiert auf all jenen Verhaltensweisen, die in der Geschichte eines sozialen Systems selbstverständlich, regelmäßig und annehmbar geworden sind. Und da die Erzeugung dieser Verhaltensweisen keiner Reflexion bedarf, fallen sie uns erst auf, wenn sie versagen. An diesem Punkt setzt dann die Reflexion ein» (Maturana & Varela 1987, S. 260 f.).



«reflection-in-action» und «reflection-on-action»



In seinen beiden Büchern «The Reflective Practitioner» (1983) und «Educating the Reflective Practitioner» (1987) unterscheidet Donald A. Schön zwei Formen der Reflexion: «reflection-on-action» und «reflection-in-action». Reflection-on-action meint die Fähigkeit, das Handeln im Nachhinein zu reflektieren; reflection-in-action die Fähigkeit, unvorhergesehene Situationen während des Handelns neu zu interpretieren, das heißt, ein «reframing» (Neurahmen) einer Situation während der Aktion zu leisten (siehe

Texte 3

 zu diesem Kapitel).



Reflexionskompetenz ist ohne Zweifel eine zentrale Kompetenz von Lehrerinnen und Lehrern. Die Kultivierung der Reflexionskompetenz ist im Lehrberuf von entscheidender Bedeutung. Reflexionskompetenz ist hinsichtlich der Persönlichkeitsentwicklung nötig, um sich selbst distanziert und kritisch beobachten zu können, eigene Kräfte und Kompetenzen realistisch einzuschätzen und konstruktive Formen der Bewältigung von Belastungen zu finden. In Bezug auf die berufliche Tätigkeit ermöglicht Reflexionskompetenz Verbindungsleistungen zwischen theoretischem Wissen und praktischer Erfahrung: Durch Reflexion kann Theoriewissen eine handlungsbestimmende Kraft entfalten (vgl. Gudjons 2007, S. 9 f.).



Hoher Stellenwert biografischer Reflexionen



Wie im ersten Kapitel hervorgehoben, haben biografische Reflexionen für angehende Lehrerinnen und Lehrer einen sehr hohen Stellenwert. Studien zu beruflichen und berufsbiografischen Entwicklungen zeigen, wie stark das Lehrerhandeln in biografisch aufgeschichteten Deutungsbeständen wurzelt. Um Lehrpersonen nicht einer unwägbaren Praxis auszuliefern, braucht es Reflexivität als Bewusstheit des eigenen Tuns. Reflexionskompetenz im Allgemeinen (und biografische Reflexion im Speziellen) bilden eine Schlüsselkompetenz von Professionalität (vgl. Combe & Kolbe 2004, S. 835). Dass Unterricht durch ein außerordentlich hohes Maß an Komplexität charakterisiert ist, ist eine unbestreitbare Tatsache. Stichworte wie Multidimensionalität, Gleichzeitigkeit, Unmittelbarkeit oder Unvorhersehbarkeit weisen auf diese Komplexität hin. Lehrerhandeln ist immer durch ein beachtliches Maß an Ungewissheit, Undurchschaubarkeit und Unsteuerbarkeit geprägt. Unaufhebbare Antinomien gehören zum Berufsalltag: Als Lehrpersonen muss man oft das eine tun, ohne das andere zu lassen. So ist beispielsweise im pädagogischen Handeln Nähe ebenso wichtig wie Distanz. Und es können unerklärliche Situationen und Reaktionen entstehen, wenn Lehrpersonen Nähe erzwingen, wo Heranwachsende Distanz wünschen. Um solche und ähnliche komplexe Prozesse besser verstehen zu können, braucht es Reflexionskompetenz.



Über pädagogisches Handeln klug nachdenken, um klug handeln zu können



Reflexion meint die Rekonstruktion von Erfahrung. Reflexion ist eine Form von Lernen aus Erfahrung. Sie bedeutet konstruktive Verarbeitung von Erfahrungen. Vorbereitung auf Reflexion ist Vorbereitung auf optimale Auswertung der konkreten Erfahrungen, die man als Lehrerin oder Lehrer macht. Die Professionalität der pädagogischen Berufe zeigt sich nicht an der Form ihres Wissens, sondern im Umgang mit ihrem Wissen – und dieser Umgang ist reflexiv. Walter Herzog, emeritierter Professor für Pädagogische Psychologie in Bern, sieht die Aufgabe einer posttechnokratischen Lehrerbildung nicht im Einschleifen von Fertigkeiten und Gewohnheiten oder in der Indoktrination stereotyper Verhaltensweisen, sondern in der Hilfe, über pädagogisches Handeln klug nachzudenken und klug handeln zu können (Herzog 1995; vgl. hierzu auch die Materialien zu diesem Kapitel unter http://mehr.hep-verlag.ch/didaktisch-handeln-und-denken und den Anhang).



Literatur



Bandura, A. (1976). Lernen am Modell: Ansätze zu einer sozial-kognitiven Lerntheorie. Stuttgart: Klett.



Bessoth, R. & Weibel, W. (2000). Unterrichtsqualität an Schweizer Schulen. Zug: Klett und Balmer.



Combe, A. & Kolbe, F.-U. (2004). Lehrerprofessionalität: Wissen, Können, Handeln. In W. Helsper & J. Böhme (Hrsg.), Handbuch der Schulforschung (S. 833–851). Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.



Felten, R. von (2011). Lehrerinnen und Lehrer zwischen Routine und Reflexion. In H. Berner & R. lsler (Hrsg.), Lehrer-Identität – Lehrer-Rolle – Lehrer-Handeln. Baltmannsweiler: Schneider Verlag Hohengehren.



Ditton, H. (2002). Lehrkräfte und Unterricht aus Schülersicht. Ergebnisse einer Untersuchung im Fach Mathematik. Zeitschrift für Pädagogik, 48 (2), S. 262–286.



Gudjons, H. (2007). Beruf: Lehrerin: Wandlungen – Widerspüche – Wunschbilder. Pädagogik, 59 (9), S. 6–10.



Helmke, A. (2009). Unterrichtsqualität und Lehrerprofessionalität. Seelze: Kallmeyer.



Herzog, W. (1995). Reflexive Praktika in der Lehrerinnen- und Lehrerbildung. Beiträge zur Lehrerbildung, 13 (3), S. 253–273.



Langmaack, B. & Braune-Krickau, M. (2010). Wie die Gruppe laufen lernt. Anregungen zum Planen und Leiten von Gruppen (8., vollst. überarb. Auflage). Weinheim: Beltz.



Luft, J. (1989). Einführung in die Gruppendynamik. Frankfurt a. M.: Fischer Taschenbuch Verlag.



Maturana, H. R. & Varela, F. J. (1987). Der Baum der Erkenntnis. Die biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens. Bern: Scherz.



Schön, D. A. (1983). The Reflective Practitioner. How Professionals Think in Action. New York. Basic Books.



Schön, D. A. (1987). Educating the Reflective Practitioner. San Francisco: Jossey-Bass.



Schulz von Thun, F. (2001). Miteinander reden. Reinbek bei Hamburg: Rowohlt.





Texte











1

«Glauben wir, was wir sehen, oder sehen wir, was wir glauben?»



1 «Glauben wir, was wir sehen, oder sehen wir, was wir glauben?»



Im folgenden Text wird der für die Unterrichtsbeobachtung wichtige Prozess der selektiven Wahrnehmung beschrieben, und es wird dargelegt, wie jeder Mensch seine Realität konstruiert.





‹ Wenn zwei Parteien z. B. in einem Konfliktfall den gleichen Sachverhalt schildern, dann scheinen diese Schilderungen manchmal «Welten» auseinanderzuliegen. Wahrnehmung ist offensichtlich mehr als nur ein «objektives» Registrieren und Verarbeiten dessen, was um uns herum geschieht. Es ist ein Vorgang im Menschen, bei dem manche der angebotenen Daten und Fakten ausgeblendet werden und anderes hinzugefügt wird, was wir schon von früher her in uns gespeichert haben.



Damit ist angedeutet, dass sich jeder Mensch seine eigene «Realität» konstruiert, sich sein eigenes Bild vom «realen» Geschehen schafft. Man nennt diesen Vorgang «selektive Wahrnehmung»: Wir können ein Geschehen in uns und um uns herum immer nur durch unsere Filter hindurch wahrnehmen, die ähnlich wie beim Fotografieren Bildteile ausblenden, erweitern, verkleinern und farblich verändern.



Selektive Wahrnehmung ist einerseits wichtig und notwendig für den Menschen. Angesichts der Unzahl an Informationen um uns herum und angesichts der Komplexität der Umwelt ist Auswahl notwendig, um handlungsfähig zu bleiben. Selektive Wahrnehmung reduziert die Komplexität und gibt uns ein Gefühl von Sicherheit, «richtig» zu handeln. Ohne die Fähigkeit zur selektiven Wahrnehmung würden wir in Informationen ertrinken.



Andererseits bedeutet die Tatsache der selektiven Wahrnehmung, dass sich jeder der begrenzten Gültigkeit seines Bildes von der Realität bewusst sein muss. Niemand sieht die Wirklichkeit objektiv. Er muss sich mit den Bildern anderer auseinandersetzen, wenn er mit diesen zu einem gemeinsamen Handeln kommen will. Er muss sich bewusst sein, dass die andere Sichtweise in der Regel auch Wahrheiten beinhaltet. Ohne Bereitschaft zu diesem Sich-infrage-stellen-Lassen und ohne Toleranz führt selektive Wahrnehmung zum Dogmatismus und zur Borniertheit.



Der Mensch kommt zu seinem Bild von der Realität, indem er Information aufnimmt, auswählt und interpretiert. Auf diese drei Aspekte wollen wir im Folgenden etwas näher eingehen. Dabei meinen wir mit Informationen alles, was der Mensch verbal oder nonverbal über seine Sinnesorgane empfangen kann.

 



Wahrnehmung ist, wie gesagt, mehr als nur das quasi fotografische Registrieren. Das ist nur der erste Teil davon, wobei wir schon bei dieser Analogie im Auge behalten sollten, dass auch ein Kamerafilm nur das deutlich aufzeichnen kann, was u. a. in den Grenzen des Bildausschnittes, der Qualität des Objektivs, der Verschlusszeit der Kamera, der Körnung und Empfindlichkeit des Films und in der ruhigen Hand des Bedieners liegt.



Die Analogie zur menschlichen Aufnahmefähigkeit liegt auf der Hand: Der Qualität des Objektivs könnten Beobachtungsfähigkeit, körperliche und geistige Fähigkeiten entsprechen. Die Lichtwellen repräsentieren die Sprache, in der uns eine Information angeboten wird und deren Vokabeln und Symbole wir kennen müssen. Die ruhige Hand des Kameramannes symbolisiert die Bedeutung der eigenen Ruhe und psychischen Befindlichkeit für unsere Fähigkeit, Information aufzunehmen. Was übersehen wir nicht alles in hektischen oder bedrohlichen Situationen?



Unsere bewusste Wahrnehmung bezieht jedoch selbst bei optimalen Aufnahmebedingungen nur einen Bruchteil der angebotenen Informationen mit ein. «Zum einen Ohr rein, zum anderen raus» ist die volkstümliche Umschreibung dafür. Innere Filter verursachen, dass die meisten von außen angebotenen Informationen die Stufe der bewussten Wahrnehmung nicht erreichen.



Diese WahrnehmungsfiIter bestehen zum einen in den konkreten körperlichen und geistigen (Un-)Fähigkeiten, wie sie uns angeboren oder angelernt wurden. Wir können nur bestimmte Frequenzen sehen oder hören. Wir können uns nur in bestimmten Sprachen verständigen. Wir können nur eine bestimmte Zahl von Informationen pro Zeiteinheit aufnehmen. Wir nehmen Dinge rascher wahr, die im Schwerpunkt unserer Aktivitäten liegen. Hier sehen wir mit dem geschulten Blick und besonders wacher Aufmerksamkeit Dinge, die anderen entgehen.



Eine andere Gruppe von wirksamen Filtern bilden unsere Werte, Normen, Sitten, die wir im Laufe unseres Lebens gelernt und akzeptiert haben. Man hat gelernt, was «einen angeht» und wo man seine Nase reinsteckt und wo nicht. Man hat seine Regeln für gut und schlecht, richtig und falsch: Vieles davon ist so verinnerlicht, dass wir kaum mehr bemerken, wie stark es unsere Wahrnehmung beeinflusst.



Werte, Normen und Sitten sind im Menschen stark emotional geerdet. Sie sprechen Gefühle an und damit eine dritte und gewichtige Gruppe von Wahrnehmungsfiltern: Gefühle wie Angst und Freude, Sympathie und Antipathie, Mut und Verzweiflung, Liebe oder Hass bilden eine wirksame Brille mit einer eigenen Optik und Farbgebung (von Rosarot bis Tiefschwarz …).



Wenn man jemanden mag, dann sieht man sein Tun in einem positiven Licht oder findet jedenfalls rascher Gründe dafür, warum das alles nicht so tragisch sei. Freude über einen Auftrag lässt einen leicht Probleme ungünstiger Vertragsbedingungen «übersehen». Angst kann wach machen oder starr. Häufig führt sie zur Verdrängung, zum Wegschieben oder Verniedlichen der angstauslösenden Information.



Das, was diese Wahrnehmungshürden übersprungen hat, wird weiter verändert: Es wird interpretiert. «Ich weiß nicht, was soll es bedeuten …»: Je nach Bedeutung, die ich einer Information gebe, wird meine Handlung anders aussehen.



Zunächst versuchen wir, Informationen in die uns vertrauten Muster (Erfahrungen, Wertvorstellungen, Regeln und Theorien) einzuordnen. Es wird gewissermaßen nachgeschaut, ob die Information in ein bekanntes Raster passt. Häufig wird sie so ergänzt oder so beschnitten, dass sie «passend» wird. Selbst Bruchstücke einer Beschreibung werden rasch zu einem Ganzen aufgebaut. Jemand mit schwarzen Haaren und Schnurrbart ist – natürlich ein Südländer. Wie schnell ist jemand aufgrund der ersten Eindrücke eingeordnet und wird dann relativ lange darin festgehalten, auch wenn er sich in der Zwischenzeit geändert hat. Erst wenn offensichtlich die Information von außen nicht mehr mit diesen Mustern der Erfahrung in Übereinstimmung zu bringen ist, beginnt ein – mitunter langer – Lernprozess, um neue Erklärungen und neue Handlungsmuster zu entwickeln.



Unser Vorrat an Mustern hilft uns, Informationen schnell inhaltliche und gefühlsbezogene Bedeutung und Priorität zu geben. Die Muster helfen uns, rasch zu erkennen, worum es sich handeln könnte, lang bevor wir alle Informationen haben. Das ist eine Überlebenschance (rasches, entschlossenes Handeln) und eine Gefahr (Fehlreaktion, unangemessene Fortschreibung überholter Erfahrungen) zugleich.



Die inneren Muster verbinden zudem Information mit Empfindungen: Etwas wird als schön, gefährlich, gut, hässlich etc. empfunden. Diese Empfindungen haben viel mit unserer Lebensgeschichte zu tun. Sie verbinden die aktuelle Information mit unseren früheren Erfahrungen, Vorstellungen und Urteilen und verändern sie damit. Es erinnert uns (vielleicht sogar unbewusst) jemand an eine Person, die wir von früher her kennen, und schon übertragen wir ähnliche Gefühle und Einschätzungen auf die neue Person.



Schließlich werden den Informationen Prioritäten verliehen: Etwas wird als wichtig oder unwichtig, sinnvoll oder unsinnig eingeordnet. Auch hier werden Werte und Normen eine wichtige Rolle spielen. Prioritäten sind jedoch auch stark von unseren eigenen Interessen und Bedürfnissen geprägt, die wir in Bezug auf eine Situation haben.



In diesem Sinne ist jeder eingebunden in Gemeinschaften, in Rollen, in Beziehungsgeflechte, aus denen heraus ein gewisser Druck in Richtung gleichgerichteter Wahrnehmung entsteht: Man nimmt wahr, was man wahrnehmen soll und gewohnt ist, wahrzunehmen.



Die hier skizzierten Faktoren und Zusammenhänge, die auf die individuelle «Konstruktion von Realität» einwirken, erinnern uns zunächst daran, dass hinter der Wahrnehmung immer komplizierte psychologische Vorgänge stehen. Ihre Veränderung ist heikel und übersteigt rasch einmal die Fachkompetenz des Laien. Die Tatsache, dass wir immer nur selektiv wahrnehmen, hat eine wichtige Schutzfunktion für den Einzelnen. Er lässt dadurch auch Dinge zugedeckt, die ihn zu sehr ängstigen oder mit denen er nicht recht fertig wird.





Wahrnehmung ist immer ein Prozess, an dem die eigene Person mit ihrer Lebensgeschichte beteiligt ist. In diesem Sinne reagiert der Mensch nicht auf «die Realität», sondern auf sein Bild davon. Dieses Bild ist der entscheidende Anstoß für unsere Reaktionen. Auf dieses Bild hin handeln wir, treten in Kontakt, urteilen und entscheiden. Wir reagieren auf Menschen so, wie wir sie sehen, und nicht darauf, wie sie wirklich sind. ›





Auszug aus: Langmaack, B. & Braune-Krickau, M. (2000). Wie die Gruppe laufen lernt: Anregungen zum Planen und Leiten von Gruppen (7. Auflage). Weinheim: Beltz, S. 104–107 © Psychologie-Verlags Union, Verlagsgruppe Beltz, Weinheim.





2

Soziale Wahrnehmung und Wahrnehmungsfehler



2 Soziale Wahrnehmung und Wahrnehmungsfehler



Unsere Wahrnehmung von Menschen und Sachverhalten ist nicht objektiv. Wir machen uns ein Bild (unser Bild), indem wir aufgrund von Informationen und unseren Wahrnehmungen anderen Menschen Eigenschaften und Absichten zuschreiben. Im folgenden Ausschnitt werden mögliche Wahrnehmungsfehler beschrieben, die für Unterrichtsbeobachtungen und -besprechungen eine besondere Bedeutung haben.



< Die Einschätzung «auf den ersten Blick»



Der erste Eindruck bestimmt oft erstaunlich nachhaltig das Bild, das wir uns von Menschen machen. Die äußere Erscheinung des anderen und unsere eigene Spontanreaktion darauf (Sympathie / Antipathie) beeinflussen unsere späteren Wahrnehmungen. So tendiert man z. B. bei Menschen, die einem spontan gefallen, das zu übersehen, was nicht ins positive Bild passt. Leider gilt dies auch für den umgekehrten Fall. Unsere Wahrnehmung arbeitet selektiv. Der «erste Eindruck» kann nur schwer korrigiert werden.



Vorgefertigte Bilder (Stereotype)



Unsere Wahrnehmung wird beeinflusst durch vorgefertigte Bilder, die wir in unseren Köpfen haben. Man bezeichnet diese Bilder als Stereotype (griech. stereotyp: starr, ständig wiederkehrend). Es handelt sich um emotional gefärbte Vorstellungen, die sich auf ganze Gruppen (bzw. Klassen) von Menschen beziehen:



•ein Italiener! (Nationenstereotyp)



•ein Lehrer! (Berufsstereotyp)



•ein Linker! (politisches Stereotyp)





Wenn wir irgendeine Information über einen Menschen besitzen – wir wissen z. B., welchen Beruf er ausübt –, so treten diese Stereotype in Aktion: Wir beginnen den Unbekannten «einzuordnen», wir machen uns ein Bild, wir glauben, etwas über ihn zu wissen.



Der Halo-Effekt



Damit ist gemeint, dass irgendeine hervorstechende «Eigenschaft» einer Person den Gesamteindruck bestimmt. Alles andere wird davon «überstrahlt», es wird nicht mehr bemerkt (griech. halo = «Hof» um eine Lichtquelle).



•eine schöne Frau!



•ein erfolgreicher Mann!



•ein schwacher Schüler!





Die Beispiele machen deutlich, wie der Halo-Effekt mit den bestehenden Normen zusammenhängt. Wenn ein Schüler in den «zentralen» Fächern (Sprache, Rechnen) schwache Leistungen erbringt, ist er eben ein «schwacher Schüler». Andere Qualitäten werden dann weniger beachtet.



Der logische Fehler



Er besteht darin, dass wir annehmen, dass bestimmte Eigenschaften «logischerweise» zusammen auftreten:



•i