Liebestrommeln auf Haiti

Text
0
Kritiken
Leseprobe
Als gelesen kennzeichnen
Wie Sie das Buch nach dem Kauf lesen
Schriftart:Kleiner AaGrößer Aa

Ohne Zweifel fand sie Gefallen an dem, was sie sah. Sie reichte ihm die Hand und sagte lächelnd: „Sie müssen mir verraten, was man in Amerika trägt und wie viele Millionäre dieses Land pro Sekunde hervorbringt.”

„Ich könnte Ihnen viel über dieses Land erzählen”, war Andrés Antwort.

Sie sah ihn aus halbgeschlossenen Lidern an, als müsse sie ihn und seinen Vorschlag abschätzen. Dann klatschte sie in die Hände und rief: „Geht jetzt! – Alle! Meine Freunde und ich haben wichtige Dinge zu besprechen. Ihr stört uns mit eurem Geschrei. Verschwindet!”

Als wüßte jeder, daß Ungehorsam zwecklos war, entfernten sie sich wortlos einer nach dem andern. Schließlich war Orchis mit den beiden Männern allein.

„Setzt euch, meine Hübschen”, eröffnete sie die Unterhaltung. „Hier ist Wein; bedient euch, wenn ihr Lust habt.”

„Deine Gegenwart berauscht uns mehr als jeder Wein”, dankte Jacques galant.

„Schmeichler”, wies Orchis ihn zurecht. „Sag mir lieber, was aus der kleinen Hure geworden ist, die mir deine Zuneigung gestohlen hat.”

„Niemand hat das je getan”, widersprach Jacques. „In meiner Abwesenheit hat sie sich in die Arme eines Generals geflüchtet. Wer kann schon mit einem General konkurrieren?”

Orchis ging auf seinen neckischen Ton ein.

„Man hat dir also Hörner aufgesetzt. Tröste dich, armer Jacques. Die Armee braucht von Zeit zu Zeit auch eine kleine Aufmunterung.” Zu André gewandt meinte sie: „Von der Uniform unserer glorreichen haitischen Armee scheinen Sie nicht viel zu halten.”

„Ich bin Geschäftsmann”, entgegnete André.

„Da wir von Uniformen sprechen”, unterbrach Jacques die weitere Diskussion, „die zweitausend neuen, die Dessalines bestellt hat, sind zusammen mit André angekommen.”

„Sie sind da?” rief Orchis erfreut. „Jean-Jacques wird glücklich sein. Ich hoffe nur, sie sind so beeindruckend, wie er sie haben will. Sonst rollen wieder Köpfe!”

Jacques hob abwehrend die Hände. „Aber bitte nicht meiner. Ich hatte nichts damit zu tun, und mein Freund André de Villaret ist auch nur ganz zufällig mit diesem Schiff gereist.”

Eine steile Falte erschien auf Orchis Stirn.

„Sein Name kommt mir bekannt vor.”

„Man hat ihn tatsächlich vor der Revolution viel gehört. Andrés Vater besaß eine der größten Plantagen der Insel.”

„Natürlich! Jetzt erinnere ich mich. Dein Freund wird aber kaum die Absicht haben, auf den Baumwollfeldern der de Villarets zu arbeiten. Oder?”

„Bestimmt nicht!” Um zu verhindern, daß das Gespräch zu früh auf seine Pläne kam, fuhr André rasch fort: „Sie sind sehr schön, Madame. Ganz Boston spricht von Ihnen, ohne zu ahnen, wie groß Ihre Schönheit wirklich ist.”

Als Orchis mit den Fingerspitzen seinen Arm berührte, hatte André das Gefühl, ein elektrischer Strom durchfließe seinen Körper. Nach einer Ewigkeit fragte Orchis: „Wollen Sie mit mir essen? Ich war mit einem der Offiziere verabredet; aber ich habe es mir anders überlegt.”

Sie reichte Jacques die Hand zum Abschied. „Jacques, Liebling, willst du am Tor Bescheid sagen, daß ich nicht gestört werden will? Von niemandem.”

„Ich werde mich beeilen. Hoffentlich begegnet mir jener Offizier nicht schon mit gezücktem Säbel.”

„Du wirst es überleben, wie du alles bisher überlebt hast”, entgegnete Orchis vielsagend. „Wie dir und mir bekannt ist, hast du es verstanden, dich unentbehrlich zu machen.”

Jacques küßte ihre Hand und rief halb im Gehen: „Das Glück meint es gut mit dir, André!” Dann schloß sich die Tür hinter ihm.

Orchis wandte sich André zu, der sich auf die Kante des Bettes gesetzt hatte.

„Du bist hübsch, mein Freund”, begann sie. „Laß uns sehen, ob du ein Mann bist.”

„Ich kann es nur hoffen, nachdem die schönste und kostbarste Orchidee dieses Gartens zugleich die begehrenswerteste aller Frauen ist.“

Er spürte ihre Hände, sah ihre lockenden Blicke, die erwartungsvoll geöffneten Lippen und beugte sich zu ihr.

Während ihr Mund sich auf den seinen preßte, krallten sich ihre spitzen Nägel durch das Tuch hindurch in seinen Rücken.

Irgendwo in der grundlosen Tiefe ihrer Augen sah er sich selbst, sah, daß ein verzehrendes Feuer ihn zu verbrennen drohte, während dasselbe Feuer ihr gleichzeitig aus dem Inneren seines Körpers entgegen loderte.

Ein Feuerwerk von bunten Kreisen zerbarst in seinem Kopf und riß jeden Gedanken mit sich fort, den er zu fassen versuchte.

2.

Die letzten blassen Sterne drangen mühsam durch die anbrechende Morgendämmerung, als André langsam die Auffahrt der Villa hinunterging.

Orchis hatte noch geschlafen, als er aufgestanden war und sich mit steifen Fingern angezogen hatte. Eine Nacht wie diese hatte er noch nie erlebt, nie hatte eine Frau ihn so in ihren Bann gezogen, so von ihm Besitz ergriffen wie sie.

Sie hatten unter freiem Himmel auf der Terrasse zu Abend gegessen. Hinter ihnen im Speisesaal hatten Kerzen gebrannt. Vor ihnen war nur das leise Rauschen des Springbrunnens und das Quaken der Frösche gewesen.

Man hatte ihnen ein ganz köstliches kreolisches Gericht serviert, und als kein Wein mehr dagewesen war, hatte Orchis darauf bestanden, daß er etwas probierte, was sie ihren Teufelstrank nannte.

Es erinnerte an Likör, wenn nicht der herbe Beigeschmack gewesen wäre, durch den es sich von allem unterschied, was André jemals getrunken hatte.

Als er sein Glas geleert hatte, war es gewesen, als rinne feurige Lava durch seine Glieder und als breite dieser Feuerstrom sich bis in die letzte Nervenfaser aus. Sein Verstand hatte aufgehört zu arbeiten, und der Wunsch, Orchis auf jede mögliche Weise zu besitzen, war so übermächtig geworden, daß jeder Widerstand sinnlos erschien.

Stunden später, als er in einem wahren Meer seidenweicher, glatter Kissen neben ihr erwacht war und sich zurechtzufinden versuchte, hörte er sich sagen:„Wenn ich reich wäre, würde ich dir Smaragde um den Hals legen, die so grün sind wie deine Augen, und dir Rubine ins Haar stecken, so feurig wie deine Lippen. – Aber ich besitze nichts, womit ich sie bezahlen könnte.”

„Geld spielt keine Rolle bei einem Mann wie dir”, hatte Orchis erwidert und ihn von neuem an sich gezogen.

Doch er hatte nicht locker gelassen.

„Glaubst du, daß auf der de Villaret Plantage noch etwas zu finden ist?” hatte er sie gefragt.

„Du meinst, ob mein guter Jean-Jacques noch etwas übrig gelassen hat für den Fall, daß die armen Seelen der Weißen zurückkehren, um es abzuholen? Er ist der Ansicht, daß sie dort, wo sie jetzt sind, mit Gold nicht viel anfangen können.”

„Ich wüßte schon, was ich damit machen würde”, hatte er erwidert. „Und wenn ich es nur dazu benützen würde, dir meine Schätze zu Füßen zu legen.”

„Im Augenblick ziehe ich andere Geschenke vor”, hatte Orchis geflüstert und mit sanften Händen das Feuer neu entzündet, von dem er sich bereits ausgebrannt geglaubt hatte.

Später versuchte er es ein zweites Mal. Er drängte sie, ihm bei der Suche nach dem zu helfen, was ihm zwar nicht rechtmäßig, aber doch dem Gefühl nach zustand.

„Warum soll mein Vater nicht nachträglich bezahlen, was er mir schuldet? Selbst wenn er mich nicht als Sohn anerkannt hat?”

Orchis hatte abgewehrt.

„Alle Weißen sind Schweine. Es ist gut zu wissen, daß sie uns nichts mehr anhaben können. Mit dem Rest von ihnen sollte man kurzen Prozeß machen.”

André hatte sich den Anschein gegeben, als hasse auch er niemand so sehr wie die früheren Herren der Insel.

„Hilf mir”, hatte er gebeten, „mich persönlich an dem Mann zu rächen, der meine Mutter mißbraucht und mich dazu verurteilt hat, in einer unfreundlichen Welt das Leben eines Mischlings zu führen.”

„Du vergißt, daß er dir etwas mitgegeben hat, das dir alle Türen öffnet und dir viele Freunde schaffen wird”, hatte Orchis ihn zu necken versucht. „Aber ich kann dich beruhigen”, hatte sie hinzugefügt und ihm dabei tröstend übers Haar gestrichen. „Dessalines vertraut mir. Ich erinnere mich nicht, irgendwelchen Plunder der de Villarets bei ihm gesehen zu haben.”

Das war es, was André hatte wissen wollen. Um keinen Verdacht zu erregen, hatte er losgepoltert: „Zum Teufel mit meinem Vater! Er hat mir nichts hinterlassen als meinen Verstand. Ein zwar manchmal nützliches, aber keinesfalls ausreichendes Erbteil.”

„Und dein Körper ist nichts?” war alles gewesen, was Orchis erwidert, bevor es lange Zeit keines weiteren Wortes bedurft hatte...

Als er am frühen Morgen neben ihrem unverändert schönen, schlangenhaft geschmeidigen Körper erwacht war, hatte ihn Entsetzen befallen, Entsetzen und Ekel über das, wozu er sich in der Nacht hatte hinreißen lassen. Es mußte ihr Zaubertrank gewesen sein, der ihn zum gleichen wilden Tier gemacht hatte, wie sie es war. Die feuchte Morgenluft war viel zu lau, um auf dem Weg zur Straße Andrés Lebensgeister zu wecken. Plötzlich sehnte er sich nach der beißenden Kälte eines englischen Winters, nach klirrendem Frost und eisigem Nordwind.

Vor dem Tor hielt eine Droschke. Das offensichtlich todmüde Pferd schien ebenso zu schlafen wie der Kutscher, der sich auf dem hinteren Sitz zusammengekauert hatte.

Als André ihn anstieß, richtete er sich grinsend auf und sagte auf Kreolisch: „Wohin soll es gehen, M'sieur?”

„Bist du jede Nacht hier?”

Der Schwarze grinste wieder.

„Feine Herren immer müde, wenn aus Villa Ledere kommen.”

André ließ sich an Jacques Haus absetzen, wo er auch Kirk zu finden hoffte. Er fühlte sich so elend, daß er fürchtete, den Weg nach oben bis zu seinem Bett nie zu schaffen.

 

Es war Nachmittag, als Kirk ins Zimmer kam und ihn weckte.

„Guten Morgen, Casanova”, grüßte er. „Etwas bleich heute morgen?”

André brummte etwas Unverständliches.

„Ich war drauf und dran, dich zu beneiden, als du zu Orchis entschwandest. Aber wenn ich dich jetzt betrachte...”

„Laß mir Kaffee bringen”, bat André, der sich aufgerichtet hatte. „Und sei um Gottes willen am frühen Morgen nicht so gut gelaunt.”

Kirk ließ sich lachend in einen Sessel fallen.

„Gib dir keine Mühe, die Ringe unter deinen Augen sprechen Bände.”

André schnaufte wieder und weigerte sich, vor dem Frühstück irgendwelche Auskünfte zu geben.

„Was ich jetzt brauche, ist ein Bad”, erklärte er nach der zweiten Tasse Kaffee.

„Der Diener wird es dir richten. Aber erwarte keinen amerikanischen Luxus”, warnte Kirk.

„Hauptsache, er bringt Wasser und Seife. Ich habe nur den einen Wunsch, mich zu säubern. Und das betrifft nicht nur meinen Körper.”

„Ein Tapetenwechsel wird deinem Katzenjammer guttun. Jacques hat schon für alles gesorgt.”

Als André ihn fragend ansah, fuhr Kirk fort: „Du verläßt die Stadt noch heute. Jacques hat recht, es wäre ein Fehler, dich zu lange hier zu lassen. Die echten Mulatten könnten dir auf die Schliche kommen.”

„Das war schon gestern abend bei Orchis meine Sorge. Zum Glück hatten alle nur Augen für sie, und keiner kümmerte sich darum, wie ich aussah.”

„Dein Aussehen ist in Ordnung. Es ist dein Auftreten, das dich verraten könnte.”

„Ich werde mir Mühe geben”, versprach André. „Wenn ich Dessalines begegne, kommt es auf jede Kleinigkeit an, das weiß ich.”

„Hast du herausgefunden, ob der Schatz noch auf der Plantage ist?” fragte Kirk.

„Ich glaube, ja. Orchis scheint über alles informiert zu sein und überall die Hand im Spiel zu haben. Sie weiß von nichts.”

„Hast du sonst etwas erfahren?”

„Zur Unterhaltung blieb nicht viel Zeit”, antwortete André trocken. „Außer beim Essen, als ich ihr von Amerika erzählen wollte und sie keinerlei Interesse zeigte.”

André hatte sein zwar primitives aber wirkungsvolles Bad genommen, als Jacques eintrat.

„Ich habe Vorkehrungen getroffen, daß Sie heute nachmittag weiterreisen, Monsieur. Natürlich nur, falls Orchis nicht gänzlich von der Sache abgeraten hat.”

„Nach Orchis Worten hat Dessalines die Plantage meines Onkels nie erwähnt, geschweige denn dort etwas gefunden.”

„Ich sagte Ihnen ja, daß auf Orchis Verlaß sei. An die Juwelen Ihrer Tante hätte sie sich bestimmt erinnert.”

„Also muß ich mich selbst auf die Suche machen.”

„Nicht ohne vorher etwas erledigt zu haben, was du nicht versäumen darfst. Du würdest sonst nicht weit kommen.”

„Was ist das?”

„Ein glühendes Dankschreiben an Orchis, das du ihr mit einem Armvoll Blumen überreichen läßt”, antwortete Kirk.

„Pauline Ledere hatte immer ein Meer von Blumen um sich”, ergänzte Jacques. „Sie bekam so viele, daß die Dienerschaft nicht wußte, wohin damit. Was Pauline recht war, ist Orchis billig. Machen Sie ihr die Komplimente eines echten Franzosen. Schreiben Sie ihr, aber unterschreiben Sie nicht.”

„Orchis liebt es, Dessalines eifersüchtig zu machen”, beantwortete Jacques Andrés fragenden Blick. „Wenn er fürchten muß, Sie könnten ein besserer Liebhaber sein als er, wird er Ihnen den Hals abschneiden.”

„In Haiti scheint man gefährlich zu leben”, entgegnete André kleinlaut.

Kirk lachte.

„Du kannst es dir noch immer überlegen. Komm auf unseren Schoner, und wir fahren zurück nach Boston.”

„Ich werde genau das Gegenteil davon tun”, antwortete André. „Obwohl ich mir gern eine Art Hintertürchen offen lassen würde, falls etwas schief gehen sollte.”

„Es gibt zwei Möglichkeiten”, meldete sich Jacques zu Wort. „Erstens die Rückkehr nach Port-au-Prince, was mit dem Schatz zweifellos ein unnötiges Risiko wäre. Nicht nur Dessalines, sondern auch eine ganze Menge anderer Leute, darunter Christophe, würden nicht zulassen, daß Sie etwas von der Insel schaffen, was ihrer Ansicht nach ihnen gehört.”

Das sah André ein.

„Wenn Sie irgendwelche Wertsachen gefunden haben, ist der Hafen von Le Cap Ihre einzige Chance”, fuhr Jacques fort. „Die Entfernung von der Plantage ist dieselbe.”

„Und Sie glauben, ich werde in Le Cap ein amerikanisches Schiff bekommen?”

„Das ist absolut möglich. Die ganzen Waffenlieferungen werden dort an Land geschafft. Außerdem legen auch die Engländer dort an.”

„Die Engländer?”

„Die britische Flotte kontrolliert den Seeweg von Jamaica durch die Windward Passage in den Atlantik. Dadurch glaubt Dessalines im Augenblick vor den Franzosen sicher zu sein.”

„Natürlich!” rief André aus. „Jetzt verstehe ich auch, warum er es gewagt hat, gegen die Spanier vorzugehen.”

„Er ist mit starken weißen und farbigen Truppen im spanischen Teil der Insel beschäftigt, und auch Christophe ist dabei, von Le Cap aus zu ihm zu stoßen. Der Weg von hier zur Plantage und von dort nach Le Cap dürfte im Augenblick sicher sein. Unten warten ein Pferd und ein Diener auf Sie, der Sie begleiten wird.” Wieder war André überrascht. Doch Jacques erklärte: „Sie brauchen jemanden, der sich auskennt und der die Sprache der Leute versteht.”

„Sie tun eine Menge für mich.”

„Dem Mann, den ich für Sie ausgewählt habe, können Sie vertrauen. Er heißt Tomäs und hatte viel unter der Grausamkeit seines französischen Herrn zu leiden. Trotzdem haßt er unseren neuen Herrn und dessen Grausamkeiten ebenso wie ich.”

Bevor er aufbrach, hinterlegte André den gewünschten Brief für Orchis, eine Meisterleistung poetischer Phantasie und blumenreicher Sprache, genau das, was eine Kurtisane von dem Mann erwarten würde, dem sie ihre Gunst geschenkt hatte.

Jacques war zufrieden. „Ausgezeichnet! Kaum zu glauben, daß Sie auch englisches Blut in sich haben.”

„Sie machen sich ein falsches Bild von den kühlen Engländern”, wandte André ein. „Wenn Sie je einmal nach England kommen sollten, würden Sie überrascht sein.”

Seine Gedanken wanderten zu der Frau, die seine Liebe nicht annähernd so wild wie Orchis, aber doch mit der Leidenschaft erwidert hatte, die aus den Worten seines Briefs sprach.

„Sobald Sie weg sind, schicke ich durch einen Diener Brief und Blumen zur Villa Ledere. Ich habe die schönsten Orchideen besorgt, die ich auftreiben konnte.”

„Glaubt Ihr, daß Orchis mich noch einmal persönlich sehen möchte?” überlegte André.

„Kaum”, beruhigte ihn Jacques. „Sie hat meist schon nach einer Nacht genug. Aber sie ist unberechenbar; deshalb müssen wir sichergehen.”

Kirk pflichtete ihm bei. „Wir kennen beide Orchis lange genug, um zu wissen, daß man vor ihr auf der Hut sein muß.”

Als Andrés Gepäck nach unten gebracht wurde, fragte er Jacques: „Was schulde ich Ihnen für Pferd und Blumen und für die übrigen Auslagen, die Sie hatten?”

Jacques wehrte lächelnd ab. „Das alles geht auf das Konto meines Freundes Kirk. Ich schulde ihm mein Leben; das läßt sich nicht mit Geld aufwiegen.”

Jacques wartete, bis der Diener den Raum verlassen hatte, und sagte dann zu André: „In Ihrem Gepäck befindet sich ein Beutel mit Pulver zum Nachfärben Ihrer Haut.”

„Wann soll ich es gebrauchen?”

„Nicht vor zwei bis drei Wochen. So lange wird meine Behandlung vorhalten. Ich habe das Zeug so dick aufgetragen, daß Sie dunkler erscheinen als ich und viele andere Mulatten. Nur die Halbmonde auf Ihren Fingernägeln müssen täglich erneuert werden.”

André blickte auf seine Finger und erinnerte sich, daß Jacques sich mit dem Nagelbett besondere Mühe gegeben hatte.

„Sie werden vielen hellhäutigen Mulatten begegnen”, erklärte Jacques. „Oft sind sie kaum von einem Weißen zu unterscheiden. Nur eines verrät sie, der Halbmond ihrer Fingernägel ist eine Spur dunkler. Achten Sie darauf, wenn Ihre Nägel nachwachsen.”

„Danke für den Tip”, sagte André.

Kirk gab er einen freundschaftlichen Schlag auf die Schulter. „Auf Wiedersehen in Boston.”

Wieder zu Jacques gewandt fragte er: „Haben Sie eine Ahnung, wo meine Verwandten begraben sind? Kirk sagte mir, er habe die Nachricht von ihrer Ermordung durch Sie erhalten?”

„Mir ist nur bekannt, daß alle ohne Ausnahme getötet wurden, Ihr Onkel, Ihre Tante, drei Söhne sowie eine kleine Adoptivtochter, die den Namen der Familie trug, und einige Freunde, die dort Unterschlupf gefunden hatten.”

Nach einer Pause fügte er hinzu: „Es ist nicht Dessalines Art, Tote zu begraben. Er läßt sie an Ort und Stelle liegen oder wirft sie in den Sumpf, sofern einer in der Nähe ist. Es ist anzunehmen, daß die Männer zu Tode gefoltert wurden; diese Art von Mord ist aber auf der Insel so verbreitet, daß man sich mit Einzelheiten nicht aufhält.”

André preßte die Lippen zusammen und folgte Jacques wortlos nach unten.

Im Hinterhof, wo ihr Aufbruch unbemerkt bleiben würde, wartete ein hünenhafter Schwarzer, den Jacques als Tomäs vorstellte. Seine Züge waren von einer fast wilden Schönheit. Intelligent blickende Augen, überragt von einem dichten Schopf tiefschwarzer, krauser Haare. Wenn er lächelte, schien sein ganzes Gesicht aufzuleuchten. André gefiel seine treuherzige offene Art vom ersten Augenblick an.

Er streckte die Hand aus.

„Hallo, Tomäs, schön dich als Begleiter zu haben.”

Tomäs zögerte für den Bruchteil einer Sekunde. Kein Weißer würde jemals einem Schwarzen die Hand reichen. Also war Tomäs über seine Identität unterrichtet. Doch schon umschloß eine Riesenfaust Andrés ausgestreckte Hand und preßte sie mit aller Kraft.

„Tomäs wird Sie mit seinem Leben schützen. Schenken Sie ihm Ihr Vertrauen und haben Sie keine Geheimnisse vor ihm”, waren Jacques letzte Worte, bevor die beiden Reiter den Weg zu den Hügeln hinter Port-au-Prince einschlugen.

Es entging André nicht, daß sie belebte Plätze mieden und statt der vielbefahrenen Landstraßen auf staubige Pfade auswichen, die bald nur noch aus kümmerlichen Wagenspuren bestanden. André hatte bei Jacques die Landkarte studiert und wußte, daß ihre Route am Sankt-Markus-Kanal entlang und über die Black Mountains führen würde. Dahinter mußte die Plantage seines Onkels liegen. André hoffte, daß die Zeit von Dessalines und Christophes Abwesenheit ausreichen würde, um das Gelände zu erforschen.

Als sie die Stadt hinter sich hatten und an der Küste entlang ritten, machte er den Versuch, sich mit Tomäs zu unterhalten.

„Monsieur Jacques hat dir gesagt, was ich suche?”

„Ja. Wird aber nicht leicht sein, M'sieur.”

„Hat er dir auch gesagt, daß ich eine Vermutung habe, wo das Geld liegt?”

„Hat er mir gesagt, M'sieur.”

André holte den Brief seines Onkels aus der Tasche und las Tomäs die Stelle vor, die er als Hinweis auf eine Kirche deutete.

Tomäs ließ sich Zeit. Nach einer Weile bemerkte er lakonisch: „Wir finden Kirche.”

„Walte Gott, daß es sie gibt”, schloß André das Gespräch.

Die Nacht verbrachten sie in einem kleinen Dorf, das aus einzelnen, von Kaktushecken umgebenen Lehmhütten bestand.

„Gute Leute. Stellen keine Fragen”, hatte Tomäs erklärt, nachdem er sich mit einem alten, Pfeife rauchenden Mann vor dessen Behausung über ihre Unterkunft geeinigt hatte. Er zeigte auf eine abseits stehende Hütte.

„Guter Platz. Ganz neu und noch nicht besetzt.”

Die Hütte mußte tatsächlich gerade fertiggeworden sein. Das Stroh war frisch und die Wände noch feucht. Innen war es sauber. Die mitgeführte Verpflegung würde für zwei Tage reichen, hatte Jacques gemeint. Dann solle André sich auf Tomäs Einfallsreichtum verlassen. Er werde zwar nicht unbedingt lukullisch speisen, aber doch keinesfalls verhungern.

Heute war noch für alles gesorgt. In dem Bewußtsein, daß ihr Vorrat die Hitze ohnehin nicht überdauern würde, aßen sie Hühnerfleisch, harte Eier und kalten Fisch in einer köstlichen kreolischen Soße. Anschließend machte André es sich auf einer von Tomäs ausgebreiteten Decke bequem, fand, daß sie es schlimmer hätten treffen können, und war auch schon eingeschlafen.

Zum Frühstück gab es Kaffee und ein trockenes Brötchen. Wenig später pflückte André eine Orange frisch vom Baum, die süß und saftig war. Auch Bananen gab es in Massen. Selbst wenn er für einige Zeit auf sein gewohntes Essen verzichten mußte, zu hungern brauchte er deshalb nicht.

Zwischen den Bäumen boten sich herrliche Ausblicke auf die Landschaft und das in der Ferne blau schimmernde Meer. Meist versperrten jedoch dicht stehende Mahagoni- und Eisenholzbäume die Sicht und gaben dem Wald durch das Grün ihres fast undurchlässigen Blätterdaches etwas seltsam Unwirkliches.

 

Vor ihnen in den Zweigen blitzte das leuchtend rote, gelbe und grüne Gefieder von Papageien auf. Dazwischen schimmerte das Weiß, Grün und Gelb riesiger Orchideen, die sich in üppigen Kaskaden an den weit herabhängenden Lianen aus dem Geäst der Bäume zu stürzen schienen.

Die Orchideen weckten in André die Erinnerung an Orchis. Einen Augenblick lang hatte er das Gefühl, sie greife nach ihm und wolle ihn das verwirrende Bild ihres Körpers, die Zartheit ihrer Hände und die Glut ihrer Lippen nicht vergessen lassen.

Entschlossen schüttelte er den Gedanken an sie ab. Sie war wie eine dieser Lianen, besitzergreifend, erdrückend und für ihre willenlosen Opfer vielleicht sogar tödlich.

In der nächsten Nacht hatten sie weniger Glück. André wurde den Verdacht nicht los, daß der Schwarze den Wald fürchtete. Tomäs hatte ihm schon mehrfach bedeutet, daß Wegkreuzungen als heilig galten. Einmal waren sie an einer solchen Stelle auf einen kleinen Altar gestoßen, der angeblich irgendeinem hier ansässigen ,Loa' geweiht war.

Seine Frage, ob hier Voodoo im Spiel sei, hatte Tomäs zögernd mit Ja beantwortet. Daraus und aus der ehrfürchtigen Art, wie er den Namen ,Loa' aussprach, hatte André geschlossen, daß Tomäs Voodoo-Anhänger sein mußte, und war nicht weiter in ihn gedrungen.

Jetzt standen sie wieder an der Kreuzung zweier kaum als solche zu erkennenden Wege. Vor ihnen war ein hoher Pfahl errichtet, an dessen Spitze, mit einem Strick um die Hörner, der Körper einer schwarzen Ziege hing.

Tomäs erstarrte, als er der Ziege gewahr wurde. Sein Gesicht drückte heftigstes Erschrecken aus.

„Was ist das Tomäs?” fragte André.

„Voodoo, M'Sieur”, antwortete Tomäs. „Opfer für Pedro.”

„Wer ist Pedro?”

„Pedro schlecht! Böser Gott von Kuba! Black magic!”

Bei diesen Worten rollte Tomäs derart mit den Augen, daß André sich eines Lachens kaum erwehren konnte. Da er sah, wie bitter ernst die Sache für seinen Begleiter war, fragte er vorsichtig weiter: „Welches sind die guten Götter? Die Götter, die du verehrst?”

Einen Augenblick schien es, als wolle Tomäs nicht antworten. Dann sagte er: „Damballah, M'sieur. Damballah Weydo ist großer Gott. Er M'Sieur helfen.”

„Das will ich schwer hoffen”, erwiderte André.

„M'sieur nicht hassen Voodoo?” fragte Tomäs ungläubig.

„Warum sollte ich?” antwortete André. „Ich weiß zwar wenig darüber, aber ich finde, jeder Mensch sollte das Recht haben, seine eigene Religion zu wählen.”

Tomäs wirkte erleichtert, und André fuhr fort: „Ich selbst bin Katholik und schere mich nicht darum, ob meine Freunde Protestanten, Buddhisten oder Moslems sind. Sie sind nicht besser oder schlechter als ich und schulden ihrem Gott genauso Rechenschaft für ihre Taten.”

Tomäs warf einen verängstigten Blick auf die über ihnen baumelnde Ziege und drängte dann sein Pferd an Andrés Seite.

„Damballah euch helfen, M'sieur. Zeigen, wo Schatz liegt.”

„Wenn er das tut”, erwiderte André, „werde ich alles tun, was er sagt, und ihm aus Dankbarkeit das Opfer bringen, das er haben will.”

Der Schwarze nickte zufrieden.

„M'sieur alles Tomäs überlassen.”

Damit schien die Angelegenheit geregelt.

Sie nächtigten auf einer Lichtung im Freien, um sich herum die mächtigen Stämme der Bäume, die so hoch ragten und deren Kronen sich so gewaltig über ihnen wölbten, daß André an das hohe Schiff einer weiträumigen Kirche erinnert wurde.

Obwohl es Mühe kostete, von Tomäs Unruhe nicht angesteckt zu werden, fand André einige Stunden Schlaf. Beim ersten Morgengrauen jedoch wurde er von Tomäs wieder aufs Pferd gescheucht. Von Kaffee war keine Rede. Es gab trockenes Brot und Obst zum Frühstück.

Als André schon fürchtete, ihr Ritt würde kein Ende nehmen, entdeckte er das Tal. Es war von atemberaubender Schönheit.

Ihr Weg führte an wogenden Zuckerrohrfeldern entlang, in denen sich, soweit man sie nicht unter Farmern aufgeteilt hatte, das Unkraut breit machte. André konnte sich unschwer vorstellen, wie es hier zu besseren Zeiten ausgesehen hatte, als die Briefe seines Onkels vor Begeisterung überströmten, wenn er von der Fruchtbarkeit des Bodens und dem Reichtum seiner Ernten berichtete.

Sie kamen an verlassenen, halb zerfallenen Zuckermühlen vorbei, wo einst kräftige Ochsen im Kreis getrottet waren, um die riesigen Mahlwerke anzutreiben.

André glaubte sich in ein Paradies versetzt. Ohne auf den Weg zu achten, überließ er sich Tomäs’ Führung, der zielstrebig auf die abbröckelnden Überreste eines Torbogens zusteuerte. In der einst weiträumigen Einfahrt hatten sich Rhododendronbüsche breitgemacht und wetteiferten an Farbenpracht mit frischaufgeblühtem Phlox und wildwuchernden Hibiskusblüten. Jeder Mauerrest war mit karminroten Bougainvillea besät, die sich in rosa-violetten Wellen unter die Bäume und bis in den Garten ergossen. Irgendwoher drang der Duft von Jasmin und vermischte sich mit dem zarten Aroma unberührter Orangenblüten und dem strengen Geruch weißer Kalla.

Von beiden Seiten drängten sich junge Sträucher in den Weg und versperrten mit ihren Zweigen die ehemals breite Auffahrt.

Hinter einer Biegung lag plötzlich das Haus vor ihnen, eine zweistöckige Villa im Kolonialstil, fast klassisch in der Ebenmäßigkeit ihrer Formen, mit doppelter Freitreppe und einer rundum laufenden breiten Galerie im oberen Stockwerk. Das Holz war an vielen Stellen durchgebrochen und wies mehrere große Löcher auf. Auch das Dach hatte zahlreiche Schäden. Der Wind mußte mehr und mehr Ziegel gelockert haben; denn ganze Berge davon waren auf den Stufen der Freitreppe zerschellt und häuften sich auf dem mit tiefen Löchern übersäten Vorplatz.

Die Flügel des Portals waren aus den Angeln gerissen, Fensterrahmen und Gesimse mit Flechten bedeckt. Um Säulen und Balkongeländer rankte wilder Wein, dessen Triebe in den leeren Fensterhöhlen hingen, als habe man grüne Vorhänge vorgezogen, um die Sonne fernzuhalten.

Eine fast wehmütige Untergangsstimmung lag über dem Ganzen.

Die beiden Männer stiegen von den Pferden, und André betrat als Erster das Haus, jeden Augenblick gewärtig, durch die Reste des Parkettfußbodens zu brechen.

Es überraschte ihn nicht, daß alle bewegliche Habe verschwunden war und daß er nur noch die von den Stuckdecken gefallenen Gipsbrocken und die Trümmer zerschlagener Fensterläden vorfand.

Ein Teil des Hauses war rußgeschwärzt. Dort vollendete eine alles bedeckende Staubschicht und ein Meer von Spinnweben das Bild der Zerstörung.

André war froh, wieder nach draußen und in die überquellende Schönheit und Fülle des Gartens zu kommen.

„Man scheint uns nichts übrig gelassen zu haben”, rief er Tomäs zu, der vor dem Haus stand.

„Hier niemand herkommen. Böser Zauber”, erwiderte der Schwarze ängstlich.

„Ich wüßte nicht, was das hier mit Zauberei zu tun haben sollte”, versuchte André ihn zu beschwichtigen.

Statt zu antworten, wies Tomäs stumm auf den Eingang des Hauses. André folgte der Richtung des ausgestreckten Zeigefingers und sah jetzt selbst, was den Schwarzen erschreckt hatte.

Auf einem der Säulenstümpfe lag ein seltsam gebogener Zweig. Es konnte sich auch um ein Stück dickes Seil handeln.

„Pedro Ouanga!” flüsterte Tomäs „Teufelsschlange!”

„Unsinn!” entgegnete André ungewohnt heftig. „Komm mir nicht schon wieder mit deiner schwarzen Magie. Du magst meinetwegen daran glauben, aber laß mich damit in Ruhe.” Als er Tomäs betretene Miene sah, lenkte er ein: „Tut mir leid, Tomäs. Ich wollte dich nicht kränken. Diese Dinge fangen offenbar an, auch mich verrückt zu machen.”

Bei näherer Betrachtung erkannte André, daß es sich tatsächlich um ein Seil handelte, einen etwa zwei Fuß langen Strick von der Dicke eines Armes, grün gefärbt und an den Enden mit bunter Wolle umwickelt. Zwischen die Wollfäden waren Hühnerfedern gesteckt. Auf der einen Seite rote, auf der anderen weiße.

Sie haben die kostenlose Leseprobe beendet. Möchten Sie mehr lesen?