Buch lesen: «Vom Königsbett zum Schafott»
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Über den Autor
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Dr. Barbara Beck, geboren 1961 in München, ist Historikerin. Seit ihrem Studium der Geschichte, Kunstgeschichte und Volkskunde in Augsburg und München ist sie vor allem im kulturhistorischen Ausstellungsbereich (u.a. für das Haus der Bayerischen Geschichte, die Bayerische Schlösserverwaltung) tätig. Sie hat zu den unterschiedlichsten historischen und kunsthistorischen Themen Bücher und Beiträge verfasst.
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Wieder und immer wieder:
Kabale und Liebe
Der vorliegende Band stellt bekannte und weniger bekannte Frauen aus der europäischen Geschichte vor, die Opfer von Intrigen wurden. Anhand ausgewählter Biografien vom 15. bis 20. Jahrhundert kann der Leser in spannende Kapitel der Geschichte eintauchen.
Agnes Bernauer, Johanna die Wahnsinnige, Anna Boleyn, Lady Jane Grey, Maria Stuart, Margarethe von Valois, Katharina von Braganza, Olympia Mancini, Anna Constantia von Cosel, Caroline Mathilde von Dänemark, Marie Anotoinette, Manon Roland, Luise Karoline von Hochberg, Marie Caroline von Berry, Victoria von Preußen, Elisabeth von Thadden, Polina Semjonowa Schemtschuschina
»Die Verleumdung ist ein Lüftchen« – Intrigen und Komplotte üben seit Urzeiten eine große Faszination aus. Verschwörungstheorien haben scheinbar immer Hochkonjunktur. Hinterlistige Täuschungsmanöver zum Schaden Dritter sind so alt wie die Menschheitsgeschichte selbst. Politische Machtzentren boten seit jeher ein ideales Betätigungsfeld für Intrigen aller Art. Nicht immer waren die Opfer ohne Schuld an ihrem Schicksal, oft waren sie sogar selbst rücksichtslose Intrigantinnen. Auch führte nicht jede Intrige zwangsläufig zum gewünschten Ziel. Da Intrigen oft keine eindeutigen Spuren hinterlassen haben, bietet manches Ereignis einen Spielraum für Interpretationen.
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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über dnb.d-nb.de abrufbar. |
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Copyright © by marixverlag GmbH, Wiesbaden 2011 Covergestaltung: Nicole Ehlers, marixverlag GmbH Bildnachweis: istockphoto, Calgary/Kanada Lektorat: Etel Brüning, Kaltenkirchen eBook-Bearbeitung: Medienservice Feiß, Burgwitz Gesetzt in der Palatino Ind Uni – untersteht der GPL v2 ISBN: 978-3-8438-0065-5 www.marixverlag.de |
Inhalt
Über den Autor
Zum Buch
Vorwort
Mord aus Staatsräson
Agnes Bernauer
Anmerkungen
Zum Wahnsinn verdammt
Johanna I. von Kastilien, »die Wahnsinnige«
Anmerkungen
Des Ehebruchs verdächtigt
Anna Boleyn
Anmerkungen
Schachfigur im Poker um die englische Krone
Jane Grey
Anmerkungen
Zu Fall gebracht durch das Babington-Komplott
Maria Stuart
Anmerkungen
Spielball der Parteien
Margarethe von Valois
Anmerkungen
Hauptverdächtige im Papistenkomplott
Katharina von Braganza
Anmerkungen
Im Bann der Giftaffäre
Olympia Mancini
Anmerkungen
Um ihrer »Ehre« willen unbeugsam
Anna Constantia von Cosel
Anmerkungen
Verstrickt in die Struensee-Affäre
Caroline Mathilde von Dänemark
Anmerkungen
Die Halsbandaffäre als Menetekel
Marie Antoinette von Frankreich
Anmerkungen
Voll Selbstaufopferung in den Tod
Marie-Jeanne Roland de La Platière
Anmerkungen
Lebenslanger Kampf um Anerkennung
Luise Karoline von Hochberg
Anmerkungen
Ein romanhaftes Leben
Marie Caroline von Berry
Anmerkungen
Als »die Engländerin« verunglimpft
Victoria von Preußen, »Kaiserin Friedrich«
Anmerkungen
Die Gastgeberin der »Teegesellschaft«
Elisabeth von Thadden
Anmerkungen
Der »zionistischen Verschwörung« verdächtigt
Polina Semjonowa Schemtschuschina
Anmerkungen
Literaturverzeichnis
Kontakt zum Verlag
Vorwort
Die Geschichte der Menschheit ist seit Anbeginn zugleich eine Geschichte mehr oder weniger erfolgreich durchgeführter Intrigen und Komplotte. Die Intrige kommt in vielerlei Gestalten vor und besteht oft nicht nur aus einer isoliert dastehenden Aktion, sondern aus einer ganzen Kette von Einzelintrigen. Die »klassischen« Bestandteile der Intrige sind arglistige Täuschung, Fälschung, Verleumdung, Lüge und Rufmord. Da Geheimhaltung üblicherweise ein wesentlicher Bestandteil von Intrigen und verschwörerischen Komplotten ist, um aus der sicheren Deckung heraus »zuschlagen« zu können, ist es für die Geschichtsforschung nicht immer möglich, derartige Aktionen in allen Einzelheiten zu erfassen und die hinter den Kulissen agierenden Personen und ihre Beweggründe dingfest zu machen. Im Allgemeinen hinterließ der Intrigant bzw. die Intrigantin auch keine Dokumente, in denen Vorgehen und Intentionen zur Freude späterer Wissenschaftler genau festgehalten wurden.
Immer dann, wenn in der Geschichte von der Gewalt als selbstverständlich akzeptiertem und praktiziertem Mittel der Realpolitik abgerückt wurde, gewann die Intrige als Mittel zur Durchsetzung eigener Ziele an Bedeutung. Man begegnet ihr bevorzugt dort, wo sich Macht und Glanz entfalten – in den jeweiligen politischen Schaltzentralen, an den Höfen und Regierungssitzen. Es besteht von daher eine sehr enge Nachbarschaft von Politik und Intrige, worauf auch die zynisch anmutende Feststellung des ehemaligen sächsischen Ministerpräsidenten Kurt Biedenkopf anspielt, dass nämlich Intrigen das Nebengeräusch der Politik sind. Zwar galten und gelten Intrigen als moralisch verwerflich, doch kommt der Mensch im Kampf um Macht und Einfluss ohne sie anscheinend nicht aus. Für die große »Beliebtheit« dieser Form der menschlichen Konfliktlösung spricht zudem, dass sich Literatur und Kunst ihrer immer wieder gerne als nahezu festem und offenbar unerschöpflichem Bestandteil der Handlung bedienen.
Nicht immer verdienen die Opfer von politischen Intrigen uneingeschränktes Mitgefühl. Sie waren keineswegs durch die Bank bedauernswerte Unschuldslämmer. Sehr häufig war die Grenze zwischen Intrigant und Opfer sogar fließend und die Veränderung der Position erfolgte sozusagen im fliegenden Wechsel. Die schottische Königin Maria Stuart etwa war selbst in zahlreiche Komplotte gegen Königin Elisabeth I. verwickelt, bevor diese deren Hinrichtungsurkunde unterzeichnete. Sich ohne genaue Kenntnis der Machtmechanismen in den Kampf um eine herausgehobene Stellung einzulassen, konnte mitunter tödlich enden, wie dies zum Beispiel das tragische Schicksal der Baderstochter Agnes Bernauer beweist. Dass eine Intrige nicht zwangsläufig zuungunsten des ins Auge gefassten Opfers ausgehen musste, beweist das Schicksal der Katharina von Braganza. Im Gegensatz zu einer anderen, wesentlich bekannteren englischen Königsgemahlin, Anna Boleyn, musste sie den gegen sie erhobenen, dabei aber völlig haltlosen Hochverratsvorwurf nicht mit ihrem Leben bezahlen. Bei ihr hatten sich die Verschwörer sozusagen »verrechnet« und den Rückhalt, den sie in führenden Kreisen und vor allem bei ihrem Ehemann König Karl II. genoss, falsch eingeschätzt. Bei Anna Boleyn hingegen war König Heinrich VIII. selbst die treibende Kraft hinter den Anschuldigungen, so dass diese geradezu zwangsläufig den Weg des Opfers zum Schafott ebneten. In ihrem Fall wirkte es sich außerdem fatal aus, dass sie sich in den Zeiten ihres Glanzes nur wenig Freunde gewonnen hatte. Schwächen im falschen Moment zu zeigen und nicht auf der Hut vor möglichen Gegnern zu sein, trug bei vielen politischen Intrigenopfern zum Scheitern bei. So manches Opfer musste die bittere Erfahrung machen, dass seine Feinde und Gegenspieler aus dem allerengsten Umfeld kamen.
Während bei Männern im Allgemeinen ein lockerer, ja sogar ein ausschweifender Lebenswandel nicht schadete, stellte für Frauen ihr Ruf meist ihre Achillesferse dar. Frauen waren daher über Jahrhunderte hinweg besonders leicht mit dem Vorwurf der Sittenlosigkeit zu Fall zu bringen. Erschien ihre Reputation kompromittiert wie im Falle der dänischen Königin Caroline Mathilde, konnte dies für sie schreckliche Folgen haben. Und selbst wenn die angegriffenen Frauen die sprichwörtliche Ehrbarkeit in Person waren, konnten sich geschickt gesteuerte Rufmordkampagnen als erfolgreiche Aktionen erweisen. Manon Roland, Gattin eines führenden Ministers in der Zeit der Französischen Revolution und selbst einflussreicher Mittelpunkt der girondistischen Gruppe, sah sich wie die von ihr verachtete skandalumwitterte Königin Marie Antoinette von Frankreich einer solchen öffentlichen Diffamierung ausgesetzt. Ihre politischen Gegner zogen ihren Namen gnadenlos mit Hilfe von Lug und Trug in den Schmutz, bevor sie schließlich unter der Guillotine endete.
Der vorliegende Band versammelt bekannte und weniger bekannte Schicksale von Frauen aus der europäischen Geschichte, die aus politischen Gründen auf unterschiedliche Art und Weise Opfer von Intrigen wurden. Die Auswahl dieser Biografien aus dem 15. bis 20. Jahrhundert muss dabei letztlich immer nach subjektiven Kriterien getroffen werden. Ziel war es, eine möglichst große Bandbreite an solchen von Intrigen überschatteten und gestalteten Lebensgeschichten aufzuzeigen, auch mit welch unterschiedlichen Taktiken und Strategien gegen diese Frauen vorgegangen wurde und wie deren Reaktionen darauf ausfielen.
Mord aus Staatsräson
Agnes Bernauer
Der zeitgenössische Chronist Andreas von Regensburg, der gewöhnlich als gut informiert gilt, berichtet über den gewaltsamen Tod der Agnes Bernauer am 12. Oktober 1435 in Straubing: »Am 12. Oktober [wurde] auf Befehl Herzog Ernsts eine gewisse schöne Frau, die Geliebte Herzog Albrechts, genannt Bernawerin, von einer Donaubrücke gestürzt. Mit Hilfe eines Fußes, der nicht gefesselt war, schwamm sie ein Stück und kam dem Ufer nahe, wobei sie unter heiserem Röcheln rief: ›Helft, helft!‹ Der Henker aber, der sie von der Brücke gestürzt hatte, lief am Donauufer herzu, und, weil er den heftigen Zorn Herzog Ernsts fürchtete, wickelte er eine lange Stange in ihr Haar und tauchte sie wieder unter«1. Diese dürre Notiz wurde wohl um 1444 verfasst, neun Jahre nach den dramatischen Ereignissen. Lediglich der Tod der häufig nur »die Bernauerin« Genannten durch Ertränken ist damit zweifelsfrei dokumentiert. Andreas von Regensburg äußert sich weder über einen vorausgegangenen Prozess noch über Beteiligte an dieser Hinrichtung. Prozessakten sind in der Tat auch nicht überliefert, wie überhaupt die Quellenlage zum Schicksal der Agnes Bernauer, dieser berühmten Frauengestalt aus der bayerischen Geschichte, bemerkenswert dürftig ist.
Üblicherweise wird die Reichsstadt Augsburg als Geburtsort von Agnes Bernauer genannt. Hier soll sie um 1410 als Tochter des Baders Kaspar Bernauer geboren worden sein. Die Existenz dieses Baders konnte bisher nicht nachgewiesen werden. Er taucht weder im Bürgerverzeichnis der Reichsstadt noch in den städtischen Steuerlisten des 15. Jahrhunderts auf. Vielleicht betrieb der Vater von Agnes nicht eigenständig ein Bad, sondern arbeitete als Geselle oder Baderknecht. Ebenso wenig eindeutig verbürgt wie die familiäre Abstammung sind das Geburtsjahr und der Geburtsort der Bernauerin. Die frühesten Hinweise auf den Vater und Augsburg stammen aus den siebziger Jahren des 15. Jahrhunderts. Eine erste Mitteilung darüber, welcher beruflichen Tätigkeit Agnes Bernauer selbst nachging, liefert der Humanist Enea Silvio Piccolomini, der spätere Papst Pius II., der als Teilnehmer am zeitgleich zu den Ereignissen in Straubing stattfindenden Basler Konzil entsprechenden Klatsch aufschnappte. Er berichtet daher 1456: »Herzog Albrecht von Bayern war heillos in ein Mädchen, eine Badewärterin, verliebt«2.
Wenn Agnes Bernauer tatsächlich die Tochter eines Baders oder Barbiers war und selbst als Bademagd arbeitete, entstammte sie einfacheren Verhältnissen. In der mittelalterlichen Gesellschaft gehörten Bader vielfach zu den ehrlosen Ständen, die von vielen bürgerlichen Rechten ausgeschlossen waren. In Augsburg allerdings begannen die Bader und Barbiere seit dem 15. Jahrhundert gesellschaftlich aufzusteigen. Falls Agnes’ Vater als selbständiger Bader arbeitete und ein eigenes Bad besaß, so gehörten er und seine Familie doch eher der ehrbaren mittleren Bürgerschicht der Reichsstadt an.
Die beliebten Badestuben dienten im 15. Jahrhundert nicht allein der Körperreinigung und der medizinischen Versorgung, sondern waren gelegentlich auch Orte der Prostitution. Für Augsburg gibt es jedoch kein Verbot wegen Badeprostitution. Es kann daher nicht verallgemeinernd von Sittenlosigkeit in den Bädern des Mittelalters gesprochen werden, vielmehr waren sie beliebte gesellschaftliche Treffpunkte. Im 15. Jahrhundert ging es in den Bädern sogar eher züchtig zu, völlig nackt badeten oft nur die Kinder.
Wesentlich besser ist erwartungsgemäß der biografische Kenntnisstand bei dem bayerischen Herzogssohn Albrecht, dem man später den Beinamen »der Fromme« gab. Der einzige legitime Sohn des regierenden Herzogs Ernst I. von Bayern-München und der Herzogin Elisabeth, einer Visconti aus Mailand, wurde am 27. März 1401 geboren. Seine standesgemäße Erziehung erhielt er am Prager Königshof bei seiner Tante Sophie, die mit dem böhmischen König Wenzel IV. verheiratet war. Im Alter von etwa sechzehn Jahren kehrte Albrecht an den Münchner Hof zurück. Zeitlebens hatte er eine ausgeprägte Vorliebe für die Jagd, Musik und Literatur, außerdem galt er als »ain liebhaber der zarten frawen«3. In Turnieren und in kriegerischen Auseinandersetzungen tat er sich als mutiger Kämpfer hervor. Bereits 1424 hatte ihm seine Mutter die Grafschaft Vohburg an der Donau zusammen mit Pfaffenhofen an der Ilm, Geisenfeld und Hohenwart abgetreten, weshalb sich Albrecht auch Graf von Vohburg nannte. Im Januar 1433 setzte ihn sein Vater zum Statthalter des 1425/1429 an Bayern-München gefallenen Straubinger Landes ein.
Wo und wann sich die als außergewöhnlich schön bezeichnete Baderstochter und der bayerische Erbprinz erstmals begegneten, darüber informieren die zeitgenössischen Quellen nicht. Da Herzog Albrecht III. als Teilnehmer an einem Turnier im Februar 1428 in Augsburg genannt wird, wird gemeinhin angenommen, dass er bei dieser Gelegenheit Agnes Bernauer wohl bei einem Besuch der väterlichen Badestube kennen lernte und bald darauf nach München holte. In einer in die zweite Hälfte der zwanziger Jahre zu datierenden Münchner Steuerliste taucht unter dem weiblichen Gesinde des herzoglichen Hofs eine »Pernawerin« auf. Tatsächlich ist dies bis heute der erste quellenmäßige Beleg für die Existenz der Agnes Bernauer überhaupt. Aus Äußerungen von Herzog Ernst vom Oktober 1435, dass sein einziger Sohn seit drei oder vier Jahren ein böses Weib gehabt habe, kann man aber auch schließen, dass das Verhältnis zwischen dem Herzogssohn und der Bernauerin erst um 1431/1432 seinen Anfang nahm. Da sich Albrecht zu dieser Zeit überwiegend in München aufhielt, könnte er auch dort eine Beziehung mit Agnes Bernauer angeknüpft haben, die zu dieser Zeit ja bereits ein Mitglied des Hofgesindes war.
Eine Liebesaffäre zwischen einem noch unverheirateten Adeligen und einer Frau aus einfacheren Verhältnissen hätte an sich kaum größeres Aufsehen erregt, da eine Geliebte einer standesgemäßen Heirat und damit erbberechtigtem Nachwuchs nicht im Wege stand. Die Beziehung zwischen Albrecht III. und Agnes Bernauer nahm aber einen überraschenden, die gesellschaftlichen Konventionen sprengenden Verlauf. Das Auftreten der jungen Frau fiel aus dem gewohnten Rahmen und sorgte für Misstöne. Im Sommer 1432 mischte sie sich selbstbewusst in die Beziehungen zwischen dem Herzog und der Stadt München ein, als sie dafür sorgte, dass ein vor dem Zugriff der städtischen Schergen in die Alte Veste, die herzogliche Residenz, geflohener Pferdedieb festgenommen werden konnte. Sie veranlasste nämlich, dass die Stadt einen Boten an den abwesenden Herzog schickte und um die Herausgabe des Diebes nachsuchte. Albrechts Schwester Beatrix reagierte bei einem Besuch in München empört über dieses in ihren Augen anmaßende Benehmen und sprach öffentlich zornig von »der hoch und grosfaisten Bernawerin«4 (= der hochmütigen und aufgeblasenen Bernauerin). Eventuell war Agnes Bernauer zu diesem Zeitpunkt bereits mit Albrecht verheiratet und sah sich deshalb zu diesem Verhalten berechtigt. Die zeitgenössischen Quellen liefern allerdings keine eindeutigen Beweise für eine Eheschließung, es spricht aber einiges für eine geheim gehaltene Ehe. Vielfach wird der am 7. Januar 1433 urkundlich belegte Kauf einer Hube und Hofstatt in Niedermenzing durch Agnes Bernauer als Morgengabe Albrechts interpretiert, der ihr diesen Kauf ermöglichte. Ein eindeutiger Beweis für eine Eheschließung ist dieser Grunderwerb aber nicht, da solche Käufe häufig zu den üblichen Versorgungsleistungen für eine fürstliche Geliebte gehörten. In dem in der Nähe gelegenen Schloss Blutenburg lebte Albrecht nachweislich ungefähr zwei Jahre mit Agnes Bernauer zusammen. Dass es sich nicht nur um eine uneheliche Verbindung gehandelt haben kann, dafür spricht am eindeutigsten Agnes Bernauers tragischer Tod, da ihre Ermordung sonst weitgehend sinnlos gewesen wäre. Eine solche unebenbürtige Ehe verstieß aber gegen die Standesschranken der mittelalterlichen Gesellschaft. Damals bildeten sich selbst innerhalb des Adels Heiratsschranken aus. Wie sehr diese Verbindung zwischen einem Mitglied des Hochadels und einer Frau »aus dem Volk« dem adeligen Standesbewusstsein widersprach, wird durch die verächtliche Behandlung Albrechts bei einem Turnier am 23. November 1434 in Regensburg deutlich, als ihm die Teilnahme am Turnier verwehrt wurde. Der Herzog wurde »wegen seiner Geliebten, deretwegen er, wie man glaubte, es verschob, eine rechtmäßige Frau zu heiraten, angegriffen und geschlagen«5. Albrechts Mesalliance verstieß gegen die von Gott gewollte Ordnung der Ständegesellschaft.
Während quellenmäßige Belege für einen längeren zusammen verbrachten Aufenthalt des Paares in der Grafschaft Vohburg ebenso fehlen wie für eine gemeinsame Nachkommenschaft, sieht die Überlieferung für Straubing besser aus. Seit 1434/1435 trat Agnes Bernauer in Straubing als »Herzogin« an der Seite Albrechts auf, der nur noch selten nach München kam. Der bedeutende bayerische Geschichtsschreiber Aventinus schrieb etwa hundert Jahre später, dass sich die Bernauerin selbst als »Gemahlin des bayerischen Fürsten und Herzogin von Bayern«6 bezeichnet habe. Wie Agnes Bernauer selbst ihre Position in Straubing verstand, verrät ihre Altarstiftung im Kloster der Karmeliten zu Straubing. Da das Kloster mit seiner Kirche als Grablege für die Straubinger Wittelsbacher, die wohlhabenden Bürger und den niederbayerischen Adel diente, wollte sie hier ebenfalls im Kreuzgang ihre letzte Ruhestätte finden. Ganz offensichtlich fühlte sie sich als legitime Herzogsgemahlin.
Als Herzog Albrecht im Straubinger Land zunehmend nach einem unabhängigeren Regiment strebte und mehrmals den schuldigen Gehorsam seinem Vater verweigerte, löste dies wachsendes Missfallen bei Herzog Ernst I. aus. Für weiteren Konfliktstoff sorgte Albrechts Wunsch nach Herausgabe des gesamten mütterlichen Erbes. Dass Herzog Ernst hinter dem neuen, für ihn unerfreulichen Verhalten seines Sohnes, der früher wenig Interesse an der Mitregierung in München gezeigt hatte, als die eigentlich Schuldige die Bernauerin vermutete, dafür sprechen seine späteren Ausführungen gegenüber Kaiser Sigismund. Wahrscheinlich hatte Herzog Ernst die Bernauerin zunächst nur als eine vorübergehende Geliebte seines Erben eingeschätzt. Inzwischen sah der alte Herzog jedoch die Erbfolge in Bayern-München durch die unstandesgemäße Verbindung in höchstem Grade gefährdet. Immer wieder war es nach dem Tod von Kaiser Ludwig dem Bayern im Jahr 1347 zu Teilungen der wittelsbachischen Territorien gekommen, und immer wieder gab es auch kriegerische Auseinandersetzungen zwischen den Teillinien. Die wittelsbachischen Verwandten in den Herzogtümern Bayern-Ingolstadt und Bayern-Landshut waren in ihrem Interesse an einer erneuten Teilung nicht zu unterschätzen. Durch den unerwarteten Tod von Ernsts Bruder und Mitregenten Herzog Wilhelm III. im September 1435 verschärfte sich die Situation bedenklich, da dieser nur einen schwächlichen Sohn namens Adolf hinterlassen hatte. Zur Sicherung des Fortbestandes des Herzogtums Bayern-München musste Albrecht unbedingt standesgemäß heiraten und legitime Kinder bekommen. Außerdem musste er sich zur Sicherung des Zusammenhalts des Herzogtums mit dem Straubinger Land wieder dem väterlichen Willen fügen. Agnes Bernauer stand all diesen Erfordernissen im Weg, solange sie lebte.
Als Herzog Albrecht im Oktober 1435 einer Einladung von Herzog Heinrich XVI. von Bayern-Landshut zu einer Jagdpartie und einer geheimen Besprechung Folge leistete, nutzte Herzog Ernst I. die Abwesenheit seines Sohnes, um Agnes Bernauer verhaften und am 12. Oktober 1435 in der Donau ertränken zu lassen. Ob es sich bei der Einladung des Landshuter Herzogs um eine mit Herzog Ernst abgesprochene List handelte, um Albrecht bewusst von Straubing fernzuhalten und dessen Vater freie Hand zu verschaffen, muss ungeklärt bleiben. Höchstwahrscheinlich fand kein ordentliches Gerichtsverfahren statt, allenfalls ein Schnellverfahren, bei dem das Urteil von vornherein feststand. Ertränken war eine im ausgehenden Mittelalter gebräuchliche Hinrichtungsart für Frauen. Die der Bernauerin alles andere als wohlgesinnte Stimmung in den führenden Kreisen der Residenzstadt München gibt der dortige Stadtschreiber Hans Rosenbusch nach deren gewaltsamem Ende wieder, indem er geradezu zynisch darüber schreibt, »das man die Bernawerin gen hymel gefertigt hett«7.
Als der bayerische Erbprinz Albrecht von Agnes Bernauers Tod erfuhr, ging er am 14. Oktober wutentbrannt an den Hof von Herzog Ludwig dem Gebarteten von Bayern-Ingolstadt, der mit seinem Vater verfeindet war. Erste Fehdebriefe wurden zugestellt. Eine latente Kriegsgefahr zwischen den bayerischen Teilherzogtümern bestand allerdings in den letzten Jahren immer, so dass sicherlich nicht nur emotionale Gründe zu diesem Schritt führten, sondern auch Albrechts Erkenntnis, dass sein Vater unter keinen Umständen bereit war, dem Straubinger Land und damit ihm eine größere Selbständigkeit einzuräumen. Um den drohenden Konflikt zu entschärfen, wandte sich Herzog Ernst I. Ende Oktober auch an Kaiser Sigismund. In den Anweisungen, die er seinem Gesandten Friedrich Aichstetter mitgab, findet sich Ernsts offizielle Begründung für die brutale Beseitigung der unerwünschten Schwiegertochter. Er sprach davon, dass sein Sohn »mit einem poesn weyb«8 beladen gewesen sei, das diesen schon seit drei oder vier Jahren bedrückt habe, so dass Albrecht seitdem »nie recht froelich gewesen« sei. Er habe schließlich um das Leben seines Sohnes fürchten müssen. Zudem sei ihm zu Ohren gekommen, dass die Bernauerin einen Giftmord an ihm selbst und seinem jungen Neffen Adolf geplant habe. Da kein Ende für diese unerfreuliche Situation abzusehen gewesen wäre, weil sich die Bernauerin mit »hartnekayt« im Straubinger Schloss behauptet habe, habe er schließlich eingegriffen und diese Frau ertränken lassen. Abschließend verwies Herzog Ernst darauf, dass diese Beziehung seines Sohnes zu der Bernauerin »ein schand und smach« gewesen sei und den Ruf der bayerischen Fürsten im Ausland beschädigt habe. Ernst bat daher den Kaiser, Albrecht dazu zu bewegen, zu seinem Vater zurückzukehren und sich dessen Anweisungen zu fügen. Da sich der Herzogssohn nach einem knappen Dreivierteljahr nach dem Tod der Agnes Bernauer wieder mit seinem Vater versöhnte, hatte der Kaiser vielleicht ja tatsächlich mäßigend auf Albrecht eingewirkt.
Das Grab von Agnes Bernauer ist verschollen. Am 12. Dezember 1435 stiftete Albrecht bei den Straubinger Karmeliten eine ewige Messe, einen Jahrtag und Seelenämter »der ersamen und erbern frawen Agnesen der Pernawerin, der got von himel gnadig und barmhertzig sej«9. Die schon bald eingetretene Versöhnung von Vater und Sohn schlägt sich in der Besiegelung dieser Gedenkstiftung durch Herzog Ernst I. im April 1436 nieder. Nur wenige Monate später, am 16. Juli, stiftete Ernst selbst eine ewige Messe für die ungeliebte Schwiegertochter. Außerdem ließ er eine Gedächtniskapelle für Agnes Bernauer auf dem St. Peterfriedhof zu Straubing errichten. In den Boden der Kapelle wurde vor dem Altar ein Grabstein aus rotem Marmor eingelassen, der die Verstorbene beinahe in Lebensgröße zeigt. Ob es sich dabei um ein authentisches Porträt der Agnes Bernauer handelt, muss offen bleiben. Heute befindet sich das Epitaph an der Südseite der Kapelle. Am 21. Januar 1447 erneuerte und erweiterte Herzog Albrecht III. nochmals seine Stiftung zu Ehren von Agnes Bernauer. Für die Kosten der jährlich im Oktober zelebrierten Messe in der Gedächtniskapelle kommt heute der Freistaat Bayern auf.
Nach der Versöhnung mit seinem Vater heiratete Herzog Albrecht am 6. November 1436 standesgemäß Anna von Braunschweig-Grubenhagen. Erfreut notierte der Münchner Stadtschreiber den vielsagenden Satz: »des sullen wir alle fro sein, das wir nit wieder ain Bernauerin gewunnen haben«10. Aus Albrechts zweiter Ehe gingen zehn Kinder hervor, darunter drei Söhne, die später als Herzöge regierten. Nach dem Tod von Herzog Ernst I. trat Albrecht III. 1438 die Nachfolge im Herzogtum Bayern-München an. Albrecht, der am 29. Februar 1460 in München verstarb, wird nicht zu den eindrucksvollen Herrscherpersönlichkeiten des Hauses Wittelsbach gezählt und wäre heutzutage wohl ohne die tragische Liebesgeschichte, die ihn mit Agnes Bernauer verband, weitgehend in Vergessenheit geraten.
Nicht nur die Historiker beschäftigte durch die Jahrhunderte hindurch immer wieder die faszinierende Verbindung zwischen dem Herzogssohn und der Baderstochter, sondern sie beflügelte vor allem auch die Fantasie von Literaten und Künstlern. Agnes Bernauers Leben und Sterben bot, vielleicht auch gerade wegen des Mangels an gesichertem Faktenmaterial, reichlich Stoff für Interpretationen aller Art und ließ die junge Frau zum Mythos werden. Zu den bekanntesten Bearbeitungen gehören neben dem Volkslied von der Bernauerin, das bereits im 15./16. Jahrhundert entstand, Friedrich Hebbels Trauerspiel »Agnes Bernauer« sowie Carl Orffs musikalisches Volksschauspiel »Die Bernauerin«. Außerdem werden seit dem 20. Jahrhundert in Vohburg und Straubing Agnes-Bernauer-Festspiele veranstaltet.