Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder

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Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder
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August Schleicher

Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder

Eine umfassende und liebevoll zusammengetragene Sammlung von Märchen, Rätseln und Liedern aus dem Litauen

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder

Kapitel 1

Kapitel 2

Kapitel 3

Kapitel 4

Kapitel 5

Kapitel 6

Kapitel 7

Kapitel 8

Kapitel 9

Impressum neobooks

Litauische Märchen, Sprichworte, Rätsel und Lieder

Vorrede.

Um die Märchen, Sprichworte, Rätsel, Lieder und

Sprüche des litauischen Volkes auch denen zugänglich

zu machen, die des Litauischen nicht kundig sind,

habe ich mein litauisches Lesebuch ins Deutsche

übersetzt. Auch ist diese Übersetzung wol manchem

eine willkommene Beihilfe zum Verständnisse

schwieriger Stellen des litauischen Originals. Leider

muste ich in der Übersetzung gar manches weglaßen;

so vor allem den aufs Sexuelle bezüglichen Schmutz;

ferner manches wirklich Unübersetzbare, als Rätsel,

die aus lauter selbst den Litauern unverständlichen

Rätselworten bestehen; Sprichworte, die nur einem

zufälligen Gleichklang der Worte ihre Entstehung

danken, Dainas (Lieder), die ihre Wirkung nur durch

die in ihnen angewandten eigentümlich gebildeten

Worte haben. Ob ich, besonders in den Sprichworten,

die gröstentheils einem alten handschriftlichen Wörterbuche

entnommen sind, überall das Rechte getroffen,

wage ich nicht zu behaupten, obgleich ich mich

mit der litauischen Sprache wol vertraut gemacht und

überdieß bei zweifelhaften Stellen den Rat eines Eingeborenen

eingeholt habe. Ich gab mir Mühe, so treu

als möglich zu übersetzen und gab also oft den Reim

in den Sprichworten der Treue der Übertragung

wegen auf; ja ich setzte bisweilen da, wo sich die Begriffe

im Litauischen und Deutschen nicht decken, ein

Wort zur Erklärung bei, obwol ich weiß, daß das ein

schlechter Notbehelf ist. Wo ich nur die Wahl zwischen

weniger gutem Deutsch aber treuer und wörtlicher

Übertragung und einer fließenden aber freien

Übertragung hatte, zog ich die wörtliche Übersetzung

vor. Übrigens ist übersetzen nicht mein Fach, und ich

bitte deshalb den Leser um nachsichtige Beurteilung

etwa sich findender Schwächen; ich konnte und wollte

aber nicht die Übersetzung meiner unter Entbehrung

und Mühsal zusammen gebrachten Sammlung eines

Theiles der mündlich überlieferten Literatur des litauischen

Volkes fremden Händen überlaßen.

Eine Sammlung litauischer Märchen, Sprichworte

und Rätsel tritt hier zum ersten Male an das Licht.1

Dainas hat N e ß e l m a n n bereits in Fülle geboten,

deshalb gebe ich hier nur weniges, aber namentlich

das mythologisch wichtige und einiges bisher ungedruckte.

Von den von mir gesammelten Liedern stehen

einige schon bei Neßelmann, dem ich sie für seine

Sammlung mittheilte. Übrigens habe ich nicht alle

Lieder meiner Sammlung übersetzt, sondern nur die

bedeutenderen. Die Singweisen habe ich, leider nur zu

wenigen Liedern, selbst den Singenden nach geschrieben,

und ich kann für die Richtigkeit der Aufzeichnung

daher einstehen. Obwol die Dainas stets ein-

stimmig gesungen werden, so glaubte ich doch die

höchst eigentümlichen, ja bedeutenden Weisen dieser

Lieder durch Zugabe einer einfachen Klavierbegleitung

unserem Geschmacke zugänglicher zu machen;

durch die Noten, die ich der Melodie untergelegt,

suchte ich den Eindruck wieder zu geben, den die Lieder

auf mich machten, als ich sie singen hörte.

Sprichworte und sprichwörtliche Redensarten habe

ich hier nicht gesondert, weil solche Sonderung zwar

in den meisten Fällen leicht ist, in manchen aber auf

große Schwierigkeiten stößt. Geordnet sind sie alphabetisch

nach dem ersten in ihnen vorkommenden Substantiv

oder, wo dieses fehlt, nach dem Verbum; fehlt

auch dieses, nach den ersten Adjectiv. Eben so sind

die Rätsel nach ihren Auflösungen geordnet.

Die stets gereimten priamelähnlichen Sprüche,

deren man übrigens nur wenige findet, habe ich, ihrer

poetischen Form wegen, den Dainas angehängt,

obwol sie, so viel ich weiß, nicht gesungen werden.

Gerne hätte ich mehr Märchen mitgetheilt und zum

Theile Gewählteres und beßer Erzähltes geboten. Der

Reichtum der litauischen Nation an Märchen ist sehr

groß. Mancher Erzähler könnte einen ansehnlichen

Band voll dictieren. Diesen Schatz wüste ich gerne

gehoben und geborgen. Ich kenne einen zur Aufzeichnung

vollkommen befähigten Litauer, welcher gegen

eine angemeßene Geldentschädigung für Reisekosten,

Zeit und Mühe ein solches Unternehmen wol ausführte;

ich selbst aber bin nicht im Besitze der erforderlichen

Mittel.

Ich theile das von mir, theilweise mit Beihilfe Eingeborner,

Zusammengebrachte hier ohne Anmerkungen

mit. Das Gebiet der Sprachwißenschaft ist ein so

ausgedehntes, daß mich wol kein Vorwurf deswegen

treffen kann, weil ich mich darauf beschränke, dem

Forscher zuverläßiges Material in die Hände zu

geben.

Auf den Wunsch des geehrten Herrn Verlegers ist

diese Übersetzung mit sogenannter deutscher Schrift

und in einer von der meinigen abweichenden Orthographie

gedruckt worden. Den Herrn Verleger bedünkt

es nämlich wol nicht mit Unrecht, daß die von

mir befolgte Schreibweise (die dem neuhochdeutschen

angepaßte mittelhochdeutsche) der Verbreitung des

Buches hier und da im Wege stehen könne.

Herrn Dr. S c h a d e , welcher so freundlich war,

die sämmtlichen Correcturen mit seltener Genauigkeit

zu lesen, herzlichen Dank.

J e n a , im Sommer 1857.

August Schleicher.

Fußnoten

1 Norske Folkeeventyr af Asbjörnsen og Moe, 2.

Udg. Christiania 1852 bieten mehrere, bisweilen

schlagende Parallelen zu den litauischen Märchen.

Einzelne Züge des lit. Märchens vom Bartmännchen,

nämlich die Anzal der Drachenhäupter, das Stärkewaßer

u.a. finden sich wieder in Nro. 27 des angef. Werkes:

Soria Moria Slot; ähnlich verhält es sich mit dem

lit. Märchen von der schönen Königstochter gegenüber

von Nro. 19, Kari Træstak der norwegischen

Sammlung, ferner mit dem Märchen vom schlauen

Jungen und Nro. 34, Mestertyven; die Heilkraft der

Löwenmilch, von der im lit. Märchen von den Räubern

und der einem Drachen versprochenen Prinzessin

die Rede ist, wird auch erwähnt in Nro. 60 (58), det

blaae Baand; Nro. 44, Tommeliden beut jedoch,

außer dem Däumling selbst, kaum etwas dem litauischen

Märchen vom Däumling verwandtes. Dagegen

entsprechen sich mehr oder minder folgende: das lit.

Märchen vom faulen Mädchen und Nro. 13, de tre

Mostre; wer kann beßer lügen? und Nro. 39, Askeladden,

som fik Prindsessen til ad lögste sig; vom armen

Taglöhner, der sein Glück machte, und Nro. 7, om

Gutten, som gik til Nordenvinden og krævede Melet

igjen; vom Schmiede der den Teufel dran kriegte, und

Nro. 21, Smeden, som de ikke turde slippe ind i Helvebe;

vom Bauer, der ein sehr großer Schelm war,

und Nro. 54 (53), Store-Peer og Besle-Peer. Varianten

und Nachweis verwandter Märchen anderer Völker

findet man bei Asbjörnsen und Moe in den Anmerkungen.

Die Grimmsche Sammlung deutscher

Märchen beut ebenfals des verwandten und vergleichbaren

viel und vielleicht in noch zalreicheren Beispielen;

überhaupt stehen die litauischen Märchen den

deutschen (und nordischen) sehr nahe, so viel läßt

selbst die kleine Sammlung, die ich in diesem Buche

biete, deutlich erkennen.

Kapitel 1

1.

Märchen

Vom schlauen Mädchen.

Es fuhr einmal ein Herr und ein Kutscher, und sie

kamen zu einem Hause und da spann ein Mädchen.

Der Herr schickte den Kutscher zu dem Mädchen, um

etwas zu trinken aus dem Hause zu holen, aber das

Mädchen sagte ›Bärtiges (d.h. alus, Hausbier; man

denke an die Grannen der Gerste) habe ich nicht, und

das aus dem Stillen gelaufene (d.h. Waßer) wird er

vielleicht nicht trinken.‹ Der Herr aber, der das hübsche

 

Rätsel zu lösen wuste, sagte zu ihr ›Bist du so

schlau, so werde auch ich so schlau sein. Wenn du zu

mir kommen wirst, weder nackt noch bekleidet, weder

zu Pferd noch zu Fuße noch zu Wagen, weder auf

dem Wege noch auf dem Fußpfade noch neben dem

Wege, im Sommer und zugleich im Winter, so werde

ich dich heiraten.‹ Da entkleidete sie sich und hieng

sich ein Netz um und setzte sich auf einen Geißbock

und ritt zum Herren hin immer im Fahrgeleise und

gieng in einen Wagenschuppen und stellte sich da

zwischen einen Schlitten und einen Wagen. Jetzt war

sie gekommen weder nackt noch bekleidet, weder zu

Pferd noch zu Fuße noch zu Wagen, weder auf dem

Wege noch auf dem Fußpfade noch neben dem Wege,

im Sommer und zugleich im Winter. Aber der Herr

wollte sie nicht heiraten und schickte sie nach Hause

und ließ ihr abgekochte Eier bringen. Diese Eier sollte

sie von einer Henne ausbrüten laßen. Das Mädchen

aber kochte Gerstenkörner ab und schickte sie dem

Herren hin, die sollte er säen; wenn sie keimen und

grünen würden, da würde sie auch die Hünchen ausbrüten

laßen. Da sagte der Herr ›Diese Gerstenkörner

werden freilich nicht keimen und du wirst keine Grütze

für jene Hünchen machen können.‹ Da muste er sie

heiraten.

Darnach kamen drei, die im Streite mit einander

lagen, zu dem Herren, um sich Recht zu holen; der

Eine hatte eine Peitsche, der Andere einen Wagen und

der Dritte eine Stute, und die Stute hatte ein Folen.

Sie stritten sich nun: der Eine sagte ›Das ist das Folen

meiner Peitsche;‹ der Andre sagte ›Das ist das Folen

meines Wagens;‹ der Dritte sagte ›Das ist das Folen

meiner Stute.‹ Der Herr aber war nicht im Stande,

ihren Streit zu schlichten. Da sandte er zu seiner Frau;

diese hieß sie sich ein Netz holen, führte sie auf den

Berg und ließ sie fischen; und sie konnten da nicht fischen.

Da sagte sie zu ihnen ›So wenig ihr auf dem

Berge fischen könnt, so wenig kann eine Peitsche ein

Folen haben und ein Wagen auch nicht, sondern nur

einzig und allein eine Stute kann ein Folen haben.‹

Vom hörnenen Manne.

Es war einmal ein Mensch, der hatte drei Kälber, und

mit den Kälbern gieng er durch einen Wald und begegnete

einem andern, der hatte drei Hunde, der sagte

›Tauschen wir, ich gebe dir die drei Hunde und du

gibst mir die drei Kälber; die Hunde werden dir aus

jeder Not helfen.‹ Da tauschten sie. Der Eine zog mit

seinen Hunden weiter und kam an ein Haus und gieng

da hinein, fand aber keinen Menschen, und wie er sich

umsah, da erblickte er in der Stube eine Flinte, einen

Säbel und eine Flasche. Die Flasche öffnete er und

versuchte sich etwas auf den Finger zu gießen, um zu

sehen, was darin sei. Wie er nun etwas auf den Finger

goß, da überzog sich der Finger mit dem Öle und

ward wie Horn, und er konnte weder mit dem Meßer

noch mit dem Säbel das Horn abschneiden. Da nahm

er das Öl aus der Flasche und wusch sich damit am

ganzen Leibe; da ward er am ganzen Leibe wie Horn.

Flasche, Flinte und Säbel nahm er mit und kam in

eine Stadt, die war ganz mit schwarzem Scharlach

ausgeschlagen. Da gieng er ins erste Haus zum Zöllner

und fragte, weshalb die Stadt so schwarz ausgeschlagen

sei. Der sagte ›Das ist deswegen, weil der

König jedes Jahr eine seiner Töchter einem Drachen

geben muß, und jetzt wird der König wiederum um

eine Tochter kommen‹. Und die Tochter war schon

gebunden, denn am folgenden Tage hätten sie sie hinaus

führen müßen. Da gieng der Mensch mit den

Hunden zum Könige und sagte, er werde seine Tochter

vom Drachen erlösen; und der König versprach

ihm die Tochter zur Frau zu geben, wenn er sie befreien

werde. Sodann gieng er auf den Berg, auf welchen

der Drache zu kommen pflegte. Da lag ein großer

Stein: den Stein bestrich er mit jenem Öle. So oft aber

der Drache her flog, pflegte er sich auf diesen Stein zu

setzen und des Wagens zu harren, auf welchem man

die Königstochter hinaus fuhr. Als nun dießmal der

Wagen heran kam und nicht mehr weit vom Drachen

war, da wollte er sich erheben, aber er hob den ganzen

Stein mit sich in die Höhe. Da ließ der Drache vor

Wut eine zwölf Klafter lange Lohe aus seinem Rachen

gehen. Der Mann aber stieg vom Wagen und

hieb dem Drachen mit dem ersten Hiebe fünf Häupter

ab und mit dem zweiten eben so viele, und mit vier

Hieben hatte er ihm seine zwölf Häupter sämmtlich

abgehauen: da wars mit dem Drachen alle. Jetzt band

der Mann das Fräulein los und fuhr mit ihr heimwärts.

Während des Fahrens schlief er aber ein, denn er war

sehr müde geworden von der großen Arbeit. Als er

nun eingeschlafen war, da wollte ihn der Kutscher ermorden,

und als das Fräulein schreien wollte, drohte

er sie mit dem Säbel zu erstechen. Sodann nahm er

jenen Mann, warf ihn aus dem Wagen und grub ihn

ein. Dem Fräulein aber sagte er ›Schwörst du mir

nicht, daß ich dich erlöst habe, so ersteche ich dich

auch.‹ Da schwur sie ihm, daß er sie vom Drachen erlöst

und daß sie ihn zu heiraten habe.

Aber die drei Hunde legten sich auf den Grabhügel,

unter welchem der hörnene Mann begraben war. Da

kam ein Mensch mit einem Spaten; da gruben die

Hunde fort und fort mit den Pfoten in die Erde, und

als der Mensch das sah, fieng er auch an zu graben

und grub den hörnenen Mann aus, und wie er ihn ausgegraben

und ihn betrachtet hatte, fand er, daß er

schlafe. Da weckte er ihn und sprach zu ihm ›Warum

kriechst du lebend in die Erde?‹ Jener aber wuste jetzt

nicht, wo er war. Er gieng nun allein in die Stadt,

schrieb einen Brief, wickelte den Brief in ein

Schnupftuch des Fräuleins, band es einem der Hunde

um den Hals und sandte ihn zum Könige, wo bereits

die Hochzeit des Kutschers und des Fräuleins vor sich

gieng. Der Hund kam hin, näherte sich dem Fräulein

und legte seinen Kopf auf ihre Knie; da bemerkte sie,

daß das ihr Schnupftuch sei, und fand den Brief und

erfuhr so, daß jener Mann noch am Leben sei. Da

schrieb sie ihm auch einen Brief und band den Brief

in dasselbe Schnupftuch und sandte ihn durch denselben

Hund hin. Wie er sah, daß die Stadt jetzt mit

rotem Scharlach ausgeschlagen war, da sprach er wie-

der bei jenem Zöllner ein und fragte, weshalb die

Stadt so rot ausgeschlagen sei. Der sagte ihm ›Ein

Kutscher hat eben des Königs Tochter vom Drachen

befreit und da gibt sie ihm der König zur Frau.‹ Da

gieng er schnell zum Könige, und wie er hin kam,

machte er sich in die Nähe des Fräuleins und fragte

sie ›Wer von uns hat dich befreit, ich oder der Kutscher?‹

Sie erwiderte ›Du,‹ und erzählte ihm alles,

wie er eingeschlafen sei und wie sie dem Kutscher

habe schwören müßen. Jetzt sann sie nach, wie sie die

Sache klug angreifen könne und gieng hinein und

sprach zu allen Anwesenden ›Ich verlor einmal den

Schlüßel meines Schrankes und ließ mir einen neuen

machen, aber jetzt habe ich den alten Schlüßel wieder:

welcher Schlüßel wird nun der beßere sein, der

alte oder der neue?‹ Da sagten alle ›Der alte ist

beßer;‹ und so sagte auch der Kutscher. Da gieng sie

hinaus, führte den hörnenen Mann mit sich in die

Stube, wo alle Hochzeitsleute waren, und sagte ›Das

ist mein alter Schlüßel, den ich verloren hatte.‹ Da

sahen alle, was das für ein Schlüßel sei, aber der Kutscher

erschrak sehr. Da sagte sie ›Der hat mich befreit,

nicht du.‹ Und sie ergriffen den Kutscher und

ließen ihn umbringen.

Vom alten Schimmel, dem Wolfe und dem

Bären.

Es war einmal ein Mann, der hatte ein Pferd, und wie

das Pferd alt geworden war, da konnte er es nicht

mehr brauchen. Da ließ er ihm einen stählernen Hufbeschlag

machen, führte es in den Wald und ließ es

laufen: ›Jetzt suche dir selbst dein Futter!‹ Der

Schimmel gieng seines Weges und traf im Walde

einen Bären, der sagte zu ihm ›Na wie, Gevatter, bist

du noch stark?‹ Der antwortete ›O ja freilich.‹ Der

Bär sagte sodann ›Wenn ich einen Stein nehme und

drücke, da kommt immer der Saft heraus.‹ Aber der

Schimmel sagte ›Wenn ich mit meinen Zehen über

einen Stein streiche, da kommt immer das Feuer heraus.‹

Jetzt ward es dem Bären bange, denn er dachte,

jener sei doch stärker als er. Da lief er von ihm weg

und traf einen Wolf und sagte zu ihm ›Wie, Gevatter,

bist du noch stark?‹ Der Wolf antwortete ›O ja freilich.‹

Da sagte der Bär ›Ich bin stark, du bist stark,

aber dort auf jener Wiese ist einer, der ist stark! wenn

der mit seinen Zehen über einen Stein streicht, da

kommt das Feuer heraus.‹ Da wollte der Wolf den

doch auch sehen und der Bär führte ihn hin. Der

Schimmel weidete hinter einer Anhöhe auf einer

Wiese und der Bär konnte ihn sehen, der Wolf aber

nicht. Da hob der Bär den Wolf in die Höhe, damit

auch er den Starken sehen könne, und beim Heben

drückte er ihn so sehr, daß der Wolf das Gesicht verzog.

Da sagte der Bär ›O du Kröte! hast ihn noch

nicht gesehen und verziehst schon das Gesicht‹1, und

schleuderte ihn auf die Erde, daß er mitten enzwei

barst.

Fußnoten

1 fürchtest dich schon.

Vom Däumling.

Es waren einmal zwei Leute, ein Mann und eine Frau,

die hatten keine Kinder, waren aber reich. Mit der

Zeit bekamen sie einen Knaben, der war nur daumenslang.

Als eines Morgens seine Mutter dem Vater

das Frühstück bringen wollte, da bat er, sie solle es

ihn tragen laßen; aber die Mutter sagte ›Was wirst du

tragen, du kleiner Wicht!‹ Er ließ aber nicht nach, bis

sies ihn tragen ließ. Als er das Frühstück seinem

Vater hin getragen, bat er den Vater, er möge ihn

pflügen laßen; aber der Vater sagte ›Was wirst du

pflügen? laß bleiben!‹ Der Junge sagte ›Ich werde in

des Ochsen Ohr kriechen.‹ Und er kroch hinein und

pflügte. Da kam ein Herr gefahren, der sagte ›Aber,

Mensch, gehen denn deine Ochsen so ohne Pflüger?‹

Der Mann erwiderte ›Mein Sohn pflügt; er sitzt in

eines Ochsen Ohre.‹ Der Herr sagte ›Verkauf du mir

deinen Sohn!‹ Aber der Mensch wollte nicht. Da

sagte sein Sohn ›Aber, Väterchen, verkauf du mich

nur; bedeckt er mich mit Geld, so kann er mich nehmen.‹

Der Herr dachte ›Ich werfe einen Silbergroschen

auf ihn.‹ Aber er warf einen Sack voll Geld auf

ihn, der Bursche war immer oben auf; er warf einen

zweiten Sack voll auf ihn und er war noch oben auf,

bis er ihn endlich mit einem Thaler zudeckte. Da

nahm ihn der Herr mit sich nach Hause. Eines Abends

sagte der Junge zum Herren ›Ich will in den Stall

gehen und bei den Ochsen schlafen, damit sie niemand

stehle.‹ Und der Herr ließ ihn dahin. Er gieng in

den Stall und hockte sich in eines Ochsen Ohr. Die

Nacht kamen drei Diebe, um Ochsen zu stehlen; da

sagte er in dem Ohre sitzend ›Die da sind die besten

Ochsen; ich bin auch ein Dieb, wie ihr drei, laßt uns

Kameraden sein!‹ Wie sie nun aufs Feld heraus

kamen und die Ochsen schlachteten, sprachen sie

unter sich ›Wer von uns wird gehen die Därme ausspülen?‹

Da sagte der Junge ›Ich bin der Jüngste, ich

bin der Flinkste, ich will gehen.‹ Die Diebe meinten,

er sei wirklich auch ein Dieb, denn es war finster und

sie konnten nichts sehen, und sagten ›Gut, spüle du!‹

Er trug die Därme ans Waßer, und wie er spülte, fieng

er an fürchterlich zu schreien ›Ach, bester Herr, ich

hab nicht allein gestohlen; dort braten noch drei Männer

das Fleisch am Feuer.‹ Wie sie dies vernahmen,

fiengen sie sämmtlich an zu laufen; denn sie dachten,

der Besitzer habe den Burschen erwischt und prügle

ihn, und ließen das Fleisch auf dem Felde im Stiche.

Da lief der Junge nach Hause zu seinem Vater und erzählte

ihm die Sache. Schnell spannte der Vater die

Pferde an, fuhr hin und holte sich das Fleisch. Nun

hatte er seinen Sohn wieder und so viel Geld und

Fleisch noch dazu.

Vom Fuchse.

 

Es gieng einmal ein Mensch durch einen Wald und er

ward müde und legte sich nieder. Da kam ein Fuchs

herbei gelaufen und sprach ›Mensch, steh auf, jetzt

hätte dich der Wolf beinahe erwürgt.‹ Der Mensch

stand auf und schaute sich um: kein Wolf war da. Der

Fuchs aber sagte ›Mensch, was wirst du mir dafür

jetzt geben, daß ich dich vom Wolfe errettet habe?‹

Da dachte der Mensch darüber nach, was er ihm wol

geben könne, aber der Fuchs sagte sofort ›So gib mir

ein Paar Hünchen dafür, daß ich dich vom Wolfe errettet

habe.‹ Da geht der Mensch nach Hause, nimmt

einen Sack, steckt ein Paar bunte Hündchen hinein

und geht wieder in den Wald. Der Fuchs kam ihm der

Hünchen wegen schon entgegen gelaufen und sagte

›Weis her!‹ Jener macht den Sack auf und läßt die

Hunde heraus. Der Fuchs erschrak über die Hündchen

und lief nach seinem Loche, und die beiden Hündchen

setzten ihm nach. Als er aber im Loche war, neckte er

die Hündchen mit seinem Schwanze und sagte ›Ihr

Bunten, da habt ihr den Schwanz!‹ indem er dachte

›Die kriegen mich doch nicht.‹ Aber die Hündchen

faßten ihn am Schwanze, zogen ihn aus dem Baue

heraus und zerrißen ihn.

Vom Räuber.

Es war einmal ein Landwirt, der hatte eine Tochter.

Einmal war er mit seiner Frau auf einige Tage weggefahren

und hatte die Tochter allein gelaßen. Eines

Abends, während sie allein zu Hause war, kamen

zwölf Räuber, die gruben sich unter der Wand des

Hauses durch und krochen da hinein. So wie aber

einer hinein gekrochen war, hieb sie ihm mit dem

Beile den Kopf ab und zog ihn hinein; so that sie mit

dem andern und so mit allen eilfen. Und wie der

zwölfte hinein kroch, da merkte er, daß es da so naß

sei; da zog er sich zurück und sie konnte ihm nicht

den ganzen Kopf abhauen, sondern nur die Hälfte,

und er lief davon. Nach nicht langer Zeit kam er zu

dem Mädchen auf Brautschau, aber sie wollte ihn

durchaus nicht. Als jedoch ihre Eltern sie nötigten, da

muste sie ihn nehmen. Wie sie mit ihm fuhr, ließ er

sich von ihr den Kopf absuchen; da fand sie, daß das

nur ein halber Kopf war, aber sie dachte doch nicht

daran, daß es jener Räuber sei. Als er mit ihr nach

Hause gekommen war, da ließ er sie Waßer in den

Keßel tragen. Es war eine alte Frau im Hause, die

fragte sie ›Wozu hab ich denn so viel Waßer zu tragen?‹

Die Frau sagte zu ihr ›Das, scheint mir, wird

für dich sein.‹ Und sie sagte weiter zu ihr ›Ich will dir

sagen, was du thun must. Wenn du zum Teiche hin

kommst, da lege du einem Pfale deine Kleider an und

lauf dann weg.‹ So geschah es. Jetzt ward dem Räuber

die Zeit lang, weil sie so lange nicht wieder kam,

und er lief schnell hin, um zu sehen, was sie so lange

mache; und wie er nahe herbei gekommen war, da sah

er, daß es ein Pfal sei. Da merkte er, daß da List im

Spiele und daß die Frau entlaufen sei. Sogleich setzte

er mit andern Räubern ihr nach, sie fanden sie jedoch

nicht. Wie sie durch einen Wald lief und jene hinter

ihr, da erstieg sie einen Baum und einer der Räuber

stach mit einer langen Pike in die Höhe und traf sie

zufällig in den Fuß. Das Blut floß, aber es war schon

Abends und man konnte sie nicht sehen, und einer der

Räuber sagte ›Ach, das regnet schön!‹ Da sie sie nicht

fanden, giengen sie wieder nach Hause. Zu Hause sah

der Räuber beim Spahnlichte, daß er ganz voll Blut

war und sagte ›So war die Kröte doch da!‹ Tags darauf

giengen sie wieder aus, sie zu suchen. Das Mädchen

war aber noch immer im Walde. Da sah sie

einen Wagen voll Baumrinde fahren und bat den

Menschen, der beim Wagen war, er möge sie unter

die Rinde kriechen laßen und mitnehmen; und er gabs

zu. Da kamen die Räuber und fragten den Menschen,

ob er hier kein Mädchen habe gehen sehen. Er sagte

›Nein;‹ sie aber glaubten es nicht und begannen selbst

die Rinde vom Wagen zu werfen bis auf die letzte

Schicht, die sie liegen ließen, indem sie dachten, daß

sie da doch nicht sein werde. Darauf giengen die Räuber

nach Hause und das Mädchen auch. Nach nicht

langer Zeit kam aber der Räuber wieder zu dem Mädchen;

jetzt wusten aber alle, was er für einer sei, und

sie brachten ihn um.

Von der schönen Königstochter.

Es war einmal ein König, der hatte eine sehr schöne

Gemahlin, die hatte um die Stirne herum die Sterne,

oben auf dem Kopfe die Sonne und am Hinterhaupte

den Mond; aber sie starb bald. Es hatte aber der

König eine eben so schöne Tochter, wie seine Frau

war. Und der König reiste rings umher, eine andere

Frau zu suchen, aber er fand keine so schöne wie

seine erste Frau, und deshalb wollte er seine eigene

Tochter heiraten; die aber wollte ihn nicht. Nun konnte

sie ihn aber nicht bewegen von ihr zu laßen; da gab

sie ihm auf, er solle ihr kaufen einen Läusemantel

(einen Mantel mit Läusefellen gefüttert), ein silbernes

Kleid, einen demantnen Ring und goldne Schuhe.

Und der König gab ihr alle diese Dinge. Der König

hatte aber auch eine alte Ausgedingerin (Altsitzerin).

Abends vor der Hochzeit fragte die Königstochter die

Alte, was sie jezt thun solle. Die riet ihr alles zusammen

zu packen und das Weite zu suchen; und so

gieng sie denn Nachts von dannen. Des Morgens

suchte der König sein Mädchen, fand es aber nicht

und fragte sein ganzes Gesinde ›Sahet ihr nicht, sahet

ihr denn nicht meine Braut?‹ Aber niemand konnte

ihm Auskunft geben. Als aber in jener Nacht die Königstochter

weg gieng, kam sie zu einem Fluße, und

da sollte sie ins Schiff steigen; der Ferge aber wollte

sie nicht fahren und sagte ›Wenn du nicht versprichst

mich zu nehmen, so ertränke ich dich zur Stelle.‹

Aber sie wollte den auch nicht. Da warf er sie aus

dem Schiffe und sie sprang ans Ufer des Waßers. Sie

gieng nun weiter, ohne zu wißen wohin; da kam sie

zu Steinen1 und sagte ›Ach, lieber Gott, wenn sich

doch hier eine Stube aufthäte!‹ Da that sich auch

wirklich eine Stube auf; in die gieng sie hinein, und

alles war da so, wie sie sich es nur gewünscht hatte.

Früh gieng sie sodann wieder heraus, ließ aber in der

Stube ihre prächtigen Kleider, und alles war wieder

Stein wie vor dem. Dann gieng sie in ein Gehöfte und

verdang sich bei der Frau vom Hause als Aschenbrödel.

Da war auch ihr Bruder, denn er war auch von

seinem Vater weg gegangen und war auf dem Gehöfte

als Schreiber, und er hatte einen Bedienten, und wenn

er seinem Bedienten hieß, er solle ihm Waßer oder

seine Stiefel bringen, da lief immer Aschenbrödel und

brachte es ihm, und so oft sie es ihm brachte, warf er

es ihr jedes Mal nach den Fersen. Darauf bat sie ihre

Herrin, sie möge sie doch hier und da ein Mal nach

Hause gehen laßen; sie gieng aber nicht nach Hause,

sondern zu jenen Steinen, und wenn sie in die Nähe

der Steine kam, da thaten sich die Steine wieder auf

und es war wieder eine Stube, und sie zog dann stets

ihre prächtigen Kleider an, und es kam alle Mal eine

Kutsche gefahren, in die setzte sie sich und fuhr in die

Kirche. Der Schreiber aber war auch in der Kirche,

und er sah dort das wunderschöne Mädchen und kam

deshalb den zweiten Sonntag wieder in die Kirche,

und das Mädchen war auch wieder da. Aber ihre Herrin

hatte ihr gesagt, sie müße eher nach Hause kommen

als der Schreiber. Eines Tages jedoch verspätete

sie sich, und da sie nicht mehr Zeit hatte ihre prächtigen

Kleider abzulegen, zog sie zu Hause Alltagskleider

über jene prächtigen an. Da ließ sie der Schreiber

durch den Bedienten rufen: sie solle kommen und ihm

den Kopf absuchen2, aber sie wollte nicht und sagte

›Man hat meiner bisher noch nie bedurft, und man bedarf

meiner auch jezt nicht.‹ Als aber der Bediente

zum zweiten und dritten Male sie rief, da muste sie

doch gehen. Wie sie ihm nun den Kopf absuchte, da

durchsuchte er ihre Kleider und kam bis zu jenem

Mantel. Und als er den Kopf von ihren Knien erhob,

da riß er ihr das Kopftuch vom Kopfe und erkannte

sogleich in ihr seine Schwester. Darauf verließen

beide das Gehöfte, aber niemand wuste, wohin sie

giengen.

Fußnoten

1 Die Erzählerin nennt ›Steine‹ was wir ›Felsen‹ nennen

würden. Eigentliche Felsen sind in Litauen nicht

vorhanden, wol aber gibt es große Massen erratischer

Blöcke, und diese hat wol die Erzählerin vor Augen.

2 Diese Liebeserweisung ist in den litauischen Märchen

die gewönliche Einleitung von Erkennungsscenen.

Vom trägen Mädchen.

Eine Frau hatte eine sehr faule Tochter, die zu keiner

Arbeit Lust hatte; da führte sie sie auf einen Kreuzweg

und auf dem Kreuzwege prügelte sie sie durch.

Da fuhr ein Herr des Weges daher, und das war ein

Edelmann, und er fragte, weshalb sie das Mädchen so

prügele. Sie sagte ›Herrchen, sie ist eine solche Arbeiterin,

ja sie kann uns das Moos von der Wand ab

spinnen.‹ Da sagte der Herr ›Ei da gib sie nur mir, ich

habe zu Hause genug zu spinnen.‹ Da sagte die Frau

›Nehmt sie nur mit, nehmt sie nur mit, ich will sie

nicht mehr.‹ Wie nun der Herr mit ihr nach Hause

kam, da stopfte er ihr den ersten Abend ein ganzes

Faß voll Werg1 und führte sie in eine Stube allein.

Jetzt ward es ihr angst: ›Spinnen mag ich nicht und

kann ich nicht.‹ Da kommen des Abends drei Laumes

daher und klopfen ans Fenster und das Mädchen ließ

sie schnell ein. Die Laumes sagten ›Wirst du uns auf

deine Hochzeit laden, so wollen wir dir heute Abend

spinnen helfen.‹ Schnell erwiderte sie ›Spinnt nur,

spinnt, ich werde euch laden.‹ Da spinnen denn die

Laumes den ersten Abend das ganze Faß leer: das

faule Mädchen schlief stets, die Laumes spannen. Am

Morgen kam der Herr nachsehen: das Mädchen das

schlief und die ganze Wand des Zimmers hieng voll

Gespinnst. Da ließ der Herr niemanden in das Zimmer

des Mädchens, damit sie recht ausschlafen könne

nach so großer Arbeit. Und den anderen Tag stopfte

er ihr ein eben so großes Faß voll Flachs. Die Laumes

erschienen wieder und es begab sich wie am ersten

Abende. Da hatte der Herr nichts mehr zu spinnen

und er sprach ›Jetzt will ich dich heiraten, da du eine

so vortreffliche Arbeiterin bist.‹ Den Tag vor der

Hochzeit sagte das Mädchen zum Herrn ›Ich muß

noch gehen meine drei Tanten einladen.‹ Und der Herr

ließ sie gehen. Als sie nun kamen und sich hinter den

Ofen setzten, da kam der Herr um sie an zu sehen und

als er sie sah in ihrer Häßlichkeit, da sagte er zu seinem

Mädchen ›Aber deine Tanten sind sehr unschön.‹

Und die eine Laume fragte er, weshalb sie solch lange

Nase habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen, das

ist von dem starken Spinnen; wenn man immer spinnt

und der Kopf so nickt, da dehnt sich die Nase so stark

in die Länge.‹ Da fragte er die andere, weshalb sie so

dicke Lippen habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen,

das ist von dem starken Spinnen; wenn man

immer spinnt und immer nezt, da werden die Lippen

so dick.‹ Da fragte er die dritte, weshalb sie einen so

ungefügen Steiß habe. Sie erwiderte dem Herrn ›Herrchen,

das ist von dem starken Spinnen; wenn man

immer spinnt und immer sitzt, da wird der Steiß so

ungefüge.‹ Da überkam ihn die Angst, seine Gemah-

lin könne vom Spinnen eben so häßlich werden, und