Gespensterbuch, Erstes Bändchen

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Wilhelm war nicht aufgelegt zum rathen und noch weniger Besuch zu sehn, denn der liebste war ihm heut ein unwillkommner Störer. Er wies Käthchen's Freude mit Unmuth zurück, und sann auf einen Vorwand umzukehren, da öffnete sich die Thür des Hauses und der Mond beleuchtete einen ehrwürdigen Greis in Jägerkleidung, der heraustretend die Arme gegen Wilhelm ausbreitete.

»Wilhelm!« rief ihm eine bekannte freundliche Stimme zu, und Wilhelm fühlte sich von den Armen seines Oheims umfangen.

Die ganze Zaubergewalt schöner Erinnerungen von kindlicher Liebe, Freude und Dankbarkeit drang mächtig auf Wilhelm ein, und vergessen war das nächtliche Vorhaben, als mitten im frohen Gespräch die Mitternachtsstunde schlug und Wilhelmen schauerlich an das Versäumte erinnerte.

Noch Eine Nacht nur ist mir übrig – dacht' er – morgen oder nie! – Die heftige Bewegung in seinem Innern entging selbst dem Greise nicht, aber gutmüthig suchte er den Grund in Wilhelms Ermüdung, und entschuldigte sich des langen Gesprächs wegen mit seiner Abreise, die er nicht länger als bis morgen früh verschieben könne. Laß dich das Stündchen heut nicht reuen – sagte er beim Auseinandergehn zu Wilhelm – du schläfst vielleicht nun um so sanfter.

Für Wilhelm hatten diese Worte einen tieferen Sinn. Er ahndete dunkel, daß die Ausführung seines Vorhabens die Ruhe des Schlafe von ihm scheuchen könnte.

10.

Der dritte Abend kam. Was gethan werden sollte, mußte heut geschehn, denn auf morgen war die Probe angesetzt. Den ganzen Tag hatte Mutter Anne mit Käthchen im Hause herumgeschäftert, um den vornehmen Gast anständig zu empfangen. Am Abend war alles auf das Beste geschmückt. Mutter Anne umarmte Wilhelmen, als er von der Jagd zurückkehrte, und begrüßte ihn zum erstenmale mit dem liebevollen Sohnesnamen. In Käthchens Augen glühte die zarte Sehnsucht einer jungen liebeglühenden Braut. Der Tisch war festlich mit deutungsvollen Blumen geschmückt, und reicher als sonst mit Wilhelms Lieblingsspeisen von der Mutter, und mit lange gesparten Flaschen von dem Vater besetzt. Heute ist unser Fest; sagte der alte Förster, indem er in seinem Bräutigamsschlafrock hereintrat, morgen sind wir nicht allein und können nicht so traulich und herzlich bei einander sitzen, drum laßt uns froh seyn, als wollten wir heute für das ganze Leben uns freuen.

Er umarmte Alle, und war bewegt, daß ihm die Stimme versagte. Nun, Väterchen – sagte die Försterin mit bedeutendem Lächeln – ich denke doch, die jungen Leute werden morgen noch froher seyn, wie heute, verstehst du mich?

Ich versteh dich wohl, Mutter – erwiderte der Förster – mögen's denn die Kinder auch verstehn, und sich voraus freuen. Kinder, der Pfarrer ist auf morgen mit eingeladen, und wenn der Wilhelm gut geschossen hat ...

Ein Geprassel und ein lauter Schrei von Käthchen unterbrach hier den Förster. Kuno's Bild fiel wieder von der Wand und die Ecke des Rahmens verwundete Käthchen an der Stirn. Der Nagel schien zu locker in der Wand gestanden zu haben, denn er fiel mit der Kalkbekleidung nach.

Ich weiß auch nicht – sagte der Förster verdrüßlich – warum das Bild nicht ordentlich aufgehängt wird, das ist nun das zweitemal, daß es uns erschreckt. Hast du Schmerz, Käthchen?

Es ist unbedeutend – versetzte sie freundlich und wischte das Blut aus den Locken – ich bin nur sehr erschrocken.

Wilhelm war fürchterlich bewegt, als er Käthchens todtenbleiches Gesicht und das Blut an ihrer Stirn sah. So hatte sie seine Phantasie in jener entsetzlichen Nacht ihm gezeigt, und alle diese Bilder wurden jetzt aufgeregt und folterten ihn von neuem. Sein Vorsatz diese Nacht das zweideutige Werk zu beginnen, war heftig erschüttert, aber der Wein, den er, um seine innre Qual zu verbergen, schneller und häufiger als gewöhnlich trank, erfüllte ihn mit einem wilden Muth, er beschloß von neuen, kühn das Wagstück zu unternehmen, und sah in seinem Vorhaben nichts als den schönen Kampf der Liebe und des Muthes mit der Gefahr.

Die Glocke schlug jetzt Neun. Wilhelmen pochte das Herz gewaltig. Er suchte einen Vorwand sich zu entfernen; vergebens, wie konnte der Bräutigam am Hochzeitvorabend die Braut verlassen? Die Zeit flog ihm pfeilschnell vorüber, er litt namenlose Qualen in den Armen der belohnenden Liebe. Zehn Uhr war nun vorüber, der entscheidende Augenblick war gekommen. Ohne Abschied schlich Wilhelm sich von der Seite der Braut; schon war er mit seinen Werkzeugen vor dem Hause, da kam die Mutter ihm nach. Wohin, Wilhelm? fragte sie ängstlich. Ich habe ein Wild angeschossen, und es im Taumel vergessen, war die Antwort. Vergebens bat sie, vergebens schmeichelte ihm Käthchen, die in seiner verstörten Eile etwas ahndete, was ihr unerklärlich schien. Wilhelm drängte beide zurück und eilte in den Wald.

11.

Der Mond war im Abnehmen und stieg dunkelroth am Horizont herauf. Graue Wolken flogen vorüber und verdunkelten zuweilen die Gegend, die bald darauf sich wieder plötzlich vom Mondstrahl aufhellte. Die Birken und Aspen standen wie Gespenster im Wald und die Silberpappel schien Wilhelmen wie eine weiße Schattengestalt zurück zu winken. Er schauderte und die wunderähnliche Störung seines Vorhabens in den letztvergangenen Nächten, das bedeutende, wiederholte Fallen des Bildes schien ihm die letzte Abmahnung seines weichenden Schutzgeistes von einer bösen That zu seyn.

Noch einmal schwankt' er im Vorsatz. Schon wollt' er umkehren, da war es, als flüsterte ihm eine Stimme zu: Thor! hast du nicht schon den Zauber gebraucht, scheuest du nur die Mühe des Erwerbs? – Er stand, der Mond trat glänzend aus der dunklen Wolke und beleuchtete das friedliche Dach der Försterwohnung. Wilhelm sah Käthchens Fenster im Silberglanz flimmern, er breitete seine Arme aus und schritt bewußtlos nach der Heimath zurück; da flüsterte die Stimme von neuem, ein heftiger Windstoß brachte den Schlag des zweiten Stundenviertels. Fort, zur That! rief es um ihn: Zur That, wiederholte er laut, feig ist es und kindisch auf halbem Wege umzukehren, thöricht das Große aufzugeben, wenn man um kleineres schon vielleicht – sein Heil gewagt hat. Ich will vollenden.

Er schritt mit großen Schritten vorwärts, der Wind jagte die zerrissenen Wolken wieder vor den Mond, und Wilhelm trat in die dichte Finsternis des Waldes.

Jetzt stand er auf dem Kreuzweg. Der Zauberkreis war gezogen, die Schädel und Todtenbeine rings umher gelegt. Der Mond hüllte sich immer dichter in das Gewölk, und ließ die düstern Kohlen, von abwechselnden Windstößen aufgeblasen, allein die nächtliche That mit einem trüben röthlichen Scheine beleuchten. In der Ferne schlug eine Thurmuhr das dritte Stundenviertel an; Wilhelm legte die Gießkelle auf die Kohlen, und warf das Blei hinein, nebst drei Kugeln, die schon früher einmal getroffen hatten, denn von diesem Gebrauch der Freischützen erinnerte er sich in seiner Lehrzeit gehört zu haben. Im Walde fing es nun an sich zu regen. Zuweilen flatterten Eulen, Fledermäuse, und andres lichtscheues Nachtgeflügel vom Schein geblendet, auf. Sie fielen von ihren Zweigen und setzten sich um den Zauberkreis, wo sie dumpf krächzend mit den Todtenschädeln unverständliche Gespräche zu halten schienen. Ihre Zahl vermehrte sich, und unter ihnen huschten neblichte Gestalten, wie Wolken hin, bald thierähnlich, bald menschlicher gebildet. Der Windstoß spielte mit ihren trüben Dunstkörpern, wie mit abendlichem Thaugewölk, nur Eine stand schattenähnlich, aber unverändert unfern dem Kreis und blickte starr und wehmüthig auf Wilhelm. Zuweilen hob sie die blassen Hände klagend empor, und schien zu seufzen. Die Kohlen brannten düstrer, wenn sie die Hände erhob, aber eine graue Eule schwang die Flügel und fachte die verlöschenden an. Wilhelm wandte sich ab, denn das Angesicht seiner todten Mutter schien aus der düstern Gestalt mit klagender Wehmuth ihn anzublicken.

Da schlug die Glocke Eilf. Die weisse Gestalt verschwand seufzend. Die Eulen und Nachtraben flatterten krächzend auf, die Schädel und Todtenbeine rasselten unter ihren Flügeln. Wilhelm kniete an seinem Kohlenheerd, er goß, und mit dem letzten Glockenschlag fiel die erste Kugel aus der Form.

12.

Die Eulen und Todtenbeine ruhten. Aber auf dem Wege kam ein altes, gebücktes Mütterchen auf den Zauberkreis los. Sie war ringsum mit hölzernen Löffeln, Rührkellen und anderm Küchengeräth behangen, und machte ein fürchterliches Geklapper, die Eulen krächzten ihr entgegen und streichelten sie mit ihren Flügeln. Am Kreise bückte sie sich nach den Knochen und Schädeln, aber die Kohlen sprühten nach ihr und sie zog die dürren Hände zurück. Da ging sie um den Kreis und hielt Wilhelmen grinsend ihre Waare entgegen. Gieb mir die Knöchelchen – gurgelte sie ihm zu – ich geb dir ein Löffelchen, gieb mir die Schädel, was soll dir der Bettel? Kann dir nichts frommen, wirst nicht entkommen, mußt mit, zum Hochzeitreihn, lieb Bräutgam mein.

Wilhelm schauderte, doch blieb er still und eilte mit seiner Arbeit. Das alte Weib war ihm nicht unbekannt. Eine wahnsinnige Bettlerin war sonst öfters in diesem Aufzuge in der Nachbarschaft umhergegangen, bis sie endlich im Irrenhause eine Versorgung gefunden hatte. Er wußte nicht, war es Wirklichkeit oder ein Trugbild, was sich ihm darstellte. Nach einer Weile warf die Alte zornig ihren Vorrath ab, und mit den Worten: Nimm das zur Polternacht, das Brautbett ist gemacht, morgen, wenn Abend graut, bist du mir angetraut, komm bald, feins Liebchen! trippelte sie langsam in den Wald.

Plötzlich rasselte es, wie Räder und Peitschengeknall. Ein Wagen kam mit einem Sechsgespann und Vorreitern. Was soll das hier auf der Straße? rief der vorderste; Platz da! Wilhelm blickte auf, dem Hufschlag der Pferde entsprangen Funken, und um die Wagenräder leuchtete es wie phosphorischer Schein. Wilhelm ahndete ein Zauberwerk und blieb ruhig. Hinan, hinan, hinüber, darüber, im tollen Lauf hinan, hinauf! rief der Vorreiter zurück, und im Augenblick stürmte die ganze Schaar auf den Kreis los. Wilhelm stürzte zu Boden, als die Pferde hoch über seinem Kopf bäumten, aber die lustige Reiterei sauste mit dem Wagen in die Luft, drehte sich einigemal über den Zauberkreis und verschwand in einem Sturm, der die Wipfel zerriß und die Zweige weit umher streute.

 

Es verging einige Zeit, eh sich Wilhelm vom Schreck erholte. Er zwang seine zitternden Hände fest zu halten und goß ungestört einige Kugeln. Da schlug die ferne, ihm wohlbekannte Thurmglocke. Tröstend, wie eine freundliche Stimme schallte ihm der Klang aus der Menschenwelt in den furchtbaren abgesonderten Kreis herüber, aber die Glocke schlug zweimal, dreimal. Er schauderte über den blitzschnellen Verlauf der Zeit, denn noch war nicht der dritte Theil seiner Arbeit vollendet – Sie schlug zum viertenmal. Wilhelms Kraft war vernichtet, jedes Glied schien gelähmt und die Gießform entsank seiner bebenden Hand. Er horchte mit verzweifelnder Resignation auf den Schlag der vollen Stunde, der Klang säumte, zögerte, blieb aus. Ein Spiel mit dem Schall der ernsten Mitternachtstunde schien selbst den furchtbaren Mächten der Tiefe zu gewagt. Voll froher Ahnung ergriff Wilhelm seine Uhr, sie zeigte das zweite Viertel der Stunde. Er blickte dankbar zum Himmel, und eine fromme Empfindung mäßigte seinen Jubel, der gegen die Gesetze der dunkeln Welt eben in einem lauten Ausruf sich Luft machen wollte.

Gefahr und gestärkt gegen neue Täuschung ging er muthig wieder an sein Werk. Tiefe Stille war rings um ihn, nur die Eulen schnarchten und stießen zu Zeiten die Schädel gegen die Todtenknochen. Auf einmal knisterten die Büsche. Der Ton war dem kundigen Jäger nicht fremd, er blickte hin, und, wie er vermuthete, eine wilde Bache brach durch das Gebüsch und rannte auf den Kreis los. Wilhelm ahndete hier keine Täuschung, er sprang auf, faßte sein Gewehr und drückte es schnell auf das wilde Thier los, aber kein Funken sprang aus dem Stein, er zog den Hirschfänger, aber das borstige Unthier fuhr, wie zuvor Wagen und Pferde, über ihn in die Luft und verschwand.

13.

Der geängstete Wilhelm eilte, die verlorne Zeit einzubringen. Sechzig Kugeln waren gegossen, er blickte froh empor, die Wolken öffneten sich und der Mond warf seine hellen Strahlen wieder auf die Gegend. Da rief eine ängstliche Stimme im Walde: Wilhelm! Wilhelm! es war Käthchens Stimme. Wilhelm sah sie aus dem Gebüsch treten und furchtsam umherblicken. Hinter ihr keuchte das alte Weib und streckte die dürren Arme spinnenartig nach der Fliehenden, deren flatterndes Gewand sie zu erhaschen suchte. Käthchen sammelte die letzten ermattenden Kräfte zur Flucht, da trat ihr der Stelzfuß in den Weg, sie stockte einen Augenblick im Lauf, und jetzt faßte sie die Alte mit den entfleischten Knochenhänden. Wilhelm hielt sich nicht länger, er warf die Form mit der letzten Kugel aus der Hand, und eben wollt' er den Zauberkreis überspringen, da schlug die Glocke Mitternacht, das Zauberbild war verschwunden, die Eulen warfen flatternd Knochen und Schädel unter einander und flogen davon, die Kohlen verloschen, und Wilhelm sank erschöpft zu Boden.

Jetzt kam auf schwarzem Roß langsam ein Reiter heran. Er hielt vor dem zerstörten Zauberkreise. Du hast deine Probe gut bestanden, sprach er, was begehrst du von mir?

Nichts von dir – antwortete Wilhelm – was ich brauche, hab' ich mir selbst bereitet.

Mit meiner Hülfe – fuhr der Fremde fort – darum gehört mir mein Theil.

Mit nichten – rief Wilhelm – ich habe dich weder gedungen noch dir gerufen.

Der Reiter lächelte höhnisch. Du bist kühner – sprach er – als deines gleichen sonst zu seyn pflegen. Nimm die Kugeln, die du bereitet hast. Sechzig für dich, drey für mich; jene treffen, diese äffen, auf Wiedersehn, dann wirst du's verstehn.

Wilhelm wandte sich ab. Ich will dich nicht wiedersehn – rief er – verlaß mich!

Warum wendest du dich von mir? – fragte der Fremde mit furchtbarem Lächeln – kennst du mich? Nein, nein! – schrie Wilhelm schaudernd – ich will dich nicht kennen, ich weiß nichts von dir! Wer du seyn magst, verlaß mich!

Der schwarze Reiter wendete sein Roß. Dein aufsteigendes Haupthaar – sagte er mit dumpfem Ernst – gesteht, daß du mich kennst. Ich bin der, den mit Schauder im Geist du sträubend nennst.

Mit diesen Worten verschwand er, und die Bäume, unter welchen er gehalten hatte, senkten verdorrte Aeste zum Boden.

14.

Barmherziger Gott, Wilhelm, was ist dir geschehen? riefen Käthchen und Mutter Anne, als Wilhelm nach Mitternacht bleich und verstört nach Haus kam – du siehst, wie aus dem Grabe gestiegen.

Es ist von der Nachtluft – antwortete Wilhelm – mir ist in der That etwas fieberhaft.

Wilhelm – sagte der Förster, der eben hinzu trat – dir ist etwas im Walde begegnet. Warum ließest du dich nicht halten? Mir machst du keinen blauen Dunst.

Wilhelm war über den Ernst des Vaters betroffen. Nun ja – erwiderte er – mir ist wirklich etwas begegnet. Aber geduldet euch neun Tage. Früher, wißt ihr selbst...

Gern, lieber Sohn, gern! – fiel der Alte ein – Gottlob, wenn es etwas ist, was neun Tage geheim bleiben muß. Laß ihn ruhig, Mutter, stör' ihn nicht, Käthchen! Ich hatte beinah dir Unrecht gethan, guter Wilhelm! Nun geh', erhole dich, die Nacht, sagt das Sprichwort, ist keines Menschen Freund, aber fasse nur Muth, wer in seinem Beruf ist und auf guten Wegen geht, dem schadet auch der Nachtspuk nicht.

Wilhelm hatte alle Verstellungskunst nöthig, um nicht zu verrathen, wie sehr des Alten Ahnung mit der Wahrheit übereinkam. Die schonende Liebe des Vaters, sein unerschüttertes Vertraun, wo Alles auf schwere Verschuldung deutete, zerriß sein Herz. Er eilte auf sein Zimmer, entschlossen das Zauberwerk zu vernichten. Nur Eine Kugel – nur Eine will ich brauchen – rief er weinend mit gefalteten Händen zum Himmel – O die Absicht darf doch einmal das zweideutige Mittel entsündigen. Mit tausend Büßungen will ich's ja gern versöhnen, wenn etwas sündiges an meiner That ist! Kann ich denn jetzt noch zurück, ohne mein ganzes Glück, meine Ehre, meine Liebe zu zerstören?

Sein Vorsatz stillte die Unruh in seiner Brust, und er sah am Morgen der Sonne ruhiger entgegen, als er gehofft hatte.

15.

Der fürstliche Kommissarius kam, und verlangte vor der ernsthaften Probe eine kleine Jagdparthie mit dem jungen Förster zu machen. Denn – sagte er – es ist ganz gut, daß wir die alte Solennität beibehalten, aber die Kunst des Jägers zeigt sich draußen im Wald am besten. Frisch auf, Herr Expektant, in den Wald!

Wilhelm erblaßte und wollte Entschuldigungen vorbringen, und als diese bei dem Landjägermeister nichts fruchteten, bat er, seinen Probeschuß wenigstens zuvor thun zu dürfen. Der alte Förster schüttelte bedenklich den Kopf. Wilhelm, Wilhelm, – sagte er, mit bebender, tiefer Stimme – hätte ich gestern doch richtig geahndet? Vater! – rief dieser, und Verzweiflung erstickte seine Stimme. Er entfernte sich schnell, und in wenig Augenblicken war er zur Jagd fertig bei dem Vater und folgte dem Jägermeister in den Wald.

Der alte Förster suchte seine Ahndungen zu unterdrücken, doch bemühte er sich vergebens um eine frohe Miene. Auch Käthchen war niedergeschlagen, und ging, wie träumend im Haus umher. Sie fragte den Vater, ob es nicht möglich sei, die Probe aufzuschieben? Ich wollt' es auch, sagte dieser, und umarmte sie schweigend.

Jetzt kam der Pfarrer glückwünschend, und erinnerte die Braut an den Kranz. Mutter Anne hatte ihn verschlossen, und in der Eil' beschädigte sie aufschließend das Schloß. Ein Kind wurde geschwind zu einer Kranzhändlerin geschickt, um einen andern Kranz für die Braut zu holen. Laß dir den schönsten geben, rief Mutter Anne dem Kinde nach, aber dieses griff in der Unwissenheit nach dem glänzenden, und die mißverstehende Verkäuferin gab ihm einen Todtenkranz für eine Braut, von Myrte und Rosmarin mit Silber durchwunden. Mutter und Braut erkannten das Deutungsvolle des Zufalls; jede schauderte, und beide suchten, sich umarmend, ihr Grauen in ein Lächeln über den Mißgriff des Kindes umzuwandeln. Das Schloß wurde noch einmal versucht, es öffnete sich leicht, die Kränze wurden gewechselt, und der Brautkranz in Käthchens Locken gewunden.

16.

Die Jäger kamen zurück. Der Kommissar war unerschöpflich in Wilhelms Lobe. Es dünkt mich fast lächerlich – sprach er – nach solchen Proben noch einen Probeschuß zu verlangen. Doch, dem alten Recht zu Ehren, müssen wir schon einmal etwas unnöthiges thun, und so wollen wir denn die Sache so kurz als möglich abthun. Dort auf dem Pfeiler sitzt eine Taube, schießen Sie die herunter.

Um Gottes willen – schrie Käthchen herzueilend – Wilhelm, schieß nicht danach. Ach mich träumte diese Nacht, ich war eine weisse Taube, und die Mutter band mir einen Ring um den Hals, da kamst du, und die Mutter ward voll Blut.

Wilhelm zog das schon angelegte Gewehr zurück, aber der Jägermeister lächelte. Ei, ei! – sagte er – so furchtsam? Das schickt sich nicht für ein Jägermädchen. Muth, Muth, Bräutchen! oder ist das Täubchen vielleicht ihr Favoritchen?

Nein – erwiderte sie – mir ist nur so bang.

Nun dann – rief der Kommissar – Courage, Herr Förster, schießen Sie!

Der Schuß fiel, und in demselben Augenblick stürzte Käthchen mit einem lauten Schrei zu Boden.

Wunderliches Mädchen! – rief der Landjägermeister – und hob Käthchen auf, aber ein Strom Blut quoll über ihr Gesicht, die Stirn war ihr zerschmettert, eine Büchsenkugel lag in der Wunde.

Was ist? – rief Wilhelm – als lautes Geschrei hinter ihm ertönte. Beim Zurückblicken sah er Käthchen todtenbleich in ihrem Blut. Neben ihr stand der Stelzfuß und mit höllischem Hohnlachen grinsete er: Sechzig treffen, drei äffen.

Wilhelm riß wüthend seinen Hirschfänger aus der Scheide, und hieb nach dem Verhaßten. Verfluchter – schrie er verzweifelnd – so hast du mich getäuscht? Mehr konnte er nicht sprechen, denn er sank besinnungslos neben der blutenden Braut zu Boden.

Der Kommissar und der Pfarrer suchten vergebens den verwaisten Aeltern Trost zuzusprechen. Mutter Anne hatte kaum der bräutlichen Leiche den prophetischen Todtenkranz auf die Brust gelegt, als sie den tiefen Schmerz in der letzten Thräne ausweinte. Der einsame Vater folgte ihr bald. Wilhelm beschloß sein Leben im Irrenhause.

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