Der Koch, der drei Mal lebte

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Beide Helfer arbeiten unter Hochdruck. José ist damit beschäftigt, ausgelöstes Kaninchenfleisch in Kalbsnierenfett zu schmoren, das sich zum Braten vorzüglich eignet, da es hohe Temperaturen aushält, ohne zu verbrennen. Währenddessen schält Eusebio Birnen, schneidet sie in Spalten, bestreut sie mit Zucker und Zimt und brät sie anschließend in Schmalz. Den Teig aus fein gemahlenem Weizen, Milch und Eiern rührt Adrian lieber selbst an. Nur wenn er die richtige Konsistenz hat, können dünne Fladen daraus gebacken werden, die als Unterlage für die Kaninchenstücke dienen. Er verteilt die gebratenen Birnen darüber, gibt Pfeffer, Salz, Ingwerpulver hinzu und schlägt die Masse ein. In einer tiefen Schale warten die gefüllten Pfannkuchen darauf, kurz vor dem Auftragen mit der Sauce übergossen zu werden, die José gerade zubereitet, indem er dem Schmorfond ein Gemisch aus Wein und Honig hinzufügt, dann mit Anis, Amaranth und Pfeffer würzt.

Adrian prüft den Garzustand der Wachteln, die vor einer Viertelstunde in die richtige Distanz über das Feuer gesenkt wurden und nickt zufrieden. Sie haben eine schöne braune Farbe angenommen und die Haut ist knusprig. Während Eusebio sie vom Spieß löst und tranchiert, brät er die Lebern im aufgefangenen Fett scharf an. Er löscht mit Rotwein ab, gibt die Mägen und Herzen hinzu, außerdem eingeweichte Rosinen, Kerbel und Petersilie. Ein paar Minuten auf dem Feuer genügen, damit sich die Aromen durchmischen und den Wachteln zur Vollendung verhelfen.

Jetzt muss es schnell gehen, denn das Auftragen steht kurz bevor. Adrian gibt Anweisung, das Brot in dicke Scheiben zu schneiden, es dient als Unterlage für die Speisen. Nur selten hat die Herrin eine angerührt, und so werden sie, vollgesaugt mit Bratensaft und Sauce, später verteilt; ein begehrter Leckerbissen für eine Schar von Bettlern, die sich täglich vor dem Tor einfindet. Zuweilen übernimmt Adrian diese Aufgabe selbst, da ihm besonders die Kinder am Herzen liegen. Sind diese nämlich krank und schwach, sodass man mit ihrem baldigen Tod rechnen muss, bekommen sie nur das, was übrig bleibt. Erst gestern sorgte er dafür, dass auch ein kleines mageres Mädchen, dessen Wangen vor Fieber glühten, seinen gerechten Anteil erhielt. Zum Dank nahm es mit matter Geste seine Hand und hauchte einen Kuss darauf.

Keine Diener, sondern sieben Adlige, Angehörige des Hofes, stehen schon in einer Reihe bereit, um die Schüsseln und Platten in Empfang zu nehmen. Sie sind ganz in Schwarz gekleidet, lediglich die Wämser haben schmale Verzierungen aus weißen Spitzen. Wie Raben sehen sie aus, denkt Adrian, genau so freudlos und dunkel wie die ganze Umgebung. Was für ein Unterschied zu Brüssel, wo selbst die Gewänder der Lakaien in leuchtenden Farben prangten. Grau und braun trägt hier die Dienerschaft, schwarz mit ein wenig Weiß alle Höhergestellten. Keiner wagt es, sich den Anordnungen der Majestät zu widersetzen, die selbst ausschließlich schwarz gekleidet ist.

In feierlichem Gänsemarsch und gemessenen Schrittes setzt sich der kleine Zug in Bewegung. Jeder trägt eine Platte. Der erste jene mit den Wachteln, es folgen das Schildkröten-ragoût, der Aal in seiner Sauce, das Kaninchen im Pfannkuchen, die Schildkrötensuppe und danach die beiden Süßspeisen. Adrian schließt sich dem Zug als Letzter an. Er wird sich nur verbeugen und der Hoffnung Ausdruck verleihen, dass alles zur Zufriedenheit sei, während die anderen ausgewählte Bissen vorlegen – falls sie nicht sofort wieder hinausgescheucht werden, was durchaus nicht selten geschieht.

Immerhin ist der Tisch aufgeschlagen, bemerkt er, als die Prozession das Gemach der Herrin erreicht. So können die Schalen im Halbkreis aufgestellt werden. Das ist nicht immer der Fall, denn oft zieht sie es vor, auf dem Boden sitzend, mit den Fingern zu essen. Ihr, die einst den größten Wert auf gute Manieren legte, die ihren Gästen sogar Tücher bereitlegen ließ, damit sie sich nicht die Hände an der Tischdecke abwischten, sind die Tischsitten nun genauso gleichgültig wie ihr Äußeres. Nur für den Besuch des Gatten nach dem Essen, wenn es dunkel ist, wird sie sich ankleiden, da kann ihr keine Robe kostbar genug sein.

Ja, sie könnte schön sein, denkt Adrian, auch jetzt noch, wenn der kleine volle Mund sich nicht nach unten zöge, das goldene Haar gewaschen und frisiert, die großen Augen nicht in Schwermut verhangen, der trotz der vielen Schwangerschaften grazile Körper nicht zusammengesunken wäre. Was für eine Verschwendung von Leben und Anmut! Wie so oft überkommt ihn Mitleid, aber auch dies ist Verschwendung, denn die Frau vor seinen Augen lebt in einer anderen Welt.

Die Fenster des gewölbten Raumes, gleichzeitig Wohn-, Ess- und Schlafzimmer, obwohl weitere Aufenthaltsmöglichkeiten zur Verfügung stünden, sind mit schwarzen Schleiern verhängt. Das dämmrige Zwielicht wird lediglich von zwei dicken Kerzen auf prachtvollen, schimmernden Ständern aus vergoldetem, massivem Silber aufgehellt. Die Wände sind mit Tapisserien bedeckt, deren Motive man nur erahnen kann, der Boden mit türkischen Teppichen ausgelegt. Über einem ausladenden Büffet aus Ebenholz hängt ein großer, ebenfalls verhängter Spiegel mit kostbarem Schildpattrahmen. Ein gewaltiges Bett mit rotem Samtbaldachin und ebensolchen Vorhängen, die von grün-goldenen Brokatbändern eingefasst sind, nimmt den ganzen hinteren Teil des Raumes ein. Gleich daneben steht ein schlichtes Betpult mit einer Kerze darauf, dahinter hängt ein Gemälde mit der Kreuzigung Christi. Hier verbringt Juana, die Königin, einen großen Teil ihrer Tage im Gebet versunken. Das wird zumindest erzählt. Adrian indes teilt diese Meinung nicht. Von übergroßer Religiosität konnte in Burgund niemals die Rede sein. Ja, oftmals hörte er hinter vorgehaltener Hand tuscheln, ihr Glaube ließe zu wünschen übrig, da sie nur unregelmäßig am Gottesdienst teilnähme und selbst der Beichtvater nicht immer willkommen sei. Ihm kommt es eher so vor, als wolle sie den Eindruck von Frömmigkeit vermitteln, während sie ihren Hirngespinsten nachhängt.

Jetzt sitzt sie in einem üppig geschnitzten, ledergepolsterten Armsessel und hat das Kinn in die Hände gestützt. Sie hebt den Blick nur wenig, als die Speisen aufgetragen werden, und schiebt die Bissen mit den Fingern hin und her. Ihr leerer Blick verrät, dass sie kaum wahrnimmt, was auf den Schalen liegt. Aber einmal, ein einziges Mal weist sie auf das Aprikosenmus zum Zeichen, dass man es ihr nochmals vorlege. Adrian, der ganz im Hintergrund steht, wie es sich für einen Koch gehört, um Lob oder Schelte in Empfang zu nehmen, hat es wohl bemerkt und nimmt sich vor, den Süßspeisen noch größere Aufmerksamkeit zu widmen.

Nach kaum einer halben Stunde bedeutet sie mit einer Handbewegung, dass man sich entfernen möge. Kein einziges Wort ist in dieser Zeit gefallen, die Verständigung erfolgte ausschließlich über Zeichen. Zwei Diener eilen herbei, um die Speisen in die Küche zurückzubringen, wo sie von Adrian verteilt werden, zwei andere heben die schwere Tischplatte auf und lehnen sie an die Wand, ebenso die Böcke, die sie trugen.

Adrian weiß, was nun geschieht, es ist an jedem Abend das Gleiche. Jeder in diesem Schloss kennt selbst das kleinste Detail, und die grausigen Einzelheiten sind ein immer wiederkehrendes Gesprächsthema.

Die alte Zofe, zahnlos, mit so vielen Falten, dass die Augen kaum noch sichtbar sind, aber immer noch geschickt im Ankleiden und Frisieren, steht bereit, um ihrer Herrin zu helfen. Sie ist das einzige weibliche Wesen am Hof, das die Hoheit duldet, denn ihre Eifersucht ist nach wie vor grenzenlos. Ein festliches Gewand wird es sein, das sie jetzt anlegt, eines von einem guten Dutzend, die alle ähnlich geschnitten sind. Ausladend und bauschig die Röcke, eng anliegend die Oberteile mit geschlitzten oder gepufften Ärmeln und tiefem viereckigem Ausschnitt, den ein reich gefälteltes, kostbares Untergewand bedeckt. Je nach Jahreszeit sind sie aus Samt, Brokat oder Seide gefertigt, mit Pelz oder Spitzen geschmückt. Den Kopf bedeckt eine Haube, darüber ein Schleier, der bis in die Stirn und über den aufgestellten Kragen fällt. Die Kleider entsprechen der Mode, jedoch findet sich keine Spur von Farbe daran. Nur die Edelsteine auf dem großen Kreuz um ihren Hals fangen Lichtstrahlen auf, die sich darin brechen. So gewandet wird sie sich gleich auf den Weg machen, begleitet von vier Fackelträgern und der Leibwache.

Die Entfernung ist nicht weit. Nur ein paar Schritte sind es bis zur Kapelle. Die Männer der Wache öffnen die Tür und beziehen daneben Stellung, während die Diener mit den Fackeln ihre Königin begleiten. Sie bedeutet dreien der Männer zu warten, einer geht ihr auf den Stufen nach unten voraus, schließt die Tür der Krypta auf und steckt die Fackel in eine Halterung. Der unruhige Schein erhellt diffus ein Kreuzgewölbe mit mehreren Sarkophagen an den Wänden. In der Mitte steht ein niedriger Katafalk, darauf ein großer Bleisarg, mit einem Holzdeckel verschlossen. Ein kalt-modriger Geruch hängt in dem Raum und noch ein anderer, süßlich und ekelerregend. Juana bedeutet ihrem Diener, den Deckel beiseite zu schieben und entlässt ihn dann mit einer Handbewegung, damit er sich zu den anderen geselle und warte. Hier will sie allein sein, keiner darf ihre Andacht stören.

Der Geruch ist intensiver geworden, aber sie scheint es nicht zu bemerken. Jetzt ist sie dem Geliebten nahe, jetzt kann sie Zwiesprache mit ihm halten und ihn mit Zärtlichkeiten überschütten. Er, der so viele Frauen liebte, gehört jetzt ihr ganz allein. Sie küsst sein Gesicht, von dem sich die Haut in Fetzen ablöst, seine Hände, seine Füße. Sie kann ihn wieder zum Leben erwecken, das weiß sie genau, durch die Kraft ihrer Liebe. Diese unverbrüchliche, unermessliche Hingabe wird Gott veranlassen, ihren Gemahl auferstehen zu lassen, in aller Herrlichkeit, so wie ihre Augen ihn erblicken. Nein, sie sieht nicht den verwesenden Leichnam, sondern Philipp, den Schönen, den Lebendigen, den zum Herrscher auserkorenen, mit dem sie Spanien und Burgund regieren wird. Nein, das ist keine Verrücktheit, wie die Leute sagen, die sie La Loca, die Wahnsinnige, nennen, es wird geschehen, so wie alles, an das man fest glaubt. Ihr ist wohl bekannt, dass manche in ihr keine gläubige Christin sehen, weil sie ihren Beichtvater nur selten empfängt. Was soll sie beichten? Es gibt keine Geheimnisse. Und doch glaubt sie mit der ganzen Inbrunst ihrer Seele an Gott und seinen Sohn Christus, der an Lazarus bewiesen hat, dass es möglich ist, Tote zu erwecken. Wenn auch die anderen darauf beharren, dies könne nicht geschehen, ihr Tun sei unnütz, mehr noch, blasphemisch: Sie weiß es besser, denn auf dem Sterbebett hat sie das Versprechen erhalten.

 

Das alles ist jedem Mitglied des Hofes bekannt, sämtliche Einzelheiten und auch die Gedanken der Unglücklichen, flüstert sie diese doch ihrem Gemahl zu. Ihre Sinne seien durch übergroßen Kummer verwirrt, sagen die einen, andere wiederum rühmen ihren Glauben, der dem einer Heiligen gliche, und teilen die Hoffnung auf Erweckung.

Unwillkürlich schüttelt Adrian den Kopf, als er die beiden Meinungen abwägt. Nein, ich kann dieser Zuversicht nichts abgewinnen, weiß ich doch, wie lange ihr Gemüt bereits zerrüttet ist, wie lange bereits Wahnvorstellungen Platz griffen. Schon als der Herzog noch lebte, vermochte sie nur in seiner Anwesenheit Ruhe zu finden. War er gegangen, verfiel sie in Trübsal und Melancholie, wies jeden zurück, der sich ihr in guter Absicht näherte, verschloss sich jedem Rat, da ihr niemand ebenbürtig war, Ratschläge zu erteilen.

Wie grauenvoll auch diese nächtliche Zeremonie sein mag, so gebe doch Gott, dass die Königin an dieser Stätte bleibt, denn die Reise, die hinter uns liegt, war noch entsetzlicher. Das aber konnte niemand ahnen, als das königliche Paar den Fuß auf spanischen Boden setzte. Was für ein imposanter Empfang wurde ihm zuteil! Selbst ich war von der Prachtentfaltung beeindruckt, obwohl mir doch der höfische Prunk in Brüssel vertraut war. Der Adel überbot sich in der Zurschaustellung seines Reichtums, und Geschenke von unermesslichem Wert wurden überreicht. Das Volk zeigte sich überwältigt und bewunderte die eleganten Manieren, das einnehmende Äußere und die strahlende Jugend seiner Herrscher. Hätte mein Herzog doch nur die Warnung der alten Frau ernst genommen! Ich hörte mit eigenen Ohren, dass sie zu ihm sagte, er würde nach seinem Tod eine längere Reise durch Kastilien machen als zu Lebzeiten.

Aber an den Tod dachte damals niemand, obgleich er Philipp doch nur drei Monate nach seiner Ankunft, in seinem 29. Lebensjahr im Jahre des Herrn 1506, ereilen sollte. Das Paar hatte im Schloss von Burgos Wohnung genommen und verbrachte seine Tage mit Empfängen, Bällen und Banketten. Die Königin glänzte mit ihren Sprachkenntnissen und ihrer Belesenheit, unterhielt sich mit den führenden literarischen und geistlichen Köpfen, während Philipp sich seiner Leidenschaft, der Jagd, widmete. Die Staatsgeschäfte mussten warten, in diesen ersten Wochen wurde nur das Allerdringendste erledigt.

Ich weiß noch wie heute, dass die Erkrankung meines Herrn aus heiterem Himmel angeflogen kam. Am Tag vorher nahm er noch mit großer Geschicklichkeit an einem Ballspiel teil, allerdings bei kühler Witterung ohne Kopfbedeckung, am nächsten Morgen erwachte er mit Fieber. Dieses Fieber kam und ging in den folgenden Tagen, Schmerzen traten auf, und er spie Blut. Am fünften Tag seiner Erkrankung schwollen Zunge, Gaumen und Zäpfchen so stark an, dass er kaum vermochte, den Speichel herunterzuschlucken. Die Kunst des Leibarztes, Meister Ambrosius, stieß an ihre Grenzen, sodass er um Hilfe schickte. Ein ganzes Konzilium von Ärzten kümmerte sich schließlich um den Kranken, aber nichts wollte helfen, weder Abführmittel noch Schröpfköpfe noch Aderlässe. Auch ich tat mein Bestes, indem ich kräftigende Brühen kochte, der er mit Hilfe eines Strohhalmes zu sich nahm, aber auch mir war kein Erfolg beschieden.

Am siebten Tag fing er stark an zu schwitzen, und die Ärzte hielten das zunächst für ein Zeichen der Besserung. Aber dann bildeten sich auf seinem Körper rot-schwarze Pusteln, sein Zustand verschlechterte sich rapide, bis er schließlich das Bewusstsein verlor. Ich war noch zweimal da, um ihm etwas Nahrung zu verabreichen, fand ihn aber jedes Mal in einem Dämmerzustand, aus dem er nicht mehr erwachte. Er erhielt die letzte Ölung und tat am Abend des neunten Tages, versehen mit den Heiligen Sakramenten, seinen letzten Atemzug.

Sobald er die Augen geschlossen hatte, fingen die Gerüchte an. Unmöglich könne er eines natürlichen Todes gestorben sein, so jung und im Vollbesitz seiner Kräfte. Vergiftet sei er worden, vielleicht sogar von seiner eigenen Gattin in einem Anfall von hysterischer Eifersucht, oder der Schwiegervater, Ferdinand von Aragon, habe seine Hand im Spiel, um den Thron von Kastilien an sich zu reißen. Ich aber weiß, dass nichts davon stimmt, denn durch meine Hand gingen alle Speisen und auch die Getränke. Mir ist wohl bewusst, dass hochgestellten Personen Gefahr droht, denn Neider gibt es zuhauf, und so ist es mir in Fleisch und Blut übergegangen, mit geschärften Sinnen die Arbeit zu verrichten.

Zudem wich die Königin während der ganzen Zeit nicht von seiner Seite, schlief kaum und überwachte seinen Zustand. Sie war sehr ruhig und besonnen, ließ sich von den Ärzten über jede vorgesehne Maßnahme unterrichten und gab Anweisungen. Sie richtete den Kranken auf, um ihm Heilmittel einzuflößen, und nahm die Arznei selbst, wenn er den Kopf zur Seite drehte, um zu demonstrieren, dass sie gut schmecke.

Auch nach seinem Ableben blieb sie gefasst und ordnete an, dass man den einbalsamierten Leichnam, wie es den Gepflogenheiten entsprach, mit einem fürstlichen Brokatgewand bekleidete und in einen Prunksessel setzte. Mönche aller Klöster von Burgos – die Nonnen blieben ausgeschlossen – hielten mit ihr Totenwache und lösten sich bei den Klagegesängen ab. Tagelang dauerte das düstere Szenario, bis der Leichnam schließlich in das nahe gelegene Kloster überführt und bestattet wurde.

Jetzt aber, da alles vorbei war, begann die Königin, sich vom Leben zu entfernen. Sie zog sich vollkommen in sich selbst zurück, sprach nicht mehr und aß nicht mehr. Sie, die früher meine Kochkunst gelobt hatte, schüttelte nur noch den Kopf, wenn ich ihr die köstlichsten Leckerbissen zubereitete, und schob sie mit angeekelter Geste zur Seite. Nichts vermochte sie aus ihrem dumpfen Schmerz zu wecken. Besucher wurden weggeschickt, sie weigerte sich, ein Aktenstück zu lesen oder zu unterschreiben. Nur noch ausgewählte Diener hatten Zutritt. Auch ich genoss dieses Privileg, und so konnte ich beobachten, wie sie, die schon Jahre nicht mehr angemessen auf ihr Äußeres achtete, begann, es nun völlig zu vernachlässigen. Eine Ausnahme bildeten die pompösen Trauertoiletten, die jetzt auf ihren Befehl angefertigt wurden, und die sie jeden Abend mit aller Sorgfalt anlegte, um am Grab ihres Gatten zu beten.

Als sich jedoch in Burgos zum wiederholten Male eine ansteckende Krankheit ausbreitete, entschloss sie sich, die Stadt zu verlassen. Auch ich hatte diese Notwendigkeit schon lange erkannt und freute mich auf die Abreise. Diese Freude indes währte nur kurz, denn sie beschloss, den Sarg ihres Gatten mitzunehmen. Er wurde auf ihr Geheiß hin geöffnet, da sie sich mit eigenen Augen davon überzeigen wollte, dass es ihr Gemahl sei, der darin ruhte. Ein halbes Jahr war bereits verstrichen, und der Inhalt befand sich im fortgeschrittenen Zustand der Verwesung. Zu dieser Stunde wurde die geistige Umnachtung meiner Herrin zum ersten Mal offenkundig, denn hier begannen die Liebkosungen des zerfallenden Körpers.

Wir reisten nur in der Nacht, denn das Tageslicht war ihr zuwider. Abend für Abend, kurz nach Sonnenuntergang, wurde der Sarg auf einen schwarzen, mit Goldbeschlägen verzierten Wagen geladen, den ein Vierergespann von prächtig aufgezäumten Pferden zog, auch sie schwarz, mit schwarzen Federbüschen auf den Köpfen. Mönche mit Fackeln begleiteten das Gespann, die Majestät mit ihrem Gefolge schloss sich in Kutschen und Sänften an, dahinter, in angemessenem Abstand, kam Dienerschaft und Gesinde.

Der Zug bewegte sich langsam, da er durch unwegsames Gelände führte. Nur wenige Meilen kamen wir pro Nacht voran, sodass es mehrere Monate dauerte, bis wir unser Ziel erreichten, obwohl die Entfernung nicht allzu groß ist. Wenn es sich ergab, machten wir in Klöstern halt, jedoch nur bei Bruderschaften, denn keine Nonne sollte sich dem Herzog nähern. Viele Male rasteten wir jedoch in elenden Herbergen am Wegesrand, die für eine derartige Gesellschaft nicht gerüstet waren, und die Dienerschaft musste in den Ställen schlafen. An die Reinigung des Körpers war kaum zu denken, und nicht selten begleitete uns der Hunger.

Ein um das andere Mal verfluchte ich, mich auf dieses Abenteuer eingelassen zu haben. Meine Gebieterin aber schien die widrigen Umstände nicht wahrzunehmen, aß sie doch nur wie ein Vögelchen und das Waschen war in ihren Augen ein Luxus, der einer trauernden Witwe nicht zustand. Jeden Abend vollführte sie das Ritual der Sargöffnung und Zwiesprache mit dem Gatten, das von den einfachen Leuten mit Entsetzen und Abscheu beobachtet wurde. Wie froh waren diese Menschen, wenn der traurige Zug wieder abreiste! Und wie froh waren ich und sämtliche Begleiter, als wir schließlich in Torquemadas anlangten! Jetzt würde es ein Ende haben mit dieser unheimlichen Zeremonie, so hofften wir alle, jetzt würde der Leichnam endlich bestattet werden. Wie sehr sollten wir uns getäuscht haben!

Es ist fast Mitternacht, als Adrian durch den Rundbogen seines Fensters den Fackelschein erblickt, der ihre Rückkehr ankündigt. Es gehört zu seinen Aufgaben zu warten, ob die Herrin vor dem Zubettgehen noch etwas wünscht. Es geschieht nur ganz selten, dass man ihn ruft, und auch heute bleibt alles ruhig. Während die Dienstboten sich einen großen Gemeinschaftsraum teilen, hat Adrian das Privileg einer eigenen kleinen Kammer, ausgestattet mit einer breiten Holzbank, die ihm auch als Lager dient, einer Truhe und einem schmalen Schrank mit Holztüren, die im oberen Drittel gitterförmig durchbrochen sind, damit das Innere durchlüftet wird. Hier bewahrt er seine kostbarsten Gewürze, Safran, Pfeffer, Ingwer und Muskat, auf, die allzu leicht Begehrlichkeiten wecken, da man sie mit Gold aufwiegt.

Der Truhe entnimmt er eine Unterlage und eine gewebte Decke mit einem schönen Muster von Akanthusblättern, Geschenke seines verstorbenen Herzogs, wie auch ein Überwurf aus zusammengenähten Marderfellen, der ihm in der kalten Jahreszeit gute Dienste leistet. Er streckt sich auf der Bank aus und schließt die Augen. Aber der Schlaf will nicht kommen, denn die Gedanken drehen sich im Kreis, beschäftigen sich immer wieder mit der jetzigen Situation, die ihm zunehmend unerträglich erscheint und mit den Möglichkeiten eines Entkommens. Seiner Gebieterin bringt er keine Liebe entgegen, Respekt vor ihrer hohen Stellung, ja, auch Mitleid und einen gewissen Teil von Verständnis, aber das hier, das kann doch nicht seine Bestimmung für den Rest des Lebens sein!

Adrian seufzt und öffnet die Augen, um den Grübeleien Einhalt zu gebieten. Er steht auf und nimmt einen Steinkrug mit gewürztem Wein aus dem Schrank, der ihm als Teil seiner Entlohnung täglich zusteht. Er entfernt den Deckel, nimmt einen tiefen Zug und dann zwei weitere. Fast augenblicklich fühlt er eine Wärme vom Magen her aufsteigen. Noch ein Schluck, und er wird schlafen können. Sorgfältig verschließt er das Gefäß, stellt es an seinen Platz und legt sich nieder.

Früh weckt ihn Hufschlag im Hof, und er steht auf, um aus dem Fenster zu schauen. Besuch ist gekommen. Seit Tagen wurde er erwartet und ebenso lange bereits Vorbereitungen getroffen. König Ferdinand reist an, um seine Tochter zu treffen. Mit seinem Gefolge lagert er in einem kleinen Ort nur wenige Meilen entfernt.

Eine Gruppe von fünf Reitern auf edlen Pferden wird in Empfang genommen, glanzvolle Erscheinungen, in deren leichten Rüstungen sich das Morgenlicht spiegelt. Die Banner von Aragon und Kastilien sind vor ihnen aufgepflanzt. Francesco de Léon, Haushofmeister und entfernter Verwandter der Herrin, ist erschienen, und Adrian hört, dass Seine Majestät mit der jungen Gattin und kleiner Eskorte am Nachmittag eintreffen wird.

Er ist von Sorge erfüllt, wie das Zusammentreffen der beiden Damen wohl ablaufen möge. Wie wird seine Gebieterin auf eine Frau in ihrer unmittelbaren Nähe reagieren, noch dazu einer, die in der ersten Blüte ihrer Jugend steht und deren Schönheit man rühmt? Germaine de Foix, Nichte des Französischen Königs, ist zweifellos eine gute Partie und erste Wahl als Nachfolgerin Isabellas, und doch weist ihr Charakter offenbar Schattenseiten auf, das hört man überall. Hochfahrend und eitel soll sie sein, nur um ihr eigenes Wohlergehen besorgt. Gerüchte von ausschweifenden Festen machen die Runde, die sie abhielt, während ihr Gatte krank daniederlag. Zu fortgeschrittener Stunde soll sie sogar mit den Dienern getanzt und geschäkert haben.

 

Nein, geliebt wird sie vom Volk nicht. Ihr Leumund ist schlecht und wirft auch einen Schatten auf den Gemahl, dem man es zudem übel nimmt, dass er sich nur wenige Monate nach dem Ableben seiner Frau, der Königin von Kastilien, erneut vermählte, ohne die Trauerzeit einzuhalten. Die junge Majestät habe ihm den Kopf verdreht, heißt es, achtunddreißig Jahre Altersunterschied seien wider die Natur, die Tochter Juana älter als ihre Stiefmutter. Man müsse sich über gar nichts mehr wundern, wenn die natürliche Ordnung so auf den Kopf gestellt sei. Vielleicht wären die beiden nur angereist, um Kastilien an sich zu reißen. Aber das würde man sich nicht gefallen lassen, auch wenn das Benehmen ihrer Königin zurzeit aus übergroßem Kummer zugegebenermaßen etwas merkwürdig sei. Sobald sie sich jedoch gefasst habe, könne sie die Regierungsgeschäfte wahrnehmen, und die goldene Zeit einer milden und gerechten Herrschaft bräche an.

So spricht nicht nur das Volk, auch viele Adlige befürchten, dass ein Herrscher aus Aragon die Interessen Kastiliens nicht in geeigneter Weise wahrnehmen, sondern nur auf Bereicherung aus sein, Steuern und Abgaben erhöhen würde, um die Verschwendungssucht seiner Gemahlin zu finanzieren. Juana dagegen, die unglückliche Herrscherin, habe kastilisches Blut in den Adern, sie allein sei die Herrscherin, durch Gottes Gnade bis zum Tod an diesen Platz gestellt.

Bereits die Anwesenheit des Königs und seiner Begleitung wird misstrauisch beobachtet. Fast hundert Menschen wollen versorgt sein. Seit einer Woche leben sie in einer prächtigen Zeltstadt und feiern Feste. Jeden Abend hört man Lärm und Musik. Aus dem ganzen Umkreis wird Vieh, Öl, Butter, Wein, Obst, Gemüse und Getreide herbeigeschafft. Zwar gibt es eine Vergütung, aber die ist alles andere als üppig. Und wie die ausgeplünderten Bauern den Winter überstehen sollen, danach fragt niemand. Unzufriedenheit hat sich breit gemacht, der hohe Besuch wird zum Teufel gewünscht.

Als die Fanfaren zur Begrüßung der Ritter erschallen, schlüpft Adrian schnell in seine Schuhe und streift das Wams über, um zur Stelle zu sein, bevor man ihn rufen muss, um einen Imbiss aus Brot, Käse, Schinken und Wein bereit zu stellen. Heute ist ein großer Tag für ihn, heute muss er seine Kunst unter Beweis stellen. Seit die Kunde von dem Besuch eintraf, wurden Vorbereitungen getroffen und die Speisenfolge festgelegt. Nur die höchsten Würdenträger nehmen teil, zwölf Personen werden es sein, die gleiche Anzahl wie beim Abendmahl des Herrn Jesus Christus. Mit Rücksicht auf die Gepflogenheiten der Königin ist nur ein bescheidenes Mahl gewünscht, aber Adrian weiß, was er dem hohen Besuch schuldig ist. Sorgfältig hat er die Gerichte ausgewählt und dabei die Natur der drei Königlichen Hoheiten in die Planung einbezogen, denn nur wenn die Körpersäfte im Gleichgewicht sind, kann das Mahl einen harmonischen Verlauf nehmen. Bei seiner Herrin überwiegt die Gelbe Galle, die warm und trocken ist und ein cholerisches Temperament hervorruft. Den Vater kennt er weniger gut, doch scheint bei ihm die Schwarze Galle, kalt und trocken, eine wichtige Rolle zu spielen, denn er neigt zuweilen zur Melancholie, wenn es ihm auch an Energie und Entschlossenheit nicht fehlt. Was dessen Gattin betrifft, so kann er sich nur aus Erzählungen ein Bild machen. Ihr Temperament scheint überwiegend sanguin zu sein, geprägt von der Wärme und Feuchtigkeit des Blutes. Obwohl die Gelbe Galle ganz offensichtlich einen Anteil hat, erzählt man sich doch, dass sie einen hochrangigen Adligen ermorden ließ, als ihr zu Ohren kam, dass er schlecht über sie gesprochen habe.

Das alles ist auch bei der Auswahl der Speisen zu berücksichtigen. Nur die ausgewogene Mischung der Säfte, die auch in den Nahrungsmitteln Niederschlag findet, ist dem Menschen zuträglich und hält ihn gesund. Ein guter Koch weiß das und wird deshalb keineswegs Fisch mit Milch in Verbindung bringen, denn beides ist feucht und kalt. Genauso verhält es sich mit Obst, das deshalb eine Temperierung mit Pfeffer, Zimt, Nelken oder Ingwer erfordert. Niemals käme Adrian auf die Idee, seinen Aal im Rotweinsud ohne warme und trockene Gewürze aufzutischen. Dies zu beachten, ist Teil seiner Kunst und seines Erfolges.

Es ist kurz vor Mittag, und Adrian hat in der Küche das Gesinde versammelt, um die Aufgaben zu verteilen. Alle sind bereits genauestens über die ausgewählten Gerichte und deren Zubereitung instruiert. Euter wird es für die beiden Herrscherinnen geben, um sie nachgiebig und freundlich zu stimmen, Stierhoden für den König, damit seine Manneskraft gestärkt werde, um einen Thronfolger zu zeugen, den er so sehnlichst erwünscht. Diese wichtigen Gerichte hat er Jorge anvertraut, der ihre Zubereitung genauestens kennt, denn Adrian selbst muss sich um das Schaustück kümmern. Jenes aufzutischen, gebietet die eigene Ehre und der Respekt den Gästen gegenüber.

Obwohl bereits um fünf Uhr das Mahl beginnen soll, da man nicht im Schloss nächtigen will, bleibt Zeit genug, um jeden einzelnen Schritt nochmals durchzugehen. Zwölf Helfer, die gleiche Anzahl wie die der Gäste, alle gut mit den Küchenabläufen vertraut, stehen bereit, um die Anweisungen entgegen zu nehmen. Sechs Gerichte sind neben denen der Majestäten geplant, um die sich jeweils zwei Bedienstete kümmern. Seinen Erfahrungen zufolge ist es besser, wenn Frauen mit Frauen und Männer mit Männern zusammenarbeiten, da es ansonsten unweigerlich zu Reibereien und Anzüglichkeiten kommt, die den Ablauf empfindlich stören können.

»Ihr wisst, was auf dem Spiel steht«, schwört er seine Truppe ein, »das Schicksal der Herrin und damit auch das unsrige hängt von diesem Treffen ab. Wir können dazu beitragen, dass es nicht zum Streit kommt, denn je besser das Essen, desto sanfter und nachgiebiger wird der Mensch. Ich weiß, dass ich mich auf jeden Einzelnen verlassen kann, aber heute genügt es nicht, gute Arbeit abzuliefern, heute müsst ihr über euch hinauswachsen.«

Nicken und zustimmendes Gemurmel belohnen seine kleine Ansprache. Adrian bemerkt erleichtert, dass seine Schar bereit und motiviert ist, die Arbeit in Angriff zu nehmen, und beginnt damit, die Gruppen einzuteilen. Er beauftragt Ana und Maria, sich um die Fleischpastete zu kümmern, deren Teig bereits am gestrigen Abend fertig gestellt wurde, damit er ruhen konnte, und mahnt einen sorgsamen Umgang mit den Gewürzen, vor allem dem kostbaren, duftenden Macis, der Muskatblüte, an.

Während sich die beiden jungen Frauen, Töchter armer Bauern, die froh sind, mit ihrer Arbeit die Familien unterstützen zu können, mit Feuereifer ans Werk machen, wendet sich Adrian Eusebio und José, den bewährten Helfern zu. Ihnen kann er unbesorgt die Ausführung eines seiner selbst entwickelten Lieblingsrezepte anvertrauen. Gebratenen Kapaun mit Früchten soll es geben, und die beiden sind bereits dabei, die kastrierten, gemästeten Hähne in Teile zu zerlegen.

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