Buch lesen: «Einigen - der schönste Punkt der Welt»
Arthur Maibach
Weber AG Verlag, 3645 Thun/Gwatt
ISBN 978-3-909532-72-8
www.weberverlag.ch
Herzlichen Dank für die Unterstützung:
Ortsverein Einigen
Mediform, Einigen
CreaBeton, Einigen
Steinmann Confiserie, Thun
Impressum | |
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Autor | Arthur Maibach, CH-3646 Einigen |
E-Book-Herstellung und Auslieferung | Brockhaus Commission, Kornwestheim www.brocom.de |
E-Book ISBN | 978-3-038183-00-6 |
Inhaltsverzeichnis
Vorwort
Einleitung
Mit den Augen des Dichters
Ortsname
Zum Paradies
3500 Jahre alte Gräber in einem Garten
Die Strättliger Chronik
Unsere Dorfkirche
Zum Bau der Kirche
Die Ausgrabungen bei der Kirche
Sagen um die Kirche Einigen
Bäuert
Die Einigenallmend
Beim Läb-Brünneli
Der Kanderdurchstich
Die Brücken über die Kander
Das Heidenhaus
Die Mühle, Obere Mühle Gwatt
Die Schulhäuser
Der Ortsverein
Interessants vo Einige
Müsterli aus Alt-Einigen
Einigen, das «Stiefkind»
Schöne von Einigen
Berühmte Bewohner
Gottlieb Häsler
Eduard Wildbolz
Hans Müller Einigen
Prof. Dr. Dr. Dr. A.E. Wilder Smith
Bild-Register
Einigen – Bäuert von Spiez
Liebe Leserinnen und Leser
«In der Einwohnergemeinde Spiez gibt es fünf Bäuerten, nämlich Einigen, Faulensee, Hondrich, Spiezwiler und Spiez. Sie ortneten, wie anderorts die Burgergemeinden, die genossenschaftliche Nutzung ihres Besitzes (Almenden, Pflanzland, Rebland und Waldungen) und sorgten für den Unterhalt der Strassen. Sie hatten auch eine Schulstube oder ein Schulhaus bereitzustellen und zu unterhalten. Dazu musste das Holz für die Heizung der Schulstuben und das Pflanzland für den Schulmeister zur Verfügung gestellt werden. An di Lehrerlöhne hatten sie ebenfals Anteile zu leisten. Da die Bäuerten lange Zeit über grössere Mittel als die Einwohnergemeinde verfügten, hatten sie unter anderem auch Leistungen an die Feuerwehr und die Schwellenarbeiten an der Kander zu erbringen.
Nach und nach wurde ein grosser Teil der ständig wachsenden Aufgaben an die Einwohnergemeinde Spiez und den Staat Bern übertragen. Aber immer noch sind die Bäuerten ein wichtiges Element in unserer Gemeinde.»
So beschreibt der Lokalhistoriker Alfred Stettler die Geschichte von Spiez mit seinen Bäuerten einleitend im Buch «Gmeyndt Spietz». Diese Aussagen sind wichtig für das Verständnis der Geschichte der Gemeinde, aber auch für das Verständnis des heutigen Zusammenwirkens unter den rund 13000 EinwohnerInnen der Einwohnergemeinde Spiez, der Wahrnehmung der politischen Rechte und Pflichten einerseits, aber auch der Pflege der ortsspezifischen Eigenheiten in den Bäuerten anderseits.
Vor Ihnen liegt ein Zeitdokument über eine vielseitige und interessante Bäuert von Spiez. Sie werden darin historische, geografische und viele andere Informationen mehr über diesen einmaligen Ort erfahren. Der Autor hat bei seinen Recherchen auf verschiedene Dokumente abgestellt, sich mit Persönlichkeiten und deren Aussagen auseinandergesetzt und diese Angaben in einer interessanten, illustren und für das Verständnis unserer heutigen gesellschaftlichen und politischen Situation informativen Schrift festgehalten. Er hat damit ein weiteres wichtiges Zeitdokument geschaffen, das uns diesen Ort, mit der ältesten und wohl einer der schönsten und wertvollsten Kirchen weitherum, näher bringen will.
Spätestens nach dem Lesen und Betrachten dieses Werkes werden Sie, geschätzte Leserinnen und Leser, in sich den unbändigen Drang verspüren, sich vor Ort ein Bild von dieser einmaligen Örtlichkeit, ihrer unvergleichlichen Lage am See und ihren wertvollen historischen Zeitzeugen zu machen.
Dem Autor Arthur Maibach gebührt Dank und Anerkennung. Er hat mit diesem Werk nicht nur ein geliebtes Hobby äusserst kreativ zum Ausdruck gebracht, sondern auch seine tiefe und innige Liebe zu «seiner Bäuert» Einigen.
Mit herzlichem Dank und aufrichtiger Anerkennung
Franz Arnold
Gemeindepräsident Spiez
Einleitung
Warum ich hier wohne? Ganz einfach: Weil es der schönste Punkt der Welt ist. Diese Worte brachte Hans Müller Einigen zu Papier. Ein Mann, wir werden ihn noch kennenlernen, der genau wusste, wovon er schrieb. Einigen, ein kleiner Ort zwischen Thun und Spiez, der Autobahn und dem Thunersee. Zwei gerade Linien ziehen durch die weit zerstreute Bäuert: die Eisenbahnlinie und die Hauptstrasse. Wer mit der Eisenbahn durch Einigen fährt, lässt sicher seinen Blick über den See Richtung Oberhofen, Gunten und Sigriswil schweifen. Mit dem Auto von Thun herkommend, wird das Restaurant Hirschen und später das Chez Bruno wahrgenommen und schon ist der Fahrer vor der Ortstafel von Spiez. Wer nicht die Gelegenheit hatte, einen Militärdienst in Einigen zu absolvieren, oder bei einer Hochzeit im schmucken Kirchlein war, weiss sicher nichts vom «Paradies».
In den vergangenen 20 Jahren lernte ich diesen verträumten Ort kennen, schätzen und lieben und habe es mir zur Aufgabe gemacht, dem Vergessen vorzubeugen.
Geschichte wird nur selten neu «erfunden», so will ich das geschriebene und gesagte Wissen unseres Ortes in diesem Werk zusammenfassen. Dazu dienen mir Bücher, aus welchen ich zitieren werde: Archivalien, Briefe, Zeitungen, Broschüren und das Gespräch mit Bewohnerinnen und Bewohnern von Einigen.
Beginnen aber will ich mit einer Geschichte um etwa 1500 v. Chr., dem Grab eines Jünglings. Die Ausgrabungen bei der Kirche, eine Zusammenfassung der «Stretlinger Chronik», das älteste noch bewohnte Haus und den Kanderdurchstich werde ich erwähnen, um uns dann dem 19. und 20. Jahrhundert zu widmen.
Ein besonderer Dank gebührt Herrn Otto Aeschbacher, der mit seinem Legat den Grundstein zu dieser Arbeit legte. Ohne seine Sammelleidenschaft wäre es sehr schwer, an eine so umfangreiche und ausführliche Dokumentation unseres Dorfes zu gelangen. Hat er doch als ehemaliger Lehrer von Einigen einer grossen Zahl von Schülern sein enormes Wissen weitergegeben.
Die einzelnen Abschnitte können auch einzeln als Ganzes gelesen werden, so waren gewisse Wiederholungen nicht zu umgehen.
Einen grossen Dank verdienen auch all die vor allem älteren Bewohnerinnen und Bewohner, die mich zu einem persönlichen Gespräch eingeladen haben. Konnte ich doch viele wunderbare Geschichten über die Menschen, ihre Berufe und das Leben in Einigen hören. Diese Geschichten will ich der kommenden Generation weitergeben.
Danken will ich auch Stephan Arnold, der diese Arbeit gelesen hat und einen grossen Teil zum Gelingen dieses Buches beitrug. Aber auch meiner Frau Dora danke ich von Herzen für all ihr Verständnis, für die Zeit, wo sie auf mich verzichten oder warten musste.
Mit den Augen des Dichters
Vor mir liegt das Buch «Geliebte Erde» von Hans Müller Einigen aufgeschlagen. Unter dem Titel «Ich hab ein Holzhaus» finden wir folgende Worte: «Wo denn? Am Thunersee, im Berner Oberland, sechshundert Meter über der menschlichen Eitelkeit, links, zwischen Spiez und Thun. Warum? Ja, weil es der schönste Punkt der Welt ist, ganz einfach.» Wie recht Hans Müller Einigen mit diesen Worten hat. War doch die erste Bezeichnung für diesen Ort am Thunersee «Zum Paradies». Da wo die Wunderquelle in den See rann, da wo Menschen gesund wurden. Diesem Ort gab man den Namen zum Paradies. Hier wurde die erste Kirche erbaut, vor über tausend Jahren. Diese unsere Kirche gehört zu den ältesten der Schweiz und wurde zu Beginn der Christianisierung in der Thunersee-Gegend gebaut. So ist es nicht verwunderlich, dass ein weitgereister Mann, der Wien die schönste Stadt Europas nennt, der New York, Hollywood, London, Berlin, München, Paris, Rom und all die gigantischen Sehenswürdigkeiten der Welt sah, sich in Einigen niederliess. Müller, ein Mann mit feinem Gefühl, erkannte die Kraft, die von diesem Ort ausging, und wollte den Rest seines Lebens am schönsten Punkt der Welt verbringen. Hier schrieb er auch sein noch heute bekanntestes Bühnenstück «Im Weissen Rössl».
Hans Müller liebte die Schweiz. Im Besonderen aber einen Flecken Erde am Thunersee. So sei mir erlaubt, mit den Worten des Meisters dies zum Ausdruck zu bringen: «Lang, lang her! Wie oft habe ich seitdem meinen Fuss in dieses lichteste, beste Zimmer Europas gesetzt! Immer wieder suchte und fand ich das Erlebnis der Schweiz; auf Skibrettern von Arosa hinuntersausend … in einem Segelboot vor Luzern … auf der Oschwand des Malers Cuno Amiet … bei der Landgemeinde in Appenzell … mit Freunden vor der Trattoria Ticinese in Bissone roten Nostrano trinkend … am Grabe Pestalozzis … in der Käserei von Oberdiesbach … in der Tonhalle Zürich… auf dem Pferdemarkt von Wimmis … in der St. Nikolauskirche zu Freiburg … zwischen den Büchern der Baslerstadtbibliothek … im Hospiz St. Bernhard nächtigend … ach, und viel weiter drüben: in der 71. Strasse von New York, wo eine winzige St. Galler Wirtsstube echte ‹Röschti›, Mundharmonika-gequiek und das rasende Heimweh verkauft … oder in Tetuan, im spanischen Marokko, in Madame Gardels kleinem Hotel National, das so sauber gehalten wird, als stünde es auf der Heimatwiese der Wirtin, zu Haudères im Kanton Wallis. Überall hier und dort liess jenes kernige, unfrömmlerische, wesentliche Wesen sich erkennen, das vom Sonntag in den Montag einen gangbaren Steg baut. Jeder Sinn für Freiheit, aus dem zugleich Besonnenheit entspringt. Und eine blutvolle Art unbefohlenen, man möchte sagen unliterarischen Humors, dem auch noch im Komischen das Komische nicht entgeht. Zuletzt dann aber, vor nun bald zehn Jahren, wurde mir das bis anhin nur Erlebte zum eigenen Leben: als ich in der Schweiz mein Häuschen fand. Und dazu achtzehnhundertzweiundneunzig Quadratmeter grünen Umschwung am Thunersee. Eine Wahlheimat bedeutet mehr als eine Geburtheimat. Man hat sich durch die Welt bis an diesen Punkt hindurchgeschlagen, endlich landet man in einem Hafen nach dem eigenen Kompass. Und nun möchte man nie, nie mehr auf unbekannte, drohende Meere hinaussegeln.»
Einigen-Lied
us em Chindergarte
Mys Dörfli, wo-ni läbe,
isch dr schönscht Platz uf der Wält!
I wett mit niemerem tuusche
ou nid um e Huuffe Gäld.
I ghöre d’Kander ruusche,
im See spieglet s Himmels-Zält.
I bi so glücklich u so froh,
dass i grad hie, grad hie uf d’Wält bi cho!
Mis Dörfli, wo-ni läbe,
isch dr schönscht Platz uf der Wält!
I wett mit niemerem tuusche
ou nid um e Huufe Gäld.
I ghöre d’Glogge lüüte
vom Chilchli Sankt Michael.
We d’wosch dr Himmel uf Ärde gseh,
so chumm i ds Paradies am Wendelsee!
Text von Maria Ringgenberg (1929 – 1984). Sie war ab 1969 im Kindergarten Einigen als Kindergärtnerin tätig.
«I bi so glücklich und so froh, dass i grad hie, grad hie uf d’Wält bi cho!» Dieses Lied wurde im Kindergarten geübt und von den Kindern auf dem Nachhauseweg aus voller Kehle gesungen. Was kann es Schöneres geben, als Kinder singen zu hören. Glückliche Kinder, die singen: «Ich bin so glücklich und so froh …»
Ortsname
Als ich vor Jahren nach Einigen zog, stellte ich fest, dass ältere Bewohner ein «Z» vor das Wort Einigen stellten. «Zinigwald», «Zinigen» waren Bezeichnungen, die mir zu Ohren kamen. Als dann Fahnen angeschafft wurden, um unser Dorf für einen Grossanlass herauszuputzen, es handelte sich um das Zeitfahren der Tour de Suisse im Jahre 1997, hatte ich den Auftrag, das Originalwappen ausfindig zu machen. So lernte ich Herrn Otto Aeschbacher kennen, der mir das Interesse an der Dorfgeschichte von Einigen weckte und das Buch «Einigen» von Hans Gustav Keller überreichte. Ein Buch, das ich nicht nur las, sondern studierte. Auf Seite 24 fand ich eine sehr ausführliche Beschreibung unseres Ortsnamens. Er schreibt, dass wahrscheinlich der Ortsname ein Zeugnis der germanischen Besiedelung sei. Er wird im Laufe der Jahrhunderte wie folgt geschrieben:
Ceningen (1228)
Ceiningin (1236)
Ceiningen (1272)
Ceningue (1285)
Sceiningen (1318)
Zeiningen (1336)
Zeinungen und Zeiningen (1338)
Zeningen (1453)
Zeiningen (1477)
Zeiningen (1578)
Zeynigen (1607)
Einigen (1654)
Zeinigen (1710)
Zeynigen (1713)
Einnigen (1725)
Einigen (1750)
Zeinigen oder Einigen (1765)
Einingen (1766)
Zeinigen (1796)
Einigen (1797)
Einigen (1838)
Die heute (1944) gebräuchliche Form des Ortsnamens ist «Einigen». Doch bemerkten die Herausgeber der «Fontes rerum Bernensium» (der bernischen Geschichtsquellen), «in der Volkssprache» werde «noch jetzt Zeinigen» statt Einigen gesprochen, und 1934 ist mir von einem Ortskundigen versichert worden, dass «alte Leute noch Zeinigen, nicht Einigen sagen.»1
Um das Jahr 1450 hat Elogius Kiburger in der «Strätlinger Chronik» erzählt, der Ort habe ursprünglich «im Paradies» geheissen, und die Kirche «Sant Michel im Paradies». Diese Bezeichnung komme von der Fruchtbarkeit und des guten Wassers, besonders aber des heiligen Brunnens wegen.
Die Bearbeiter des «Schweizerischen Idiotikons» leiten den Ortsnamen Einigen von «Einigi» = Einzigkeit, Verlassenheit, Einsamkeit ab.
1 Hans Gustav Keller, Einigen, Thun, Druck- und Verlagsanstalt Adolf Schär, 1946, S. 26/27
Zum Paradies
«Der hochwirdig sant Michel» war der «patron und schirmer der kilchen des Paradieses», so schreibt Elogius Kiburger in der «Strätlinger Chronik». Elogius Kiburger war wohl der bekannteste Pfarrherr von Einigen und der Verfasser der «Stätlinger Chronik». Er berichtete, er habe damals, im Jahr 1446, als «Kilchherr der kilchen in Paradies sant Michels» ein Teil des Kirchendachs der Kirche Einigen neu herstellen, einen Taufstein machen und ein Sakramentshäuschen aus Stein anbringen lassen.
Im dritten Kapitel der «Strätlinger Chronik» preist er mit begeisterten Worten den Segen, der von dem «Paradies» am Wendelsee ausgehe. Um das Jahr 223 beschloss, erzählt er, Herr Arnold von Strätlingen, eine Kirche am Wendelsee zu Ehren des Erzengels Michael erbauen zu lassen. Die Stimme des Erzengels wies die Bauleute zu dem Platz in dem «garten oder matten, die da geheissen was die hofstatt des Paradieses», wo sich auch ein Brunnen befinde, führte sie dorthin und sprach alsdann wiederum: «Hie an diesem end des Paradieses findet man einen schatz, der so gross ist, dass in niemant geschetzen oder bazalen mag» … Diesen Angaben zufolge war das Gebiet, welches das «Paradies» genannt wurde, recht gross.
Wir dürfen stolz sein, an einem Ort zu wohnen, dessen alte Bezeichnung «zum Paradies» genannt wurde. Ich glaube nicht, dass Elogius Kiburger diese Ortsbezeichnung erfunden hat. Sicher sprachen die Bewohner von «Zeningen» vom Paradies, wenn es sich um die Kirchenregion handelte. Dieses Gebiet musste wunderschön gewesen sein, da wo das «Jucki-Brünnelein», der «St.-Michaelsbrunnen» sprudelte. Ob dieser Ort schon vor dem Bau der ersten Kirche diesen Namen trug, wird mit grosser Wahrscheinlichkeit nie bezeugt werden können. Auch ist es nicht von Wichtigkeit, wer wann diesem Ort das Wort «Paradies» zuordnete. Freuen wir uns doch ganz einfach, in einem Dorf zu leben, das die alttestamentliche Bezeichnung «Zum Paradies» trägt.
Was ist nun aber ein oder das Paradies? In unserem Fall handelt es sich ganz klar um den Garten Eden. Nicht um die Zwischenzeit zwischen Tod und Auferstehung, noch um das endzeitliche Paradies. Paradies ist ein Lehnwort aus dem Altpersischen, wo parideza eine Umwallung, dann auch das Umwallte, den Park oder Garten bezeichnet. In dieser Bedeutung ging Paradies in das Hebräische pardes, Aramäische pardesa, Griechisch paradeisos und auch Lateinische paradisus ein. Als die LXX (Septuaginta, griech. Übersetzung des Alten Testaments) das hebr. «Gottesgarten» der Schöpfungsgeschichte in 1. Mose 2 mit paradeisos übersetzte, wurde Paradies im griech. Judentum zum religiösen Begriff. Das hebr. Judentum hat zur Bezeichnung des Gottesgartens seinen alten Ausdruck «Garten» oder «Garten Eden» beibehalten und spricht nicht von Paradies. Wenn daher im hebr. Alten Testament das Wort Paradies nicht vorkommt, so heisst das nicht, dass ihm auch die Sache fremd wäre. Der «Garten» oder «Garten Eden» oder auch «Gottesgarten» ist die Schöpfung selber. Seine Fruchtbarkeit ist unbeschreiblich, ebenso sein Reichtum an Gewächsen und Tieren.
Wie schön muss wohl diese Gegend gewesen sein, dass ein Mensch diesem Garten, diesem Brunnen, diesem schönsten Punkt der Welt (Hans Müller Einigen) die Bezeichnung «Zum Paradies» gab. Und wir haben das Vorrecht, hier, gerade hier zu wohnen.
Möge es uns gelingen, zu unserem Paradies Sorge zu tragen.
3500 Jahre alte Gräber in einem Garten
Am Holleeweg in Einigen wurden im Jahr 1970 bei Aushubarbeiten für ein Treibhaus im Garten von Rudolf Neuenschwander Grabreste entdeckt. Neben Knochenfragmenten erschienen im gelockerten Aushubmaterial auch grünpatinierte Bronzegegenstände. Diese Umstände veranlassten den Grundbesitzer richtigerweise, die Arbeiten einzustellen und den Fundaufschluss dem Archäologischen Dienst melden zu lassen2. In einem Communiqué des Archäologischen Dienstes schreibt Herr Hans Grütter Folgendes:
Das Grab eines Jünglings
Die archäologischen Untersuchungen des Grabplatzes lieferten vorläufig folgende Erkenntnisse: Die vom Grundbesitzer angeschnittenen Skelettreste gehörten zweifellos zur Bestattung eines dreizehnjährigen Jünglings. Obwohl die durch die Aushubarbeiten stark fragmentierte Beisetzung nur noch in der Unterschenkelpartie in situ angetroffen wurde, kann anhand der geborgenen Grabbeilagen gesagt werden, dass in der ehemals mit Steinen ausgekleideten Grabgrube der Tote in gestreckter Lage beigesetzt war. Bei den Grabbeigaben handelt es sich um zwei Gewandnadeln, eine Rollenkopfnadel von 15 cm Länge und eine Ösenknopfnadel von 20 cm Länge. Bei den Objekten eignet die in charakteristischer Weise gebogene Nadelspitze; eine wohl damals übliche, als Schutz gegen Stichverletzungen angebrachte Sicherheitsvorkehrung. Im Weiteren hatte der Tote ein, wie die Patinafärbung erkennen lässt, ursprünglich an einem Holm befestigtes meisselartiges Gerät mitbestattet erhalten. Schliesslich umfasste das Beigabeninventar eine Dolchklinge. Der Griff, welcher anhand der in der Patina überlieferten Strukturen aus organischem Material gefertigt gewesen sein muss – ob Knochen oder Geweih bleibt erst noch zu untersuchen – wurde mit Hilfe von vier Bronzeteilen an der Klinge befestigt.
Eine Doppelbestattung
Die weitere Untersuchung des Grabplatzes führte zur Lokalisierung von zwei weitern Gräbern, doch musste wegen Überlastung des Archäologischen Dienstes auf die Bergung der im Moment nicht gefährdeten dritten Bestattung verzichtet werden. Das in die Aushubzone hineinragende Grab verriet sich oberflächig durch eine Häufung von grobem Moränematerial. In der Profilwand hoben sich die humose Grabeinfüllung und die aufeinandergelegten Steine der Grabumrandung deutlich ab von der umlagernden Moräne. Ein ausserhalb der südöstlichen Längsseite des Grabes, auf dem ehemaligen Gehniveau auflagernd, angetroffener Steinhaufen legt die Vermutung nahe, dass dieses Material teilweise von der einstmals über der Bestattung gelegenen Abdeckung stammen könnte. Die Bestätigung stellte sich ein, als die ersten Skelettteile bereits wenige Zentimeter unterhalb des oberen Grabhorizontes aufgedeckt wurden: Es waren dies ungefähr in der Grabmitte ein Schädel und wenig daneben ein Beckenfragment. Die Bestattung musste demnach in früherer Zeit einmal gestört worden sein.
Grabräuber hinterlassen Spuren
Die weiteren Untersuchungen lieferten dem Archäologen ein nicht alltägliches Bild. Die Grabgrube zeigte wiederum die bei der ersten Bestattung bereits festgestellte sorgfältige Steinauskleidung. Die westliche Hälfte des Grabes war noch intakt und mit grossen flachen Steinen überdeckt. Nach deren Entfernung musste mit Erstaunen zur Kenntnis genommen werden, dass die Grabgrube eine zweite Bestattung barg. Die beiden Toten lagen einander gegenüber. Die Skelettlage lässt eine gleichzeitige Beisetzung erkennen. Dabei ist das ost-west (Kopf im Osten) liegende Individuum – wie anhand verschiedener Fakten nachgewiesen werden kann – bereits in prähistorischer Zeit von Grabräubern geschändet worden. Eine charakteristische Verfärbung am linken Vorderarm lässt mit Sicherheit aussagen, dass bei diesem Grabraub mindestens ein Armreif entfernt wurde. Offensichtlich blieb eine kleine, unscheinbare Rollenkopfnadel unbeachtet oder vermochte das Interesse der Grabräuber ganz einfach nicht zu wecken.
Der vorläufige anthropologische Befund weist das gestörte Skelett einem männlichen Individuum zu, welches sich durch das erreichte Alter erheblich von der Mitbestattung unterscheidet. Der in Ost-West-Richtung bestattete Mann dürfte im Alter zwischen 40 und 45 gewesen sein. Die Überreste der ihm gegenüberliegenden Mitbestattung – wohl durch das Vorhandensein eines mächtigen Decksteines vor den Grabräubern bewahrt – lassen dagegen ein Alter von bloss 9 Jahren belegen. Es scheint übrigens, dass das jüngere Individuum eine sorgfältigere Niederlegung erfuhr: Der Kopf befand sich auf einen kissenförmigen Stein abgelegt.
Die Bedeutung der Funde
Obwohl die verschiedenen naturwissenschaftlichen Untersuchungsergebnisse noch ausstehen, kann bereits jetzt gesagt werden, dass die Grabfunde von Einigen wesentliche Erkenntnisse liefern. Einmal ist es die Kenntnis der Grabform anhand eines mit modernen Methoden aufgenommenen Bestattungsplatzes. Zum anderen lassen die gestreckten Gräber Einblicke in die Morphologie der Gestalt jener Menschen nehmen, welche zwischen rund 1800 und 1650 v. Chr. die alpine Zone besiedelten. Aus anthropologischer Sicht sind im Weiteren die dank dem kalkreichen Moränenboden erstaunlich gut erhalten gebliebenen Skelettreste, vor allem der vollständig überlieferte Schädel des alten Mannes als wissenschaftlich äusserst wertvoll zu bezeichnen.
Der Fundaufschluss von Einigen steht schliesslich als weiterer Zeuge für die frühe und offenbar dichte Besiedlung der Terrassen über dem linken Thunerseeufer. Es ist im Übrigen kein Zweifel, dass die zum Grabplatz – der ja, wie einleitend erwähnt, keineswegs vollständig erfasst ist – gehörende Siedlung in unmittelbarer Nähe aufgefunden werden kann.
Es ist dringend zu hoffen, dass diese und viele ähnliche Aufgaben einem personell und materiell genügend dotierten Archäologischen Dienst vor kommenden Überbauungen und damit endgültigen Zerstörungen zu lösen vergönnt sind.
In Einigen wurde schon früher von Ausgrabungen berichtet, die aber leider nicht so ausführlich beschrieben sind wie die Gräber vom Hollee. So können wir lesen: Die alte Besiedelung der fruchtbaren und quellenreichen Gegend von Einigen bezeugen verschiedene Funde. 1818 ist in Einigen ein bronzener Dolch aus keltisch-helvetischer Zeit gefunden worden. Im Dorfe sollen überhaupt öfters Altertumsreste aus Metall ausgegraben, aber von den Bauern meistens zu eigenem Gebrauch verarbeitet worden sein. Auf der Einigen-Allmend entdeckte man in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts eine Lanzenspitze und zwei eiserne Streitbeile; jene wird als keltisch-helvetisch, diese werden als fränkisch bezeichnet. Grabhügel mit Skelettbestattungen und zwei Bronzespangen werden beim Ghei zwischen Einigen und Spiez gemeldet.3 Soweit zu den Funden und Ausgrabungen in Einigen. Nun bleibt zu hoffen, dass bei der regen Bautätigkeit, die zur Zeit in Einigen stattfindet, alle Gegenstände, die von Interesse sein könnten, gemeldet werden.
Im Jahr 2008, beim Umbau des Hauses im Hollee, wurde auf Grund eines Hinweises von einem Bewohner aus Einigen darauf hingewiesen, dass es sich bei diesem Gebiet um ein archäologisches Schutzgebiet handle. So konnte, bevor die Baumaschinen auffuhren, der Bauplatz vom Archäologischen Dienst sorgfältig nach allfälligen weiteren Gräbern untersucht werden. Die neuen Ausgrabungen brachten vier Skelette und viel Schmuck ans Tageslicht. Die vier Skelette von je zwei Frauen und Kindern sind gut erhalten, die Beigaben wertvoll – und gar rätselhaft. Die Bestattungen stammen aus der Zeit von 1800 bis 1600 vor Christus – der frühen Bronzezeit. Die zwei Frauen und zwei Kleinkinder seien in Rückenlage und in Tracht beigesetzt worden. Nebst dem in grossem Umfang gefundenen Schmuck seien auch die Skelette in erstaunlich gutem Zustand. Beide Frauen erhielten viele Grabbeigaben. Eine Frau trägt einen Halsring, zwei Gewandnadeln und zwei Armringe. Die andere wurde mit einer sogenannten doppelschäftigen Bronzenadel beigesetzt, einer Art Verschluss von Kleid oder Mantel.
Um mehr Informationen über die Skelette zu erhalten, werden diese zur Beurteilung ins Labor der Anthropologie der Uni Bern kommen. Die Fundstücke werden nach der anthropologischen Untersuchung konserviert und archiviert.
2 Neue Berner Zeitung, Seite 5, Dienstag, den 19. Mai 1970
3 Hans Gustav Keller, Einigen, Druck- und Verlagsanstalt Adolf Schaer Thun, 1946, Seite 23